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betrugsaufklaerung_neu.pdf - EVU e.V.

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INSTITUT FÜR UNFALLANALYSEN<br />

Betrugsaufklärung durch Unfallanalysen<br />

Institut für Unfallanalysen<br />

Dipl.-Ing. Michael Weber<br />

Ö. b. u. v. Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle<br />

Borgweg 6, 22303 Hamburg<br />

Tel. 040-63 60 99 88 Fax. 040-63 60 99 86<br />

www.unfallforensik.de (enthält das Lexikon der Unfallrekonstruktion)<br />

SV@unfallforensik.de<br />

Abstract<br />

Die wesentlichen Betrugsarten und die Motive<br />

der Betrüger werden in diesem Artikel erläutert.<br />

Ihre Kenntnis ist Voraussetzung für einen<br />

sicheren Umgang mit Betrugsfällen. Es wird<br />

dargelegt, welche Beweissicherung zur Vorbereitung<br />

einer gerichtlichen Auseinandersetzung<br />

im vermuteten Betrugsfall notwendig<br />

ist. Beim Nachweis verabredeter oder fingierter<br />

Schadenereignisse sowohl vorprozessual<br />

als auch in Gerichtsverfahren besitzt der Unfallanalytiker<br />

eine Schlüsselstellung. Die Methoden<br />

des technischen Nachweises werden<br />

erklärt, und danach folgen praktische Hinweise<br />

zu nützlichen Hilfsmitteln und Techniken.<br />

Beispiele erläutern die theoretischen Konzepte.<br />

Einführung<br />

In den letzten Jahrzehnten haben Versicherungsgesellschaften<br />

in Deutschland, der<br />

Schweiz und Österreich eine starke Zunahme<br />

an betrügerischen Schadenersatzansprüchen<br />

festgestellt. Für dieses Phänomen gibt es verschiedene<br />

Ursachen. Die Hauptursache ist sicher,<br />

dass der Normalbürger kein Unrechtsbewusstsein<br />

hat, wenn er die anonyme Versicherungsgesellschaft<br />

betrügt, und außerdem<br />

ist das Risiko, dabei ertappt zu werden, sehr<br />

gering. Wird ein Versicherungsbetrug dann<br />

doch einmal bewiesen, besteht nur ein geringes<br />

öffentliches Interesse an der Sanktion.<br />

Versicherungsbetrug wird in weiten Teilen der<br />

Gesellschaft als Kavaliersdelikt angesehen.<br />

Eine Vorstellung zur Größenordnung des Betruges<br />

zum Nachteil von Versicherungen vermittelt<br />

Abbildung 1. Diese Zahlen wurden von<br />

der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung)<br />

erhoben und publiziert. Das Datenmaterial<br />

basieren auf persönlichen Befragungen einer<br />

repräsentativen Verbrauchergruppe. Eine der<br />

gestellten Fragen war, ob sie ihre Versicherungsgesellschaft<br />

in den letzten fünf Jahren<br />

betrogen haben. In der Kfz-Haftpflicht beantworteten<br />

7 % diese Frage freimütig mit Ja, in<br />

der Allgemeinen Haftpflicht sogar 20 %! Da<br />

nur eine Teil der Befragen offen antwortet, ist<br />

die Dunkelziffer bei derartigen Interviews sehr<br />

hoch.<br />

Versicherungssparte Zugegebener Betrug<br />

in Prozent<br />

Allg. Haftpflicht 19 %<br />

Hausrat 15 %<br />

Kfz-Haftpflicht 7.3 %<br />

Kfz-Kasko 5.5 %<br />

Abb. 1: GfK-Studie


Nach meiner persönlichen Einschätzung, basierend<br />

auf 17 Jahre Berufserfahrung mit Betrugsaufklärung,<br />

dürfte zwischen 15 % bis<br />

25 % der für Unfallschäden mit Kfz ausgezahlten<br />

Versicherungssummen auf Betrugshandlungen<br />

entfallen. Hierin mit einbezogen sind<br />

die vielen kleinen Schummeleien, wie Verschweigen<br />

von Vorschäden und der weit verbreitete<br />

Abrechnungsbetrug der mit der Unfallreparatur<br />

beauftragen Werkstätten.<br />

In dem folgenden Bericht wird ausschließlich<br />

auf Betrugsaufklärung in Verbindung mit<br />

Kraftfahrzeugen eingegangen. In dieser Sparte<br />

gehen sehr zurückhaltende Schätzungen von<br />

einem jährlichen finanziellen Schaden von<br />

4 Mrd. DM aus, der auf Betrügereien mit<br />

Kraftfahrzeugen zurückzuführen ist. Nach den<br />

von mir genannten Zahlen ergibt sich sogar<br />

ein Schaden von 7 bis 12 Milliarden DM.<br />

Durch die Deregulierung des Marktes stehen<br />

die Versicherungsgesellschaften unter einem<br />

enormen Kostendruck. Bei dem Versuch, ihre<br />

Kosten zu reduzieren, gehen sie unterschiedliche<br />

Wege. Die meisten Gesellschaften setzen<br />

zur Zeit auf „kundenfreundliche und offensive<br />

Schadenregulierung“. Unangenehme Fragen<br />

werden erst gar nicht gestellt, das spart Personal<br />

und die Kunden freuen sich über die<br />

schnelle und komplikationslose Regulierung.<br />

Hierdurch ergeben sich -kurzfristig betrachtetbeträchtliche<br />

Personaleinsparungen.<br />

Erste statistische Auswertungen zeigen aber<br />

bereits als negativen Trend, dass der Schadenaufwand<br />

der Versicherungen trotz stagnierender<br />

oder rückläufiger Unfallstatistiken der<br />

Polizei stark ansteigt.<br />

Die Hauptursache für diesen Trend setzt sich<br />

zweifellos die fehlende Prüfung der Anspruchsgrundlage<br />

und –höhe. Infolge der<br />

Seite 2<br />

stimulierenden Erfahrungen der Geschädigten<br />

mit dieser „kundenfreundlichen Regulierungspraxis“<br />

wird sich diese Tendenz in den<br />

kommenden Jahren durch zunehmende Betrugshandlungen<br />

aller Gruppen noch erheblich<br />

verstärken. Bei der Abrechnung von Versicherungsschäden<br />

ist es ähnlich, wie bei der<br />

Steuererklärung und der Abrechnungspraxis<br />

der Ärzte:<br />

Fehlende Kontrolle fördert den Betrug!<br />

Bei dem zweiten Weg, den einige Gesellschaften<br />

beschreiten, beschränkt sich die Betrugsbekämpfung<br />

nicht auf Lippenbekenntnisse<br />

und die Anschaffung von Betrugssoftware zur<br />

automatisierten Prüfung . Sie verfügen über<br />

gut ausgebildete Spezialabteilungen, die verdächtige<br />

Fälle in der Schadenbearbeitung herausfiltern,<br />

Recherchen durchführen und bei<br />

Bestätigung des Betrugsverdachtes die ungerechtfertigten<br />

Ansprüche energisch bekämpfen.<br />

Die vorliegenden Analysen zur Rentabilität<br />

gut ausgebildeter, auf Effizienz ausgerichteter<br />

Betrugsabteilungen belegen eine auch<br />

den Skeptiker überzeugende Bilanz zwischen<br />

Kosten und Nutzen, selbst wenn die Präventivwirkung<br />

der Betrugsprüfung auf das zukünftige<br />

Verhalten der Versicherten unberücksichtigt<br />

bleibt.<br />

Wird ein Betrug aufgedeckt, kommt es in der<br />

Regel nicht mehr zur Zivilklage des Anspruchstellers.<br />

Nur in einigen Fällen mündet<br />

die Ablehnung der ungerechtfertigten Ansprüche<br />

in einem Zivilprozess, bei dem der Betrüger<br />

als Kläger auftritt. In diesen Gerichtsverfahren<br />

beantragen die streitenden Parteien<br />

die Einholung eines Sachverständigengutachtens.<br />

Die Richter beauftragen einen unabhängigen<br />

Unfallanalytiker mit der technischen<br />

Untersuchung des Falles.


Motive für Versicherungsbetrug mit Kraftfahrzeugen<br />

In den meisten Ländern wird die Schadenregulierung<br />

(Reparatur oder auch die Ersatzbeschaffung<br />

eines beschädigten Fahrzeugs) von<br />

der Versicherungsgesellschaft weitgehend<br />

vorgegeben. Im Unterschied hierzu hat in<br />

Deutschland, Österreich und der Schweiz das<br />

„Opfer“ eines Unfalls das Privileg, die Reparaturkosten<br />

einzufordern, ohne dazu verpflichtet<br />

zu sein, das Fahrzeug tatsächlich zu reparieren.<br />

Die erforderlichen Reparaturkosten werden<br />

von einem Sachverständigen für Schäden und<br />

Bewertung ermittelt, der von dem Opfer ausgesucht<br />

werden kann. Oft genügt sogar der<br />

Kostenvoranschlag einer Werkstatt. In<br />

Deutschland lautet die übliche Bezeichnung<br />

für diesen Vorgang „fiktive Abrechnung“. Sie<br />

ist durch die BGH-Rechtssprechung trotz Europäisierung<br />

nach wie vor gedeckt.<br />

Es liegt auf der Hand, dass ein Anspruchsteller<br />

hieraus keinen Vorteil ziehen kann, wenn er<br />

ein vor dem Unfall tadelloses Fahrzeug in einer<br />

Fachwerkstatt sach- und fachgerecht reparieren<br />

lässt. Wenn aber eine Reparatur nur<br />

teilweise durchgeführt wird, gebrauchte Teile<br />

eingesetzt werden oder die Reparatur in einer<br />

Hinterhof-Werkstatt realisiert wird, kann im<br />

Regelfall über die Hälfte der normalen Reparaturkosten<br />

eingespart werden, und das ist bei<br />

einem tatsächlichen Unfall völlig legal.<br />

In zahlreichen aufgedeckten Betrugsfällen habe<br />

ich anhand der Geständnisse von Serientätern<br />

die tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten<br />

zu den fiktiv abgerechneten in Beziehung<br />

gesetzt. Dabei ergab sich bei den zuvor<br />

nicht beschädigten und nach dem Unfall<br />

äußerlich tadellos reparierten Fahrzeugen ein<br />

Seite 3<br />

Gewinn von durchschnittlich 80 %. Es wurden<br />

also nur 20 % der ausgezahlten Summe für die<br />

Reparaturausführungen aufgewendet. Zusätzliche<br />

Gewinnmöglichkeiten liegen vor, wenn<br />

statt unbeschädigter Fahrzeuge bereits vorgeschädigte<br />

oder unzureichend reparierte Fahrzeuge<br />

eingesetzt werden.<br />

Aufgrund dieser Möglichkeit der fiktiven Abrechnung<br />

werden von vielen Kriminellen Unfälle<br />

absichtlich herbeigeführt, in denen meist<br />

hochwertige Fahrzeuge eingesetzt werden.<br />

Solange die Versicherungsgesellschaft des<br />

„schuldigen Fahrers“ jedes Mal gewechselt<br />

wird, gibt es nur ein sehr geringes Risiko,<br />

durch Betrugssoftware, Checklisten und<br />

Warndateien aufgedeckt zu werden. Besonders<br />

in Großstädten gehen viele organisierte<br />

Betrügerbanden deshalb diesem erträglichen<br />

Erwerbszweig nach. Die vielen, jedes Jahr aufgedeckten<br />

Betrugsringe mit bis zu 100 Personen<br />

stellen noch einmal die Spitze des Eisbergs<br />

dar.<br />

Aber auch Otto-Normalverbraucher profitieren<br />

ohne jegliches Schuldbewusstsein von<br />

Versicherungsbetrügereien. Um Geld nach einem<br />

selbstverschuldeten Schaden zu erlangen,<br />

ist es weit verbreitet, den Unfallbericht so<br />

anzupassen, dass eine Anspruchsgrundlage<br />

entsteht. Hier leisten die in direktem Kontakt<br />

mit dem Geschädigten stehenden Versicherungsvertreter<br />

und –makler den Anspruchstellern<br />

oftmals noch Schützenhilfe. Sie fassen eine<br />

Beratung in Sachen Versicherungsbetrug<br />

als Kundenservice auf.


Die wichtigsten vier Betrugsarten:<br />

1. Der verabredete Unfall<br />

Nach diesem ersten modus operandi findet<br />

der Crash tatsächlich statt. Er wird von allen<br />

Beteiligten geplant und zu einer verabredeten<br />

Zeit ausgeführt. Häufig wird dem Schadenereignis<br />

ein offizieller Anstrich gegeben, in dem<br />

die Polizei gerufen wird, damit sie einen Unfallbericht<br />

schreibt. In diesen Fällen wird der<br />

Unfall an Ort und Stelle aufgeführt. In anderen<br />

Fällen, in denen kein offizieller Polizeibericht<br />

vorliegt, wird der Unfall oft auf einem<br />

privaten Gelände gestellt, auf dem die Betrüger<br />

arbeiten können. Für die Schadenmeldung<br />

an die Versicherung wird er auf eine für Unfallstory<br />

geeignete Straße verlagert.<br />

2. Der provozierte Unfall<br />

In diesen Fällen haben wir einen Täter und ein<br />

Opfer. Der Täter plant den Unfall und führt<br />

ihn alleine aus. Das Opfer ist bezüglich des<br />

tatsächlichen Ablaufs ahnungslos. Das Szenario<br />

wird immer so gewählt, dass der Anscheinsbeweis<br />

für den Täter spricht. Hier die<br />

gebräuchlichsten Vorgehensweisen:<br />

• Provozierte Auffahrkollision<br />

Das Opfer wird von einer plötzlichen und<br />

starken Bremsung des vor ihm befindlichen<br />

Fahrzeugs überrascht. Nach dem Unfall hat<br />

der Täter eine plausible Entschuldigung für<br />

dieses Bremsmanöver, beispielsweise ein<br />

Fußgänger, der die Fahrbahn betreten hat<br />

oder ein Ampelphasenwechsel von Grün<br />

auf Gelb. Sogar wenn der Sicherheitsabstand<br />

des Nachfolgenden ausreicht, kann<br />

ein Auffahren mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

erreicht werden, wenn der Täter dafür<br />

sorgt, dass die Bremsleuchten seines Fahrzeugs<br />

nicht in Betrieb sind. Hierzu genügt<br />

Seite 4<br />

es bei den meisten modernen Kraftfahrzeugen,<br />

die Zündung direkt vor der Bremsung<br />

durch eine rasche Schlüsseldrehung<br />

auszuschalten und dann direkt nach dem<br />

Crash wieder einzuschalten.<br />

Eine erst kürzlich aufgedeckte Variante ist<br />

das Auflauern von Fahrzeugen, die vor einem<br />

Abbiegestreifen den „Standstreifen“<br />

in unzulässiger Weise zur Vorbeifahrt an<br />

einer stehenden Fahrzeugschlange ausnutzen.<br />

Der Täter befindet sich innerhalb der<br />

Schlange in Höhe des Abbiegestreifens.<br />

Dort richtet er seinen Spurwechsel zum<br />

Abbiegen so knapp ein, dass das vom<br />

Standstreifen kommende Fahrzeug auf das<br />

Täterfahrzeug auffahren muss. Für die hinzugerufene<br />

Polizei ist die Schuldfrage sofort<br />

eindeutig geklärt: Auffahrunfall nach<br />

unzulässiger Standstreifennutzung.<br />

• Vorfahrtsfalle<br />

In einer alltäglichen Situation, bei der der<br />

Täter die Vorfahrt besitzt, verzichtet er gegenüber<br />

einem diesem Vorfahrtsrecht untergeordnetem<br />

Fahrzeug bewusst auf Abwehrmaßnahmen.<br />

Oft ermuntert er den<br />

untergeordneten Fahrzeugführer durch<br />

langsame, defensive Fahrweise noch zum<br />

Einscheren oder Einbiegen. Anstatt zu<br />

bremsen oder auszuweichen, beschleunigt<br />

er anschließend und steuert auf das Fahrzeug<br />

des Opfers zu.<br />

Abbildung 2 zeigt das Beispiel eines Unfalls,<br />

der ganz offensichtlich in dieser Form provoziert<br />

wurde.<br />

• Spurwechselmethode<br />

Der Täter wählt hierzu eine Örtlichkeit, in<br />

der nicht ortskundige Fahrer häufig gezwungen<br />

werden, einen plötzlichen Spur-


wechsel durchzuführen. Der Täter versteckt<br />

sich im „toten Winkel“ der Seitenspiegel<br />

des Opfers und beschleunigt, sobald der<br />

Spurwechsel eingeleitet wird. Nachdem die<br />

Sicht- Sight<br />

Obstruction<br />

hindernis<br />

Abb. 2: Vorfahrtsfalle<br />

Der Täter nutzt bei seiner Annäherung das<br />

Sichthindernis geschickt aus. Die dennoch überraschend<br />

schnell erfolgende Ausweichreaktion<br />

seines Opfers nach links verleitet ihn dazu,<br />

ihm in die Gegenfahrbahn zu folgen. Diese<br />

Verhalten kann nur durch eine vorsätzliche<br />

Handlung plausibel erklärt werden<br />

Streifkollision mit dem Opfer beendet ist,<br />

stoppt der Täter sofort mit einer spurzeichnenden<br />

Abbremsung, um damit seine<br />

Querposition innerhalb des eigenen Fahrstreifens<br />

und den Spurwechselvorgang des<br />

Opfers gegenüber der Polizei nachzuweisen.<br />

3. Der ausgenutzte Unfall<br />

Nach einem zufälligen Unfallereignis versucht<br />

der Geschädigte, eine höhere Schadensumme,<br />

als gerechtfertigt, zu erlangen. Entweder verschweigt<br />

er bereits bestehende Unfallschäden<br />

oder Mängel an seinem Fahrzeug oder vergrößert<br />

die tatsächlichen Unfallschäden. Die<br />

zweite Möglichkeit macht allerdings nur Sinn,<br />

wenn eine fiktive Abrechnung erfolgt.<br />

Seite 5<br />

Das Verschweigen von Vorschäden und unrichtige<br />

Angaben zum Wert eines Fahrzeugs<br />

sind auch in der Normalbevölkerung sehr weit<br />

verbreitet. Diese Verhalten ließe sich seitens<br />

der Versicherung nur durch einen kritischen<br />

Umgang mit jedem einzelnen Schadenfall<br />

eindämmen. Die vorsätzliche Schadenausweitung<br />

erfreut sich insbesondere bei Reparaturwerkstätten<br />

größter Beliebtheit. Stellt der Geschädigte<br />

bei einem unverschuldeten Unfall<br />

der Werkstatt eine Abtretungserklärung aus,<br />

werden häufig vor dem Eintreffen des Schadensachverständigen<br />

geschickt platzierte Einbeulungen<br />

an zuvor unbeschädigten Teilen<br />

vorgenommen oder korrekt passende Bauteile<br />

werden verstellt, um einen Verzug vorzutäuschen.<br />

Die Verdienstmöglichkeiten bei diesen<br />

Maßnahmen sind enorm. Mit wenigen Handgriffen<br />

lassen sich in Minuten einige Tausender<br />

zusätzlich verdienen. Das Entdeckungsrisiko<br />

des Betrügers geht hier gegen Null, da fast<br />

nie festzustellen ist, wer für die Schadenausweitung<br />

(Halter, Werkstatt oder der großen<br />

Unbekannte) verantwortlich ist.<br />

Die von verschiedenen Versicherungen auch<br />

bei sog. Vertrauenswerkstätten durchgeführten<br />

Stichproben haben ergeben, dass fast in<br />

jedem Schadenfall erheblich höhere Werkstattkosen<br />

geltend gemacht werden, als tatsächlich<br />

erforderlich. Nach Versicherungsangaben<br />

liegt mittlerweile fast jeder Bagatellschaden<br />

ohne Besichtigung knapp unterhalb<br />

der Grenze für eine Reparaturfreigabe.<br />

Aufgrund dieses Verhalten werden die erzielten<br />

Einsparung eines Schadengutachtens<br />

durch die in diesem Abschnitt genannten Betrugsvarianten<br />

zum ausgenutzten Unfall und<br />

überhöhte Werkstattkosten mehr als aufgezehrt.


4. Der Papier-Unfall<br />

Der gegenüber der Versicherungsgesellschaft<br />

gemeldete Unfall hat nie stattgefunden. Die in<br />

den Unfall verwickelten Fahrzeuge waren nie<br />

in Kontakt. Die Schäden sind entweder manuell<br />

erzeugt oder kommen aus einem Vorunfall.<br />

Häufig werden schwer beschädigte Unfallwagen<br />

preiswert angekauft und wieder zugelassen.<br />

Sie erleiden dann –angeblich vollständig<br />

repariert- nach kurzer Zeit einen weiteren<br />

schweren Unfall, für den die Versicherung<br />

aufkommen soll.<br />

Frühzeitige Beweissicherung<br />

Bei verdächtigen Schadenfällen muss eine<br />

möglichst rasche Reaktion durch die Versicherung<br />

erfolgen. Die an dem verdächtigen Schadenfall<br />

beteiligten Fahrzeuge sind unbedingt<br />

–auch repariert- zu besichtigen. Die Recherchen<br />

nach dem Verbleib werden meist von<br />

den Beteiligten mit der lapidaren Auskunft:<br />

„ins Ausland verkauft“ oder „schon verschrottet“<br />

beantwortet. In diesen Fällen lohnt sich<br />

immer eine Nachprüfung beim SVA und anderen<br />

Stellen, da diese Angaben häufig falsch<br />

sind.<br />

Weiterhin ist eine zeitnahe Besichtigung der<br />

Unfallstelle sehr aufschlussreich. In der unter<br />

Punkt 4 genannten Gruppe der Papierunfälle<br />

sind dort überhaupt keine unfalltypischen<br />

Spuren wie Glassplitter, Brems- und Schleuderspuren<br />

vorhanden. In der Regel fehlt bei<br />

einem behaupteten Hindernisanprall ein für<br />

die Verursachung der Schäden in Frage kommender<br />

Kontaktpartner, wie z. B. eine passende<br />

Leitplanke oder Straßengraben.<br />

Eine frühzeitige, möglichst getrennte Befragung<br />

der Beteiligten nach dem genauen Unfallablauf,<br />

die in allen Einzelheiten nachvollziehbar<br />

protokolliert sein muss, verhindert ei-<br />

Seite 6<br />

ne nachträgliche Anpassung der Unfallschilderung.<br />

Für diese frühere Beweissicherung kann mittlerweile<br />

auch auf hierauf spezialisierte Schadenermittler<br />

zurückgegriffen werden, wenn<br />

im eigenen Haus keine freie Kapazitäten vorhanden<br />

sind.<br />

Digitale Fotografie<br />

In den kommenden Jahren ist davon auszugehen,<br />

dass die digitale Fotografie die konventionelle<br />

Kleinbildfotografie mit Negativen<br />

weitgehend verdrängen wird. Für die normale<br />

Schadenaufnahme und die Dokumentation<br />

der Sicht- und Fahrbahnverhältnisse an der<br />

Unfallstelle ist die Verwendung digitaler Fotografie<br />

unbedenklich. Bei der Dokumentation<br />

von Spurenbilder sollte jedoch auch in Zukunft<br />

eine konventionelle Kamera eingesetzt werden.<br />

Im direkten Vergleich zwischen einer 3.3 Megapixel<br />

Bilddatei, die mit einer Digitalkamera<br />

der <strong>neu</strong>sten Generation aufgenommen wurde,<br />

und einem normalen Kleinbildnegativ<br />

24*36mm zeigt sich die chemische Fotografie<br />

haushoch überlegen. Obwohl man bei einem<br />

postkartengroßen Ausschnitt bei flüchtiger<br />

Betrachtung keinen Unterschied bemerkt, hat<br />

das Negativ etwa zehnmal so viele Informationen<br />

gespeichert wie das Digitalfoto. Diese<br />

versteckten Informationen sind in der Regel<br />

für den Nachweis der Betrugshandlung entscheidend.<br />

Die Praxis der letzten Jahre zeigt eine katastrophale<br />

Entwicklung: Viele Schadensachverständige<br />

fotografieren mit wesentlich zu geringen<br />

Auflösungen. Selbst Versicherungssachverständige<br />

und große Sachverständigen-<br />

Organisationen arbeiten mit Auflösungen von


1,1 Megapixel und teilweise sogar noch darunter.<br />

Diese Gutachten sind - auch wenn nur<br />

eine Schadenbewertung in Auftrag gegeben<br />

wurde - nicht sach- und fachgerecht erstellt.<br />

Es bestehen durchaus Möglichkeiten, den<br />

Sachverständigen für den hierdurch entstandenen<br />

Schaden (z.B. fehlende Aufklärungsmöglichkeiten<br />

in einem Betrugsprozess) in<br />

Regress zu nehmen. Derartige Gutachten sollten<br />

auch grundsätzlich nicht bezahlt und<br />

Nachbesserung verlangt werden. Stand der<br />

Technik sind heute mindestens Auflösungen<br />

von 3 Megapixel oder analoge Fotos mit Negativen.<br />

Wenn schon eine digitale Schadenaufnahme<br />

durchgeführt wird, sollte zumindest auf eine<br />

geeignete Fotodokumentation der Spuren geachtet<br />

werden. Sie besteht aus Übersichtsfotos,<br />

Verbindungsfotos zu den Ausschnittfotografien<br />

und viele Ausschnittsfotos der Spurendetails.<br />

Nur so lässt sich beweiskräftig dokumentieren,<br />

ob z.B. Farbauftrag oder Farbabrieb<br />

vorhanden war, welche Kraftrichtung tatsächlich<br />

vorlag, welche Tiefe die Einbeulung<br />

hatte u.s.w. Auf diese Details kommt es später<br />

an, Zweifel gehen häufig im Betrugsprozess<br />

zulasten der Versicherung!<br />

Als Faustregel gilt: Zehnmal mehr, sorgfältig<br />

ausgesuchte Fotoaufnahmen sind zur digitalen<br />

Schadendokumentation notwendig.<br />

Bei Betrugsverdacht sollte man sich nicht mit<br />

den meist schlechten Tintenstrahl- oder Laserausdrucken<br />

in den Akte zufrieden geben,<br />

sondern in jedem Fall die digitalen Daten aller<br />

Fotos (auch der nicht gedruckten) über E-Mail<br />

oder auf CD gespeichert anfordern.<br />

Weiterhin sind digitale Fotos nicht „dokumentenecht“.<br />

Bei geschicktem Vorgehen lassen sie<br />

Seite 7<br />

sich ohne nachweisbare Spuren im Datenmaterial<br />

beliebig Veränderungen vornehmen.<br />

Ein Beispiel verdeutlicht die Möglichkeiten:<br />

Wer käme schon bei einem roten Fahrzeug<br />

mit Frontschaden auf der rechten Seite darauf,<br />

dass er den gleichen Schaden an einem<br />

schwarzen Fahrzeug an der linken Seite zwei<br />

Tage zuvor schon einmal reguliert hat? Mit einem<br />

Computerprogramm zur Fotobearbeitung<br />

realisiert diese Manipulation jeder<br />

Grundschüler.<br />

Technische Nachweismöglichkeiten<br />

Im allgemeinen soll die Untersuchung durch<br />

den technischen Sachverständigen in zwei<br />

Schritten durchgeführt werden. Zunächst wird<br />

die Kompatibilität untersucht. Nach einer vorgegebenen<br />

Systematik wird dabei analysiert,<br />

ob die Beschädigungsmuster der beteiligten<br />

Fahrzeuge zueinander passen.<br />

Ist dies der Fall, dann kann die Plausibilität der<br />

Unfallentwicklung nach den Schilderungen<br />

der Beteiligten und Zeugen geprüft werden.<br />

Bei diesem zweiten Schritt wird auf die Ergebnisse<br />

der Kompatibilitätsanalyse z. B. Anstoßkonfiguration,<br />

Bremszustand und Anstoßgeschwindigkeiten<br />

zurückgegriffen.<br />

In den meisten Fällen stehen die Fahrzeuge für<br />

eine Untersuchung nicht mehr zur Verfügung<br />

und der Sachverständige muss mit den in den<br />

Akten enthaltenen Schadenfotografien auskommen.


Kompatibilität<br />

Die allgemeine Vorgehensweise besteht aus<br />

vier aufeinanderfolgenden Arbeitsschritten:<br />

• Morphologie<br />

Es werden dreidimensionale Abbildungen<br />

der Größe und Ausbildung der Deformationen<br />

angefertigt, hierzu werden die Fotografien<br />

ausgewertet und auf maßstäbliche<br />

Zeichnungen übertragen, wie aus Abb. 3<br />

ersichtlich. Oder es werden direkt Maße<br />

von einem Fahrzeug aus der gleichen Bauserie<br />

genommen und ausgewertet.<br />

• Anstoßkonfiguration<br />

Die Fotografien müssen nach eindeutigen<br />

Deformationsmustern abgesucht werden,<br />

um die Anstoßkonfiguration festzulegen.<br />

Heck des gestoßenen Fahrzeugs. Der Pfeil weist<br />

auf den Abdruck des Scheinwerfers hin.<br />

Front des auffahrenden Fahrzeugs. Der rechte<br />

Scheinwerfer ist zerbrochen<br />

Abb. 3: Ableiten der Verformungslinien aus den Fotografien<br />

Seite 8<br />

Diese Anstoßkonfiguration besteht aus<br />

Überdeckung, Anstoßwinkel und Höhenzuordnung.<br />

Z. B. passt der in Abb. 3 markierte<br />

runde Abdruck am Heckstoßfänger des gestoßenen<br />

Fahrzeugs zu dem Scheinwerfer<br />

des stoßenden Fahrzeugs. Dies führt auf<br />

die Anstoßkonfiguration in diesem Beispiel,<br />

die in Abb. 4 dargestellt ist: 80 % Überdeckung,<br />

kein nennenswerter Längsachsenwinkel<br />

und bremsbedingt vor dem Stoß<br />

eingetauchte Fahrzeugfront des stoßenden<br />

Fahrzeugs.<br />

Beschreibung der Deformationslinie auf einer<br />

maßstäblichen Grundrissdarstellung.<br />

Deformationslinie an der Front


Abb. 4: Aus dem Scheinwerferabdruck abgeleitete<br />

Anstoßposition der Fahrzeuge<br />

• Detaillierte Schadenanalyse<br />

Basierend auf die Anstoßkonfiguration, die<br />

in dem letzten Arbeitsschritt erarbeitet<br />

wurde, kann jedes Detail der Deformationsmuster<br />

genau untersucht werden. Für<br />

jeden Abdruck muss es ein Gegenstück in<br />

der gefundenen Anstoßposition geben. Die<br />

Deformationslinien der Kontaktzonen müssen<br />

übereinstimmen, wie in Abb. 5 dargelegt.<br />

• Vergleich der Schadenintensitäten<br />

Insbesondere dann, wenn ein Intensitätsvergleich<br />

nicht als letzter Schritt durchgeführt<br />

wird, kann es zu einer Fehlbeurteilung<br />

kommen. Da die Steifigkeitsverteilung<br />

an den Karosseriestrukturen oftmals stark<br />

unterschiedlich ausfallen, wird häufig ohne<br />

Seite 9<br />

Abb. 5: Die übereinstimmenden Verformungslinien<br />

zum Zeitpunkt der maximalen Eindringung<br />

genau Analyse der Struktursteifigkeit der<br />

Kontaktzonen der Rückschluss gezogen,<br />

dass die Schäden nicht kompatibel seien.<br />

Ein anschauliches Beispiel hierfür zeigt<br />

Abb. 6. Oftmals hängt die Steifigkeit der<br />

Karosserieteile auch stark von der Krafteinwirkungsrichtung<br />

ab oder es kommt zu<br />

einem Kontakt einer sehr weichen Zone,<br />

(wie z.B. der Frontmaske oberhalb des<br />

Stoßfängers) mit einer sehr harten, wie z.B.<br />

einem Heckstoßfänger mit integriertem<br />

Stahlprofil. Diese Konstellation ist sogar typisch<br />

für eine normale Auffahrkollision mit<br />

einem abwehrgebremsten Fahrzeug (vgl.<br />

Abb. 7).


Plausibilität<br />

Obwohl die Verformungen an den beteiligten<br />

Fahrzeugen passen, kann ein Schadenereignis<br />

durchaus fingiert sein. Wie schon bei den Erläuterungen<br />

zur fiktiven Abrechnung ausgeführt,<br />

ist es durchaus möglich, auch Gewinn<br />

zu erzielen, wenn ein unbeschädigtes Fahrzeug<br />

verwendet wird. Bei der absichtlichen<br />

Beschädigung relativ <strong>neu</strong>er Fahrzeuge achten<br />

die Betrüger darauf, nur oberflächliche Beschädigungen<br />

zu produzieren. Es werden dann<br />

zwar <strong>neu</strong>e Teile in der Kalkulation berücksichtigt,<br />

tatsächlich erfolgt die Reparatur jedoch<br />

durch ausbeulen. Jeder Unfall ist – per Definition<br />

– das Ergebnis eines unfreiwilligen Ereignisses.<br />

Der Anspruchsteller muss deshalb beweisen,<br />

dass die ihm entstandenen Schäden<br />

unfreiwillig eingetreten sind. Wie die Erfahrung<br />

zeigt, ist es jedoch nicht so einfach, ein<br />

Unfallereignis mit absichtlichen Fahrmanövern<br />

zu simulieren. Die in technischen Gutachten<br />

häufig beobachteten Fehler sind:<br />

• Fehlen von Abwehrreaktionen<br />

Obwohl sich aus der Unfallentwicklung<br />

nachweisen lässt, dass genügend Zeit für<br />

Seite 10<br />

Abwehrreaktionen vorhanden war, lassen<br />

sich keine Anzeichen für Bremsen oder<br />

Ausweichen innerhalb der Unfallentwicklung<br />

finden. Der einleuchtendste Indikator<br />

ist sicher das Fehlen von Bremsspuren an<br />

der Unfallstelle (gilt nur für Kraftfahrzeuge<br />

ohne ABS). Um auch bei fehlenden Spuren<br />

auf der Fahrbahn ein Bremsmanöver festzustellen,<br />

können die Anstoßhöhen an beiden<br />

Fahrzeugen verglichen werden. Bei einem<br />

bremsbedingten Eintauchen kommt<br />

es zu einer deutlichen Abweichung zu den<br />

statisch vorliegenden Höhen, die bei ungefähr<br />

8 cm liegen. Ein Beispiel für ein<br />

bremsbedingtes Eintauchen zeigt Abb. 7.<br />

• Ungewöhnliche Unfallentwicklungen<br />

Bei der Auswertung normaler Verkehrsunfälle<br />

stellt man fest, dass in den meisten Situationen<br />

beide Fahrzeuge bis zum Anstoß<br />

in Bewegung sind. Wird das Unfallereignis<br />

verabredet, dann kann dies nur bei gleichgerichtetem<br />

Verkehr, wie z. B. Auffahrkollision,<br />

Streifkollisionen und Anstoßvorgängen<br />

gegen Leitplanken erreicht werden. Je<br />

mehr die Anstoßrichtungen der Fahrzeuge<br />

Abb. 6: Beispiel für abweichende Schadensintensitäten.<br />

Obwohl das Heck des Audi mehr als 20 cm eingedrückt ist, liegen in der Front des BMW bis auf eine<br />

Deformation der Stoßfängerelemente keine Deformationen vor


sich der Senkrechten nähern, desto schwieriger<br />

wird es, die Fahrmanöver zu koordinieren.<br />

Es ist so gut wie unmöglich, eine<br />

Seitenkollision mit einem aus der untergeordneten<br />

Straße herauskommenden Fahrzeug<br />

realistisch nachzustellen. Ein wesentliches<br />

Merkmal von fingierten Unfällen<br />

nach diesem modus operandi ist, dass das<br />

bevorrechtigte Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt<br />

steht. Dies kann sehr leicht aus<br />

den Fahrzeugbewegungen nach der Kollision<br />

und den Deformationsmustern an den<br />

Fahrzeugen nachgewiesen werden.<br />

Nachweis der absichtlichen Herbeiführung<br />

Wird ein parkendes Fahrzeug absichtlich angefahren,<br />

dann ergibt sich oft aus den Fahrzeugbeschädigungen<br />

ein außerordentlich<br />

großer Winkel. Mit Hilfe einer Kompatibilitätsanalyse<br />

lässt sich die Winkelgröße ermitteln<br />

und durch eine Plausibilitätsprüfung der<br />

Vorsatz nachweisen. Bei provozierten Unfällen<br />

verfolgt der Täter häufig sein Opfer in eine<br />

ungewöhnlichen Anstoßposition (vgl. Abb. 2).<br />

Normalhöhe<br />

der Front<br />

Infolge Bremsenseingetauchte<br />

Front<br />

Seite 11<br />

Abb. 8 zeigt den Unterschied einer unfreiwilligen<br />

und einer absichtlichen Seitenkollision im<br />

Bereich einer Kreuzung. In einem tatsächlichen<br />

Unfall hat der bevorrechtigte Fahrer<br />

keine Zeit, seine Geschwindigkeit noch vor der<br />

Kollision herabzusetzen. Die noch verbleibende<br />

Geschwindigkeit nach dem Stoß führt in<br />

eine ausgedehnte Auslaufbewegung. Im Unterschied<br />

dazu führt ein stehendes Fahrzeug<br />

bei einem verabredeten Unfall nur eine seitliche<br />

Auslaufbewegung durch. Auch hier lässt<br />

sich der eindeutige Nachweis durch eine kombinierte<br />

Betrachtung (Kompatibilität und<br />

Plausibilität) führen.<br />

Wie meine praktischen Erfahrungen in den<br />

letzten 17 Jahre gezeigt haben, werden auch<br />

heute noch unzählige Betrügereien nach dieser<br />

Spielart ausgeführt, aber leider nur in wenigen<br />

Fällen als Betrug entlarvt.<br />

Abb. 7: Ein Bremsvorgang vor dem Anstoß führt zu einer stark höhenversetzten Aufprallposition<br />

Normalhöhe<br />

des Hecks


STOP<br />

Verabredetes Schadenereignis Normaler Verkehrsunfall<br />

Abb. 8: Vergleich der Auslaufbewegungen des bevorrechtigten Fahrzeugs<br />

Simulierte Verletzungen<br />

Um nach einem Unfall Schadenersatz und<br />

Schmerzensgeld zu erhalten, geben Betrüger<br />

oftmals Verletzungen an. Dabei müssen sie<br />

sich auf Verletzungen beschränken, die nicht<br />

durch eine medizinische Untersuchung objektiviert<br />

werden können. Im allgemeinen handelt<br />

es sich dabei um Weichteilverletzungen.<br />

Sehr weit verbreitet sind Halswirbeltraumata<br />

nach Auffahrkollisionen, aber auch nach unverschuldeten<br />

Frontalkollisionen und Seitenanstößen.<br />

Ein Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle<br />

kann die biomechanische Belastung ermitteln,<br />

die bei einem Anstoß auf die Insassen<br />

in dem Fahrzeug gewirkt hat. Aufbauend auf<br />

dieses Material kann dann ein medizinischer<br />

Experte beurteilen, ob diese Belastung ausreichend<br />

war, um zu der behaupteten Verletzung<br />

zu führen.<br />

Es ist bemerkenswert, dass die meisten HWS-<br />

Verletzungen in einem Bereich der kollisions-<br />

Seite 12<br />

STOP<br />

bedingten Geschwindigkeitsänderung unterhalb<br />

von 15 km/h anzusiedeln ist. Eine noch<br />

nicht abgeschlossene Studie, die Prof. Dr.<br />

Castro vom Orthopädischen Forschungsinstitut<br />

in Zusammenarbeit mit mir durchgeführt<br />

hat, zeigt, dass in diesem Geschwindigkeitsbereich<br />

nur Belastungen der Halswirbelsäule<br />

vorliegen, die auch bei im Alltag und bei sportlichen<br />

Betätigungen auftreten und dort nicht<br />

zu Verletzungen führen.<br />

In Deutschland werden jährlich mehr als<br />

1 Mrd. für Schmerzensgelder nach etwa<br />

400.000 angegebener Halswirbelsäulenverletzungen<br />

gezahlt. Hier gibt es noch ein enormes<br />

Einsparungspotential, wenn die ungerechtfertigt<br />

erhobenen Ansprüche abgewehrt werden.<br />

Wie auf dem 34. Verkehrsgerichtstag in Goslar<br />

richtungsweisend beschlossen, sollten die<br />

hierdurch eingesparten Beträge den in ihrer<br />

Gesundheit schwer geschädigten Unfallopfern<br />

zugute kommen.


Weitere Betrugsmethoden<br />

Von privaten Haftpflichtversicherungen werden<br />

in Deutschland etwa 50 % für Schäden<br />

bezahlt, die an Kraftfahrzeugen entstehen. Die<br />

Betrugsrate ist in diesem Bereich besonders<br />

hoch. Das hauptsächliche Ziel dabei ist es, ein<br />

Ersatz für Schäden zu erhalten, die tatsächlich<br />

nicht durch eine Versicherung gedeckt sind.<br />

Im Bekanntenkreis findet sich nahezu immer<br />

ein Freund, der bereit ist, einen derartigen<br />

Schaden über seine Haftpflichtversicherung<br />

abzuwickeln. Die Hauptgruppen dabei sind:<br />

• Vandalismusschäden<br />

Kratzer an den Seiten von Fahrzeugen, die<br />

auf absichtliche Beschädigung durch Unbekannte<br />

zurückzuführen sind, werden auf<br />

Streifkollisionen mit Fahrrädern zurückgeführt.<br />

• Umkippende Motorräder<br />

Schäden, die auf ein selbstverschuldetes<br />

Umkippen oder Stürzen eines Motorrades<br />

zurückzuführen sind, werden als ein Fußgängeranstoß<br />

deklariert.<br />

• Eigen verschuldete Unfälle<br />

Das selbstverschuldete Abkommen von der<br />

Fahrbahn, Leitplankenkontakte und Parkplatzkarambolagen<br />

werden durch ein erfundenes<br />

Szenario erklärt, z. B. eine Ausweichreaktion,<br />

die erforderlich war, um einem<br />

die Fahrbahn überquerenden Fußgänger<br />

auszuweichen.<br />

In dieser Betrugsart widersprechen die Unfallberichte<br />

oft physikalischen Gesetzen und die<br />

Schadenausbildung stimmt nicht mit dem<br />

verursachenden Objekt überein. Die als Erklärung<br />

für die Beschädigungen behaupteten Unfallabläufe<br />

weichen meist stark von den nor-<br />

Seite 13<br />

malen Verhaltensmustern innerhalb der Unfallentwicklung<br />

ab.<br />

Technische Verfahren<br />

Zur geometrischen Kompatibilitätsanalyse<br />

stehen folgende grundsätzliche Techniken zur<br />

Verfügung:<br />

• Überlagerung von maßstäblichen Zeichnungen<br />

der Unfallfahrzeuge entweder<br />

durch Verwendung von Folien oder durch<br />

Einsatz eines CAD-Programms<br />

• Überlagerung von Fotografien der Deformationsmuster<br />

in Bildverarbeitungsprogrammen<br />

wie Corel PhotoPaint oder Adobe<br />

Photoshop , wie in Abb. 9 gezeigt.<br />

• Rekonstruktion der Anstoßsituation durch<br />

Einsatz von baugleichen Fahrzeugen,<br />

• Anwenden des Maskenverfahren (Erstellen<br />

und Überlagern von Folien im Maßstab<br />

1:1).<br />

Um komplexere Deformationsmuster auszuwerten,<br />

wie beispielsweise die Krafteinwirkungsrichtung<br />

aus Anstoßspuren zu bestimmen,<br />

ist es erforderlich, auf Unfallversuche zurückzugreifen.<br />

Die oftmals vorkommenden<br />

Anstoßkonstellationen sind in der Literatur<br />

gut dokumentiert. Oft jedoch liegt die Lösung<br />

eines Falles jenseits einer rein wissenschaftlichen<br />

Argumentation. Hier kann nur ein<br />

Nachstellen der Unfallsituation mit Fahrzeugen<br />

weiterhelfen.<br />

Aber auch normale Verkehrsunfälle sind eine<br />

sehr wertvolle Wissensbasis. Für den technischen<br />

Sachverständigen zahlt es sich aus,<br />

eine Datenbank mit Deformationsmustern<br />

von alltäglichen Unfällen aufzubauen. Hieraus<br />

lassen sich oftmals Fragen durch Auswertung


dieses Datenmaterials beantworten, die anders<br />

nur mit kostenintensiven Crashversuchen<br />

geklärt werden könnten.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Die statistische Entwicklung in den deutschsprachigen<br />

Ländern zeigt, dass Versicherungsbetrug<br />

aufgrund der Regulierungspraxis und<br />

des geringeren Entdeckungsrisikos nach wie<br />

vor stark zunimmt. Um dieser Entwicklung<br />

entgegenzuwirken, muss auf Seiten der Versicherung<br />

eine individuelle Schadenprüfung<br />

durchgeführt werden. Die dabei gefundenen<br />

verdächtigen Fälle sind aus der normalen<br />

Schadenbearbeitung auszugliedern und durch<br />

spezialisierte Fachabteilungen zu prüfen.<br />

Abb. 9: maßstäblich exakte Überlagerung der Fahrzeugkonturen – die Seite<br />

des Mercedes wurde zuvor mit Hilfe eines Messlattenbildes entzerrt.<br />

Seite 14<br />

In vielen Fällen versagen hierbei die bekannten<br />

kriminalistischen Methoden (Aufdecken<br />

von Bekanntschaften, Widersprüche in den<br />

Aussagen u.s.w.), so dass der technische<br />

Nachweis in Form eines Sachverständigengutachtens<br />

oftmals die einzige Lösungsmöglichkeit<br />

darstellt.<br />

Aufgrund der ständigen Konfrontation mit<br />

zweifelhaften Verkehrsunfällen in Gerichtsverfahren<br />

haben die Sachverständigen in<br />

Deutschland in den letzten Jahrzehnten ihre<br />

Untersuchungsmethoden stark weiterentwickelt<br />

und verbessert.<br />

Zur Zeit existieren zu diesem Thema weltweit<br />

nur Veröffentlichungen in deutscher Sprache,<br />

die auch eine Vielzahl von Crashtests zur Betrugsproblematik<br />

einschließen.


LITERATUR<br />

Veröffentlichungen<br />

• Die Aufklärung des Kfz - Versicherungsbetrugs<br />

- Pkw – Streifkollision Weber, M.<br />

Verkehrsunfall u. Fahrzeugtechnik 33<br />

• Die Aufklärung des Kfz-Versicherungsbetrugs<br />

/ Entwicklung einer Systematik<br />

zur Kompatibilitätsanalyse. Weber, M.:<br />

Schimmelpfennig, K.-H.: Verkehrsunfall<br />

und Fahrzeugtechnik 28 (1990)<br />

• Die Zuordnung von Beschädigungszonen<br />

bei Berücksichtigung von Beladung, Verzögerung<br />

und Querbeschleunigung. Weber,<br />

M.: Dieling, W.: Verkehrsunfall und<br />

Fahrzeugtechnik 28 (1990)<br />

• Die Aufklärung des Versicherungsbetruges<br />

bei zweidimensionalen Kollisionen. Weber,<br />

M.: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik<br />

30 (1992)<br />

• Pkw-Serienkollisionen Weber, M.: Verkehrsunfall<br />

und Fahrzeugtechnik Jahrgang<br />

34 (1996)<br />

• Zur Belastung der Halswirbelsäule durch<br />

Auffahrunfälle Meyer, Hugemann, Weber:<br />

Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik 32<br />

(1994)<br />

• Freiwilligenversuche zum Halswirbelschleudertrauma<br />

bei Auffahrkollisionen,<br />

Meyer, Weber, Kalthoff, Castro, Schilgen:<br />

Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik Jahrgang<br />

37 (1999)<br />

• Do whiplash injuries occur in low speed<br />

rear impacts? - European Spine Society -<br />

The AcroMed Price for Spinal Research.<br />

Castro, Schilgen, Meyer, Weber, Peuker,<br />

Wörtler: Spine Number 6 1997<br />

Seite 15<br />

Bücher:<br />

• Die Aufklärung des Kfz-Versicherungsbetruges<br />

- Grundlagen der Kompatibilitätsanalyse<br />

und Plausibilitätsprüfung.<br />

Weber, M. u.a. : 1. Auflage, Schriftenreihe<br />

Unfallrekonstruktion, Münster 1995 –zu<br />

bestellen über IFU-Hamburg, ISBN 3-<br />

9804383-0-9 (leider vergriffen)<br />

• Handbuch des Straßenverkehrsrechts,<br />

Herausgeber: Berz/Burmann, zu bestellen<br />

über Fachbuchhandel ISBN 3406413854<br />

• Whiplash injuries - Current concepts in<br />

prevention, diagnosis, and treatment of<br />

the cervical whisplash syndrome [edited<br />

by] Robert Gunzburg, Marck Szpalski, Lippincott-Raven<br />

Publishers<br />

Zeichnungen:<br />

• Alle Skizzen auf Basis der VENUS DRA-<br />

WING DATABASE.<br />

Internet:<br />

• Die frei zugängliche und kostenlose Internet-Site<br />

www.unfallforensik.de enthält ein<br />

etwa 200 Seiten starkes Lexikon zur Unfallrekonstruktion<br />

für Juristen. In diesem<br />

Glossar finden sie die wichtigsten Fachbegriffe<br />

aller Themen der Unfallrekonstruktion<br />

einschließlich des Versicherungsbetruges<br />

mit ausführlichen Erklärungen.<br />

Die Sammlung wird ständig aktualisiert.

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