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Drucksache 15/3700 – 16 – Deutscher Bun<strong>de</strong>stag – 15. Wahlperio<strong>de</strong><br />
ärztlichen Eingriff also nur in engen Grenzen und bei<br />
zeitlicher Nähe zum Eingriff zulässig ist. 52) Diese zeitliche<br />
Nähe ist bei Patientenverfügungen aber meist gera<strong>de</strong><br />
nicht gegeben. Außer<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r in einer Patientenverfügung<br />
geäußerte Wille nicht auf eine aktuelle Situation gerichtet.<br />
Zwar kann eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung<br />
mit einer Bedingung versehen wer<strong>de</strong>n, doch ist hier<br />
<strong>de</strong>r Eintritt <strong>de</strong>r Bedingung in <strong>de</strong>n meisten Fällen von so<br />
vielen unsicheren Faktoren abhängig und <strong>de</strong>r Adressatenkreis<br />
ist so unbestimmt, dass etliche Autoren nicht von einer<br />
rechtsgeschäftlichen Willenserklärung ausgehen. 53)<br />
Erste Voraussetzung für die rechtliche Wirksamkeit von<br />
Erklärungen ist normalerweise, dass <strong>de</strong>r Erklären<strong>de</strong> geschäftsfähig<br />
ist. Im Bereich <strong>de</strong>s Gesundheitswesens ist jedoch<br />
anerkannt, dass je<strong>de</strong>nfalls hinsichtlich <strong>de</strong>r Einwilligung<br />
in ärztliche Behandlungsmaßnahmen nicht die volle<br />
Geschäftsfähigkeit erfor<strong>de</strong>rlich ist, son<strong>de</strong>rn die Fähigkeit,<br />
Be<strong>de</strong>utung und Tragweite <strong>de</strong>r Maßnahme zu erfassen<br />
(Einwilligungsfähigkeit). 54) Diese ist bei Volljährigen regelmäßig<br />
gegeben. Entschei<strong>de</strong>nd ist jedoch nicht ein bestimmtes<br />
Alter, son<strong>de</strong>rn die jeweils im Einzelfall zu prüfen<strong>de</strong><br />
individuelle Reife <strong>de</strong>s Erklären<strong>de</strong>n. 55)<br />
Erklärungen sind grundsätzlich formlos, also nicht nur<br />
schriftlich, son<strong>de</strong>rn auch mündlich o<strong>de</strong>r durch schlüssiges<br />
Verhalten (Kopfnicken, Handheben etc.) möglich. Nur in<br />
beson<strong>de</strong>rs gelagerten Fällen, die hier aber nicht einschlägig<br />
sind, schreibt das bürgerliche Recht die Einhaltung einer<br />
beson<strong>de</strong>ren Form vor: Schriftform (vgl. § 126 BGB),<br />
öffentliche Beglaubigung (§ 129 BGB) o<strong>de</strong>r notarielle<br />
Beurkundung. Im Betreuungsrecht hat <strong>de</strong>r Gesetzgeber in<br />
§ 1904 Abs. 2 Satz 2 BGB die Wirksamkeit <strong>de</strong>r Bevollmächtigung<br />
für die Entscheidung über bestimmte ärztliche<br />
Maßnahmen an die Schriftform gebun<strong>de</strong>n.<br />
Im Zivilrecht herrscht in Bezug auf Erklärungen Gestaltungsfreiheit.<br />
Insbeson<strong>de</strong>re müssen grundsätzlich keine<br />
Formulare verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Formulare dienen üblicherweise<br />
<strong>de</strong>r Verwaltungsvereinfachung sowie <strong>de</strong>r einheitlichen<br />
Handhabung einer Vielzahl von Einzelfällen.<br />
Erklärungen können im Rechtsverkehr, falls nicht eine<br />
spezielle Vorschrift dies an<strong>de</strong>rs regelt, je<strong>de</strong>rzeit formfrei<br />
wi<strong>de</strong>rrufen wer<strong>de</strong>n. 56)<br />
Eine vorherige Beratung o<strong>de</strong>r Information ist nicht erfor<strong>de</strong>rlich,<br />
um einer Erklärung rechtliche Verbindlichkeit zu<br />
52) Vergleiche ebd. m.w.N.<br />
53) Vergleiche ebd. m.w.N.<br />
54) Vergleiche BGHZ 29, 36; Bienwald (1999), § 1904, Rdnr. 10;<br />
Damrau/Zimmermann ( 3 2001), § 1904, Rdnr. 3; Palandt-Die<strong>de</strong>richsen<br />
( 62 2003), § 1904 Rdnr. 1; Taupitz (2000a), A 58; Baumann/Hartmann<br />
(2000), 598, 606; Berger (2000), 802; Stackmann (2003), 493;<br />
Schaffer (2003), 146; Bun<strong>de</strong>särztekammer (1999), A 2721; Deutscher<br />
Juristentag (2001), 1485. Der Begriff <strong>de</strong>r Einwilligungs(un)fähigkeit<br />
bedarf für die praktische Anwendung <strong>de</strong>r Operationalisierung,<br />
vgl. hierzu Rixen/Höfling/Kuhlmann u. a. (2003), 191 ff.<br />
55) Vergleiche Stackmann (2003), 493. Eine gelegentlich genannte Altersgrenze<br />
von 14 Jahren kann allenfalls als Richtschnur gelten (vgl.<br />
Spickhoff (2000), 2299), und zwar für die erfor<strong>de</strong>rlichen individuellen<br />
Fähigkeiten (vgl. Taupitz (2000a), A 61).<br />
56) Speziell zur Patientenverfügung: Deutscher Juristentag (2001),<br />
1485; Schaffer (2003), 146.<br />
verleihen. Bei Einwilligungen in körperliche Eingriffe ist<br />
jedoch eine vorherige ärztliche Aufklärung (informed<br />
consent) erfor<strong>de</strong>rlich. 57)<br />
Der Inhalt von Erklärungen wird von verschie<strong>de</strong>nen Bestimmungen<br />
in seiner Wirksamkeit eingeschränkt. Dies<br />
gilt insbeson<strong>de</strong>re für Verstöße gegen ein gesetzliches Verbot<br />
o<strong>de</strong>r die „guten Sitten“, §§ 135, 136 BGB.<br />
Grundsätzlich wirken Erklärungen auch dann fort, wenn<br />
im Nachhinein die Geschäftsunfähigkeit <strong>de</strong>s Erklären<strong>de</strong>n<br />
eintritt.<br />
3.3 Aktuelle Rechtslage nach Rechtsprechung<br />
und Literatur<br />
Der Gesetzgeber hat bisher nur im Betreuungsrecht beson<strong>de</strong>re<br />
Rechtsvorschriften erlassen, die die ärztliche Behandlung<br />
nicht einwilligungsfähiger Patienten betreffen<br />
(§§ 1901 Abs. 4, 1904, 1905 BGB). Die Vorausverfügung<br />
über die Vornahme o<strong>de</strong>r das Unterlassen medizinischer<br />
Maßnahmen im Falle <strong>de</strong>r künftigen Entscheidungsunfähigkeit<br />
ist gesetzlich nicht näher geregelt.<br />
Im Bereich <strong>de</strong>r Patientenverfügungen wird die aktuelle<br />
Rechtslage von <strong>de</strong>n Entscheidungen <strong>de</strong>r Gerichte geprägt.<br />
Daneben hat sich die Rechtswissenschaft in <strong>de</strong>n letzten<br />
Jahren vermehrt mit <strong>de</strong>r Verbindlichkeit von Patientenverfügungen<br />
befasst.<br />
3.3.1 Systematische Einordnung<br />
Solange ein Patient selbst entscheidungsfähig ist, kann er<br />
über anstehen<strong>de</strong> medizinische Maßnahmen selbst entschei<strong>de</strong>n.<br />
Sein aktuell geäußerter Wille ist für das Han<strong>de</strong>ln<br />
<strong>de</strong>r Ärzte und <strong>de</strong>s Pflegepersonals maßgeblich. Die<br />
Äußerung <strong>de</strong>s Willens kann dabei verbal, schriftlich o<strong>de</strong>r<br />
auf je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re verständliche Art und Weise erfolgen<br />
(Gebär<strong>de</strong>n- o<strong>de</strong>r Körpersprache).<br />
Ist eine Person nicht einwilligungs- und entscheidungsfähig,<br />
kann sie <strong>de</strong>nnoch in Bezug auf bestimmte Entscheidungen<br />
bzw. Maßnahmen ihren aktuellen Willen äußern.<br />
Dieser bezieht sich auf einfache, anschauungsgebun<strong>de</strong>ne<br />
und erlebnisrelevante Alternativen. Dieser aktuelle Wille<br />
kann sich sprachlich äußern, meist sind jedoch gestische<br />
und körpersprachliche Zeichen bezüglich Freu<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Abwehr<br />
entschei<strong>de</strong>nd, die in <strong>de</strong>r dialogischen Kommunikation<br />
mit <strong>de</strong>m Betroffenen wahrgenommen wer<strong>de</strong>n müssen.<br />
Der in dieser Weise geäußerte aktuelle Wille hat nach<br />
ganz überwiegen<strong>de</strong>r Ansicht Vorrang vor früheren Äußerungen<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Ermittlung eines „mutmaßlichen Willens“.<br />
Ist <strong>de</strong>r Patient nicht (mehr) entscheidungsfähig und äußert<br />
er auch keinen aktuellen Willen in Bezug auf eine konkrete<br />
Behandlungsmaßnahme, muss nach Auffassung <strong>de</strong>r<br />
Rechtsprechung zunächst auf einen früher geäußerten<br />
Willen <strong>de</strong>s Patienten zurückgegriffen wer<strong>de</strong>n, wenn er<br />
auf die aktuelle Entscheidungssituation zutrifft. 58) An-<br />
57) Vergleiche Taupitz (2000a), A 28 ff.; Palandt-Thomas ( 62 2003),<br />
§ 823 Rdnr. 44 ff.<br />
58) BGH (2003), 1589; Strätling/Eisenbart/Scharf (2000); für das Betreuungsrecht<br />
vgl. 1901 Abs. 3, 1 u 2 BGB.