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medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios

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medtropole Aktuelles<br />

Nr. 16 Januar 2009<br />

HIRNMETASTASEN<br />

Was nun?<br />

MATERNALE THROMBOPHILIE<br />

Frühe intrauterine Wachstumsretardierung<br />

BURNOUT – THERAPIE UND PRÄVENTION<br />

Psychosomatisches Fachzentrum Falkenried<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>einweisende</strong> <strong>Ärzte</strong>


Impressum<br />

Redaktion<br />

Jens Oliver Bonnet<br />

(verantw.)<br />

Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />

Prof. Dr. Christian Arning<br />

PD Dr. Oliver Detsch<br />

Dr. Birger Dulz<br />

PD Dr. Siegbert Faiss<br />

Dr. Christian Frerker<br />

Dr. Annette Hager<br />

Dr. Susanne Huggett<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Dr. Jürgen Ma<strong>der</strong>t<br />

Dr. Ulrich Müllerleile<br />

Dr. Ursula Scholz<br />

PD Dr. Gunther Harald Wiest<br />

Prof. Dr. Gerd Witte<br />

Cornelia Wolf<br />

Her<strong>aus</strong>geber<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

Hamburg GmbH<br />

Unternehmenskommunikation<br />

Rudi Schmidt V. i. S. d. P.<br />

Rübenkamp 226<br />

22307 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-82 66 36<br />

Fax (0 40) 18 18-82 66 39<br />

E-Mail:<br />

medtropole@asklepios.com<br />

Auflage: 15.000<br />

Erscheinungsweise:<br />

4 x jährlich<br />

ISSN 1863-8341<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

<strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch zwischen <strong>Klinik</strong> und Praxis wird immer wie<strong>der</strong> von Kolleginnen<br />

und Kollegen als zentrales Anliegen unserer fachlichen Kommunikation<br />

genannt – erweist sich jedoch häufig als Stiefkind, nicht zuletzt behin<strong>der</strong>t<br />

durch strukturelle Vorgaben unseres Gesundheitssystems. Hier hat die medtropole<br />

eine wichtige Schlüsselfunktion übernommen und sich zu einem zentralen<br />

Kommunikationsmedium zwischen <strong>Klinik</strong>ärzten und Nie<strong>der</strong>gelassenen entwickelt.<br />

Als Vertreter eines Faches, das auf Kommunikation beson<strong>der</strong>en Wert legt,<br />

möchte ich insbeson<strong>der</strong>e den Sprachstil <strong>der</strong> Zeitschrift hervorheben: Klar und einprägsam, nicht<br />

belastet von zu viel wissenschaftlichen Verweisen und frei von dem, was Nie<strong>der</strong>gelassene oft als<br />

„Arroganz <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>er“ erleben. Der Redaktion sei Dank!<br />

In <strong>der</strong> vorliegenden Ausgabe wird gleich zu Beginn die Fachkenntnis über das Symptom Depressivität<br />

getestet und am Beispiel <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung dargelegt. Die Differenzierung<br />

des therapeutischen Vorgehens zwischen <strong>der</strong> „gewöhnlichen Depression“ und <strong>der</strong>jenigen<br />

bei Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörungen ist von großer klinischer Bedeutung, <strong>für</strong> die Würdigung<br />

<strong>der</strong> Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen gebührt den Autoren zusätzlicher Dank.<br />

Der nächste Beitrag weist auf die klinische Bedeutung von Aortendissektion und -aneurysma hin<br />

sowie auf die Bedeutung einer frühzeitigen Diagnose. Die Zunahme periprothetischer Frakturen<br />

und die Notwendigkeit einer raschen Mobilisation bei den meist geriatrischen Patienten heben<br />

die nächsten Autoren hervor. Die Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität und -erwartung durch neurochirurgische<br />

Intervention bei Hirnmetastasen zeigt die beeindruckenden Möglichkeiten mikrochirurgischer<br />

Eingriffe. Zwei interessante und lehrreiche Fallbeispiele <strong>aus</strong> dem weiteren Umfeld<br />

<strong>der</strong> Geburtshilfe finden Sie in diesem Heft <strong>aus</strong> den Bereichen Pränatalmedizin und Neurochirurgie:<br />

Einmal geht es um den Zusammenhang zwischen Thrombophilien und fetalen Wachstumsretardierungen,<br />

einmal bedroht ein Hämangiom im Bereich <strong>der</strong> BWK die Schwangerschaft. Ein weiteres<br />

wichtiges Thema ist die State-of-the-art-Diagnostik <strong>der</strong> Halsarterien-Dissektion und ihre Bedeutung<br />

<strong>für</strong> die Schlaganfallprävention. Beson<strong>der</strong>e Bedeutung <strong>für</strong> die Zusammenarbeit von <strong>Klinik</strong><br />

und Praxis hat das Ambulante Studienzentrum in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg. Dem nie<strong>der</strong> -<br />

gelassenen Arzt wird die Möglichkeit zur Kooperation mit den <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en geboten, <strong>der</strong><br />

H<strong>aus</strong>- o<strong>der</strong> Facharzt empfiehlt seinen Patienten die Teilnahme an einer durch die <strong>Klinik</strong> durchgeführten<br />

Studie, wird fortlaufend über die Ergebnisse informiert und ermöglicht so Behandlungen<br />

außerhalb seines Praxisbudgets. Möglich sind auch Unterstützung bei <strong>der</strong> Durchführung klinischer<br />

Studien in <strong>der</strong> Praxis o<strong>der</strong> gemeinsame klinische Studien.<br />

Burnout ist das Thema des eigenen Beitrags. Diese immer weiter verbreitete Form <strong>der</strong> Dekompensation<br />

auf psychischer und psychosomatischer Ebene bedarf beson<strong>der</strong>er therapeutischer Konzeptionen.<br />

Ein spezieller Schwerpunkt des Beitrags ist die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Burnout-Syndromen<br />

in <strong>der</strong> <strong>Ärzte</strong>schaft, <strong>der</strong>en Häufigkeit eindrucksvoll ist. So ist allen Betroffenen im Bereich<br />

<strong>der</strong> Medizin Mut zu machen, sich bei Bedarf mit dieser Problematik <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>zusetzen und<br />

fachliche Hilfe aufzusuchen.<br />

Mit besten Wünschen <strong>für</strong> ein erfolgreiches neues Jahr<br />

Ihr<br />

Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />

Ärztlicher Direktor, <strong>Asklepios</strong> Westklinikum Hamburg


Inhalt<br />

612 | PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE<br />

Symptom Depressivität<br />

616 | HERZCHIRURGIE<br />

Chirurgische Aspekte akuter und chronischer Erkrankungen <strong>der</strong><br />

Aorta ascendens und des Aortenbogens<br />

620 | UNFALLCHIRURGIE<br />

Periprothetische Frakturen<br />

623 | NEUROCHIRURGIE<br />

Hirnmetastasen – was nun?<br />

626 | PRÄNATALMEDIZIN<br />

Frühe intrauterine Wachstumsretardierung<br />

bei maternaler Thrombophilie<br />

628 | NEUROCHIRURGIE UND -RADIOLOGIE<br />

Eine schwierige Geburt –<br />

Größenprogredientes Hämangiom des 8. BWK einer Schwangeren<br />

631 | PERSONALIA<br />

632 | NEUROLOGIE<br />

Diagnostik <strong>der</strong> Halsarterien-Dissektion<br />

636 | FORSCHUNG<br />

Ambulantes Studienzentrum –<br />

Plattform zur Kooperation<br />

637 | PSYCHOSOMATIK<br />

Burnout-Syndrom –<br />

Therapie und Prävention im Psychosomatischen Fachzentrum Falkenried<br />

640 | GESCHICHTE DER MEDIZIN<br />

Rettende Stromstöße <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Schuhcremedose<br />

S. 616<br />

S. 623<br />

S. 632


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Symptom Depressivität<br />

Dr. Charlotte Ramb, Dr. Birger Dulz<br />

Rund 20 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung leiden im Laufe des Lebens zumindest einmal unter einer klinisch relevanten<br />

depressiven Störung [4] und Depressionen werden vor<strong>aus</strong>sichtlich bis zum Jahr 2020 weltweit die zweithäufigste<br />

Ursache <strong>für</strong> Arbeitsunfähigkeit sein. [9] Dabei ist von einer großen Vielfalt bezüglich einer depressiven Symptomatik<br />

<strong>aus</strong>zugehen: Bei rund <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Betroffenen besteht eine prognostisch ungünstige Komorbidität mit weiteren<br />

psychischen Störungen. [2,7] Während von <strong>der</strong> Depression als eigenständigem Krankheitsbild (z. B. Major Depression<br />

– ICD-10: F32.2) in <strong>der</strong> nächsten Ausgabe zu lesen sein wird, soll hier eine Übersicht geliefert werden,<br />

welche an<strong>der</strong>en Störungsbil<strong>der</strong> und Krankheiten mit dem Auftreten einer depressiven Symptomatik, einer<br />

Depressivität, assoziiert sind. So wird deutlich, wie sich die hohe Prävalenz einer depressiven Symptomatik<br />

erklärt. Klinisch relevant wird die Differenzialdiagnostik auch, weil ein zum Beispiel depressiver Patient mit einer<br />

zugrunde liegenden Bor<strong>der</strong>line-Störung besser „Bor<strong>der</strong>line-spezifisch“ behandelt wird als allein die Depressivität<br />

zu beachten.<br />

Bei den folgenden Störungsbil<strong>der</strong>n kommt eine depressive Symptomatik häufig vor:<br />

Krankheit ICD-10 Anmerkung<br />

Karzinome und an<strong>der</strong>e somatische Erkrankungen<br />

Demenz F00 ICD-10: Differenzialdiagnosen: depressive Störung (F30-39)<br />

Organische affektive Störungen F06.3 ICD-10: Organische depressive Störung (F06.32)<br />

Entzugssyndrom F1x.3 ICD-10: Angst, Depression, Schlafstörungen<br />

Schizophrenie F20.4 ICD-10: Depressive Symptome (können) quälend im Vor<strong>der</strong>grund stehen<br />

Phobische Störung F40 ICD-10: … tritt häufig gleichzeitig mit Depression auf<br />

Generalisierte Angststörung<br />

ICD-10: Beson<strong>der</strong>s ... Depression … schließt eine generalisierte Angststörung als Hauptdiagnose<br />

F41.1<br />

nicht <strong>aus</strong><br />

Angst und depressive Störung, gemischt F41.2<br />

Zwangsstörung F42.0 ICD-10: Enge Verbindung zwischen Zwangssymptomen … und Depression<br />

Posttraumatische Belastungsstörung F43.1 ICD-10: Angst und Depression sind häufig<br />

Hypochondrische Störung F45.2 ICD-10: Häufig beträchtliche Depression und Angst<br />

Somatoforme Störung F45.4 ICD-10: Offensichtlich depressive Symptome<br />

Leichte psychische und Verhaltensstörung im Wochenbett F53.0 ICD-10: Postpartale Depression<br />

Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung F60.31 Emotionale Instabilität; häufig depressive Symptomatik (siehe hierzu unten)<br />

Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung<br />

ICD-10: Umfassende Gefühle von ... Besorgtheit, … Gefühle von … Min<strong>der</strong>wertigkeit.<br />

F60.6<br />

Isolierung … kann depressive Verstimmungen bedingen [8]<br />

Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung F60.7 10 – 20 % Depression [8]<br />

Narzisstische Persönlichkeitsstörung F60.8 Narzisstische „innere Leere“ und depressive Verstimmung [8]<br />

Andauernde Persönlichkeitsän<strong>der</strong>ung nach Extrembelastung F62.0 ICD-10: Gefühl <strong>der</strong> Leere und Hoffnungslosigkeit<br />

612


Depressivität am Beispiel <strong>der</strong><br />

Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung<br />

Bei Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung<br />

auf Bor<strong>der</strong>line-Strukturniveau kann<br />

es im Verlauf zu schweren, manchmal<br />

lebensbedrohlichen depressiven Verstimmungen<br />

kommen. Während bei neurotischen<br />

Depressionen (z. B. Dysthymia –<br />

ICD-10: F34.1, o<strong>der</strong> leichte depressive Episode<br />

– ICD-10: F32.0) und psychotischen<br />

Depressionen (z. B. schwere depressive<br />

Episode mit psychotischen Symptomen –<br />

ICD-10: F32.3) Beschwerden wie Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühle,<br />

Gewissensbisse, Schuldund<br />

Schamgefühle sowie bei psychotischen<br />

Depressionen auch Schuld-, Kleinheits-,<br />

Verarmungs- und Versündigungswahn<br />

bestehen, scheinen bei „Bor<strong>der</strong>line-Depressivitäten“<br />

eher Gefühle <strong>der</strong> Leere und Langeweile<br />

die Grundstimmung zu prägen.<br />

Dem „aufgesetzt“ treten bei emotional<br />

instabilen Patienten depressive Symptome<br />

auch noch in Form heftiger depressivsuizidaler<br />

Krisen auf, als schwere Selbstwertkrisen<br />

mit starkem Selbsthass, Selbstbestrafungstendenzen<br />

und schwerem<br />

selbstverletzendem Verhalten, o<strong>der</strong> aber in<br />

Form plötzlicher depressiver „Abstürze“<br />

bei extremen Stimmungs- und Selbstwertschwankungen<br />

im Sinne von „himmelhochjauchzend-zu-Tode-betrübt“.Schuldzuweisungen<br />

gegen sich selbst und Selbstvorwürfe<br />

<strong>der</strong> Patienten können fehlen. Stattdessen<br />

ist oft eine große depressive Leere<br />

o<strong>der</strong> auch unglaubliche Wut gegen sich<br />

selbst zu spüren, die sich massiv äußern<br />

und bis zu massiven Selbstverstümmelungen<br />

gehen kann. So wie sich die Bor<strong>der</strong> -<br />

line-Störung insgesamt durch eine große<br />

Vielfalt, Wechselhaftigkeit und manchmal<br />

auch Flüchtigkeit ihrer Symptome <strong>aus</strong>zeichnet,<br />

gilt dies auch <strong>für</strong> die depressive<br />

Symptomatik <strong>der</strong> „Bor<strong>der</strong>line“-Patienten<br />

(Polysymptomatik).<br />

Die Patienten schil<strong>der</strong>n <strong>der</strong>artige Zustände<br />

manchmal als grauenhafte, unerträgliche<br />

Leere o<strong>der</strong> aber auch wie ein endloses Fallen.<br />

Oft können sie diese Empfindungen<br />

erst retrospektiv schil<strong>der</strong>n, da sie während<br />

solcher Zustände aufgrund ihres „Abgetrenntseins“<br />

von an<strong>der</strong>en Menschen dazu<br />

kaum in <strong>der</strong> Lage scheinen. Dies scheint<br />

übrigens in deutlichem Kontrast zu neurotischen<br />

Depressionen zu stehen, aber nicht<br />

so sehr zu psychotischen beziehungsweise<br />

„endogenen“ Depressionen. Bei Bor<strong>der</strong>line-<br />

Psychiatrie und Psychotherapie<br />

Depressivitäten spielt <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e (psychoanalytisch:<br />

das Objekt) eine geringe bis gar<br />

keine Rolle, es ist ein subjektbezogener<br />

(allein auf den Patienten selbst bezogener)<br />

und eher objektloser Zustand innerer (narzisstischer)<br />

Leere. [3] Bei neurotischen De -<br />

pressionen spielt <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e eine ebenso<br />

große Rolle wie das Subjekt, also <strong>der</strong><br />

Patient.<br />

Eine sichere Differenzierung zwischen solchen<br />

Zuständen innerer Leere und einer<br />

„echten“ Depression ist natürlich nicht<br />

immer möglich, da ja auch eine schwere<br />

vitale Depression mit quälenden Zuständen<br />

innerer Trostlosigkeit, Gefühllosigkeit<br />

und Leblosigkeit („inneres Abgestorbensein“)<br />

einhergehen kann. Dennoch hat<br />

nach unseren Erfahrungen eine bestimmte<br />

Form <strong>der</strong> Depressivität, die man vielleicht<br />

auch als „frühe Depression“ <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong> -<br />

line-Patienten bezeichnen könnte, eine<br />

an<strong>der</strong>e Qualität als die schweren depressiven<br />

Verstimmungszustände bei primär<br />

depressiv erkrankten Menschen.<br />

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin,<br />

dass Depressivität bei „Bor<strong>der</strong>linern“,<br />

an<strong>der</strong>s als bei den meisten primär depres-<br />

613


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

siv Erkrankten, häufig nicht als solche zu<br />

erkennen ist. Oft besteht eine große Diskrepanz<br />

zwischen dem innerpsychischen Erleben<br />

<strong>der</strong> Betroffenen und ihrer nach außen<br />

gezeigten „heiteren Fassade“. In manchen<br />

Fällen spricht man hier auch von einem<br />

sogenannten Falschen Selbst. [10] Patienten<br />

mit Bor<strong>der</strong>line-Störung haben in den ersten<br />

Lebensjahren schwere emotionale Mangelund/o<strong>der</strong><br />

Gewalterfahrungen durchmachen<br />

müssen. Sie bekamen keine „hinlänglich<br />

gute mütterliche Betreuung in <strong>der</strong> frühen<br />

kritischen Phase“, sodass ihnen kein<br />

sicherer, geborgener, för<strong>der</strong>licher „Übergangsraum“<br />

<strong>für</strong> ihre psychische und emotionale<br />

Entwicklung zur Verfügung stand.<br />

Unter diesen Bedingungen mit unzureichen<strong>der</strong><br />

Feinfühligkeit und Verlässlichkeit<br />

bis hin zur Bedrohlichkeit und Gefährlichkeit<br />

<strong>der</strong> Versorgungspersonen konnten sie<br />

kein stabiles Selbst-Konzept aufbauen.<br />

Stattdessen waren die Betroffenen schon<br />

sehr früh (oft schon im Säuglingsalter!) zu<br />

extremen Anpassungsprozessen und<br />

Abwehrreaktionen im Umgang mit ihren<br />

Bezugspersonen genötigt, etwa um diese<br />

nicht zu verstimmen.<br />

Ähnlich wie Patienten mit einer Bor<strong>der</strong> -<br />

line-Persönlichkeitsstörung haben auch<br />

primär depressiv Erkrankte in ihrer frühen<br />

Kindheit häufig emotionale Mangel- und<br />

traumatische Beziehungserfahrungen<br />

gemacht. Doch weisen Bor<strong>der</strong>line-Patienten<br />

im Vergleich dazu meist wesentlich<br />

stärkere Ich-strukturelle Beeinträchtigungen<br />

auf, eine unreifere Abwehrorganisation<br />

und eine deutlich höhere emotionale Insta-<br />

614<br />

bilität. Dies schützt sie in gewisser Hinsicht<br />

sogar davor, in einen länger andauernden<br />

(objektbezogenen = personenabhängigen)<br />

depressiven Zustand zu geraten.<br />

Zur Gegenübertragung: Dementsprechend<br />

lösen Patienten mit einer primären, also<br />

neurotischen o<strong>der</strong> psychotischen Depression<br />

in <strong>der</strong> Regel im Behandler eindeutigere<br />

und durchgängigere Impulse des Helfenwollens<br />

<strong>aus</strong>. Das stellt sich bei Bor<strong>der</strong>line-<br />

Patienten mit depressiver Stimmungslage<br />

oft ganz an<strong>der</strong>s dar: Die Bor<strong>der</strong>line-Depressivität<br />

kann sich in deutlich an<strong>der</strong>en Ge -<br />

genübertragungsgefühlen im Umgang mit<br />

depressiven „Bor<strong>der</strong>linern“ mitteilen:<br />

Ohnmacht, Leere, Hilflosigkeit, „dumpfes<br />

Grauen“, Irritation, Gleichgültigkeit, Sichabwenden-Wollen,<br />

„abgrundtiefe“ Traurigkeit.<br />

Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Wenn<br />

eine Frau mit einer Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstruktur<br />

gerade von ihrem Freund<br />

verlassen worden und dadurch in eine<br />

psychische Krise geraten ist und nun mit<br />

Selbstmordgedanken in die <strong>Klinik</strong>ambulanz<br />

kommt, wird sie sich vermutlich<br />

ziemlich an<strong>der</strong>s verhalten als eine frisch<br />

verlassene depressiv strukturierte Patientin.<br />

So könnte die Bor<strong>der</strong>line-Patientin<br />

(zunächst noch ähnlich wie die depressive<br />

Patientin) die Tendenz haben, die Behandler<br />

zunächst stark <strong>für</strong> sich einzunehmen,<br />

anschließend aber versuchen, sie massiv<br />

„einzuspannen“ o<strong>der</strong> zu bedrängen – fast<br />

bis zur Erpressung („Sie sind <strong>der</strong> Einzige,<br />

<strong>der</strong> mich jetzt noch retten kann! Sie müs-<br />

sen ihn anrufen und ihm sagen, dass er zu<br />

mir zurückkommen muss! Sonst bringe ich<br />

mich um!“). Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Personen (o<strong>der</strong><br />

auch nach kurzer Zeit dieselben, die sie<br />

kurz vorher noch idealisiert hat, z. B. <strong>der</strong><br />

behandelnde Arzt) werden von ihr massiv<br />

angeschuldigt, vielleicht auch beschimpft<br />

und bepöbelt, o<strong>der</strong> gar als Verursacher<br />

<strong>für</strong> das erlittene Unglück und Unrecht<br />

<strong>aus</strong>gemacht. Darüber hin<strong>aus</strong> könnte die<br />

Bor<strong>der</strong>line-Patientin dazu tendieren, <strong>für</strong><br />

sie emotional unerträgliche Tatsachen<br />

zwischendurch auch „ganz einfach“ abzustreiten<br />

(„Er liebt mich immer noch, ich<br />

weiß es hun<strong>der</strong>tprozentig, er hat sich gar<br />

nicht wirklich getrennt, er hat es doch gar<br />

nicht so gemeint“). Sie könnte auch mit<br />

Suizid drohen, sich schwere Selbstverletzungen<br />

zufügen und/o<strong>der</strong> dieses ankündigen.<br />

Bei einem Versuch, ein geordnetes<br />

Gespräch zu führen, wird <strong>der</strong> Arzt sie<br />

möglicherweise gar nicht „erreichen“ können:<br />

Sie ist we<strong>der</strong> kommunikationsbereit<br />

noch -fähig, springt stattdessen möglicherweise<br />

von einem Thema zum nächsten, im<br />

Kontakt und in <strong>der</strong> Stimmung extrem<br />

schwankend zwischen anklammernd-bittend<br />

und vorwurfsvoll-gereizt bis schimpfend-drohend.<br />

Auch wird sie eventuell laut<br />

weinen o<strong>der</strong> wie „weggedriftet“ o<strong>der</strong><br />

„abwesend“ wirken, was die Situation<br />

noch undurchsichtiger und bedrohlicher<br />

macht. Kurzum: Ein einziges Chaos …<br />

Therapieverläufe<br />

Von <strong>der</strong> beschriebenen „frühen“, objektlosen<br />

Depressivität zu trennen sind die im


späteren Verlauf <strong>der</strong> Psychodynamischen<br />

Psychotherapie notwendig auftretenden<br />

Phasen <strong>der</strong> Traurigkeit und „reiferen“<br />

Depressivität, die die Patienten durchmachen<br />

müssen, um ihre Therapie voranzubringen.<br />

Entscheidend am „Durchleben“<br />

<strong>der</strong> depressiven Zustände beziehungsweise<br />

<strong>der</strong> Trauer ist <strong>für</strong> die Bor<strong>der</strong>line-Patienten<br />

unter an<strong>der</strong>em, dass sie im Therapieverlauf<br />

lernen können, kaum erträgliche negative<br />

Gefühle besser <strong>aus</strong>zuhalten und dabei<br />

nach und nach besser in ihre möglichen<br />

Bestandteile zu differenzieren: Wut, Angst,<br />

Enttäuschung, Scham, Ekel etc. (Arbeit an<br />

Affekttoleranz und Affektdifferenzierung).<br />

Vor allem können sie die wichtige Erfahrung<br />

machen, beim Durchleben dieser<br />

Gefühle nicht allein zu sein, dass an<strong>der</strong>e<br />

(zunächst das Behandlungsteam) <strong>für</strong> sie<br />

„da“ sind und sie trösten und beruhigen,<br />

ihnen gegebenenfalls auch helfen, das<br />

Erlebte in Worte zu fassen (Mentalisierungsarbeit).<br />

Indem das Behandlungsteam<br />

sich ihrer aktuellen und früheren Probleme<br />

und Leidensgeschichten annimmt, kann es<br />

den Patienten gelingen, die negativen<br />

Gefühle zuzuordnen, sie möglicherweise<br />

auch in einen aktuellen o<strong>der</strong> früheren<br />

Beziehungszusammenhang, zum Beispiel<br />

Erlebnisse mit einem Elternteil, einzuordnen.<br />

Dies kann extrem schmerzlich, traurig,<br />

dabei zwar entlastend und notwendig,<br />

aber gleichzeitig auch unerträglich und<br />

zunächst einmal „unfassbar“ sein.<br />

Traurigkeit o<strong>der</strong> besser Trauer ist generell<br />

ein reifer, also anzustreben<strong>der</strong>, <strong>für</strong> unsere<br />

Patienten aber oft sehr harter und manch-<br />

mal auch gefährlicher Weg zur Bearbeitung,<br />

den wir in <strong>der</strong> „Beziehungszentrierten<br />

Psychodynamischen Psychotherapie“<br />

trotzdem insgesamt för<strong>der</strong>n. Er kann<br />

manchmal sowohl <strong>für</strong> den Patienten als<br />

auch <strong>für</strong> das Team ebenso schwer <strong>aus</strong>zuhalten<br />

wie zu kontrollieren sein. Unter<br />

Umständen kann Trauer sogar zu einer<br />

akuten Suizidalität führen. Aber: Nur <strong>aus</strong><br />

<strong>der</strong> durchlebten Trauer können Verän<strong>der</strong>ung<br />

und Neues erwachsen.<br />

Medikation<br />

Dass die Depressivität bei Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung<br />

an<strong>der</strong>s ist als eine<br />

„klassische“ Depression, zeigt auch die<br />

Wirkungslosigkeit sonst wirksamer Antidepressiva.<br />

Dementsprechend lautet die<br />

Empfehlung <strong>der</strong> „Gesellschaft zur Erforschung<br />

und Therapie von Persönlichkeitsstörungen<br />

(GePs) e.V.“ zur Pharmakotherapie<br />

bei Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörungen,<br />

Trizyklische Antidepressiva seien nicht<br />

empfehlenswert: „Bei relativ hoher Toxizität<br />

ist <strong>der</strong> Nutzen sehr zweifelhaft<br />

(‚unwirksam‘) und lag teilweise nur im<br />

Bereich von Plazebo.“ [1,5] Dies ist gewissermaßen<br />

ein pharmakogener Beleg da<strong>für</strong>,<br />

dass Depressivität und Depression „zwei<br />

paar Schuhe“ sein müssen – an<strong>der</strong>s wäre<br />

die völlig unterschiedliche Wirksamkeit<br />

von zum Beispiel Amitriptylin nicht zu<br />

erklären.<br />

Literatur<br />

[1] American Psychiatric Association (APA) (2005). Leit -<br />

linien zur Behandlung <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeits -<br />

störung. Bern: Huber.<br />

[2] Bramesfeld A, Schwartz FW (2007). Volkskrankheit<br />

Depression: Bestandsaufnahme und Perspektiven. Psychiatr<br />

Prax 2007; 34(Suppl. 3): S247-51.<br />

[3] Dulz B (2000) Der Formenkreis <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Störungen:<br />

Versuch einer deskriptiven Systematik. In: Kernberg<br />

OF, Dulz B, Sachsse U (Hrsg.) Handbuch <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-<br />

Störungen. Stuttgart: Schattauer; 57-74.<br />

[4] Klesse C, Bermejo I, Härter M (2007) Neue Versorgungsmodelle<br />

in <strong>der</strong> Depressionsbehandlung. Nervenarzt.<br />

2007; 78 Suppl 3: 585-94.<br />

[5] Moleman P, van Dam K, Dings V (2000). Pharmakotherapie<br />

<strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung – aktueller<br />

Wissensstand und Behandlungskonzepte. In: Handbuch<br />

<strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Störungen. Kernberg OF, Dulz B, Sachsse U<br />

(Hrsg). Stuttgart: Schattauer; 655-72.<br />

[6] Rudolf G (2003) Störungsmodelle und Interventionsstrategien<br />

in <strong>der</strong> psychodynamischen Depressionsbehandlung.<br />

Z Psychosom Med Psychother; 49, 363-76.<br />

[7] Rudolf S, Bermejo I, Schweiger U, Hohagen F, Härter M<br />

(2006) Diagnostik depressiver Störungen. Dt. <strong>Ärzte</strong>blatt<br />

103(25): A1754-62.<br />

[8] Tress W, Wöller W, Hartkamp N, Langenbach M, Ott J<br />

(2002) Persönlichkeitsstörungen. Leitlinie und Quellentext.<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

[9] Vasic N, Wolf RC, Walter H (2007) Exekutive Funktionen<br />

bei depressiven Patienten. Nervenarzt 78: 628-640.<br />

[10] Winnicott, DW (1960) Ich-Verzerrung in Form des<br />

Wahren und des Falschen Selbst. In: D. W. Winnicott, Reifungsprozesse<br />

und för<strong>der</strong>nde Umwelt. München: Kindler<br />

1974.<br />

Kontakt<br />

Dr. Charlotte Ramb<br />

Psychiatrie und Psychotherapie<br />

II. Psychiatrie –<br />

Persönlichkeitsstörungen/Trauma<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Ochsenzoll<br />

Langenhorner Ch<strong>aus</strong>see 560<br />

22419 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 28 17<br />

Fax (0 40) 18 18-87 27 77<br />

E-Mail: c.ramb@asklepios.com<br />

615


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Chirurgische Aspekte akuter und<br />

chronischer Erkrankungen <strong>der</strong><br />

Aorta ascendens und des Aortenbogens<br />

Dr. Stephan Geidel, Priv.-Doz. Dr. Michael Laß, Prof. Dr. Jörg Ostermeyer<br />

In <strong>der</strong> Herzchirurgie haben akute und chronische Erkrankungen <strong>der</strong> Aorta ascendens (zwischen Aortenklappenanulus<br />

und Abgang des Truncus brachiocephalicus) sowie des angrenzenden Aortenbogens eine her<strong>aus</strong>ragende<br />

Bedeutung, da sie zu einer lebensbedrohlichen Blutung ins Perikard (Tamponade) und zur Beeinträchtigung <strong>der</strong><br />

hirnzuführenden Gefäße (Insult), <strong>der</strong> Aortenklappenfunktion (Insuffizienz) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Koronardurchblutung<br />

(Myokardischämie) führen können. Nicht selten ist neben dem Aortenbogen auch die Aorta descendens involviert.<br />

Als klinisch relevante Erkrankungen sind vor allem die sog. Aortendissektion und das Aortenaneurysma zu nennen.<br />

Vor allem bei akuter Ascendensdissektion gelten frühzeitige Diagnose und unmittelbare chirurgische Versorgung<br />

nach wie vor als große interdisziplinäre Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung, da die Letalität bis zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Operation<br />

stündlich um zwei Prozent zunimmt. [1]<br />

Aortendissektion<br />

Bei einer Dissektion dringt Blut über einen<br />

Einriss (= Entry) <strong>der</strong> Intima zwischen Ge -<br />

fäß-Media und Adventitia ein (Abb. 2) und<br />

bildet ein zusätzliches, „falsches“ Gefäßlumen.<br />

[1] Gewinnt <strong>der</strong> Blutstrom im falschen<br />

Lumen peripher wie<strong>der</strong> Anschluss an das<br />

wahre Lumen, bezeichnet man diesen<br />

zweiten Einriss als „Re-entry“. Die wesentlichen<br />

Vor<strong>aus</strong>setzungen <strong>für</strong> chirurgische<br />

Behandlungsmethoden <strong>der</strong> Aortendissektion<br />

wurden bereits in den 50er- und 60er-<br />

Jahren geschaffen. [1] Definitionsgemäß gilt<br />

eine Dissektion innerhalb <strong>der</strong> ersten zwei<br />

Wochen nach dem Schmerzereignis als<br />

„akut“, anschließend als „chronisch“. Hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Inzidenz einer akuten Dissektion<br />

im Bereich Aorta ascendens/Bogen<br />

muss in Deutschland eine Häufigkeit von<br />

ca. 15/1 Mio. Einwohner pro Jahr angenommen<br />

werden. [5,6] Männer sind im Verhältnis<br />

von 3:1 häufiger betroffen, das<br />

altersbezogene Maximum des Auftretens ist<br />

die fünfte Lebensdekade. Ein arterieller<br />

Hypertonus besteht bei über 80 Prozent<br />

616<br />

<strong>der</strong> Patienten; unterhalb des 40. Lebensjahres<br />

ist ein Marfan-Syndrom häufig. Bei 20<br />

Prozent <strong>der</strong> Patienten mit akuter Aortendissektion<br />

findet man histologisch eine<br />

zystische Media-Degeneration, in weiteren<br />

20 Prozent be steht eine schwere Arterio -<br />

sklerose (Abb. 3). Eine bicuspidale Aortenklappenanlage<br />

ist mit einem gehäuften<br />

Auftreten einer Aortendissektion assoziiert.<br />

Klassifikationen<br />

Die Stanford-Klassifikation berücksichtigt<br />

<strong>aus</strong>schließlich die Ausdehnung des Doppellumens<br />

(Typ A: Aorta ascendens involviert<br />

– im Gegensatz zu Typ B), die De-<br />

Bakey-Einteilung die Lokalisation des primären<br />

Einrisses (Typ I: Entry in <strong>der</strong> Ascendens,<br />

Doppellumen bis in den Bogen o<strong>der</strong><br />

weiter reichend; Typ II: Entry in <strong>der</strong> Ascendens,<br />

Doppellumen auf die Ascendens<br />

beschränkt; Typ III: Entry + Doppellumen<br />

in <strong>der</strong> Descendens).<br />

<strong>Klinik</strong> und natürlicher Verlauf<br />

Bei akuter Typ-A-Dissektion besteht unbehandelt<br />

eine Letalität von 40 bis 50 Prozent<br />

innerhalb <strong>der</strong> ersten 24 Stunden. Ist ein<br />

chronisches Stadium erreicht (ca. zehn Prozent),<br />

überleben immerhin zwei Drittel<br />

ohne chirurgische Therapie die folgenden<br />

drei Jahre. Da die akute Aortendissektion<br />

nicht selten die gesamte Hauptschlaga<strong>der</strong><br />

betrifft, ist die Beschwerdesymptomatik<br />

vielfältig (häufig: starke linksseitig betonte<br />

o<strong>der</strong> in den Rücken <strong>aus</strong>strahlende thora -<br />

kale Schmerzen, kardiogener Schock, Dys -<br />

pnoe, wechselnde Pulse, neurologische<br />

Ausfälle, akutes Abdomen, akute Nieren -<br />

insuffizienz).<br />

Diagnostik und Operation<br />

Aufgrund <strong>der</strong> extrem hohen Letalität in -<br />

nerhalb <strong>der</strong> ersten Stunden spielt <strong>der</strong> „Faktor<br />

Zeit“ die entscheidende Rolle. Somit<br />

muss bei jedem akuten Thoraxschmerz<br />

(nach Infarkt<strong>aus</strong>schluss) eine Echokardiographie<br />

durchgeführt werden, die in zwei


Abb. 1: Operative Versorgung einer akuten Aortendissektion in <strong>der</strong> Herzchirurgischen Abteilung <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg (OP-Team bei <strong>der</strong> Thoraxeröffnung)<br />

Drittel <strong>der</strong> Fälle die Diagnose sichert. Bei<br />

unklarem o<strong>der</strong> negativem Echobefund wird<br />

zur Sicherung <strong>der</strong> OP-Indikation eine Thorax-CT<br />

durchgeführt. Ziel <strong>der</strong> Operation<br />

ist es, (1) das rupturgefährdete Gefäß areal<br />

durch eine Gefäßprothese zu ersetzen<br />

(Entry-Beseitigung), so (2) den Blutfluss im<br />

falschen Lumen zu unterbinden (Wie <strong>der</strong> -<br />

herstellen einer normalen Organperfusion),<br />

und (3) die eventuell beeinträchtigte Aortenklappenfunktion<br />

und/o<strong>der</strong> Koronarperfusion<br />

wie<strong>der</strong> herzustellen. Operiert wird<br />

unter den Bedingungen <strong>der</strong> extrakorporalen<br />

Zirkulation (EKZ) zum Teil in tiefer<br />

Hypothermie, wobei die arterielle Kanülierung<br />

über eine periphere Arterie (A. femoralis,<br />

A. subclavia) erfolgt. Das erkrankte<br />

Gefäßsegment wird entfernt (histologische<br />

Untersuchung) und ersetzt, die Gefäßwandschichten<br />

im Anastomosenbereich werden<br />

mit Filzleisten rekonstruiert (Abb. 4). Bei<br />

<strong>aus</strong>gedehnten Operationen im Bereich des<br />

Aortenbogens kommt <strong>der</strong> Hirnprotektion<br />

eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu (Hypothermie,<br />

ante-/retrograde Perfusion).<br />

Ergebnisse<br />

Bei akuter Ascendensdissektion wird die<br />

30-Tage-OP-Letalität in <strong>der</strong> Literatur mit<br />

10 bis 15 Prozent angegeben (chronisch:<br />

ca. fünf Prozent). Prognostisch entscheidend<br />

ist das bestehende Ausmaß <strong>der</strong> Organperfusionsstörung<br />

bei OP-Beginn. Die 10-Jahres-Überlebensrate<br />

beträgt 50 bis 60 Prozent.<br />

[1,5,6] Wichtigste Nachsorgemaßnahme<br />

ist die Blutdruckeinstellung. Routinemäßige<br />

Untersuchungen (alle ein bis zwei Jahre)<br />

mit bildgeben<strong>der</strong> Technik dienen <strong>der</strong> frühzeitigen<br />

Erfassung anastomosennaher Verän<strong>der</strong>ungen.<br />

Aortenaneurysma<br />

Ein Aneurysma ist eine pathologische Ge -<br />

fäßerweiterung bei ursächlicher Schwäche<br />

infolge Degeneration <strong>der</strong> Wandschichten.<br />

Bei Beteiligung aller Schichten spricht man<br />

vom Aneurysma verum, bei lokaler Aussackung,<br />

<strong>der</strong>en äußere Begrenzung lediglich<br />

durch die Adventitia gebildet wird, vom<br />

Aneurysma spurium. Der Begriff „dissezi-<br />

Herzchirurgie<br />

ierendes Aortenaneurysma“ ist irreführend,<br />

da Dissektionen auch bei primär normalem<br />

Kaliber vorkommen. Ätiologisch<br />

bedeutsam <strong>für</strong> die Ausbildung eines Aortenaneurysmas<br />

im Bereich des Bulbus aortae<br />

(= Sinus Valsalvae, Ursprung <strong>der</strong> Aorta<br />

<strong>aus</strong> dem linken Ventrikel mit Abgang <strong>der</strong><br />

Koronararterien), <strong>der</strong> angrenzenden Aorta<br />

ascendens und des Bogens ist die Arterio -<br />

sklerose, meist vergesellschaftet mit einem<br />

arteriellen Hypertonus. Seltener liegt eine<br />

Bindegewebserkrankung vor.<br />

<strong>Klinik</strong> und natürlicher Verlauf<br />

Der Durchmesser <strong>der</strong> Aorta und <strong>der</strong> Grad<br />

einer eventuell begleitenden Aortenklap -<br />

peninsuffizienz bestimmen klinische Be -<br />

schwerden und Prognose. [1,5,6] Eine reine<br />

Erweiterung <strong>der</strong> ascendierenden Aorta<br />

ohne Klappeninsuffizienz kann bis zur<br />

Ruptur klinisch stumm bleiben und wird<br />

nicht selten erst im Rahmen dieses Akut -<br />

ereignisses diagnostiziert. Risikopatienten<br />

(z. B. Marfan-Syndrom: echokardiographische<br />

Vorsorgeuntersuchungen ab <strong>der</strong><br />

617


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Abb. 2: Akute Dissektion <strong>der</strong> Aorta ascendens mit Eintritt<br />

von Blut zwischen Gefäß-Media und -Adventitia<br />

(oben: gedeckte Perforation; OP-Situs nach Thoraxeröffnung<br />

und Absaugen eines blutigen Perikar<strong>der</strong>gusses, die<br />

Kanülierung zur extrakorporalen Zirkulation ist bereits<br />

erfolgt). Unten: <strong>der</strong> Intima-Einriss (Entry) wird sichtbar<br />

nach Abklemmen <strong>der</strong> Aorta und Eröffnung des Gefäßes.<br />

Pubertät) und Patienten mit bekannten<br />

Verän<strong>der</strong>ungen im Bereich <strong>der</strong> Aorta sollte<br />

ab einem Durchmesser <strong>der</strong> Aorta ascendens<br />

von fünf Zentimetern die Operation<br />

empfohlen werden, bei rascher Progression<br />

o<strong>der</strong> Dissektion in <strong>der</strong> Familienanamnese<br />

auch eher.<br />

Diagnostik und Operation<br />

Die chirurgische Therapie des Aneurysmas<br />

<strong>der</strong> Aorta ascendens besteht im prothetischen<br />

Ersatz des erweiterten Aortensegments.<br />

Bedeutsam sind sowohl Ätiologie<br />

als auch lokale Ausprägung des Befundes.<br />

Haben die Taschen <strong>der</strong> Aortenklappe<br />

durch die Erweiterung <strong>der</strong> Aortenwurzel<br />

ihre Koaptation verloren, kann ein rekonstruktiver<br />

Eingriff mit dem Ziel des Klappenerhalts<br />

in Kombination mit einem prothetischen<br />

Ersatz des Aortengewebes<br />

erfolgen (z. B. David-Operation, Abb. 5).<br />

Weist die Aortenklappe aber eine eigene<br />

komplexe Pathologie auf (z. B. Stenose<br />

o<strong>der</strong> bicuspide Anlage), ist die Indikation<br />

zum sogenannten Kompositersatz (= Con-<br />

618<br />

Abb. 3: Schwerste Arteriosklerose <strong>der</strong> Aorta bei einem<br />

Patienten mit arteriellem Hypertonus und Gefäßdissektion<br />

(histologisches Präparat nach Resektion)<br />

duit repair) von Aorta ascendens und Aortenklappe<br />

(sog. Bentall-Operation) gegeben,<br />

insbeson<strong>der</strong>e wenn die Aortenwurzel<br />

Verän<strong>der</strong>ungen aufweist (Abb. 6). Ist die<br />

Aortenwurzel intakt, erfolgt ein suprakoronarer<br />

Ascendensersatz (s. o.). Aufgrund <strong>der</strong><br />

Beson<strong>der</strong>heit eines Aortenbogeneingriffs<br />

im Sinne <strong>der</strong> Problematik potenzieller zerebraler<br />

Ischämien wird dem chirurgischen<br />

Vorgehen beim Bogenaneurysma vielerorts<br />

meist große Zurückhaltung entgegengebracht.<br />

Ergebnisse<br />

Die 30-Tage-OP-Letalität ist günstiger als<br />

bei akuter Ascendensdissektion und wird,<br />

je nach Schwere <strong>der</strong> Befunde, in <strong>der</strong> Literatur<br />

mit drei bis zehn Prozent angegeben,<br />

die 10-Jahres-Überlebensrate beträgt 60 bis<br />

70 Prozent. [1,5,6] Zur wichtigsten Maßnahme<br />

in <strong>der</strong> Nachsorge gehört die Blutdruckkontrolle.<br />

Routinemäßige Untersuchungen mit<br />

bildgebenden Verfahren sind beson<strong>der</strong>s bei<br />

Patienten mit nachgewiesener Bindegewebserkrankung<br />

von Bedeutung.<br />

Abb. 4: Rekonstruktion <strong>der</strong> Aortenklappe durch<br />

„Raffung“ und Ersatz <strong>der</strong> Aorta ascendens mittels einer<br />

exakt angepassten Gefäßprothese<br />

Kasuistik<br />

Eine 76-jährige Patientin wird mit rechtsseitig<br />

betontem akuten Thoraxschmerz in<br />

<strong>der</strong> Medizinischen Notaufnahme <strong>der</strong><br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg aufgenommen.<br />

Anamnestisch bestehen ein arterieller<br />

Hypertonus und ein kompletter Situs<br />

inversus (Häufigkeit ca. 1:15.000). Herzechokardiographie<br />

und Thorax-CT sichern<br />

die Diagnose einer akuten Typ-A-Dissektion<br />

(intraoperative Befunde s. Abb. 7; rein<br />

statistisch tritt ein solcher Fall nur ein- bis<br />

zweimal in zehn Jahren in Deutschland<br />

auf). Die Patientin tolerierte den Eingriff<br />

gut und konnte bei gutem Allgemeinbefinden<br />

bereits am siebten postoperativen Tag<br />

in eine geriatrisch <strong>aus</strong>gerichtete Rehabilitationsklinik<br />

verlegt werden.


Abb. 5: Ascendensaneurysma; sog. David-Operation mit<br />

Rekonstruktion <strong>der</strong> Aortenklappe und Ersatz des pathologisch<br />

verän<strong>der</strong>ten Aortengewebes durch eine Gefäßprothese<br />

In ganz Deutschland wurden im Jahr 2006 n = 4.783 Operationen im Bereich <strong>der</strong> Aorta ascendens und<br />

des Aortenbogens durchgeführt, davon etwa ein Viertel bei akuter Gefäßdissektion. Die Herz chirurgische<br />

Abteilung <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg in Hamburg leistet in <strong>der</strong> Region einen hohen Anteil an <strong>der</strong><br />

Akutversorgung speziell dieser Patienten (Abb. 1).<br />

Jahr 2000 (30-Tage-Letalität) 2006 (30-Tage-Letalität)<br />

Isoliert suprakoronar* 726 10,5 % 1.166 9,3 %<br />

Infra- und suprakoronar** 1.224 7,9 % 2.742 5,9 %<br />

Mit Aortenbogenbeteiligung 270 14,8 % 875 12,3 %<br />

Gesamt 2.220 9,6 % 4.783 7,9 %<br />

*ohne Aortenklappenoperation; ** inklusive Aortenklappenoperation<br />

Literatur<br />

[1] Kouchoukos NT, Blackstone EH, Doty DB et al. In:<br />

Kirklin JW/Barratt-Boyes B: Cardiac Surgery, Third Edition<br />

(Churchill Livingstone, Philadelphia, USA). Diseases of the<br />

thoracic arteries and veins. 2003: Volume 2: 1799-938.<br />

[2] Kalmar P, Irrgang E: Cardiac Surgery in Germany<br />

during 2000. A report by the German Society for Thoracic<br />

and Cardiovascular Surgery. Thorac Cardiovasc Surg 2001;<br />

49: XXXII-XXXVIII.<br />

[3] Gummert JF, Funkat A, Beckmann A et al. Cardiac Surgery<br />

in Germany during 2006. A report on behalf of the<br />

German Society for Thoracic and Cardiovascular Surgery.<br />

Thorac Cardiovasc Surg 2007; 55: 343-50.<br />

Abb. 6: Implantation eines klappentragenden Conduits<br />

mit Re-Implantation <strong>der</strong> Koronarostien<br />

Tab. 1: Operationen im Bereich <strong>der</strong> Aorta ascendens und des Aortenbogens in ganz Deutschland<br />

[4] Bruckenberger E. Herzbericht 2006 mit Transplantationschirurgie;<br />

http://www.herzbericht.de.<br />

[5] Borst HG, Heinemann MK, Stone CD: Surgical treatment<br />

of Aortic dissection. (Churchill Livingstone, Philadelphia,<br />

USA) 1996.<br />

[6] Heinemann MK, Ziemer G in Hombach V: Interventionelle<br />

Kardiologie, Angiologie und Kardiovaskularchirurgie<br />

2001 (Schattauer, Stuttgart). Krankheiten <strong>der</strong> thorakalen<br />

Aorta: 649-65.<br />

Kontakt<br />

Herzchirurgie<br />

Abb. 7: Aortendissektion bei einer Patientin mit<br />

komplettem Situs inversus und Rechtslage des Herzens;<br />

Befund nach Ascendensersatz und Abgang von <strong>der</strong> EKZ<br />

Oberarzt Dr. Stephan Geidel<br />

Ltd. Oberarzt Priv.-Doz. Dr. Michael Laß<br />

Chefarzt Prof. Dr. Jörg Ostermeyer<br />

Hanseatisches Herzzentrum<br />

Abteilung <strong>für</strong> Herzchirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />

Lohmühlenstraße 5<br />

20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 41 50 / 41 51<br />

(Sekretariat <strong>der</strong> Herzchirurgie)<br />

(0 40) 18 18-85 22 61<br />

(Herzchirurgische Normalstation)<br />

(0 40) 18 18-85 22 62<br />

(Herzchirurgische Intensivstation)<br />

(0 40) 18 18-85 22 85 (Privatstation)<br />

Fax: (0 40) 18 18-85 41 84<br />

E-Mail: s.geidel@asklepios.com<br />

619


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Periprothetische Frakturen<br />

Priv.-Doz. Dr. Marc Schult, Helmut Weiberlenn<br />

Der künstliche Gelenkersatz ist seit vielen Jahren Routine und nimmt in Deutschland auch weiter zahlenmäßig<br />

von Jahr zu Jahr deutlich zu. Gründe hier<strong>für</strong> sind neben <strong>der</strong> viel zitierten demografischen Verän<strong>der</strong>ung auch das<br />

höhere Aktivitätsniveau älterer Menschen sowie <strong>der</strong>en gestiegene Lebenserwartung.<br />

Durch Standardisierung lässt sich das Risiko<br />

relevanter Komplikationen im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Erstimplantation einer Prothese auf ein<br />

Minimum reduzieren. Die Qualität <strong>der</strong><br />

Implantate ist auf einem hohen Niveau, so<br />

dass man bei entsprechenden Beschwerden<br />

und Nachweis einer Arthrose mit gutem<br />

Gewissen zur Implantation einer Endoprothese<br />

raten kann. Problematisch ist jedoch<br />

<strong>der</strong> dadurch bedingte Anstieg periprothetischer<br />

Frakturen. Sie stellen nach wie vor<br />

eine große Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung dar, denn<br />

häufig sind Patienten mit periprothetischen<br />

Frakturen multimorbide und haben neben<br />

problematischen Weichteilverhältnissen oft<br />

eine relevante Osteoporose. Abhängig von<br />

Frakturmorphologie, Knochenqualität und<br />

Allgemeinzustand des Patienten kommen<br />

neben den vielfältigen Osteosynthesetechniken<br />

auch <strong>der</strong> Prothesenwechsel und –<br />

sehr selten – auch konservative Behandlungsmethoden<br />

zur Anwendung. [1]<br />

Aus therapeutischen Überlegungen sind<br />

bei postoperativ auftretenden periprothetischen<br />

Frakturen – intraoperativ entstandene<br />

Frakturen sind <strong>aus</strong> unserer Sicht eine<br />

eigene Entität und sollen hier nicht weiter<br />

620<br />

behandelt werden – zwei unterschiedliche<br />

Frakturtypen zu unterscheiden:<br />

1. Frakturen bei fest sitzen<strong>der</strong> Prothese<br />

treten meist nach einem adäquaten<br />

Trauma bzw. bei pathologisch verän<strong>der</strong>ten<br />

Knochen im Bereich <strong>der</strong> einliegenden<br />

Prothese auf.<br />

2. Frakturen bei gelockerter Endoprothese:<br />

Durch den gelockerten Zementmantel<br />

bzw. Knochenlysesäume im Bereich<br />

<strong>der</strong> Prothese kommt es zu einer Instabilität<br />

im Bereich des Prothesenlagers,<br />

<strong>der</strong> so vorgeschädigte Knochen kann<br />

bei normaler Belastung bzw. inadäquatem<br />

Trauma leicht brechen. [2,3]<br />

Trotz <strong>der</strong> auf den ersten Blick sehr heterogenen<br />

Frakturmuster und Lokalisationen<br />

lassen sich die periprothetischen Frakturen<br />

in verschiedene Typen einteilen. Die gängigen<br />

Klassifikationen berücksichtigen z. B.<br />

die Frakturlokalisation o<strong>der</strong> ihre Beziehung<br />

zur Prothese bzw. die Ätiologie. Im Großen<br />

und Ganzen wird aber keine <strong>der</strong> zahlreichen<br />

Klassifikationen den klinischen Be -<br />

dürfnissen gerecht.<br />

Die meisten periprothetischen Frakturen<br />

betreffen das Femur, entwe<strong>der</strong> nach Im -<br />

plantation einer Hüft- o<strong>der</strong> Kniegelenkprothese,<br />

seltener sind periprothetische Acetabulum-<br />

o<strong>der</strong> Tibiafrakturen.<br />

Die häufigste Lokalisation periprothetischer<br />

Femurfrakturen liegt im Bereich <strong>der</strong><br />

Prothesenspitze und wird durch eine ge -<br />

störte Knochenqualität, etwa bei Osteoporose,<br />

begünstigt. [4] Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>für</strong> zementfreie Prothesen, aber auch <strong>für</strong><br />

gelockerte zementierte. Bei fest sitzenden<br />

zementierten Implantaten treten dagegen<br />

eher subprothetische Frakturen auf. Ziele<br />

<strong>der</strong> Behandlung periprothetischer Frakturen<br />

sind neben einer unkomplizierten Knochenheilung<br />

auch die Rekonstruktion von<br />

Achse, Länge und Rotation <strong>der</strong> betroffenen<br />

Extremität sowie eine Belastungsstabilität,<br />

die möglichst frühzeitig eine Mobilisation<br />

und Rehabilitation ermöglicht.<br />

Die operative Versorgung periprothetischer<br />

Frakturen ist glücklicherweise nur in Ausnahmefällen<br />

(z. B. offene Frakturen) notfallmäßig<br />

indiziert, sollte aber zumindest früh -<br />

elektiv erfolgen. Deshalb bleibt in den


Fallbeispiel 1:<br />

Weiblich 48 Jahre, ASA 2,<br />

subprothetische Femurschaft fraktur<br />

rechts bei fest sitzen<strong>der</strong>, zementierter<br />

Hüft-TEP nach Sturz vom Barhocker<br />

meisten Fällen genug Zeit, den Patienten<br />

gut auf die belastenden Operationen vorzubereiten<br />

und differenzialtherapeutische<br />

Überlegungen anzustellen beziehungsweise<br />

die notwendigen Implantate zu<br />

beschaffen. Wichtig ist <strong>für</strong> den Operateur<br />

die Entscheidung zwischen Osteosynthese<br />

und Prothesenwechsel. Insbeson<strong>der</strong>e bei<br />

eingeschränkter Knochenqualität und großen<br />

einliegenden Prothesen ist die stabile<br />

Verankerung von Osteosynthesematerialien<br />

häufig sehr schwierig. Die heute in<br />

den meisten <strong>Klinik</strong>en routinemäßig verwendeten<br />

winkelstabilen Implantate, die<br />

zum Großteil auch minimal-invasiv eingebracht<br />

werden können, haben in den vergangenen<br />

Jahren die Versorgung periprothetischer<br />

Frakturen revolutioniert. [5]<br />

Dennoch bleibt beson<strong>der</strong>s bei größeren<br />

Knochendefekten und ungünstiger Lokalisation<br />

<strong>der</strong> Fraktur häufig nur <strong>der</strong> Prothesenwechsel,<br />

gegebenenfalls kombiniert mit<br />

einem entsprechenden Osteosyntheseverfahren.<br />

Grundsätzlich ist bei fest sitzenden Prothesen<br />

die Osteosynthese dem Prothesenwechsel<br />

vorzuziehen. Unterschiedliche<br />

Operative Versorgung durch offene<br />

Reposition und Platten osteosynthese<br />

Fallbeispiel 2:<br />

Weiblich 79 Jahre, ASA 2,<br />

periprothetische Femurschaftfraktur<br />

distal rechts, mehrfragmentär Zustand<br />

nach bikondylärem Oberflächenersatz<br />

zementiert<br />

Osteosyntheseverfahren kommen zur<br />

Anwendung, wobei neben winkelstabilen<br />

Implantaten unter an<strong>der</strong>em auch Zerklagen<br />

o<strong>der</strong> Titanbän<strong>der</strong> beziehungsweise<br />

Kabelsysteme eingesetzt werden. Biomechanisch<br />

ist bei <strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> Osteosynthese<br />

zu berücksichtigen, dass die Spitze<br />

<strong>der</strong> Prothese in <strong>aus</strong>reichendem Maße überbrückt<br />

wird, um sogenannte Stress Riser<br />

und somit erneute Frakturen zu vermeiden.<br />

[6] Die Platzierung von Osteosyntheseschrauben<br />

ist häufig problematisch, da<br />

diese zum Beispiel bei zementierten Prothesen<br />

auch zu einer Schwächung des Ze -<br />

mentköchers mit schlimmstenfalls sekundärer<br />

Prothesenlockerung führen können.<br />

Eine offene Reposition und Plattenosteosynthese<br />

mit konventionellen Implantaten<br />

erleichtert zwar die anatomische Reposition,<br />

durch Schädigung <strong>der</strong> Weichteile und<br />

Denudierung des Frakturbereiches wird<br />

dabei aber häufig die Knochenheilung<br />

gestört. Winkelstabile Plattensysteme bieten<br />

dagegen eine höhere biomechanische<br />

Stabilität, können minimal-invasiv eingebracht<br />

werden und bewirken idealerweise<br />

eine Kraftumleitung <strong>aus</strong> dem Knochen in<br />

das Implantat. An<strong>der</strong>s als konventionelle<br />

Unfallchirurgie<br />

Operative Versorgung duch winkelstabiles<br />

Plattensystem <strong>für</strong> das distale Femur<br />

Platten wird das anatomisch vorgeformte<br />

Implantat nicht an den Knochen herangezogen.<br />

Daher wird die periostale Durchblutung<br />

im Bereich <strong>der</strong> Fraktur nicht be -<br />

hin<strong>der</strong>t. Diese sogenannten biologischen<br />

Osteosynthesen werden daher häufig auch<br />

als Fixateur interne bezeichnet. Ein entscheiden<strong>der</strong><br />

Nachteil dieser Implantate ist<br />

die eingeschränkte Variabilität bezüglich<br />

<strong>der</strong> Richtung <strong>der</strong> Verriegelungsbolzen: Bei<br />

korrekter Plattenlage lassen sich die Bolzen<br />

nicht vor o<strong>der</strong> hinter <strong>der</strong> Prothese platzieren.<br />

Daher müssen hier häufig kurze,<br />

monokortikale Bolzen o<strong>der</strong> konventionelle<br />

Schrauben eingebracht werden. Winkel -<br />

stabile Systeme mit <strong>der</strong> Möglichkeit einer<br />

polyaxialen o<strong>der</strong> multidirekten Besetzung<br />

<strong>der</strong> winkelstabilen Schrauben bieten die<br />

Möglichkeit, die Schrauben variabler im<br />

Bereich <strong>der</strong> Prothese zu positionieren.<br />

Bei gelockerten Prothesen ist im Regelfall<br />

<strong>der</strong> Wechsel notwendig. Dabei ist darauf<br />

zu achten, dass das eingebrachte Implantat<br />

beziehungsweise <strong>der</strong> Prothesenschaft die<br />

Fraktur <strong>aus</strong>reichend überbrückt. [7] Grundsätzlich<br />

kann <strong>der</strong> Wechsel zementiert o<strong>der</strong><br />

zementfrei erfolgen, wobei bei jüngeren<br />

621


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Fallbeispiel 3:<br />

Männlich 58 Jahre, ASA 3,<br />

periprothetische Femurschaftfraktur links<br />

Zustand nach Knie-TEP-Implantation<br />

zementiert<br />

Patienten <strong>der</strong> zementfreie Wechsel vorzuziehen<br />

ist. Beim Einbringen eines zementierten<br />

Prothesenschaftes kann es dazu<br />

kommen, dass Zement in den Fraktur -<br />

bereich eindringt, <strong>der</strong> die Knochenheilung<br />

behin<strong>der</strong>t und zu einer Pseudoarthrose<br />

führen kann. Allerdings lässt sich nach<br />

Implantation einer zementierten Revisionsprothese<br />

meist eine vollbelastungsstabile<br />

Situation erreichen, sodass diese Option<br />

vor allem <strong>für</strong> ältere Patienten sinnvoll ist.<br />

Fazit<br />

Durch demografische Entwicklung und<br />

Steigerung <strong>der</strong> Endoprothesenimplantationen<br />

ist künftig mit einer deutlichen Zunahme<br />

periprothetischer Frakturen zu rechnen.<br />

Ziel <strong>der</strong> Behandlung solcher Verletzungen<br />

ist bei den häufig geriatrischen Patienten<br />

eine möglichst rasche Mobilisation zur Vermeidung<br />

von Sekundärkomplikationen<br />

und die Rehabilitation ins heimische Um -<br />

feld. In seltenen Fällen ist eine konservative<br />

Therapie angezeigt, meist muss eine<br />

operative Intervention erfolgen. Bei fest sitzenden<br />

Prothesen kommen bevorzugt anatomisch<br />

geformte, winkelstabile Systeme<br />

622<br />

Operative Versorgung durch offene Reposition und retrogrades Einbringen eines<br />

winkelstabilen Plattensystems <strong>für</strong> das distale Femur<br />

zur Anwendung, bei Frakturen im Bereich<br />

gelockerter Endoprothesen vorwiegend <strong>der</strong><br />

Wechsel auf zementierte o<strong>der</strong> zementfreie<br />

Revisionsprothesen.<br />

Literatur<br />

[1] Gruner A, Hockertz T, Reilmann H. Die periprothetische<br />

Fraktur. Unfallchirurg 2004; 107(1): 35-49.<br />

[2] Incavo SJ, Beard DM, Pupparo F,Ries M, Wiedel J.<br />

One-stage revision of periprothetic fractures aroud loose<br />

cemented total hip arthroplasty. Am J Orthop 1998; 27(1):<br />

35-41.<br />

[3] Tsiridis E, Haddad FS, Gie GA. The management of<br />

periprothetic femoral fractures aroud hip replacements.<br />

Injury 2003; 34(2): 95-105.<br />

[4] Wu CC, Au MK, Wu SS, Lin LC. Risk factors for postoperative<br />

femoral fracture in cemetless hip arthroplasty.<br />

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[5] Rupprecht M, Großterlinden L, Barvencik F, et al. Periprothetische<br />

Femurfrakturen. Unfallchirurg 2008; 111(10):<br />

812-20.<br />

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An analysis of 93 fractures. Clin Orthop Relat Res 1996;<br />

327: 238-46.<br />

[7] Larson JE, Chao EY, Fitzgerald RH. Bypassing femoral<br />

cortical defects with cemented intramedullary stems.<br />

J Orthop Res 1991; 9(3): 414-21.<br />

Kontakt<br />

Priv.-Doz. Dr. Marc Schult<br />

Abteilung <strong>für</strong><br />

Unfallchirurgie/Orthopädische Chirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />

Tangstedter Landstraße 400<br />

22417 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 32 11<br />

Fax (0 40) 18 18-87 32 12<br />

E-Mail: m.schult@asklepios.com


Hirnmetastasen – was nun?<br />

Dr. Marcus Lücke, Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Klinische Symptomatik und primäre<br />

supportive Maßnahmen<br />

Kardinalsymptome <strong>der</strong> Hirnmetastasen<br />

sind neurologische Defizite, neuropsychologische<br />

Symptome (insbeson<strong>der</strong>e Wesensän<strong>der</strong>ung<br />

und Orientierungsstörung),<br />

fokale o<strong>der</strong> generalisierte Krampfanfälle<br />

o<strong>der</strong> eine Hirndrucksymptomatik. Initial<br />

wird oft ein CCT durchgeführt, da die<br />

Symptomatik bei akutem Beginn dem<br />

eines Hirninfarkts o<strong>der</strong> einer Hirnblutung<br />

entsprechen kann. Diese sollte um ein<br />

MRT (Abb. 1 und 2) ergänzt werden, das<br />

wesentlich sensitiver weitere Hirnmetastasen<br />

und die genaue Morphologie aufzeigt.<br />

Besteht eine Tumorerkrankung, ist ein<br />

Staging, insbeson<strong>der</strong>e mittels Thorax- und<br />

Abdomen-CT sinnvoll, ebenso die onkologische<br />

Einschätzung <strong>der</strong> Gesamtprognose.<br />

An initialen supportiven Maßnahmen ist<br />

neben einer ggf. antiepileptischen Therapie<br />

eine antiödematöse Behandlung mit Dexamethason<br />

(z. B.: 3 x 4 mg bis 3 x 8 mg/Tag)<br />

indiziert, die oft schon nach wenigen Stunden<br />

die neurologischen Defizite bessern<br />

kann. Besteht mit Übelkeit, Erbrechen und<br />

Kopfschmerzen eine Hirndrucksymptoma-<br />

tik, o<strong>der</strong>, insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> relativ häufigen<br />

Lokalisation im Kleinhirn, die Gefahr<br />

eines Verschlusshydrocephalus, ist nach<br />

i.v.-Bolusgabe von bis zu 40 mg Dexamethason<br />

umgehend eine neurochirurgische<br />

Konsultation mit <strong>der</strong> Frage einer notfallmäßigen<br />

Intervention erfor<strong>der</strong>lich. In knapp<br />

20 Prozent <strong>der</strong> Fälle ist die klinische Symptomatik<br />

<strong>der</strong> Hirnmetastase die Erstmanifestation<br />

einer systemischen Neoplasie. Bildmorphologisch<br />

ist in diesem Fall aber auch<br />

bei multifokaler Lokalisation differenzialdiagnostisch<br />

an einen hirneigenen Tumor,<br />

seltener an einen Hirnabzess zu denken.<br />

Kommt ein Lymphom in Betracht, sollte<br />

auf Glukokortikoide verzichtet werden, da<br />

es hierunter zu einer Tumoreinschmelzung<br />

kommen kann. Die histologische Beurteilung<br />

ist dann erschwert o<strong>der</strong> gar unmöglich.<br />

Operation<br />

Liegen eine o<strong>der</strong> bis zu 3 – 4 operativ<br />

erreichbare Hirnmetastasen vor, ist unter<br />

Berücksichtigung prognostischer Faktoren<br />

die weitestmögliche Entfernung indiziert.<br />

Im Gegensatz zu hirneigenen Tumoren<br />

sind Hirnmetastasen meist relativ gut vom<br />

Neurochirurgie<br />

Hirnmetastasen sind die häufigsten malignen Tumoren des Gehirns, noch vor den hirneigenen Neoplasien.<br />

Sie treten im Verlauf systemischer Krebserkrankungen in etwa 20 bis 40 Prozent auf und sind meist Zeichen eines<br />

fortgeschrittenen Stadiums. Etwa die Hälfte <strong>der</strong> Hirnmetastasen hat ein Bronchialkarzinom als Primärtumor,<br />

15 bis 20 Prozent ein Mammakarzinom, zehn Prozent ein Melanom. Die Kombination von mikrochirurgischer<br />

Operation und Strahlentherapie verlängerte die sehr ernste Prognose von durchschnittlich vier bis sechs Monaten<br />

auf acht bis 13 Monate deutlich, in Einzelfällen ist ein Langzeitüberleben über viele Jahre möglich. Die gewebeschonenden<br />

mikrochirurgischen Eingriffe mit Neuronavigation und intraoperativer Bildgebung reduzieren die<br />

operative Morbidität und verbesserten damit gleichzeitig die Lebensqualität.<br />

Hirngewebe abgegrenzt, da ihre Infiltrationszone<br />

nur wenige Millimeter beträgt.<br />

Somit ist mikroneurochirurgisch oft eine<br />

vollständige Resektion möglich, sodass<br />

sich eine gute lokale Tumorkontrolle erreichen<br />

lässt. Durch Neuronavigation (Abb. 3),<br />

intraoperativen Ultraschall und das routinemäßig<br />

eingesetzte OP-Mikroskop kann<br />

<strong>der</strong> operative Zugang weniger traumatisierend<br />

mit bestmöglicher Schonung des Hirngewebes<br />

erfolgen. Hilfestellung zur Minimierung<br />

des Operationsrisikos können das<br />

funktionelle MRT zur Darstellung wichtiger<br />

Hirnzentren und die Darstellung von<br />

Leitungsbahnen im Diffusion Tensor Imaging<br />

(DTI) geben.<br />

Im Einzelfall kann es auch bei multiplen<br />

Hirnmetastasen sinnvoll sein, einzelne<br />

raumfor<strong>der</strong>nde Metastasen zu entfernen,<br />

wenn sie neurologische Ausfälle verursachen,<br />

die nach operativer Entlastung oft<br />

rasch rückläufig sind. Dies ist insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei einer Lokalisation im Kleinhirn indiziert,<br />

da aufgrund <strong>der</strong> anatomischen<br />

Beson<strong>der</strong>heit in Beziehung zu Hirnstamm<br />

und Liquorräumen eine geringe Größenzunahme<br />

unmittelbar lebensgefährlich sein<br />

623


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

a<br />

Abb. 1: Hirnmetastase rechts frontal mit girlandenförmiger KM-Anreicherung um<br />

eine zentrale Nekrose im MRT in T1-Wichtung bei einem 74-jährigen Patienten<br />

mit bekanntem Bronchialkarzinom (a); postoperative Kontrolle mittels CCT (b)<br />

a<br />

Abb. 2: Hirnmetastase rechts präzentral in T1 mit KM; (a) Darstellung <strong>der</strong> ringförmigen<br />

KM-Anreicherung und zentraler Nekrose; in T2-Wichtung (b) Darstellung<br />

<strong>der</strong> Ausdehnung des perifokalen Ödems<br />

kann. Eine Bestrahlung führt dagegen oft<br />

durch eine transiente Zunahme des perifokalen<br />

Ödems zu einer zwischenzeitlichen<br />

Zunahme <strong>der</strong> Gesamtraumfor<strong>der</strong>ung. Ein<br />

weiterer Vorteil <strong>der</strong> Operation ist die Histologiegewinnung<br />

bei unbekanntem Pri-<br />

märtumor. [1,2]<br />

Im Fall eines Rezidivs einer Hirnfiliarisierung<br />

ist durch<strong>aus</strong> eine Re-Operation indiziert,<br />

wenn <strong>der</strong> Gesamtstatus dies zulässt,<br />

insbeson<strong>der</strong>e wenn nach erfolgter Strahlentherapie<br />

nur noch eingeschränkte Bestrahlungsoptionen<br />

vorliegen.<br />

Ist <strong>der</strong> Primärtumor unbekannt und die<br />

Metastase operativ schwer zugänglich,<br />

kann über eine Bohrlochtrepanation stereo -<br />

taktisch eine Biopsie ohne größeres Risiko<br />

<strong>für</strong> den Patienten gewonnen werden.<br />

Operationsindikationen sind in Tab. 1<br />

zusammengefasst.<br />

624<br />

b<br />

b<br />

Kriterien, die <strong>für</strong> eine operative Entfernung<br />

von Hirnmetastasen sprechen:<br />

■ Singuläre o<strong>der</strong> solitäre (keine extracerebrale<br />

Met.) Hirnmetastase<br />

■ Guter Allgemeinzustand<br />

(Karnofsky-Index > 70 %)<br />

■ Raumfor<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Effekt/<strong>aus</strong>geprägtes Ödem,<br />

insbeson<strong>der</strong>e mit neurologischen Defiziten<br />

■ Gute Kontrolle des systemischen Status <strong>der</strong><br />

neoplastischen Erkrankung<br />

■ Unbekannter Primärtumor/unklare Histologie<br />

■ Gute operative Entfernbarkeit/Lokalisation im<br />

Kleinhirn<br />

■ Eher chronischer Verlauf <strong>der</strong> neoplastischen<br />

Erkrankung (insbeson<strong>der</strong>e bei Mammakarzinom)<br />

Tab. 1<br />

Bestrahlung<br />

Stereotaktische Bestrahlung<br />

Bei tief liegenden o<strong>der</strong> in eloquenten Re -<br />

gionen (z. B. im Sprachzentrum) gelegenen<br />

Metastasen, die mikrochirurgisch schwer<br />

angehbar sind o<strong>der</strong> bei denen zusätzliche<br />

neurologische Ausfälle zu erwarten sind,<br />

ist die stereotaktische Bestrahlung (Cyberknife,<br />

Gamma-Knife, Lineac) eine wichtige<br />

Ergänzung. Nachteile sind die Größenbeschränkung<br />

des Tumors (< 3 cm), <strong>der</strong> retardierte<br />

Effekt auf die Raumfor<strong>der</strong>ung sowie<br />

Neurologisches Defizit, Krampfanfall,<br />

neuropsychologisches Defizit, Hirndrucksymptomatik,<br />

Routinediagnostik bei bek. Malignom<br />

(CCT), MRT (T1 +/- KM, T2, Flair)<br />

Cave: bei Hirnducksymptomatik o<strong>der</strong> drohendem Hydrocephalus<br />

40 mg Dexamethason i.v., Neurochirurg<br />

■ ggf. antiepileptische Therapie<br />

■ 3 x 4 – 3 x 8 mg Dexamethason<br />

■ Staging bei bek. Malignom (CT THX/Abd.)<br />

■ Onkologische Prognoseeinschätzung<br />

Solitäre/singuläre Metastase<br />

Ggf. bis zu 4 Metastasen<br />

Operation, im Einzelfall:<br />

stereotatische Bestrahlung<br />

(< 3 cm)<br />

Ganzhirnbestrahlung<br />

(alternativ im Einzelfall<br />

MRT-Kontrollen)<br />

MRT-Kontrollen<br />

Rezidiv: Operation o<strong>der</strong><br />

stereotatische Bestrahlung<br />

evtl. Chemotherapie<br />

Tab. 2 Ablaufschema: Diagnostik und Therapie bei Hirnmetastasen<br />

die langsame Rückbildung des Ödems und<br />

somit eine eher protrahierte Rekonvales -<br />

zenz. [3]<br />

Multiple Metastasen<br />

o<strong>der</strong> schlechter AZ o<strong>der</strong><br />

eingeschränkte Prognose bei<br />

singulären/solitären Metastasen<br />

Ganzhirnbestrahlung<br />

evtl. Chemotherapie<br />

MRT-Kontrollen<br />

Rezidiv: Im Einzelfall Operation<br />

o<strong>der</strong> stereotatische Bestrahlung<br />

evtl. Chemotherapie<br />

Ganzhirnbestrahlung<br />

Derzeitig ist die adjuvante Ganzhirn -<br />

bestrahlung nach erfolgter Operation Standard.<br />

Allerdings zeigen einige retrospektive<br />

Studien mit teilweise großen Fallzahlen<br />

keinen auf die mediane Überlebenszeit<br />

bezogenen Vorteil einer zusätzlichen<br />

Bestrahlung zur alleinigen Operation bei<br />

singulären o<strong>der</strong> solitären Metastasen: Die<br />

Lokalrezidivrate ist ohne zusätzliche<br />

Bestrahlung zwar größer, die Prognose<br />

wird aber wesentlich durch den Systemprogress<br />

bestimmt. Prospektive randomisierte<br />

Studien sollen diese Frage klären. In<br />

Abstimmung <strong>der</strong> Neurochirurgen mit den<br />

Onkologen und Strahlentherapeuten kann<br />

im Einzelfall auch jetzt auf eine Ganzhirnbestrahlung<br />

zugunsten einer engmaschigen<br />

MRT-Kontrolle verzichtet werden. Die<br />

fraktionierte Ganzhirnbestrahlung hat ihre<br />

Indikationen als primäre Therapie, insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei einer multiplen, diffusen Hirnmetastasierung,<br />

bei <strong>der</strong> lokale Therapieformen<br />

nicht möglich o<strong>der</strong> sinnvoll sind.


Auch bei schlechtem Allgemeinzustand<br />

o<strong>der</strong> schlechter Gesamtprognose und fortgeschrittenem<br />

Alter wird die Ganzhirn -<br />

bestrahlung in Abwägung einer alleinigen<br />

supportiven Therapie eingesetzt. Beim<br />

kleinzelligen Bronchialkarzinom ist eine<br />

kombinierte Radio-/Chemotherapie indiziert,<br />

eine Operation nur in Einzelfällen.<br />

Chemotherapie<br />

Eine Chemotherapie dient in erster Linie<br />

zur Kontrolle <strong>der</strong> Systemerkrankung. Bei<br />

einigen Patienten wirkt sie auch auf die<br />

Hirnmetastasen, da die Blut-Hirn-Schranke<br />

meist durchbrochen ist. Die Datenlage ist<br />

aber noch nicht eindeutig. Beim kleinzelligen<br />

Bronchialkarzinom ist die Chemotherapie<br />

in Kombination mit <strong>der</strong> Bestrahlung<br />

indiziert. Bei einer diffusen Metastasierung<br />

<strong>der</strong> Hirnhäute (Meningeosis neoplastica)<br />

besteht eine sehr schlechte Prognose.<br />

Neben einer Bestrahlung kann hier auch<br />

eine intrathekale Chemotherapie (insbeson<strong>der</strong>e<br />

Methotrexat) durchgeführt werden,<br />

die über ein neurochirurgisch subgaleal<br />

implantiertes Portsystem in die Hirnkammern<br />

appliziert wird. [4]<br />

Interdisziplinäre Therapieentscheidung<br />

Eine interdisziplinäre Beurteilung wie in<br />

<strong>der</strong> wöchentlichen „Neuroonkologischen<br />

Konferenz“ <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

mit Neurochirurgen, Neurologen, Onkologen,<br />

Strahlentherapeuten, Pathologen und<br />

Neuroradiologen ist essenziell, um individuell<br />

angemessen über einen multimodalen<br />

Therapieansatz zu entscheiden (Tab. 2). [5]<br />

Prognose<br />

Über Kombination <strong>der</strong> Operation mit einer<br />

Ganzhirnbestrahlung und ggf. mit einer<br />

zusätzlichen Chemotherapie lässt sich ein<br />

medianes Überleben von acht bis 13 Monaten<br />

erreichen. Dabei steht <strong>der</strong> Erhalt <strong>der</strong><br />

Lebensqualität im Fokus. Auch wenn eine<br />

Hirnfilialisierung ein signum mali darstellt,<br />

kann, insbeson<strong>der</strong>e bei chronischem Verlauf<br />

<strong>der</strong> Systemerkrankung (z. B. Mammakarzinom),<br />

durch<strong>aus</strong> ein Langzeitüberleben<br />

erreicht werden, im Einzelfall bis über<br />

zehn Jahre.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Neurochir<br />

Abb. 3: Beispiel <strong>für</strong> Neuronavigation mit Zugangsplanung<br />

und intraoperativem Bild <strong>der</strong> Metastase durch das<br />

Operationsmikroskop (rechts oben)<br />

Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1 – 22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 16 70<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 11<br />

E-Mail: u.kehler@asklepios.com<br />

Literatur<br />

[1] Patchell RA, Tibbs PA, Walsh JW et al. A randomised<br />

trial of surgery in the treatment of single metastases to the<br />

brain. N Engl J Med 1990; 322(8): 494-500.<br />

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experience at the University of Florida. Neurosurgery 2008;<br />

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[4] Cavaliere R, Schiff D. Chemotherapy and cerebral<br />

metastases: misperception or reality? Neursurg Focus 2007;<br />

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Hirnmetastasen. Neuropathologie – Allgemeine Therapiemaßnahmen<br />

– Operative Therapie. Der Onkologe 2008;<br />

14: 233-45.<br />

625


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Frühe intrauterine Wachstumsretardierung<br />

bei maternaler Thrombophilie<br />

Dr. Wolf-Henning Becker<br />

Fetale Wachstumsretardierungen (intrauterine growth restriction = IUGR) gehen mit einer deutlich erhöhten<br />

perinatalen Mortalität und Morbidität einher. Als Ursache einer plazentaren Mangelversorgung werden zunehmend<br />

Thrombophilien erkannt. [5,6,7] Im beschriebenen schweren Fall ließ sich eine außergewöhnlich lange Schwangerschaftsprolongation<br />

unter Heparin erreichen. Beson<strong>der</strong>e Bedeutung hatte dabei die kooperative Verzahnung des<br />

ambulanten mit dem stationären Bereich.<br />

Eine 32-jährige Erstgravida/Nullipara<br />

wurde bei 27+3 Schwangerschaftswochen<br />

(SSW) mit <strong>der</strong> Verdachtsdiagnose „Wachstumsstillstand“<br />

zur weiterführenden ambu -<br />

lanten Diagnostik überwiesen. Familienund<br />

Eigenanamnese <strong>der</strong> Patientin waren<br />

unbelastet, <strong>der</strong> Schwangerschaftsverlauf<br />

bis dato unauffällig. Im „Pränatalzentrum<br />

Hamburg“ wurde folgen<strong>der</strong> Ultraschall -<br />

befund erhoben:<br />

■ IUGR mit einem geschätzten Fetal -<br />

gewicht von 628 g (< 3er Perzentile)<br />

■ Kopf-Rumpf-Wachstumsdiskrepanz<br />

(KU/AU 1,381)<br />

■ Oligohydramnie (größtes Depot 3,0 cm<br />

durchmessend)<br />

■ erhöhter uteroplacentarer Gefäßwi<strong>der</strong>stand,<br />

fetale Kreislaufzentralisation<br />

■ hyperechogener Darm<br />

■ kein Nachweis fetaler Fehlbildungen<br />

Die weitere Abklärungsdiagnostik zeigte<br />

folgende Befunde:<br />

■ unauffälliger weiblicher Karyotyp des<br />

Feten (46,XX)<br />

■ unauffällige Infektionsserologie auf<br />

CMV und Röteln<br />

626<br />

■ molekulargenetischer Nachweis thrombophilierelevanter<br />

Faktoren:<br />

– Faktor V Leiden – Mutation (heterozygot)<br />

– MTHFR – Mutation A1298C (homozygot)<br />

– PAI-1 Polymorphismen -675 4G/5G<br />

(heterozygot) und -844 A/G (hetero -<br />

zygot)<br />

■ Erhöhung <strong>der</strong> D-Dimere (389 ng/ml),<br />

Homocysteinspiegel im Normbereich<br />

(6,86 µmol/l)<br />

Wegen <strong>der</strong> IUGR-Situation mit Kreislaufzentralisation<br />

erfolgte umgehend die stationäre<br />

Aufnahme im Perinatalzentrum. In<br />

Erwartung einer Frühgeburt innerhalb <strong>der</strong><br />

nächsten acht Tage wurde eine Lungen -<br />

reifeinduktion mit 2 x 12 mg Betamethason<br />

durchgeführt. Die Patientin erhielt eine<br />

Heparintherapie mit Nadroparin 0,8 ml,<br />

wodurch sich die D-Dimere normalisierten.<br />

CTG-Kontrollen waren unauffällig. Dopp -<br />

lerultraschalluntersuchungen erfolgten im<br />

Zweitagesintervall. Dabei zeigte sich nach<br />

einigen Tagen eine allmähliche Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Hämodynamik mit Verschwinden<br />

<strong>der</strong> fetalen Kreislaufzentralisation: Der uteroplacentare<br />

Gefäßwi<strong>der</strong>stand nahm ab,<br />

die Weitstellung <strong>der</strong> A. cerebri media<br />

(brain sparing) war rückläufig und verschwand<br />

schließlich ganz. Das Kind zeigte<br />

ein perzentilenparalleles Wachstum, die<br />

Fruchtwassermenge nahm als Zeichen<br />

einer verbesserten Nierenperfusion und<br />

vermehrten Urinproduktion zu (Abb. 4).<br />

Unter Fortführung <strong>der</strong> Heparintherapie<br />

und <strong>der</strong> Dopplerkontrollen wurde die<br />

Patientin nach zwölf Tagen in die ambulante<br />

Betreuung entlassen. Der günstige<br />

Verlauf setzte sich fort, wobei die uterinen<br />

Gefäßwi<strong>der</strong>stände den Normbereich<br />

erreichten (Abb. 1 und 2). Wegen eines<br />

nachlassenden Intervallwachstums mit<br />

weiterer Entfernung vom Normalbereich<br />

(Abb. 3) wurde schließlich bei SSW 34+0<br />

die primäre Sectio indiziert. Das Geburtsgewicht<br />

des entbundenen Mädchens betrug<br />

1.340 g, APGAR 9/10/10, NabelarterienpH<br />

7,34. Neonatalphase und Wochenbett<br />

waren komplikationslos.<br />

Diskussion<br />

Die Ursachen <strong>für</strong> eine IUGR sind vielfältig<br />

und werden im Wesentlichen in mütterliche,<br />

plazentare und fetale Ursachen unterteilt.<br />

[2] Ein sonographischer Fehlbildungs<strong>aus</strong>schluss<br />

gehört heute zum Standard. Bis<br />

zu 38 % <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit Chromosomenaber-


Abb. 1: Verlauf des Resistance Index <strong>der</strong> A. uterina li.<br />

ration zeigen ein Mangelwachstum, [1] weshalb<br />

eine cytogenetische Abklärung angeboten<br />

werden sollte. Die hämodynamische<br />

Situation in Verbindung mit dem disproportionierten<br />

Wachstum geben in diesem<br />

Fall aber schon einen deutlichen Hinweis<br />

auf eine plazentare Ursache. Als Korrelat<br />

einer Gefäßreifungsstörung im uteroplazentaren<br />

Bereich (fehlende Erweiterung<br />

<strong>der</strong> Spiralarterien, gestörte Trophoblastinvasion)<br />

zeigt sich <strong>der</strong> persistierend hohe<br />

Wi<strong>der</strong>stand in den Aa. uterinae. [3] Diese<br />

Gefäßreifung ist nach 26 SSW normalerweise<br />

abgeschlossen. [4] Umso bemerkenswerter<br />

ist die späte Normalisierung in diesem<br />

Fall. Eine Thrombophilie begünstigt<br />

die Entstehung einer plazentaren Vaskulopathie<br />

mit Mikrothrombosen, [5] wobei hier<br />

eine Rekanalisation thrombotisch verschlossener<br />

Gefäße unter Heparin anzunehmen<br />

ist. Anamnestische Hinweise <strong>für</strong><br />

eine Thrombophilie <strong>der</strong> Patientin fehlten.<br />

Jedoch wird vor allem die Faktor-V-Leiden-Mutation<br />

bei Frauen mit IUGR in bis<br />

zu 35 % nachgewiesen. [6] Sie bewirkt, dass<br />

Faktor V resistent gegen die Inaktivierung<br />

durch Protein C wird. In Kombination mit<br />

den hier vorliegenden Polymorphismen im<br />

Promoterbereich des PAI-1 Gens ist von<br />

einer Potenzierung <strong>der</strong> thrombotischen<br />

Abb. 2: Verlauf des Resistance Index <strong>der</strong> A. uterina re.<br />

Abb. 3: Nachlassendes Intervallwachstum Abb. 4: Zunahme <strong>der</strong> Fruchtwassermenge<br />

Wirkung <strong>aus</strong>zugehen. Der MTHFR-Mutation<br />

kommt bei normalem Homocysteinspiegel<br />

eine untergeordnete Rolle zu. [7] Die<br />

Datenlage zur thrombophilieassoziierten<br />

IUGR ist zurzeit allerdings nicht eindeu-<br />

tig. [6,8]<br />

Eine therapeutische Antikoagulation <strong>aus</strong><br />

fetaler Indikation stellt einen off-label-use<br />

dar, weshalb eine schriftliche Aufklärung<br />

erfolgen sollte. Der Einsatz nie<strong>der</strong>molekularen<br />

Heparins bietet dabei Vorteile gegenüber<br />

unfraktioniertem Heparin und Warfarin,<br />

vor allem wegen eines nur geringen<br />

Risikos <strong>für</strong> HIT und Osteoporose sowie<br />

fehlen<strong>der</strong> Plazentagängigkeit. [5]<br />

Durch Kooperation von Spezialpraxis und<br />

Perinatalzentrum <strong>der</strong> höchsten Versorgungsstufe<br />

werden Hochrisikopatientinnen<br />

<strong>aus</strong> einer Hand betreut. Die Behandlungsart<br />

(ambulant/stationär) wechselt dabei<br />

ohne Schnittstellenproblematik. Ein pränataler<br />

Rufdienst hält zudem die Kompetenz<br />

in Bereitschaftsdienstzeiten vor. Wie dieser<br />

Fall zeigt, ist eine leistungsstarke Humangenetik<br />

als Partner unentbehrlich.<br />

Literatur<br />

Pränatalmedizin<br />

[1] Khoury MJ, Erickson JD, Cor<strong>der</strong>o JF, McCarthy BJ. Congenital<br />

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Kontakt<br />

Dr. Wolf-Henning Becker<br />

Perinatalzentrum Altona (Level 1)<br />

Leitung Pränatalmedizin<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1 – 22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 16 99<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 27<br />

E-Mail: w.becker@asklepios.com<br />

Praxiszeiten Mo. – Fr. 8.00 – 13.00 Uhr<br />

und nach Vereinbarung, Anmeldung s. o.<br />

In Kooperation und Praxisgemeinschaft<br />

mit:<br />

Pränatalzentrum Hamburg<br />

und Humangenetik im Gynaecologikum<br />

Altonaer Straße 61<br />

20357 Hamburg<br />

627


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Eine schwierige Geburt<br />

Größenprogredientes Hämangiom des 8. BWK einer Schwangeren<br />

Dr. Mathias Hamann, Dr. Einar Goebell, Priv.-Doz. Dr. Paul Kremer<br />

Bei einer 31-jährigen Schwangeren entwickelte sich über Wochen eine progrediente Querschnittssymptomatik auf<br />

dem Boden eines expansiv wachsenden Hämangioms des 8. Brustwirbelkörpers. Neben den operativen Maßnahmen<br />

mit spinaler Dekompression, Corporektomie mit Wirbelkörperersatz und dorsaler Stabilisierung wird die<br />

interdisziplinäre Zusammenarbeit von Anästhesie, Geburtshilfe, Neonatologie, Thoraxchirurgie, Neurochirurgie<br />

und Neuroradiologie bei diesem seltenen Krankheitsbild beschrieben.<br />

Fallbeschreibung<br />

Die 31-jährige erstgebärende Schwangere<br />

klagte seit <strong>der</strong> 24./25. Schwangerschaftswoche<br />

über leicht progrediente Taubheitsgefühle<br />

und eine rechtsbetonte Schwäche<br />

in beiden Beinen. Schmerzen im Bereich<br />

<strong>der</strong> Wirbelsäule wurden verneint, ein Trauma<br />

war zu keinem Zeitpunkt erinnerlich.<br />

Neurologisch beschrieb sie eine Querschnittssymptomatik<br />

mit sensibler Grenze<br />

ab TH 10. Eine vorliegende MRT-Untersuchung<br />

<strong>der</strong> HWS und BWS zeigte eine ex -<br />

pansiv wachsende, den gesamten 8. BWK<br />

durchsetzende Raumfor<strong>der</strong>ung mit paravertebraler<br />

und intraspinaler Ausdehnung<br />

und deutlicher Myelonkompression<br />

(Abb. 1). Da auf Röntgen-Nativaufnahmen<br />

des Thorax <strong>aus</strong> dem Jahre 2003 als Zufallsbefund<br />

ein Wirbelkörperhämangiom des<br />

8. BWK bekannt war, wurde in erster Linie<br />

ein größenprogredienter Tumor dieser<br />

Entität vermutet. Bei Aufnahme in unserer<br />

<strong>Klinik</strong> befand sich die Patientin in <strong>der</strong><br />

28. SSW, bot klinisch bei selbstständiger<br />

Gehfähigkeit ein ataktisches Gangbild mit<br />

628<br />

rechtsbetonten Fußkloni, im Beinhalteversuch<br />

zeigte sich eine Absinktendenz beidseits<br />

rechtsbetont bei gesteigert erhältlichen<br />

Beineigenreflexen und Hypästhesie ab<br />

TH 10 wie<strong>der</strong>um rechtsbetont, keine<br />

Blasen-/Mastdarmstörung.<br />

Nach Beratung mit den Kollegen <strong>der</strong><br />

Geburtshilfe und <strong>der</strong> Neonatologie wurde<br />

die Geburt zehn Tage nach stationärer Aufnahme<br />

bei unverän<strong>der</strong>t klinisch stabilem<br />

Zustand <strong>der</strong> Mutter per Sectio eingeleitet,<br />

um durch den Zeitgewinn eine weitere<br />

Rei fung des Frühgeborenen zu ermöglichen.<br />

Nach <strong>der</strong> Entbindung führte die<br />

neuroradiologische Abteilung neben einem<br />

BWS-CT (Abb. 2) eine spinale Angiographie<br />

(Abb. 3) durch, wodurch <strong>der</strong> vaskuläre<br />

Prozess im 8. BWK mit Partikeln teil -<br />

embolisiert werden konnte. Am folgenden<br />

Tag wurde eine dekompressive Teilhemilaminektomie<br />

mit Tumorteilexstirpation vorgenommen.<br />

Überraschen<strong>der</strong>weise war <strong>der</strong><br />

Prozess trotz Embolisation sehr gefäßreich<br />

und ging mit einem intraoperativen Blutverlust<br />

von zwei Litern einher. Eine befrie-<br />

digende Blutstillung ließ sich nur durch<br />

zusätzliches Einbringen von Hämostyptika<br />

erreichen. Entsprechend gelang die Myelondekompression<br />

nur in nicht befriedigendem<br />

Ausmaß. Histologisch bestätigte<br />

sich ein teils kavernöses, teils kapilläres<br />

Hämangiom.<br />

Nach anfänglicher klinischer Stabilisierung<br />

verschlechterte sich die neurologische<br />

Symptomatik erneut, sodass sieben Tage<br />

nach Erstoperation die Corporektomie des<br />

8. BWK mit Wirbelkörperersatz (distrahierbarer<br />

Titancage Obelisk, Fa. Ulrich) – über<br />

eine posterolaterale Thorakotomie in<br />

Zusammenarbeit mit den Kollegen <strong>der</strong><br />

Thoraxchirurgie <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong><br />

Harburg – durchgeführt wurde (Abb. 4).<br />

Der Blutverlust dabei war sehr gering. Die<br />

<strong>aus</strong> Stabilitätsgründen notwendige dorsolaterale<br />

Spondylodese BWK 6 auf 10 mit<br />

einem Stab-Schraubensystem unter Verwendung<br />

<strong>der</strong> spinalen Neuronavigation<br />

war wegen eines Wundinfekts im Bereich<br />

<strong>der</strong> Sectionarbe erst nach weiteren 14 Tagen<br />

möglich. Klinisch bildete sich die myeläre


Abb. 1: Die sagittalen Kernspintomographien <strong>der</strong> HWS und<br />

BWS sowie die axiale Aufnahme des 8. Brustwirbelkörpers<br />

(alle in T2-Wichtung) zeigen das expansive Wachstum in den<br />

Spinalkanal mit beidseitiger Kompression des Rückenmarks.<br />

Symptomatik langsam aber vollständig<br />

zurück, sodass die Patientin acht Wochen<br />

nach <strong>der</strong> letzten Operation ohne fremde<br />

Hilfe gehfähig war.<br />

Diskussion<br />

Wirbelkörperhämangiome gelten als sehr<br />

langsam wachsende, relativ häufig anzutreffende,<br />

benigne vaskuläre Tumoren [7]<br />

mit einer geschätzten Inzidenz von 10 bis<br />

12 Prozent [1,2] , Frauen bevorzugt. [12] In <strong>der</strong><br />

Regel sind sie asymptomatisch und werden<br />

als Zufallsbefund entdeckt. Überwiegend<br />

betroffen sind die mittlere/untere BWS und<br />

die LWS. Sie können einzeln o<strong>der</strong> multi -<br />

lokulär vorhanden sein. Lediglich 0,9 bis<br />

1,2 Prozent aller Wirbelkörperhämangiome<br />

werden symptomatisch, wobei sich das<br />

klinische Erscheinungsbild von Schmerzen<br />

über Nervenwurzelkompression bis zu<br />

schwersten neurologischen Ausfällen präsentieren<br />

kann. [5] Der Zusammenhang eines<br />

größenprogredienten Hämangioms in einer<br />

Schwangerschaft wurde erstmals 1927<br />

beschrieben. [3] Die Symptome treten meist<br />

im dritten Trimenon auf [11] und werden<br />

anfangs oft fehlgedeutet. Im vorliegenden<br />

Fall ließen sich die Symptome schnell <strong>der</strong><br />

Diagnose zuordnen, da ein ursprünglich<br />

asymptomatisches Wirbelkörperhämangiom<br />

bekannt war.<br />

Physiologische Verän<strong>der</strong>ungen auf vaskulärer,<br />

hämodynamischer und hormoneller<br />

Ebene in <strong>der</strong> Schwangerschaft erscheinen<br />

als ursächlich, ein präexistentes Hämangiom<br />

expansiv wachsen zu lassen, wobei<br />

<strong>der</strong> Anstieg des venösen Druckes durch<br />

die mechanische Obstruktion <strong>der</strong> V. cava<br />

inferior durch den Föten als wichtigster<br />

pathogenetischer Faktor zu vermuten<br />

ist. [9,10] Progesteron- und Östrogenrezeptoren<br />

ließen sich in Hämangiomen, die sich<br />

histologisch kavernös, kapillär o<strong>der</strong><br />

gemischt darstellen, nicht nachweisen. [8]<br />

Bei einem größenprogredienten Wirbel -<br />

körperhämangiom ist die Kernspintomographie<br />

das wichtigste und wenig belastende<br />

Diagnostikum. Sie erlaubt eine<br />

sichere Zuordnung <strong>der</strong> seltenen Tumor -<br />

Neurochirurgie und -radiologie<br />

Abb. 2: Coronare und sagittale CT-Rekonstruktion des BWK 8 mit typischer strähniger<br />

Knochenstruktur eines Hämangiomwirbels<br />

entität in T1- und T2-Sequenzen und weist<br />

auch die Ausmaße <strong>der</strong> tumorösen Durchsetzung<br />

des Wirbelkörpers, des expansiven<br />

intraspinalen Tumoranteils und <strong>der</strong> dadurch<br />

bedingten Rückenmarksbedrängung schnell<br />

und zuverlässig nach.<br />

Am Primat <strong>der</strong> chirurgischen Therapie bei<br />

einem größenprogredienten Wirbelkörperhämangiom<br />

mit langsam fortschreiten<strong>der</strong><br />

Querschnittssymptomatik besteht kein<br />

Zweifel, wobei <strong>der</strong> Zeitpunkt <strong>der</strong> Intervention<br />

zum einen vom klinischen Zustand <strong>der</strong><br />

Mutter, zum an<strong>der</strong>en vom reifenden Fötus<br />

abhängt. In diesem Spannungsfeld gilt es,<br />

den richtigen Zeitpunkt zu finden.<br />

Als effektives Verfahren bietet sich die dorsale<br />

Dekompression über eine (Teil-)Lamin -<br />

ektomie [4] nach vorheriger Embolisation an.<br />

Letzteres wird von den meisten Autoren<br />

aufgrund möglicher bedrohlicher intraoperativer<br />

Blutverluste angeraten. Führt dies,<br />

wie in unserem Fall, nicht zum ge wünsch -<br />

ten Ergebnis, muss die Behandlungsoption<br />

erweitert werden, wobei neuere Arbeiten<br />

629


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Abb. 3: Angiographische Darstellung des Tumors vor<br />

und nach selektiver Embolisation <strong>der</strong> Segmentarterien<br />

bds. mit PVA-Partikeln<br />

das aggressivere Vorgehen – Corporektomie<br />

mit anschließen<strong>der</strong> Stabilisierung, sog.<br />

360°-Instrumentierung – favorisieren. [1]<br />

Dieses Verfahren weist heute eine geringe<br />

Komorbidität auf. Weitere Therapieoptionen<br />

wie Bestrahlung, intravertebrale Alkohol -<br />

injektionen [6] und Vertebro-/Kyphoplastie<br />

mit PMMA-Zement sind <strong>der</strong> Vollständigkeit<br />

halber erwähnt, führen aber nicht zu<br />

einer raschen und <strong>aus</strong>reichenden Myelondekompression.<br />

Literatur<br />

[1] Acosta FL, Christopher F, Chin C, Tihan T, Ames CP,<br />

Weinstein PR. Current treatment strategies and outcomes<br />

in the management of symptomatic vertebral hemangiomas.<br />

Neurosurgery 2006; (58)2: 287-95.<br />

[2] Bandiera S, Gasbarinni A, De Iure F, Cappuccio M,<br />

Picci P, Boriani S. Symptomatic vertebral hemangioma. The<br />

treat ment of 23 cases and a review of the literature. Chir<br />

Organi Mov. 2002; (87)1: 1-15.<br />

[3] Chi JH, Manley GT, Chou D. Pregnancy-related vertrebral<br />

hemangioma. Case report, review of the literature, and<br />

management algorithm. Neurosurg Focus 2005; (19)3: E7.<br />

[4] Inamasu J, Nichols TA, Guiot BH. Vertebral hemangioma<br />

symptomatic during pregnancy treated by posterior<br />

decompression, intraoperative vertebroplasty, and segmental<br />

fixation. J Spinal Disord Tech. 2006; (19)6: 451-4.<br />

630<br />

Abb. 4: Postoperative CT nach Wirbelkörperersatz mit einem distrahierbaren Titancage und<br />

dorsolateraler Spondylodese BWK 6 auf 10<br />

[5] Karaeminogullari O, Tuncay C, Demirors H, et al. Multilevel<br />

vertebral hemangiomas: two episodes of spinal cord<br />

compression at separate levels 10 years apart. Eur Spine J<br />

2005; (14): 706-10.<br />

[6] Murugan L, Samson RS, Chandy MJ. Management of<br />

symptomatic vertebral hemangiomas: review of 13 patients.<br />

Neurol India 2002; (50): 300-5.<br />

[7] Redekop GJ, Del Maestro RF. Vertebral hemangioma<br />

c<strong>aus</strong>ing spinal cord compression during pregnancy. Surg<br />

Neurol 1992; (38)3: 210-5.<br />

[8] Roelvink NC, Kamphorst W, August H, van Alphen M,<br />

Rao BR. Literature statistics do not support a growth stimulating<br />

role of female sex steroid hormones in haemangiomas<br />

and meningiomas. J Neurooncol. 1991; (11)3: 243-53.<br />

[9] Tekök IH, Açìgöz B, Saglam S, Önol B. Verterbral hemangioma<br />

symptomatic during pregnancy – report of a case<br />

and review of the literature. Neurosugery 1993; (32)2:<br />

302-6.<br />

[10] Vijay K, Ajoy PS, Rajasekaran S. Symptomatic vertebral<br />

hemangioma in pregnancy treated antepartum. A case<br />

report with review of literature. Eur Spine J 2008; (17)Suppl<br />

2: 299-303.<br />

[11]Yuksel M, Zafer Yuksel K, Tuncel D, Zencirci B, Bakaris<br />

S. Symptomatic vertebral hemangioma related to pregnancy.<br />

Emerg Radiol 2007; (13): 259-63.<br />

[12]Yung BCK, Loke TKL, Yuen NWF, Chan CC. Spinal<br />

cord compression c<strong>aus</strong>ed by thoracic vertebral hemangioma<br />

involving only the posterior elements of two contiguous<br />

vertebrae. Skeletal Radiol 1998; (27): 169-72.<br />

Kontakt<br />

Dr. Mathias Hamann<br />

Priv.-Doz. Dr. Paul Kremer<br />

Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />

Tangstedter Landstraße 400<br />

22417 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 33 48<br />

Fax (0 40) 18 18-87 36 73<br />

E-Mail: ma.hamann@asklepios.com<br />

Dr. Einar Goebell<br />

Abteilung <strong>für</strong> Radiologie/Neuroradiologie<br />

Bereichsleiter interventionelle Radiologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />

Tangstedter Landstraße 400<br />

22417 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 33 32<br />

Fax (0 40) 18 18-87 36 88<br />

E-Mail: e.goebell@asklepios.com


<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona: Neuer Chefarzt <strong>der</strong> Allgemein- und Viszeralchirurgie<br />

Prof. Dr. Wolfgang Schwenk (45) trat am<br />

2. Januar 2009 die Nachfolge von Prof.<br />

Dr. Wolfgang Teichmann als Chefarzt <strong>der</strong><br />

I. Chirurgischen Abteilung in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong><br />

<strong>Klinik</strong> Altona an. Schwenk wurde in Düsseldorf<br />

geboren, ist verheiratet und lebte<br />

mit seiner Frau und zwei Kin<strong>der</strong>n in Berlin.<br />

Er studierte Humanmedizin an <strong>der</strong> Heinrich-Heine-Universität<br />

Düsseldorf und am<br />

Baylor College of Medicine im texanischen<br />

Houston, promovierte 1992 zum Thema<br />

„Zur Bedeutung des intraluminalen Shunts<br />

und des intraoperativen Monitorings mittels<br />

somatosensibel evozierter Potentiale bei<br />

rekonstruktiven Eingriffen an supraaortalen<br />

Gefäßen“ unter Prof. Dr. W. Sandmann.<br />

Seine Weiterbildung zum Facharzt <strong>für</strong><br />

Chirurgie absolvierte Schwenk im Marien-<br />

Hospital Düsseldorf unter Prof. Dr. W.<br />

Stock und später an <strong>der</strong> Universitätsklinik<br />

und Poliklinik <strong>für</strong> Chirurgie <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät <strong>der</strong> Humboldt-Universität<br />

zu Berlin, Charité.<br />

1997 habilitierte er sich mit <strong>der</strong> Schrift<br />

„Unterschiede im kurzfristigen postoperativen<br />

Verlauf nach konventionellen und<br />

laparoskopischen kolorektalen Resektionen“<br />

und erhielt die Venia legendi <strong>für</strong> das<br />

Fach Chirurgie. Seit 1999 arbeitete er als<br />

Oberarzt an <strong>der</strong> Universitätsklinik <strong>für</strong> Allgemein-,<br />

Visceral-, Gefäß- und Thoraxchirurgie,<br />

Charité Universitätsmedizin Berlin<br />

Campus Mitte, seit 2002 als Stellvertreten<strong>der</strong><br />

<strong>Klinik</strong>direktor und leiten<strong>der</strong> Oberarzt.<br />

2001 erhielt Schwenk die Anerkennung <strong>für</strong><br />

die Teilgebietsbezeichnung Gefäßchirurgie,<br />

2002 <strong>für</strong> Viszeralchirurgie, 2003 wurde er<br />

zum Außerplanmäßigen Professor <strong>für</strong><br />

Chirurgie berufen. Schwerpunkte seiner<br />

klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit<br />

in Berlin waren unter an<strong>der</strong>em Tumor-,<br />

minimal-invasive und kolorektale Chirurgie,<br />

onkologische Chirurgie, perioperative<br />

Pathophysiologie, „Fast-track“-Chirurgie,<br />

perioperative Schmerztherapie sowie die<br />

Lebensqualität chirurgischer Patienten.<br />

1996 erhielt Schwenk den Fritz Lin<strong>der</strong>-<br />

Forum Preis <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft<br />

<strong>für</strong> Chirurgie <strong>für</strong> die Arbeit „Einfluss des<br />

Pneumoperitoneums mit Kohlendioxid,<br />

Helium und Argon auf die Leber- und Nierendurchblutung<br />

und kardiorespiratorische<br />

Parameter“, 1998 den Von Mikulicz-<br />

Kelling-Preis <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft<br />

<strong>für</strong> Chirurgie <strong>für</strong> die „Prospektiv-randomisierte<br />

Untersuchung klinisch relevanter<br />

Unterschiede im postoperativen Verlauf<br />

nach laparoskopischen und konventionellen<br />

Resektionen kolorektaler Tumore“ und<br />

2008 den För<strong>der</strong>preis <strong>für</strong> perioperative<br />

Medizin <strong>für</strong> eine Publikation zu den Ergebnissen<br />

<strong>der</strong> „Fast-track“-Rehabilitation bei<br />

elektiven Dickdarmoperationen.<br />

Schwenk ist Mitglied nationaler und internationaler<br />

Fachgesellschaften, Vorstandsmitglied<br />

<strong>der</strong> Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft<br />

<strong>für</strong> minimal-invasive Chirurgie<br />

(CAMIC) und Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> chirurgischen<br />

Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Perioperative<br />

Medizin.<br />

In Altona wird Prof. Schwenk mit seinem<br />

Team die von Professor Teichmann eta-<br />

Personalia<br />

blierten Schwerpunkte in <strong>der</strong> Viszeral -<br />

chirurgie, nämlich die Chirurgie gut- und<br />

bösartiger Tumoren, die minimal-invasive<br />

Chirurgie, die endokrine Chirurgie und die<br />

chirurgische Behandlung <strong>der</strong> Bauchfellentzündung<br />

fortsetzen und <strong>aus</strong>bauen. Weiterhin<br />

sollen in enger Kooperation mit den<br />

<strong>Klinik</strong>en <strong>für</strong> Anästhesiologie und Gastro -<br />

enterologie mo<strong>der</strong>ne Konzepte zur Be -<br />

schleunigung <strong>der</strong> Genesung nach operativen<br />

Eingriffen und Vermeidung postoperativer<br />

Komplikationen („Fast-track“-Rehabilitation)<br />

etabliert werden. Schließlich möchte<br />

Prof. Schwenk im zertifizierten Zentrum<br />

<strong>für</strong> Onkologie und zertifizierten organ -<br />

spezifischen Zentren in enger Zusammenarbeit<br />

mit Onkologie, Radiologie, Strahlentherapie<br />

und nie<strong>der</strong>gelassenen Kolleginnen<br />

und Kollegen die Behandlung von Patienten<br />

mit Tumorerkrankungen weiter optimieren.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Wolfgang Schwenk<br />

I. Chirurgische Abteilung –<br />

Allgemein- und Viszeralchirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 16 01<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 07<br />

E-Mail: w.schwenk@asklepios.com<br />

631


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Diagnostik <strong>der</strong> Halsarterien-Dissektion<br />

Prof. Dr. Christian Arning, Dr. Jürgen Rieper<br />

Dissektionen <strong>der</strong> A. carotis und A. vertebralis zählen zu den häufigen Schlaganfallursachen junger Patienten<br />

(< 45 Jahre). Therapiestandard ist die Antikoagulation mit Heparin und Marcumar. Dazu muss die beson<strong>der</strong>e<br />

Gefäßpathologie frühzeitig nachgewiesen werden. Als diagnostischer Goldstandard gilt heute die MR-Tomographie<br />

in Kombination mit MR-Angiographie: Das Wandhämatom lässt sich als Signalanhebung in speziellen MR-<br />

Sequenzen (T1-Wichtung mit Fettsättigung) nachweisen (Abb. 1). Der Nachweis hängt aber unter an<strong>der</strong>em vom<br />

Alter <strong>der</strong> Dissektion ab und gelingt nicht immer, an <strong>der</strong> A. vertebralis sogar nur in etwa jedem vierten Fall. [1]<br />

Inzwischen hat sich die Sonographie mit hochauflösenden Systemen zu einer wichtigen Alternative <strong>für</strong> die<br />

Diagnostik <strong>der</strong> Halsarterien-Dissektion entwickelt.<br />

Dissektionen entstehen durch Austritt von<br />

Blut in die Arterienwand, entwe<strong>der</strong> nach<br />

vor<strong>aus</strong>gegangenem Intimaeinriss o<strong>der</strong> <strong>aus</strong><br />

einer Blutung <strong>der</strong> Vasa vasorum. [2] Abhängig<br />

von <strong>der</strong> Ursache <strong>der</strong> Einblutung kann<br />

eine Verbindung zum Gefäßlumen vorhanden<br />

sein o<strong>der</strong> fehlen. An den zervikalen<br />

Arterien wird auch ein intramurales Hä -<br />

matom ohne Intimaruptur als Dissektion<br />

bezeichnet (Abb. 2). Drei verschiedene<br />

Krankheitsbil<strong>der</strong> können Ursache <strong>der</strong><br />

Halsarterien-Dissektion sein (Tab. 1). Weit<strong>aus</strong><br />

am häufigsten sind spontane Dissektionen.<br />

Krankheitsbil<strong>der</strong> mit Dissektion <strong>der</strong> Halsarterien<br />

■ Spontane Dissektion einschließlich Dissektion<br />

bei Bagatelltrauma<br />

■ Gefäßverletzung und iatrogene Läsion durch<br />

Punktion<br />

■ Aortendissektion Typ Stanford A mit Ausbreitung<br />

in supraaortale Gefäße<br />

Tab. 1<br />

632<br />

Spontane Halsarterien-Dissektion<br />

Diese Dissektionserkrankung manifestiert<br />

sich an <strong>der</strong> A. carotis interna (ACI) und A.<br />

vertebralis (AVT), selten an an<strong>der</strong>en Zervikalarterien.<br />

[3] Es entsteht ein intramurales<br />

Hämatom, nur selten kommt es zu einer<br />

Intimaruptur o<strong>der</strong> zur Ausbildung eines<br />

doppelten Lumens. Das Wandhämatom<br />

führt zu einer Stenosierung des Lumens<br />

bis zum Gefäßverschluss und/o<strong>der</strong> zu<br />

einer Raumfor<strong>der</strong>ung nach außen mit<br />

möglicher Ausbildung eines Pseudoaneurysmas.<br />

Oft lässt sich in Zusammenhang<br />

mit dem Auftreten <strong>der</strong> Dissektion ein<br />

Bagatelltrauma erfragen, z. B. eine ruckartige<br />

Kopfbewegung beim Tennisspiel o<strong>der</strong><br />

bei an<strong>der</strong>en Sportarten, eine plötzliche<br />

Kopfwendung beim Autofahren o<strong>der</strong> eine<br />

manualtherapeutische Maßnahme an <strong>der</strong><br />

Halswirbelsäule.<br />

Bei ACI-Dissektion ist regelmäßig <strong>der</strong><br />

rostrale extrakranielle Gefäßabschnitt vor<br />

Eintritt <strong>der</strong> Arterie in die Schädelbasis<br />

betroffen (Abb. 3). Von hier <strong>aus</strong> kann sich<br />

die Dissektion nach kaudal bis zur Bifurka-<br />

tion <strong>aus</strong>breiten. Die AVT-Dissektion kommt<br />

in allen Gefäßabschnitten vor, beson<strong>der</strong>s<br />

häufig im oberen und unteren Teil <strong>der</strong><br />

Atlasschleife. Sie betrifft oft langstreckig<br />

mehrere Segmente und kann auch intrakraniell<br />

lokalisiert sein. In etwa 20 Prozent<br />

<strong>der</strong> Fälle tritt die Dissektion bilateral o<strong>der</strong><br />

gleichzeitig an ACI und AVT auf. [4] Rezidive<br />

einer spontanen Dissektion sind selten<br />

und kommen eher bei Patienten mit fibromuskulärer<br />

Dysplasie o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Bindegewebserkrankungen<br />

vor. Das intramurale<br />

Hämatom verursacht drei Arten von<br />

Symptomen (Tab. 2), wobei Schmerzen<br />

und Symptome <strong>der</strong> Gefäßerweiterung<br />

sofort, Schlaganfälle aber meist erst nach<br />

Tagen auftreten. Das Wandhämatom bildet<br />

sich in <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle im Verlauf<br />

von Wochen zurück, dementsprechend<br />

kommt es dann zu einer spontanen Rückbildung<br />

aller Befunde.<br />

Diagnostik <strong>der</strong> ACI-Dissektion<br />

Vor<strong>aus</strong>setzung <strong>für</strong> den Nachweis ist die<br />

klinische Verdachtsdiagnose, da die Diag -<br />

nose mit MRT o<strong>der</strong> Ultraschall immer spe-


Abb. 1: Bilaterale ACI-Dissektion im MRT: Nachweis<br />

des exzentrischen Wandhämatoms als Signalanhebung<br />

in T1-Wichtung mit Fettsättigung<br />

Klinische Symptome <strong>der</strong> spontanen Dissektion<br />

1. Symptome <strong>der</strong> Gefäßwand: Schmerz<br />

■ ACI-Dissektion: Projektion in die ipsilaterale<br />

Gesichts- und Schläfenregion<br />

■ AVT-Dissektion: Projektion in Nacken und<br />

Hinterkopf ipsilateral<br />

2. Symptome <strong>der</strong> Lumeneinengung<br />

■ Stenose, initial meist sehr hochgradig,<br />

intraluminäre Thromben möglich<br />

■ pulssynchrones Ohrgeräusch<br />

3. Symptome <strong>der</strong> Gefäßerweiterung nach außen<br />

■ ACI-Dissektion: Horner-Syndrom und/o<strong>der</strong><br />

Läsion kaudaler Hirnnerven<br />

■ AVT-Dissektion: zervikale Wurzelschädigung<br />

Tab. 2<br />

zielle Sequenzen beziehungsweise Einstellungen<br />

erfor<strong>der</strong>t. Ziel ist die frühe Erkennung<br />

<strong>der</strong> Dissektion vor Eintritt des Schlaganfalls:<br />

Leitsymptom ist <strong>der</strong> einseitige<br />

Schmerz in Verbindung mit lokalen Symptomen<br />

durch das Wandhämatom (Tab. 2),<br />

zum Beispiel ein Horner-Syndrom (Abb. 4).<br />

Für kurzstreckige ACI-Dissektionen unter<br />

<strong>der</strong> Schädelbasis ist die MRT-Diagnostik<br />

vorteilhaft (Abb. 1), da dieser Gefäßabschnitt<br />

im Ultraschallbild nicht direkt dargestellt<br />

werden kann. Hochgradig stenosie-<br />

Abb. 2: Pathoanatomie bei Dissektion <strong>der</strong> Aorta und <strong>der</strong><br />

Halsarterien. a: Intimaruptur mit falschem Lumen bei<br />

Aorten dissektion. b: Intramurales Hämatom bei spontaner<br />

Dissektion <strong>der</strong> Halsarterien, nur selten liegt eine<br />

Intimaruptur vor.<br />

rende Dissektionen, die mit einem hohen<br />

Schlaganfallrisiko verbunden sind, lassen<br />

sich aber mittels indirekter Dopplersonographie-Kriterien<br />

erkennen. [5] Breitet sich<br />

die Dissektion langstreckig nach kaudal<br />

<strong>aus</strong>, ist <strong>der</strong> direkte sonographische Nachweis<br />

immer möglich: Wesentliches diagnostisches<br />

Kriterium ist dann, wie im<br />

MRT, <strong>der</strong> Nachweis des Wand hämatoms<br />

(Abb. 5). Abweichend von <strong>der</strong> Routine -<br />

untersuchung wird das Gefäß nicht nur im<br />

Bereich <strong>der</strong> Bifurkation, son<strong>der</strong>n so weit<br />

wie möglich nach kranial dargestellt. Dies<br />

gelingt mit niedriger Sendefrequenz und<br />

empfindlicher Farbdoppler-Einstellung. [6]<br />

Die Sonographie erlaubt den Nachweis<br />

hochgradig stenosieren<strong>der</strong> ACI-Dissektio -<br />

nen, die mit einem hohen Schlaganfallrisiko<br />

verbunden sind, mit einer Sensitivität<br />

von 96 %. [7] Bei gering stenosierenden Dissektionen<br />

ist die Sensitivität <strong>der</strong> Sonographie<br />

deutlich niedriger, [8] allerdings sind<br />

diese Befunde wahrscheinlich nur mit<br />

einer geringen Schlaganfallgefährdung<br />

verbunden.<br />

Diagnostik <strong>der</strong> AVT-Dissektion<br />

Neurologie<br />

Abb. 3: Typische Angiographiebefunde bei Dissektion<br />

<strong>der</strong> A. carotis interna (schematisch); a: langstreckige<br />

filiforme Stenosierung; b: kurzstreckige Stenose vor<br />

Eintritt in das Felsenbein.<br />

Auch zum Nachweis <strong>der</strong> AVT-Dissektion<br />

ist die klinische Verdachtsdiagnose wichtig:<br />

Mit MRT werden die o. a. speziellen<br />

Sequenzen angefertigt, die Sonographie<br />

erfolgt abweichend von <strong>der</strong> Routineuntersuchung<br />

mit kontinuierlicher Darstellung<br />

des Gefäßes im gesamten extrakraniellen<br />

Verlauf. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit erfor<strong>der</strong>t<br />

die Untersuchung <strong>der</strong> Atlasschleife,<br />

oberhalb und unterhalb von C1. Diagnostisches<br />

Kriterium <strong>der</strong> Sonographie ist – wie<br />

an <strong>der</strong> ACI und wie im MRT – <strong>der</strong> Nachweis<br />

des Wandhämatoms (Abb. 6). Das<br />

Ultraschallbild weist Ähnlichkeiten zum<br />

Halo-Zeichen bei Vaskulitis auf, die Lokalisation<br />

<strong>der</strong> Wandverdickung (bei Dissektion<br />

exzentrisch, bei Vaskulitis konzentrisch)<br />

erlaubt aber die Unterscheidung. [8] Da die<br />

AVT – an<strong>der</strong>s als die ACI – mit Ultraschall<br />

kontinuierlich dargestellt werden kann, ist<br />

die Sonographie zum Nachweis <strong>der</strong> AVT-<br />

Dissektion beson<strong>der</strong>s geeignet, während<br />

sich bei <strong>der</strong> MR-Diagnostik an den AVT-<br />

Schleifen oft Probleme ergeben. [1] Valide<br />

Vergleichsuntersuchungen <strong>der</strong> Methoden<br />

633


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Abb. 4: Horner-Syndrom links bei ACI-Dissektion.<br />

Die klinische Verdachtsdiagnose ist wichtig <strong>für</strong> die<br />

Diagnostik <strong>der</strong> Dissektion.<br />

liegen bisher nicht vor. Abb. 7 zeigt eine<br />

AVT-Dissektion im Methodenvergleich:<br />

MRT und MRA weisen zwar die Stenose<br />

nach, aber nur mit Ultraschall ist die Art<br />

<strong>der</strong> Stenose (Dissektion mit Wandhämatom)<br />

eindeutig erkennbar.<br />

Traumatische Dissektion und iatrogene<br />

Läsion<br />

Scharfe o<strong>der</strong> stumpfe Verletzungen können<br />

sich ganz verschieden auf die Gefäßwand<br />

<strong>aus</strong>wirken: Sie können mit einer Ruptur<br />

<strong>der</strong> Gefäßwandschichten verbunden sein<br />

o<strong>der</strong> ein intramurales Hämatom ohne<br />

Wandruptur verursachen. Häufigste Ursache<br />

einer Gefäßverletzung ist die iatrogene<br />

Läsion durch Fehlpunktion: Hier können<br />

Wandeinblutungen o<strong>der</strong> Intimaeinrisse<br />

entstehen. Am häufigsten ist die A. carotis<br />

communis (ACC), seltener die AVT betroffen.<br />

Ungewöhnlich sind traumatische Dissektionen<br />

<strong>der</strong> ACI.<br />

Methode <strong>der</strong> Wahl zur Diagnostik <strong>der</strong><br />

traumatischen Dissektion ist die Sonographie,<br />

die die betroffenen Arterien (ACC,<br />

634<br />

Abb. 5: ACI-Dissektion mit Wandhämatom:<br />

exzentrische Auftreibung <strong>der</strong> Gefäßwand (Pfeile)<br />

seltener AVT) und ihre Wandstruktur mit<br />

hoher Auflösung abbilden kann. Dem breiten<br />

Spektrum möglicher pathologisch-anatomischer<br />

Verän<strong>der</strong>ungen entsprechend<br />

zeigt die Sonographie ganz unterschiedliche<br />

Befunde: Wandhämatome mit o<strong>der</strong><br />

ohne Intimaruptur, falsche Lumina o<strong>der</strong><br />

Pseudoaneurysmen. Wandhämatome sind<br />

wie bei spontanen Dissektionen exzentrisch<br />

lokalisiert. Die Sonographie ist auch<br />

<strong>für</strong> Verlaufsuntersuchungen sehr gut<br />

geeignet. Vergleichsuntersuchungen mit<br />

an<strong>der</strong>en bildgebenden Verfahren liegen<br />

nicht vor.<br />

Aortendissektion mit Ausbreitung in die<br />

Halsarterien<br />

Ursache ist eine Intimaruptur im Bereich<br />

<strong>der</strong> Aorta ascendens (Typ Stanford A), die<br />

zur Einblutung in die Gefäßwand und<br />

Ausbildung eines falschen Lumens führt.<br />

Die Dissektion kann sich über den Aortenbogen<br />

in die supraaortalen Gefäße <strong>aus</strong>breiten<br />

und betrifft dann oft die A. subclavia<br />

und die ACC, nicht selten beidseitig. Das<br />

falsche Lumen ist hier meist langstreckig<br />

a<br />

b<br />

Abb. 6: AVT-Dissektion im prävertebralen Segment<br />

unterhalb C6: exzentrisches Wandhämatom;<br />

a: Initialbefund; b: Kontrolle nach 4 Wochen<br />

offen, die Strömung im falschen Lumen<br />

kann orthograd, alternierend o<strong>der</strong> retrograd<br />

sein. Leitsymptom <strong>der</strong> akuten Aortendissektion<br />

ist <strong>der</strong> akut einsetzende, heftige<br />

Thoraxschmerz. In einem Teil <strong>der</strong> Fälle<br />

manifestiert sich die Aortendissektion<br />

schmerzlos und kann dann initial übersehen<br />

werden. So kann es vorkommen, dass<br />

die Dissektion erst bei <strong>der</strong> Halsarterien -<br />

sonographie (z. B. im Rahmen einer Schlaganfalldiagnostik)<br />

erkannt wird. [9]<br />

Diagnostik <strong>der</strong> ACC-Dissektion<br />

bei Aortendissektion<br />

Transösophageale Echokardiographie,<br />

CT o<strong>der</strong> MRT sind die Standardmethoden<br />

zum Nachweis <strong>der</strong> Aortendissektion. Zur<br />

Frage einer Ausbreitung <strong>der</strong> Dissektion in<br />

die Halsarterien (insbeson<strong>der</strong>e ACC) ist die<br />

Sonographie die Methode <strong>der</strong> Wahl, auch<br />

zur Darstellung <strong>der</strong> Dissektionsmembran<br />

und <strong>der</strong> Perfusion des falschen Lumens<br />

(Abb. 8): Die Sonographie ist das bildgebende<br />

Verfahren mit <strong>der</strong> höchsten räumlichen<br />

Auflösung und die ACC ist mit<br />

Ultraschall sehr gut zu beurteilen.


a<br />

b<br />

Abb. 7: AVT-Dissektion (prävertebrales Segment) im<br />

Methodenvergleich; a: Nachweis <strong>der</strong> Stenose mit MRA;<br />

b: Nachweis <strong>der</strong> Dissektion (Wandhämatom) im<br />

Ultraschallbild. MRT in T1w mit Fettsättigung war in<br />

<strong>der</strong> unteren Halsregion nicht möglich (Artefakte)<br />

Fazit<br />

Die frühzeitige Erkennung von Dissektionen<br />

ist wichtig <strong>für</strong> die Schlaganfallprävention.<br />

Bei klinischem Verdacht wird die<br />

bildgebende Diagnostik gezielt eingesetzt,<br />

dabei ergänzen sich MRT/MRA und Ultraschall.<br />

Abhängig von <strong>der</strong> Erfahrung des<br />

Untersuchers kann die Sonographie gegenüber<br />

an<strong>der</strong>en Verfahren vorteilhaft sein,<br />

insbeson<strong>der</strong>e zur Diagnostik <strong>der</strong> A. carotis<br />

communis und A. vertebralis.<br />

a<br />

b<br />

Abb. 8: Dissektion <strong>der</strong> A. carotis communis <strong>aus</strong>gehend<br />

von Aortendissektion Typ Stanford A (Transversalschnitt);<br />

a: B-Bild – Nachweis von zwei Lumina und Dissektionsmembran;<br />

b: Farb-Doppler-Bild: Nachweis von<br />

zwei perfundierten Lumina<br />

Literatur<br />

[1] Auer A, Felber S, Schmidauer C et al. Magnetic resonance<br />

angiographic and clinical features of extracranial<br />

vertebral artery dissection. J Neurol Neurosurg Psychiatry<br />

1998; 64: 474-81.<br />

[2] Caplan LR. Dissections of brain-supplying arteries. Nat<br />

Clin Pract Neurol. 2008; 4: 34-42.<br />

[3] Arning C. Spontane Dissektion <strong>der</strong> A. subclavia und<br />

ihrer Äste. VASA 2005; 34: 50-2.<br />

[4] Guillon B, Levy C, Bousser MG. Internal carotid artery<br />

dissection: an update. J Neurol Sci 1998; 153: 146-58.<br />

[5] Arning C. Ultrasonographic criteria for diagnosing a<br />

dissection of the internal carotid artery. Ultraschall Med<br />

2005; 26: 24-8.<br />

[6] Arning C. Farbkodierte Duplexsonographie <strong>der</strong> hirnversorgenden<br />

Arterien. Ein Text-Bild-Atlas <strong>der</strong> methodischen<br />

Grundlagen, normalen und pathologischen Befunde,<br />

3. Auflage. Stuttgart – New York, Thieme, 2002<br />

[7] Benninger DH, Georgiadis D, Gandjour J, Baumgartner<br />

RW. Accuracy of color duplex ultrasound diagnosis of<br />

spontaneous carotid dissection c<strong>aus</strong>ing ischemia. Stroke<br />

2006; 37: 377-81.<br />

[8] Arning C, Rieper J, Kazarians H. Nichtarteriosklerotische<br />

Erkrankungen <strong>der</strong> Halsarterien. Ultraschall Med 2008; 29:<br />

576-99.<br />

[9] Arning C, Oelze A, Lachenmayer L. Eine seltene<br />

Schlaganfallursache: Die Aortendissektion. Aktuel Neurol<br />

1995; 22: 189-92.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Christian Arning<br />

Abteilung Neurologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek<br />

Alphonsstraße 14<br />

22043 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-83 14 13<br />

Fax (0 40) 18 18-83 16 31<br />

E-Mail: c.arning@asklepios.com<br />

Neurologie<br />

635


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Ambulantes Studienzentrum –<br />

Plattform zur Kooperation<br />

Cornelia Wolf<br />

Ansprechpartnerin Jennifer Wagner<br />

Budgetrestriktionen bei <strong>der</strong> Behandlung<br />

von Patienten, knappe Zeit, (zu) wenig<br />

Personal: Das sind die Rahmenbedingungen<br />

im Gesundheitswesen – über alle Sektorengrenzen<br />

hinweg. Zusätzliche Leistungen<br />

<strong>für</strong> Patienten anzubieten, ist ein möglicher<br />

Weg <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Misere. Aber: IGeLn funktioniert<br />

nur in begrenztem Umfang und ist<br />

abhängig vom Standort <strong>der</strong> Praxis und<br />

angesichts <strong>der</strong> drohenden Wirtschaftskrise<br />

kein verlässliches Instrument.<br />

Gleichzeitig erlebt die klinische Forschung<br />

in Deutschland ein Comeback, trotz hartem<br />

Wettbewerb mit den osteuropäischen<br />

Staaten. Die forschende Industrie sucht insbeson<strong>der</strong>e<br />

in deutschen Ballungsräumen<br />

geeignete Praxen und <strong>Klinik</strong>en, die professionell<br />

und schnell die klinischen Studien<br />

durchführen. Die Metropole Hamburg ist<br />

durch ihre Struktur im Gesundheitswesen<br />

– rund drei Millionen Einwohner in <strong>der</strong><br />

Stadt und im Umland, hohe Facharztdichte<br />

und große Krankenhäuser – im Fokus <strong>der</strong><br />

forschenden Industrie angekommen.<br />

Mehrere Praxen in und um Hamburg be -<br />

fassen sich <strong>aus</strong>schließlich mit <strong>der</strong> Behandlung<br />

von Patienten in klinischen Studien,<br />

die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en behandeln jährlich<br />

636<br />

fast 4.000 ihrer Patienten auch in klinischen<br />

Prüfungen: Beste Vor<strong>aus</strong>setzungen <strong>für</strong><br />

Hamburgs <strong>Ärzte</strong>, das Feld Klinische Studien<br />

zu besetzen. Und das nicht vorrangig<br />

<strong>aus</strong> monetären Gründen: Durch klinische<br />

Studien gelingt es, Patienten zusätzliche<br />

Diagnostik und Therapie zukommen zu<br />

lassen, ohne das knappe Budget zu belasten.<br />

Die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en haben im September<br />

2008 ihr Ambulantes Studienzentrum<br />

an <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg eröffnet.<br />

Dieser Schritt bedeutet keinen Wettbewerb<br />

um Patienten, son<strong>der</strong>n bietet im Gegenteil<br />

dem nie<strong>der</strong>gelassenen Arzt eine weitere<br />

Form <strong>der</strong> Kooperation mit den <strong>Asklepios</strong><br />

<strong>Klinik</strong>en. Kein Patient wird <strong>der</strong> „normalen“<br />

Versorgung durch H<strong>aus</strong>- und Facharzt entzogen.<br />

Die Behandlung im Ambulanten<br />

Studienzentrum erfolgt in engster Abstimmung<br />

mit dem behandelnden Arzt. Die<br />

Einwilligung des Patienten vor<strong>aus</strong>gesetzt,<br />

erhält <strong>der</strong> behandelnde Arzt während <strong>der</strong><br />

Behandlung im Ambulanten Studienzentrum<br />

unter an<strong>der</strong>em laufend die Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> Untersuchungen, z. B. Laborwerte,<br />

EKG, Röntgenbefunde etc.<br />

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen<br />

und Schmerzbehandlung sind<br />

Forschung<br />

die Schwerpunkte unserer Arbeit an <strong>der</strong><br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg. Im Laufe <strong>der</strong><br />

Zeit werden weitere Indikationen hinzukommen.<br />

Wir suchen die Zusammenarbeit mit den<br />

nie<strong>der</strong>gelassenen <strong>Ärzte</strong>n. Dabei werden<br />

verschiedene Formen <strong>der</strong> Kooperation<br />

zum Tragen kommen: Unterstützung Ihrer<br />

Praxis bei <strong>der</strong> Durchführung klinischer<br />

Studien, Zusammenarbeit bei <strong>der</strong> studienspezifischen<br />

Behandlung <strong>der</strong> Patienten,<br />

Überleitung von Studienpatienten in die<br />

Praxis und die gemeinsame Durchführung<br />

klinischer Studien. Im Ambulanten Studienzentrum<br />

an <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />

stehen zwei <strong>Ärzte</strong>, ein Facharzt sowie drei<br />

Study Nurses zur Verfügung. Sprechen Sie<br />

uns an, wenn Sie an <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

mit unserem Ambulanten Studienzentrum<br />

interessiert sind. Als Ansprechpartnerin<br />

steht unsere Ärztin Jennifer Wagner unter<br />

<strong>der</strong> Telefonnummer (0 40) 18 18-85 33 02<br />

<strong>für</strong> Ihre Fragen und Wünsche zur Verfügung.<br />

Kontakt<br />

Cornelia Wolf, MBA<br />

Leiterin ASKLEPIOS proresearch<br />

Lohmühlenstraße 5, H<strong>aus</strong> J<br />

20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 31 60<br />

Fax (0 40) 18 18-85 31 59<br />

E-Mail: co.wolf@asklepios.com<br />

Ambulantes Studienzentrum<br />

c/o ASKLEPIOS proresearch<br />

Leitung: Jennifer Wagner<br />

Lohmühlenstraße 5, H<strong>aus</strong> O, EG<br />

20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 33 02<br />

Fax (0 40) 18 18-85 31 59<br />

E-Mail: j.wagner@asklepios.com


Burnout-Syndrom<br />

Die Entwicklung des Burnout verläuft<br />

meist schleichend und wird vom Betroffenen<br />

entwe<strong>der</strong> überhaupt nicht bemerkt<br />

o<strong>der</strong> falsch zugeordnet (Fehlattribution).<br />

Sie gleicht einer in Phasen verlaufenden<br />

Kaskade, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Zusammenbruch<br />

<strong>der</strong> Abwehr- und Bewältigungssysteme<br />

manifestiert:<br />

Phase 1: Überfor<strong>der</strong>ung – Anstrengung –<br />

Schuld gefühle<br />

Phase 2: Vermehrte Anstrengungen –<br />

Erfolglosigkeit – Schlafstörungen<br />

Phase 3: Erschöpfung – Wi<strong>der</strong>wille –<br />

Somatisierungsstörung – Apathie<br />

Phase 4: Depression – Ängste – totale<br />

Erschöpfung<br />

Das Wechselspiel zwischen Anstrengung<br />

und Erschöpfung, gesteigerter Anstrengung<br />

und tiefer Erschöpfung führt letztlich<br />

in die Sackgasse des Burnout.<br />

Burnout ist als Krankheit nicht eindeutig<br />

klassifizierbar im Sinne <strong>der</strong> Kriterien nach<br />

ICD. Das Krankheitsgeschehen vollzieht<br />

sich vielmehr im „ICD-Dreieck“ (Abb. 1).<br />

Die Ausprägung <strong>der</strong> Symptomatik wird<br />

durch die Reaktionsmuster des Betroffenen<br />

bestimmt, <strong>der</strong>en Akzentuierung kann im<br />

Laufe des Krankheitsgeschehens wechseln.<br />

Steht die depressive Entwicklung im Vor -<br />

<strong>der</strong>grund, werden chronische Müdigkeit,<br />

Konzentrations-, Motivations- und Kreativitätsmangel<br />

spürbar. Sozialer Rückzug<br />

und die Entwicklung negativer Einstellungen<br />

gegenüber jeglicher Anfor<strong>der</strong>ung, insbeson<strong>der</strong>e<br />

im Arbeitsbereich, komplettieren<br />

das Bild. Bei einer wesentlich durch<br />

Angst geprägten Entwicklung des Burnout<br />

stehen Ängste vor sozialen Kontakten und<br />

beruflichen Aufgaben („Meetings“, Sitzungen)<br />

im Vor<strong>der</strong>grund, Engegefühl in <strong>der</strong><br />

Brust verbunden mit Panikzuständen,<br />

Entwicklung von Vermeidungsverhalten,<br />

Flug-, Bahn- und Tunnelängste im Sinne<br />

einer Kl<strong>aus</strong>trophobie. Diese psychischen<br />

Symptome werden zunächst verleugnet,<br />

Psychosomatik<br />

Therapie und Prävention im Psychosomatischen Fachzentrum Falkenried<br />

Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />

In <strong>der</strong> medtropole beschrieb Prof. Sadre-Chirazi-Stark Burnout als „Laster <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne“, entstanden im Spannungsfeld<br />

<strong>der</strong> betroffenen Persönlichkeit mit ihren (mangelnden) Ressourcen und den (überfor<strong>der</strong>nden) Bedingungen<br />

in <strong>der</strong>en Umfeld, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Arbeitssituation. [1] Burnout ist definiert als „eine körperliche, emotionale<br />

und geistige Erschöpfung aufgrund (beruflicher) Überlastung. Dabei handelt es sich nicht um eine Arbeitsmüdigkeit,<br />

son<strong>der</strong>n um einen fortschreitenden Prozess, <strong>der</strong> mit wechselnden Gefühlen <strong>der</strong> Erschöpfung und Anspannung<br />

sowie körperlichen Begleitreaktionen einhergeht“. [2]<br />

Depression<br />

Abb. 1: ICD-Dreieck<br />

Somatisierungsstörung<br />

BURNOUT<br />

Angsstörung<br />

mit Panikattacken<br />

dann als Irritation vermerkt und erst im<br />

fortgeschrittenen Stadium als gravierendes<br />

Problem identifiziert. Getriggert von diesen<br />

emotionalen Störungen kommt es zu<br />

körperlichen Befindlichkeitsstörungen wie<br />

Kopfschmerzen, Muskelverspannungen,<br />

Magen-Darm-Beschwerden, Tachykardien,<br />

Hypertonien, Reduktion <strong>der</strong> Immunabwehr<br />

mit Infektanfälligkeit im Sinne einer<br />

Somatisierungsstörung.<br />

<strong>Ärzte</strong> und Burnout<br />

Die Berufsgruppe <strong>der</strong> <strong>Ärzte</strong> ist einer Vielzahl<br />

von Belastungsfaktoren nach Burnout-<br />

Kriterien <strong>aus</strong>gesetzt. Nach einer Studie von<br />

Rösing sind 15 bis 30 Prozent <strong>der</strong> deutschen<br />

<strong>Ärzte</strong> von Burnout betroffen. [3] Die Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> spezifischen Stressoren, die<br />

auf diese Berufsgruppe einwirken, ist <strong>für</strong><br />

eine effektive Unterstützung unabdingbar.<br />

Diese sind in <strong>der</strong> Tabelle 1 aufgeführt, die<br />

nach Bergner [4] leicht modifiziert wurde.<br />

Im Psychosomatischen Fachzentrum Falkenried<br />

wurde ein spezifisches Beratungsund<br />

Behandlungskonzept <strong>für</strong> diese Berufsgruppe<br />

entwickelt, das inhaltlich unter<br />

an<strong>der</strong>em auf diese Stressfaktoren <strong>aus</strong>gerichtet<br />

ist.<br />

637


Medtropole | Ausgabe 16 | Januar 2009<br />

Art <strong>der</strong> Ausbildung Ausbildung nach militärischen Grundsätzen („Ober-Arzt“)<br />

Missachtung zentraler, <strong>für</strong> das Arzt-Therapeutensein notwendiger Inhalte wie<br />

– Kreativität<br />

– Empathie<br />

– soziales Engagement<br />

fehlende, zielgerichtete Vermittlung persönlichen Kompetenz<strong>aus</strong>b<strong>aus</strong>, beispielsweise<br />

– Betriebswirtschaft<br />

– Präsentation und Mo<strong>der</strong>ation<br />

– Kommunikation<br />

– Konfliktmanagement<br />

– ärztliche Führung<br />

– standes- und gesellschaftspolitische Fragen<br />

Selbstwahrnehmung<br />

Persönlichkeit des Arztes alles selbst machen inklusive Eigentherapie<br />

Kernüberzeugungen wie „Ich darf nicht aufgeben.“ o<strong>der</strong> „Auf mich kann man sich verlassen.“<br />

mangelnde emotionale Kompetenzen vermin<strong>der</strong>te o<strong>der</strong> verzerrte Selbstwahrnehmung<br />

unzureichende Selbstkontrolle<br />

mangelhaftes soziales Bewusstsein<br />

mangelhaftes Beziehungsmanagement<br />

hohe Belastung/geringer Eigeneinfluss strukturelle Belastungen wie Einzelpraxis<br />

zu hohe Wochenarbeitszeit (45 Stunden sollten auf Dauer nicht überschritten werden)<br />

berufstypische, inhaltliche Belastungen wie Angst, Leiden, Tod<br />

sichtbare Erfolge fehlen<br />

fehlende gesellschaftliche Anerkennung Arztbild in verschiedenen Medien<br />

Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> beruflichen Lebensqualität Autonomieverlust: Bevormundung durch Ökonomen, Kontrollsysteme („Qualitätsmanagement“)<br />

unzureichende Honorierung abnehmende gesellschaftliche Anerkennung als nicht materielle Schädigung<br />

unzureichende materielle Entschädigung<br />

Das Psychosomatische Fachzentrum<br />

Falkenried<br />

Seit Februar 2008 bietet die private Tagesklinik<br />

und Fachambulanz im Hamburger<br />

Falkenried-Areal unter ärztlicher Leitung<br />

von Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens ein integratives<br />

Behandlungskonzept mit inter -<br />

disziplinären Therapieformen sowie ein<br />

umfassendes Gesundheits-Präventionsprogramm<br />

an. Partner in diesem Programm<br />

sind Prof. Sadre-Chirazi-Stark, Chefarzt<br />

<strong>für</strong> Psychiatrie und Psychotherapie am<br />

<strong>Asklepios</strong> Westklinikum Hamburg und<br />

Dr. Christian Trabandt, nie<strong>der</strong>gelassener<br />

Facharzt <strong>für</strong> Psychosomatische Medizin<br />

und Psychotherapie.<br />

Eine Beson<strong>der</strong>heit des Therapiekonzepts<br />

ist die integrative und kombinierte Psychotherapie<br />

mit tiefenpsychologischen und<br />

verhaltenstherapeutischen Elementen, die<br />

sowohl konflikt- als auch lösungsorientiert<br />

<strong>aus</strong>gerichtet sind, wie die Kombination<br />

mit differenzierten Körpertherapien. Die<br />

Abstufung und Schwerpunktsetzung erfolgt<br />

abhängig vom Beschwerdebild des Patienten<br />

(„den Patienten dort abholen, wo er<br />

steht“). Darüber hin<strong>aus</strong> hält das Behandlungskonzept<br />

optionale Einheiten vor, die<br />

individuell auf die persönlichen Anforde-<br />

638<br />

rungen abgestimmt und in den Therapieplan<br />

eingefügt werden: spezifische Körpertherapien<br />

wie Feldenkrais, Shiatsu, Craniosakraltherapie,<br />

psychodynamische Körpertherapien,<br />

Entspannungsverfahren sowie<br />

homöopathische Behandlungen.<br />

Die spezielle Organisationsform ermöglicht<br />

es, Patienten sehr kurzfristig aufzunehmen<br />

und ihnen eine schnelle, hoch qualifizierte<br />

Behandlung anzubieten. Die gestaffelten,<br />

flexiblen Therapieeinheiten sind exakt auf<br />

den Einzelnen, seine Bedürfnisse und<br />

Möglichkeiten <strong>aus</strong>gerichtet. Behandlungskonzept,<br />

Organisationsablauf und Therapiedichte<br />

werden darauf abgestimmt. Die<br />

Behandlungen werden mit einer Frequenz<br />

von ein bis fünf Tagen pro Woche angeboten.<br />

Die verbleibende Zeit, Abende und<br />

Wochenenden verbringen die Patienten im<br />

familiären Umfeld. Das ermöglicht eine<br />

zeitlich angepasste, aber intensive therapeutische<br />

Begleitung. Bei Bedarf ist die<br />

Behandlung auch berufsbegleitend in den<br />

Nachmittags- und Abendstunden möglich,<br />

die Patienten können parallel o<strong>der</strong> in reduziertem<br />

Umfang ihrer Arbeitstätigkeit<br />

nachgehen.<br />

Spezielle Angebote<br />

Tabelle 1:<br />

Beispiele <strong>für</strong> Belastungs -<br />

situationen im ärztlichen<br />

Bereich<br />

Beratung<br />

Das Selbstkonzept Burnout bedeutet <strong>für</strong><br />

den Betroffenen zunächst, seine Lebensbedingungen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e die Arbeitssituation<br />

ist Schuld an seinem Zustand. Diese<br />

„Opferposition“ exkulpiert ihn in Bezug<br />

auf eigene Einflüsse auf die Burnout-Entwicklung,<br />

wird <strong>der</strong> Komplexität des Ge -<br />

schehens aber meist nicht gerecht. Bergner<br />

fasst diese Ausgangssituation treffend<br />

zusammen: [5] „Verän<strong>der</strong>n kann man nicht<br />

jede Situation, aber man kann sich bemühen,<br />

seine Einstellung zu ihr zu überprüfen.<br />

Verlassen kann man jede Situation,<br />

sofern man fähig und bereit ist, den Preis,<br />

den es kostet, zu zahlen. Jedoch ist die <strong>für</strong><br />

Burnout <strong>aus</strong>schlaggebende Situation in<br />

Wahrheit nicht immer die, welche zunächst<br />

vom Betroffenen vermutet wird. Nicht selten<br />

sind es Partnerschaftsprobleme o<strong>der</strong><br />

Traumata <strong>der</strong> Kindheit, die auf den Beruf<br />

gespiegelt werden.“ So ist die Beratungsaufgabe<br />

zunächst in <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong><br />

Bedingungszusammenhänge zu sehen,<br />

unter denen sich das Burnout-Syndrom<br />

entwickelt hat. Das Zusammenspiel von<br />

Persönlichkeitsmerkmalen, personalen Ressourcen,<br />

privaten Lebensverhältnissen und<br />

beruflicher Situation ist sorgfältig zu analy-


sieren und gemeinsam zu definieren. Darauf<br />

aufbauend kann eine Empfehlung <strong>für</strong><br />

das weitere Vorgehen erarbeitet werden.<br />

Diese hat auch die Differenzialdiagnostik<br />

zu depressiven Erkrankungen, Angst- o<strong>der</strong><br />

Somatisierungsstörung einzubeziehen.<br />

Coaching<br />

In den ersten beiden Phasen <strong>der</strong> Burnout-<br />

Entwicklung kann Coaching eine angemessene<br />

Hilfe leisten. Coaching ist eine professionelle<br />

Unterstützung, um an Problemen,<br />

schwierigen Entscheidungen o<strong>der</strong> Zielen<br />

zu arbeiten. Dabei stehen beruflich motivierte<br />

Fragen im Vor<strong>der</strong>grund, <strong>der</strong> Blick<br />

wird aber auch auf die gegenwärtigen und<br />

zukünftigen Situationen des Betroffenen<br />

gerichtet. Hierbei werden sowohl sachbezogene<br />

als auch persönliche und private<br />

Aspekte berücksichtigt. Coaching hilft<br />

Lösungen zu entwickeln sowie den Zugang<br />

zu eigenen Ressourcen zu finden und diese<br />

zu nutzen. Durch gezieltes Vorgehen und<br />

Analyseverfahren werden Mechanismen<br />

und Hintergründe <strong>der</strong> Burnout-Entwicklung<br />

transparent gemacht und eine Strategie<br />

<strong>für</strong> <strong>der</strong>en Überwindung entwickelt. In<br />

<strong>der</strong> Begleitung <strong>der</strong> Umsetzung schließt <strong>der</strong><br />

Coach seinen Auftrag ab.<br />

Therapie<br />

Therapeutische Interventionen sind notwendig,<br />

wenn <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Befindlichkeits- und<br />

Leistungsstörung ein krankheitswertiger<br />

Zustand wird. Der therapeutische Auftrag<br />

muss auf die Beson<strong>der</strong>heiten des Burnout-<br />

Patienten zugeschnitten sein:<br />

■ Die Akzeptanz <strong>der</strong> Krankenrolle ist <strong>für</strong><br />

diesen Patiententyp häufig sehr schwierig<br />

(„<strong>der</strong> hilfsbedürftige Macher“).<br />

■ Das Therapieangebot muss schnell<br />

durch Wirksamkeitserfahrungen überzeugen,<br />

um die Compliance zu sichern.<br />

■ Die Organisation <strong>der</strong> Therapieangebote<br />

muss <strong>der</strong> ohnehin belasteten Berufs -<br />

situation Rechnung tragen und darf<br />

nicht zu einer zusätzlichen Belastung<br />

werden.<br />

■ Das Therapiekonzept ist zielorientiert<br />

zu gestalten, um den Patienten <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

passiv-defensiven in eine aktive Position<br />

zu bringen.<br />

■ Der zeitliche Rahmen <strong>der</strong> Therapie<br />

muss begrenzt sein („sichtbarer Zeit -<br />

horizont“), um berufliche Risiken zu<br />

minimieren.<br />

■ Die Therapie ist entsprechend effektiv<br />

und nachhaltig zu gestalten, auf die<br />

persönliche Situation des Patienten<br />

inhaltlich und organisatorisch zugeschnitten<br />

(„maßgeschnei<strong>der</strong>t“).<br />

Der aufnehmende Arzt kann gemeinsam<br />

mit dem Patienten ein passendes und<br />

wirksames Angebot zusammenstellen, das<br />

im Laufe <strong>der</strong> Behandlung auch modifiziert<br />

werden kann.<br />

Prävention<br />

Meist erfolgt <strong>der</strong> präventive Auftrag im<br />

Sinne einer Sekundärprävention, Burnout-<br />

Entwicklung, Coaching und/o<strong>der</strong> Therapie<br />

sind schon durchlaufen, die psychischen<br />

Ressourcen des Patienten und <strong>der</strong>en Mängel<br />

analysiert. Diese sollen <strong>aus</strong>geglichen,<br />

neue Reaktions- und Verarbeitungsmuster<br />

aufgebaut werden, um bei künftigen Belastungen<br />

vor einer Dekompensation zu<br />

schützen. Sind die psychosozialen Zu sam -<br />

menhänge transparent gemacht und aufgearbeitet,<br />

ist <strong>der</strong> Grundstein <strong>für</strong> ein tragfähiges<br />

Präventionskonzept gelegt. Den individuellen<br />

Schwachstellen entsprechend<br />

werden die einzelnen Facetten des Präventionskonzeptes<br />

vermittelt: Abbau von<br />

Stressempfinden, Entschärfung von Stressoren,<br />

Abbau von Zeitnot, Abbau einer<br />

unerträglichen Situation, Steigerung <strong>der</strong><br />

emotionalen Kompetenz, Aufbau <strong>der</strong><br />

Selbstwirksamkeit und des Selbstbewusstseins,<br />

Aufbau eines konstanten Maßes an<br />

persönlicher Zufriedenheit, Erkennen, welche<br />

Rollen <strong>der</strong> betroffene Mensch spielen<br />

will und welche nicht, Erkennen <strong>der</strong><br />

mittel- und langfristigen Ziele und Erkennen,<br />

worum es im eigenen Leben geht.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />

Psychosomatik<br />

Psychosomatisches Fachzentrum Falkenried<br />

Lehmweg 17<br />

20251 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 41 34 34 30<br />

www.psychosomatik-falkenried.de<br />

Bei Bedarf bieten wir auch gezielte Begleitung<br />

in Belastungsphasen an.<br />

Ausblick<br />

Unsere ersten Erfahrungen mit dem neuen<br />

Therapiekonzept sind ermutigend: Die<br />

Zielgruppe fühlt sich offenbar angesprochen,<br />

so haben wir – <strong>für</strong> psychosomatische<br />

Einrichtungen eher ungewöhnlich – zu<br />

gleichen Teilen männliche und weibliche<br />

Patienten. Für viele ist es <strong>der</strong> erste Kontakt<br />

mit einer psychotherapeutischen Institution,<br />

die Abbrecherquote ist bisher minimal.<br />

Nach unserer Entlassungsstatistik<br />

werden die vereinbarten Therapieziele in<br />

<strong>der</strong> Regel erreicht, zur Überprüfung <strong>der</strong><br />

Nachhaltigkeit bedarf es allerdings längerer<br />

Fristen. Wir führen zur Kontrolle unserer<br />

therapeutischen Maßnahmen eine wissenschaftliche<br />

Begleituntersuchung durch,<br />

um kontinuierlich die Angemessenheit<br />

unseres therapeutischen Vorgehens zu<br />

überprüfen.<br />

Literatur<br />

[1] Sadre Chirazi-Stark M. Burnout – das Laster <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ne. medtropole 2007;10: 466-7.<br />

[2] Jaggi F. Burnout – praxisnah. Thieme 2008.<br />

[3] Rösing I. Ist die Burnout-Forschung <strong>aus</strong>gebrannt?<br />

Heidelberg Asanger 2003.<br />

[4] Bergner TMH. Burnout bei <strong>Ärzte</strong>n. Stuttgart Schattauer<br />

2007.<br />

[5] Bergner TMH. Burnout-Prävention <strong>für</strong> <strong>Ärzte</strong> und<br />

Therapeuten. Ärztliche Psychotherapie 2008(3): 243-50.<br />

639


ISSN 1863-8341<br />

Rettende Stromstöße<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong> Schuhcremedose<br />

Jens Oliver Bonnet<br />

Es waren die Überzeugungskraft seiner<br />

Ehefrau und eine Schuhcremedose, die<br />

1958 Arne Larsson das Leben retteten. Der<br />

43-jährige Schwede litt an einem Adams-<br />

Stokes-Syndrom, fiel mit einer Pulsfrequenz<br />

von 20 Schlägen pro Minute immer wie<strong>der</strong><br />

in Ohnmacht und musste schließlich mehrmals<br />

pro Tag reanimiert werden. Else-Marie<br />

Larsson überzeugte den Chirurgen Åke<br />

Senning und den Ingenieur Rune Elmquist<br />

schließlich, ihrem Mann <strong>der</strong>en gerade entwickelten<br />

und gar nicht <strong>für</strong> den Einsatz am<br />

Menschen vorgesehenen Prototyp eines<br />

Herzschrittmachers zu implantieren.<br />

Sie gossen die Bauteile, zwei Transistoren,<br />

eine Nickel-Cadmium-Batterie und eine<br />

Spule, in Epoxydharz ein – als Form diente<br />

eine leere Schuhcremedose. Das Gerät gab<br />

konstant 72 Impulse pro Minute ab, die<br />

über eine auf die Herzwand aufgenähte<br />

Elektrode übertragen wurden. Am 8. Okto -<br />

ber 1958 implantierten sie den Prototyp<br />

ihrem Patienten. [1] Er hielt nur wenige<br />

Stunden, sodass sie ihn am nächsten Tag<br />

gegen ein zweites Gerät <strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>chen muss -<br />

ten. Das Verfahren war ein voller Erfolg:<br />

Arne Larsson starb 2001 im Alter von<br />

86 Jahren mit seinem 26. Schrittmacher an<br />

Krebs.<br />

Doch die Geschichte des Herzschrittmachers<br />

beginnt viel früher: Schon Aristoteles<br />

(384 – 322 v. Chr.) stufte den regelmäßigen<br />

und unregelmäßigen Herzschlag als<br />

be deutsam ein. Girolamo Mercuriale<br />

(1530 – 1606) prägte 1580 den Begriff <strong>der</strong><br />

„Synkope“ und machte einen zu langsamen<br />

Puls da<strong>für</strong> verantwortlich. Bichet berichtete<br />

1800 über Experimente, bei denen die<br />

Herzen Enthaupteter durch Stromstöße<br />

wie<strong>der</strong> zum Schlagen gebracht worden<br />

sein sollen. Im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t erkannten<br />

Robert Adams und William Stokes, dass<br />

eine Bradykardie ihren Ursprung nicht im<br />

Hirn, son<strong>der</strong>n im Herzen hat. 1882 stimulierte<br />

Hugo Wilhelm von Ziemssen das<br />

www.medtropole.de<br />

Replik des ersten vollimplantierten Herzschrittmachers<br />

Herz mit Galvanischem Strom und verän<strong>der</strong>te<br />

die Herzfrequenz. 1932 entwickelte<br />

<strong>der</strong> New Yorker Arzt Albert Hyman den<br />

ersten Herzschrittmacher. Es handelte sich<br />

um ein sieben Kilogramm schweres Gerät<br />

mit einem Stromunterbrecher und einer<br />

bipolaren Nadelelektrode, dessen Strom<br />

von einem Uhrwerksgenerator erzeugt<br />

wurde. [2] Alle sechs Minuten musste es<br />

über einen Fe<strong>der</strong>motor geladen werden.<br />

Ob das Gerät tatsächlich seinen Zweck<br />

erfüllte und Patienten rettete, ist unklar. [3]<br />

Zeitgleich mit den Schweden Senning und<br />

Elmquist hatte <strong>der</strong> Amerikaner Wilson<br />

Greatbatch einen voll implantier baren<br />

Schrittmacher entwickelt. Er wurde aber<br />

erst 1960 erstmals einem Menschen eingepflanzt.<br />

[4] Auch <strong>der</strong> erste in Deutschland<br />

eingesetzte Schrittmacher stammte <strong>aus</strong> seiner<br />

Werkstatt: Am 6. Oktober 1961 implantierte<br />

<strong>der</strong> Düsseldorfer Heinz-Joachim<br />

Sykosch einem 18-Jährigen nach einem<br />

Motorradunfall einen Chardack-Greatbatch-Pacer<br />

mit fester Frequenz, die Zink -<br />

oxidbatterien hielten 18 Monate. [5]<br />

Die Haltbarkeit <strong>der</strong> Batterien lag Greatbatch<br />

beson<strong>der</strong>s am Herzen. Er übertrug<br />

sein Schrittmacher-Patent <strong>der</strong> US-Firma<br />

Medtronic und konzentrierte sich auf die<br />

Batterieentwicklung. Der entscheidende<br />

Durchbruch gelang 1970 mit <strong>der</strong> rund zehn<br />

Jahre haltbaren Lithium-Jod-Batterie. In<br />

den 70er-Jahren wurden sogar nuklear -<br />

getriebene Schrittmacher entwickelt, die<br />

Radioisotope zur Energiegewinnung nutzten<br />

und eine Lebensdauer von rund 20 Jahren<br />

aufwiesen. [6] Doch die Entwicklung <strong>der</strong><br />

Schrittmachertechnologie beschränkte sich<br />

nicht auf die Energieversorgung: Bereits<br />

1963 erfand <strong>der</strong> tschechische Ingenieur<br />

Barouh Berkovits den ersten Demand-<br />

Schrittmacher (WI). [7] Dem externen Gerät<br />

folgten implantierbare Modelle. 1970 führte<br />

er den bifokalen Zweikammer-Demand-<br />

Schrittmacher (DVI) ein. [8] Weitere Meilensteine<br />

waren zum Beispiel die Einführung<br />

des AV-universellen Zweikammerschrittmachers<br />

(DDD) 1978, sensorgesteuerte<br />

Schrittmacher in den 80ern und die kardiale<br />

Resynchronisationstherapie (CRT) in den<br />

90er-Jahren. Heute wiegt ein Herzschrittmacher<br />

etwa 20 Gramm, hat die Größe<br />

eines USB-Sticks und hält durchschnittlich<br />

acht Jahre. Allein in Deutschland werden<br />

nach Angaben <strong>der</strong> Deutschen Herzstiftung<br />

rund 65.000 Schrittmacher pro Jahr implantiert.<br />

Literatur<br />

[1] Senning A. Cardiac pacing in retrospect. Am J Surg.<br />

1983 Jun; 145(6): 733-9.<br />

[2] Hyman AS. Resuscitation of the stopped heart by intracardial<br />

therapy. II Experimental use of an artificial pace -<br />

maker. Arch Intern Med 1932; 50: 283-305.<br />

[3] Furman S, Jeffrey K, Szarka G. The Mysterious Fate of<br />

Hyman’s Pacemaker. PACE 2001; 24: 1126-37.<br />

[4] Greatbatch W. Origins of the implantable cardiac pacemaker.<br />

J Cardiovasc Nurs. 1991; 5(3): 80-5.<br />

[5] Sykosch HJ: Implantierbare Schrittmacher zur permanenten<br />

und intermittierenden Stimulation des Herzens.<br />

Langenbecks Arch Klin Chir Ver Dtsch Z Chir. 1964; 308:<br />

288-92.<br />

[6] Parsonnet V, Bernstein AD, Perry GY. The nuclear pacemaker:<br />

Is renewed interest warranted. Am J Cardiol 1990;<br />

66: 837-42.<br />

[7] Berkovits B. Demand pacing. Ann N Y Acad Sci. 1969;<br />

167(2): 891-5.<br />

[8] Berkovits BV, Castellanos Jr A, Lemberg L. Bifocal<br />

demand pacing. Circulation (Suppl) 1969; 40: III-44.

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