medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
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medtropole Aktuelles
Nr. 22 Juli 2010
WIRBELSÄULENCHIRURGIE:
Idiopathische Skoliose – operative Behandlung
RHEUMATOLOGIE:
Primäre systemische Vaskulitiden
HÄMOSTASEOLOGIE:
Das erworbene von Willebrand-Syndrom
aus der Klinik
für einweisende Ärzte
Impressum
Redaktion
Jens Oliver Bonnet
(verantw.)
Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens
Prof. Dr. Christian Arning
PD Dr. Oliver Detsch
Dr. Birger Dulz
PD Dr. Siegbert Faiss
Dr. Christian Frerker
Dr. Annette Hager
Dr. Susanne Huggett
Prof. Dr. Friedrich Kallinowski
Prof. Dr. Uwe Kehler
Dr. Jürgen Madert
Dr. Kilian Rödder
Prof. Dr. Jörg Schwarz
Prof. Dr. Gerd Witte
Cornelia Wolf
Herausgeber
Asklepios Kliniken
Hamburg GmbH
Unternehmenskommunikation
Rudi Schmidt V. i. S. d. P.
Rübenkamp 226
22307 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-82 66 36
Fax (0 40) 18 18-82 66 39
E-Mail:
medtropole@asklepios.com
Auflage: 15.000
Erscheinungsweise:
4 x jährlich
ISSN 1863-8341
Titel:
pANCA bei Kleingefäß vasku -
litiden wie mikroskopische
Polyangiitis oder Churg-Strauss-
Syndrom (siehe Seite 811 – 814)
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
die Fußball-WM-Euphorie hat sich gelegt, die Deutsche Mannschaft schneidet,
durchaus zufriedenstellend, mit einer ehrbaren Bronzemedaille ab und gleichzeitig,
fast unbemerkt, hat unsere Regierung kurz vor der Sommerpause eine
sogenannte Gesundheitsreform verabschiedet, die sich offensichtlich das Etikett
„Reform“ noch verdienen muss und sicherlich zu mancherlei Kopfzerbrechen in
den Krankenhäusern, aber auch bei unseren niedergelassenen Kollegen führen
wird.
Nicht erkennbar touchiert wurde durch die jetzige Gesundheitsreform das 2003 verabschiedete
Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG), das seit dem 1. Januar
2004 neben Vertragsärzten und ermächtigten Ärzten auch medizinischen Versorgungszentren die
Teilnahme an der ambulanten Versorgung erlaubt.
Herr Dr. Stubbe, Geschäftsführer der MVZ Nord GmbH der AKHH, zeigt die Entwicklung der
Asklepios MVZ und die Zielsetzung unseres Unternehmens für dieses Geschäftsfeld in diesem
Heft detailliert auf. Medizinische Versorgungszentren werden immer noch von vielen Kollegen
kritisch beäugt; jedoch ist es durchaus möglich, diese ambulanten Behandlungszentren gerade in
strukturschwachen Gegenden Hamburgs und im Umland sinnvoll zu etablieren und dabei durch
eine behutsame Vorgehensweise nicht nur Patienten, sondern auch die in den MVZ arbeitenden
Kollegen offensichtlich zufriedenzustellen. Immerhin beschäftigt die Asklepios MVZ Nord GmbH
61 Ärzte und Psychologen in Voll- und Teilzeit, wobei ein weiteres Wachstum zu erhoffen ist, ohne
dass, wie Herr Stubbe formuliert, die Interessen der niedergelassenen Ärzte oder anderer Krankenhäuser
verletzt werden. Dies scheint mir in der Tat der richtige Weg für die Umsetzung des 2003
beschlossenen Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu sein.
Natürlich enthält diese Ausgabe der medtropole auch wieder interessante Arbeiten aus völlig
unterschiedlichen Fachgebieten, die einmal mehr den breiten medizinischen Fächer der Hamburger
Asklepios Kliniken zeigen.
Abschließend hoffe ich, wieder Ihr Interesse für die Lektüre dieser medtropole geweckt zu haben.
Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, den Redaktionsmitgliedern der medtropole für die
geleistete Arbeit zu danken, insbesondere Herrn Bonnet von der Pressestelle der Asklepios Kliniken
Hamburg, der unermüdlich recherchiert, die Redaktionssitzungen zur Zufriedenheit aller leitet
und letztlich auch Motor und „guter Geist“ dieser Zeitschrift ist.
Herzlichst
Ihr
Priv.-Doz. Dr. Meyer-Moldenhauer
Ärztlicher Direktor der Asklepios Klinik Harburg
Chefarzt des Urologischen Zentrums Hamburg
Inhalt
804 | WIRBELSÄULENCHIRURGIE
Operative Behandlung der idiopathischen Skoliose
808 | UROLOGIE
Therapie der Harninkontinenz
nach radikaler Prostatektomie mit dem artifiziellen Sphinkter
811 | RHEUMATOLOGIE
Primäre systemische Vaskulitiden
815 | PSYCHOSOMATIK
Essstörungen
Stationäre oder tagesklinische Behandlung?
817 | PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE
Können psychisch Gesunde süchtig werden?
Oder ist Sucht immer ein Symptom einer anderen psychischen Störung?
820| PERSONALIA
822 | NEUROCHIRURGIE
Akutmaßnahmen beim Schädel-Hirntrauma
826 | HÄMOSTASEOLOGIE
Das erworbene von Willebrand-Syndrom
830 | MEDIZINISCHE VERSORGUNGSZENTREN
Die MVZ Nord GmbH der Asklepios Kliniken Hamburg
832 | GESCHICHTE DER MEDIZIN
Vom guten Eiter bis zum Schnellverband:
Die Geschichte der Wundversorgung
S. 804
S. 826
S. 832
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Operative Behandlung
der idiopathischen Skoliose
PD Dr. Thomas Niemeyer, Dr. Kay Steffan
Im Griechischen bedeutet „scolios“ krumm und im heutigen medizinischen
Kontext versteht man unter Skoliose eine Formanomalie der Wirbelsäule,
eine sogenannte 3D-Deformität, die durch Abweichung in der Frontal-
Sagittalebene und in der Rotation gekennzeichnet ist.
Die mit Abstand häufigste Form der nicht
sekundär bedingten Wirbelsäulendeformi -
täten ist die idiopathische Skoliose, die sich
definitionsgemäß nicht auf andere mögliche
Ursachen wie Missbildungen, neurologische
Erkrankungen, Syndrome und Bindegewebserkrankungen
sowie Degeneration
zurückführen lässt. Kennzeichen sind eine
strukturelle Seitverbiegung der Wirbelsäule
mit Fehlrotationskomponente der Wirbel,
die zum Scheitelpunkt hin zunimmt und
für die Ausbildung von Rippenbuckel
und/oder Lendenwulst verantwortlich ist,
sowie die Torsion (Verwringung) der einzelnen
Wirbel in sich – einige Autoren [6]
sprechen auch von einer Abweichung in
der 4. Ebene (intravertebrale Deformierung,
Abb. 3). Häufig liegt zusätzlich eine Deformierung
in der Sagittalebene mit krankhafter
Begleitlordose oder Begleitkyphose vor,
wobei dann von einer Lordo skoliose beziehungsweise
Kyphoskoliose gesprochen wird.
804
Abb. 1: Intravertebrale
Deformität mit konkavseitig
kleinem Pedikel
Diagnostik
Auffällig wird die Skoliose klinisch durch
zunehmende Deformierung des Rumpfes
mit oder ohne Lotabweichung und mit,
je nach Lage der Deformität, Ausbildung
eines Rippenbuckels und/oder Lendenwulstes,
Asymmetrie der Taillendreiecke
und gegebenenfalls Schulterschiefstand
(Abb. 4). Die typischen Veränderungen
treten häufig während des Wachstumsschubes
der Pubertät auf und betreffen
Mädchen vier Mal häufiger als Jungen.
Radiologisch können die Haupt- und Ne -
benkrümmungen nach der COBB-Methode
auf der Ganzwirbelsäulenaufnahme ausgemessen
und der Schweregrad der Skoliose
bestimmt werden. Auf sogenannten röntgenologischen
Bending-(Umkrümmungs-)
aufnahmen lässt sich die Flexibilität von
Haupt- und Nebenkrümmung bestimmen,
um so prognostische Hinweise auf den
Erfolg einer konservativen Korsettbehandlung
oder das mögliche Ausmaß einer operativen
Korrektur und die zu empfehlende
Operationstechnik zu bekommen.
Das biologische Alter bei der Entstehung
einer Skoliose ist prognostisch bedeutsam.
Das Skelettalter lässt sich in der Wachstumsphase
anhand des Verknöcherungs -
stadiums der Beckenkammapophyse nach
RISSER und durch eine a-p-Röntgenaufnahme
der linken Hand bestimmen.
Nach der Lokalisation des Krümmungsscheitels
werden bei der idiopathischen
Skoliose vier Typen unterschieden: Bei der
bevorzugt linkskonvexen Lumbalskoliose
liegt der Scheitelpunkt unterhalb des 1.
Lendenwirbels, bei der Thorakolumbalskoliose
in Höhe von Th12 oder L1. Idiopathische
Thorakalskoliosen sind rechtskonvex
mit einem Scheitelpunkt meist zwischen
Th7 und Th11. Bei der doppelbogigen Skoliose
liegen zwei Hauptkrümmungen vor,
wobei die thorakale rechtskonvex und die
lumbale linkskonvex ausgerichtet sind. Die
letzte Form ist kosmetisch am wenigsten
auffällig und wird meist spät erkannt, da
sich die Krümmungen meist ausbalancieren.
Seit ihrer Veröffentlichung 1998 ist die
nach LENKE benannte Klassifikation die
am weitesten verbreitete, eine zweidimensionale
Klassifikation mit sechs Typen. Ziel
dieser Klassifikation war es, jede mögliche
adoleszente idiopathische Skolioseform
klassifizieren zu können und dabei gleichzeitig
Therapierichtlinien festzulegen. [5,8,9]
Abb. 2: Ventrale Derotationsspondylodese Th9-L2: 16-jähriges Mädchen mit rechtskonvexer Thorakolumbalskoliose, Lenke Typ 5CN
Therapie
Eine exakte Diagnose auf Grundlage einer
genauen Anamnese, der körperlichen und
neurologischen Untersuchung sowie der
Röntgen-, Kernspin- oder CT-Aufnahmen
ergibt die Basis für eine Beratung, in der
der Patient und gegebenenfalls die Eltern
über die Diagnose Skoliose, deren Verlauf,
eventuell bestehende Risiken und Behandlungsstrategien
mit konservativem oder
operativem Vorgehen aufgeklärt werden. [4]
Indikation und Verlauf
Die Indikation zur operativen Therapie
einer idiopathischen Skoliose wird durch
verschiedene Faktoren beeinflusst:
■ Zunahme der Skoliosekrümmung
(Progression)
■ Vermeidung sekundärer Komplikationen
(Herz-Kreislauf-System und Lunge)
■ Schmerzen infolge einer frühen Degeneration
der Wirbelsäule, hervorgerufen
durch die zunehmende Verkrümmung
Weitere Faktoren wie Patientenalter, Cobb-
Winkel, individuelle Beeinträchtigung
(Kosmetik) und Leidensdruck fließen
zusätzlich in diesen Entscheidungsprozess
ein. Aufgrund der chirurgischen Ergebnisse
bei idiopathischer Skoliose gilt eine
operative Therapie ab Krümmungswinkeln
von mehr als 40 Grad lumbal und thorakolumbal
sowie mehr als 50 G rad thorakal
derzeit national wie international als indiziert,
da jenseits dieser Krümmungswinkel
auch nach Wachstumsabschluss in aller
Regel eine Progredienz auftritt (AWMF-
Leitlinie).
Dabei stehen drei Ziele im Vordergrund:
■ maximale 3D-Korrektur unter Erhalt
der Funktion und mit dem bestmöglichen
kosmetischen Ergebnis
■ hohe Sicherheit durch Primärstabilität
der Instrumentation: vollständige korsettfreie
Nachbehandlung
■ Reduzierung von Schmerzen, wobei
Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen
mit idiopathischer Skoliose nicht
im Vordergrund stehen
Operationsverfahren
Wirbelsäulenchirurgie
Die operativen Korrekturverfahren einer
Skoliose gehören zu den maximalchirurgischen
großen Eingriffen an der Wirbelsäule.
Möglich sind diese Verfahren letztlich
nur durch die heutigen Narkoseverfahren
und das anästhesiologische perioperative
Management, die unabhängig von Alter
und Komorbidität fast jede notwendige
Korrektur ermöglichen. Die Historie der
operativen Skoliosetherapie begann vor
rund 200 Jahren mit Muskeldurchtrennungen
(Guerin, 1839: Myotomie Muskulatur),
gefolgt von dem bis heute gültigen Prinzip
der Spondylodese zur Verhinderung der
Zunahme der Skoliose (Hibbs, 1911: erste
Wirbelsäulenfusion) bis zur ersten instrumentierten
Skoliose (Harrington, 1962 Korrektur/Stabilisierung).
Diese Pionierleistung
ermöglichte in der Regel Korrekturen
um 50 – 60 Prozent, aber mit einem durchschnittlichen
Korrekturverlust bis 25 Prozent
und einer Pseudarthroserate in bis zu
20 Prozent aufgrund fehlender Primärstabilität.
Erschwerend kam hinzu, dass keine
Beeinflussung des sagittalen Profils gelang
und auf die Operation eine mehrwöchige
Bettruhe und anschließend ein Jahr im
(Gips-)Korsett folgten. Mit den heutigen
805
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Abb. 3: 18-jährige Patientin mit doppelbogiger Skoliose Lenke Typ 3CN vor und nach Korrektur über den dorsalen Zugang von Th6-L4
primärstabilen Implantaten lassen sich
Skoliosen operativ viel effektiver aufrichten
und stabilisieren. Durch die Korrektur
der Skoliose werden nicht fusionierte
Nebenkrümmungsbereiche mit den Bandscheiben
und Wirbelgelenken distal der
Fusionsstrecke im Lumbal- oder Lumbo -
sakralbereich entlastet. Die Langzeit -
ergebnisse operierter Patienten mit
idiopathischer Skoliose nach Harrington-
Instrumentations-Spondylodese sind im
Großen und Ganzen gut. [11] Da mit den
modernen primärstabilen Verfahren bessere
Korrekturergebnisse bei geringerer
806
Komplikationsrate und kürzerer Rehabilitationsphase
erzielt werden, sollte die
Langzeitprognose noch besser sein. [1–4,10]
Verfahren zur Korrektur und Stabilisierung
der Verkrümmung und Verdrehung der
skoliotischen Deformität:
■ dorsale Verfahren über einen Zugangsweg
von hinten
■ ventrale Verfahren über einen vorderen
Zugang
■ kombinierte dorsale und ventrale
Operationsverfahren
Dabei werden intraoperativ Korrekturmanöver
mit Distraktion, Kompression, Translation
und Rotation angewendet. Die Korrektur
der frontalen und sagittalen Ebene
beträgt je nach Studie, verwendeten Im -
plantaten und Flexibilität der Skoliosen
zwischen 40 und 70 Prozent. [2,3,4,11] Nennenswerte
Korrekturverluste treten im
Implantationsbereich bei Verwendung von
Pedikelschrauben oder ventralen Doppelstabsystemen
nicht mehr auf. Häufig gelingt
eine signifikante, kosmetisch vorteilhafte
Abflachung von Rippenbuckel und/oder
Lendenwulst. Bei sehr rigiden Skoliosen
sind mitunter kombinierte dorsale und
ventrale Operationsverfahren notwendig. [1]
Zusätzliche Sicherheit bei allen korrigierenden
Eingriffen wird durch ein intraoperatives
Neuromonitoring mit Ableitung von
SEPs und MEPs erreicht. Damit lässt sich
das Querschnittsrisiko weiter minimieren.
Der durchschnittliche Blutverlust und die
OP-Zeit korrelieren mit dem Schweregrad
der Skoliose. Die heutigen OP-Verfahren
erlauben die zügige Wiedereingliederung
in den Alltag. Der stationäre Aufenthalt
beträgt in aller Regel bei komplikations -
losem Verlauf 10 – 14 Tage und nach ab -
geschlossener Wundheilung dürfen die
Patienten Schwimmen [7] gehen, leichte
Krankengymnastik durchführen und
öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Fazit
Die operative Therapie der idiopathischen
Skoliose mit Korrektur des Achsenorgans
in drei Ebenen gehört zu den maximalchirurgischen
Eingriffen mit guten Langzeit -
ergebnissen. Diese rekonstruktive Chirurgie
der Wirbelsäule beim Kind, Jugendlichen,
Erwachsenen und alten Menschen ist technisch
anspruchsvoll, erfordert ein aufwendiges
perioperatives Management und
Abb. 4: 13-jähriges Mädchen mit 96° nach Cobb
Thorakalskoliose Lenke Typ 1CN mit typischen
Zeichen; prä- und post operative Röntgenbilder einer
dorsalen Korrektur von Th3-Th12
muss in Zentren versorgt werden, die derartige
Krankheitsbilder regelmäßig diagnostizieren,
operieren und das Management
der Komplikationen beherrschen. Die
Lebensqualität der Patienten mit Skoliose
ist dank der heutigen OP-Verfahren und
der damit verbundenen hohen Sicherheit
nach einem solchen Eingriff gut und
bedeutet fast immer eine vollständige
Wiedereingliederung in den privaten und
beruflichen Alltag.
Literatur
[1] Bullmann V, Halm HF, Schulte T, Lerner T, Weber TP,
Liljenqvist UR. Combined anterior and posterior instrumentation
in severe and rigid idiopathic scoliosis. Eur
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Liljenqvist U. Dual-rod correction and instrumentation of
idiopathic scoliosis with the Halm-Zielke instrumentation.
Spine (Phila Pa 1976). 2003; 28(12): 1306-13.
[3] Halm H, Niemeyer T, Halm B, Liljenqvist U, Steinbeck
J. Halm-Zielke. Instrumentation bei idiopathischen Skoliosen.
Ergebnisse bei 25 konsekutiven Patienten mit einem
Mindestnachbeobachtungszeitraum von 2 Jahren.
Z Orthop Ihre Grenzgeb. 2000; 138(1): 22-8.
[4] Halm H, Richter A, Thomsen B, Köszegvary M, Ahrens
M, Quante M. Ventrale Skolioseoperationen. Stand der
Technik und Vergleich mit dorsalen Verfahren. Orthopäde.
2009; 38(2): 131-4, 136-40, 142-5.
Kontakt
PD Dr. Thomas Niemeyer
Interdisziplinäres Wirbelsäulen Zentrum
Hamburg
Abteilung für Wirbelsäulen- und
Skoliosechirurgie
Asklepios Klinik St. Georg
Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-85 21 11
Fax (0 40) 18 18-85 30 79
E-Mail: t.niemeyer@asklepios.com
Dr. Kay Steffan
Asklepios Katharina-Schroth-Klinik
Orthopädisches Rehabiliationszentrum
für die konservative
Skoliose-Intensiv-Rehabilitation (SIR)
Korczakstraße 2, 55566 Bad Sobernheim
Tel. (0 67 51) 874-151
Fax (0 67 51) 874-167
E-Mail: k.steffan@asklepios.com
Wirbelsäulenchirurgie
[5] Lenke LG, Betz RR, Harms J, Bridwell KH, Clements
DH, Lowe TG, Blanke K. Adolescent idiopathic scoliosis: a
new classification to determine extent of spinal arthrodesis.
J Bone Joint Surg Am. 2001; 83-A(8): 1169-81.
[6] Liljenqvist U, Hackenberg L. Morphometric analysis of
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Health Technol Inform. 2002; 88: 382-6.
[7] Liljenqvist U, Witt KA, Bullmann V, Steinbeck J, Völker
K. Empfehlungen zur Sportausübung bei Patienten mit
idiopathischer Skoliose. Sportverletz. Sportschaden. 2006;
20(1): 36-42.
[8] Liljenqvist U, Lerner T, Bullmann V. Selektive Fusionsmöglichkeiten
der idiopathischen Skoliose unter kritischer
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38(2): 189-92, 194-7.
[9] Niemeyer T, Wolf A, Kluba S, Halm HF, Dietz K, Kluba
T. Interobserver and intraobserver agreement of Lenke and
King classifications for idiopathic scoliosis and the influence
of level of professional training. Spine (Phila Pa 1976).
2006; 31(18): 2103-7; discussion 2108.
[10] Niemeyer T, Bövingloh AS, Grieb S, Schaefer J, Halm
H, Kluba T. Low back pain after spinal fusion and Harrington
instrumentation for idiopathic scoliosis. Int Orthop.
2005; 29(1):47-50.
[11] Niemeyer T, Liljenqvist U, Halm H, Winkelmann W.
2- bis 4-Jahres-Ergebnisse dorsaler Doppelstabinstrumentationsspodylodesen
bei idiopathischer Skoliose. Z Orthop.
Ihre Grenzgeb. 1999; 137(5): 430-6.
807
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Therapie der Harninkontinenz
nach radikaler Prostatektomie mit dem artifiziellen Sphinkter
Dr. Jochen Kilian, Dr. Alexander von Bargen, PD Dr. Wolf-Hartmut Meyer-Moldenhauer
Das Prostatakarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung des Mannes. In einem lokal begrenzten Stadium ist
die radikale operative Entfernung der Prostata (RPx) eine standardisierte Behandlungsmethode. Als häufigste
Komplikation ist die postoperative Inkontinenz ein individuelles, gesellschaftliches und gesundheitsökonomisches
Problem. [1] Führen konservative oder wenig invasive Therapien nicht zum Erfolg, bleibt die urologische Prothetik
mit Implantation eines artifiziellen Sphinkters als bewährtes Verfahren zur Beseitigung einer postoperativen
Inkontinenz.
Nach erfolgreicher Tumortherapie wird die
postoperative Belastungsinkontinenz nach
radikaler Prostatektomie mit 1 bis 48 Prozent
angegeben. [2] Allen Patienten wird
nach der radikalen Prostatektomie zur
postoperativen Rehabilitation geraten, in
deren Zentrum die Anleitung zur selbstständigen
und regelmäßigen Beckenbodengymnastik
steht, um möglichst frühzeitig
eine postoperative Kontinenz zu erreichen.
Bei steigenden Operationszahlen wächst
auch die Zahl der Patienten mit trotz Rehabilitation
anhaltender Harninkontinenz,
die einer erfolgreichen Therapie bedürfen.
Die persistierende Inkontinenz erfordert
nach Differenzierung zwischen reiner
Belastungs- und Drang-/Mischinkontinenz
eine gezielte Weiterbehandlung. Während
die Dranginkontinenz in der Regel gut mit
einer anticholinergen Therapie zu behandeln
ist, sollten Patienten mit ausgeprägter
Stressinkontinenz und über sechs bis maximal
zwölf Monate frustranen konservativen
Therapieversuchen operativ behandelt
werden. [3]
808
Operative Therapie der anhaltenden
Stressinkontinenz
Die submuköse, paraurethrale Injektion
von „bulking agents“ (Teflon, Kollagen,
Silikon [Makroplastique ® ]) ist eine einfach
durchzuführende Maßnahme, die aber
bereits im An fangsstadium mit einer hohen
Versagerrate belastet ist, die im Verlauf
weiter ansteigt. [2] Wir halten daher den Einsatz
von „bulking agents“ nicht mehr für
gerechtfertigt, zumal dadurch andere, effizientere
Therapieoptionen beeinträchtigt
werden.
Die anfangs hohen Erwartungen an die
Stammzelltherapie zur Behandlung der
Stressinkontinenz haben sich nicht erfüllt.
Sie ist daher ebenfalls nicht zu empfehlen. [2]
Als weiteres minimal-invasives Therapieverfahren
stehen adjustierbare Ballonsysteme
(ProACT ® ) zur Verfügung, die durch
Kompression der Harnröhre mit Hilfe
zweier nachfüllbarer, paraurethral platzierter
Ballons die Kontinenz wiederherstellen
sollen. Auf diese Weise lassen sich Kontinenzraten
von bis zu 60 Prozent erreichen. [4]
Mathis et al. zitieren in ihrer systematischen
Übersichtsarbeit Studien, in denen
Blasenperforationen (6,4 – 9 %), Dranginkontinenz
(6 – 8 %), rupturierte Ballons
(20,7 % [5] ), Migrationen von Ballons (7 % [5] )
sowie Erosionen (6,4 % [5] ), die eine Ballonentfernung
nötig machten, auftraten. [6]
In der eigenen Klinik haben wir bei auswärtig
operierten Patienten schwere Komplikationen
wie urethrale Erosionen bis hin
zum längerstreckigen Harnröhrenverlust
und Infektionen beobachtet, die die komplette
Explantation des Systems erforderten.
Trotz der relativ hohen Kontinenzrate
sind diese Systeme deshalb unseres Erachtens
auch nicht zu empfehlen.
Sehr erfolgreich sind bei moderat ausgeprägter
Belastungsinkontinenz nach radikaler
Prostatektomie spannungsfrei und
nicht-obstruktiv wirkende Schlingensys -
teme. In der eigenen Klinik hat sich bei
geringgradiger Stressinkontinenz die
Implantation der retro-urethralen transobturatorischen
Schlinge (AdVance ® ) bewährt.
Alle bisher aufgeführten Verfahren beeinträchtigen
im Falle ihres Versagens die spätere
Implantation eines artifiziellen Sphinkters
im Bereich der proximal bulbären
Urethra, da wegen der eingetretenen Vernarbung
an dieser Lokalisation keine Man-
Abb. 1: Artifizieller Sphinkter (AMS 800 ® ) Abb. 2: Der proximal bulbäre Cuff nach RPx Abb. 3: Der distale Doppelcuff nach RPx
schettenpositionierung des artifiziellen
Sphinktersystems mehr möglich ist. Deshalb
bedarf es einer kritischen Indikationsstellung.
Das erste eingesetzte Operationsverfahren
muss das Beste sein, weshalb bei
ausgeprägter Belastungsinkontinenz schon
frühzeitig die Implantation eines artifiziellen
Sphinkters, nach wie vor der Goldstandard
in der Therapie der Post-Prostatektomie-Inkontinenz,
in Erwägung gezogen
werden sollte.
Der artifizielle Sphinkter (Abb.1) wurde
von Bradley und Scott entwickelt und erstmals
1972 implantiert. Das heute verwendete
Modell AMS 800 ® wurde bereits 1983
eingeführt und ist ein hydraulisches, auch
mit Antibiotikabeschichtung erhältliches
System, das aus drei Komponenten
besteht: einer Manschette (Cuff), die um
die Harnröhre gelegt wird, einem druckregulierenden
Ballon, der retropubisch oder
besser intraperitoneal platziert wird, und
einer Kontrollpumpe, die im Skrotalfach
untergebracht wird. Der im System herrschende
Druck aus dem Ballon wird über
die Pumpe auf die Manschette fortgeleitet
und komprimiert die Harnröhre. Bei Miktion
betätigt der Patient die skrotal gelegene
Pumpe, wodurch der Cuff entleert und
die Harnröhre freigegeben wird. Zeitverzögert
verschließt sich die Manschette selbsttätig
kurz nach der letzten Pumpenbetätigung.
Nach radikaler Prostatektomie kommen
zwei Positionen für die Implantation der
Harnröhrenmanschette in Betracht:
1. Proximal-bulbäre Cuffposition mit
knapp distal der Harnröhren-Blasen-
Anastomosenregion gelegener Verschlussmanschette
(Abb. 2)
2. Der distale Doppelcuff liegt weiter distal
an der bulbären Harnröhre und wird
von uns bei allen voroperierten (bulking
agents, Stammzelltherapie, Ballonsysteme,
Schlingenoperation) oder bestrahlten
Patienten verwendet (Abb. 3). An der proximal-bulbären
Harnröhre muss durch Vernarbungen
beziehungsweise postaktinische
Durchblutungsbeeinträchtigung mit einer
hohen Harnröhrenarrosionsrate gerechnet
werden, weshalb in diesen Fällen ein distal-bulbärer
Doppel-Cuff implantiert wird.
Während die proximal-bulbäre Manschette
außerhalb der Sitzdruckzone liegt, wird die
Kontinenz bei einem distal-bulbär in der
Sitzdruckzone platzierten Cuff kompromittiert.
Zur Vergrößerung der urethralen
Druckübertragungsfläche werden deshalb
zwei nebeneinander liegende Cuffs
implantiert.
Präoperative Diagnostik
und Behandlungsablauf
Urologie
Eine sorgfältige präoperative Abklärung
zur Identifizierung der für die Sphinkter -
implantation geeigneten Kandidaten
sichert gute Behandlungsergebnisse.
Anamnese mit Erfragung / Prüfung
mentaler und manueller Fähigkeiten
Miktions-Inkontinenzprotokoll
Pad-Test [7]
Körperliche Untersuchung
Labor inklusive Urinsediment und Urinkultur
Sonographie des Harntraktes
Retrogrades Urethrogramm / MCU
Urethrocystoskopie mit Stresstest im Liegen
und Stehen
Uroflowmetrie
Urodynamik
Tab. 1 Ambulante präoperative Diagnostik vor
Implantation eines artifiziellen Sphinkters
Ausmaß und Grad der Inkontinenz werden
mit Inkontinenzprotokoll, Pad- und
Stress-Tests erfasst. Die urodynamische
Untersuchung wird zum Ausschluss kombinierter
Harninkontinenzformen durch -
geführt, die gegebenenfalls eine Vorbeziehungsweise
Begleitbehandlung mit
Anticholinergika erfordern. Der Patient
wird zur antibiotischen Vorbehandlung am
präoperativen Tag aufgenommen und
unter einem fünftägigen perioperativen
Antibiotikaregime operiert. Die Entlassung
809
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
erfolgt mit zunächst deaktiviertem Sphinktersystem.
Nach einer sechswöchigen Einheilungszeit
wird das System in einem
kurzzeitstationären zweiten Aufenthalt
mit einer Übernachtung aktiviert und die
Bedienung eingeübt.
Ergebnisse
Die von Juni 2001 bis Dezember 2007 an
der Asklepios Klinik Harburg operierten
269 Patienten mit Implantation eines artifiziellen
Schließmuskels AMS 800 ® wurden
im Rahmen einer Dissertation [8] mit standardisierten
Fragebögen [ICIQ-SF 2004]
und Pad-Test nach Klarskov und Hald [7]
untersucht. 180 dieser Patienten konnten in
die Auswertung einbezogen werden.
Zwischenzeitlich wurden hier bis zum Mai
2010 weitere 121 AMS 800 ® -Implantationen
durchgeführt. Die Ursachen der Belastungsinkontinenz
sind der Abbildung 4 zu
entnehmen, der größte Anteil bezieht sich
auf die Post-Prostatektomie-Inkontinenz.
Die Kontinenzrate (0 bis max. 2 Vorlagen
pro Tag) bei den untersuchten Patienten
betrug nach Sphinkterimplantation nahezu
86 Prozent. Im auswertbaren Patientenkollektiv
lag der Anteil von Revisionen bei
17,3 Prozent. Trotz der hoch erscheinenden
Revisionsrate lag die Zufriedenheit nach
Implantation eines artifiziellen Sphinkters
bei insgesamt 94,7 Prozent (Abb. 5)! Die
Lebensqualität hatte sich nach Implantation
eines artifiziellen Sphinkters bei 169 von
180 Patienten (93,8 %) verbessert (Abb. 6)!
Patienten, die einmal nach Aktivierung des
artifiziellen Sphinktersystems kontinent
waren, empfanden eine derartige Verbesserung
ihrer Lebensqualität, dass sie bei
einem auftretenden Systemdefekt
schnellst möglich revidiert werden wollten,
um bald wieder in die gute Ausgangslage
versetzt zu werden.
Fazit
Die Implantation eines artifiziellen Sphinkters
ist bei ausgeprägter Postprostat ekto -
mie-Inkontinenz ein äußerst erfolgreiches
Therapiekonzept mit vertretbarer Komplikations-
und sehr hoher Kontinenz- und
Zufriedenheitsrate.
810
Anzahl der Patienten Prozent Anzahl der Patienten
150
120
90
60
30
0
Abb. 4: Ursachen der Belastungsinkontinenz (n=180) [8]
60
50
40
30
20
10
0
Abb. 5: Zufriedenheit nach Implantation eines artifiziellen Sphinkters im UZH [8]
200
150
100
50
0
Abb. 6: Lebensqualität der Patienten nach AMS 800 ® -Implantation [8]
Literatur
RPx: 147
TUR-P: 21
sehr zufrieden:
50,3 %
verbessert:
169
off PAEn: 1
TUR-A: 2
zufrieden:
44,4 %
unverändert:
4
[1] Dombo O, Otto U. Stressinkontinenz beim Mann:
Anatomische und funktionelle Besonderheiten. Journal für
Urologie und Urogynäkologie. 2004: 7-12.
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[6] Mathis S, Guba B, Adlbrecht C, Pramesberger C. Belas -
tungsinkontinenz Evidenz zu vier minimal-invasiven
Behandlungsmethoden mit fragwürdigem Nutzen – syste-
Radiatio: 1
Trauma: 1
wenig zufrieden:
3,5 %
verschlechtert:
2
matische Übersicht. Urologe. 2009; 48: 1330-8.
[7] Klarskov P, Hald T. Reproducability and realibility of
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[8] Bargen VA. Der artifizielle Sphinkter AMS 800 –
Erfolgsrate, Komplikationen und Patientenzufriedenheit.
Inauguraldissertation 2008; Mainz.
Kontakt
neurogen: 3
iatrogen: 3
Dr. Jochen Kilian
unbekannt: 1
gar nicht
zufrieden: 1,8 %
keine Angabe:
5
Urologisches Zentrum Hamburg
Asklepios Klinik Harburg
Eißendorfer Pferdeweg 52
21075 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-86 25 54
Fax (0 40) 18 18-86 34 26
E-Mail: j.kilian@asklepios.com
Ursachen
Patientenzufriedenheit
Lebensqualität
Primäre systemische Vaskulitiden
Dr. Keihan Ahmadi-Simab
Die Einteilung der PSV erfolgt gemäß der
Nomenklatur der Chapel Hill Consensus
Conference (CHC) [1] nach dem prädominanten
Befallmuster der Gefäße (Gefäßtyp)
und unter Berücksichtigung pathophysiologischer
Aspekte, das heißt ANCA-Assoziation
beziehungsweise Immunkomplex-
Genese (Tab. 1).
Pathogenese
Pathogenetisch lassen sich die Vaskulitiden
in drei Gruppen unterteilen:
1. Granulomatöse Vaskulitis
2. Immunkomplexvaskulitis
3. ANCA-assoziierte Vaskulitis
(Pauci-immune Vaskulitis)
Granulomatöse Vaskulitis
Die Riesenzellarteriitiden (Arteriitis temporalis,
M. Horton) und die Takayasu-Arteri -
itis betreffen die großen Gefäße und zählen
zu den Granulomatösen Vaskulitiden. Sie
gehen mit einer granulomatösen Entzündung
in der Gefäßwand einher, wobei sich
peripher weder Immunkomplexe noch
Autoantikörper finden. Zu den frühesten
Krankheitsprozessen in der Pathogenese
der Riesenzellarteriitis gehört die Aktivierung
dendritischer Zellen in der Adventitia
großer Gefäße, in deren Folge es zu einer
Chemokin- und Th1-Typ-Zytokinsekretion
kommt. T-Zellen migrieren in der Folge
über die Vasa vasorum der Adventitia in
die gesamte Gefäßwand. In diesem Rahmen
werden Makrophagen aktiviert und
fusionieren zu Riesenzellen.
Immunkomplexvaskulitis
Polyarteriitis nodosa, kutane leukozytoklastische
Vaskulitis, essentielle kryoglobulinämische
Vaskulitis und Schönlein-Henoch-
Purpura sind Immunkomplexvaskulitiden.
Die Ablagerung zirkulierender Immunkomplexe
induziert endothelseitig beziehungsweise
in den Gefäßwänden eine Entzündung.
Abgelagerte Immunkomplexe werden
von neutrophilen Granulozyten über ihre
Fc-γ-Rezeptoren erkannt, was zu einer vorzeitigen,
endothelnahen Degranulierung
mit konsekutiver Endothelschädigung
führt. Abgelagerte Immunkomplexe und
C1q induzieren zudem eine Verlangsamung
des Rollens von Leukozyten über
dem Endothel, was offenbar ebenfalls Entzündung
und Endothelschädigung Vorschub
leistet. Immunhistochemisch sind
dementsprechend Immunkomplexe und
Komplementfaktoren in der Gefäßwand
nachzuweisen. Immunkomplexvaskulitiden
sind durch einen Komplementverbrauch
gekennzeichnet.
ANCA-assoziierte Vaskulitis
Zu den ANCA-assoziierten Vaskulitiden
zählen die Wegenersche Granulomatose
(WG), das Churg-Strauss-Syndrom (CSS)
und die Mikroskopische Polyangiitis
(MPA). Alle drei Vaskulitiden betreffen
hauptsächlich kleine Gefäße, also kleine
Arterien, Arteriolen, Kapillaren und Venolen.
Da Ablagerungen von Immunkomplexen
nur in geringem Maße oder gar nicht
in den entzündlichen Arealen nachzuweisen
sind, werden diese Vaskulitiden als
„pauci-immun“ bezeichnet. Diese Vaskulitis-Gruppe
ist charakteristischerweise mit
Rheumatologie
Vaskulitiden sind chronisch entzündliche Erkrankungen der Blutgefäße. Man unterscheidet primäre systemische
Vaskulitiden unklarer Ätiologie und sekundäre Vaskulitiden, die in Assoziation mit anderen chronisch entzündlichen
und autoimmunen Erkrankungen auftreten. Der Begriff primäre systemische Vaskulitis (PSV) umfasst
klinisch, morphologisch und immunpathogenetisch unterschiedliche Immunvaskulitiden.
dem Nachweis anti-neutrophiler zytoplasmatischer
Autoantikörper (ANCA) assoziiert:
Bei generalisierter WG PR3-ANCA
(≥ 95 %), bei MPA MPO-ANCA (40 – 80 %)
und bei CSS meist MPO-ANCA, seltener
PR3-ANCA (10 – 70 %). Neben ihrer diagnostischen
Bedeutung kommt den ANCA
in der Pathogenese der Vaskulitis eine
bedeutende Rolle zu. Nach derzeitiger Vorstellung
kommt es unter dem Einfluss von
Zytokinen zur Translokation der primär
intrazellulären Zielantigene (zum Beispiel
PR3) auf die Oberflächenmembran neutrophiler
Granulozyten. Möglicherweise spielt
auch eine genetische Prädisposition in der
Oberflächenexpression der Zielantigene
eine Rolle. Durch die Interaktion von
ANCA mit den Zielantigenen auf der Zelloberfläche
werden die Neutrophilen aktiviert.
Es kommt zur vorzeitigen, endothelnahen
Degranulation mit Freisetzung
toxischer Sauerstoffradikale und lysosomaler
Enzyme mit konsekutiver Schädigung
des Endothels und somit Initiierung der
Vaskulitis.
Symptome
Die ersten Symptome der Vaskulitiden
sind häufig uncharakteristisch (Tab. 2).
Klinisch
Allgemeinsymptome („constitutional symptoms“)
Adynamie, Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust
Rheumatische Beschwerdekomplex
Polymyalgie, -arthralgie, -myositis, -arthritis
(auch: mono- oder oligoarthritische Bilder)
Labor
Akutphasenproteinerhöhung
(BSG-, CRP-Erhöhung etc.)
Leuko- und Thrombozytose, Anämie
Tab. 2: Indirekte Hinweise für PSV („Alarmsymptome“)
811
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Erkrankung CHC Definition Typische klinische Symptome und Befunde
Riesenzellarteriitis (RZA)
Vaskulitis großer Gefäße
Granulomatöse Arteriitis der Aorta und ihrer größeren Äste mit
Plötzlicher Krankheitsbeginn, Fieber, B-Symptomatik, Gewichtsverlust, bitem-
Prädilektion für die extrakraniellen Äste der A. carotis; Tempoporale
Cephalgien, tastbar verhärtete und schmerzhafte Temporalarterie,
ralarterie häufig betroffen; üblicherweise Patienten jenseits des
Oberarmmyalgie, Depression
40. Lebensjahres; häufig assoziiert mit Polymyalgia rheumatica
Takayasu-Arteriitis
Granulomatöse Entzündung der Aorta und ihrer Hauptäste;
üblicherweise Patienten vor dem 40. Lebensjahr
B-Symptomatik, Thorakalsymptome (Angina pectoris), Claudicatio,
Blutdruckdifferenz, Schwindel
Vaskulitis mittelgroßer Gefäße
Polyarteritis nodosa
(PAN)
Nekrotisierende Entzündung der mittelgroßen oder kleinen
Arterien ohne Glomerulonephritis und ohne Vaskulitis der Arteriolen,
Kapillaren und Venolen
B-Symptomatik, Arthralgien, Myalgien, art. Hypertonie, Polyneuropathie,
Livedo reticularis, Angina abdominalis, Niereninfarkte, Angina pectoris, cerebrale
Ischämie
Kawasaki-Syndrom
Wegenersche Granulomatose
(WG)
Mikroskopische
Polyangiitis (MPA)
Churg-Strauss-Syndrom
(CSS)
Purpura Schönlein-
Henoch
Essentielle kryoglobulinämische
Vaskulitis
Kutane leukozyto-klastische
Angiitis
Im Verlauf kommen rheumatische Be -
schwerden hinzu, die an eine entzündliche
Systemerkrankung denken lassen. Bei
sorgfältiger körperlicher Untersuchung finden
sich auch meist die direkten Zeichen
der Vaskulitis (Tab. 3), die als direkte Folge
der Gefäßläsion anzusehen sind. Zur klinischen
Diagnose führt die Synopse aus
Klinik (Schlüssel- und Leitsymptome),
Immunserologie und histologischem Be -
fund. Die wichtigsten Leitsymptome der
PSV sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Labordiagnostik
Laborchemisch gibt es keinen Marker, der
allein eine Vaskulitis beweist. So werden
prinzipiell diagnoseassoziierte, aktivitäts-
812
Arteriitis der großen, mittelgroßen und kleinen Arterien; häufig
assoziiert mit dem mukokutanen Lymphknotensyndrom; Koronararterien
häufig, Aorta und Venen z. T. betroffen; üblicherweise
im Kindesalter
assoziierte und/oder organbezogene
Laborparameter bestimmt (Tab. 4 – 5). [2,3]
Diagnostik
Vaskulitis kleiner Gefäße
Granulomatöse Entzündung des Respirationstraktes und nekrotisierende
Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer Gefäße (d. h.
Kapillaren, Venolen, Arteriolen und Arterien). Eine nekrotisierende
Glomerulonephritis ist häufig.
Nekrotisierende Vaskulitis kleiner Gefäße (d. h. Kapillaren,
Venolen oder Arteriolen) mit wenigen oder keinen Immunkom-
Pulmo-renales Syndrom
plex-Ablagerungen. Eine nekrotisierende Arteriitis kleiner bis
ANCA-Assoziation (MPO-ANCA)
mittelgroßer Gefäße kann auftreten. Eine nekrotisierende Glomerulonephritis
ist häufig, ebenso eine pulmonale Kapillariitis.
Eosinophile und granulomatöse Entzündung des Respirations -
traktes und nekrotisierende Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer
Gefäße. Mit Asthma und einer Eosinophilie assoziiert.
Vaskultis der kleinen Gefäße mit überwiegend IgA-haltigen
Immundepots in situ; betroffen sind typischerweise Haut,
Gastrointestinaltrakt und Glomeruli; Arthralgien und oder
Arthritiden
Vaskulitis der kleinen Gefäße (Kapillaren, Venolen oder Arteriolen)
mit Kryoglobulinablagerungen in situ. Assoziiert mit Kryoglobulinen
im Serum. Haut und Glomerula sind häufig betroffen.
Isolierte leukozytoklastische Angiitis der Haut ohne systemische
Vaskulitis oder Glomerulonephritis
Abhängig vom Organbefall sind weitere
diagnostische Untersuchungen zur Diagnosesicherung
und Erfassung der Organschädigungen
erforderlich, wie zum
Beispiel EKG und Langzeit-EKG (Herzrhythmusstörungen
bei kardialer Beteiligung?),
Echokardiographie (Perikarderguss?
Kontraktilitätsstörungen bei
Coronariitis und Myokarditis?), Herzkatheteruntersuchungen
(Aneurysmen und
Stenosen der Coronargefäße?), Myokardbiopsie
(Sicherung einer Kapillaritis), Gastro-
und Coloskopie (Hinweise auf gastro-
Palmar- und Plantarerythem, polymorphes Erythem am Körperstamm, Fieber,
Konjunktivitis, Lymphadenopathie, Erdbeerzunge, Myokardinfarkt
Initialphase (lokalisierte WG): lokoregionale Symptomatik im oberen Respirationstrakt:
verstopfte Nase, blutige Rhinitis, Epistaxis, Sinusitis, Otitis
Generalisationsphase: B-Symptomatik, Arthralgien, Arthritiden, Episkleritis,
Hauteffloreszenzen, Hämoptysen, Perforation des Nasenseptums, Sattelnase,
blutig-borkige Rhinitis
Trias: systemische nekrotisierende Angiitis, nekrotisierende Entzündung im
Respirationstrakt, nekrotisierende Glomerulonephritis (Pulmo-renales Syndrom),
ANCA-Assoziation (PR3-ANCA)
Nichtvaskulitische Prodromalphase: Asthma Bronchiale, allergische Rhinitis,
Pollinosis nasi, Hypereosinophiles Syndrom
Vaskulitische Phase: Arthralgien, Myalgien, B-Symptomatik, pulmonale Infiltrate,
Eosinophilie, Polyneuropathie, kardiale Beteiligung
ANCA-Assoziation (meist MPO-ANCA)
Makulopapulöses Exanthem, Fieber, Arthritiden, kolikartige abdominelle
Schmerzen, Glomerulonephritis
Purpura, Polyneuropathie, Neuropathia multiplex, Glomerulonephritis, gastrointestinale
Vaskulitis, Komplementverbrauch, Kryoglobulinämie; 80 – 90 %
der ursprünglich als „essentiell“ bezeichneten kryoglobulinämischen Vaskulitiden
können heute einer chronischen HCV-Infektion zugeordnet werden.
Palpable Purpura
Tab. 1: Die Vaskulitiseinteilung und Definitionen gemäß der Chapel Hill Consensus Conference (CHC) sowie häufige klinische Manifestationen
intestinale Vaskulitis?), Bronchoskopie
mit bronchoalveolärer Lavage und transbronchialer
Biopsie (neutrophile oder lymphozytäre
Alveolitis? interstitielle Pneumonitis,
Kapillaritis?), Angiographie
(Aneurysmen und Stenosen großer und
mittelgroßer Gefäße?), Rö-Thorax (Rundherde,
Infiltrate?), HRCT (Milchglasinfiltrate?
Rundherde? [Abb. 1]), Magnetresonanz-
Tomographie (Abb. 2) sowie Angiographie-
CT und PET-CT (Aortitis? Arteri itis?). Die
histologische Sicherung der Vaskulitis ist
aus diagnostischen und prognostischen
Gründen anzustreben, wobei die Biopsien
aus betroffenen Organen wie Haut oder
Niere zu entnehmen sind.
Gefäßtyp Klinisches Problem
Episkleritis („rotes Auge“), Hörsturz, Vertigo, Hämoptysen (alveoläre Hämorrhagie), Mikrohämaturie
Klein (Glomerulonephritis), (Mono-, Poly-) Neuritis, Herdencephalitis, palpable Purpura, Nagelfalznekrosen,
Angina pectoris (Perimyocarditis), Purpura abdominalis (blutige Stühle) etc.
Infarkte: Hirn, Herz, Niere (Makrohämaturie!), Darm (Meläna!), Extremität etc. Blutung bei
Mittelgroß
Ruptur von Mikroaneurysmen
Stenosen: z. B. „subclavian steal syndrome“ oder Aortenbogensyndrom,
Groß
Aneurysma dissecans (Riesenzellarteriitis), Venen: z. B. Trombosen
Cave: Überlappungen der Gefäßtypen eher häufig!
Tab. 3: Direkte Hinweise für PSV (Leitsymptome)
Bluteosinophilie (>10%) Churg-Strauss-Syndrom
Hepatitis Bs-Antigen Panarteriitis nodosa
Hepatitis C-Antigen/HCV/RNA Kryoglobulinämische Vaskulitis
cANCA (PR3-ANCA) Wegenersche Granulomatose
pANCA (MPO-ANCA) Mikroskopische Polyangiitis
Kryoglobuline Kryoglobulinämische Vaskulitis
Endothelzellantikörper Kawasaki-Syndrom
Tab. 4: Diagnoseassoziierte Laborparameter
Komplementspiegel Immunkomplexvaskulitiden
ANCA-Titer Pauci-immune-Vaskulitiden
Leuko- und Thrombozytose Entzündungsaktivität
BSG- und CRP-Erhöhung Entzündungsaktivität
Tab. 5: Aktivitätsassoziierte Laborparameter
Therapie
Das therapeutische Procedere richtet sich
nach Ausdehnung, Organmanifestation
und Aktivität der Erkrankung sowie der
Prognose. PSV werden immunsuppressiv
behandelt. Dies erfordert eine engmaschige
ärztliche Überwachung. Eine Patientenschulung
trägt zur Minimierung therapiebedingter
Komplikationen bei. Man unterscheidet
drei Therapiestadien:
■ Induktionstherapie: Diese erfolgt in
der Regel mit Cyclophosphamid (Boli
oder oral) nur über 3– 6 Monate (Tab. 6).
■ Erhaltungstherapie: Nach erzielter
Remission werden weniger toxische
immunsuppressive Substanzen zur
Remissionserhaltung (in der Regel mindestens
zwei Jahre) eingesetzt (Tab. 6).
■ Eskalationstherapie: Bei therapierefraktärem
Verlauf (etwa 5 – 10 Prozent
der Patienten mit ANCA-assoziierten
Vaskulitiden) ist eine Eskalation der
konventionellen immunsuppressiven
Therapie durch additive Maßnahmen
(z. B. Plasmapherese) und/oder neue
biologische Immunmodulatoren erforderlich
(Tab. 7).
Therapie der Immunkomplexvaskulitiden
Kryoglobulinämische Vaskulitis (CV)
Bei der HCV-assoziierten CV wird bei
nicht lebensbedrohlichen Organmanifestationen
der Versuch einer HCV-Elimination
durch kombinierte Gabe von Interferon-α
und Ribavirin über 18 – 24 Monate empfohlen.
[4] Bei lebensbedrohlichen Verläufen,
etwa bei zunehmender Niereninsuffizienz,
progredienter Polyneuropathie oder ZNS-
Vaskulitis, ist eine immunsuppressive Therapie
mit Cyclophosphamid (CYC) und
Glucocorticoiden erforderlich, bei Therapierefraktärität
ergänzt durch additive
Plasmaseparationen über circa zwei Wochen.
Mit dem monoklonalen Anti-CD20-Antikörper
Rituximab steht eine neue Therapieoption
der CV zur Verfügung.
Polyarteriitis nodosa (PAN)
Kontrollierte Studien zur Therapie der
PAN finden sich kaum. Eine aktuellere Studie
zeigt, dass Patienten mit vermutlich
schlechter Prognose nach Gabe von zwölf
Zyklen CYC eine geringere Rezidivhäufigkeit
aufweisen als nach Gabe von sechs
Zyklen. [5]
Schönlein-Henoch-Purpura
Die Prognose ist im Allgemeinen gut. Bei
schweren Verlaufsformen (rapid-progressive
Glomerulonephritis, Darmbeteiligung
mit Blutungen) kann eine immunsuppres-
Rheumatologie
sive Therapie mit CYC oder AZA erforderlich
werden. Bei entsprechender Überwachung
können auch eine GC-Monotherapie
oder eine hochdosierte intravenöse Im -
munglobulin (IVIG)-Therapie ausreichen.
Therapie ANCA-assoziierter Vaskulitiden
Die Therapie erfolgt abhängig von Erkrankungsstadium
und -aktivität. Die lokalisierte
WG kann mit Trimethoprim-Sulfamethoxazol
(Cotrimoxazol) behandelt
werden, wenn eine engmaschige Kontrolle
gewährleistet ist. [6] Bei generalisierter,
schwer verlaufender ANCA-assoziierter
Vaskulitis mit organ- und/oder lebensbedrohlichen
Manifestationen erfolgt die
remissionsinduzierende Therapie mit
Cyclophosphamid entweder nach dem
„Fauci-Schema“ (2 mg/kg/Tag per os für
3 – 6 Monate) oder Austin-Schema (Boli)
und Prednisolon. [7] Nach Erzielen einer
Remission erfolgt eine Umstellung auf eine
remissionserhaltende Therapie (mit zum
Beispiel MTX, Azathioprin, Mykophenolat-
Mofetil, Leflunomid).
Therapie der granulomatösen
Vaskulitiden
Riesenzellarteriitis (RZA)
Die RZA spricht häufig auf eine GC-Monotherapie
innerhalb weniger Tage gut an.
Eine Startdosis von 40 bis 60 mg Prednisolonäquivalent
sollte innerhalb von etwa
sechs Monaten auf 5 – 7,5 mg/Tag reduziert
werden. Bei Visusstörungen sollte die Therapie
unverzüglich und hochdosiert (intravenös
Methylprednisolon, 250 – 1.000 mg
täglich über drei Tage) begonnen werden.
Bei therapieresistentem Verlauf und anhaltend
hohem Steroidbedarf ist die Einleitung
einer immunsuppressiven, steroid -
einsparenden Therapie mit zum Beispiel
Methotrexat (MTX) (0,3 mg/kg/Woche s. c.)
oder alternativ Azathioprin angezeigt. [8]
Takayasu-Arteriitis
Randomisierte, placebo-kontrollierte Studien
zur Behandlung der Takayasu-Arteri -
itis liegen bislang nicht vor. Als Standard
zur Behandlung unkomplizierter Verläufe
gilt allgemein eine Glukokortikoidmonotherapie,
jedoch sind etwa ein Viertel der
Patienten zunächst therapierefraktär und
in bis zu 50 Prozent der Fälle kommt es zu
Rezidiven. Daher sollte frühzeitig eine
813
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Behandlung mit Immunsuppressiva (z. B.
MTX) begonnen werden. [9] Bei besonders
aggressivem Verlauf ist CYC (als Bolusoder
orale Gabe) einzusetzen. Ergebnisse
einer retrospektiven Analyse von 106 ge -
fäßchirurgisch behandelten Patienten mit
Takayasu-Arteriitis zeigen, dass operative
Therapieverfahren additiv zur immun -
suppressiven Therapie die Prognose von
Patienten mit Komplikationen und refraktärem
Verlauf (zum Beispiel bei großen
Aneurysmen) verbessern.
Literatur
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vasculitides. Proposal of an international consensus conference.
Arthritis Rheum. 1994; 37(2): 187-92.
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814
Klinik Substanz
Induktionstherapie
Dosis/Applikation
Cotrimoxazol „Initialphase“ T/S 2 x 960 mg/die p. o.
Methrotrexat
„Fauci-Schema“
blande MTX 0,3 mg/kg/Wo. i. v. oder s. c.
NIH-Standard
aktiv
CYC 2 mg/kg die p. o.
intensiviert
progressiv/foudroyant
CYC 3 – 4 mg/kg/ die p. o.
„Austin-Schema“
mäßig-aktiv bzw. überwiegend
renale Vaskulitis
CYC 15 – 20 mg/kg i. v.
Plasmapherese foudroyant mit Nierenversagen 40 – 60 ml/kg (4 – 7x)
Cotrimoxazol Voll-/Teilremission
Erhaltungstherapie
T/S 2 x 960 mg/die p. o.
Methrotexat Teilremission MTX 0,3 mg/kg/Wo i. v.
Azathioprin Teilremission AZA 2 – 3 mg/kg/die p. o.
Cyclosporin A nach Organtransplantation CsA 3 – 5 mg/kg/die p. o.
i. v. Immunglobuline refraktär
Behandlung refraktärer Verläufe
IVIG 400 mg/kg i. v. an 5 Tagen
Monoklonale AK refraktär anti CD4 plus
anti CD52 sequentielle Gabe i.v.
Antithymozytenglobulin refraktär ATG i. v. 10 Tage
Tab. 6: Aktivitäts- und ausdehnungsadaptierte Behandlung ANCA-assoziierter Vaskulitiden
Name nach der
Chapel-Hill Conference 1992
Intensiviertes Protokoll
bei „therapieresistenten“ PSV
Riesenzellarteriitis GC plus AZA oder MTX
Takayasu-Arteriitis GC plus MTX
Tab. 7: Behandlung der therapieresistenten bzw. -refraktären PSV-intensivierte Therapiemöglichkeiten bei Progression
Kontakt
„therapierefraktären“ PSV
GC puls CYC
(FAUCI- oder AustinSchema)
GC plus CYC
(FAUCI- oder Austin-Schema)
Polyarteriitis nodosa (PAN) GC & CYC-Bolus plus Plasmapherese GC plus CYC (FAUCI-Schema)
Hepatitis B-Virus-assoz. PAN
IFNα & Lamivudin plus
Plasmapherese
GC plus CYC (FAUCI-Schema)
Wegener’sche Granulomatose
GC & CYC (FAUCI-Schema) plus
IVIG
AK: a-CD4/CD52*
Churg-Strauss-Syndrom GC plus CYC (FAUCI-Schema) α-Interferon (bis 3 x 106/Woche)
Mikroskopische Polyangiitis GC & CYC plus IVIG
Abb. 1: HRCT-Thorax, Lungengranulom bei M. Wegener Abb. 2: MRT-Kopf, M. Wegener, Mastoiditis
α-Thymozytenglobulin
Monoklonale AK: a-CD4/CD52
Henoch-Schönlein-Purpura GC plus IVIG (evtl. CYC) GC plus CYC (AUSTIN-Schema)
Kutane leukozytoklastische Angiitis GC plus AZA (MTX)
Essentiell kryoglobulinämische α-Interferon & Ribavirin plus AUSTIN-Schema plus
Vaskulitis
Plasmapherese
Plasmapherese
Erläuterungen
GC = Glucocorticoid AZA = Azathioprin „low-dose” MTX = Methotrexat
CYC = Cyclophospamid GC & CP = FAUCI-Schema CP = Cyclophosphamid-bolus = AUSTIN-Schema
* humanisiertes anti-CD4, anti-CAMPATH 1H
Dr. Keihan Ahmadi-Simab
Klinik für Rheumatologie,
klinische Immunologie, Nephrologie
Asklepios Klinik Altona
Paul-Ehrlich-Straße 1, 22763 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-81 11 24
Fax (0 40) 18 18-81 48 00
E-Mail: keihan.ahmadi@asklepios.com
Essstörungen
Stationäre oder tagesklinische Behandlung?
Dr. Helge Fehrs
Der Anteil chronischer Verläufe beträgt bei
der Anorexie etwa 50 Prozent, [2,7] bei der
Bulimia nervosa rund 30 Prozent. [1] Daher
ist es sinnvoll, eher in Behandlungsabschnitten
zu denken als der Vorstellung zu
erliegen, eine Maßnahme wie zum Beispiel
eine achtwöchige stationäre Behandlung
würde die Erkrankung „heilen“. Während
bis vor wenigen Jahren ambulante und stationäre
Behandlungsmöglichkeiten als einzige
Alternativen zur Verfügung standen,
gibt es inzwischen mehrere Zentren in
Deutschland, die wie das Asklepios Westklinikum
Hamburg auch tagesklinische
Angebote vorhalten. Dabei sind verschiedene
Tagesklinikmodelle zu unterscheiden,
die entweder alternativ zur stationären
Behandlung (fünf Tage pro Woche) arbeiten
oder aber ein Übergangssetting vom
stationären zum ambulanten Bereich anbieten
(zum Beispiel zwei Tage pro Woche).
Stehen unterschiedliche Behandlungs -
optionen zur Verfügung, sollten bei der
Entscheidung über die Therapieform im
Ambulanzgespräch insbesondere die
Behandlungsmotivation und die Zielsetzung
geklärt werden. Dabei ist der Austausch
mit Vorbehandlern in der Regel
hilfreich. Bei der Entlassung aus einem
Behandlungsabschnitt, also an der Schnittstelle
zu einem möglichen nächsten Bau -
stein der Behandlungskette, sind die noch
vorhandene Erkrankungsschwere, das
Rückfallrisiko und die psychosozialen Res-
sourcen zu beachten. In jedem Fall kommt
einer gezielten Vorbereitung auf die Zeit
nach der Klinik große Bedeutung zu. Für
die meisten Patienten ist ein Stufenplan
der Behandlung optimal (z. B. stationärnachstationär-tagesklinisch-ambulant).
Ziele stationärer und tagesklinischer
Therapie bei Essstörungen [3]
■ körperliche Stabilisierung (Anorexie:
ausreichende Gewichtszunahme; Bulimie:
Reduktion des selbstinduzierten
Erbrechens, des Laxantienabusus und
des exzessiven Sporttreibens)
■ Normalisierung des Essverhaltens
(Mahlzeitenzusammensetzung,
Essensstruktur)
■ Erarbeitung einer ausreichenden
Behandlungs- und Änderungsmotivation
■ Herausarbeiten zentraler psychischer
Problembereiche (z. B. Reifungsängste,
Probleme mit der Regulation eigener
Gefühle)
■ Verbesserung der psychischen Begleitsymptomatik
(z. B. Depressivität,
Ängste, selbstverletzendes Verhalten)
■ Arbeit an zentralen dysfunktionalen
Beziehungsmustern (z. B. Abhängigkeitskonflikt)
■ Unterstützung bei Problemen im
sozialen Umfeld
Multimodale Therapieprogramme
Psychosomatik
Essstörungen mit Krankheitswert sind vor allem die Anorexia nervosa (Magersucht, ICD10 F50.0), die Bulimia
nervosa (Ess-/Brechsucht, ICD10 F50.2) sowie die Binge-Eating-Störung (Essattacken ohne Erbrechen, ICD10
F50.9). In der Therapie dieser Erkrankungen ist, wegen ihrer Chronifizierungstendenz und hoher Rückfallgefahr,
eine Gesamtbehandlungsplanung von großer Bedeutung.
Sowohl in stationärer als auch in tagesklinischer
Behandlung finden multimodale
Therapieprogramme ihre Anwendung. Sie
bestehen aus psychodynamisch oder verhaltenstherapeutisch
ausgerichteten Gruppen-
und Einzelpsychotherapien, erlebnisorientierten
Therapieverfahren, die
schwerpunktmäßig in Gruppen angeboten
werden (konzentrative Bewegungstherapie,
Kunst- und Gestaltungstherapie oder
Musiktherapie), Ernährungsberatung,
angeleitetem Kochen, Familiengesprächen
sowie medizinischer Diagnostik und
Behandlung. Hinzu kommen strukturierte
symptomorientierte Komponenten, die sich
speziell auf die Essstörung der Patientinnen
beziehen. Sie halten Vorgaben zum
Verzicht auf das pathologische Essverhalten,
zur Gewichtsentwicklung und zur
Nahrungsaufnahme vor, die häufig über
Belohnungsverfahren positiv verstärkt
werden. Zudem wird mit Esstagebüchern
gearbeitet, die Mahlzeiten werden begleitet,
es gibt Ruhephasen für Anorektikerinnen
und Bulimikerinnen nach dem Essen
sowie Sport- und Bewegungsangebote für
übergewichtige Patienten. Dabei sind
Regeln und Vorgaben im stationären
Bereich enger gefasst als im tagesklinischen
Bereich – auch, weil dort den Patienten
mehr Verantwortung übertragen wird.
815
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Indikationsstellung
Stationäre Behandlung
Im Krankenhaus ist durch die ständige
ärztliche und pflegerische Präsenz eine
kontinuierliche körperliche Überwachung
und Ansprechbarkeit gegeben. Die Tagesund
Mahlzeitenstruktur ist vorgegeben, die
Distanz zum belastenden Beziehungsumfeld
oder Alltagsgeschehen durch die stationäre
Aufnahme hergestellt. Abzuwägen
ist, ob die „käseglockenartige“ Abschirmung
durch das stationäre, regressionsfördende
Milieu hilfreich ist, da es den Übergang
in den Alltag erschwert. Für die meist
jungen Patienten bedeutet ein Klinikaufenthalt
in der Regel eine längere Unterbrechung
von Schule, Ausbildung oder gerade
begonnener Berufsausbildung, die wiederum
destabilisierend wirken kann.
Bei der Anorexie ist eine Klinikbehandlung
indiziert bei raschem oder anhaltendem
Gewichtsverlust (mehr als 20 Prozent über
sechs Monate), gravierendem Untergewicht
(BMI < 15 kg/m²) oder bei seit drei
Monaten trotz ambulanter oder tagesklinischer
Therapie stagnierendem erheblichem
Untergewicht. Auch wenn soziale oder
familiäre Einflussfaktoren den Gesundungsprozess
stark behindern, ambulante
oder tagesklinische Behandlungsmöglichkeiten
unzureichend sind oder eine geringe
Krankheitseinsicht besteht, ist an eine stationäre
Behandlung zu denken. Medizinische
Komplikationen wie schwere Infekte,
körperliche Schwäche oder Herzrhythmusstörungen
machen einen Krankenhausaufenthalt
unabdingbar. Bei der Bulimia nervosa
sollte einer stationären Behandlung
der Vorzug gegeben werden, wenn die
Symptomatik so stark ausgeprägt ist, dass
der Alltag nicht mehr bewältigt werden
kann oder wenn Impulsdurchbrüche in
verschiedener Gestalt vorliegen (zum Beispiel
Ess/Brechanfälle, selbstverletzendes
Verhalten, Wutausbrüche, Suizidgedanken).
Stärkere körperliche Beeinträchtigungen
indizieren ebenfalls eine stationäre
Therapie.
Teilstationäre Behandlung
Ein großer Vorteil der Tagesklinik ist die
intensive Übungssituation: Täglich können
Aspekte aus der Therapie zu Hause ausprobiert
werden und im Alltag auftretende
Schwierigkeiten (zum Beispiel mit dem
816
Essen oder in zwischenmenschlichen
Beziehungen) fließen unmittelbar in die
Behandlung ein. Das Selbstwirksamkeits -
erleben der Patienten wird gestärkt („Ich
habe etwas verändert“), Nähe und Distanz
lassen sich leichter regulieren.
Nachteilig kann sich auswirken, dass sich
die Patienten nicht so umfassend von ihren
Alltagsaufgaben zurückziehen oder sich
nicht aus destruktiven Beziehungen lösen
können. Pathologische Verhaltensweisen
können leichter unbemerkt (heimlich) aufrecht
erhalten werden. Für Magersuchterkrankte
sind insbesondere tagesklinische
Modelle sinnvoll, die einen abgestuften
Übergang in ein ambulantes Setting anbieten.
Optimal sind Angebote, bei denen die
Behandler der Station die Therapie auch in
der Tagesklinik weiterführen (Behandlerkontinuität,
Rückkehr an den vertrauten
Ort). Für viele Patienten mit Bulimie ist
die Tagesklinik der stationären Behandlung
überlegen, vor allem, wenn die Symptomatik
zwar noch regelmäßig vorhanden ist,
aber nicht mehr so destruktiv umfassend
auftritt. Bulimikerinnen profitieren sehr
vom Übungscharakter der tagesklinischen
Behandlungsform. [4,5,6]
Bei Patienten mit Binge-Eating-Störung ist
eine komplexe Therapie, stationär oder
tagesklinisch, insbesondere dann indiziert,
wenn bereits eine Adipositas mit Folge -
erkrankungen entstanden ist.
Fazit
Essgestörte Patientinnen benötigen differenzierte
Behandlungsangebote: ambulant,
tagesklinisch als Alternative zur stationären
Behandlung oder als Vor- und Nachbehandlung,
sowie vollstationäre Behandlungsplätze,
auch zur Krisenintervention
ohne längere Wartezeit. Während für
Patientinnen mit Anorexia nervosa stationäre
mit anschließenden nachstationären
tagesklinischen Behandlungen oft die
geeignetste Form darstellen, profitieren
Bulimikerinnen mit mittelschweren Symptomausprägungen
nach neueren Erkenntnissen
sogar eher von intensiven tagesklinischen
Behandlungsangeboten als von
vollstationären Settings. Patientinnen und
Patienten mit Binge-Eating-Störung können
häufig ambulant ausreichend versorgt
werden – es sei denn, es ist bei chronischen
langfristigen Störungen bereits zu massiver
Gewichtszunahme mit Adipositas und entsprechenden
Folgeerkrankungen psychischer
und körperlicher Art gekommen.
Stationäre und teilstationäre Programme
für essgestörte Patientinnen sollten sowohl
strukturierte symptomorientierte Angebote
enthalten, als auch Angebote, in welchen
die psychischen Schwierigkeiten der
Patienten aufgegriffen werden.
Literatur
[1] Fichter MM, Quadflieg N. Twelve-year course and outcome
of bulimia nervosa. Psychol Med. 2004; 34: 1395-406.
[2] Steinhausen HC. The outcome of anorexia nervosa in
the 20th century. Am J Psychiatry. 2002; 159: 1284-93.
[3] Zeeck A. in: Herpertz S, de Zwaan M, Zipfel S (Hrsg.)
Handbuch Essstörungen und Adipositas, Springer 2008:
214.
[4] Zeeck A, Hartmann A. Stationäre und teilstationäre
Therapie bei Anorexie und Bulimie. Ärztl Psychother
Psychosomat. 2008; Med 1: 17-24.
[5] Zeeck A, Sandholz A, Hipp W, Schmidt A. Stationäre
und teilstationäre Bulimietherapie – das Freiburger Konzept.
Psychotherapeut. 2005; 50(1): 43-51.
[6] Zeeck A, Weber S, Sandholz A, Wetzler-Burmeister E,
Wirsching M, Hartmann A. Inpatient versus day clinic treatment
for Bulimia nervosa: A randomized controlled trial.
Psychother Psychosom. 2009; 78(3): 152-60.
[7] Zipfel S, Lowe B, Reas DL, Deter HC, Herzog W. Longterm
prognosis in anorexia nervosa: lessons from a 21-year
follow-up study. Lancet. 2000; 355: 721-2.
Kontakt
Dr. Helge Fehrs
Abteilung für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie
Asklepios Westklinikum Hamburg
Suurheid 20, 22559 Hamburg
Tel. (0 40) 81 91-25 01
Fax (0 40) 81 91-25 99
E-Mail: h.fehrs@asklepios.com
Die Hintergründe, vor denen aus Konsum
oder schädlichem Konsum plötzlich eine
Suchterkrankung wird, sind individuell
und vielfältig. Die erhebliche Stigmatisierung
durch die Zuschreibung einer Suchterkrankung
[2] erklärt den Versuch, zur
Entlastung den Hintergrund oder Auslöser
als eigentliches psychisches Drama anzuführen,
auf das sich die Sucht nur aufgepropft
habe. Und diese Fälle gibt es auch
tatsächlich. [6]
Aber nicht jedem, der im Zwiespalt zwischen
Wollen und Können zu einer stimulierenden
oder sedierenden Substanz
gegriffen oder versucht hat, innere Dis -
harmonie mit Glücksspiel, Kaufen oder
anderem befriedigendem Verhalten zu
kompensieren, ist deshalb gleich eine
krankheitswertige psychische Störung
zuzuordnen. Wir kennen viele auch schwer
gestörte Patienten, bei denen sich nur die
Entwicklung der Suchterkrankung über
viele Jahre zurückverfolgen lässt, andere
gravierende psychische Störungen hingegen
nicht. Die süchtige Entwicklung geht
allerdings mit einer – grundsätzlich reversiblen
– Verhaltensauffälligkeit einher, die
der ungestörten Beschaffung des Sucht -
mittels sowie der Verdeckung und Verleugnung
der Krankheit dient. Sie kann so
krass und ausgeprägt sein, dass über Jahre
ernsthaft die inzwischen widerlegte Hypothese
von einer vorbestehenden Suchtpersönlichkeit
diskutiert wurde. Im Verlauf
einer schweren Suchterkrankung können
sich nicht nur somatische Begleit- und Folgeerkrankungen,
sondern auch andere –
quasi reaktive – psychische Störungen von
Krankheitswert ausbilden.
Entstehungsmöglichkeiten
Es besteht weithin eine wissenschaftliche
Übereinstimmung in der Auffassung, dass
bei Süchten verschiedene Bedingungskomplexe
– auf der sozialen, personalen und
biologischen Ebene – beteiligt sind. Diese
Psychiatrie und Psychotherapie
Können psychisch Gesunde süchtig
werden?
Oder ist Sucht immer ein Symptom einer anderen psychischen Störung?
Dr. Klaus Behrendt, Dr. Erich Trüg
Bei Menschen, die zum Beispiel eine Schizophrenie haben, würde kein Mediziner und vermutlich auch kein
anderer vernünftiger Mensch auf die Idee kommen, die Krankheit sei eigentlich immer ein Symptom einer
anderen psychischen Störung. Dabei entwickelt auch sie sich oft schleichend wie die Suchterkrankung. Auch hier
gibt es das geflügelte Wort „sind wir nicht alle ein bisschen schizophren?“. Doch das Verhalten, das nur bei wenigen
letztendlich süchtig entgleist, kann sehr lange als normales, vielleicht lange auch als schädliches Verhalten bestehen,
über das der Mensch aber noch die Kontrolle hat. Entsprechend hielt Joël, ein Suchtexperte, von dem wir auch
heute noch viel lernen können, bereits 1928 fest: „Der Unterschied zwischen dem Süchtigen und dem so genannten
Normalen ist kein wesentlicher, sondern ein gradmäßiger, wenn auch oft von gewaltigem Ausmaß.“ [3]
Ebenen sind weder aufeinander zu reduzieren
noch jeweils gleich wichtig. In
unterschiedlichen Phasen dominieren verschiedene
Aspekte. [1]
Das „magische Dreieck“ von Droge, Um -
welt und Person, in dem sich das süchtige
Verhalten abspielt, [4] illustriert lediglich ein
gegenseitiges Bedingungsgefüge. Dabei
bleibt noch völlig offen, mit welchen Anteilen
die jeweiligen Faktoren für verschiedene
Gruppen von Menschen oder im Verlauf
einer individuellen Karriere bestimmend
sind – also welche Bedeutung etwa der
Drogenwirkung im Verhältnis zur sozialen
Situation oder psychischen Verfassung
zukommt und wie die Rückkopplungsprozesse
aussehen und im weiteren Verlauf zu
gewichten sind. Suchtmittelkonsum kann
besonders lustvoll beziehungsweise angenehm
und positiv verstärkend erlebt werden,
wenn nüchtern keine oder nur unzureichende
positiven Erfahrungen gemacht
wurden (Erfahrungsdefizit) oder in
817
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
bestimmten Konstellationen keine anderen
Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung
stehen.
Suchtverhalten baut auf dem normalen alltäglichen
Konsumverhalten auf und folgt
der Logik „Gutes noch besser, Schlechtes
gar nicht so schlimm“. Dieser Verstärkungsmechanismus
kann zur Suchtentwicklung
entgleisen, wenn zum Beispiel
bei regelmäßigem Alkoholkonsum in einer
Krise jedweder Genese schleichend mehr
konsumiert wird (Missbrauch) bis hin zu
einem krankheitswertigen Ausmaß (Kontrollverlust).
Dass „der erste Schuss süchtig
macht“ ist ein seltenes Phänomen und hat
auch mit dem Suchtpotential der konsumierten
Droge und ihrer Applikation zu
tun. In der Regel führen nicht die Drogen,
sondern deren unsachgemäße Anwendung
zur Abhängigkeit. Sehr häufig ist Suchtmittelkonsum
mit einer weiteren psychischen
Erkrankung verknüpft, seien es Persönlichkeitsstörungen,
Belastungsstörungen,
Depressionen oder andere psychiatrische
Erkrankungen (Komorbidität). Suchtmittel
werden in diesem Zusammenhang zur
Befindens- beziehungsweise Affektregulation
eingesetzt. Sie sind also willkommene
Substanzen, um in eine annäherungsweise
psychisch ausgeglichene Balance zu kommen.
818
Hypothesen
Vorauszuschicken ist, dass jede Behandlung
von Krankheiten und insbesondere
auch die psychischer Erkrankungen in
einem historischen Kontext zu sehen ist
und viel mit den persönlichen Einstellungen
und Annahmen der Behandelnden zu
tun hat. Sie stützt sich also letztlich nicht
nur auf wissenschaftliche Erkenntnisse,
sondern oft auch auf persönliche Einstellungen
und Auffassungen, den Einfluss
„alter Lehrer“ oder des Behandlungsteams,
der Klinikleitung und ähnlichem. Dabei
lassen sich mehrere Grundannahmen oder
Hypothesen unterscheiden, von denen aus
Behandlungskonzepte entwickelt wurden
und werden:
■ „Entscheidend ist, die Suchterkrankung
durchgreifend mit dem Ziel dauerhafter
Abstinenz zu behandeln. Dann
erledigen sich die ansonsten auftretenden
psychischen Probleme und Störungen
von selbst.“ Dieser früheste Einsatz
professioneller Suchtbehandlung stützte
sich insbesondere auf die Vorstellungen
und Erfahrungen abstinenter
Abhängigkeitskranker, die sich in
Selbsthilfegruppen organisiert hatten.
■ Nicht selten trifft man auch auf die
Auffassung, dass es ausreiche, eine auffällige
psychische Störung konsequent
medikamentös, psychotherapeutisch
und soziotherapeutisch zu behandeln.
Dann erledige sich die Sucht sozusagen
von selbst. [5]
■ Nach der Hypothese der Wechselwirkung
zwischen Sucht und weiterer psychischer
Störung muss dagegen beides
immer gleichzeitig beachtet und behandelt
werden, um ein positives Behandlungsergebnis
zu erreichen.
Dem ist im Übrigen bescheiden entgegenzuhalten,
dass der häufigste erfolgreiche
Weg aus der Sucht der der Selbstheilung
ohne professionelle Hilfe ist. So haben in
den vergangenen drei Jahren zum Beispiel
zwei Millionen Menschen in Deutschland
das Rauchen aufgegeben. Es ist völlig
ungeklärt, wie vielen abhängigkeitskranken
Menschen es gelingt, ohne jede Unterstützung
durch Ärzte oder suchtspezifische
Beratungs- und Behandlungsangebote
abstinent zu werden. Diese Menschen sind
positiv zu verstärken. Therapeutische
Hilfe, die sie offenbar nicht brauchen und
oft auch gar nicht wollen, ist hier nicht
indiziert.
Professionelle Hilfe ist nur geboten, wenn
die Störung so stark ausgeprägt ist oder
die persönlichen Ressourcen so schwach
sind, dass ein Ausstieg nicht allein gelingt.
Und bei dieser Gruppe von Abhängigen ist
im Verlauf zu klären, ob Abstinenz überhaupt
erreicht werden kann und für die
Patienten ein erstrebenswertes Ziel ist.
Unser Behandlungsansatz
Unsere Basis ist der in der Suchttherapie
geltende Grundsatz, die Verantwortung
(für Konsum oder Nicht-Konsum) beim
Patienten zu belassen. Dementsprechend
ist die Herangehensweise ganz pragmatisch
individuell an den Patienten angepasst.
Dabei gilt es herauszufinden, was
für den Patienten wirklich „passend“ ist,
was er selbst will und nicht will, wozu er
motiviert ist, was er anstrebt und welche
Möglichkeiten ihm zur Verfügung stehen.
Wir nehmen die Rolle des „Steigbügelhalters“
ein. Das heißt, wir stellen unsere
Möglichkeiten in den Dienst einer Ziel -
hierarchie, die das Überleben sichert, Schaden
minimiert und ein möglichst gesundes
Leben, also Lebenskompetenzen („Lebensmittel“)
vermittelt – bis dahin, die Abstinenz
zu ermöglichen.
Das Ideal „Abstinenz“ erreichen nur sehr
wenige der chronisch Abhängigen. Hier
ist Suchtbegleitung indiziert, zum Beispiel
die Substitution mit Ersatzstoffen, die es
ermöglichen, frei von Beschaffungskriminalität
und -druck ein soziales, möglichst
gesundes und selbstbestimmtes Leben zu
führen.
Die biologische Komponente der Sucht
weist uns darauf hin, dass Sucht nicht nur
eine Beeinträchtigung des Willens ist. Notwendig
sind daher auch medikamentöse
Behandlungsstrategien wie Substitution,
Rückfallmedikationsprophylaxe, eine aus-
schleichende Entzugsbehandlung sowie
gegebenenfalls medikamentöse Unterstützung
zur Stressreduktion und eine auch
medikamentöse Behandlung von Komorbidität.
Fazit
Die Substitution verhält sich zur Abstinenz
wie der Mieter im Mietshaus zum Eigenheimbesitzer.
Viele streben Letzteres an,
nicht alle schaffen es und nicht zuletzt:
nicht alle wollen es. Ermöglichen wir doch
jedem das Seine, solange damit der individuelle
Lebenswert abgesichert und erhalten
werden kann.
Bei medikamentösen Behandlungsstrategien
sollte es, wenn möglich, aber nicht
bleiben. Therapeutische beziehungsweise
psychoedukative Angebote und Maßnahmen
begleitend zu medikamentösen Strategien
erhöhen erfahrungsgemäß die Erfolgsrate.
Literatur
Psychiatrie und Psychotherapie
[1] Behrendt K, Degwitz P, Trüg E (Hrsg.). Schnittstelle
Drogenentzug. Freiburg/B. Lambertus 1995 (S 12ff).
[2] Erlenmeyer A: Die Morphiumsucht und ihre Behandlung,
3. Auflage. Berlin, Leipzig, Neuwied: Heuser’s Verlag
1887 (S87-88).
[3] Joël E. Die Behandlung der Giftsuchten, Alkoholismus,
Morphinismus, Kokainismus usw. Leipzig: Georg Thieme
Verlag 1928 (S 11).
[4] Feuerlein W (Hrsg.). Theorie der Sucht. Berlin: Springer
1986 (S 104 ff).
[5] Kellermann B. Süchtiges Verhalten und Gemeinwohl.
HÄB 2010; 64(4): 28-30.
[6] Ringelhahn S. Persönlichkeitsstörungen und Sucht.
Medtropole 2010; 20: 751-4.
Weiterführende Literatur
[7] Wienberg G, Driessen M (Hrsg.) Auf dem Weg zur
vergessenen Mehrheit. Innovative Konzepte für die
Versorgung von Menschen mit Alkoholproblemen.
Bonn: Psychiatrie-Verlag 2001.
Kontakt
Dr. Klaus Behrendt
IV. Fachabteilung Psychiatrie und
Psychotherapie
Abhängigkeitserkrankungen
Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll
Langenhorner Chaussee 560
22419 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-87 27 39
Fax (0 40) 18 18-87 17 03
E-Mail: k.behrendt@asklepios.com
819
Medtropole | Ausgabe 19 | Oktober 2009
KONTAKT
Prof. Dr. Karl-Heinz Frosch
Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
Chirurgisch-Traumatologisches Zentrum
Asklepios Klinik St. Georg
Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-85 22 87
Fax (0 40) 18 18-85 37 70
E-Mail: k.frosch@asklepios.com
Prof. Dr. Karl-Heinz Frosch
Asklepios Klinik St. Georg:
Neuer Leiter des Chirurgisch-
Traumatologischen Zentrums
Am 1. Juli übernahm Prof. Dr. Karl-Heinz
Frosch als Nachfolger von Prof. Dr. Christoph
Eggers die Leitung der Abteilung für
Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
sowie des Chirurgisch-Traumatologischen
Zentrums in der Asklepios Klinik St. Georg.
Prof. Frosch wurde 1968 in Bischofsgrün
geboren, besuchte unter anderem das Skigymnasium
Christophorusschule in Berchtesgaden,
nahm 1989 bis 1990 als Mitglied
der deutschen Skinationalmannschaft
„Nordische Kombination“ mehrfach am
Weltcup teil, absolvierte sein Medizinstudium
an der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg und promovierte
am dortigen Institut für klinische Immunologie
und Rheumatologie. Eine Famulatur
„Orthopaedic Trauma“ führte ihn ans
Howard Head Medical Center in Vail,
Colorado, das Praktische Jahr an die DUKE
University, North Carolina. Seine Weiterbildung
zum Facharzt für Chirurgie absolvierte
Prof. Frosch am Klinikum Bamberg
und in der Abteilung für Unfallchirurgie,
Plastische und Wiederherstellungschirurgie
des Universitätsklinikums Göttingen, wo
er seither als Oberarzt tätig war.
2004 erwarb Prof. Frosch die Schwerpunktsbezeichung
Unfallchirurgie, 2007
die Zusatzbezeichnung „Spezielle Unfallchirurgie“
sowie die Facharztanerkennung
„Orthopädie und Unfallchirurgie“. Im
gleichen Jahr habilitierte er sich im Fach
Unfallchirurgie mit dem Thema „Entwicklung
stammzellbesiedelter Titan-Miniprothesen
für den Oberflächenteilersatz am
Kniegelenk“ und erhielt den Preis für die
beste Habilitation der Fakultät im Wintersemester
2006/2007. 2010 wurde er zum
Außerplanmäßigen Professor der Univer-
820
Prof. Dr. Joachim Röther
sität Göttingen berufen. Seit 2008 war Prof.
Frosch ständiger D-Arzt-Vertreter und
geschäftsführender Oberarzt der Klinik für
Unfallchirurgie, Plastische und Wiederherstellungschirurgie
sowie stellvertretender
Leiter der AG Arthroskopische Chirurgie
der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie.
Er ist Mitglied des Nichtständigen
Beirats der Deutschen Gesellschaft für
Unfallchirurgie und der Deutschen Gesellschaft
für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Prof. Frosch ist unfallchirurgisch breit ausgebildet
und erfahren in der Polytraumaund
Schwerverletztenversorgung. Sein klinischer
Schwerpunkt ist die Behandlung
von Kniekomplextraumen, schwersten
Kniegelenksverletzungen, fehlverheilten
Frakturen im Kniegelenksbereich mit intraund
extraartikulären Korrekturosteotomien
sowie der arthroskopischen Chirurgie inkl.
der hinteren Kreuzbandchirurgie. Neben
den bereits bestehenden Schwerpunkten
wie der Wirbelsäulenchirurgie, Neurochirurgie,
Plastischer und Handchirurgie
sowie der Schwerverletztenversorgung soll
insbesondere die Arthroskopische Chirurgie
und die Sporttraumatologie an der
Asklepios Klinik St. Georg weiter ausgebaut
und etabliert werden.
KONTAKT
Prof. Dr. Joachim Röther
Abteilung für Neurologie
Asklepios Klinik Altona
Paul-Ehrlich-Straße 1
22763 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-81 14 00
Fax (0 40) 18 18-81 49 06
E-Mail: j.roether@asklepios.com
Asklepios Klinik Altona:
Neue Leitung der Neurologie
Am 1. Juli übernahm Prof. Dr. Joachim
Röther als Nachfolger von Prof. Dr. Axel
Müller-Jensen die Leitung der Neurologischen
Klinik in der Asklepios Klinik Altona.
Nach dem Medizinstudium und der
Promotion in Marburg begann Röther eine
neurochirurgische (RWTH Aachen) und
neurologische Ausbildung (Universitätsklinikum
Heidelberg/Mannheim). An der
Stanford University, USA, forschte er von
1994 bis 1996 als Stipendiat der Deutschen
Forschungsgemeinschaft über physiologische
Hintergründe der Diffusions- und
Perfusions-MR-Bildgebung. Für diese
Arbeiten wurde er mit dem Hugo-Spatz-
Preis der Deutschen Neurologischen
Gesellschaft ausgezeichnet.
Von 1996 bis 2005 war er als leitender
Oberarzt und C3-Professor an den Neurologischen
Universitätskliniken Jena und
dem UKE Hamburg Eppendorf tätig. Von
2000 bis 2005 leitete er als Chefarzt die
Neurologische und ab 2008 als Ko-Chefarzt
zusätzlich die Geriatrische Klinik des
Johannes Wesling Klinikums Minden.
Prof. Röther ist Präsident der Deutschen
Schlaganfall-Gesellschaft und hat sich in
mehr als 200 wissenschaftlichen Arbeiten
mit der Behandlung des Schlaganfalls
befasst. Er ist als Experte in nationalen und
internationalen Gremien und Studien in
führenden Positionen vertreten, unter
anderem als Gründungsmitglied der European
Stroke Organisation, Mitglied des
Editorial Board der Zeitschriften Journal of
Neuroimaging und Cerebrovascular Disease
und Mitglied des Scientific Board der
European Stroke Conference. Prof. Röther
ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft
„Herz & Hirn“ der Deutschen Schlag -
anfall-Gesellschaft und der Deutschen
Gesellschaft für Kardiologie.
Neben der Schlaganfallbehandlung und
der neurologischen Intensivmedizin liegen
weitere klinische Schwerpunkte von Prof.
Röther in der Behandlung der Multiplen
Sklerose, der Parkinsonerkrankung, der
Demenz und der Hirntumoren. Diese
Schwerpunkte möchte er in der Asklepios
Klinik Altona weiter ausbauen.
Prof. Dr. Günter Seidel
Asklepios Klinik Nord:
Neue Leitung der Neurologie
K O N T A K T
Prof. Dr. Günter Seidel
Abteilung für Neurologie
Asklepios Klinik Nord
Tangstedter Landstraße 400
22417 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-87 30 76
Fax (0 40) 18 18-87 30 69
E-Mail: g.seidel@asklepios.com
Am 1. Juli 2010 übernahm Prof. Dr. Günter
Seidel als Nachfolger von Prof. Dr. Jürgen
Köhler die Leitung der neurologischen
Abteilung in der Asklepios Klinik Nord.
Der bisherige Oberarzt in der Klinik für
Neurologie im Universitätsklinikum
Schleswig-Holstein, Campus Lübeck
wurde 1963 in Dillenburg geboren und studierte
an der Justus-Liebig-Universität in
Gießen. Seidel promovierte im Pharmakologischen
Institut bei Prof. Dreyer zum
Thema „Membranströme in normalen und
Rous-Sarkom-Virus infizierten embryonalen
Hühnerfibroblasten“. Er begann seine
Ausbildung zum Neurologen in der Neurologischen
Uniklinik Gießen unter Prof.
Dorndorf und wechselte nach vier Jahren
an das Universitätsklinikum Schleswig-
Holstein, wo er die Facharztausbildung
abschloss. Seidel absolvierte die Weiterbildungen
„Spezielle neurologische Intensivmedizin“
und „Klinische Geriatrie“. 2000
folgten die Habilitation mit dem Thema
„Die Sonographie des Gehirns zur Erfassung
der zerebralen Makro- und Mikrozirkulation
unter besonderer Berücksichtigung
von Ultraschallkontrastmitteln“ und
die Erteilung der Venia legendi für das
Fach Neurologie.
2004 wurde er zum Außerplanmäßigen
Professor der Medizinischen Fakultät der
Universität zu Lübeck berufen. Seidels wissenschaftliche
Schwerpunkte umfassen
unter anderen die neurovaskuläre Medizin,
Bewegungsstörungen und Demenzerkrankungen.
Er beherrscht das gesamte Spektrum
der klinischen Neurologie. Seine klinischen
Schwerpunkte liegen in der
Schlaganfallbehandlung (Stroke Unit, Primär-
und Sekundärprävention, zerebrale
Personalia
Vaskulitis), der Neurosonologie (extraund
intrakranielle Farbduplexsonographie,
Hirnparenchym- und Muskel-Nerv-Sonographie)
und der Intensivneurologie.
Seidel ist Mitglied mehrerer nationaler
und internationaler Fachgesellschaften
und Autor zahlreicher wissenschaftlicher
Artikel und Buchbeiträge. Daneben ist er
Regionalbeauftragter der Stiftung Deutsche
Schlaganfall-Hilfe.
In der Asklepios Klinik Nord möchte Prof.
Seidel das medizinische Angebot weiter
ausbauen (Schlaganfall, Multiple Sklerose,
Epilepsie, Neuroonkologie) und um die
Schwerpunkte Früh-Rehabilitation und
Bewegungsstörungen erweitern.
Prof. Dr. Günter Seidel
Abteilung für Neurologie
Asklepios Klinik Nord
Tangstedter Landstrasse 400, 22417 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-87 30 76
Fax (0 40) 18 18-87 30 69
E-Mail: g.seidel@asklepios.com
821
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Akutmaßnahmen
beim Schädel-Hirntrauma
Dr. Marcus Lücke, Prof. Dr. Uwe Kehler
Das Schädel-Hirntrauma (SHT) ist definiert als durch äußere Gewalteinwirkung bewirkte Schädigung des
Gehirns, die mit einer mehr oder minder schweren Verletzung des Schädels und der Kopfweichteile einhergehen
kann. Als offenes SHT bezeichnet man dabei eine mit einer Verletzung des Schädels und der Weichteile einher -
gehende Duraverletzung. Unter der primären Hirnschädigung sind die Verletzungen zum Zeitpunkt des Traumas
zu verstehen, die durch eine Abfolge sekundärer Hirnschäden zu einer weiteren Verschlechterung des Verlaufs und
des Endergebnisses führen können. Die sekundären Hirnschäden sind therapeutischer Ansatzpunkt.
Knapp 250.000 Schädel-Hirntraumata werden
in Deutschland pro Jahr registriert.
Davon sind etwa fünf Prozent als schwer
einzuschätzen.
Präklinische Versorgung
Das Schädel-Hirntrauma lässt sich in drei
Grade einteilen (I: leicht, II: mittelschwer,
III: schwer). Die 1953 publizierte Einteilung
von Tönnis beruht auf der Dauer der
Bewusstseinsminderung und ist nur retrospektiv
anwendbar. International üblicher
ist die im Wesentlichen am Bewusstseinsgrad
nach der Glascow Coma Scale (GCS,
Tab. 1) orientierte Einteilung. [1]
Wesentlich für die Erstbeurteilung und
Versorgung sind:
1. genaue Beurteilung der Bewusstseinslage
nach der GCS, dabei insbesondere
auch die Dokumentation des exakten
zeitlichen Verlaufs;
822
2. Bestimmung des neurologischen Status
am Unfallort, dabei mindestens die
konsequente Untersuchung auf fokale
motorische und sensible Defizite der
Pupillenweite, der Lichtreaktion, beim
komatösen Patienten zudem des Cornealreflexes
und die Überprüfung
pathologischer Reflexe;
3. genaue Erhebung und Dokumentation
der Vitalparameter, insbesondere der
Sauerstoffsättigung und des Blutdrucks;
4. andere Verletzungen und Begleit -
umstände wie Intoxikation und
Unterkühlung.
Mit eindeutiger Evidenz sollte der Patient
bei einer GCS unter 9 zum Transport intubiert
werden, da die Aufrechterhaltung
einer suffizienten Oxygenierung und Aspirationsschutz
wichtiger sind als die exakte
Beurteilung der Bewusstseinslage bei Eintreffen
in der Klinik. [2] Dabei sollten jedoch
in jedem Fall die Bewusstseinslage nach
der GCS und der neurologische Status zum
Zeitpunkt der Intubation erhoben und
dokumentiert werden, um in der Klinik
eine Prioritätenhierarchie für Diagnostik
und Erstmaßnahmen sowie eine Prognoseeinschätzung
zu ermöglichen.
Für die medikamentöse Therapie am
Unfallort zur Hirnprotektion besteht keine
evidenzbasierte Empfehlung, mit der Ausnahme,
dass Glukokortikoide aufgrund
eines statistisch schlechteren Ergebnisses
nicht appliziert werden sollten. Die Gabe
von Mannitol zur kurzfristigen Hirndrucksenkung
kann bei schlechtem Status
(Pupillenerweiterung, tiefes Koma) sinnvoll
sein. [3]
Abb. 1: Akutes epidurales Hämatom mit deutlich
raumforderndem Effekt → Indikation zur sofortigen
operativen Entlastung
Klinische Versorgung
Nach Sicherung der Vitalparameter stehen
die neurologische Befunderhebung und
Diagnostik ganz oben auf der Prioritätenliste.
Die Indikation zum CCT nach Schädel-Hirntrauma
besteht bei
■ Bewusstseinsminderung
■ neurologischen Defiziten, die auf eine
Hirnbeteiligung hindeuten
■ Krampfanfall
■ Erbrechen
■ stärkeren mnestischen Störungen
■ Hinweisen auf eine Schädelverletzung
■ Hinweisen auf eine Liquorrhoe
■ Hinweisen auf eine Gerinnungsstörung
(Marcumar!)
Auch wenn der Patient am Unfallort
bewusstseinsklar war und aus anderer
Indikation, etwa zur Schmerztherapie,
intubiert wurde, sollte die Indikation zum
CCT großzügig gestellt werden, insbesondere
wenn die operative Versorgung anderer
Verletzungen ansteht. Nicht zu unterschätzen
ist das sekundäre Auftreten von
Gerinnungsstörungen bei größerem Blut -
umsatz. Auch bei unauffälligem primärem
CCT sollte in so einem Fall eine CCT-Verlaufskontrolle
erfolgen, wenn der Patient
nicht zeitnah angemessen neurologisch
(Extubation) untersucht werden kann.
Bei Vorliegen eines unauffälligen CCT
genügt beim bewusstseinsklaren Patienten
die stationäre Überwachung über 24 Stunden.
Ist der Patient intubiert und sediert,
sollte er schnellstmöglich wach und extubiert
werden, um eine klinische Überwachung
zu ermöglichen.
Zeigt ein auffälliges CCT eine epidurale,
subdurale, intracerebrale oder subarachnoidale
Blutung, ein Hirnödem, einen Hydrocephalus
oder eine andere potentiell le -
bensbedrohliche Raumforderung, sollte der
Neurochirurgie
Abb. 2: SHT mit diffusen Kontusionen ohne aktuellen größeren raumfordernden Effekt und erhaltenen basalen
Cisternen → intensivmedinische Überwachung, Kontroll-CCT nach 4-8 Stunden. Im Falle der prolongierten Beatmung
ggf. Einlage einer Hirndrucksonde
Fall immer einem Neurochirurgen demonstriert
werden. Dieser kann gegebenenfalls
die Indikation zur sofortigen operativen
Intervention stellen oder eine Risikoeinschätzung
und Empfehlung zu weiterem
Monitoring, Therapiemaßnahmen und zur
Prognose abgeben.
Operative Intervention
Bei einer intrakraniellen Raumforderung
(v. a. bei subduralem, epiduralem oder
intracerebralem Hämatom) und unmittelbar
lebensbedrohlichem Status ist eine
sofortige neurochirurgische Entlastung
notwendig. Wenige Minuten können in
solchen Situationen über Leben, Tod oder
die Ausprägung einer irreversiblen Behinderung
entscheiden!
Die Operationsindikation stellt der Neurochirurg
anhand der Gesamtschau aus neurologischem
und allgemein klinischem
823
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Abb. 3: SHT mit Hirnkontusionen und Hirnödem,
zusätzlich Nachweis freier intrakranieller Luft als
Beweis eines offenen SHT → Anlage einer Hirndruck -
sonde, Kontroll-CCT nach 4 – 8 Stunden, bei Nachweis
einer persistierenden Liquorfistel ggf. spätere Deckung
Status, allgemeiner und akuter Anamnese
sowie aktueller Bildgebung und eventuell
auch des Hirndrucks. Gerade bei Grenz -
fällen erfordert diese Entscheidung viel
Erfahrung, da, abgesehen von bestimmten
Hirndruckwerten, für die Indikationsstellung
wenig in Zahlen oder Messwerten
sinnvoll abgebildet werden kann.
824
Punkte Augen öffnen beste sprachliche Äußerung beste motorische Antwort
6 – – gezielt auf Aufforderung
5 – orientiert gezielt auf Schmerzreiz
4 spontan verwirrt ungezielt auf Schmerzreiz
3 auf Ansprache unangemessen Beugen auf Schmerzreiz
2 auf Schmerzreiz unverständliche Laute Strecken auf Schmerzreiz
1 nicht keine keine
Tab. 1: Die Glascow Coma Scale zur international gebräuchlichen Einteilung der Bewusstseinslage.
Die Addition der Punkte aus drei Qualitäten ergibt einen Punktwert von 3 – 15.
Kraniotomie mit Ausräumung einer umschriebenen
raumfordernden Blutung epidural, subdural oder
intracerebral
Kraniektomie, insbesondere bei Hirnödem oder diffusen
Kontusionen, ggf. auch in Kombination mit
der Ausräumung einer umschriebenen Raumforderung,
vor allem einer subduralen oder intracerebralen
Blutung. Dabei evtl. Kryokonservierung eines
großen Knochendeckels zur späteren Re-Implantation.
Dura- und Schädeldachplastik, insbesondere bei
offenem Schädel-Hirntrauma oder Impressionsfraktur.
Bei persistierender Rhinoliquorrhoe und seltener
Otoliquorrhoe evtl. sekundäre Deckung des
Schädelbasisdefekts im Intervall.
Anlage einer intraventrikulären Drainage zur Hirndruckmessung
und ggf. -senkung, insbesondere bei
Vorliegen eines Hydrocephalus.
Anlage einer Hirndruckmesssonde zum Monitoring
einer konservativen Hirndrucktherapie, ggf. zum
Feststellen des richtigen Zeitpunktes für eine
neuerliche CCT-Kontrolle oder operative Therapie.
Tab. 2: Neurochirurgische Interventionen Tab. 3: Konservative Maßnahmen auf der Intensivstation
Konservative Maßnahmen auf der
Intensivstation
In erster Linie ist die Homöostase für
Kreislauf, Ventilation, Körpertemperatur,
Gerinnung und Metabolismus zu wahren.
Operative Maßnahmen ohne notfallmäßige
Indikation sollten zurückgestellt werden,
insbesondere wenn ein größerer Blut -
umsatz und damit verbundene mögliche
Gerinnungsstörungen zu erwarten sind.
Die Schäden, die dadurch im Gehirn entstehen
können, werden niemals wieder
ausheilen! Ist keine eindeutige neurolo -
gische Beurteilung möglich, sollte bei
pathologischem CCT oder adäquatem
Trauma nach 4 – 8 Stunden ein Verlaufs-
CCT erfolgen. Insbesondere bei grenzwertig
raumfordernden Befunden mit noch zu
erwartender Dynamik oder weiteren Risikofaktoren
(schwere zusätzliche Verletzun-
Oberkörperhochlagerung um 30° zur Verbesserung
des venösen Abflusses
kurzfristige Hyperventilation
(CO2 nicht unter 30 – 35 mmHg)
Mannitol oder andere Osmodiuretika
TRIS-Puffer
Senkung der Körperkerntemperatur
antiepileptische Medikation
gen, Operationen) ist ein Hirndruckmonitoring
zu erwägen, wenn prolongierte
Sedierung und Beatmung erforderlich
sind. [4]
Die verschiedenen medikamentösen und
physikalischen Maßnahmen der Hirndrucktherapie
(Tab. 3) dienen der Aufrecht -
erhaltung des Metabolismus des Hirngewebes.
Allerdings ist für keine über die
Analgosedierung und Aufrechterhaltung
der Homöostase hinausgehende medikamentöse
Therapie ein gesicherter Nutzen
belegt, der evidenzbasiert eine generelle
Empfehlung rechtfertigt. Auf die lange
propagierte Anwendung von Glukokortikoiden
sollte aufgrund einer signifikanten
Steigerung der 14-Tages-Letalität verzichtet
werden. [5]
Abb. 4: BU
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Prognose und Nachbehandlung
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Generell liegt die Letalität beim schweren
SHT bei etwa 25 Prozent. [6] Entscheidend
für die Prognose des weiteren Lebens eines
polytraumatisierten Patienten ist meist das
Ausmaß der persistierenden Ausfälle und
kognitiven Einschränkungen als Folge der
ZNS-Schädigung. In der Akutphase ist,
wenn nicht eindeutige Grenzparameter
überschritten sind, eine Prognoseeinschätzung
oft sehr schwierig, die Verläufe sind
auch sehr unterschiedlich. Beim schweren
SHT treten die entscheidenden funktionellen
Besserungen innerhalb der ersten drei
Monate ein, das Endstadium ist erst nach
einem Jahr und später zu erwarten. Um
die Neuroplastizität maximal auszuschöpfen,
ist dabei auch die statusangepasste
stufenweise früh einsetzende Rehabilitationsbehandlung
wesentlich.
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Literatur
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[1] Bullock R, Chesnut RM, Clifton G, et al. Guidelines for
the management of severe head injury. Brain Trauma Foundation.
Eur J Emerg Med. 1996 Jun; 3(2): 109-27.
[2] Gabriel EJ, Ghajar J, Jagoda A, et al. Guidelines for prehospital
management of traumatic brain injury. J Neurotrauma.
2002 Jan; 19(1): 111-74.
[3] Roberts I, Schierhout G, Wakai A. Mannitol for acute
traumatic brain injury. The Cochrane Database of Systematic
Reviews 2003, Issue 2. Art. No.: CD001049
[4] Balestreri M, Czosnyka M, Hutchinson P, et al. Impact
of intracranial pressure and cerebral perfusion pressure on
severe disability and mortality after head injury. Neurocrit
Care. 2006; 4(1): 8-13.
[5] CRASH Trial Collaborators. Effect of intravenous corticosteroids
on death within 14 days in 10008 adults with
clinically significant head injury (MRC CRASH trial):
randomised placebo-controlled trial. Lancet (2004) 364:
1321-28.
[6] Penrod: Prognosis. In Marion (ed) Traumatic Brain injury.
Thieme: 135-40.
Kontakt
Prof. Dr. Uwe Kehler
Dr. Marcus Lücke
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Neurochirurgie
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Neurochirurgie
Neurozentrum und Wirbelsäulenzentrum
Asklepios Klinik Altona
Paul-Ehrlich-Straße 1
22763 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-81 16 71
Fax (0 40) 18 18-81 49 11
E-Mail: m.luecke@asklepios.com
Guidelines
http://www.aans.org/education/clinical%20_guidelines.asp
http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/008-001.htm
825
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Das erworbene
von Willebrand-Syndrom
Prof. Dr. Ulrich Budde, Dr. Sonja Schneppenheim, Dr. Hala El Abd-Müller, Dr. Rita Dittmer
Das 1926 erstmals durch Erik von Willebrand beschriebene von Willebrand-Syndrom (VWS) ist die häufigste
vererbbare Bluterkrankheit, die Männer und Frauen aller Ethnien gleichermaßen betrifft. Das erworbene VWS
gilt als sehr viel seltener und wurde daher deutlich später erstmals beschrieben. Es ist davon auszugehen, dass es
häufig übersehen wird, vor allem wenn Erfahrungen mit diesen Patienten fehlen. Grundsätzlich können alle
Disziplinen mit diesen Patienten in Kontakt kommen und bei vielen wird die Diagnose noch nicht gestellt sein.
Daher ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf diese Hämostasestörung zu wecken und diagnostische Wege
aufzuzeigen. Vor allem ist es wichtig zu wissen, dass Blutungen nicht nur durch erniedrigte Gerinnungseiweiße
ausgelöst werden können, sondern auch bei nicht selten exzessiv erhöhten Faktoren, wenn diese Faktoren
dysfunktionell sind.
Synthese und Funktion des
von Willebrand-Faktors (VWF)
Syntheseorte für den VWF sind ausschließlich
Endothelzellen und Megakariozyten.
Die Synthesewege sind komplex (Abb. 1)
und es entstehen Multimere gleicher
Zusammensetzung, jedoch, abhängig von
der Anzahl der Monomere, unterschiedlicher
Größe zwischen 500 – 20000 KD.
Die Größe der Multimere wird durch die
Metalloprotease (ADAMTS13) reguliert.
Der im Blut zirkulierende VWF ist das Produkt
aus Synthese, Speicherung, Sekretion
und Modifikation im Kreislauf. Der VWF
bewirkt gemeinsam mit dem subendothelialen
Collagen und Thrombozyten den primären
Wundverschluss.
826
Pathomechanismus und häufigste
Grundkrankheiten des erworbenen von
Willebrand-Syndroms (eVWS)
Bei den meisten Patienten mit eVWS wird
der VWF in normaler, nicht selten sogar
erhöhter Konzentration synthetisiert und
ins Plasma sekretiert. Die quantitativen
und/oder qualitativen Veränderungen des
VWF entstehen erst nach der Synthese
durch unterschiedliche Pathomechanismen,
die typisch für die jeweiligen Erkrankungen
sind, jedoch nicht selten in Kombination
auftreten (Tab. 1).
Durch (1) pathologisch erhöhten Scherstress
wird der VWF aktiviert und bindet
vermehrt an seine Rezeptoren. Der gebundene
VWF unterliegt anschließend einer
Proteolyse durch ADAMTS13, die zu
einem Verlust der großen Multimere und
gesteigerter Bildung proteolytischer Fragmente
führt. Das eVWS bei angeborenen
Herzfehlern wurde bereits 1986 beschrie-
ben. [4]
Im Erwachsenenalter fallen vor allem
Patienten mit Aortenstenosen [10] durch eine
hämorrhagische Diathese auf. Die Koinzidenz
von Aortenstenose und gastrointestinalen
Blutungen ist als Heyde Syndrom
(1958) bekannt. Aktuelle Publikationen [9]
berichten vor allem bei Herzunterstützungssystemen
(sog. künstlichen Herzen)
über gravierende, sogar tödliche Blutungskomplikationen
(Abb. 2). Ein weiterer
Mechanismus für ein eVWS im höheren
Alter ist die durch arteriosklerotische Prozesse
induzierte zunehmende Einengung
des Gefäßlumens im arteriellen Gefäßsystem.
Erreicht hierdurch der Scherstress
pathologische Werte, kommt es zum Verlust
großer Multimere.
Bei krankhaft erhöhten Thrombozytenzahlen
sind die (2) Rezeptoren auf der Thrombozytenoberfläche
expandiert. Die an sich
physiologische Adhäsion in Gebieten mit
hohem Scherstress entfernt dadurch
vermehrt die besonders aktiven großen
Multimere aus dem Plasma. Auch hier
werden sie nach erfolgter Bindung durch
ADAMTS13 proteolysiert, so endgültig aus
Abb. 1: Biosynthese des VWF in der Endothelzelle; ER = endoplasmatisches retikulum; WP = Weibel-Palade-Körperchen
dem Plasma entfernt und es lassen sich die
vermehrten proteolytischen Fragmente
nachweisen. Dabei nimmt die proteolytische
Spaltung exponentiell mit steigender
Thrombozytenzahl zu. [7]
Zu den häufigen Komplikationen myeloproliferativer
Erkrankungen zählen
Thrombose und Blutungen, die nicht selten
gleichzeitig auftreten. Während unterhalb
einer Thrombozytenzahl von 1.000 x 109/l
Thromboembolien führend sind, herrschen
bei Zahlen über 2.000 x 109/l Blutungen
vor. Zwischen 1.000 und 2.000 x 109/l können
beide Komplikationen, nicht selten
sogar gleichzeitig, auftreten. [1]
Das eVWS bei lymphoproliferativen
Erkrankungen geht meist mit einer deutlichen
Verminderung des VWF und einem
Verlust der großen Multimere einher.
Angeschuldigt werden (3) spezifische oder
unspezifische Autoantikörper, die zur
Immunkomplexbildung und verstärkter
Elimination des VWF führen. Allerdings
entgehen diese Antikörper meist dem
Nachweis. Da in vielen Fällen der VWF
stark vermindert ist, wird der F VIII nicht
ausreichend stabilisiert mit der Folge einer
kombinierten Störung der primären und
sekundären Hämostase. Daher haben diese
Patienten gravierende Blutungskomplikationen,
die sich vor allem in Form großflächiger
Hautblutungen oder gastrointestinaler
Blutungen darstellen. Bei monoklonaler
Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS)
oder Myelom vom Typ IgG ist der VWF fast
immer dysfunktionell (erworbener Typ 2
[Abb. 3]). Dagegen haben Patienten mit
einer monoklonalen Gammopathie vom
Typ IgM meist einen erworbenen Typ 1
(Abb. 4).
Nicht selten führt eine (4) verstärkte Proteolyse
durch ADAMTS13 (spezifisch für
den VWF) oder andere Proteasen wie Plasmin
oder Calpain (nicht spezifisch) zum
Verlust großer Multimere. Die durch
ADAMTS13 hervorgerufene verstärkte
Proteolyse wurde bereits für kardiovaskuläre
und myeloproliferative Erkrankungen
beschrieben. Sie tritt jedoch auch bei der
terminalen Niereninsuffizienz und bei
Behandlung mit Ciprofloxacin auf. Eine
Hämostaseologie
durch Plasmin induzierte verstärkte Proteolyse
wurde für die primäre und sekun -
däre Hyperfibrinolyse, aber auch für die
Lysetherapie beschrieben.
Eine (5) verminderte Synthese des VWF
induziert ein eVWS Typ 1 (Hypothyreose).
Bei einer Reihe von mit einem eVWS einhergehenden
Erkrankungen wie einem
eVWS nach Behandlung mit Valproinsäure,
Viruserkrankungen (z. B. chronische Hepatitis
C) oder Hepatopathien, Amyloidose,
Glykogenspeicherkrankheit Typ 1 und Turner
Syndrom ist bisher kein Pathomechanismus
bekannt.
Um den Blick für das erworbene VWS zu
schärfen, hat die ISTH eine Website eingerichtet,
auf der Patienten mit erworbenem
VWS diskutiert werden können und die
aktualisierte Literatur sowie Adressen von
Ärzten mit besonderer Erfahrung auf
diesem Gebiet zu finden sind
(IntREaVWS.com / intreavws.com).
Epidemiologie
Das eVWS tritt wesentlich seltener auf als
das angeborene VWS, dürfte jedoch auch
unterschätzt werden. Die von Thiede et
al. [9] beschriebenen 35 Patienten aus einem
Zentrum waren wie folgt verteilt: kardiovaskulär
46 Prozent, lymphoproliferativ
31 Prozent, myeloproliferativ 3 Prozent.
Die Patienten mit kardiovaskulären
Erkrankungen hatten eine extrem hohe
Mortalität innerhalb von zwei Jahren
(50 %), jedoch war in keinem Fall das
eVWS ursächlich. Die Patienten mit den
schwersten Blutungssymptomen (lymphoproliferative
Erkrankungen) hatten alle
überlebt. Bei den übrigen Patienten waren
zwölf Prozent verstorben. Die Blutungsfrequenz
war mit 19 Prozent pro Jahr hoch,
mit 34 Prozent noch höher war die Notwendigkeit
für einen operativen Eingriff in
den nächsten zwei Jahren. Dies zeigt, dass
eine exakte Abklärung eine sehr hohe Priorität
hat.
827
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Abb. 2: VWF Multimere bei einem Patienten mit „Kunst herz“ (2) und im normalen Plasma (1). Bei A handelt es sich
um ein Gel mittlerer Auflösungsfähigkeit (gute Auftrennung der individuellen Oligomere in Triplets), bei B um ein
Gel niedriger Auflösungsfähigkeit (bessere Darstellung des Verlustes großer Multimere). C stellt das Gel niedriger
Auflösungsfähigkeit densitometrisch dar. Der Verlust der großen Multimere (Pfeil auf der Grenze zwischen großen
und mittelgroßen Multimeren) ist eindeutig erkennbar.
Abb. 3: Vergleich der VWF Multimere eines Patienten mit MGUS vom Typ IgG (4) und im normalen Mischplasma (3).
Bei D handelt es sich um ein Gel mittlerer Auflösungsfähigkeit (gute Auftrennung der individuellen Oligomere in
Triplets), bei E um ein Gel niedriger Auflösungsfähigkeit (bessere Darstellung des Verlustes großer Multimere). Eine
Triplet-Struktur ist praktisch nicht vorhanden. Es handelt sich also um nicht-prozessierten VWF (zu kurze Verweildauer
im Plasma). C stellt das Gel niedriger Auflösungsfähigkeit densitometrisch dar. Der Verlust der großen Multimere
(Pfeil auf der Grenze zwischen großen und mittelgroßen Multimeren) ist eindeutig erkennbar.
Klinische Symptome
Leitsymptom des klassischen VWS ist die
verlängerte Schleimhautblutung: Blutungen
nach Zahnextraktion, Epistaxis, Blutungen
aus dem Magen-/Darmtrakt und
dem Urogenitalsystem sowie Blutungen
nach arteriellen Punktionen und Blutungen
nach Einnahme von Aggregationshemmern
oder Coumarinen.
828
Diagnostik
Zur Bestätigung eines erworbenen von
Willebrand-Syndroms müssen zunächst die
auch bei dem angeborenen VWS notwendigen
Tests eingesetzt werden (Tab. 2 und 3).
Der Verdacht auf eine erworbene Form er -
fordert eine sorgfältige Erhebung der Eigenund
Familienanamnese. Bei Verdacht auf
ein erworbenes VWS, das durch Antikörper
gegen den VWF ausgelöst ist, kommt
die Suche nach diesen Antikörpern hinzu. [3]
Spezifische oder unspezifische Autoantikörper, die
zur Immunkomplexbildung und verstärkter Elimination
des VWF führen
■ Lymphoproliferative Erkrankungen
■ Neoplasien
■ Immunologische Erkrankungen
Adsorption des VWF an maligne Zellklone oder andere
Zelloberflächen
■ Lymphoproliferative Erkrankungen
■ Neoplasien
■ Myeloproliferative Erkrankungen
■ pathologischer Scherstress
Verstärkte Proteolyse des VWF
spezifisch
■ Myeloproliferative Erkrankungen
■ pathologischer Scherstress
■ Urämie
■ Ciprofloxacin
unspezifisch (Plasmin)
■ primäre Hyperfibrinolyse
■ sekundäre Hyperfibrinolyse
■ Lysetherapie
Pathologischer Scherstress
■ kongenitale Herzerkrankungen
■ Aortenstenose
■ Herzunterstützungssysteme
■ Endokarditis
■ Gefäßmalformationen
(M. Osler, Kasabach-Merritt-Syndrom)
■ schwere Arteriosklerose
Verminderte Synthese
■ Unterfunktion der Schilddrüse
Unbekannt
■ Valproinsäure
■ Viruserkrankungen
■ Hepatopathien
■ Amyloidose
■ Glykogenspeicherkrankheit Typ 1
Viruserkrankungen
■ Turner-Syndrom
Tab. 1: Pathogenetische Mechanismen bei verschiedenen
Erkrankungen [6]
A) Global- und Suchteste
Eigen- und Familienanamnese
(Blutungszeit)
PFA-100 oder vergleichbare Instrumente
aPTT
Blutbild
F VIII-Aktivität
B) Spezifische Teste
VWF-Antigen (VWF:Ag)
Ristocetin cofactor Aktivität (VWF:RCo)
Collagen Bindungskapazität (VWF:CB)
C) Teste spezialisierter Laboratorien
VWF Multimere
VWF-Propeptid (VWF:AgII)
Antikörper gegen den VWF
Tab. 2: Teste zur Diagnostik des eVWS
Therapie
Die Behandlung der Grundkrankheit hat in
vielen Fällen die besten Erfolgsaussichten.
Wie bei dem angeborenen VWS stehen
auch hier mit dem Desmopressin und den
zugelassenen F VIII/VWF-Konzentraten
zwei Hauptprinzipien der Behandlung zur
Verfügung. Dabei sind aber die Besonderheiten
des eVWS zu beachten. Sowohl
FVIII/VWF-Konzentrate als auch Desmospressin
wirken initial blutstillend bei myeloproliferativen
Erkrankungen. Die Korrektur
ist jedoch von deutlich kürzerer Dauer
als bei dem angeborenen VWS. Außerdem
kann die Normalisierung des VWF thromboembolische
Komplikationen zur Folge
haben. Gut belegt sind der schlechte
Anstieg und die erheblich verkürzte Halbwertzeit
nach Infusion von FVIII/VWF-
Konzentraten und Desmopressin bei
Patienten mit lymphoproliferativen
Erkrankungen und monoklonaler Gammopathie.
[5] Bei Nachweis von monoklonalem
IgG ist die Anwendung von HDIgG meist
erfolgreich, allerdings nur passager. Beim
Typ IgM einer monoklonalen Gammopathie
ist HDIgG wirkungslos. Hier bleibt
lediglich die symptomatische Behandlung,
zum Beispiel mit rekombinantem F VIIa.
assoziierte Erkrankung
n (%)
VWF: Ag (median)
Bereich
VWF: CB (median)
Bereich
Ratio VWF: Ag / VWF: CB
(median) Bereich
Tab. 3: Laborbefunde bei den von uns im Jahr 2009 diagnostizierten Patienten mit erworbenem VWS
Literatur
kardiovaskulär
45 (32 %)
167 %
52 – 602
137 %
36 – 478
0,77
0,3 – 1,02
[1] Budde U, Schäfer G, Müller N, et al. Acquired von
Willebrand’s disease in the myeloproliferative syndrome.
Blood 1984; 64: 981-85.
[2] Coppes MJ, Zandvoort SWH, Sparling CR, Poon AO,
Weitzman S, Blanchette VS. Acquired von Willebrand dis -
ease in Wilm’s tumor patients. J Clin Oncol 1992; 10: 422-7.
[3] Federici AB, Rand JH, Bucciarelli P, et al. Acquired von
Willebrand syndrome: Data from an international registry.
Thromb Haemost 2000; 84: 345-9.
[4] Gill JC, Wilson AD, Endres-Brooks J, Montgomery RR.
Loss of the largest von Willebrand factor multimers from
plasma of patients with congenital cardiac defects. Blood
1986; 67: 758-61.
[5] Michiels JJ, Budde U, van Genderen PJJ, et al. Acquired
von Willebrand Syndromes: Clinical features, etiology,
pathophysiology, classification and management. Best
Pract Clin Haematol 2001; 14: 401-36.
[6] Schneppenheim R, Budde U. von Willebrand-Syndrom
und von Willebrand-Faktor. UNI-MED Verlag AG Bremen-
London Boston 2. Aufl. 2006.
[7] Shim K, Anderson PJ, Tuley EA, Wiswall E, Sadler E.
Platelet-VWF complexes are preferred substrates of
ADAMTS13 under fluid shear stress. Blood 2008; 111:
651-57.
[8] Simone JV, Cornet JA, Abildgaard CF: Acquired von
Willebrand’s syndrome in systemic lupus erythematodes.
Blood 1968; 31: 806-11.
lymphoproliferativ
26 (19 %)
15,5 %
6– 50
6%
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010
Medizinische Versorgung im Zentrum
Die MVZ Nord GmbH
der Asklepios Kliniken Hamburg
Dr. Hans-Martin Stubbe
Das Gesetz zur Modernisierung der
gesetzlichen Krankenversicherung
(GMG) vom 14. November 2003
erlaubt seit dem 1. Januar 2004
neben Vertragsärzten und Ermächtigten
Ärzten auch Medizinischen
Versorgungszentren die Teilnahme
an der ambulanten Versorgung
gesetzlich Krankenversicherter.
Die Asklepios MVZ Nord GmbH wurde
am 27. Juni 2007 im Rahmen einer außer -
ordentlichen Sitzung des Zulassungsausschusses
der KV Hamburg zugelassen und
nahm am 1. September 2007 ihre Tätigkeit
auf. Unternehmensziel ist die Komplettierung
des medizinischen Angebotes im
niedergelassenen Bereich. Hier deckt sich
das Ziel des Gesetzgebers, Ärztinnen und
Ärzten eine weitere Möglichkeit der
niedergelassenen Tätigkeit zu eröffnen, mit
unserer Intention. Weder ist beabsichtigt,
Arztpraxen in „lukrative“ Stadtteile zu
verlegen, noch für Einweisungen in die
eigenen Krankenhäuser zu sorgen. Um
dies zu dokumentieren, gab die Asklepios
MVZ Nord GmbH bereits am 18. Juni 2008
eine freiwillige, öffentliche Selbstverpflichtungserklärung
gegenüber der Kassenärztlichen
Vereinigung Hamburg ab, die dies
ausschließt. Zu keinem Zeitpunkt wurde
seither gegen diese Selbstverpflichtung
verstoßen.
Die Standorte unserer Gesundheitszentren
befinden sich durchweg in eher strukturschwachen
Gegenden Hamburgs und im
Umland. Diese Strategie wird weiter verfolgt.
Somit ist für uns der Westen Hamburgs
nicht Blankenese sondern Osdorf.
Mit der Errichtung der Asklepios MVZ
830
MVZ NORD
MVZ Labor Altona
Labormedizin
Dr. Otte
Dr. Dittmer
Dr. El Abd-Müller
MVZ Harburg
Gynäkologie, Psychiatrie,
Orthopädie, Allg. Med.,
Chirurgie, Kinderchirurgie,
Gefäßchirurgie, Psychologie
Dr. Unger
Dr. Ude
Dr. Bosse
Dr. Bonitz-Swoboda MVZ Seevetal
Dr. Hütter
Gynäkologie, Orthopädie
Dr. Halsner
Dr. Gheorgiu
Prof. Dr. Kallinowski Dr. Reichle
Dr. Daum
Hr. Maack
Dr. Richter
Hr. Kleinschmidt
Dr. Zebidi
Dipl.-Psych. Fränzi Martens
Dipl.-Psych. Ziegler
Dr. Johnsen (AKB)
Nord GmbH haben die Asklepios Kliniken
Hamburg Vertragsärzten die Möglichkeit
gegeben, auch nach Übergabe der Praxis
ohne wirtschaftliche Zwänge weiter ärztlich
tätig zu sein. Auf diese Weise können
sie dem wachsenden Problem, geeignete
MVZ Bergedorf
Innere Medizin,
Orthopädie, Gynäkologie,
Psychiatrie
Dr. Sliwiok
Dr. Weidenfeld
Dr. Friedrichs
Fr. Ballnus
Dr. Godat
Dr. Stammer (AKW)
Fr. Kossin
MVZ Heidberg-Ochsenzoll
Pädiatrie, Radiologie,
Neurochirurgie,
Psychiatrie, Psychologie,
Innere Medizin
Dr. Theobald Hormann
Fr. Wolf
PD Dr. Veelken
Dipl.-med. Wagner
Prof. Dr. Kremer et al.
Hr. Jungfer
Dipl.-Psych. Ziertmann
Dipl.-Psych. Heumann
Dr. Nagel
MVZ Mitte
Kardiologie, Psychiatrie,
Physiotherapie, Chirurgie
Dr. Hinrichs
Dr. Peschel
Hr. Gensch
PD Dr. Niemeyer
Dr. Flügel
MVZ Geesthacht
Allg. Med., Orthopädie
Dr. Hadaschick
Dr. Logmani
Dr. Pietschmann
Fr. Radzko
Praxisnachfolger zu finden, aus dem Wege
gehen. Vielmehr haben sie nun sogar die
Möglichkeit, ihre Erfahrung und ihr Wissen
über einen selbst gewählten Zeitraum
auf die Nachfolgerin oder den Nachfolger
zu übertragen. Wie regelmäßige, wissen-
„In einer gesundheitspolitisch unsicheren Zeit gibt
uns der Anschluss an den Asklepios-Konzern mehr
finanzielle Sicherheit. Unsere Arbeitsplätze und die
unserer Mitarbeiterinnen sind gesichert und es
besteht die Möglichkeit, einer Teilzeittätigkeit nachzugehen.
Im Umfeld des Konzerns ist die Urlaubsvertretung
möglich somit ist die Kontinuität der
Patientenbetreuung gesichert. Der interdisziplinäre
Austausch wird gefördert und der Kontakt zu den
Kliniken wird enger.“
Dr. Edmund Hütter
Dr. Peter Halsner
MVZ Harburg
schaftliche Untersuchungen im Unternehmen
zeigen, erwächst aus diesem sanften
Übergang auch für unsere Patienten mehr
Sicherheit und Zufriedenheit.
Die Medizinischen Versorgungszentren
können aber auch für jüngere Kollegen
eine interessante Option sein: Hier haben
sie die Chance, ohne finanzielle Risiken
eigenständig ambulant zu arbeiten. Sie
nutzen sowohl die Sicherheit eines großen
Unternehmens als auch die häufig besseren
Arbeitsbedingungen in einer Praxis. Die
bisherigen Erfahrungen zeigen, dass auch
der Wegfall von Nacht- und Wochenenddiensten
durchaus ein Argument bei der
Entscheidung für diesen ärztlichen Tätigkeitsbereich
ist.
Gemäß der Selbstverpflichtung, die im
September 2009 noch einmal in Form einer
eidesstattlichen Erklärung des Geschäftsführers
bekräftigt wurde, gibt es auch
keine Anweisungen an die Mitarbeiter, bei
Klinikeinweisungen bestimmte Kliniken zu
bevorzugen.
Eine oft über Jahrzehnte gewachsene oder
durch die räumliche Nähe geprägte
Zusammenarbeit mit Krankenhäusern
anderer Träger wird auch unter dem Dach
der Asklepios MVZ Nord GmbH gepflegt
und im besten Fall sogar weiter ausgebaut.
Denn der aufgeklärte Patient mit seiner
Entscheidungssouveränität steht auch hier
im Vordergrund.
Unter diesen Vorgaben hat sich die Asklepios
MVZ Nord GmbH sehr positiv ent -
wickelt, derzeit sind hier 61 Ärzte und
Psychologen mit Voll- oder Teilzeitverträgen
angestellt. Auch künftig wird das
Unternehmen innerhalb der selbst gesetzten
und der vom Gesetzgeber vorgegebenen
Regeln weiter wachsen – ohne die
Interessen niedergelassener Ärzte oder
anderer Krankenhäuser zu verletzen. Sollte
Medizinische Versorgungszentren
einmal ein anderer Eindruck entstehen,
sind wir für Hinweise dankbar und zu
jeder Zeit gesprächsbereit.
Kontakt
Dr. Hans-Martin Stubbe
Geschäftsführer
Asklepios MVZ Nord GmbH
Lohmühlenstraße 5, Haus W
20099 Hamburg
Tel. (0 40) 18 18-85 26 50
Fax (0 40) 18 18-85 26 59
E-Mail: h.stubbe@asklepios.com
831
ISSN 1863-8341
Geschichte der Medizin
Vom guten Eiter bis zum Schnellverband:
Die Geschichte der Wundversorgung
Jens Oliver Bonnet
Die Wundversorgung mit Verbandsmaterialien
aus Blättern, Harzen oder Rinden
ist vermutlich so alt wie die Menschheit
selbst, auch wenn Aufzeichnungen dar -
über nicht einmal 5.000 Jahre zurück reichen:
Papyrusrollen aus dem alten Ägypten
beschreiben Verletzungen, die mit in
Öl und Honig getränktem feinen Leinen
verbunden wurden.
Bereits Hippokrates (460 – 375 v. Chr.) un -
terschied Schnittwunden ohne Verunreinigung
von komplizierten Verletzungen mit
abgestorbenem Gewebe. Schnittwunden
reinigte er mit Wein oder abgekochtem
Regenwasser, vernähte sie und ließ sie unter
mit starkem Rotwein getränkten Leinen -
kompressen primär heilen. Verschmutzte
oder entzündete Wunden mussten dagegen
schnell durch den Vorgang der Eiterung
gebracht werden, offen bleiben und
sekundär heilen. Nach der Vier-Säfte-Lehre
interpretierte Hippokrates die Entzündung
als Säftestau, der durch Eiterung aufgelöst
werden kann. Obwohl die Ärzte der Antike
weder weiße Blutkörperchen noch
Bakterien kannten, ahnten sie bereits die
Bedeutung der verschiedenen Eiterformen:
Weißer Eiter galt als günstig (Pus bonum et
laudabile), dünnflüssiger oder stinkender
Eiter dagegen als prognostisch ungünstig. [1]
In speziellen Fällen riefen die Ärzte gezielt
eine Eiterung hervor, wenn die Wunde
nicht primär verheilen konnte. Bei Entzündungszeichen
in primär heilbaren Wunden
trugen sie dagegen entzündungshemmende
Mineralstoffe und Kräuter auf. Um die
Wundeiterung in zerklüfteten und verschmutzten
Wunden zu stimulieren, brachte
Hippokrates in Wein abgekochte Schafswolle
in die Wunde ein – dabei achtete er
auf größtmögliche Reinlichkeit. Aulus
Cornelius Celsus (ca. 25 v. Chr. – 50 n. Chr.)
erwähnt in seinen Schriften Techniken der
Blutstillung und der Kauterisation durch
www.medtropole.de
Hilfe zur Selbsthilfe: der erste Pflasterschnellverband
Ausbrennen der Wunde mit einem heißen
Eisen, [1] Claudius Galen (129 – 216 n. Chr.)
beschreibt bereits 108 verschiedene Verbände,
darunter die bis heute gebräuchlichen
Schildkröten- und den Kornährenverbände.
Im kirchlich geprägten Mittelalter gab es
nur wenige Ärzte in Diensten der Adligen
und Reichen, während die medizinische
Versorgung der Bevölkerung vor allem
durch Bader, Barbiere, Scherer und „weise
Frauen“ geleistet wurde. [2] Das im Mittel -
alter verbreitete Einbringen von Schmutz
in primär heilbare Wunden beruhte vermutlich
auf einer Fehlinterpretation des
Hippokratischen Konzeptes des lobenswerten
Eiters. Eine bahnbrechende Entdeckung
machte der französische Barbier
Ambroise Paré (1510 – 1590), der als Militärchirurg
die bis dahin mit kochendem
Holunderöl kauterisierten Schusswunden
mit einem Digestivum aus Eigelb, Rosenöl
und Terpentin bestrich, weil ihm während
eines Gefechts das Öl ausging: Den so
Behandelten erging es erheblich besser als
ihren kauterisierten Kameraden. [3]
1865 entdeckte Louis Pasteur, dass Gärung
und Fäulnis durch mikroskopisch kleine
Lebewesen verursacht werden. Joseph Lister
erkannte, dass diese Keime für Wundinfektionen
verantwortlich waren und
führte 1867 den mit Karbolsäure getränkten
Wundverband ein, der die Todesraten
in den Kliniken deutlich senkte. [4] Einen
weiteren Meilenstein legte der Tübinger
Chirurg Viktor von Bruns 1870 mit der
Erfindung der hydrophilen Verbandwatte,
indem er Baumwolle bleichte und entfettete.
1874 beschrieb Lister ein Verfahren zur
Herstellung eines keimabtötenden Wundverbands,
der Listerschen Carbolgaze.
1922 brachte die Hamburger Firma Beiersdorf
mit dem Hansaplast Schnellverband
mit Mullkissen den ersten Pflasterverband
auf den Markt, der eine eigenständige Versorgung
kleiner Verletzungen durch den
Patienten ermöglichte. Bis dahin erforderten
selbst Bagatellverletzung professionelle
Hilfe. 1962 legte Georg Winter den Grundstein
für die moderne feuchte Wundbehandlung
sekundär heilender Wunden. [5]
Literatur
[1] Majno G. The Healing Hand – Man and Wound in the
Ancient World, Harvard University Press, Cambridge 1975.
[2] Ackerknecht EH. Geschichte der Medizin, 5. Auflage,
Stuttgart 1986: 75.
[3] Forrest, R. D.: Development of wound therapy from the
dark ages to the present, Journal of the Royal Society of
Medicine 1982, Bd. 75: 268-73.
[4] Lister J. On a new method of treating compound
fracture, abscess, etc., The Lancet. 1867; 45: 326-29.
[5] Winter GD. Formation of the scab and the rate of epithelization
of superficial wounds in the skin of the young
domestic pig. Nature. 1962; 193: 293-4.
BUCHTIPP
W. Sellmer, A. Bültemann, W. Tigges
Wundfibel: Wunden versorgen, behandeln, heilen
193 S.; MWV 2010; € 24,95
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