27.08.2013 Aufrufe

Die Evangelien nach Markus und Lukas - Offenbarung.ch

Die Evangelien nach Markus und Lukas - Offenbarung.ch

Die Evangelien nach Markus und Lukas - Offenbarung.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Adolf S<strong>ch</strong>laffer<br />

<strong>Die</strong> <strong>Evangelien</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Markus</strong> <strong>und</strong> J<strong>Lukas</strong>


S Matters Erläuterungen %um Neuen Testament<br />

Band 2


ADOLF SCHLATTER<br />

<strong>Die</strong> <strong>Evangelien</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Markus</strong> <strong>und</strong> <strong>Lukas</strong><br />

Ausgelegt für Bibelleser<br />

Evangelis<strong>ch</strong>e Verlagsanstalt Berlin


Lizenzausgabe für die Deuts<strong>ch</strong>e Demokratis<strong>ch</strong>e Republik<br />

Vertrieb in Westdeuts<strong>ch</strong>land <strong>und</strong> Westberlin ni<strong>ch</strong>t gestattet<br />

Professor D. Dr. Adolf S<strong>ch</strong>lauer. Geboren am 16. 8.185z in St. Gallen<br />

Pfarrer in Keßwil (Thurgau). Privatdozent in Bern. Professor der Theologie in Greifswald (ii<br />

Berlin (1895) <strong>und</strong> Tübingen (1898). Gestorben in Tübingen 1938<br />

Evangelis<strong>ch</strong>e Verlagsanstalt GmbH. Berlin 19J z<br />

Lizenzausgabe des Calwer Verlages Stuttgart<br />

Veröffentli<strong>ch</strong>t unter Lizenz Kr. 420 des Amtes für Literatur <strong>und</strong> Verlagswesen<br />

der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en Republik. 205-38-51<br />

Satz <strong>und</strong> Druck: Bu<strong>ch</strong>druckerei Frankenstein GmbH<br />

Lcipïig III-X8-127


Das Evangelium <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Markus</strong><br />

Neben dem, was uns Matthäus gegeben hat, besteht der "Wert des Evangeliums,<br />

das <strong>Markus</strong> der Kir<strong>ch</strong>e übergab, ni<strong>ch</strong>t darin, daß es uns Neues über<br />

Jesus mitteilte, sondern darin, daß wir in <strong>Markus</strong> den ersten Ausleger des<br />

Matthäus haben, mit dem si<strong>ch</strong> keiner von den späteren verglei<strong>ch</strong>en kann, weil<br />

er mitten in der apostolis<strong>ch</strong>en Verkündigung stand <strong>und</strong> uns den Beri<strong>ch</strong>t des<br />

Matthäus aus seiner eigenen rei<strong>ch</strong>en Kenntnis des apostolis<strong>ch</strong>en Zeugnisses zu<br />

erläutern vermag*.<br />

Kapitel I,I—20<br />

Wie Jesus sein Werk begann<br />

Au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> s<strong>ch</strong>aut, wie Matthäus, zuerst auf das Alte Testament zurück;<br />

denn dieses hat Jesus den Ort bereitet, in den er von Gott hineingestellt war,<br />

<strong>und</strong> die Gemeinde ges<strong>ch</strong>affen, an der er seine Arbeit tat. Er sieht aber ni<strong>ch</strong>t<br />

auf die Ahnen Jesu zurück, dur<strong>ch</strong> die er Sohn Abrahams <strong>und</strong> Davids war,<br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf die Weise, wie er dur<strong>ch</strong> die Geburt ein Glied der jüdis<strong>ch</strong>en Gemeinde<br />

wurde <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>on als Kind unter ihrer S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong> Not gelitten hat,<br />

sondern setzt Jesus kurz <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> tief zum Alten Testament dadur<strong>ch</strong> in Beziehung,<br />

daß er mit den beiden Worten der Verheißung beginnt, die in Johannes<br />

zur Erfüllung kamen. Dadur<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> Jesu Werk mit Gottes Regierung<br />

über Israel in eine feste Verbindung gesetzt.<br />

1,1—3: Es beginnt die gute Bots<strong>ch</strong>aft von Jesus dem Christus, dem Sohne<br />

Gottes, so wie es beim Propheten Jesaja ges<strong>ch</strong>rieben ist: I<strong>ch</strong> sende meinen<br />

Boten vor dir her, der deinen Weg herri<strong>ch</strong>ten wird. <strong>Die</strong> Stimme eines Rufenden<br />

in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, ma<strong>ch</strong>t gerade seine Pfade<br />

(Malea<strong>ch</strong>i 3,1 ; Jesaja 40,3). Auf die dur<strong>ch</strong> die Propheten gebra<strong>ch</strong>te Verheißung<br />

• Für die Worte Jesu hat si<strong>ch</strong> das Urteil unter uns befestigt, daß der Beri<strong>ch</strong>t des Matthäus der erste,<br />

der des <strong>Markus</strong> der zweite, daraus abgeleitete sei. Dagegen wird oft der Versu<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, den Beri<strong>ch</strong>t über<br />

die Worte Jesu von der Erzählung seiner Werke zu trennen <strong>und</strong> für diesen Teil des Textes <strong>Markus</strong> voranzustellen.<br />

I<strong>ch</strong> halte diese Trennung ni<strong>ch</strong>t für mögli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> Matthäus ni<strong>ch</strong>t nur in seinen Sprü<strong>ch</strong>en, sondern<br />

au<strong>ch</strong> in seiner Erzählung für das ältere Evangelium. <strong>Die</strong> folgenden Erläuterungen bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> auf<br />

das, was <strong>Markus</strong> Neues über Jesu Wort <strong>und</strong> Werk mitteilt.


6 Wie Jesus sein Werk begann<br />

baut si<strong>ch</strong> die Verkündigung Jesu auf als die von Gott uns gewährte heilsame<br />

<strong>und</strong> herrli<strong>ch</strong>e Bots<strong>ch</strong>aft. Denn jene haben Israel verspro<strong>ch</strong>en, daß der Herr zu<br />

ihm kommen werde, ni<strong>ch</strong>t so, daß er uns unerwartet überras<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> ungewarnt<br />

ri<strong>ch</strong>te, vielmehr so, daß ein Bote Gottes vor ihm hergehe <strong>und</strong> zuerst die<br />

Stimme ertöne, die zur Bereitung des Weges für den Herrn ermahnt. Deshalb<br />

beginnt der Beri<strong>ch</strong>t über Jesus mit Johannes, der eben dies dem Volk bra<strong>ch</strong>te,<br />

was ihm jene Verheißungen zusagten. Mit dem ersten dieser beiden "Worte hat<br />

s<strong>ch</strong>on Jesus den Juden das "Werk des Täufers <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner heiligen Wi<strong>ch</strong>tigkeit<br />

gedeutet, Matthäus 11,10, mit dem zweiten au<strong>ch</strong> Matthäus dasselbe erläutert,<br />

3,3. <strong>Markus</strong> fügt beide zusammen, weil beide unseren Blick auf das ri<strong>ch</strong>ten,<br />

was Israel als die nä<strong>ch</strong>ste Tat Gottes zu erwarten hatte, die zu dem, was es<br />

dur<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>rift besaß, das Neue fügen wird. Auf den, der als Gottes Bote<br />

vor dem Herrn her kommen werde, sollte es hoffen <strong>und</strong> war s<strong>ch</strong>on längst gemahnt,<br />

dann si<strong>ch</strong> von ihm sagen zu lassen, wie es si<strong>ch</strong> für Gottes Rei<strong>ch</strong> bereite<br />

<strong>und</strong> was der von ihm verlangte <strong>Die</strong>nst Gottes sei.<br />

Was der Prophet verspro<strong>ch</strong>en hatte, hat Gottes Treue dem Volk gehalten.<br />

1,4: Es kam Johannes der Täufer in der Wüste <strong>und</strong> rief eine Taufe der Buße<br />

zur Vergebung der Sünden aus. Johannes zeigte Israel dur<strong>ch</strong> die Taufe, wie es<br />

die Wege Gottes bereiten <strong>und</strong> ihm die Straße gerade ma<strong>ch</strong>en soll. Er bot dem<br />

Volk öffentli<strong>ch</strong> ein Bad an, das in der Buße seinen Gr<strong>und</strong> haben soll. Sein<br />

Merkmal soll darin bestehen, daß Israel mit ihm das Böse, das es tut, läßt <strong>und</strong><br />

si<strong>ch</strong> dem Willen Gottes unterwirft, wie er ihm längst gesagt war <strong>und</strong> jetzt<br />

neu verkündigt wird. Wenn es aber vor Gott seine S<strong>ch</strong>uld gestand <strong>und</strong> reuig<br />

zum Bade kam, das er ihm im Namen Gottes anbot, dann sagte ihm Johannes,<br />

als Ziel <strong>und</strong> Gabe der Taufe, Gottes Vergebung für seine Sünden zu. Ni<strong>ch</strong>t um<br />

es unter Gottes Geri<strong>ch</strong>t zu stellen, wurde ihm die Buße befohlen, vielmehr<br />

um es in Gottes Rei<strong>ch</strong> einzuführen. Gott stieß es dur<strong>ch</strong> den Täufer ni<strong>ch</strong>t von<br />

si<strong>ch</strong> weg, berief es vielmehr dur<strong>ch</strong> ihn zu si<strong>ch</strong>. Das Bad gab ihm der Täufer<br />

deshalb, weil Gott alle Sünden Israels bedeckt <strong>und</strong> ihrer ni<strong>ch</strong>t a<strong>ch</strong>tet, sondern<br />

sein Volk mit neuer, rei<strong>ch</strong>er Gabe su<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> eine neue Gemeinde aus ihm<br />

bereiten wird, die von aller S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong> Not entledigt ist. Das war die große<br />

<strong>Offenbarung</strong>, die Israel dur<strong>ch</strong> den Täufer empfing, daß es Gottes Wohlgefallen<br />

dadur<strong>ch</strong> finde, daß es von ihm — bußfertig — die Vergebung empfange. Nur<br />

das wurde Israel zugemutet, daß es gestehe, sein Gottesdienst sei befleckt,<br />

seine Erfüllung des Gesetzes unzulängli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> der Christus komme ni<strong>ch</strong>t zu<br />

einem gere<strong>ch</strong>ten, sondern zu einem sündigen Volk. So bahnt der Mens<strong>ch</strong> dem<br />

Christus den Weg <strong>und</strong> wirkt an Gottes Werk mit. Damit erläutert <strong>Markus</strong><br />

au<strong>ch</strong> der Christenheit, weshalb sie dur<strong>ch</strong> die Taufe in die Gemeins<strong>ch</strong>aft mit


<strong>Markus</strong> 1,4—8 7<br />

Jesus tritt. Audi jetzt nodi gibt es keinen anderen Zugang zu ihm als so, daß<br />

sidi der Mens<strong>ch</strong> von seinem eigenen Sinn <strong>und</strong> Willen reuig abwende <strong>und</strong> Vergebung<br />

für seine Sünden begehre, die uns die Taufe gewährt, weil sie uns im<br />

Namen Jesu gegeben wird.<br />

Als den verheißenen Boten des Herrn hat si<strong>ch</strong> der Täufer dadur<strong>ch</strong> bewährt,<br />

daß es ihm in der Tat gegeben 1 war, das Volk zu bewegen, es in die Buße zu<br />

leiten <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Vergebung Gottes begierig zu ma<strong>ch</strong>en. Sie kamen von<br />

überall her mit ers<strong>ch</strong>üttertem Herzen <strong>und</strong> erwecktem Gewissen, gestanden<br />

ihre Sünden <strong>und</strong> empfingen die Berufung zu derjenigen Gemeinde, die Gott<br />

dur<strong>ch</strong> seine königli<strong>ch</strong>e <strong>Offenbarung</strong> zur ewigen Vollendung führt. 1,5: Und<br />

es kam zu ihm heraus das ganze judäis<strong>ch</strong>e Land <strong>und</strong> alle Bewohner Jerusalems<br />

<strong>und</strong> wurden von ihm im Fluß Jordan getauft <strong>und</strong> bekannten ihre Sünden.<br />

Frei von jeder Fessel, unberührt von dem, was sonst die Mens<strong>ch</strong>en bewegt,<br />

stand er vor dem Volk, einzig auf Gottes Willen <strong>und</strong> Herrs<strong>ch</strong>aft beda<strong>ch</strong>t.<br />

i,6: Und Johannes war mit Kamelshaaren <strong>und</strong> um seine Hüfte mit einem<br />

ledernen Gurt bekleidet <strong>und</strong> aß Heus<strong>ch</strong>recken <strong>und</strong> wilden Honig. Au<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

dem Urteil des <strong>Markus</strong> hat die Abges<strong>ch</strong>iedenheit des Täufers von allem Irdis<strong>ch</strong>en<br />

den Eindruck, den er auf das Gewissen des Volks ma<strong>ch</strong>te, kräftig unterstützt.<br />

Dagegen hat er uns den Kampf des Johannes mit den jüdis<strong>ch</strong>en Lehrern<br />

<strong>und</strong> Frommen ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>rieben <strong>und</strong> nur an seiner Taufe dargestellt, wie er<br />

zur Buße mahnte, ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> an seinem Wort, dur<strong>ch</strong> das er die Heiligen des<br />

Volks Sdilangenbrut s<strong>ch</strong>alt <strong>und</strong> den Gefallenen die Wege der Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

vors<strong>ch</strong>rieb. S<strong>ch</strong>on die Taufe ma<strong>ch</strong>t ja si<strong>ch</strong>tbar, was für eine Reue Johannes<br />

forderte, ni<strong>ch</strong>t eine sol<strong>ch</strong>e, die si<strong>ch</strong> bloß an einzelne Taten heftet, sondern die,<br />

dur<strong>ch</strong> die wir uns vor Gott als s<strong>ch</strong>uldig ri<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> unsere Reinheit <strong>und</strong> Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

von Gottes Vergebung empfangen. Für die jüdis<strong>ch</strong>e Christenheit<br />

hatten au<strong>ch</strong> die strafenden Worte des Täufers große Wi<strong>ch</strong>tigkeit, weil sie ihr<br />

sofort au<strong>ch</strong> den Kampf Jesu gegen Israels Frömmigkeit deutli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> seinen<br />

Kreuzesweg verständli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>ten. <strong>Die</strong> grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Christenheit war dagegen<br />

von der pharisäis<strong>ch</strong>en Frömmigkeit <strong>und</strong> ihrer Gefahr weiter entfernt; ihr<br />

diente ni<strong>ch</strong>t die Verurteilung der Pharisäer zuerst <strong>und</strong> besonders deutli<strong>ch</strong> als<br />

S<strong>ch</strong>lüssel au<strong>ch</strong> zu Jesu Weg <strong>und</strong> Werk. Darum wiederholt <strong>Markus</strong> von den<br />

Worten des Täufers einzig die Weissagung, dur<strong>ch</strong> die er den Kommenden ho<strong>ch</strong><br />

über si<strong>ch</strong> erhob <strong>und</strong> von ihm sagte, er werde dur<strong>ch</strong> den Geist wirksam tun, was<br />

ex selber mit dem Wasser bloß vorbereiten kann.<br />

1,7. 8: Und er verkündete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Es kommt der, der stärker ist als iàj,<br />

hinter mir her, für den i<strong>ch</strong> nidjt tü<strong>ch</strong>tig bin, gebückt den Riemen seiner S<strong>ch</strong>uhe


8 Wie Jesus sein Werk begann<br />

aufzuknüpfen. I<strong>ch</strong> habe eu<strong>ch</strong> mit Wasser getauft; aber er wird eu<strong>ch</strong> mit heiligem<br />

Geist taufen. Der Täufer verhieß, der Christus werde glei<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm<br />

kommen mit einer Ma<strong>ch</strong>t, mit der er ni<strong>ch</strong>t zusammen wirken kann. Darum<br />

bes<strong>ch</strong>reibt er uns den <strong>Die</strong>ner, wie er si<strong>ch</strong> vor seinem Herrn zur Ausri<strong>ch</strong>tung<br />

seines geringen <strong>Die</strong>nstes bückt. Allein ni<strong>ch</strong>t einmal hierzu findet Johannes das<br />

Vermögen, sondern muß es lassen, dem Christus zu dienen, so gern er es<br />

mö<strong>ch</strong>te, weil er für ihn zu ho<strong>ch</strong> ist <strong>und</strong> sein "Werk allein vollbringt. "Weiter<br />

zeigt uns <strong>Markus</strong> an der Verheißung des Täufers, daß die Taufe Jesu von anderer<br />

Art ist als die, die Johannes Israel darbot. "Was Jesus tut, ist im Geist getan.<br />

Seine ganze Ma<strong>ch</strong>t steht im Geiste Gottes, <strong>und</strong> dieser ist au<strong>ch</strong> das Mittel,<br />

wodur<strong>ch</strong> er die S<strong>ch</strong>uldigen löst, den Reuigen verzeiht <strong>und</strong> den Befleckten die<br />

Reinheit wiederbringt. Dadur<strong>ch</strong>, daß Jesus ni<strong>ch</strong>t im "Wasser, sondern im Geist<br />

sein Werkzeug <strong>und</strong> seine Gabe hat, erweist er si<strong>ch</strong> als der Christus, an den<br />

si<strong>ch</strong> der Glaube völlig <strong>und</strong> für immer halten kann. So spri<strong>ch</strong>t er in Gottes Vollma<strong>ch</strong>t,<br />

<strong>und</strong> sein "Wort spendet uns die Vergebung klar <strong>und</strong> offenbar, während<br />

das Wasser für si<strong>ch</strong> allein ein stummes Zei<strong>ch</strong>en ist, der Deutung bedürftig, <strong>und</strong><br />

uns nur von außen berührt <strong>und</strong> deshalb ein Glei<strong>ch</strong>nis bleibt, das wohl verheißend<br />

in die Zukunft <strong>und</strong> in das Verborgene weist, aber do<strong>ch</strong> verdeckt läßt,<br />

wie Gottes Hilfe innerli<strong>ch</strong> zu uns kommt. Der im Geiste Taufende gibt dagegen<br />

zum Wasser das Wesen, <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t uns ohne Hüllen deutli<strong>ch</strong>, was die<br />

S<strong>ch</strong>uld tilgt: er selbst tilgt sie, der mit dem heiligen Geiste bei uns ist. Damit<br />

ist das erste Wort über das Wasserbad, das aus der Buße kommt <strong>und</strong> Vergebung<br />

der Sünde gewährt, ni<strong>ch</strong>t verdunkelt oder gemindert, wohl aber verhütet,<br />

daß die Christenheit bei Christus bloß ein reinigendes Bad su<strong>ch</strong>e, während<br />

der Sinn <strong>und</strong> die Kraft des Bades darin steht, daß Jesus sein Versöhnen,<br />

Vergeben <strong>und</strong> Heiligen in demjenigen Geiste übt, der der heilige ist als Gottes<br />

Geist.<br />

Mit Geist <strong>und</strong> Feuer wird der Christus taufen, lesen wir bei Matthäus; <strong>Markus</strong><br />

ri<strong>ch</strong>tet unseren Blick nur auf den Geist als auf das Mittel, dur<strong>ch</strong> das Jesus<br />

si<strong>ch</strong> die geheiligte Gemeinde s<strong>ch</strong>afft, ni<strong>ch</strong>t deshalb, weil er das Geri<strong>ch</strong>t von<br />

Jesu Werk abs<strong>ch</strong>iede <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t zu seinem Amte zählte, sondern dazu, daß uns<br />

zuerst die Größe seiner Gnade <strong>und</strong> Gabe si<strong>ch</strong>tbar sei <strong>und</strong> der Glaube si<strong>ch</strong> getrost<br />

ihm zuwende <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die Fur<strong>ch</strong>t vor seinem ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>en Werk<br />

gehindert sei.<br />

Als Israel so zur Reue ers<strong>ch</strong>üttert <strong>und</strong> mit Gottes Gnade getröstet wurde<br />

<strong>und</strong> der Herr des Geistes ihm als nahe verkündigt war, da war für Jesus die<br />

Zeit zum Anfang seiner Arbeit da. 1,9: Und es ges<strong>ch</strong>ah in jenen Tagen, da<br />

kam Jesus aus Nazareth in Galiläa <strong>und</strong> wurde von Johannes im Jordan ge~


<strong>Markus</strong> 1,9—130. 9<br />

tauft. Unter dasjenige Israel, an das dieses "Wort Gottes ergangen <strong>und</strong> dem<br />

diese Gnade bezeugt war, hat si<strong>ch</strong> Jesus gestellt. Matthäus zeigte an der verw<strong>und</strong>erten<br />

Einrede des Täufers, wie tief si<strong>ch</strong> Jesus dur<strong>ch</strong> seine Teilnahme an<br />

der Taufe erniedrigt hat, zur Widerlegung der verkehrten Gedanken, die si<strong>ch</strong><br />

Israel über die Hoheit des Kommenden ma<strong>ch</strong>te, au<strong>ch</strong> im Rückblick auf die<br />

"Weise, wie Jesus dur<strong>ch</strong> die göttli<strong>ch</strong>e W<strong>und</strong>erma<strong>ch</strong>t das Leben erhielt. Daß si<strong>ch</strong><br />

der, dem der heilige Geist das Leben gab, unter die Sünder stellte <strong>und</strong> darin<br />

die Erfüllung der Gere<strong>ch</strong>tigkeit sah, daß er die Taufe der Buße zur Vergebung<br />

der Sünden begehrte, das ma<strong>ch</strong>t die w<strong>und</strong>erbare Tiefe in der Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

Jesu mit der sündigen Mens<strong>ch</strong>heit offenbar. Da <strong>Markus</strong> ni<strong>ch</strong>t mit dem jüdis<strong>ch</strong>en<br />

Traum von ungöttli<strong>ch</strong>er Herrli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> stolzer Gere<strong>ch</strong>tigkeit streitet,<br />

gibt er nur an, daß Jesus Nazareth dann verließ, als die reuige S<strong>ch</strong>ar Gott um<br />

die Vergebung bat <strong>und</strong> auf den Geber des heiligen Geistes wartete. Unter diese<br />

S<strong>ch</strong>ar stellte er si<strong>ch</strong> selbst, <strong>und</strong> als au<strong>ch</strong> er die Taufe empfing, wurde seine Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit dem Vater offenbar. 1,10.11: Und glei<strong>ch</strong>, wie er aus dem<br />

Wasser herauf stieg, sah er die Himmel si<strong>ch</strong> spalten <strong>und</strong> den Geist wie eine Taube<br />

zu ihm herabfahren. Und eine Stimme kam aus den Himmeln: Du bist mein<br />

geliebter Sohn; an dir habe i<strong>ch</strong> mein Wohlgefallen. Wie völlig Gott ihm seine<br />

liebe s<strong>ch</strong>enkt <strong>und</strong> ihn mit si<strong>ch</strong> vereint, drückt <strong>Markus</strong> au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Form<br />

des Spru<strong>ch</strong>s aus: D u bist mein geliebter Sohn; an d i r habe i<strong>ch</strong> Wohlgefallen!<br />

• Der, der den Geist von oben empfangen hat, ist zuerst dazu berufen, die<br />

teuflis<strong>ch</strong>e Versu<strong>ch</strong>ung von si<strong>ch</strong> abzuwehren. 1,12. 13a: Und glei<strong>ch</strong> führt ihn<br />

der Geist hinaus in die Wüste, <strong>und</strong> er war vierzig Tage in der Wüste <strong>und</strong><br />

wurde vom Satan versudjt. Er empfing inwendig die Weisung, daß ihn Gott<br />

zuerst in die Einsamkeit der Wüste führe. Der Inhalt <strong>und</strong> die Fru<strong>ch</strong>t dieser<br />

Tage bestand darin, daß er vom Satan versu<strong>ch</strong>t wurde. Daß si<strong>ch</strong> dies dur<strong>ch</strong><br />

alle vierzig Tage hindur<strong>ch</strong> erstreckte, sagen die Worte ni<strong>ch</strong>t. Es bedurfte au<strong>ch</strong><br />

keiner besonderen Bezeugung, daß er in seiner Versu<strong>ch</strong>ung den Sieg gewann,<br />

da ja auf ihm der Fortgang seines Werks beruht. Der Beri<strong>ch</strong>t über das, was<br />

Jesus bei seiner Versu<strong>ch</strong>ung als Sünde verwarf, wie ihn Matthäus gibt, war<br />

für jeden jüdis<strong>ch</strong>en Mann von hohem Wert, weil er ihm si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>te, worin<br />

Jesus den re<strong>ch</strong>ten Gottesdienst <strong>und</strong> den vollkommenen Gehorsam erkannte.<br />

Mit dem, was er damals als Versu<strong>ch</strong>ung zum Abfall von si<strong>ch</strong> wies, zertrat er<br />

au<strong>ch</strong> das fals<strong>ch</strong>e Christusbild, das so viele bezauberte, jenen Christus, der<br />

ni<strong>ch</strong>t leiden <strong>und</strong> gehor<strong>ch</strong>en, sondern nur regieren will. Daß Jesus diesen Willen<br />

verwarf, das gab jedem jüdis<strong>ch</strong>en Auge wie ein Leu<strong>ch</strong>tturm die Ri<strong>ch</strong>tung<br />

von der Klippe weg, an der sein Glaube an Jesus s<strong>ch</strong>eitern mußte, hin zum<br />

Verständnis des Gekreuzigten. <strong>Markus</strong> spri<strong>ch</strong>t nur aus, daß die erste Tat des


Io Wie Jesus sein Werk begann<br />

Sohns, dem das Wohlgefallen Gottes gehört, darin bestanden hat, daß er die<br />

versu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Stöße des Satans auf sein Herz bezwang, weil der Kampf mit<br />

ihm dem ni<strong>ch</strong>t erspart bleiben kann, der als der Heilige vergeben <strong>und</strong> erlösen<br />

will, <strong>und</strong> erzählt erst da ausführli<strong>ch</strong>, als Jesus unter die Mens<strong>ch</strong>en tritt <strong>und</strong> an<br />

ihnen Gottes mä<strong>ch</strong>tige Gnade offenbart. Dagegen deutet er no<strong>ch</strong> darauf hin,<br />

daß wegen seines Sieges über den Versu<strong>ch</strong>er Jesu Stellung zum Himmel <strong>und</strong><br />

zur Erde eine andere als die unsrige war. 1,13b: Und er war bei den "wilden<br />

Tieren, <strong>und</strong> die Engel dienten ihm. Der jenseitige "Widersa<strong>ch</strong>er, der mit ihm<br />

rang, war ni<strong>ch</strong>t die einzige Gefahr, die ihm in der "Wüste nahe war. Sie ist die<br />

Heimat der wilden Tiere; do<strong>ch</strong> diese waren dem ni<strong>ch</strong>t zur Fur<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> zum<br />

S<strong>ch</strong>aden, der den Satan bezwungen hat <strong>und</strong> darum unter dem S<strong>ch</strong>ütze Gottes<br />

steht. Obglei<strong>ch</strong> fern von den Mens<strong>ch</strong>en, war er do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hilflos <strong>und</strong> einsam,<br />

weil die himmlis<strong>ch</strong>en Geister dienend zu ihm traten, wie dies au<strong>ch</strong> Matthäus<br />

sagt.<br />

Den weiteren Eins<strong>ch</strong>nitt in Jesu "Werk setzt <strong>Markus</strong> mit Matthäus bei der<br />

Einkerkerung des Täufers an. 1,14a: Und <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem Johannes überantwortet<br />

war, kam Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa. Als das "Wort des Täufers Israel genommen war,<br />

setzte Jesus sein Zeugnis fort. 1,14b. 15: Und er verkündete Gottes gute Bots<strong>ch</strong>aft<br />

<strong>und</strong> sagte: Erfüllt ist die Zeit <strong>und</strong> nah diejierrs<strong>ch</strong>aft Gottes; tut Buße<br />

<strong>und</strong> glaubet um der guten Bots<strong>ch</strong>aft willen. Daß die Zeit voll geworden ist,<br />

weist zurück auf Gottes vorbestimmten Rat, wie ihn das weissagende "Wort<br />

Israel k<strong>und</strong>gema<strong>ch</strong>t hat. <strong>Die</strong> von Gott gesetzte Frist ist nun abgelaufen; aus<br />

dem Hoffen wird nun das Sehen, aus dem Erwarten das Empfangen, <strong>und</strong> zur<br />

Verheißung kommt die Erfüllung hinzu. Für Israel war das ein ho<strong>ch</strong>bedeutsames<br />

"Wort, weil es eine große Hoffnung empfangen hat. Was nun kommt,<br />

faßt Jesus in das eine "Wort zusammen: Nun wird Gott königli<strong>ch</strong> an eu<strong>ch</strong><br />

handeln als euer Herr. „Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes", sagt <strong>Markus</strong> stets, ni<strong>ch</strong>t „Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

der Himmel", wie Matthäus. Letzteres war jedem jüdis<strong>ch</strong>en Mann deutli<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> keinem Mißverständnis ausgesetzt; er wußte, wer im Himmel wohnt,<br />

daß er ni<strong>ch</strong>ts im Himmel zu su<strong>ch</strong>en hat als den einigen Gott, von dem alles,<br />

was die Himmel füllt, sein Leben <strong>und</strong> seine Herrli<strong>ch</strong>keit hat. <strong>Markus</strong> will, daß<br />

wir bei Jesu Verheißung bewußt <strong>und</strong> allein zu Gottes Werk emporsehen. Daß<br />

nun Gott seinen Willen vollführt <strong>und</strong> seine Größe an der Mens<strong>ch</strong>heit offenbart,<br />

so daß wir in seiner Gegenwart leben <strong>und</strong> in seiner Leitung stehen, das<br />

ist Jesu Verheißung, <strong>und</strong> daran bindet er unser Verlangen fest.<br />

Was von Israel gefordert wird, bes<strong>ch</strong>rieb Johannes mit dem einen Wort:<br />

Umkehr! Sie ist, weil sie im Blick auf die nahe Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes ges<strong>ch</strong>ieht <strong>und</strong><br />

das Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Vergebung in si<strong>ch</strong> hat, ni<strong>ch</strong>t glaubenslos, kommt


<strong>Markus</strong> 1,13b—20 11<br />

vielmehr in der glaubensvollen Hinnahme der göttli<strong>ch</strong>en Gabe zu ihrem Ziel.<br />

Eine glaubenslose Buße, sei sie nun verzagt oder hoffärtig, hat keiner der Männer,<br />

die uns Gottes Wort bra<strong>ch</strong>ten, je Buße, Umkehr vom Bösen, genannt, weil<br />

sie das Sündigen nur fortsetzt <strong>und</strong> häuft, niemals überwindet. Darum konnte<br />

au<strong>ch</strong> Jesus den "Weg zu Gott mit dem einen Wort bes<strong>ch</strong>reiben: Werdet reuig!<br />

kehrt um! wodur<strong>ch</strong> die Bedeutung des Glaubens keineswegs verdunkelt war.<br />

Es hat aber im Wort <strong>und</strong> Werk Jesu vollen, starken Gr<strong>und</strong>, wenn hier <strong>Markus</strong><br />

im Beri<strong>ch</strong>t über Jesu Predigt ni<strong>ch</strong>t nur von der Umkehr spri<strong>ch</strong>t, sondern<br />

dazufügt; <strong>und</strong> glaubt! Den heiligen Streit gegen das Böse, den der Täufer begonnen<br />

hat, hat Jesus mit ganzem Ernst fortgesetzt <strong>und</strong> niemand, weder den<br />

Juden no<strong>ch</strong> den Jüngern, einen anderen Eingang in die ewige Gemeinde gezeigt<br />

als dur<strong>ch</strong> die Buße hindur<strong>ch</strong>. Allein seine Arbeit an den Mens<strong>ch</strong>en hat<br />

ni<strong>ch</strong>t bloß darin bestanden, daß er ihnen das Auge für ihre Bosheit gab, sie im<br />

Geständnis ihrer S<strong>ch</strong>uld beugte <strong>und</strong> zum ernsten Ringen mit ihrer verkehrten<br />

Art anleitete, sondern das Ziel seiner Arbeit bestand darin, daß er sie zum<br />

Glauben bringe <strong>und</strong> ihnen die Zuversi<strong>ch</strong>t zu seiner Heilandsma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

Freudigkeit zu Gott gebe. Alles, was er tat, sieht immer auf dieses doppelte<br />

Ziel, einmal darauf, dem Bösen zu wehren <strong>und</strong> seine Verderbli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong><br />

Ma<strong>ch</strong>t uns si<strong>ch</strong>tbar zu ma<strong>ch</strong>en, sodann glei<strong>ch</strong>zeitig darauf, unser Auge zu Gott<br />

hinaufzuheben, daß es den finde <strong>und</strong> fasse, der „allein der Gute" ist <strong>und</strong> uns<br />

in Jesus den Boten seiner Gnade gegeben hat. Deshalb hat <strong>Markus</strong> Jesu Anspru<strong>ch</strong><br />

an uns mit den beiden Worten ausgedrückt: Tut Buße <strong>und</strong> glaubt. Er<br />

gebietet den Glauben ni<strong>ch</strong>t bloß, sondern s<strong>ch</strong>afft ihn <strong>und</strong> bietet uns den Gr<strong>und</strong><br />

dar, aus dem er erwä<strong>ch</strong>st <strong>und</strong> an dem er si<strong>ch</strong> hält. <strong>Die</strong>s ist das gute Wort, das<br />

uns Gottes Gabe ansagt <strong>und</strong> uns die Wohltat meldet, die er uns dur<strong>ch</strong> Jesus<br />

tut. In dieser Bots<strong>ch</strong>aft liegt der Antrieb <strong>und</strong> das Mittel zum Glauben; aus ihr<br />

zieht er seine Lebendigkeit.<br />

Sowie Jesus als Gottes Bote vor die Judens<strong>ch</strong>aft trat, berief er si<strong>ch</strong> seine<br />

vier ersten Jünger, damit sie bei seiner Arbeit, „Mens<strong>ch</strong>en zu fis<strong>ch</strong>en", seine<br />

Genossen seien, <strong>und</strong> dies so, daß er glei<strong>ch</strong> von Anfang an alles wegtat, was<br />

si<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en sie <strong>und</strong> ihn hätte stellen können. Ni<strong>ch</strong>ts läßt er sie neben seine<br />

Berufung setzen; Netz, S<strong>ch</strong>iff, Vater: ni<strong>ch</strong>ts darf sie am Gehorsam hindern,<br />

wenn er ihnen ruft. 1,16—20: Und als er am See von Galiläa entlang ging, sah<br />

er Simon <strong>und</strong> Andreas, den Bruder Simons, das Netz im See auswerfen; denn<br />

sie waren Fis<strong>ch</strong>er. Und Jesus sagte zu ihnen: Geht mir <strong>na<strong>ch</strong></strong>, <strong>und</strong> i<strong>ch</strong> werde<br />

ma<strong>ch</strong>en, daß ihr Fis<strong>ch</strong>er von Mens<strong>ch</strong>en werdet. Und glei<strong>ch</strong> ließen sie die Netze<br />

<strong>und</strong> gingen ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Und als er ein wenig weiter ging, sah er Jakobus, den<br />

Sohn des Zebedäus, <strong>und</strong> Johannes, seinen Bruder, wie au<strong>ch</strong> sie im S<strong>ch</strong>iff die


12 Jesu Taten in Kapemaum <strong>und</strong> die erste Wanderung dur<strong>ch</strong> Galiläa<br />

Netze rüsteten. Und glei<strong>ch</strong> rief er sie, <strong>und</strong> sie ließen ihren Vater Zebedäus im<br />

S<strong>ch</strong>iß bei den gemieteten Kne<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> gingen ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Neu ist bei <strong>Markus</strong><br />

nur die Mitteilung, daß Zebedäus, als ihn seine Söhne Jakobus <strong>und</strong> Johannes<br />

verließen, mit Tagelöhnern im S<strong>ch</strong>iff war. Bei dieser <strong>und</strong> man<strong>ch</strong>er ähnli<strong>ch</strong>en<br />

Angabe dürfen wir uns an die zahlrei<strong>ch</strong>en Bespre<strong>ch</strong>ungen erinnern, die si<strong>ch</strong> an<br />

diese Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten im ersten Jüngerkreise ans<strong>ch</strong>lössen. Oft kehrte ihr Blick zu<br />

den Erlebnissen zurück, dur<strong>ch</strong> die sie Jesus zuerst ergriffen hat, <strong>und</strong> erwog alle<br />

ihre Umstände'<strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer inneren Bedeutsamkeit. Da gab es au<strong>ch</strong> Fragen wie<br />

die: Mußtet ihr den Vater allein lassen? Hat eu<strong>ch</strong> Jesus so zu si<strong>ch</strong> gerufen, daß<br />

bei eurem Vater niemand blieb? Nein! zur Leitung des S<strong>ch</strong>iffs waren dem<br />

Vater die gemieteten Kne<strong>ch</strong>te zur Hand. Damit war den Söhnen <strong>und</strong> dem<br />

Vater der willige Gehorsam gegen Jesu Ruf erlei<strong>ch</strong>tert; andererseits zeigt au<strong>ch</strong><br />

dies, daß sie dur<strong>ch</strong> allerlei Hemmnisse dur<strong>ch</strong>bre<strong>ch</strong>en mußten. Der Vater betrieb<br />

den Fis<strong>ch</strong>fang si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> mit einigen Mitteln <strong>und</strong> war kein ganz armer<br />

Mann. Je mehr verlassen werden muß, um so s<strong>ch</strong>werer reißt si<strong>ch</strong> das Herz davon<br />

los. Do<strong>ch</strong> Jakobus <strong>und</strong> Johannes s<strong>ch</strong>wankten ni<strong>ch</strong>t; Jesus hatte sie bereits<br />

zu seinem Eigentum fest gewonnen.<br />

Kapitel 1,21—45<br />

Jesu Taten in Kapemaum <strong>und</strong> die erste Wanderung dur<strong>ch</strong> Galiläa<br />

Ni<strong>ch</strong>t mit der Predigt Jesu in den Bergen hat <strong>Markus</strong> den Anfang gema<strong>ch</strong>t,<br />

sondern uns sofort <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum zu seinen Taten geführt, die er in seinem<br />

mä<strong>ch</strong>tigen Erbarmen tat. Daran freili<strong>ch</strong> werden wir au<strong>ch</strong> hier erinnert, daß<br />

das erste, was Jesus der Gemeinde gab, sein Wort gewesen ist. 1,21: Und sie<br />

gehen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum hinein, <strong>und</strong> glei<strong>ch</strong> am Sabbat ging er in die Versammlung<br />

<strong>und</strong> lehrte. Darauf folgt, was bei Matthäus am S<strong>ch</strong>luß der Bergpredigt<br />

steht, 7,28. 29, wie Jesus mit seinem "Wort seine heilige Vollma<strong>ch</strong>t von oben<br />

den Leuten ins Gewissen s<strong>ch</strong>rieb <strong>und</strong> ihnen fühlbar ma<strong>ch</strong>te, daß er ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>er<br />

Art mit ihren anderen Lehrern sei. 1,22: Und sie erstaunten wegen seiner<br />

Lehre; denn er lehrte sie als ein sol<strong>ch</strong>er, der Vollma<strong>ch</strong>t hat, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t wie die<br />

S<strong>ch</strong>rift gelehrten. Ohne diese Ma<strong>ch</strong>t seines Wortes wären au<strong>ch</strong> seine Taten unwirksam<br />

geblieben. Sein Wort trieb den Blick über das, was si<strong>ch</strong>tbar in diesen<br />

war, hinauf <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te, daß jedermann in ihnen Gottes Gegenwart <strong>und</strong><br />

Gnade sah. Über den Inhalt seines Worts sagt uns <strong>Markus</strong> im Unters<strong>ch</strong>ied<br />

von Matthäus ni<strong>ch</strong>t mehr, als was der zusammenfassende Spru<strong>ch</strong> 1,15 enthält,<br />

der das Ziel Jesu in die Ankündigung der <strong>Offenbarung</strong> Gottes <strong>und</strong> in die Berufung<br />

des Volks zur Buße <strong>und</strong> zum Glauben setzt. Er sieht den besonderen


<strong>Markus</strong> 1,21—25<br />

Beruf, den Jesus zu erfüllen hat, in seinen Werken, in der helfenden Ma<strong>ch</strong>t<br />

seiner Gnade. Sein Amt ist, der Täter des göttli<strong>ch</strong>en Willens <strong>und</strong> der Geber<br />

der göttli<strong>ch</strong>en Gaben zu sein. Dadur<strong>ch</strong>, daß er im Namen Gottes handelt, ist<br />

er der Christus <strong>und</strong> Herr über alle, <strong>und</strong> deshalb ma<strong>ch</strong>t es <strong>Markus</strong> zum Hauptgegenstand<br />

seines Beri<strong>ch</strong>ts, wie Jesus den Willen Gottes dur<strong>ch</strong> seine Werke tat.<br />

Darum beri<strong>ch</strong>tet er über das, was Jesus am Sabbat in Kapernaum tat, vollständiger<br />

als Matthäus <strong>und</strong> führt uns ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong> in das Haus des Petrus, sondern<br />

zuerst in den Betsaal, in dem Jesus das Wort an die Gemeinde ri<strong>ch</strong>tete.<br />

1,23. 24: Und glei<strong>ch</strong> war in ihrer Versammlung ein Mens<strong>ch</strong> mit einem unreinen<br />

Geist, <strong>und</strong> er s<strong>ch</strong>rie auf <strong>und</strong> sagte: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von<br />

Nazareth? Du kamst, um uns zu verderben. Icio kenne di<strong>ch</strong>, wer du bist, der<br />

Heilige Gottes. Ein helles Wissen von der Heiligkeit Jesu <strong>und</strong> von seiner besonderen<br />

Sendung war über ihn gekommen, hat ihn aber nur in Verzweiflung,<br />

Angst <strong>und</strong> Wut gebra<strong>ch</strong>t. Er wüns<strong>ch</strong>t Jesus weg <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ilt ihn, daß er gekommen<br />

sei. An Geistern wie die, die dur<strong>ch</strong> ihn reden, <strong>und</strong> an den Mens<strong>ch</strong>en, die<br />

sie beherrs<strong>ch</strong>en, kann er nur als Verderber handeln; sol<strong>ch</strong>e muß der Heilige<br />

Gottes hassen, ri<strong>ch</strong>ten, strafen. Der Jammer seiner Seele lag mit diesen Worten<br />

hell im li<strong>ch</strong>t; er s<strong>ch</strong>eut Gott, ist auf der Flu<strong>ch</strong>t vor ihm, haßt ihn <strong>und</strong> wird<br />

dur<strong>ch</strong> den mä<strong>ch</strong>tigen Eindruck, den Jesus auf ihn ma<strong>ch</strong>t, vollends zum verzweifelten<br />

Widerstand gegen Gott erregt. Jesus als den Heiligen Gottes zu<br />

erkennen <strong>und</strong> anzurufen, aber ni<strong>ch</strong>t mit einem lobpreisenden Wort, das Gottes<br />

Gnade in der Sendung seines Heiligen verehrt, sondern mit angstvollem Widerstreben<br />

<strong>und</strong> Aufruhr gegen Gott, ist freili<strong>ch</strong> Wahnsinn, aber ni<strong>ch</strong>t bloß<br />

jener Wahnsinn, der aus der Verrenkung oder Vereiterung des Leibes herrührt.<br />

Darum spra<strong>ch</strong> Jesus in sol<strong>ch</strong>en Fällen von unreinen Geistern, von inwendig<br />

wirksamen Mä<strong>ch</strong>ten, die das Auge zwar s<strong>ch</strong>ärfen, den Willen zwar<br />

stärken, mehr zu sehen <strong>und</strong> Größeres zu wollen, als es sonst ein Mens<strong>ch</strong> tut,<br />

aber dur<strong>ch</strong> ein düsteres Li<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> eine unruhige, verzehrende Glut, im Kampf<br />

mit Gott, darum au<strong>ch</strong> im Streit mit der Natur.<br />

1,25: Und Jesus s<strong>ch</strong>alt ihn: Verstumme <strong>und</strong> gehe aus ihm fort! Er s<strong>ch</strong>ied<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem Geb<strong>und</strong>enen <strong>und</strong> dem, der ihn beherrs<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> zerrüttete. Jenem<br />

gibt er sein Erbarmen <strong>und</strong> wird ihm zum Befreier, ni<strong>ch</strong>t zum Ri<strong>ch</strong>ter <strong>und</strong> Verderber;<br />

diesen weist er als seinen Widersa<strong>ch</strong>er aus dem Berei<strong>ch</strong> des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Lebens fort, in das er böswillig eingedrungen ist. Er läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ans<strong>ch</strong>reien:<br />

Was hast du mit mir zu tun? Gerade für diese zerrütteten Leute, die<br />

ihrer selbst ni<strong>ch</strong>t mä<strong>ch</strong>tig, sondern finsteren Gedanken preisgegeben sind, ist<br />

er da. Sie löst er von ihrem s<strong>ch</strong>limmen Herrn. Sein Zeugnis für seine Sen-<br />

T 3


14 Jesu Taten in Kapernaum <strong>und</strong> die erste Wanderung dur<strong>ch</strong> Galiläa<br />

dung begehrt er ni<strong>ch</strong>t, sondern beweist si<strong>ch</strong> als den Heiligen Gottes dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß er ihn vertreibt.<br />

Das gebietende Wort war gespro<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> die Augen aller sahen auf den,<br />

dem es galt. 1,26: Und der unreine Geist riß ihn, rief mit lauter Stimme <strong>und</strong><br />

ging aus ihm fort. No<strong>ch</strong> einmal wurde am Geplagten die Ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar, die<br />

ihn zerrüttete. Es s<strong>ch</strong>üttelte <strong>und</strong> krümmte ihn ein wilder Krampf; ein lauter,<br />

angstvoller S<strong>ch</strong>rei folgte; dann wurde er ruhig <strong>und</strong> besonnen. "Wir können es<br />

uns lei<strong>ch</strong>t vergegenwärtigen, wel<strong>ch</strong> tiefes Erbeben dur<strong>ch</strong> die Versammlung<br />

ging: sie hatte die Gegenwart Gottes gespürt. 1,27: Und alle verw<strong>und</strong>erten<br />

si<strong>ch</strong>, so daß sie si<strong>ch</strong> miteinander bespra<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> sagten: Was ist dies? Eine neue<br />

Lehre in Vollma<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> den unreinen Geistern befiehlt er, <strong>und</strong> sie gehor<strong>ch</strong>en<br />

ihm! Zwei neue, unerwartete Erlebnisse waren ihnen widerfahren: ein neues<br />

Wort <strong>und</strong> eine sie überras<strong>ch</strong>ende Tat, eine Lehre, die die Überlieferung <strong>und</strong><br />

ihr geheiligtes Ansehen dur<strong>ch</strong>bra<strong>ch</strong> <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> das Siegel eines göttli<strong>ch</strong>en Auftrags<br />

an si<strong>ch</strong> trug <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t als willkürli<strong>ch</strong>e Abirrung von der S<strong>ch</strong>rift <strong>und</strong><br />

Wahrheit Gottes lei<strong>ch</strong>thin zu verwerfen war, sondern ihren Anspru<strong>ch</strong> an den<br />

Gehorsam des Mens<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong> in alle Herzen s<strong>ch</strong>rieb, <strong>und</strong> nun erst no<strong>ch</strong>,<br />

während s<strong>ch</strong>on dies ein großes Erstaunen erwecken mußte, der ma<strong>ch</strong>tvolle Befehl,<br />

der in den Tiefen des boshaften Geisterrei<strong>ch</strong>s vernommen ward, ein Wort<br />

voller Erbarmen für die Geplagten, do<strong>ch</strong> mit königli<strong>ch</strong>er Hoheit jenen Mä<strong>ch</strong>ten<br />

überlegen, die als Gottes Widersa<strong>ch</strong>er sein Ges<strong>ch</strong>öpf verderben <strong>und</strong> sein<br />

Werk hindern. Das war für Israel so neu <strong>und</strong> bewegte jedermann so tief, daß<br />

der Beri<strong>ch</strong>t darüber von Dorf zu Dorf dur<strong>ch</strong> Galiläa flog. 1,28: Und die Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t<br />

von ihm ging glei<strong>ch</strong> überallhin in den ganzen Bezirk Galiläas. Plötzli<strong>ch</strong><br />

war Jesu Name in aller M<strong>und</strong>.<br />

1,29: Und glei<strong>ch</strong>, wie sie aus der Versammlung kamen, gingen sie in das<br />

Haus des Simon <strong>und</strong> Andreas mit Jakobus <strong>und</strong> Johannes. Jesus entzog si<strong>ch</strong><br />

sofort <strong>na<strong>ch</strong></strong> diesem Gottesdienst allem Fragen <strong>und</strong> Ansturm der Leute dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß er in das Haus des Petrus ging. Au<strong>ch</strong> hier fand Jesus Not; denn die<br />

S<strong>ch</strong>wiegermutter Simons war fieberkrank. Er half ihr <strong>und</strong> bewährte den Seinigen,<br />

daß er sie mit allen ihren Anliegen unter seine Hilfe <strong>und</strong> Güte stellt.<br />

1,30.31: Aber die S<strong>ch</strong>wiegermutter Simons lag am Fieber darnieder, <strong>und</strong><br />

glei<strong>ch</strong> sagen sie ihm von ihr, <strong>und</strong> er trat hinzu, faßte sie an der Hand <strong>und</strong> ri<strong>ch</strong>tete<br />

sie auf. Und das Fieber verließ sie, <strong>und</strong> sie bediente sie. Zwar war es Sabbat,<br />

was die Leute von Kapernaum hinderte, für ihre Kranken von ihm Heilung<br />

zu erbitten. Jesus dagegen hinderte dies ni<strong>ch</strong>t, sie der kranken Frau zu<br />

gewähren. Daß er so handelte, wurde ihm später oft zur Sünde gema<strong>ch</strong>t; hier<br />

kam es darüber no<strong>ch</strong> zu keiner Ausspra<strong>ch</strong>e, <strong>und</strong> <strong>Markus</strong> ma<strong>ch</strong>t uns ni<strong>ch</strong>t be-.


<strong>Markus</strong> 1,26—35 15<br />

sonders darauf aufmerksam. Do<strong>ch</strong> dürfen wir wohl darauf a<strong>ch</strong>ten, wie Jesus<br />

von Anfang an ohne S<strong>ch</strong>wanken in seiner Freiheit steht <strong>und</strong> sie ohne S<strong>ch</strong>eu<br />

brau<strong>ch</strong>t. Si<strong>ch</strong> aus dem Sabbat ein Verbot zu ma<strong>ch</strong>en, anderen zu helfen, <strong>und</strong><br />

ein Gebot, andere leiden zu lassen, war Jesus immer eine inwendige Unmögli<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>und</strong> galt ihm ni<strong>ch</strong>t als ein Ruhen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Art, ni<strong>ch</strong>t als ein Gottesdienst,<br />

der Gottes Willen tut. Er feierte gerade dadur<strong>ch</strong> Sabbat, daß er der<br />

fiebernden Frau Ruhe <strong>und</strong> Genesung gab <strong>und</strong> sie die fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>e Hilfe Gottes<br />

erleben ließ.<br />

Inzwis<strong>ch</strong>en spähten die Leute von Kapernaum <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Untergang der<br />

Sonne, <strong>und</strong> als sie hinter den Bergen Galiläas vers<strong>ch</strong>w<strong>und</strong>en <strong>und</strong> der Sabbat<br />

somit ges<strong>ch</strong>lossen war, wurden ihm alle Kranken der Stadt zugetragen. 1,32<br />

bis 34: Als es aber Abend wurdey <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem die Sonne untergegangen war,<br />

bra<strong>ch</strong>ten sie zu ihm alle Leidenden <strong>und</strong> Besessenen, <strong>und</strong> die ganze Stadt war<br />

an der Tür versammelt. Und er heilte viele, die an man<strong>ch</strong>erlei Krankheiten<br />

litten, <strong>und</strong> viele böse Geister vertrieb er <strong>und</strong> ließ die Geister ni<strong>ch</strong>t reden, weil<br />

sie ihn kannten. <strong>Markus</strong> hebt no<strong>ch</strong> besonders hervor, daß er das Bekenntnis<br />

der Geister zu seiner Hoheit ni<strong>ch</strong>t zuließ. Es war von Anfang an <strong>und</strong> beharrli<strong>ch</strong><br />

sein ernstes Anliegen, der Verborgene zu bleiben, weil Israel seinen Namen<br />

ni<strong>ch</strong>t ertrug, weshalb es, sowie er laut bezeugt wurde, zum Kampf <strong>und</strong> zum<br />

Kreuz kam.<br />

1,35: Und am Morgen, no<strong>ch</strong> tief in der Na<strong>ch</strong>t, stand er auf, ging hinaus <strong>und</strong><br />

ging fort an einen einsamen Ort, <strong>und</strong> dort betete er. Er hatte den vorangehenden<br />

Tag den Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>enkt <strong>und</strong> mit dem "Wort allen, mit der Heilandstat<br />

den Geplagten gedient; nun kam er, ehe die Jünger wieder erwa<strong>ch</strong>ten, zum<br />

Vater. Er verlor zwar den Vater ni<strong>ch</strong>t, wenn er mit <strong>und</strong> für die Mens<strong>ch</strong>en<br />

lebte; allein er muß au<strong>ch</strong> wieder St<strong>und</strong>en haben, <strong>und</strong> seien es au<strong>ch</strong> St<strong>und</strong>en<br />

der Na<strong>ch</strong>t, in denen er den Druck <strong>und</strong> Dunst, der über aller mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

liegt, hinter si<strong>ch</strong> hat <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts vor si<strong>ch</strong> als das.Ohr des Vaters, in<br />

das si<strong>ch</strong> sein Gebet ergießt. <strong>Markus</strong> erinnert glei<strong>ch</strong> am Anfang daran, daß<br />

Jesu Leben <strong>und</strong> "Werk ni<strong>ch</strong>t einzig in dem bestand, was er den Mens<strong>ch</strong>en gab,<br />

sondern daß darüber das steht, was er betend <strong>na<strong>ch</strong></strong> oben hin zum Vater spra<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> tat. •<br />

<strong>Die</strong> Gedanken der Jünger dur<strong>ch</strong>kreuzte sein "Weggang hart. <strong>Die</strong> Stadt war<br />

dur<strong>ch</strong> das Ges<strong>ch</strong>ehene aufs tiefste bewegt <strong>und</strong> verlangte <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm. <strong>Die</strong> Tür<br />

zu den Leuten s<strong>ch</strong>ien offen, ihr Vertrauen zu ihm erweckt, <strong>und</strong> nun war er<br />

ni<strong>ch</strong>t zu finden. Da galt es den Jüngern als ihre Pfli<strong>ch</strong>t, ihn eilig herbeizuholen,<br />

da er es offenbar übersehe, wie wi<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> fru<strong>ch</strong>tbar dieser Augenblick sei,<br />

wieviel er s<strong>ch</strong>on errei<strong>ch</strong>t habe, wenn er nur jetzt mit kräftigem Griff das Ge-


16 Jesu Taten in Kapernaum <strong>und</strong> die erste Wanderung dur<strong>ch</strong> Galiläa<br />

•wonnene festhielte. 1,36. 37: Und Simon <strong>und</strong> die, die mit ihm waren, eilten<br />

ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>und</strong> fanden ihn <strong>und</strong> sagen zu ihm: Alle su<strong>ch</strong>en di<strong>ch</strong>. Sie melden ihm<br />

dies in der Meinung, er könne ni<strong>ch</strong>ts anderes wüns<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> werde sofort mit<br />

ihnen heimkehren. Sie erlebten, daß ihre Gedanken ni<strong>ch</strong>t die seinen, sein "Wille<br />

ni<strong>ch</strong>t der ihrige war. Er überließ das erregte Kapernaum si<strong>ch</strong> selbst <strong>und</strong> kehrte<br />

mit den Jüngern ni<strong>ch</strong>t dorthin zurück. Als er wegging, wußte er, was er tat,<br />

<strong>und</strong> er gab es den Jüngern zu fühlen, daß er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit s<strong>ch</strong>wankenden Ents<strong>ch</strong>lüssen<br />

von ihrem Gutdünken <strong>und</strong> vom Beifall der Mens<strong>ch</strong>en leiten lasse.<br />

<strong>Die</strong> Arbeit freili<strong>ch</strong> läßt er ni<strong>ch</strong>t fallen, sondern geht mit geradem S<strong>ch</strong>ritt auf<br />

seiner Bahn voran. 1,38: Und er sagt zu ihnen: Wir wollen an einen anderen<br />

Ort gehen in die be<strong>na<strong>ch</strong></strong>barten Dörfer, damit i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dort die Verkündigung<br />

ausri<strong>ch</strong>te; denn dazu ging i<strong>ch</strong> fort. Er häufte ni<strong>ch</strong>t Zei<strong>ch</strong>en auf Zei<strong>ch</strong>en, Ma<strong>ch</strong>ttat<br />

auf Ma<strong>ch</strong>ttat. Daraus wäre die fals<strong>ch</strong>e Bahn geworden, in die die trübe<br />

Hoffnung des Volkes ihn hineinziehen wollte. Er darf zwar au<strong>ch</strong> Hilfe mit<br />

si<strong>ch</strong>tbarer Deutli<strong>ch</strong>keit aus dem rei<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>atz des Vaters spenden <strong>und</strong> tut es<br />

freudig; es ist ihm aber Herrli<strong>ch</strong>eres aufgetragen, <strong>und</strong> von diesem Größeren<br />

konnten die gehäuften Zei<strong>ch</strong>en den Blick abziehen <strong>und</strong> daran hindern, daß<br />

Gottes bleibende, inwendige Gegenwart gesu<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> gef<strong>und</strong>en werde. "Was<br />

den Jüngern s<strong>ch</strong>on Erfolg s<strong>ch</strong>ien, war es no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem Urteil. Ein<br />

ras<strong>ch</strong> in die Höhe fahrender Siegeslauf, der in göttli<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t jedes Hindernis<br />

niederwarf, war ni<strong>ch</strong>t sein Weg. Er zielte höher, gründete darum au<strong>ch</strong> tiefer,<br />

warb ni<strong>ch</strong>t um begeisterten Jubel, sondern s<strong>ch</strong>uf Glauben; denn er kämpfte<br />

ni<strong>ch</strong>t einzig mit dem Heer der Übel, das auf Israel lag, sondern zuerst <strong>und</strong><br />

zumeist gegen seine Gottlosigkeit.<br />

Deshalb ließ er die erregte S<strong>ch</strong>ar in Kapernaum umsonst auf ihn warten<br />

<strong>und</strong> si<strong>ch</strong> enttäus<strong>ch</strong>t verlaufen <strong>und</strong> wanderte dur<strong>ch</strong> Galiläa dur<strong>ch</strong>. 1,39a: Und<br />

er kam <strong>und</strong> ri<strong>ch</strong>tete die Verkündigung in ganz Galiläa in ihren Versammlungen<br />

aus. Jeder Gemeinde bra<strong>ch</strong>te er die Bots<strong>ch</strong>aft von Gottes Nähe, rief in<br />

alle diese Dörfer <strong>und</strong> Dorf lein hinein: Gottes königli<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft kommt,<br />

<strong>und</strong> ri<strong>ch</strong>tete überall, wo sie um das Gesetz versammelt waren <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> mit der<br />

Erfors<strong>ch</strong>ung seines Sinns abmühten, ihren Blick auf den Gott, der ni<strong>ch</strong>t nur<br />

gebietet, sondern in seiner s<strong>ch</strong>affenden Gnade bei ihnen ist <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t in unerkennbarer<br />

Ferne bleibt, sondern si<strong>ch</strong> von ihnen dur<strong>ch</strong> den <strong>Die</strong>nst dessen<br />

finden läßt, den er ihnen jetzt als seinen Boten s<strong>ch</strong>ickt. •<br />

1,39b: Und die s<strong>ch</strong>limmen Geister trieb er weg. Da, wo Jesus vor dem unseligen<br />

Werk jenseitiger Verderber stand, sah er si<strong>ch</strong> besonders zur rettenden<br />

Hilfe ermä<strong>ch</strong>tigt. <strong>Markus</strong> wird dabei an seine Christen denken, die aus dem<br />

Heidentum herkamen <strong>und</strong> mitten in seinem dunklen Götter- <strong>und</strong> Geisterdienst


<strong>Markus</strong> i,36—45<br />

zu leben hatten. Was ma<strong>ch</strong>t sie dabei ruhig, si<strong>ch</strong>er, frei? Jesus ist der S<strong>ch</strong>irmer<br />

gegen alle jenseitigen Verderber; wo er ist, wei<strong>ch</strong>en sie.<br />

In diese Wanderung dur<strong>ch</strong> Galiläa versetzt <strong>Markus</strong> die Heilung des Aussätzigen,<br />

mit der Matthäus, 8,2—4,


18 Der Anstoß der Pharisäer an Jesu Gnade <strong>und</strong> Freiheit<br />

sidh gegen ihn erbitterten <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> zum Kampf gegen ihn rüsteten. An Jesu<br />

Gnade fallen sie, an dem, was Jesu hö<strong>ch</strong>ste Gabe <strong>und</strong> der lebendige Gr<strong>und</strong> des<br />

Glaubens ist, daran, daß er Sündern verzeiht, Gefallene zu si<strong>ch</strong> beruft, in seiner<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft Freude <strong>und</strong> Freiheit gibt, aus dem Sabbat für niemand eine<br />

Plage ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> dann ni<strong>ch</strong>t von seinem Wohltun ruht. Das trieb sie vorwärts<br />

bis zur s<strong>ch</strong>limmsten Lästerung. <strong>Die</strong> drei ersten Erzählungen, die uns den<br />

Streit der stolzen Gere<strong>ch</strong>tigkeit gegen Jesu Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> Gnade zeigen,<br />

stehen s<strong>ch</strong>on bei Matthäus, 9,1—17, beisammen; <strong>Markus</strong> fügt die Bes<strong>ch</strong>werden<br />

der Pharisäer über die Sabbatsfeier Jesu, Matthäus 12,1—14, glei<strong>ch</strong> hier an,<br />

weil au<strong>ch</strong> diese zeigen, wie ihnen Jesu neue Weise, Gott zu dienen, zum Anstoß<br />

ward, <strong>und</strong> bleibt dann au<strong>ch</strong> weiter bei dem, was uns Matthäus Kapitel 12<br />

über den Kampf zwis<strong>ch</strong>en Jesus <strong>und</strong> den Pharisäern beri<strong>ch</strong>tet hat.<br />

Matthäus ma<strong>ch</strong>te uns dur<strong>ch</strong> die Predigt des Täufers <strong>und</strong> weiter dur<strong>ch</strong> die<br />

Bergpredigt hell erkennbar, wie s<strong>ch</strong>on Gottes Gebot die Judens<strong>ch</strong>aft von Jesus<br />

s<strong>ch</strong>ied, weil er es erfüllt, sie es zertritt, da sie ihr Böses ents<strong>ch</strong>uldigt, mit Gottes<br />

Gebot für vereinbar erklärt, mitten in ihren Gottesdienst hineinnimmt <strong>und</strong><br />

au<strong>ch</strong> dort no<strong>ch</strong> pflegt, während Jesus ni<strong>ch</strong>ts Sündli<strong>ch</strong>es erträgt, sondern Buße<br />

fordert. Im Unters<strong>ch</strong>ied von Matthäus hat dagegen <strong>Markus</strong> ni<strong>ch</strong>t davon gespro<strong>ch</strong>en,<br />

wie Jesus für Gottes Gebot gestritten hat, sondern uns sofort zu<br />

seiner Gnade geführt <strong>und</strong> gezeigt, wie ihn Israel deshalb verloren hat, weil es<br />

seiner Gnade widerspra<strong>ch</strong>. Denn das ist die Stelle, an der die Entfremdung<br />

Israels von Jesus unüberwindli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> unheilbar ward. So ernst Jesus für<br />

Gottes Gebot stritt, seine Willigkeit zu vergeben stand ungehemmt <strong>und</strong> ungemindert<br />

darüber, <strong>und</strong> er rei<strong>ch</strong>te jenen zornigen <strong>und</strong> unkeus<strong>ch</strong>en Frommen,<br />

denen er ihre Sünde zeigte, denno<strong>ch</strong> beständig die Hand, bereit, au<strong>ch</strong> sie in<br />

Gottes Rei<strong>ch</strong> zu leiten. Daß sie es verloren, hatte erst darin seinen Gr<strong>und</strong>, daß<br />

sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur gegen sein Bußwort, sondern au<strong>ch</strong> gegen seine Gnade auflehnten<br />

<strong>und</strong> ihn deshalb verwarfen, weil er ihnen Gottes Gnade zutrug.<br />

2,1. 2: Und er kam <strong>na<strong>ch</strong></strong> einiger Zeit wieder <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum, <strong>und</strong> es wurde<br />

bekannt, daß er im Hause sei, <strong>und</strong> viele kamen zusammen, so daß au<strong>ch</strong> der<br />

Raum bei der Tür ni<strong>ch</strong>t mehr rei<strong>ch</strong>te, <strong>und</strong> er sagte ihnen das Wort. Das war<br />

der <strong>Die</strong>nst, den er allen zuerst <strong>und</strong> beharrli<strong>ch</strong> tat <strong>und</strong> der den besonderen Zei<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> Taten, die uns <strong>Markus</strong> erzählt, erst ihre Bedeutung gab. Ebenso erinnert<br />

uns <strong>Markus</strong> vor der Berufung des Zöllners, V. 13, daran, daß Jesus das<br />

Volk am Seeufer um si<strong>ch</strong> versammelt <strong>und</strong> ihm das Wort gesagt hatte. Das uns<br />

wohlbekannte Wort Jesu, wie es die Christenheit dur<strong>ch</strong> die Predigt der Apostel<br />

besitzt, müssen wir vor Augen haben, um zu verstehen, was die Zei<strong>ch</strong>en<br />

bedeuten <strong>und</strong> warum die Auflehnung gegen sie der Judens<strong>ch</strong>aft zum Falle


<strong>Markus</strong> 2}i—7 19<br />

ward. Dur<strong>ch</strong> sein Wort gab ihnen Jesus das Verständnis für seine Gnade,<br />

zeigte er ihnen die Reinheit <strong>und</strong> Heiligkeit seiner Vergebung <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te er<br />

ihnen deutli<strong>ch</strong>, wie er ni<strong>ch</strong>t gegen Gottes Willen, sondern zu seiner Erfüllung,<br />

ni<strong>ch</strong>t zur Mehrung des Bösen, sondern zur Erlösung von ihm gnädig ist. Darum<br />

wurde es ihnen zur S<strong>ch</strong>uld, daß sie ihn denno<strong>ch</strong> deshalb lästern konnten,<br />

weil er vergab.<br />

Für den Gi<strong>ch</strong>tbrü<strong>ch</strong>igen war Jesus zu jeder Hilfe bereit, vergab ihm die<br />

Sünden <strong>und</strong> legte ihm die Gewißheit der Vergebung mit heller Zusage in sein<br />

Herz, weil er den Glauben derer sah, die ihn zu ihm gebra<strong>ch</strong>t hatten. <strong>Markus</strong><br />

hat uns beri<strong>ch</strong>tet, wie ihr Glaube si<strong>ch</strong>tbar geworden ist. 2,3-4: Und sie kommen<br />

<strong>und</strong> bringen einen Gelähmten zu ihm, der von vieren getragen ward. Und<br />

da sie ihn wegen des Volks ni<strong>ch</strong>t zu ihm bringen konnten, deckten sie an der<br />

Stelle, wo er war, das Da<strong>ch</strong> ab, gruben ein Lo<strong>ch</strong> <strong>und</strong> lassen das Bett herunter,<br />

auf dem der Gelähmte lag. Den Trägern war der Weg zu Jesus versperrt; im<br />

Hause saß Mann an Mann gedrängt, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> der Raum vor der Tür war gefüllt.<br />

Sollten sie warten, bis ihnen der Zugang zu Jesus mögli<strong>ch</strong> werde? Ob<br />

<strong>und</strong> wann dies ges<strong>ch</strong>ehe, war ungewiß; eins aber war ihnen gewiß: sie kehrten<br />

ni<strong>ch</strong>t um. Daß sie ni<strong>ch</strong>t zu ihm gelangen konnten, ers<strong>ch</strong>ien ihnen als das<br />

einzige Hindernis, das die Heilung ihres Kranken no<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>wert. Sowie<br />

dieses überw<strong>und</strong>en ist, ist ihm geholfen <strong>und</strong> alles gewonnen, sowie er endli<strong>ch</strong><br />

vor Jesus liegt. Da ma<strong>ch</strong>ten sie si<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>lossen ans Werk. Das ebene Da<strong>ch</strong><br />

des Hauses war lei<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>t, vom Na<strong>ch</strong>barda<strong>ch</strong> aus oder dur<strong>ch</strong> eine Treppe<br />

aus dem Hof, <strong>und</strong> als sie droben standen, gruben sie es auf. 2,5: Und da Jesus<br />

ihren Glauben sah, sagt er zum Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden werden<br />

vergeben. Als sie den Lahmen den drunten Stehenden hinabgerei<strong>ch</strong>t hatten<br />

<strong>und</strong> er nun vor Jesus lag <strong>und</strong> von oben her dur<strong>ch</strong> das Lo<strong>ch</strong> in der Decke die<br />

Träger herniedersahen, erfreut, daß sie den Kranken denno<strong>ch</strong> bis. zu ihm gebra<strong>ch</strong>t<br />

hatten, in froher Erwartung, wie er ihn aufri<strong>ch</strong>ten werde, da hielt keine<br />

Ma<strong>ch</strong>t auf Erden Jesus zurück, daß er si<strong>ch</strong> seiner ni<strong>ch</strong>t erbarme, weder die<br />

Sünden, die auf dem Lahmen lasteten, no<strong>ch</strong> die Sünde, die im Herzen der<br />

S<strong>ch</strong>riftgelehrten auf ihn lauerte. In dem, was hier ges<strong>ch</strong>ehen war, lag Vertrauen<br />

zu seiner Hilfe, das er nie zertreten hat, eine dringende <strong>und</strong> gewisse<br />

Bitte, die er ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>ämt, sondern erhört. Darum gab er dem Kranken das<br />

Wort der Gnade, das seine Sünden begrub <strong>und</strong> alles Elend, das s<strong>ch</strong>on aus<br />

ihnen erwa<strong>ch</strong>sen war <strong>und</strong> no<strong>ch</strong> erwa<strong>ch</strong>sen konnte, zum S<strong>ch</strong>luß <strong>und</strong> Ende<br />

bringt.<br />

2,6.7: Es saßen aber einige S<strong>ch</strong>riftgelehrte dort <strong>und</strong> geda<strong>ch</strong>ten in ihren<br />

Herzen: Warum redet dieser so? Er lästert! Wer kann Sünden vergeben außer


2 o Der Anstoß der Pharisäer an Jesu Gnade <strong>und</strong> Freiheit<br />

dem Einen, nämli<strong>ch</strong> Gott? So legt uns <strong>Markus</strong> die argen Gedanken der S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

aus. Sie können ni<strong>ch</strong>ts erkennen, was diesem Mens<strong>ch</strong>en Jesus Gr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Re<strong>ch</strong>t zu einem sol<strong>ch</strong>en Wort gäbe. Wie will er Gottes Urteil erfors<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> in die göttli<strong>ch</strong>e Liebe hineins<strong>ch</strong>auen, so daß er wüßte, wie der einige Herr<br />

<strong>und</strong> Ri<strong>ch</strong>ter aller si<strong>ch</strong> zu diesem Mens<strong>ch</strong>en stellt, ob er seine Sünde tilgt oder<br />

sie ihm anre<strong>ch</strong>net <strong>und</strong> ihn unter sein Geri<strong>ch</strong>t oder in sein Erbarmen setzt? Deshalb<br />

fahren sie mit ihrem Urteil keck zu <strong>und</strong> werfen Jesus vor, er vergesse<br />

Gottes Re<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Majestät, maße si<strong>ch</strong> an, was Gott allein zusteht, <strong>und</strong> werde<br />

dadur<strong>ch</strong> zum Lästerer.<br />

Das traf Jesu Gnade in ihrer innersten Wurzel. Was war sie no<strong>ch</strong>, wenn der<br />

Zweifel erwa<strong>ch</strong>en durfte, ob es au<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> Gottes Vergeben sei, was sie uns<br />

bringt, <strong>und</strong> der Verda<strong>ch</strong>t Raum bekam, er rede nur aus mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>em Mitgefühl,<br />

los von Gottes Urteil <strong>und</strong> Willen, ja gegen ihn? Darum hat Jesus sein<br />

gnädiges Wort an den Lahmen dur<strong>ch</strong> den si<strong>ch</strong>tbaren Ma<strong>ch</strong>terweis ges<strong>ch</strong>ützt.<br />

2,8—n: Und glei<strong>ch</strong> erkannte Jesus in seinem Geist, daß sie so bei si<strong>ch</strong> denken,<br />

<strong>und</strong> sagt zu ihnen: Warum denkt ihr dies in euren Herzen? Was ist lei<strong>ch</strong>ter,<br />

zum Gelähmten zu sagen: Deine Sünden werden vergeben, oder zu sagen:<br />

Stehe auf, <strong>und</strong> nimm dein Bett, <strong>und</strong> geh? Damit ihr aber wißt, daß der Sohn<br />

des Mens<strong>ch</strong>en Vollma<strong>ch</strong>t hat, auf der Erde Sünden zu vergeben, sagt er zum<br />

Gelähmten: I<strong>ch</strong> sage dir, steh auf, nimm dein Bett, <strong>und</strong> geh <strong>na<strong>ch</strong></strong> Haus. Er hat<br />

keine Antastung seiner Vollma<strong>ch</strong>t zugelassen, so zu vergeben, daß Gottes<br />

Vergebung mitten in unseren irdis<strong>ch</strong>en Lebenslauf in heller Si<strong>ch</strong>tbarkeit hineintritt<br />

<strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t ein unerfors<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Geheimnis bleibt, sondern an Jesus ges<strong>ch</strong>aut,<br />

darum geglaubt <strong>und</strong> empfangen werden kann. Deshalb stellt er den<br />

Lahmen auf <strong>und</strong> hieß ihn vor ihren Augen von dannen gehen, damit wir wüßten,<br />

daß er ni<strong>ch</strong>t allein ist, sondern daß der Vater bei ihm ist <strong>und</strong> in Jesu Vergebung<br />

uns Gottes Gnade widerfährt. 2,12: Und er stand auf, nahm gleid) das<br />

Bett <strong>und</strong> ging vor aller Augen hinaus, so daß si<strong>ch</strong> alle verw<strong>und</strong>erten, Gott<br />

priesen <strong>und</strong> sagten: Sol<strong>ch</strong>es haben wir nie gesehen.<br />

2,13. 14: Und er ging wieder an den See hinaus, <strong>und</strong> die ganze S<strong>ch</strong>ar kam zu<br />

ihm, <strong>und</strong> er lehrte sie. Und wie er vorbeiging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus,<br />

an der Zollstätte sitzen <strong>und</strong> sagt zu ihm: Folge mir! Und er stand auf<br />

<strong>und</strong> folgte ihm. Dadur<strong>ch</strong>, daß er duj<strong>ch</strong> seine Berufung einen Zollpä<strong>ch</strong>ter in<br />

seinen Jüngerkreis stellte, ma<strong>ch</strong>te er allen deutli<strong>ch</strong>, daß sie si<strong>ch</strong> an alle wendet,<br />

vor keinem Fall zurückwei<strong>ch</strong>t, sondern mit völliger Vergebung aus allen Tiefen<br />

der Sünde heraus jeden Mens<strong>ch</strong>en zu Gott zu bringen vermag. Matthäus<br />

hat an dieser Stelle si<strong>ch</strong> selbst, <strong>Markus</strong> dagegen Levi, den Sohn des Alphäus<br />

genannt. Warum er einen anderen Mann nennt, etwa deshalb, weil er von der


<strong>Markus</strong> 2,8—20 21<br />

Berufung der Zwölf erst später spri<strong>ch</strong>t oder weil Levi der Christenheit, für die<br />

<strong>Markus</strong> zunä<strong>ch</strong>st das Evangelium s<strong>ch</strong>rieb, persönli<strong>ch</strong> nahe stand, hat er uns<br />

ni<strong>ch</strong>t angedeutet. Zur Erklärung dieses Unters<strong>ch</strong>ieds läßt si<strong>ch</strong> nur das verwenden,<br />

was <strong>Markus</strong> sofort sagt. 2,15: Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er in seinem Hause zu<br />

Tis<strong>ch</strong>e lag, da legten si<strong>ch</strong> viele Zöllner <strong>und</strong> Sünder mit Jesus <strong>und</strong> seinen Jüngern<br />

am Tis<strong>ch</strong> nieder. Denn es waren viele, <strong>und</strong> sie folgten ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Ni<strong>ch</strong>t<br />

nur hie <strong>und</strong> da ein einzelner, viele hatten der Regel des Gesetzes öffentli<strong>ch</strong> zuwider<br />

gehandelt, waren mit einem bösen Gewissen <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ande belastet <strong>und</strong><br />

sahen si<strong>ch</strong> von den Gere<strong>ch</strong>ten der Gemeinde mit Zorn <strong>und</strong> Abs<strong>ch</strong>eu gemieden<br />

<strong>und</strong> dem göttli<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>t übergeben. <strong>Die</strong>ser großen S<strong>ch</strong>ar der Gefallenen<br />

<strong>und</strong> Ausgestoßenen griff Jesu Tat, dur<strong>ch</strong> die er einen der Ihrigen in seinen<br />

Jüngerkreis aufnahm, ins Herz <strong>und</strong> zog sie zu ihm hin. 2,16.17: Und als die<br />

S<strong>ch</strong>riftgelehrten unter den Pharisäern sahen, daß er mit den Sündern <strong>und</strong><br />

Zöllnern ißt, sagten sie zu seinen Jüngern: Er ißt mit den Zöllnern <strong>und</strong> Sündern!<br />

Und Jesus hörte es <strong>und</strong> sagte zu ihnen: <strong>Die</strong> Kräftigen haben den Arzt<br />

ni<strong>ch</strong>t nötig, sondern die, denen es s<strong>ch</strong>limm geht. I<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t gekommen, um<br />

Gere<strong>ch</strong>te zu rufen, sondern Sünder. Er hat, als die Pharisäer den Jüngern<br />

seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den Geä<strong>ch</strong>teten verdä<strong>ch</strong>tigten, seine Gnade verteidigt,<br />

si<strong>ch</strong> mit ihnen so völlig <strong>und</strong> fest verb<strong>und</strong>en, wie der Arzt zu den Kranken gehört,<br />

<strong>und</strong> die Gere<strong>ch</strong>ten dur<strong>ch</strong> das Wort ers<strong>ch</strong>üttert <strong>und</strong> bes<strong>ch</strong>ämt, daß der<br />

Vater ihn nur zu den Sündern s<strong>ch</strong>icke <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t zu den Gere<strong>ch</strong>ten.<br />

Um uns die Bedeutung der dritten Zweifelsfrage deutli<strong>ch</strong>er zu ma<strong>ch</strong>en, erinnert<br />

uns <strong>Markus</strong> zuerst an die fromme Sitte, in der die Jünger des Johannes<br />

mit den Pharisäern übereinstimmten. 2,18: Und die Jünger des Johannes <strong>und</strong><br />

die Pharisäer waren am Fasten. Und sie kommen <strong>und</strong> sagen zu ihm: Weshalb<br />

fasten die Jünger des Johannes <strong>und</strong> die Jünger der Pharisäer, deine Jünger<br />

aber fasten ni<strong>ch</strong>t? Ob es die alten Meister waren oder der neue Prophet, jeder,<br />

der bisher in die Zu<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Leitung eines frommen Lehrers trat, wurde von<br />

ihm angehalten, si<strong>ch</strong> vor Gott <strong>und</strong> den Mens<strong>ch</strong>en dadur<strong>ch</strong> zu demütigen, daß<br />

er si<strong>ch</strong> zu bestimmten Zeiten, z. B. je zwei Tage in der Wo<strong>ch</strong>e, der Speise bis<br />

zum Einbru<strong>ch</strong> der Na<strong>ch</strong>t enthielt. Nur Jesu Jünger sah man selbst dann ungesdieut<br />

die Mahlzeit halten, wenn alle Frommen fasteten. Jesus ma<strong>ch</strong>t es den<br />

Jüngern zur Pfli<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> an seiner Gegenwart zu freuen, wie die Genossen des<br />

Bräutigams si<strong>ch</strong> mit ihm freuen, dann freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> unter seinen Tod si<strong>ch</strong> zu<br />

beugen <strong>und</strong> mit ihm zu leiden. 2,19. 20: Und Jesus sagte zu ihnen: Können<br />

etwa die Fre<strong>und</strong>e des Bräutigams fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist?<br />

Solange sie den Bräutigam bei si<strong>ch</strong> haben, können sie ni<strong>ch</strong>t fasten. Es werden<br />

aber Tage kommen,-wenn der Bräutigam von ihnen genommen wird, <strong>und</strong>


22 Der Anstoß der Pharisäer an Jesu Gnade <strong>und</strong> Freiheit<br />

dann an jenem Tag werden sie fasten. Dazu fügt Jesus die Mahnung, ni<strong>ch</strong>t<br />

eilfertig <strong>und</strong> einzig <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Freiheit seiner Jünger zu greifen. 2,21. 22: Niemand<br />

näht einen Flick von ungewalktem Tu<strong>ch</strong> auf einen alten Mantel; sonst<br />

nimmt die neue Ausfüllung etwas vom alten Mantel fort, <strong>und</strong> ein s<strong>ch</strong>limmerer<br />

Riß entsteht. Und niemand s<strong>ch</strong>üttet jungen Wein in alte S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>e; sonst wird<br />

der Wein die S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>e zerreißen, <strong>und</strong> der Wein <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>e gehen verloren.<br />

<strong>Die</strong> Freiheit, die er seinen Jüngern gibt, läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wie ein einzelnes<br />

Stück an die alte«Frömmigkeit anhängen, wodur<strong>ch</strong> die alte Fur<strong>ch</strong>t Gottes, die<br />

alte Reue <strong>und</strong> Buße zerstört <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> die neue Freiheit <strong>und</strong> die Freude ganzer<br />

Jüngers<strong>ch</strong>aft Jesu ni<strong>ch</strong>t gewonnen wären.<br />

Israel hätte si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gegen die Gnade Jesu erbittert, wenn es ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />

über Gottes Gesetz ganz anders geda<strong>ch</strong>t hätte, als es Jesus tat. Darum geht<br />

<strong>Markus</strong> glei<strong>ch</strong> zu dem über, was von Matthäus in Kap. 12 beri<strong>ch</strong>tet ist, <strong>und</strong><br />

zeigt, wie au<strong>ch</strong> am Sabbat die Freiheit, die Jesus den Seinen verstattete, den<br />

Pharisäern zum Ärgernis geworden ist. 2,23 : Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er am Sabbat<br />

dur<strong>ch</strong> die Saaten ging, da fingen seine Jünger an, einen Weg zure<strong>ch</strong>t zu ma<strong>ch</strong>en,<br />

indem sie die Ähren abrissen. Beim Gang dur<strong>ch</strong> das Feld war ni<strong>ch</strong>t zu vermeiden,<br />

daß man<strong>ch</strong>e Ähren zertreten wurden. Da sie s<strong>ch</strong>on reif waren, rissen<br />

sie die Jünger ab, damit sie ni<strong>ch</strong>t verlorengehen, <strong>und</strong> aßen entweder die Körner<br />

glei<strong>ch</strong> oder bewahrten die Ähren auf. Da forderten die "Wä<strong>ch</strong>ter des Gesetzes<br />

Jesus auf, ihrer Versündigung ein Ende zu ma<strong>ch</strong>en. 2,24: Und die Pharisäer<br />

sagten zu ihm: Sieh, was sie am Sabbat Unerlaubtes tun! Er s<strong>ch</strong>ützte jedo<strong>ch</strong><br />

die Seinen. 2,25. 26: Und er sagt zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was<br />

David tat, als er in Not war <strong>und</strong> hungerte, er <strong>und</strong> die, die mit ihm waren?<br />

wie er unter Abjathar, dem Hohenpriester, in das Haus Gottes hineinging <strong>und</strong><br />

die S<strong>ch</strong>aubrote aß, die einzig die Priester essen dürfen, <strong>und</strong> sie au<strong>ch</strong> denen gab,<br />

die mit ihm waren? Der Maßstab, mit dem ihre Verkläger die Sünde messen,<br />

ist ni<strong>ch</strong>t derjenige der S<strong>ch</strong>rift. <strong>Die</strong> S<strong>ch</strong>rift kennt einen, der in das Heiligtum<br />

ging <strong>und</strong> dort S<strong>ch</strong>aubrote aß <strong>und</strong> deswegen ni<strong>ch</strong>t verdammt wird, als hütete<br />

Gott eifersü<strong>ch</strong>tig seine S<strong>ch</strong>aubrote, sondern au<strong>ch</strong> dies in Gottes Wohlgefallen<br />

tat, <strong>und</strong> der, von dem die S<strong>ch</strong>rift diese Übertretung der heiligen Ordnung erzählt,<br />

war kein Geringerer als David selbst. So urteilt die S<strong>ch</strong>rift, weil sie<br />

wider das zeugt, was wirkli<strong>ch</strong> Sünde ist, <strong>und</strong> Gott darauf a<strong>ch</strong>tet, wie der<br />

Mens<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> inwendig <strong>und</strong> in "Wahrheit zu ihm hält, ob er ihn verleugnet oder<br />

gläubig ehrt.<br />

Das zweite Beispiel, wodur<strong>ch</strong> Jesus zeigte, wie es au<strong>ch</strong> am Sabbat eine geheiligte<br />

Arbeit gebe, da die Priester am Sabbat ihren <strong>Die</strong>nst verri<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong><br />

do<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sündigen, weil er im Heiligtum ges<strong>ch</strong>ieht, steht bei <strong>Markus</strong>


<strong>Markus</strong> 2,21—28; 3,1. 2 23<br />

ni<strong>ch</strong>t. Denn der Kir<strong>ch</strong>e aus den Heiden war das fremder, was zum Gottesdienst<br />

Israels gehörte <strong>und</strong> was Jesus damit sagte, daß er si<strong>ch</strong> dem Tempel<br />

glei<strong>ch</strong>setzte, <strong>und</strong> weshalb er das, was die Jünger unter seinen Augen tun, unter<br />

dieselbe Regel stellte wie das, was im Heiligtum ges<strong>ch</strong>ah. Deshalb geht <strong>Markus</strong><br />

sofort zum letzten Wort Jesu über, dur<strong>ch</strong> das er bestritt, daß der Sabbat<br />

sein Herr sei, dem er dienen müsse, vielmehr si<strong>ch</strong> selbst den Herrn des Sabbats<br />

hieß, dem dieser untergeben sei, bereitet es aber dur<strong>ch</strong> ein neues Wort vor, das<br />

wir nur bei <strong>Markus</strong> lesen. 2,27.28: Und er sagte zu ihnen: Der Sabbat ist um<br />

des Mens<strong>ch</strong>en willen geworden <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t der Mens<strong>ch</strong> um des Sabbats willen;<br />

somit ist der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> über den Sabbat Herr. Daß es in Israel<br />

so aussah, als wäre die ri<strong>ch</strong>tige Feier des Sabbats Gottes erstes Verlangen, das<br />

alles andere überwiege, kam daher, daß die Sabbatsfeier ein Hauptstück des<br />

alten Gottesdienstes gebildet hat. Dadur<strong>ch</strong>, daß Israel je den siebenten Tag<br />

von aller Arbeit abs<strong>ch</strong>ied <strong>und</strong> zum Ruhetag ma<strong>ch</strong>te, ehrte es Gott als seinen<br />

Herrn, dem es mit seiner ganzen Habe gehört. Wie dürften wir aber ein anderes<br />

Anliegen über das, was Gottes <strong>Die</strong>nst ist, setzen <strong>und</strong> an unser Wohl <strong>und</strong><br />

Weh denken, wenn es gilt, Gott zu geben, was Gottes ist? Darum unterwarfen<br />

die Pharisäer si<strong>ch</strong> selbst <strong>und</strong> das ganze Volk der Sabbatregel als dem obersten<br />

Gesetz <strong>und</strong> verlangten die Enthaltung vom Werk ohne Rücksi<strong>ch</strong>t auf das, was<br />

si<strong>ch</strong> daraus für das Leben des Mens<strong>ch</strong>en, ja für den Bestand des ganzen Volks<br />

ergab. Damit ist jedo<strong>ch</strong> der <strong>Die</strong>nst, den wir Gott bringen dürfen, ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

seinem Sinn <strong>und</strong> Willen verstanden <strong>und</strong> seine Liebe mißdeutet, als läge es ihm<br />

an den Gaben <strong>und</strong> Dingen, die der Mens<strong>ch</strong> ihm darbringt, während wir selber<br />

Gottes Werk sind, dem seine Liebe <strong>und</strong> Sorge gilt. Au<strong>ch</strong> all das, was uns als<br />

unser Gottesdienst aufgetragen ist, ist uns um unsretwillen befohlen, damit<br />

wir dadur<strong>ch</strong> zu Gott kommen, seiner Leitung uns untergeben <strong>und</strong> in seiner<br />

Liebe bleiben. Darum war es ni<strong>ch</strong>t göttli<strong>ch</strong> geda<strong>ch</strong>t, wenn der Pharisäer sagte:<br />

Erst der Sabbat, dann der Mens<strong>ch</strong>; so redet die Fur<strong>ch</strong>t, der Gott als der harte<br />

Herr ers<strong>ch</strong>eint, <strong>und</strong> der glaubenslose Sinn, der si<strong>ch</strong> Gottes Gunst mit seinem<br />

Opfer zu erkaufen su<strong>ch</strong>t. Gott selbst denkt anders: Erst der Mens<strong>ch</strong>, dann der<br />

Sabbat, ihm zur Hilfe, daß er Gottes ni<strong>ch</strong>t vergißt, <strong>und</strong> zur Wohltat, daß er<br />

ni<strong>ch</strong>t in seinem irdis<strong>ch</strong>en Werk versinkt. Gilt es s<strong>ch</strong>on vom Mens<strong>ch</strong>en, daß<br />

Gott in seiner Güte für ihn sorgt, so gilt dies no<strong>ch</strong> viel mehr vom Mens<strong>ch</strong>ensohn,<br />

auf dem Gottes Wohlgefallen völlig ruht. Ihm legt der Vater alles in die<br />

Hand, alle Dinge, alle Tage, au<strong>ch</strong> den Sabbat, damit sie ihm als Mittel <strong>und</strong><br />

Werkzeug dienen, wodur<strong>ch</strong> er seinen Lauf vollbringe, den Vater fröhli<strong>ch</strong><br />

preise <strong>und</strong> den Mens<strong>ch</strong>en zeige, was Gottes Gnade ihnen gibt.<br />

3,1.2: Und er ging wieder in eine Versammlung, <strong>und</strong> es war dort ein Mens<strong>ch</strong>


M Der Anstoß der Pharisäer an Jesu Gnade <strong>und</strong> Freiheit<br />

mit einem verdorrten Arm, <strong>und</strong> sie paßten ihm auf, ob er ihn am Sabbat<br />

heilen werde, um ihn zu verklagen. <strong>Die</strong> Pharisäer re<strong>ch</strong>neten bereits darauf,<br />

Jesus werde si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Sabbatruhe ni<strong>ch</strong>t am Wohltun hindern lassen, <strong>und</strong><br />

warteten gespannt, ob er es wage, öffentli<strong>ch</strong> vor ihren Augen das zu tun, was<br />

sie als Sünde verworfen hatten. Jesus wi<strong>ch</strong> diesem Kampf ni<strong>ch</strong>t aus, sondern<br />

zerbra<strong>ch</strong> den pharisäis<strong>ch</strong>en Sabbat offen <strong>und</strong> ganz. 3,3: Und er sagt zu dem<br />

Mens<strong>ch</strong>en, der den dürren Arm hatte: Steh auf, <strong>und</strong> tritt in die Mitte! <strong>Die</strong>s<br />

tat er darum, weil er ihnen jetzt ausdrückli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> öffentli<strong>ch</strong> sein Re<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> ihr<br />

Unre<strong>ch</strong>t, seinen e<strong>ch</strong>ten Gottesdienst <strong>und</strong> ihren fals<strong>ch</strong>en Gottesdienst erkennbar<br />

ma<strong>ch</strong>en will. Und als der Mann allen si<strong>ch</strong>tbar dastand <strong>und</strong> jedermann den<br />

s<strong>ch</strong>limmen S<strong>ch</strong>aden sah, an dem er litt, 3,4a: Da sagt er zu ihnen: Darf man am<br />

Sabbat wohltun oder übeltun, die Seele retten oder töten?<br />

Au<strong>ch</strong> die Unterlassung des Werks wird oft zum "Werk, das ernste Folgen<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> si<strong>ch</strong> zieht. Wird die Hilfe versagt, so ist ni<strong>ch</strong>t nur die Wohltat unterblieben,<br />

sondern Übeltat ges<strong>ch</strong>ehen, <strong>und</strong> wer si<strong>ch</strong> weigert, den anderen zu<br />

retten, tötet ihn. Steht nun in der S<strong>ch</strong>rift eine Ermä<strong>ch</strong>tigung, am Sabbat übelzutun?<br />

Hat sie Israel den Sabbat dazu gegeben, um ihm einen Tag zu gönnen,<br />

an dem man die Mens<strong>ch</strong>en plagen, ihr Leben zerstören <strong>und</strong> verderben darf <strong>und</strong><br />

das Wohltun zur Sünde wird? Gibt es irgendeinen Tag, an dem si<strong>ch</strong> Gottes<br />

Wille in sein Gegenteil verkehrte, Wohltun ihm zuwider, Übeltun ihm wohlgefällig<br />

wäre? Bei Matthäus fragt sie Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem, was sie am Sabbat für<br />

ihre Tiere tun. <strong>Die</strong>se Frage s<strong>ch</strong>loß si<strong>ch</strong> an die jüdis<strong>ch</strong>e Sitte an, da die überlieferte<br />

Regel die Rettung eines verunglückten Tieres gestattete <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> die<br />

heiligsten Männer dies ohne Bedenken taten. Au<strong>ch</strong> in ihrer Form bleibt jene<br />

Belehrung Jesu bei dem, was in den jüdis<strong>ch</strong>en Versammlungen übli<strong>ch</strong> war. Bei<br />

<strong>Markus</strong> enthüllt die Frage Jesu den Kernpunkt des Streits, traf jedes Gewissen<br />

<strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te unzweideutig klar, worin er si<strong>ch</strong> von der jüdis<strong>ch</strong>en Weise<br />

unters<strong>ch</strong>ied;<br />

3,4b: Sie aber s<strong>ch</strong>wiegen. Niemand war aufri<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> mutig genug, ihm zu<br />

antworten: Wohltun ist erlaubt, Übel tun ist Sünde. Jesus hatte si<strong>ch</strong> auf die<br />

si<strong>ch</strong>erste Erkenntnis berufen, die wir von Gott haben, daß er das will, was<br />

gut ist, <strong>und</strong> ihm keine Bosheit gefällt. Sie aber waren ni<strong>ch</strong>t aufri<strong>ch</strong>tig genug,<br />

um dieser Erkenntnis treu zu bleiben <strong>und</strong> der Wahrheit die Ehre zu geben, die<br />

sie do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verleugnen konnten. Sie wagten zwar ni<strong>ch</strong>t, gegen ihr Gewissen<br />

die Übeltat für re<strong>ch</strong>t zu erklären, wollten aber au<strong>ch</strong> von ihrem ererbten Weg<br />

ni<strong>ch</strong>t lassen <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t gestehen, daß ihr Gottesdienst fals<strong>ch</strong>, ihre Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

verdorben sei. So fragte Jesus umsonst.<br />

3,5a: Und er sah sie ringsum mit Zorn an, betrübt über die Verhärtung


<strong>Markus</strong> $,3—8 25<br />

ihres Herzens. Seinen Zorn gab er dur<strong>ch</strong> seinen Blick dieser frommen Gemeinde<br />

zu erkennen, die beisammen war, um s<strong>ch</strong>einbar in tiefster Ehrfur<strong>ch</strong>t<br />

das Gesetz Gottes anzuhören <strong>und</strong> seinen Tag zu feiern, <strong>und</strong> denno<strong>ch</strong> dem<br />

Willen Gottes ni<strong>ch</strong>t die Ehre geben mo<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> stellte, als wüßte sie ni<strong>ch</strong>t,<br />

ob Gott ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Übeltun gedient wäre. Zorn verdient das, weil es die<br />

größte Entehrung Gottes ist, wenn wir Bosheit mit seinem Namen decken <strong>und</strong><br />

unseren sündli<strong>ch</strong>en Willen sogar an unserem Gottesdienst nähren <strong>und</strong> stärken. •<br />

Jesu Zorn kam aus einem tiefen S<strong>ch</strong>merz, weil ihr S<strong>ch</strong>weigen zeigte, daß der<br />

klare Blick <strong>und</strong> gerade Wille in ihnen erstorben war. In einem Herzen, das<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr weiß, ob es wohl- oder übeltun darf, ist die reine Empfindung <strong>und</strong><br />

klare Wahrnehmung tot. Deshalb hat au<strong>ch</strong> Jesus ni<strong>ch</strong>t weiter gespro<strong>ch</strong>en, sondern<br />

auf Wort <strong>und</strong> Lehre verzi<strong>ch</strong>tet <strong>und</strong> nur no<strong>ch</strong> eins hinzugefügt, die Tat<br />

mit ihrem Gotteszeugnis, das ni<strong>ch</strong>t zu übers<strong>ch</strong>reien <strong>und</strong> abzuleugnen war. 3,5b:<br />

Und er sagt zu dem Mens<strong>ch</strong>en: Strecke den Arm aus, <strong>und</strong> er streckte ihn aus,<br />

<strong>und</strong> sein Arm wurde wieder hergestellt. So zeigte ihnen Jesus, daß ihm Gottes<br />

Ma<strong>ch</strong>t zum Wohltun stets gegeben ist.<br />

Das war in den Augen der Pharisäer eine todeswürdige S<strong>ch</strong>uld. Weil er ihre<br />

Satzung zerbra<strong>ch</strong>, galt er ihnen als ein Verderber der Gemeinde, der sterben<br />

muß. 3,6: Und als die Pharisäer herauskamen, hielten sie glei<strong>ch</strong> mit den Herodianern<br />

gegen ihn Rat, wie sie ihn verderben könnten. Herodianer nannte das<br />

Volk die Männer, die die Sa<strong>ch</strong>e des Fürstenhauses verfo<strong>ch</strong>ten; der Herr Galiläas,<br />

Antipas, gehörte ja zu diesem, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> sonst war es immer no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

Rei<strong>ch</strong>tum <strong>und</strong> Ansehen, au<strong>ch</strong> beim kaiserli<strong>ch</strong>en Hofe, mä<strong>ch</strong>tig. Darum fehlte<br />

es ihm au<strong>ch</strong> unter dem Volke ni<strong>ch</strong>t an Anhängern, die ihm verpfli<strong>ch</strong>tet <strong>und</strong> ergeben<br />

waren. <strong>Die</strong> Pharisäer erwogen, daß si<strong>ch</strong> die Folgen ni<strong>ch</strong>t ermessen ließen,<br />

die die Tötung Jesu haben könnte; viellei<strong>ch</strong>t kam die Sa<strong>ch</strong>e bis zum Landesfürsten,<br />

viellei<strong>ch</strong>t sogar bis zu den römis<strong>ch</strong>en Beamten. Es s<strong>ch</strong>ien ^vorteilhaft,<br />

daß au<strong>ch</strong> Männer gegen Jesus auftraten, die dort Ansehen hatten. So vermieden<br />

die Pharisäer den S<strong>ch</strong>ein, der Angriff gegen Jesus komme nur aus dem<br />

Haß ihrer Partei <strong>und</strong> der zänkis<strong>ch</strong>en Eifersu<strong>ch</strong>t der S<strong>ch</strong>ule. Waren au<strong>ch</strong> Herodianer<br />

zur Gewalttat gegen Jesus bereit, so war erwiesen, daß er wirkli<strong>ch</strong> für<br />

die Ruhe <strong>und</strong> Wohlfahrt des Volkes gefährli<strong>ch</strong> sei. <strong>Markus</strong> erzählt dies, damit<br />

wir auf die weltli<strong>ch</strong>e, gottlose Art dieser Klugheit a<strong>ch</strong>ten. Mens<strong>ch</strong>en zogen sie<br />

zu Hilfe, von denen sie wußten, daß ihnen Gottes Rei<strong>ch</strong> <strong>und</strong> Wille ni<strong>ch</strong>ts galt,<br />

<strong>und</strong> deckten si<strong>ch</strong> vorsi<strong>ch</strong>tig dur<strong>ch</strong> Helfershelfer; um Gott kümmerten sie si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t.<br />

Jesu Arbeit <strong>und</strong> Einfluß auf das Volk war no<strong>ch</strong> im.'Wa<strong>ch</strong>sen. 3,7. 8: Und<br />

Jesus zog si<strong>ch</strong> mit seinen Jüngern an den See zurück, <strong>und</strong> eine große S<strong>ch</strong>ar aus


¿6 Der Anstoß der Pharisäer an Jesu Gnade <strong>und</strong> Freiheit<br />

Galiläa zog ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>, <strong>und</strong> aus Judäa <strong>und</strong> aus Jerusalem <strong>und</strong> aus lduma'a <strong>und</strong><br />

aus der Gegend jenseits des Jordans <strong>und</strong> aus dem Gebiet von Tyrus <strong>und</strong> Sidon<br />

kam eine große S<strong>ch</strong>ar zu ihm, die hörte, was er tat. Er vers<strong>ch</strong>affte si<strong>ch</strong> die Frist<br />

für seine Arbeit dadur<strong>ch</strong>, daß er seinen Widersa<strong>ch</strong>ern auswi<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sie ni<strong>ch</strong>t<br />

selbst zum "Widerstand reizte. Aber au<strong>ch</strong> in seine Zurückgezogenheit zogen<br />

ihm die S<strong>ch</strong>aren <strong>na<strong>ch</strong></strong>, ni<strong>ch</strong>t nur aus der Na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aft, so daß sein Wort etwa<br />

. nur zu den Galiläern gekommen wäre, sondern, wie <strong>Markus</strong> mit Matthäus<br />

4,25 sagt, aus allen Teilen des Landes, au<strong>ch</strong> aus Judäa <strong>und</strong> Jerusalem, sodann<br />

aus Idumäa, wie man damals den südli<strong>ch</strong>en Teil des alten Stammgebiets von<br />

Juda nannte, von Hebron an <strong>na<strong>ch</strong></strong> Süden der Wüste zu <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Westen hin,<br />

wo si<strong>ch</strong> das Hügelland zur Ebene am Mittelmeer zieht, weiter aus dem Ostjordanland,<br />

wo sowohl in der Jordanebene als auf der Ho<strong>ch</strong>ebene die Gegend<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem Nordende des Toten Meeres <strong>und</strong> dem Gebiet der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />

Städte Pella, Abila <strong>und</strong> Gerasa von einer starken Judens<strong>ch</strong>aft besiedelt war,<br />

endli<strong>ch</strong> aus dem Gebiet von Tyrus <strong>und</strong> Sidon, wobei wir ni<strong>ch</strong>t nur an die<br />

s<strong>ch</strong>male Küste des alten Phönizien zu denken haben, sondern au<strong>ch</strong> an das weite<br />

Bergland, das zwis<strong>ch</strong>en dem jüdis<strong>ch</strong>en Galiläa <strong>und</strong> den hohen Gipfeln des Libanon<br />

liegt. So hatte Jesus au<strong>ch</strong> in seiner Verborgenheit Hörer aus allen Teilen<br />

des Landes um si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> trug au<strong>ch</strong> so die Bots<strong>ch</strong>aft von Gottes naher <strong>Offenbarung</strong><br />

in das ganze Volk hinein.<br />

3,9—12: Und er sagte seinen Jüngern, daß ein Boot bei ihm bleiben solle<br />

um der Menge willen, damit sie ihn ni<strong>ch</strong>t drängten. Denn er heilte viele, so daß<br />

si<strong>ch</strong> die, die Plagen hatten, auf ihn warfen, um ihn anzurühren, <strong>und</strong> die unreinen<br />

Geister stürzten, wenn sie ihn sahen, auf ihn zu <strong>und</strong> riefen: Du bist der<br />

Sohn Gottes, <strong>und</strong> er s<strong>ch</strong>alt sie sehr, damit sie ihn ni<strong>ch</strong>t offenbar ma<strong>ch</strong>ten. Am<br />

Ufer des Sees, wohin si<strong>ch</strong> Jesus zurückgezogen hatte, um ni<strong>ch</strong>t beständig mit<br />

den Lehrern <strong>und</strong> Pharisäern streiten zu müssen, gab es man<strong>ch</strong>en erregten Vorgang,<br />

wenn si<strong>ch</strong> die Kranken auf ihn warfen, sowie sie ihn viellei<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

langer Wanderung aus entfernten Orten endli<strong>ch</strong> sahen <strong>und</strong> nun die Hoffnung<br />

sie leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> bewegte, in seiner Berührung Heilung zu finden, oder wenn<br />

die von Geistern Geplagten geängstet <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> zu ihm hingetrieben vor ihm<br />

si<strong>ch</strong> niederwarfen als vor dem, der der Herr <strong>und</strong> Ri<strong>ch</strong>ter der Geister <strong>und</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>en sei. Jesus hat aber all sol<strong>ch</strong>en Gewaltsamkeiten vorgebeugt, si<strong>ch</strong> die<br />

Freiheit des eigenen Willens gesi<strong>ch</strong>ert <strong>und</strong> nie auf die stille, persönli<strong>ch</strong>e Einwirkung<br />

verzi<strong>ch</strong>tet, die den Mens<strong>ch</strong>en inwendig ihm zuwendete <strong>und</strong> in ihm<br />

Glauben pflanzte. Darum blieb er im Boot etwas vom Ufer entfernt. Er hütete<br />

au<strong>ch</strong> seine Verborgenheit <strong>und</strong> ließ ein lautes Ausrufen seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft mit<br />

dem Vater <strong>und</strong> seines königli<strong>ch</strong>en Amtes niemand zu. Der Andrang des Volks


<strong>Markus</strong> 3,9—15 27<br />

ist uns sowohl der vorangehenden als der folgenden Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te wegen bes<strong>ch</strong>rieben.<br />

<strong>Die</strong> Menge von Elend wird hier offenbar, die auf Israel lastete. Dadur<strong>ch</strong><br />

verstehen wir um so besser, warum Jesus ohne Rast Gutes tat am<br />

Sabbat wie an jedem anderen Tag, ermessen es au<strong>ch</strong>, wie blind <strong>und</strong> hart das<br />

Urteil derer war, die ihn seiner Guttaten wegen zum Tod verdammten. Jene<br />

Elenden, die <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Gabe so stürmis<strong>ch</strong> griffen, daß er ihretwegen auf den<br />

See hinausfahren mußte, urteilten anders als die vorgebli<strong>ch</strong>en Lehrer <strong>und</strong> Hirten<br />

des Volks. Zuglei<strong>ch</strong> verstehen wir au<strong>ch</strong> den weiteren wi<strong>ch</strong>tigen S<strong>ch</strong>ritt<br />

Jesu, der zum Fortgang seines Werks gehört, die Bestellung der zwölf Männer,<br />

die er zu seinen Boten einsetzte. <strong>Die</strong> große Menge um ihn her war ni<strong>ch</strong>t<br />

nur der Heilung, sondern au<strong>ch</strong> des Worts bedürftig. Jetzt su<strong>ch</strong>te sie freili<strong>ch</strong><br />

bloß die nä<strong>ch</strong>stliegende, greifbare Hilfe; es galt aber, sie für Gottes Rei<strong>ch</strong> zu<br />

rüsten, <strong>und</strong> dies ges<strong>ch</strong>ieht dur<strong>ch</strong> das Wort. Darum erzählt uns jetzt au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong>,<br />

was wir dur<strong>ch</strong> Matthäus 5,1 wissen, daß Jesus an einen ungestörten Ort<br />

in das Bergland hinaufging <strong>und</strong> dort die Boten bestellte, die dem Volk das<br />

Wort zu bringen haben. 3,13: Und er geht in das Gebirge hinauf <strong>und</strong> ruft die<br />

zu si<strong>ch</strong>, die er wollte, <strong>und</strong> sie kamen zu ihm. Au<strong>ch</strong> hier, wo <strong>Markus</strong> vom<br />

Aufenthalt Jesu im galiläis<strong>ch</strong>en Bergland spri<strong>ch</strong>t, gibt er uns ni<strong>ch</strong>t einen Beri<strong>ch</strong>t<br />

über Jesu Wort, sondern einzig über seine Tat, dur<strong>ch</strong> die er den Gr<strong>und</strong><br />

zu seiner Kir<strong>ch</strong>e legte. Damals hat Jesus den ges<strong>ch</strong>lossenen Kreis seiner zwölf<br />

Boten eingesetzt. Matthäus war es genug, an der Berufung der vier ersten Jünger<br />

zu zeigen, wie Jesus si<strong>ch</strong> seinen Jüngerkreis dur<strong>ch</strong> eine freie, eigene Auswahl<br />

sammelte. Her<strong>na<strong>ch</strong></strong>, als Jesus in den Bergen zu lehren begann, sagt er:<br />

damals hätten si<strong>ch</strong> die Jünger um ihn her gestellt, begierig, sein Wort zu hören,<br />

<strong>und</strong> zum Gehorsam gegen ihn bereit. Matthäus lag alles am Wort Jesu, dur<strong>ch</strong><br />

das er ihnen zeigte, was er als Sünde verwerfe <strong>und</strong> als ihre Gere<strong>ch</strong>tigkeit von<br />

ihnen fordere. Wie er her<strong>na<strong>ch</strong></strong> zu ihrer Aussendung übergeht, gibt er bloß no<strong>ch</strong><br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>trägli<strong>ch</strong> die Namen der Zwölf, 10,2 ff. <strong>Markus</strong> dagegen hat der Kir<strong>ch</strong>e<br />

eindrückli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, daß die Einsetzung der Zwölf eine wi<strong>ch</strong>tige Tat Jesu<br />

war, dur<strong>ch</strong> die er selber für die Gründung <strong>und</strong> Leitung seiner Gemeinde Sorge<br />

trug. Da das Erbarmen mit dem Volk Jesus zur Bestellung seiner Boten bewog,<br />

hat uns <strong>Markus</strong> vorher den traurigen Anblick bes<strong>ch</strong>rieben, den die zu Jesus herbeieilende<br />

Menge bot. Au<strong>ch</strong> hat er uns s<strong>ch</strong>on den heißen Kampf dargestellt, in<br />

dem Jesus mit der Judens<strong>ch</strong>aft stand. Sein Ausgang steht s<strong>ch</strong>on deutli<strong>ch</strong> vor<br />

unseren Augen; denn der Ents<strong>ch</strong>luß, ihn zu töten, war gefaßt. Deshalb setzt<br />

er seine Boten ein, denen er sein Wort übergibt, wenn seine Zeit vorüber ist.<br />

3,14.15 : Und er setzte zwölf ein, daß sie bei ihm seien <strong>und</strong> daß er sie sende,<br />

um zu verkündigen, <strong>und</strong> damit sie Ma<strong>ch</strong>t hätten, die s<strong>ch</strong>limmen Geister zu ver-


2 8 Der Anstoß der Pharisäer an Jesu Gnade <strong>und</strong> Freiheit<br />

treiben. Zuerst rief er aus der S<strong>ch</strong>ar, die ihn begleitete, einen größeren Kreis<br />

zu si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>uf damit den Anfang seiner Gemeinde. Mit königli<strong>ch</strong>er Freiheit<br />

in eigener Ents<strong>ch</strong>eidung stellte er die, die er rief, in dieselbe <strong>und</strong> gab damit<br />

jedem der Berufenen Gottes Verheißung in einer ihm persönli<strong>ch</strong> zugeeigneten<br />

Gestalt. Aus diesem großen Kreis hob er wieder die Zwölf heraus. Ihre Aufgabe<br />

bestand zunä<strong>ch</strong>st darin, bei ihm zu sein <strong>und</strong> zu sehen <strong>und</strong> zu hören, was<br />

Gott dur<strong>ch</strong> ihn tat, damit aus ihnen die Zeugen würden, die au<strong>ch</strong> denen den<br />

Sohn Gottes verkündigen könnten, die ihn ni<strong>ch</strong>t selber sahen. "Weiter bestellte<br />

er sie aber au<strong>ch</strong> zur Mitarbeit, sowohl in der Ausri<strong>ch</strong>tung der Bots<strong>ch</strong>aft, die<br />

das Auge Israels auf Gottes Tat hinwendete, als au<strong>ch</strong> bei der Abwehr der<br />

s<strong>ch</strong>limmen Mä<strong>ch</strong>te, die das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Leben verheeren. Au<strong>ch</strong> bei den Jüngern<br />

hebt dies <strong>Markus</strong> als ein wi<strong>ch</strong>tiges Stück ihres Berufs hervor, daß Jesus ihnen<br />

die Befreiung der von unsi<strong>ch</strong>tbaren Feinden Geplagten übertragen hat.<br />

3,16: Und er setzte die Zwölf ein <strong>und</strong> gab Simon den Namen Petrus. Zum<br />

ersten unter den Zwölf hat Jesus Simon gema<strong>ch</strong>t, den <strong>Markus</strong> von nun an mit<br />

demjenigen Namen nennt, den ihm Jesus gab: der Fels, Petrus. Denn dur<strong>ch</strong><br />

seine Einsetzung zum ersten Jünger begann si<strong>ch</strong> das zu erfüllen, was ihm Jesus<br />

mit diesem Namen verhieß <strong>und</strong> befahl. Derselbe bes<strong>ch</strong>reibt sein Apostelwerk,<br />

das er im <strong>Die</strong>nste Jesu <strong>und</strong> mit seinem Worte auszuri<strong>ch</strong>ten hat. Dadur<strong>ch</strong> wird<br />

er die tragende Stütze, auf der die Gemeinde ruht, der feste Gr<strong>und</strong>, auf den<br />

Jesus seinen hohen, großen Bau zu stellen vermag. Der Name spri<strong>ch</strong>t in mä<strong>ch</strong>tiger<br />

Klarheit aus, wie dankbar <strong>und</strong> gewiß Jesus auf die Führung des Vaters<br />

blickte. Er hat ihm diesen Simon zugeführt, s<strong>ch</strong>einbar ein s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>es "Werkzeug,<br />

mit dem ni<strong>ch</strong>ts auszuri<strong>ch</strong>ten ist. Do<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Gedanken des Kleinmuts<br />

blieben Jesus fern, <strong>und</strong> er s<strong>ch</strong>eu<strong>ch</strong>te sie au<strong>ch</strong> vom Jünger fort. Er ist denno<strong>ch</strong><br />

der Fels, den kein Stoß zertrümmern wird, denno<strong>ch</strong> der starke Träger, auf<br />

dem seine Gemeinde aufgebaut wird.'<br />

3,17: Und Jakobus, den Sohn des Zebedäus, <strong>und</strong> Johannes, den Bruder des<br />

Jakobus, <strong>und</strong> er gab ihnen den Namen Boanerges, das heißt Söhne des Donners.<br />

Das sind sol<strong>ch</strong>e, die des Donners Art an si<strong>ch</strong> haben, dem Donner glei<strong>ch</strong>en.<br />

Ebenso wie „Petrus" wird au<strong>ch</strong> dieser Name eine Verheißung Jesu in si<strong>ch</strong> tragen,<br />

die ihnen die mä<strong>ch</strong>tige Stimme zusagt, das wirksame Zeugnis für ihn, das<br />

wie Donners<strong>ch</strong>all sein Wort dur<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>heit trägt.<br />

3,18.19: Und Andreas <strong>und</strong> Philippus <strong>und</strong> Bartholomäus <strong>und</strong> Matthäus<br />

<strong>und</strong> Thomas <strong>und</strong> Jakobus, den Sohn des Alphäus, <strong>und</strong> Thaddäus <strong>und</strong> Simon,<br />

den Kananäus, <strong>und</strong> Judas Iskarioth, der ihn überanwortet hat. Ni<strong>ch</strong>t jedem<br />

der Zwölf gab er einen besonderen Namen, da s<strong>ch</strong>on die allen gemeinsame<br />

Verheißung <strong>und</strong> der allen aufgetragene Beruf, die beide im Apostelnamen ent-


<strong>Markus</strong> 3,16—21 29<br />

halten sind, ihrem Glauben den festen Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> ihrer Arbeit das deutli<strong>ch</strong>e<br />

Ziel gegeben hat. Von den Männern, die Matthäus zu den Zwölfen zählt, fehlt<br />

bei <strong>Markus</strong> Lebbäus, wofür er an derselben Stelle Thaddäus nennt. Thaddai<br />

ist wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Name Theudas in der damals beliebten abgekürzten<br />

Form, weshalb hier s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> an einen anderen Mann zu denken ist<br />

als an den, der au<strong>ch</strong> den syris<strong>ch</strong>en Namen Lebbäus geführt hat, weil es häufig<br />

vorgekommen ist, daß derselbe Mann zum syris<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> einen grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />

Namen trug.<br />

3,20: Und er kommt in das Hans, <strong>und</strong> wieder kommt die Menge zusammen,<br />

so daß sie ni<strong>ch</strong>t imstande waren, au<strong>ch</strong> nur Brot zu essen. Vom Seeufer her <strong>und</strong><br />

aus dem Bergland herab kam Jesus do<strong>ch</strong> immer wieder in seine Stadt, <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Kapernaum'. Dann füllte si<strong>ch</strong> das Haus mit zahlrei<strong>ch</strong>en Gästen, die sein Wort<br />

oder seine heilende Hilfe begehrten- <strong>und</strong> ihn ungern verließen, so daß es sogar<br />

an Raum <strong>und</strong> Zeit zum Essen gebra<strong>ch</strong>. Damit steht sowohl die Angst seiner<br />

Verwandten um ihn als die Lästerung der Lehrer in Zusammenhang.<br />

3,21: Und seine Verwandten gingen, als sie es hörten, aus, um si<strong>ch</strong> seiner<br />

zu bemä<strong>ch</strong>tigen; denn sie sagten, er sei von Sinnen. So völlig mußte Jesus bei<br />

seinem <strong>Die</strong>nst, den er Israel tat, auf Dank verzi<strong>ch</strong>ten. Sogar die Seinigen<br />

führte das, was sie von seinem Wirken hörten, ni<strong>ch</strong>t zu einem hellen, warmen<br />

Dank gegen Gott; im Gegenteil: ein banges Grauen faßte sie <strong>und</strong> ließ sie erwägen,<br />

ob er no<strong>ch</strong> einen ges<strong>und</strong>en Verstand <strong>und</strong> die ruhige Überlegung besitze.<br />

Er fuhr ja ganz aus der Bahn heraus, die uns Mens<strong>ch</strong>en sonst gewiesen<br />

ist. Er re<strong>ch</strong>nete ni<strong>ch</strong>t mit dem Vermögen der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Natur, sondern in<br />

s<strong>ch</strong>rankenloser Zuversi<strong>ch</strong>t allein mit Gottes Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Hilfe <strong>und</strong> trat als<br />

Streiter dem Rei<strong>ch</strong> der teuflis<strong>ch</strong>en Geister entgegen mit dem Anspru<strong>ch</strong>, ihr<br />

Überwinder zu sein. Was kam aber bei all diesen großen Worten <strong>und</strong> Taten<br />

für ihn heraus? Plage, so daß er ni<strong>ch</strong>t einmal mehr Zeit zum Essen hatte, Feinds<strong>ch</strong>aft<br />

bei allen, die das Ansehen hatten, übler Ruf bis zu giftigen S<strong>ch</strong>eltworten,<br />

die ihn einen Volks Verführer <strong>und</strong> Teufelsdiener hießen <strong>und</strong> ihn ernsthaft<br />

in Gefahr bra<strong>ch</strong>ten, da das Leben" dessen, der Israel verwirrte, an einem<br />

s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Faden hing. Trotz all dieser mä<strong>ch</strong>tigen Worte <strong>und</strong> Werke war er<br />

immer no<strong>ch</strong> ebenso arm wie damals, als er no<strong>ch</strong> in Nazareth lebte, ja viel<br />

ärmer, als er früher war, als ihm die Tage in stiller, froher Ruhe verstri<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> er keinen Feind hatte <strong>und</strong> niemand ihn lästerte. So ho<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong> erhob, so<br />

niedrig, so arm blieb er. Lag Vernunft in seinem Weg? Wo sollte das enden?<br />

Ein Ziel <strong>und</strong> Ausweg war nirgends zu sehen. Konnte das Gottes Führung sein?<br />

<strong>und</strong> hatte er no<strong>ch</strong> die Herrs<strong>ch</strong>aft über si<strong>ch</strong> selbst? <strong>Die</strong> Seinigen meinten, das<br />

Beste für ihn sei, wenn sie si<strong>ch</strong> seiner annähmen, ihn unter ihre Leitung stell-


3° Der Anstoß der Pharisäer an Jesu Gnade <strong>und</strong> Freiheit<br />

ten <strong>und</strong> aus seiner "Wirksamkeit heraus in die Stille ihrer Häusli<strong>ch</strong>keit zurückführten.<br />

So zogen sie denn aus, um ihn zu holen. Offenbar sieht <strong>Markus</strong> mit<br />

Vers 31 auf dieses Unternehmen der Verwandten Jesu zurück, woraus wir<br />

sehen, daß au<strong>ch</strong> Maria mitgegangen ist. "Wir brau<strong>ch</strong>en ihr deshalb ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong>zusagen,<br />

daß diese verzagenden, dunklen Gedanken zuerst in ihr entstanden<br />

seien. Do<strong>ch</strong> hatte sie~ni<strong>ch</strong>t die Kraft, ihren Söhnen zu widerstehen <strong>und</strong> dem<br />

Bes<strong>ch</strong>luß der Familie zu widerspre<strong>ch</strong>en. Daß sie mitging, war für das Gelingen<br />

des Plans von "Wi<strong>ch</strong>tigkeit, weil keines Mens<strong>ch</strong>en Rat für Jesus mehr Gewi<strong>ch</strong>t<br />

haben mußte als der Wuns<strong>ch</strong> der Mutter.<br />

Außer seinen Angehörigen beoba<strong>ch</strong>ten ihn no<strong>ch</strong> andere mit besonderer<br />

Aufmerksamkeit. 3,22: Und die S<strong>ch</strong>riftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen<br />

waren, sagten: Er hat den Belzebul <strong>und</strong> vertreibt die Geister dur<strong>ch</strong><br />

den Beherrs<strong>ch</strong>er der Geister. <strong>Die</strong> Theologen Jerusalems führten über alles, was<br />

in der Judens<strong>ch</strong>aft ges<strong>ch</strong>ah, die Aufsi<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> haben es deshalb ni<strong>ch</strong>t versäumt,<br />

als die Beri<strong>ch</strong>te über Jesus in die Stadt kamen, einige der Ihrigen zu ihm zu<br />

senden, die ihn zu überwa<strong>ch</strong>en hatten, <strong>und</strong> diese gaben ihr Urteil dahin ab,<br />

daß die Quelle seiner Kraft der Teufel sei. Es s<strong>ch</strong>ien ja ein ganz vernünftiger<br />

Gedanke, daß ihm über die Geister niederer Ordnung dur<strong>ch</strong> den Ma<strong>ch</strong>t gegeben<br />

sei, der ihnen als ihr Regent zu gebieten vermöge. Indem <strong>Markus</strong> die<br />

Besorgnis der Verwandten Jesu <strong>und</strong> das Urteil der Lehrer über ihn nebeneinander<br />

stellt, ma<strong>ch</strong>t er uns deutli<strong>ch</strong>, wie si<strong>ch</strong> alle an Jesus versündigen, arge<br />

Gedanken überall si<strong>ch</strong> regen, sowohl in denen, die ihm dur<strong>ch</strong> die Bande des<br />

Bluts verb<strong>und</strong>en waren, als au<strong>ch</strong> in denen, die als Hüter des Gesetzes <strong>und</strong> der<br />

S<strong>ch</strong>rift die Gemeinde leiteten. Allen waren Gottes Gedanken zu ho<strong>ch</strong>, allen<br />

Jesu "Weg <strong>und</strong> Ziel unverständli<strong>ch</strong>. Sie gaben alle giftigem Urteil in si<strong>ch</strong> Raum<br />

<strong>und</strong> ärgerten si<strong>ch</strong> an ihm.<br />

<strong>Markus</strong> gibt zunä<strong>ch</strong>st die wi<strong>ch</strong>tigsten Sprü<strong>ch</strong>e aus der Antwort Jesu, mit<br />

der er die Lästerung der Lehrer verni<strong>ch</strong>tet hat. 3,23—26: Und er rief sie herzu<br />

<strong>und</strong> sagte zu ihnen in Glei<strong>ch</strong>nissen: Wie kann der Satan den Satan vertreiben?<br />

Und wenn ein Königrei<strong>ch</strong> mit si<strong>ch</strong> selbst entzweit ist, kann jenes Königrei<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t bestehen. Und wenn ein Haus mit si<strong>ch</strong> selbst entzweit ist, kann jenes<br />

Haus ni<strong>ch</strong>t bestehen. Und wenn der Satan gegen si<strong>ch</strong> selbst aufsteht <strong>und</strong> entzweit<br />

ist, kann er ni<strong>ch</strong>t bestehen, sondern hat ein Ende. Jesus hat seinen Gegnern<br />

den Widersinn ihrer Erklärung seiner Taten vorgehalten. So gewiß ein<br />

Rei<strong>ch</strong> oder Haus, das si<strong>ch</strong> selbst in Hader <strong>und</strong> Kampf bekriegt, zerfällt, so gewiß<br />

ist es mit der Ma<strong>ch</strong>t des Satans aus, wenn er selbst sein Werk zerstört<br />

<strong>und</strong> die von ihm Geb<strong>und</strong>enen selbst befreit. 3,27: Aber niemand kann in das<br />

Haus des Starken eintreten <strong>und</strong> seine Geräte rauben, wenn er ni<strong>ch</strong>t zuerst den


<strong>Markus</strong> 3,22—34 3 1<br />

Starken geb<strong>und</strong>en hat, <strong>und</strong> dann wird er sein Haus berauben. Jesu befreiendes<br />

Wirken an den Geplagten hat darin seinen Gr<strong>und</strong>, daß er selbst den Starken<br />

überw<strong>und</strong>en hat, <strong>und</strong> sein eigener Sieg ist es, der au<strong>ch</strong> die Seinigen aus aller<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit dem teuflis<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong> erlöst.<br />

3,28—30: Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Den Mens<strong>ch</strong>ensöhnen werden alle Sünden<br />

<strong>und</strong> Lästerungen, alles, was sie lästern, vergeben werden. Wer aber den<br />

heiligen Geist lästert, hat die Vergebung in Ewigkeit ni<strong>ch</strong>t, sondern ist einer<br />

ewigen Sünde s<strong>ch</strong>uldig. Denn sie sagten: Er hat einen unreinen Geist. <strong>Die</strong>ses<br />

Wort bezeugt zuerst Gottes Willigkeit, alles, womit Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> versündigen<br />

<strong>und</strong> Gott <strong>und</strong> seine Regierung s<strong>ch</strong>elten, zu vergeben. Sie sind ja Mens<strong>ch</strong>ensöhne,<br />

die s<strong>ch</strong>on von ihrer Geburt her die Art der Mens<strong>ch</strong>en an si<strong>ch</strong> tragen,<br />

deren verkehrte Begehrungen bewirken, daß sie sündigen, <strong>und</strong> deren Augen<br />

geblendet sind, so daß sie Gottes Werk verkennen <strong>und</strong> ihn zu lästern imstande<br />

sind. Darum hat Gott mit ihnen Geduld <strong>und</strong> gewährt ihnen die Vergebung.<br />

Weil uns aber Gottes Gnade die Bosheit ni<strong>ch</strong>t freigibt, sondern uns von ihr erlösen<br />

will, zeigt uns Jesu Wort zuglei<strong>ch</strong> die Grenze, an der wir die göttli<strong>ch</strong>e<br />

Vergebung verlieren <strong>und</strong> der S<strong>ch</strong>uldige dem Geri<strong>ch</strong>t ohne Hilfe <strong>und</strong> ohne Erlösung<br />

übergeben bleibt. <strong>Die</strong>s ges<strong>ch</strong>ieht da, wo der heilige Geist gelästert wird.<br />

<strong>Markus</strong> hat aus den Streitworten Jesu gegen die Pharisäer dieses Wort hervorgehoben,<br />

weil es für die Christenheit eine besondere Bedeutung bekam, weil<br />

der Geist si<strong>ch</strong> in ihr heimis<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Es mahnt sie, daß sie si<strong>ch</strong> dann, wenn Gottes<br />

Werk im heiligen Geiste si<strong>ch</strong>tbar wird, ihr göttli<strong>ch</strong>e Wahrheit s<strong>ch</strong>enkt <strong>und</strong><br />

reinen, aus seiner Liebe stammenden Willen gibt, in Dank <strong>und</strong> Gehorsam<br />

beuge, ni<strong>ch</strong>t aber si<strong>ch</strong> verhärte <strong>und</strong> dagegen erbittere <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> mit Lästerungen<br />

si<strong>ch</strong> Gottes vollkommene Gabe verbitte <strong>und</strong> vertreibe, weil wir uns im<br />

Streit gegen Gottes Geist tödli<strong>ch</strong> verw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> hier die großen Sünden ges<strong>ch</strong>ehen,<br />

für die au<strong>ch</strong> Jesus kein Wort der Gnade mehr hat.<br />

So wissen wir, wie Jesus den Angriff der S<strong>ch</strong>riftgelehrten zuni<strong>ch</strong>te ma<strong>ch</strong>te,<br />

<strong>und</strong> hören nun, wie er au<strong>ch</strong> den Plan seiner Verwandten zum S<strong>ch</strong>eitern bra<strong>ch</strong>te.<br />

Er gab ihnen ni<strong>ch</strong>t einmal so viel Raum, daß sie ihm ihre Wüns<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> Rats<strong>ch</strong>läge<br />

vorlegen konnten, sondern wies sie an der S<strong>ch</strong>welle ab, aber so, daß er<br />

ihnen mit heller Deutli<strong>ch</strong>keit erkennbar ma<strong>ch</strong>te, warum er ni<strong>ch</strong>t anders handeln<br />

könne, weil er so den Weg seines Vaters mit vollkommenem Gehorsam<br />

geht. 3,31—34: Und seine Mutter <strong>und</strong> seine Brüder kommen, standen draußen,<br />

s<strong>ch</strong>ickten zu ihm <strong>und</strong> riefen ihn. Und es saß eine S<strong>ch</strong>ar um ihn, <strong>und</strong> sie sagen<br />

zu ihm: Sieh! draußen ist deine Mutter <strong>und</strong> deine Brüder, sie su<strong>ch</strong>en di<strong>ch</strong>. Und<br />

er antwortete ihnen <strong>und</strong> sagt: Wer ist meine Mutter <strong>und</strong> meine Brüder? Und<br />

er sah die an, die rings um ihn saßen, <strong>und</strong> sagt: Seht meine Mutter <strong>und</strong> meine


3 2 Jesus bes<strong>ch</strong>reibt Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

Brüder. Er hat ni<strong>ch</strong>t vergebens gearbeitet, sondern Mutter <strong>und</strong> Brüder gef<strong>und</strong>en,<br />

mit denen er in völliger Gemeins<strong>ch</strong>aft steht. Seine Jünger sind der Lohn<br />

seiner Mühe, den der Vater ihm gegeben hat <strong>und</strong> den er mit dankbarer Freude<br />

s<strong>ch</strong>ätzt. Sie zieht er zu unlösli<strong>ch</strong>er Gemeins<strong>ch</strong>aft an si<strong>ch</strong>. 3,35: Jeder, der den<br />

Willen Gottes tut, der ist mir Bruder <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>wester <strong>und</strong> Mutter. Damit spra<strong>ch</strong><br />

er aus, was ihn von seinen Verwandten trennte. Ihr Sinn ging jetzt ni<strong>ch</strong>t<br />

darauf, den Willen Gottes zu tun; sie stießen si<strong>ch</strong> vielmehr an ihm <strong>und</strong> fanden<br />

ihn dunkel, hoffnungslos <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>wer. Seine Jünger dagegen, mit ihrer Willigkeit,<br />

sein Wort zu hören, mit ihrem Glauben, der sie bei ihm bleiben ma<strong>ch</strong>t,<br />

sie tun das, was Gott will, <strong>und</strong> darum bekennt si<strong>ch</strong> Jesus zu ihnen. Er würde<br />

den Vater verleugnen, wenn er si<strong>ch</strong> von ihnen wegziehen ließe. Von Gottes<br />

Willen reißt ihn ni<strong>ch</strong>ts los, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der Wuns<strong>ch</strong> der Mutter <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t der<br />

Rat der Brüder; mit ihm ist er dur<strong>ch</strong> ein unlösli<strong>ch</strong>es Band eins <strong>und</strong> darum mit<br />

allen denen <strong>und</strong> nur mit denen verb<strong>und</strong>en, die ihn tun.<br />

Kapitel 4,1—34<br />

Jesus bes<strong>ch</strong>reibt Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

Aus der Predigt Jesu am See, dur<strong>ch</strong> die er in Glei<strong>ch</strong>nissen Gottes königli<strong>ch</strong>es<br />

Werk bes<strong>ch</strong>rieben hat, hat au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> ein wi<strong>ch</strong>tiges Stück in sein Evangelium<br />

gestellt <strong>und</strong> uns erzählt, wie Jesus das, was Gott jetzt Israel gibt <strong>und</strong> tut, dem<br />

Säemann vergli<strong>ch</strong>, dessen Saat, obwohl man<strong>ch</strong>es Korn verdarb, denno<strong>ch</strong> die<br />

rei<strong>ch</strong>e Ernte s<strong>ch</strong>uf. 4,1—9: Und er begann wieder am See zu lehren <strong>und</strong> eine<br />

große S<strong>ch</strong>ar versammelt si<strong>ch</strong> um ihn, so daß er in ein S<strong>ch</strong>iff einstieg <strong>und</strong> auf<br />

dem Wasser saß, <strong>und</strong> die ganze S<strong>ch</strong>ar war am See auf dem Land. Und er lehrte<br />

sie vieles in Glei<strong>ch</strong>nissen <strong>und</strong> sagte zu ihnen in seiner Lehre: Hört. Sieh! der<br />

Säemann ging aus, um zu säen. Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er säte, da fiel das eine an<br />

den Weg, <strong>und</strong> die Vögel kamen <strong>und</strong> fraßen es. Und anderes fiel auf die felsige<br />

Stelle, wo es ni<strong>ch</strong>t viel Erde hatte, <strong>und</strong> sproßte glei<strong>ch</strong> hervor, weil es keinen<br />

tiefen Boden hatte, <strong>und</strong> als die Sonne aufgegangen war, wurde es versengt, <strong>und</strong><br />

weil es keine Wurzeln hatte, verdorrte es. Und anderes fiel in die Dornen, <strong>und</strong><br />

die Dornen wu<strong>ch</strong>sen empor <strong>und</strong> erstickten es, <strong>und</strong> Fru<strong>ch</strong>t bra<strong>ch</strong>te es ni<strong>ch</strong>t. Und<br />

anderes fiel auf den guten Boden, kam hervor, wu<strong>ch</strong>s <strong>und</strong> bra<strong>ch</strong>te Fru<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong><br />

es trug eines dreißig <strong>und</strong> eines se<strong>ch</strong>zig <strong>und</strong> eines h<strong>und</strong>ert. Und er sagte: Wer<br />

Ohren hat, so daß er hören kann, der höre! '<br />

Weil Jesus diese Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ohne Deutung erzählte, erbaten si<strong>ch</strong> die Jünger<br />

ihre Deutung von ihm. 4,10: Und als er allein war, befragten ihn die, die ihn<br />

begleiteten, samt den Zwölfen über das Glei<strong>ch</strong>nis. <strong>Die</strong> vers<strong>ch</strong>iedenen Gruppen


<strong>Markus</strong> 3,35; 4,1—12 3 3<br />

in Jesu Nähe faßten sein "Wort mit vers<strong>ch</strong>iedenem Verständnis auf. Den Männern,<br />

die ihm ferner standen, blieb diese Bes<strong>ch</strong>reibung der göttli<strong>ch</strong>en Regierung,<br />

die sie so still <strong>und</strong> uns<strong>ch</strong>einbar mitten in den gegenwärtigen Lauf der<br />

Dinge hineinsetzte, wo sie mannigfaltigem Unterliegen preisgegeben <strong>und</strong> do<strong>ch</strong><br />

mit Gottes sieghafter Ma<strong>ch</strong>t ausgestattet ist, besonders dunkel. Aber au<strong>ch</strong> die<br />

Zwölf waren bei den Fragenden, da au<strong>ch</strong> ihnen dieses Wort Jesu ohne seine<br />

Auflösung rätselhaft blieb. Er erklärte ihnen, warum er für sie von seinem<br />

Wort jede Undeutli<strong>ch</strong>keit weghebe <strong>und</strong> ihnen den Einblick in Gottes Walten<br />

gebe. 4,1 ia: Und er sagt zu ihnen: Eu<strong>ch</strong> ist das Geheimnis der Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes<br />

gegeben. Eine heilige, göttli<strong>ch</strong>e Ordnung leitet Jesus bei seinem Lehramt,<br />

weshalb er ni<strong>ch</strong>t jedem ohne Unters<strong>ch</strong>ied den Blick dafür geben kann, wie si<strong>ch</strong><br />

Gottes gnadenvolles Wirken unter uns vollzieht. Das ist seiner Natur <strong>na<strong>ch</strong></strong> ein<br />

Geheimnis, das si<strong>ch</strong> nur denen öffnet, die unter Gottes Gnade stehen. Deshalb<br />

kann er darüber ni<strong>ch</strong>t so spre<strong>ch</strong>en, daß er alle zur Erkenntnis brä<strong>ch</strong>te, muß<br />

es vielmehr beim Glei<strong>ch</strong>nis lassen, das nur denen Gottes Walten deutli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t,<br />

die bereits erkannt haben, daß Gottes Gnade sie dur<strong>ch</strong> Jesus beruft. Ihnen, die<br />

ni<strong>ch</strong>t draußen blieben, sondern zu ihm herzutraten, darf er dagegen Gottes<br />

Willen zeigen; ihnen gehört Gottes Wort, das ihnen das, was seine Gnade<br />

ihnen gibt, verständli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Wir hörten ja soeben, wie Jesus si<strong>ch</strong> mit denen,<br />

die Gottes Willen tun, wie mit Brüdern <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>western verb<strong>und</strong>en weiß. Aus<br />

dieser Gemeins<strong>ch</strong>aft fließt, daß er ihnen den Vater offenbaren <strong>und</strong> seine Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

ihnen si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>en darf. .*«<br />

4,1 ib. 12: Denen aber, die draußen sind, ges<strong>ch</strong>ieht alles mit Glei<strong>ch</strong>nissen,<br />

damit sie zwar sehen <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sehen, <strong>und</strong> hören <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verstehen,<br />

damit sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bekehren <strong>und</strong> ihnen ni<strong>ch</strong>t vergeben werde. Es war ni<strong>ch</strong>t<br />

Jesu Meinung, daß er au<strong>ch</strong> denen, denen er das Bußwort vergebli<strong>ch</strong> sagte,<br />

Gottes königli<strong>ch</strong>es Werk si<strong>ch</strong>tbar zu ma<strong>ch</strong>en vermöge. Dadur<strong>ch</strong>, daß er ihnen<br />

denSäemann bes<strong>ch</strong>rieb, ma<strong>ch</strong>te er sie ni<strong>ch</strong>t zu gutem Ackerland; vielmehr gilt<br />

ihnen der erste Teil des Glei<strong>ch</strong>nisses, der vom Samen handelt, der verdirbt.<br />

<strong>Die</strong>sen Gang der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te betra<strong>ch</strong>tet aber Jesus ni<strong>ch</strong>t mit Auflehnung, au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t bloß mit Klage <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>merz, sondern ma<strong>ch</strong>t seinen Willen mit Gottes<br />

Walten völlig eins. So muß es kommen, <strong>und</strong> damit es so komme, dazu dient<br />

au<strong>ch</strong> seine Lehrarbeit an Israel. Geri<strong>ch</strong>t muß sein; denn au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong>, daß das<br />

Böse getroffen <strong>und</strong> weggetan wird, ges<strong>ch</strong>ieht Gottes Wille. Jesus wollte Gottes<br />

Rei<strong>ch</strong> niemals so verkündigen, daß au<strong>ch</strong> ein unbußfertiger <strong>und</strong> glaubensloser<br />

Sinn es finden kann.<br />

Bei Matthäus, 13,11—18, zeigt Jesus den Jüngern den Gr<strong>und</strong>, weswegen er<br />

so spri<strong>ch</strong>t: weil Israels Unverstand es Gottes Werk in seiner Mitte ni<strong>ch</strong>t sehen


3 4 Jesus bes<strong>ch</strong>reibt Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

laßt <strong>und</strong> weil das Wort der S<strong>ch</strong>rift, das Jesaja gegeben war, au<strong>ch</strong> für Jesus<br />

gültig ist. <strong>Markus</strong> ri<strong>ch</strong>tet dagegen unseren Blick einzig auf Jesu Ziel, auf seinen<br />

ents<strong>ch</strong>lossenen "Willen, den Sturz der Judens<strong>ch</strong>aft ni<strong>ch</strong>t nur ni<strong>ch</strong>t zu hindern,<br />

sondern ihn selbst herbeizuführen, weil er au<strong>ch</strong> darin einen ihm aufgetragenen<br />

<strong>Die</strong>nst erkennt, obglei<strong>ch</strong> er ein s<strong>ch</strong>weres Geri<strong>ch</strong>ts werk ist <strong>und</strong> ihm den Kreuzesweg<br />

bringt. Wenn Jesu Wort in seiner kurzen Fassung bei <strong>Markus</strong> einen<br />

harten S<strong>ch</strong>ein erhalten hat, so dürfen wir ni<strong>ch</strong>t übersehen, daß er für die Heiden<strong>ch</strong>ristenheit<br />

zu einer Zeit s<strong>ch</strong>rieb, in der das Geri<strong>ch</strong>t Gottes bereits si<strong>ch</strong>tbar<br />

<strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ig über Israel stand, weil es feindselig <strong>und</strong> haßerfüllt der Gemeinde<br />

widerstand <strong>und</strong> dem Evangelium widerspra<strong>ch</strong>. Darum hat <strong>Markus</strong><br />

ernst hervorgehoben, daß Jesus das Geri<strong>ch</strong>t über Israel als unvermeidl<strong>ch</strong> bezeugt<br />

<strong>und</strong> ihm ni<strong>ch</strong>t widerspro<strong>ch</strong>en hat, vielmehr sein Wort dem gegen Israel<br />

geri<strong>ch</strong>teten Urteil dienstbar ma<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> bei seiner Verkündigung des Him-<br />

. melrei<strong>ch</strong>s dessen eingedenk blieb, daß er Israel ni<strong>ch</strong>t in Gottes Rei<strong>ch</strong> hineinführen<br />

kann. Matthäus hat zwar Gottes Urteil über Israel ni<strong>ch</strong>t weniger<br />

ernst bezeugt, hat aber zuglei<strong>ch</strong> seine Gere<strong>ch</strong>tigkeit erläutert <strong>und</strong> erklärt, weshalb<br />

Jesu Wort mit dazu dienen muß, daß si<strong>ch</strong> an Israel Gottes Geri<strong>ch</strong>t vollzog.<br />

Da Jesus somit au<strong>ch</strong> künftig in der Unterweisung des Volks die Glei<strong>ch</strong>nisse<br />

ni<strong>ch</strong>t entbehren kann, müssen si<strong>ch</strong> die Jünger notwendig so in Jesu Sinn<br />

einleben, daß sie ihn au<strong>ch</strong> unter dem Bilde wiedererkenen. Ehe er ihnen den<br />

Säemann deutete, s<strong>ch</strong>ickte er darum ein tadelndes Wort voran, das sie spornen<br />

soll, über diese S<strong>ch</strong>wierigkeiten hinauszukommen: 4,13: Und er sagt zu ihnen:<br />

Ihr versteht dieses Glei<strong>ch</strong>nis ni<strong>ch</strong>t; wie werdet ihr denn alle Glei<strong>ch</strong>nisse verstehen?<br />

Darauf hat er ihnen aber erklärt, wel<strong>ch</strong>en Vorgang er mit der Arbeit<br />

des Säenden <strong>und</strong> ihrem vers<strong>ch</strong>iedenen Erfolg bes<strong>ch</strong>rieben hat. 4,14: Der Säende<br />

sät das Wort. Gott handelt dadur<strong>ch</strong> an uns königli<strong>ch</strong>, daß er uns sein Wort<br />

gibt, <strong>und</strong> das Geheimnis seines Rei<strong>ch</strong>es besteht in dem, was seinem Wort widerfährt.<br />

Denn in Jesu Wort ist Gottes Gnade bei uns. Nun zeigt er, wie man<br />

das Wort vergebli<strong>ch</strong> empfängt. 4,15—19: <strong>Die</strong> aber, bei denen der Same an den<br />

Weg fiel, sind die, bei denen das Wort gesät wird <strong>und</strong> glei<strong>ch</strong>, wenn sie es hören,<br />

der Satan kommt <strong>und</strong> das Wort, das in sie gesät war, wegnimmt. Und ebenso<br />

sind die, bei denen der Same auf die felsigen Stellen fiel, die, die das Wort,<br />

wenn sie es hören, glei<strong>ch</strong> mit Freuden annehmen, <strong>und</strong> sie haben ni<strong>ch</strong>t Wurzel<br />

in si<strong>ch</strong>, sondern kommen auf Zeit; her<strong>na<strong>ch</strong></strong>, wenn Bedrängnis oder Verfolgung<br />

wegen des Wortes entsteht, kommen sie glei<strong>ch</strong> zu Fall. Und andere sind die,<br />

bei denen der Same in die Dornen fiel. Das sind die, die das Wort hörten, <strong>und</strong><br />

die Sorgen dieser Zeit <strong>und</strong> der Trug des Rei<strong>ch</strong>tums <strong>und</strong> die Begierden, die <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

dem Übrigen verlangen, gehen in sie ein <strong>und</strong> ersticken das Wort, <strong>und</strong> es wird


<strong>Markus</strong> 4,13—21 3 5<br />

unfru<strong>ch</strong>tbar. Umsonst wird das göttli<strong>ch</strong>e Wort dem Mens<strong>ch</strong>en gegeben, wenn<br />

er dem Teufel willfährig ist, der Jesu "Wort im Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t duldet. Neben<br />

den Feind, der mit unsi<strong>ch</strong>tbarer Ma<strong>ch</strong>t vom Jenseits her unser inwendiges<br />

Leben zerrüttet, stellt Jesus die Mens<strong>ch</strong>en, deren Widerstand <strong>und</strong> Gewalttat<br />

uns beugen. Denn au<strong>ch</strong> dann wird uns das Wort umsonst gegeben, wenn wir<br />

es der Not <strong>und</strong> Verfolgung wegen wegwerfen. Aber au<strong>ch</strong> in uns selbst regt<br />

si<strong>ch</strong> ein mä<strong>ch</strong>tiger Widersa<strong>ch</strong>er, der uns raubt, was uns Jesus gab. Denn wir<br />

tragen die Begehrungen in uns, die <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem irdis<strong>ch</strong>en Gut <strong>und</strong> Genuß verlangen.<br />

Sie s<strong>ch</strong>eiden uns von Jesu Wort, sei es, daß uns die Sorge quält oder<br />

der Rei<strong>ch</strong>tum uns blendet. Dazu hat <strong>Markus</strong> no<strong>ch</strong> die Begierden gefügt, die<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> den anderen Dingen greifen, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Lust, die uns das Weib gewährt<br />

<strong>und</strong> die Ehre bereitet <strong>und</strong> die Ma<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>afft, damit wir ni<strong>ch</strong>t nur die Sorge<br />

<strong>und</strong> den Rei<strong>ch</strong>tum als unsere Feinde für<strong>ch</strong>ten, die Jesu Wort für uns unnütz<br />

ma<strong>ch</strong>en, sondern jede Begierde, die si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> anderem streckt als <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem,<br />

was Jesus zu unserem großen Anliegen ma<strong>ch</strong>t. Über diese Warnung stellt aber<br />

Jesus mit dem S<strong>ch</strong>luß des Glei<strong>ch</strong>nisses die frohe, gewisse Verheißung, daß<br />

dur<strong>ch</strong> das Wort die Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes wirkli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> herrli<strong>ch</strong> bei uns ist <strong>und</strong><br />

seine Gemeinde s<strong>ch</strong>afft. 4,20: Und jene sind die, bei denen der Same auf den<br />

guten. Boden fiel, die das Wort hören <strong>und</strong> annehmen <strong>und</strong> Fru<strong>ch</strong>t bringen^<br />

bald dreißig, bald se<strong>ch</strong>zig, bald h<strong>und</strong>ert.<br />

So hat uns <strong>Markus</strong> gezeigt, wie Jesus seine Jünger auszei<strong>ch</strong>nete <strong>und</strong> vom<br />

übrigen Volke s<strong>ch</strong>ied. An die besondere Begabung s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> die<br />

besondere Pfli<strong>ch</strong>t. Er hebt nun kräftig hervor, daß Jesus ihnen deshalb sein<br />

Wort ohne Bes<strong>ch</strong>ränkung <strong>und</strong> Verhüllung gab, weil er sie in seine Arbeit zog<br />

<strong>und</strong> in seinen <strong>Die</strong>nst berief. Bei Matthäus stand s<strong>ch</strong>on in der Bergpredigt ein<br />

Spru<strong>ch</strong>, der dieselbe Verheißung von der Fru<strong>ch</strong>tbarkeit des Worts enthält<br />

<strong>und</strong> uns zuglei<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reibt, wel<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t uns damit aufgetragen ist: Ihr seid<br />

das Li<strong>ch</strong>t der Welt; niemand zündet die Lampe an <strong>und</strong> stellt sie unter den<br />

S<strong>ch</strong>effel, 5,14. Der umsonst gesäte Same ist dasselbe wie das unter dem S<strong>ch</strong>effel<br />

versteckte Li<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> das fru<strong>ch</strong>tbare Ackerland, das dreißig- oder h<strong>und</strong>ertfältig<br />

trägt, dasselbe wie die auf den Leu<strong>ch</strong>ter gesetzte Lampe,' die allen im Hause<br />

s<strong>ch</strong>eint. Weil das Glei<strong>ch</strong>nis vom Säemann diesen Spru<strong>ch</strong> erklärt <strong>und</strong> wiederum<br />

dur<strong>ch</strong> ihn erklärt wird, hat ihn <strong>Markus</strong> hier wiederholt. 4,21 : Und er sagte zu<br />

ihnen: Kommt wohl die Lampe, damit sie unter den S<strong>ch</strong>effel gesetzt werde<br />

oder unter das Bett? Kommt sie ni<strong>ch</strong>t, damit sie auf den Leu<strong>ch</strong>ter gesetzt<br />

werde? Das erste, was dieses Wort uns geben will, ist die freudige Zuversi<strong>ch</strong>t<br />

zu Jesu Wort. Sein uns<strong>ch</strong>einbarer <strong>Die</strong>nst, den er der Welt dadur<strong>ch</strong> tut, daß er<br />

sein Wort ausstreut, ist der Eintritt des Li<strong>ch</strong>ts in die Welt, das ni<strong>ch</strong>t dazu


3 6 Jesus bes<strong>ch</strong>reibt Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

kommt, um versteckt zu bleiben, sondern dazu, damit es strahle <strong>und</strong> mit seiner<br />

Li<strong>ch</strong>tkraft dur<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>heit dringe. Darin liegt aber au<strong>ch</strong> die Weisung für<br />

die Boten Jesu <strong>und</strong> für seine ganze Gemeinde, die uns zeigt, wann wir uns von<br />

Jesus s<strong>ch</strong>eiden würden <strong>und</strong> gegen ihn handelten: dann, wenn wir sein Wort<br />

begrüben, entstellten <strong>und</strong> bänden, daß es ni<strong>ch</strong>t mehr leu<strong>ch</strong>ten kann, während<br />

er es do<strong>ch</strong> dazu gebra<strong>ch</strong>t hat, daß es die Finsternis vertreibe, <strong>und</strong> es jedem<br />

dazu gibt, damit wir es dur<strong>ch</strong> unser "Wort <strong>und</strong> unseren Wandel au<strong>ch</strong> anderen<br />

geben.<br />

Weil aber die Jünger lei<strong>ch</strong>t verzagt <strong>und</strong> glaubenslos auf seine Verborgenheit<br />

blickten <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> sorgten, ob au<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> das wenige, was er jetzt in<br />

der Stille Galiläas tat, <strong>und</strong> die s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ten Worte, die er jetzt für sein kleines<br />

Häuflein spra<strong>ch</strong>, das Li<strong>ch</strong>t in die Welt zu bringen vermö<strong>ch</strong>ten, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> ängstli<strong>ch</strong><br />

auf si<strong>ch</strong> selber sahen, ob sie wohl imstande seien, aus der Welt die Finsternis<br />

zu vertreiben, darum hat ihnen Jesus weiter gesagt, 4,22: Denn es gibt<br />

Verborgenes nur dazu, daß es offenbar werde, <strong>und</strong> Heimli<strong>ch</strong>es nur dazu, damit<br />

es an die Si<strong>ch</strong>tbarkeit komme. Das tönt zunä<strong>ch</strong>st seltsam, weil man die<br />

Dinge ni<strong>ch</strong>t dazu verbirgt, damit sie offenbar werden, sondern damit sie verborgen<br />

seien. Jesus s<strong>ch</strong>aut aber über das nä<strong>ch</strong>ste Ziel zum letzten Ende hinaus.<br />

Es kommt do<strong>ch</strong> alles ans Li<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> wenn es zunä<strong>ch</strong>st verborgen bleibt, so<br />

dient diese Heimli<strong>ch</strong>keit nur dazu, damit es wohlbehalten <strong>und</strong> unverdorben<br />

bleibe bis auf die Zeit, in der es aus seiner Bedeckung herausgeholt wird <strong>und</strong><br />

nun offenbar im hellen Li<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>eint. Jesus hat hier zunä<strong>ch</strong>st sein eigenes<br />

Wort <strong>und</strong> Werk im Auge. Gott hat ihn ni<strong>ch</strong>t dazu in die Verborgenheit gesetzt,<br />

damit er verborgen bleibe, sondern dies zum Ende <strong>und</strong> Ziel seines Weges<br />

gema<strong>ch</strong>t, daß er den Mens<strong>ch</strong>en offenbar werde, <strong>und</strong> gerade der stille, demütige<br />

Weg, auf dem ihn Gott führt, ist das re<strong>ch</strong>te Mittel, wodur<strong>ch</strong> ihm s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

die Größe zufällt, mit der er alle überragt. So ist au<strong>ch</strong> sein Wort jetzt no<strong>ch</strong> ins<br />

Glei<strong>ch</strong>nis versteckt, ni<strong>ch</strong>t damit es unverstanden bleibe oder nur wenigen<br />

diene, als lägen ihm bloß die Jünger am Herzen, daß sie Gott finden <strong>und</strong> in<br />

seine Gnade gelangen; vielmehr wird ihm die Zeit kommen, in der es ohne<br />

Hüllen mit heller Deutli<strong>ch</strong>keit der Welt Gott zeigen <strong>und</strong> viele zu ihm berufen<br />

wird. Au<strong>ch</strong> der Jünger, wenn er in enger*Verborgenheit festgehalten wird <strong>und</strong><br />

im Kleinen Treue üben muß, soll ni<strong>ch</strong>t sorgen <strong>und</strong> zweifeln, als wäre deswegen<br />

sein <strong>Die</strong>nst unnütz <strong>und</strong> sein Werk gering; vielmehr kommt allem Verborgenen<br />

die <strong>Offenbarung</strong>, mit der si<strong>ch</strong> zeigen wird, daß dieser Weg des<br />

Wartens in bes<strong>ch</strong>eidener Beugung Gottes gerade Straße war zum hohen Ziel.<br />

<strong>Die</strong>s alles hat darin seinen Gr<strong>und</strong>, daß das Verborgene für Gott s<strong>ch</strong>on offenbar<br />

ist, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> das, was in heimli<strong>ch</strong>er Stille ges<strong>ch</strong>ieht, ihn zum Zeugen hat


<strong>Markus</strong> 4,22—4,24 b 37<br />

<strong>und</strong> im hellen Li<strong>ch</strong>t seines Auges steht, weshalb ihm au<strong>ch</strong> die <strong>Offenbarung</strong><br />

si<strong>ch</strong>er kommt. <strong>Markus</strong> hat uns soeben beri<strong>ch</strong>tet, was Jesus einzig seinen Jüngern<br />

gesagt hat, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> soll sein Evangelium dur<strong>ch</strong> Gottes große Kir<strong>ch</strong>e<br />

wandern. So ist es Jesu Wille gewesen. Er hat kein Geheimnis gehabt in dem<br />

Sinn^ daß das, was er den Seinigen heimli<strong>ch</strong> sagte, nur bei ihnen bleiben sollte,<br />

sondern hat ihnen sein "Wort dazu gegeben, damit es dur<strong>ch</strong> sie in die Welt<br />

komme.<br />

Denselben Spru<strong>ch</strong> hat Matthäus in der Aussendungsrede bei der Ermahnung<br />

zum mutigen Leiden gegeben, 10,26, weil die S<strong>ch</strong>ande <strong>und</strong> Verfolgung<br />

auf Jesus <strong>und</strong> seine Jünger Verborgenheit legt, so daß sie deshalb ihren Trost<br />

darin finden müssen, daß alles Verborgene offenbar wird. Allein ni<strong>ch</strong>t erst<br />

dur<strong>ch</strong> die Verfolgung <strong>und</strong> Feinds<strong>ch</strong>aft der Mens<strong>ch</strong>en bekommt Gottes Rei<strong>ch</strong><br />

eine verborgene Gestalt, sondern es tritt von Anfang an ni<strong>ch</strong>t anders in die<br />

Welt hinein <strong>und</strong> an uns heran, weil es dem glei<strong>ch</strong>t, was der Säemann tut <strong>und</strong><br />

erlebt.<br />

Darum sollen wir Jesu verborgenes Werk <strong>und</strong> verhülltes Wort ni<strong>ch</strong>t vera<strong>ch</strong>ten,<br />

vielmehr hören. 4,23 : Wer Ohren hat, so daß er hören kann, der höre!<br />

Hier lohnt es si<strong>ch</strong>, zu hören, <strong>und</strong> hier straft es si<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t zu hören. Wenn Jesus<br />

vor uns steht, ist die St<strong>und</strong>e da, für die uns unser Ohr gegeben ist <strong>und</strong> wir es<br />

zu brau<strong>ch</strong>en haben. Alles, was zum Preise des Worts gespro<strong>ch</strong>en ist, ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />

das Hören groß <strong>und</strong> wi<strong>ch</strong>tig, weil das Wort nur dur<strong>ch</strong> das Hören aufgenommen<br />

wird. 4,24a: Und er sagte zu ihnen: Gebt a<strong>ch</strong>t, was ihr hört, was ihr mit<br />

offenem Ohr in euer Herz aufnehmt. Wir sollen ni<strong>ch</strong>t fremde Worte hören,<br />

die ni<strong>ch</strong>t von Jesus kommen, sollen au<strong>ch</strong> sein Wort ni<strong>ch</strong>t verkürzt <strong>und</strong> nur<br />

stückweise hören, sondern ganz. 4,24b: Mit wel<strong>ch</strong>em Maß ihr meßt, wird eu<strong>ch</strong><br />

gemessen werden. Au<strong>ch</strong> über die Bewegung unseres inwendigen Lebens regiert<br />

fest <strong>und</strong> si<strong>ch</strong>er Gottes Gere<strong>ch</strong>tigkeit, die das Maß, das wir selber brau<strong>ch</strong>en,<br />

au<strong>ch</strong> auf uns anwendet <strong>und</strong> uns das zuteilt, was unserem eigenen Verhalten<br />

entspri<strong>ch</strong>t. Deshalb haben wir darauf beda<strong>ch</strong>t zu sein, ganz <strong>und</strong> ri<strong>ch</strong>tig zu<br />

hören, was uns Jesus sagt. Brau<strong>ch</strong>en wir hierbei ein kleines, armes Maß als<br />

lei<strong>ch</strong>tsinnige, träge Hörer oder als Hörer mit unreinem Ohr, die das Wort mit<br />

dem Eigenen mengen <strong>und</strong> entstellen, so wird dasselbe Maß au<strong>ch</strong> für uns gebrau<strong>ch</strong>t,<br />

<strong>und</strong> wir empfangen wenige wenig Kenntnis, wenig inwendiges Vermögen,<br />

wenig Hilfe von oben <strong>und</strong> bleiben an Geist <strong>und</strong> Kraft arme Mens<strong>ch</strong>en,<br />

die für Gottes Werk unbrau<strong>ch</strong>bar sind. Hören wir treu, klar <strong>und</strong> rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, so<br />

daß uns die Tiefe <strong>und</strong> Kraft des Worts zu eigen wird, so brau<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Gottes<br />

Gnade ihr rei<strong>ch</strong>es, volles Maß, gibt dem inwendigen Mens<strong>ch</strong>en ein kräftiges<br />

Wa<strong>ch</strong>stum, s<strong>ch</strong>enkt uns gedeihende Arbeit <strong>und</strong> wendet unseren Lauf mit


3 8 Jesus bes<strong>ch</strong>reibt Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

lebendigem Glauben <strong>na<strong>ch</strong></strong> oben. 4,24c: Und es wird eu<strong>ch</strong> hinzugetan werden.<br />

Gottes Gere<strong>ch</strong>tigkeit ist ni<strong>ch</strong>t karg, sondern ma<strong>ch</strong>t ihre Gabe rei<strong>ch</strong> über das<br />

hinaus, was unserem Fleiß entspri<strong>ch</strong>t. Das gilt von Gottes großer Gnade, die<br />

unsere s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e Treue <strong>und</strong> kleine Liebe mit ihrem großen Segen lohnt, aber<br />

au<strong>ch</strong> vom Ernst seines Geri<strong>ch</strong>ts, der uns unseren Lei<strong>ch</strong>tsinn <strong>und</strong> unsere Trägheit,<br />

in unseren Augen so kleine Dinge, bitter büßen läßt.<br />

Für die Jünger war es damals die Zeit des Sammeins, in der sie aus Jesu<br />

Wort ihren inwendigen S<strong>ch</strong>atz gewannen, den sie ihr Leben lang in ihrer gan- ,<br />

zen Arbeit auszunützen hatten. Deshalb hat sie Jesus gemahnt: Seid fleißig zu<br />

hören! Gebt a<strong>ch</strong>t, daß ihr wirkli<strong>ch</strong> hört <strong>und</strong> faßt, was mein Wort eu<strong>ch</strong> gibt.<br />

4,25: Denn wer hat, dem wird gegeben werden, <strong>und</strong> wer ni<strong>ch</strong>t hat, dem wird<br />

au<strong>ch</strong> genommen werden, was er hat. An das, was wir haben, s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong><br />

Gottes neue Gabe an <strong>und</strong> kommt uns zu, .wenn wir die alte Gabe bewahrten,<br />

zu unserem Eigentum ma<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> mit Treue brau<strong>ch</strong>ten. Blieb sie uns unnütz<br />

<strong>und</strong> unfru<strong>ch</strong>tbar, so folgt ni<strong>ch</strong>t neue Begabung darauf, sondern Entzug dessen,<br />

was uns do<strong>ch</strong> umsonst verliehen war. <strong>Die</strong>ser Spru<strong>ch</strong> erklärt bei Matthäus,<br />

13,12, weshalb Jesus sein Wort zum Glei<strong>ch</strong>nis ma<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> gilt dort ni<strong>ch</strong>t nur<br />

den Jüngern, sondern zuglei<strong>ch</strong> der Judens<strong>ch</strong>aft, der ni<strong>ch</strong>t gegeben wird, weil<br />

sie das ni<strong>ch</strong>t wirkli<strong>ch</strong> hat, was Gott ihr bisher gab. <strong>Markus</strong> hat uns diesen<br />

Spru<strong>ch</strong> so vorgehalten, wie er den Jüngern <strong>und</strong> der Kir<strong>ch</strong>e gilt <strong>und</strong> diese zur<br />

Treue gegen Jesu Wort beruft. Ähnli<strong>ch</strong> steht der Spru<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei Matthäus,<br />

25,29, zum zweitenmal; dort ist er ebenfalls auf den Beruf der Jünger angewandt,<br />

denen Jesus sein Vermögen dazu gibt, damit sie es mehren, <strong>und</strong> denen<br />

er als seinen Dank für die Treue gegen sein Wort seine ewige Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

gewährt.<br />

Mit dem Spru<strong>ch</strong> vom Maß, das so zu uns wiederkehrt, wie wir es brau<strong>ch</strong>ten,<br />

widersteht Jesus in der Bergpredigt, 7,2, unserem hoffärtigen <strong>und</strong> harten<br />

Sinn, der dann, wenn Böses ges<strong>ch</strong>ieht, an ni<strong>ch</strong>ts anderes denkt als an das Geri<strong>ch</strong>t<br />

<strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t verzeihen mag, sondern den anderen ihre S<strong>ch</strong>uld s<strong>ch</strong>wer <strong>und</strong><br />

s<strong>ch</strong>arf in Re<strong>ch</strong>nung bringt. Weil dieser Spru<strong>ch</strong> die überall gültige Regel der<br />

göttli<strong>ch</strong>en Gere<strong>ch</strong>tigkeit ausdrückt, war er zu mannigfa<strong>ch</strong>er Anwendung ges<strong>ch</strong>ickt.<br />

Er ist au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> von Jesus zuerst in diese Form gebra<strong>ch</strong>t worden,<br />

da er in derselben Fassung au<strong>ch</strong> zum S<strong>ch</strong>atz der Weisheit Israels gehört.<br />

<strong>Die</strong>selbe göttli<strong>ch</strong>e Gere<strong>ch</strong>tigkeit versagt unserer Härte seine Vergebung <strong>und</strong><br />

entzieht unserer trägen Unlust sein Wort, <strong>und</strong> dieselbe Gnade fügt zu unserem<br />

Verzeihen sein Verzeihen <strong>und</strong> begabt unser offenes Ohr mit seinem Wort<br />

<strong>und</strong> Geist.<br />

Alle diese Worte enthalten mit tiefem Ernst dieselbe Mahnung, die im


<strong>Markus</strong> 4,240—29 39<br />

Glei<strong>ch</strong>nis vom Säemann enthalten war: Laßt die Saat ni<strong>ch</strong>t verderben, das<br />

Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t verdunkelt werden, das "Wort ni<strong>ch</strong>t ungehört, sondern ringt,<br />

damit ihr das "Wort faßt <strong>und</strong> b.ewahrt! Der Ernst dieser Mahnung wird<br />

gerade dadur<strong>ch</strong> besonders tief, daß sie zuglei<strong>ch</strong> das Hö<strong>ch</strong>ste verheißt: Mit dem<br />

Wort ist Gottes vollkommene <strong>und</strong> ewige Gnade bei eu<strong>ch</strong>. Das Ringen <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Gottes Gabe <strong>und</strong> die Fur<strong>ch</strong>t, sie zu verlieren, zu der uns Jesus beruft, ist aber<br />

ni<strong>ch</strong>t ruhelos, ni<strong>ch</strong>t glaubenslos. So wird sie immer, wenn unser Blick nur auf<br />

uns <strong>und</strong> unsere Pfli<strong>ch</strong>t geri<strong>ch</strong>tet ist <strong>und</strong> Gottes Werk vergißt, von dem do<strong>ch</strong><br />

alles, was uns aufgetragen ist, umgeben <strong>und</strong> gehalten wird. Darum entfa<strong>ch</strong>t<br />

Jesus glei<strong>ch</strong>zeitig mit unserem Ernst au<strong>ch</strong> unseren Glauben <strong>und</strong> versetzt uns<br />

dadur<strong>ch</strong> in den tiefen Frieden, daß er uns den Blick auf Gottes "Werk gewährt.<br />

Er führt uns deshalb no<strong>ch</strong> einmal zum Säemann. 4,26—29: Und er sagte: So ist<br />

Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft, wie wenn ein Mens<strong>ch</strong> den Samen auf die Erde wirft <strong>und</strong><br />

s<strong>ch</strong>läft <strong>und</strong> aufsteht in der Na<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> am Tag, <strong>und</strong> die Saat sproßt <strong>und</strong> streckt<br />

si<strong>ch</strong>, während er selbst es ni<strong>ch</strong>t weiß. Denn von selbst trägt die Erde Fru<strong>ch</strong>t,<br />

zuerst den grünen Halm, dann die Ähre, dann den reifen Weizen in der Ähre.<br />

Wenn aber die Fru<strong>ch</strong>t ausgewa<strong>ch</strong>sen ist, s<strong>ch</strong>ickt er glei<strong>ch</strong> die Si<strong>ch</strong>el; denn die<br />

Ernte ist da. Wenn der Säemann die Saat der Erde übergeben hat, so sorgt er<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um die Saat, müht si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um sie, beoba<strong>ch</strong>tet sie ni<strong>ch</strong>t einmal, um<br />

zu sehen, was aus ihr wird. Denn die Erde vermag mit der Kraft, die in ihr<br />

selber liegt, den lebendigen Keim zu erwecken, zu nähren <strong>und</strong> ins Wa<strong>ch</strong>stum<br />

zu treiben, ohne daß der Mens<strong>ch</strong> ihr hiebei helfen muß. Dabei geht es in geordnetem<br />

Gang, <strong>und</strong> dann fällt auf einmal dem Säemann der Gewinn seiner<br />

Arbeit zu.<br />

Jesus hat damit den Jüngern gezeigt, warum er in Ruhe <strong>und</strong> Frieden seine<br />

Tage verlebt, obwohl er so hohe Ziele, so unausdenkbare Aufgaben vor si<strong>ch</strong><br />

sieht. Er s<strong>ch</strong>aut auf die Welt als auf sein Arbeitsfeld, das er für Gott gewinnen<br />

will, s<strong>ch</strong>aut auf die Sünde als auf seinen Widersa<strong>ch</strong>er, die er im ganzen Mens<strong>ch</strong>enleben<br />

zertreten will, s<strong>ch</strong>aut auf das ewige Leben, das er ans Li<strong>ch</strong>t bringen<br />

will, so weit die Sterbli<strong>ch</strong>keit rei<strong>ch</strong>t. Wel<strong>ch</strong>e Ziele! Müssen sie ihn ni<strong>ch</strong>t in eine<br />

Arbeit ohne Ruh <strong>und</strong> Rast treiben, daß er fliegender Eile dur<strong>ch</strong> die Länder<br />

zieht <strong>und</strong> seine Stimme zum Donner ma<strong>ch</strong>t, der unablässig in jedes mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Ohr hineins<strong>ch</strong>allt? Nein, er ma<strong>ch</strong>t es wie der Ackersmann, der die Saat<br />

ausstreut <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>läft <strong>und</strong> aufsteht, wie die Na<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> der Tag ihm kommt.<br />

Denn Gottes Rei<strong>ch</strong> wird dur<strong>ch</strong> seine eigene Kraft; es ist ja Gottes eigene Gegenwart,<br />

Gottes eigenes Leben, Geben, S<strong>ch</strong>affen, Führen <strong>und</strong> Regieren, <strong>und</strong><br />

das Wort, dur<strong>ch</strong> das er bei uns ist, ist ein lebendiger Same, der zu wa<strong>ch</strong>sen <strong>und</strong><br />

zu reifen die Kraft in si<strong>ch</strong> hat, weil es Gottes ist <strong>und</strong> Gott es ni<strong>ch</strong>t vergißt,


4° Jesîis bes<strong>ch</strong>reibt Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

sondern weiß, bei wem sein "Wort wohnt, <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> zu ihm bekennt <strong>und</strong> es zu<br />

seinem Ziele bringt. Au<strong>ch</strong> Gottes Werk hat seine Regel, seine Zeiten, seine<br />

Stufen <strong>und</strong> eilt ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong> zur Ernte, ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong> ans Ziel. Kein S<strong>ch</strong>ritt auf<br />

diesem Weg ist überflüssig, als ließe er si<strong>ch</strong> in hastiger Eile überspringen, keiner<br />

unfru<strong>ch</strong>tbar. <strong>Die</strong> Arbeit ist denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t umsonst, das Ziel ni<strong>ch</strong>t fern.<br />

Plötzli<strong>ch</strong>, unversehens ist die Ernte da, <strong>und</strong> Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit wird offenbar.<br />

<strong>Die</strong> Hilfe, die Jesus den Seinen mit diesem Glei<strong>ch</strong>nis gab, rei<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> weiter.<br />

Jetzt tut er, was dem Säemann obliegt; dann kommt die Zeit, da au<strong>ch</strong> für ihn<br />

die Arbeit getan ist <strong>und</strong> er den Acker si<strong>ch</strong> selber überläßt. Er geht zum Vater.<br />

Wie kann er mit Ruhe <strong>und</strong> Zuversi<strong>ch</strong>t auf sein Sterben sehen? Muß es ni<strong>ch</strong>t<br />

seinem Werk die Zerstörung <strong>und</strong> Vereitelung bringen? Nein, die Saat wä<strong>ch</strong>st<br />

<strong>und</strong> reift, <strong>und</strong> die St<strong>und</strong>e kommt, in der geerntet wird. Was Jesus den Jüngern<br />

als seine eigene Regel zeigt, ordnet au<strong>ch</strong> ihren Gang. Es bewahrt au<strong>ch</strong> sie<br />

vor Ungeduld <strong>und</strong> glaubensloser Hast <strong>und</strong> legt ihnen den Frieden des Glaubens<br />

in ihr Lebenswerk. Sie sollen glauben, daß sein Wort ein lebendiger<br />

Same ist, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t meinen, alles liege an ihrem <strong>Die</strong>nst <strong>und</strong> am Maß ihrer eifrigen<br />

Fürsorge, <strong>und</strong> damit Gottes stilles Wirken vera<strong>ch</strong>ten, sollen ni<strong>ch</strong>t ungeduldig<br />

jetzt s<strong>ch</strong>on ernten wollen, wenn erst die Hahne sprossen, sondern fröhli<strong>ch</strong><br />

die Fru<strong>ch</strong>t ihrer Arbeit dann erwarten, wenn Gott die Ernte geordnet hat.<br />

Das sind große Worte, die wir sowohl für uns selber festhalten müssen im<br />

Blick auf unseren eigenen Lebenslauf als au<strong>ch</strong> für die anderen, mit denen uns<br />

Gott verb<strong>und</strong>en hat. Daß wir es verstehen, beides zu vereinigen, den Ernst,<br />

den Fleiß, die Wa<strong>ch</strong>samkeit <strong>und</strong> Treue, die uns zum guten Ackerland <strong>und</strong> zu<br />

vielfältiger Fru<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ickt ma<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> diese frohe Ruhe, die Gott sein Werk<br />

treiben läßt in seiner eigenen Kraft <strong>und</strong> zu seiner eigenen Zeit, ma<strong>ch</strong>t ein<br />

Hauptstück der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Weisheit aus. Eins kann hier das andere hindern<br />

<strong>und</strong> töten: der Arbeitseifer die Ruhe austreiben, der ruhende Glaube die kräftige<br />

Anstrengung lähmen; dur<strong>ch</strong> dieses <strong>und</strong> jenes verlassen wir Jesu Weg. Er<br />

pflanzt beides in uns, so daß eins am andern wä<strong>ch</strong>st <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> stärkt, der Friede<br />

des e<strong>ch</strong>ten Glaubens uns zum <strong>Die</strong>nst willig <strong>und</strong> tü<strong>ch</strong>tig ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> die re<strong>ch</strong>te<br />

Arbeitslust uns in der Ruhe des Glaubens erhält.<br />

Au<strong>ch</strong> in den bei Matthäus gesammelten Glei<strong>ch</strong>nissen führt Jesus uns zum<br />

zweitenmal zum Acker hin, damit wir auf seinen vers<strong>ch</strong>iedenen Stand vor<br />

<strong>und</strong> bei der Ernte a<strong>ch</strong>ten. Das zweite Glei<strong>ch</strong>nis bei Matthäus setzt aber den<br />

tiefen Ernst des ersten fort; denn es bes<strong>ch</strong>reibt das Werk des Feindes, der den<br />

Acker mit Unkraut besät, das jetzt ni<strong>ch</strong>t beseitigt werden kann, wohl aber bei<br />

der Ernte verni<strong>ch</strong>tet werden wird. <strong>Markus</strong> hat uns dagegen ni<strong>ch</strong>t von dem gespro<strong>ch</strong>en,<br />

was Jesu Werk entstellt <strong>und</strong> seine Gemeinde innerli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ädigt <strong>und</strong>


<strong>Markus</strong> 4,30—34a 4 1<br />

bedroht, sondern stellt uns mit der lebendigen Kraft der Saat <strong>und</strong> der Erde<br />

die kräftigen Gaben Gottes dar, die uns mit Jesu Gegenwart verliehen sind.<br />

Au<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>nis des Matthäus warnt vor Ungeduld <strong>und</strong> leitet uns an, fest<br />

<strong>und</strong> uners<strong>ch</strong>üttert der Ernte entgegenzusehen. Es spri<strong>ch</strong>t aber von derjenigen<br />

Geduld, die zu leiden vermag, die das Böse trägt <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> dasselbe ni<strong>ch</strong>t<br />

ers<strong>ch</strong>üttern <strong>und</strong> verwirren läßt. So setzt Matthäus au<strong>ch</strong> hier wieder das Bußwort<br />

Jesu fort, während uns <strong>Markus</strong> sol<strong>ch</strong>e "Worte Jesu gibt, die in uns den<br />

dankbaren Glauben pflanzen.<br />

Darum hat er no<strong>ch</strong> das dritte Glei<strong>ch</strong>nis beigefügt. 4,30-32: Und er sagte:<br />

Wie wollen wir die Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes abbilden oder in wel<strong>ch</strong>es Glei<strong>ch</strong>nis sie<br />

bringen? Sie ist wie das Kofn des Senfs, das, wenn es in den Boden gesät wird,<br />

kleiner als alle Samenkörner ist, die auf Erden sind, <strong>und</strong>, wenn es gesät ist,<br />

emporwä<strong>ch</strong>st <strong>und</strong> größer als alle Gartengewä<strong>ch</strong>se wird <strong>und</strong> große Zweige<br />

treibt, so daß unter seinem S<strong>ch</strong>atten die Vögel des Himmels wohnen können.<br />

<strong>Die</strong>ses Glei<strong>ch</strong>nis hebt den Anstoß weg, der am kleinen, s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Aussehen<br />

Jesu <strong>und</strong> seiner Gemeinde entsteht <strong>und</strong> an der Uns<strong>ch</strong>einbarkeit, die jetzt<br />

Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft verhüllt. Was das Kleinste s<strong>ch</strong>eint, ist do<strong>ch</strong> das Größte, <strong>und</strong><br />

im Verborgenen wird der Gr<strong>und</strong> zu einem Werk gelegt, das die Welt umspannt.<br />

Au<strong>ch</strong> dieses Glei<strong>ch</strong>nis kommt unserem Glauben zu Hilfe <strong>und</strong> bringt<br />

ihm Trost <strong>und</strong> Freudigkeit.<br />

4,33: Und mit vielen sol<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>nissen sagte er ihnen das Wort, wie sie<br />

zu hören vermo<strong>ch</strong>ten. Nur so hörten sie ihm zu; hätte er ihnen dagegen ohne<br />

Glei<strong>ch</strong>nis mit deutli<strong>ch</strong>em Wort den Säemann genannt, von dem er spra<strong>ch</strong>,<br />

<strong>und</strong> den Mann gezeigt, der das Senfkorn in seinen Garten senkte, <strong>und</strong> ihnen<br />

gesagt, daß er mit dem harten Acker sie meine in ihrer Gottlosigkeit, sie, die<br />

si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> für so fromm <strong>und</strong> gut hielten, <strong>und</strong> hätte er ihnen bes<strong>ch</strong>rieben, woran<br />

er bei der rei<strong>ch</strong>en Ernte da<strong>ch</strong>te, an die, die an ihn glauben, von ihm Vergebung<br />

empfangen <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> von ihm leiten lassen, da hätten sie das Hören unterlassen,<br />

<strong>und</strong> Zorn, Einrede, S<strong>ch</strong>eit- <strong>und</strong> Lästerworte wären hervorgebro<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> die<br />

Versammlung in Zank <strong>und</strong> Unwillen zerstoben. Ihr Auge ertrug nur den matt<br />

gedämpften Strahl, den das Glei<strong>ch</strong>nis ihnen zuleitete, nur die unklar dämmernde<br />

Ahnung, die es in ihnen weckte, die sie no<strong>ch</strong> ihrem eigenen Besinnen<br />

überließ <strong>und</strong> sie ni<strong>ch</strong>t sofort mit starkem GrifF zu einer Ents<strong>ch</strong>eidung für oder<br />

gegen Jesus trieb. 4,34a: Aber ohne ein Glei<strong>ch</strong>nis redete er ni<strong>ch</strong>t zu ihnen.<br />

Damit diente er ni<strong>ch</strong>t nur dem ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>en Urtei^Gottes, das Israel den Blick<br />

in sein Werk versagte, sondern zuglei<strong>ch</strong> seiner s<strong>ch</strong>onenden Gnade. Denn so<br />

verhütete er zuglei<strong>ch</strong> den wilden Ausbru<strong>ch</strong> des Unglaubens <strong>und</strong> die großen<br />

Sünden des Hasses <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>uf si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> Frist zum Verkehr mit dem Volk wie


4 Z <strong>Die</strong> Fahrt <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem östli<strong>ch</strong>en Ufer des Sees <strong>und</strong> die Ereignisse <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Rückkehr<br />

mit den Jüngern. <strong>Die</strong>se ließ er aber unter Israels Verblendung ni<strong>ch</strong>t leiden,<br />

sondern gönnte ihnen sein "Wort ganz <strong>und</strong> ließ sie ni<strong>ch</strong>t im Zweifel, was die<br />

Figuren seiner Bildreden bedeuteten. 4,34b: Aber seinen eigenen Jüngern<br />

löste er, wenn sie allein waren, alles auf.<br />

Kapitel 4,35-5,43<br />

<strong>Die</strong> Fahrt <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem östli<strong>ch</strong>en Ufer des Sees <strong>und</strong> die Ereignisse <strong>na<strong>ch</strong></strong> der<br />

Rückkehr<br />

Von den Zei<strong>ch</strong>en, an denen uns Matthäus in Kap. 8 <strong>und</strong> 9 Jesu Gnade <strong>und</strong><br />

Ma<strong>ch</strong>t sehen läßt, hat <strong>Markus</strong> das no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erzählt, was si<strong>ch</strong> bei der Fahrt<br />

über den See zutrug <strong>und</strong> wie <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Rückkehr <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum der Oberste<br />

der S<strong>ch</strong>ule Jesus zu seiner verstorbenen To<strong>ch</strong>ter rief, Taten Jesu, die besonders<br />

deutli<strong>ch</strong> zeigten, wie ihn keine Not beugte <strong>und</strong> hilflos ma<strong>ch</strong>te, wie vielmehr<br />

sein S<strong>ch</strong>utz alles abzuwehren vermag, die natürli<strong>ch</strong>e wie die teuflis<strong>ch</strong>e<br />

Gefahr, die Krankheit wie den Tod. Deshalb kehrt <strong>Markus</strong>, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem wir nun<br />

wissen, weshalb die Pharisäer si<strong>ch</strong> an Jesus ärgerten <strong>und</strong> Israel von ihm wegtrieben<br />

<strong>und</strong> in wel<strong>ch</strong>er Weise er dem Volk sein Wort sagte <strong>und</strong> Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

zeigte, zu jenen Zei<strong>ch</strong>en zurück.<br />

"Während der Fahrt über den See s<strong>ch</strong>lief Jesus, so daß si<strong>ch</strong> die Jünger allein<br />

mit dem Sturm abmühten <strong>und</strong>, als die Gefahr ihnen groß ers<strong>ch</strong>ien, ihn erst<br />

wecken mußten. Was Jesus so ermüdet hat, sollen wir an der Erzählung<br />

sehen, wie er am See vom Boote aus die Menge unterwies. Er hatte ein großes<br />

Tagewerk vollbra<strong>ch</strong>t, an das si<strong>ch</strong> ohne Unterbre<strong>ch</strong>ung die Fahrt über den See<br />

ans<strong>ch</strong>loß. 4,35—^38: Und er sagt zu ihnen an jenem Tag, als es Abend geworden<br />

war: Wir wollen an das andere Ufer hinübergehen. Und sie lassen die<br />

Menge <strong>und</strong> nehmen ihn im S<strong>ch</strong>iff mit, wie er war, <strong>und</strong> andere S<strong>ch</strong>iffe waren<br />

mit ihm. Und es entsteht ein starker Sturmwind, <strong>und</strong> die Wellen s<strong>ch</strong>lugen in<br />

das S<strong>ch</strong>iff, so daß si<strong>ch</strong> das S<strong>ch</strong>iff s<strong>ch</strong>on füllte. Und er s<strong>ch</strong>lief im hinteren Teil<br />

des S<strong>ch</strong>iffes auf dem Kissen. Und sie wecken ihn <strong>und</strong> sagen zu ihm: Lehrer,<br />

geht es dir ni<strong>ch</strong>t zu Herzen, daß wir untergehen? <strong>Markus</strong> hebt hervor, was<br />

den Jüngern damals an Jesus zum Anstoß ward. Sie rangen mit angestrengter<br />

Arbeit für ihr Leben, <strong>und</strong> er s<strong>ch</strong>läft. Hat er denn kein Herz für sie? Sind sie<br />

ihm so glei<strong>ch</strong>gültig, so gar für ni<strong>ch</strong>ts gea<strong>ch</strong>tet, daß er sie, ohne au<strong>ch</strong> nur aufzuwa<strong>ch</strong>en,<br />

untergehen läßt? Er zeigte ihnen sofort, wie gänzli<strong>ch</strong> dieser Verda<strong>ch</strong>t<br />

ihn mißverstand. Denn er setzt sein Sohnesre<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> gegen Sturm <strong>und</strong><br />

Wellen für sie ein. 4,39: Und er ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> auf, s<strong>ch</strong>alt den Wind <strong>und</strong> sagte<br />

zum See: S<strong>ch</strong>weig, verstumme! Und der Wind wurde ruhig, <strong>und</strong> eine große


<strong>Markus</strong> 4,34b—41; 5,1—9 43<br />

Windstille entstand. Dann ri<strong>ch</strong>tet er ihren Blick auf das, was ihnen fehlt. 4,40:<br />

Und er sagte zu ihnen: Warum seid ihr so verzagt? Wie kommt es, daß ihr<br />

ni<strong>ch</strong>t Glauben habt?. Ni<strong>ch</strong>t nur ihre Angst um ihr Leben, no<strong>ch</strong> mehr ihr Unwille<br />

über sein S<strong>ch</strong>lafen war ni<strong>ch</strong>t Glaube, sondern dessen Gegenteil. Als die<br />

Glaubenden zweifeln wir ni<strong>ch</strong>t an Jesu treuer Verb<strong>und</strong>enheit mit uns, sondern<br />

wissen, daß er uns im Leben <strong>und</strong> im Sterben zur Seite steht. Glaube<br />

s<strong>ch</strong>öpft aus der Ruhe Jesu ni<strong>ch</strong>t Verda<strong>ch</strong>t, sondern selbst die Ruhe <strong>und</strong> hält<br />

si<strong>ch</strong> an seiner Gegenwart, au<strong>ch</strong> wenn sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sofort spürbar ma<strong>ch</strong>t. Seit<br />

die Jünger bei ihm waren, gab er ihnen immerdar rei<strong>ch</strong>en Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Antrieb<br />

zu einem festen, gewissen Vertrauen zu ihm. Sie haben es bereits oft erlebt,<br />

daß er si<strong>ch</strong> treu zu ihnen hielt, mit allem, was sein eigen war, für sie lebte <strong>und</strong><br />

vom Vater her ihnen alle Gnade <strong>und</strong> allen S<strong>ch</strong>utz darbot. Auf diesen rei<strong>ch</strong>en<br />

Erweis seiner Güte heißt er sie rückwärts sehen mit seiner Frage, was sie denn<br />

am Glauben hindere, warum ihnen seine Güte ni<strong>ch</strong>t so groß <strong>und</strong> hell vor<br />

Augen stehe, daß sie ni<strong>ch</strong>ts mehr an ihm zweifeln ma<strong>ch</strong>t. 4,41: Und sie ers<strong>ch</strong>raken<br />

mit großem S<strong>ch</strong>recken <strong>und</strong> sagten zueinander: Wer ist denn dieser,<br />

da ihm au<strong>ch</strong> der Wind <strong>und</strong> der See gehor<strong>ch</strong>en?<br />

Den von den Geistern Geplagten, der Jesus auf der Ostseite des Sees entgegentrat,<br />

hat <strong>Markus</strong> als besonders deutli<strong>ch</strong>es Beispiel benützt, um an ihm<br />

Jesu ruhige Überlegenheit über alle finsteren Dinge zu zeigen, au<strong>ch</strong> da, wo<br />

besonders ers<strong>ch</strong>reckende Ers<strong>ch</strong>einungen dieser Art hervortraten. Deshalb bes<strong>ch</strong>reibt<br />

er ausführli<strong>ch</strong> den Zustand dieses Mannes. 5,1—5: Und sie kamen an<br />

das andere Ufer des Sees in das Land der Gadarener*. Und als er aus dem<br />

S<strong>ch</strong>iff trat, glei<strong>ch</strong> lief ihm von den Grabern her ein Mens<strong>ch</strong> mit einem unreinen<br />

Geist entgegen, der seine Wohnung in den Grabhöhlen hatte, <strong>und</strong> niemand<br />

konnte ihn binden, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit einer Kette, weil er oft mit Fesseln <strong>und</strong> Ketten<br />

geb<strong>und</strong>en worden war <strong>und</strong> die Ketten von ihm zerrissen <strong>und</strong> die Fesseln<br />

zerrieben worden waren, <strong>und</strong> keiner war stark genug, ihn zu überwältigen,<br />

<strong>und</strong> die ganze Na<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> den ganzen Tag hindur<strong>ch</strong> war er in den Gräbern<br />

<strong>und</strong> Bergen, s<strong>ch</strong>rie <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>lug si<strong>ch</strong> mit Steinen.<br />

Um so ergreifender <strong>und</strong> deutli<strong>ch</strong>er war das "W<strong>und</strong>er, daß er si<strong>ch</strong> sofort beim<br />

Anblick Jesu seiner Herrs<strong>ch</strong>aft unterworfen weiß. 5,6—5: Und als er Jesus von<br />

ferne sah, lief er herzu <strong>und</strong> warf si<strong>ch</strong> vor ihm nieder, rief mit lauter Stimme<br />

<strong>und</strong> sagt: Was habe ido mit dir zu tun, Jesus, Sohn Gottes, des Hö<strong>ch</strong>sten? I<strong>ch</strong><br />

bes<strong>ch</strong>wöre di<strong>ch</strong> bei Gott, daß du mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t quälest. Denn er sagte zu ihm:<br />

Fahre aus, unreiner Geist, aus dem Mens<strong>ch</strong>en! Und er fragte ihn: Was hast du<br />

• Zum Ortsnamen vgl. die Bemerkung zu Matthäus 8,28. Wie es kam, daß Matthäus von zwei,<br />

<strong>Markus</strong> von einem Kranken redet, läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t weiter erklären.


44 <strong>Die</strong> Fahrt <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem östli<strong>ch</strong>en Ufer des Sees <strong>und</strong> die Ereignisse <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Rückkehr<br />

für einen Namen? Und er sagt zu ihm: Legion ist mein Name; denn wir sind<br />

viele. Au<strong>ch</strong> dieser Name verdeutli<strong>ch</strong>t den s<strong>ch</strong>limmen Zustand des Mannes, da<br />

er sagt, daß mit dem Geist, der ihn quäle, no<strong>ch</strong> ein Heer von sol<strong>ch</strong>en verb<strong>und</strong>en<br />

sei.<br />

5,10—13: Und er bat ihn sehr, daß er sie ni<strong>ch</strong>t aus dem Lande forts<strong>ch</strong>icke.<br />

Es war aber dort am Berg eine große Herde S<strong>ch</strong>weine auf der Weide. Und sie<br />

baten ihn <strong>und</strong> sagten: S<strong>ch</strong>icke uns in die S<strong>ch</strong>weine, daß wir in sie hineingehen,<br />

<strong>und</strong> er erlaubte es ihnen. Und die unreinen Geister fuhren aus <strong>und</strong> gingen in<br />

die S<strong>ch</strong>weine, <strong>und</strong> die Herde stürmte über den Abhang in den See, etwa zweitausend<br />

Tiere, <strong>und</strong> ertranken im See. Au<strong>ch</strong> die Angabe über die Größe der<br />

Herde, die dur<strong>ch</strong> die Geister in den See getrieben wird, verstärkt den Eindruck<br />

ihrer verderbenden Ma<strong>ch</strong>t. Matthäus hat das Verlangen der Geister, unter die<br />

Herde zu fahren, ganz ohne Erläuterung gelassen; <strong>Markus</strong> deutet an, sie<br />

hätten si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von dieser Gegend trennen wollen, s<strong>ch</strong>eint au<strong>ch</strong> bestimmter<br />

als Matthäus auf ein Eingehen der Geister in die Tiere zu deuten, ni<strong>ch</strong>t nur<br />

auf einen Erweis ihrer Ma<strong>ch</strong>t, dur<strong>ch</strong> den sie ihre Gegenwart <strong>und</strong> ihre Lust am<br />

Zerstören si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>en. Er sagt uns aber ni<strong>ch</strong>t, wie si<strong>ch</strong> nun beides zusammenfügt:<br />

der "Wuns<strong>ch</strong>, im Lande zu bleiben, <strong>und</strong> der Sturz der Herde in den<br />

See; ob es seine Meinung ist, daß ihr Wuns<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> vereitelt wurde <strong>und</strong> sie,<br />

obwohl ihre Bitte ihnen gewährt war, denno<strong>ch</strong> aus dem irdis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>winden<br />

mußten. Es trifft s<strong>ch</strong>on bei diesen Andeutungen des <strong>Markus</strong> zu,<br />

daß die Versu<strong>ch</strong>e, in dieses dunkle Gebiet hineinzuleu<strong>ch</strong>ten, die Dunkelheiten<br />

ni<strong>ch</strong>t heben.<br />

Dagegen hat er uns die Erzählung dur<strong>ch</strong> den Ausgang der Sa<strong>ch</strong>e s<strong>ch</strong>ön ergänzt.<br />

5,14—17: Und die, die sie hüteten, flohen <strong>und</strong> meldeten es in der Stadt<br />

<strong>und</strong> in den Gehöften, <strong>und</strong> sie kamen, um zu sehen, was ges<strong>ch</strong>ehen sei, <strong>und</strong><br />

kommen zu Jesus <strong>und</strong> sehen den Besessenen dasitzen, bekleidet <strong>und</strong> vernünftig,<br />

den, in dem die Legion gewesen war, <strong>und</strong> ers<strong>ch</strong>raken. Und die, die es gesehen<br />

hatten, erzählten ihnen, wie es mit dem Besessenen gegangen war <strong>und</strong> mit den<br />

S<strong>ch</strong>weinen. Und sie begannen, ihn zu bitten, daß er aus ihrem Gebiet fortgehe.<br />

Was sie vor Augen hatten, hinderte sie zwar, Jesus zu s<strong>ch</strong>elten, dessen königli<strong>ch</strong>es<br />

Walten unzweideutig vor ihnen stand, erweckte aber do<strong>ch</strong> nur eine<br />

bange Fur<strong>ch</strong>t in ihnen, der es am liebsten war, wenn er sie verließ. Der Geheilte<br />

aber mö<strong>ch</strong>te mit ihm ziehen, da er ihm sein neues Leben verdankt <strong>und</strong> in<br />

seiner Nähe gegen jeden Angriff seiner alten Feinde si<strong>ch</strong>er ist. 5,18—20: Und<br />

als er in das S<strong>ch</strong>iß einstieg, bat ihn der, der besessen war, daß er bei ihm bleiben<br />

dürfe, <strong>und</strong> er ließ es ihm ni<strong>ch</strong>t zu, sondern sagt zu ihm: Geh in dein Haus<br />

ztt den Deinigen, <strong>und</strong> verkünde ihnen, wie Großes der Herr dir getan hat <strong>und</strong>


<strong>Markus</strong> 5,10—28 45<br />

wie er si<strong>ch</strong> deiner erbarmt hat. Und er ging fort <strong>und</strong> begann in der Dekapolis<br />

zu verkündigen, wie Großes ihm Jesus getan hatte, <strong>und</strong> alle verw<strong>und</strong>erten<br />

si<strong>ch</strong>. Jesus hat die, denen er wohltat, ni<strong>ch</strong>t bei si<strong>ch</strong> behalten glei<strong>ch</strong>sam als Beweisstücke<br />

seiner Heilandsma<strong>ch</strong>t, sondern sie alle in ihre natürli<strong>ch</strong>en Verhältnisse<br />

zurückgestellt <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t auf einen außergewöhnli<strong>ch</strong>en Weg geführt. So<br />

sandte er au<strong>ch</strong> diesen Geheilten heim in sein Haus <strong>und</strong> hat eben dadur<strong>ch</strong> seinen<br />

Glauben ganz gema<strong>ch</strong>t. Ni<strong>ch</strong>t nur in. der Nähe Jesu war er gegen seine Feinde<br />

si<strong>ch</strong>er; er s<strong>ch</strong>ützt ihn überall. Au<strong>ch</strong> in seiner Heimat hatte Jesus für ihn einen<br />

Beruf: den Seinigen soll er Gottes "Wohltat melden <strong>und</strong> für sie das lebendige<br />

Zeugnis seines Erbarmens sein. Er tat das ni<strong>ch</strong>t nur im kleineren Kreis, sondern<br />

in der Dekapolis, in dem beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Gebiet der blühenden grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />

Städte östli<strong>ch</strong> vom Jordan <strong>und</strong> vom galiläis<strong>ch</strong>en See. So bekam au<strong>ch</strong><br />

dieser Landstri<strong>ch</strong>, in dem Grie<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Syrer die Herren waren, daneben<br />

aber au<strong>ch</strong> jüdis<strong>ch</strong>e Gemeinden wohnten, einen Zeugen Jesu, der besonders<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong> für ihn spra<strong>ch</strong>.<br />

Den Vorsteher der Gemeinde/der Jesus zu seiner To<strong>ch</strong>ter rief, kennt <strong>Markus</strong><br />

mit Namen <strong>und</strong> erläutert uns au<strong>ch</strong>, wie Jairus zu seiner Bitte kam. 5,21<br />

bis 23: Und als Jesus im S<strong>ch</strong>iff wieder an das andere Ufer hinübergefahren<br />

war, versammelte si<strong>ch</strong> eine große S<strong>ch</strong>ar bei ihm, <strong>und</strong> er war am See. Und es<br />

kommt einer von den Vorstehern der Versammlung mit Namen Jairus <strong>und</strong><br />

fällt, wie er ihn sah, zu seinen Füßen nieder, bittet ihn sehr <strong>und</strong> sagt: Mein<br />

Tö<strong>ch</strong>ter<strong>ch</strong>en ist in der größten Gefahr; komm, <strong>und</strong> lege ihm die Hände auf,<br />

damit es gerettet werde <strong>und</strong> lebe. Als si<strong>ch</strong> Jairus ents<strong>ch</strong>loß, Jesus zu holen,<br />

war sein Kind no<strong>ch</strong> am Leben, aber freili<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on dem Tode nahe. Er hätte<br />

ni<strong>ch</strong>t gewagt, Jesus zu der Toten zu rufen; daß er aber das entfliehende Leben<br />

no<strong>ch</strong> aufhalte, das konnte ihm von Gott gegeben sein.<br />

Auf dem "Wege in sein Haus griff die blutflüssige Frau <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Gewand.<br />

Wieder läßt uns <strong>Markus</strong> erkennen, wie s<strong>ch</strong>wer <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>merzhaft die Not gewesen<br />

ist, die diese Frau zu Jesus trieb <strong>und</strong> die ihn bewog, si<strong>ch</strong> ihr ni<strong>ch</strong>t<br />

zu entziehen <strong>und</strong> Gottes Ma<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t zu verbergen, sondern herrli<strong>ch</strong> zu offenbaren.<br />

Wir wissen, wie Jesus die Stille su<strong>ch</strong>te, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> handelt er immer<br />

wieder in Gottes offenk<strong>und</strong>iger Ma<strong>ch</strong>t. Warum er sein w<strong>und</strong>erbares Helfen<br />

ni<strong>ch</strong>t lassen kann, das ma<strong>ch</strong>t uns der tiefe Jammer verständli<strong>ch</strong>, vor dem er<br />

immer wieder stand. 5,24—28: Und er ging mit ihm weg, <strong>und</strong> eine große S<strong>ch</strong>ar<br />

ging ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>, <strong>und</strong> sie drängten ihn. Und eine Frau, die den Blutfluß seit,<br />

zwölf Jahren hatte <strong>und</strong> viel von vielen Ärzten gelitten <strong>und</strong> alle ihre Habe<br />

aufgebrau<strong>ch</strong>t hatte ohne Nutzen, sondern so, daß es ihr immer s<strong>ch</strong>limmer ging,<br />

hatte von Jesus gehört, kam in der Menge <strong>und</strong> rührte von hinten seinen


4° <strong>Die</strong> Fahrt <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem östli<strong>ch</strong>en Ufer des Sees <strong>und</strong> die Ereignisse <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Rückhehr<br />

"Mantel an. Denn sie sagte: Wenn i<strong>ch</strong> nur seine Kleider anrühren kann, wird<br />

mir geholfen werden. <strong>Die</strong> Frau hatte eine lange Leidensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te hinter si<strong>ch</strong>,<br />

hatte es vergebli<strong>ch</strong> mit den Ärzten versu<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> dabei viel Bes<strong>ch</strong>werde auferlegt,<br />

war arm dabei geworden <strong>und</strong> kränker als vorher. Ihre Lage war, soweit<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Augen sahen, hilf- <strong>und</strong> hoffnungslos. Da wird ihr Jesus bekannt,<br />

<strong>und</strong> nun erwa<strong>ch</strong>t in ihr die Hoffnung wieder mit dringender Kraft. Aber sie<br />

wagte ni<strong>ch</strong>t, ihn zu bitten. Jesus mo<strong>ch</strong>te sie ihr Übel ni<strong>ch</strong>t offenbaren, ni<strong>ch</strong>t<br />

nur, weil die natürli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>am ihr den M<strong>und</strong> vers<strong>ch</strong>loß, sondern weil der Eindruck<br />

der Heiligkeit Jesu diese verstärkte. Wäre er ein Arzt gewesen, der für<br />

Geld an ihr Heilversu<strong>ch</strong>e ma<strong>ch</strong>te, so hätte sie es gewagt, mit ihm zu reden.<br />

Vor dem aber, der Ges<strong>und</strong>heit als Gabe <strong>und</strong> Gnade Gottes s<strong>ch</strong>enkt, hat sie<br />

eine tiefe Empfindung ihrer Unwürdigkeit. Denno<strong>ch</strong> behielt sie die Zuversi<strong>ch</strong>t,<br />

daß, wenn sie ihn heimli<strong>ch</strong> berühren könnte, ohne daß er wüßte, wer <strong>und</strong><br />

was sie sei, ihr geholfen sei.<br />

S<strong>ch</strong>on Matthäus hat erzählt, daß Jesus den Griff <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Quaste ni<strong>ch</strong>t<br />

unbemerkt ließ, sondern si<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> zur Frau wandte <strong>und</strong> die Heilung mit<br />

seiner eigenen Zusage ihrem Glauben gab. Das hat uns <strong>Markus</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner<br />

inneren Bedeutung no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>er gema<strong>ch</strong>t. 5,29.30: Und glei<strong>ch</strong> vertrocknete<br />

der Quell ihres Bluts, <strong>und</strong> sie spürte an ihrem Leibe, daß sie von der Plage geheilt<br />

war. Und glei<strong>ch</strong> erkannte Jesus bei si<strong>ch</strong> die Kraft, die von ihm ausgegangen<br />

war, wandte si<strong>ch</strong> in der Menge um <strong>und</strong> sagte: Wer hat meine Kleider angcrührtf<br />

Jesus hat absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> das Heimli<strong>ch</strong>e am Verhalten der Frau vereitelt.<br />

Es ges<strong>ch</strong>ah ihr zwar zunä<strong>ch</strong>st, was sie begehrt hatte: die Heilung wurde ihr so<br />

zuteil, daß sie verborgen blieb. Obglei<strong>ch</strong> Jesus die von ihm ausgegangene<br />

Kraft bei si<strong>ch</strong> selbst erkannte, si<strong>ch</strong> also dessen inwendig bewußt wurde, daß<br />

eine Heilung ges<strong>ch</strong>ehen war, sah er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wer sie empfangen hatte. Der<br />

Frau war das genug, aber Jesus ni<strong>ch</strong>t. Er wollte wissen, wer sein Kleid berührt<br />

habe. Niemand antwortete; die Frau s<strong>ch</strong>wieg ers<strong>ch</strong>rocken. Sie war au<strong>ch</strong> jetzt,<br />

da sie bereits ihre Genesung empfand <strong>und</strong> das Herz ihr darob jubelte, dur<strong>ch</strong><br />

die Heimli<strong>ch</strong>keit ihrer Handlung aufs neue bedrückt. Ohne Jesu Willen hatte<br />

sie si<strong>ch</strong> seine Wohltat vers<strong>ch</strong>afft <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> damit über die Grenze hinaus gewagt,<br />

die sie ihm gegenüber zu bewahren hatte. Sie erbebt, wie sie jetzt persönli<strong>ch</strong><br />

vor ihn treten <strong>und</strong> von seinem Willen ihr Ges<strong>ch</strong>ick empfangen soll.<br />

5,31 : Und seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst, wie die Menge di<strong>ch</strong> drängt,<br />

<strong>und</strong> sagst: Wer hat mi<strong>ch</strong> angerührt? Au<strong>ch</strong> hier wird an einem kleinen, aber<br />

bedeutsamen Zug wieder offenbar, wie die Denkweise der Jünger beständig<br />

derjenigen Jesu widerspra<strong>ch</strong>. Sie finden es seltsam, daß er im di<strong>ch</strong>ten Gedränge<br />

untersu<strong>ch</strong>en wolle, wer ihn angerührt habe, <strong>und</strong> wollten den, der es


<strong>Markus</strong> 5,29—36 "47<br />

tat, ents<strong>ch</strong>uldigen, als bedürfte es Jesus gegenüber einer anderen Ents<strong>ch</strong>uldigung<br />

als der, die das offene Geständnis gibt. Jesus ließ si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> ihre Kurzsi<strong>ch</strong>tigkeit<br />

in seiner Absi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t stören, die Bittende von seinem Kleide weg<br />

zu si<strong>ch</strong> selber emporzuheben <strong>und</strong> ihr mit klarem Wort <strong>und</strong> freier Güte das zu<br />

geben, wo<strong>na<strong>ch</strong></strong> sie zunä<strong>ch</strong>st mit Umgehung der persönli<strong>ch</strong>en Beziehung zu ihm<br />

gegriffen hat. 5,32. 33: Und er blickte rings umher, um die zu sehen, die das<br />

getan hatte. <strong>Die</strong> Frau aber, die si<strong>ch</strong> für<strong>ch</strong>tete <strong>und</strong> zitterte, da sie wußte, was<br />

ihr widerfahren war, kam, fiel vor ihm nieder <strong>und</strong> sagte ihm die ganze Wahrheit.<br />

Sein fors<strong>ch</strong>ender Blick ma<strong>ch</strong>te ihr deutli<strong>ch</strong>, es liege in seinem Verlangen<br />

Ernst. Da wagte sie es, ließ ihr Vertrauen zu ihm ni<strong>ch</strong>t fallen, sondern ma<strong>ch</strong>te<br />

es ganz <strong>und</strong> tat im Glauben no<strong>ch</strong> das Größere als vorher, warf si<strong>ch</strong> vor ihm<br />

nieder <strong>und</strong> legte si<strong>ch</strong> mit ihrer Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart in seine Hand.<br />

Er gab ihr deshalb seinen ganzen Trost. 5,34: Er aber spra<strong>ch</strong> zu ihr: To<strong>ch</strong>ter,<br />

dein Glaube hat dir geholfen; geh im Frieden, <strong>und</strong> sei von deiner Plage ges<strong>und</strong>.<br />

Er sah <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ätzte den Glauben au<strong>ch</strong> in dieser bebenden Frau, die si<strong>ch</strong> am<br />

liebsten vor ihm verborgen hätte, <strong>und</strong> zeigte ihr in ihrem Glauben das, was<br />

ihr die Hilfe gebra<strong>ch</strong>t hatte. Versteht sie, daß ihr um des Glaubens willen die<br />

Berührung seines Gewands zur Genesung geworden war, dann empfängt sie<br />

damit das, was sie bleibend <strong>und</strong> inwendig neu ihrem Gott verbindet <strong>und</strong> für<br />

immer ri<strong>ch</strong>tig zu Jesus stellt.<br />

Nun kam für Jairus ein s<strong>ch</strong>werer Augenblick. 5,35: Während er no<strong>ch</strong><br />

redete, kommen sie vom Vorsteher der Gemeinde <strong>und</strong> sagen: Deine To<strong>ch</strong>ter<br />

ist gestorben. Was belästigst du den Lehrer no<strong>ch</strong>? Seine Leute haben si<strong>ch</strong> beeilt,<br />

ihm den Tod seines Kindes zu melden, damit er Jesus ni<strong>ch</strong>t unnötig bemühe.<br />

Sie wollten si<strong>ch</strong> höfli<strong>ch</strong> gegen Jesus benehmen, nehmen ihm aber mit<br />

ihrer Höfli<strong>ch</strong>keit seine Ehre <strong>und</strong> verleugnen seine Herrli<strong>ch</strong>keit. Denn sie betra<strong>ch</strong>ten<br />

es als selbstverständli<strong>ch</strong>, daß Jesus nun zu spät komme. So war ihm<br />

ausdrückli<strong>ch</strong> die Frage gestellt, ob er dieses Urteil annehme <strong>und</strong> ebenfalls vor<br />

dem Tode zurückwei<strong>ch</strong>e als vor einem unüberwindli<strong>ch</strong>en Feind, bei dem seine<br />

Hilfe <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> Gottes Ma<strong>ch</strong>t zu Ende sei. Do<strong>ch</strong> das war für ihn keine Frage;<br />

vielmehr handelt er in der vollen Gewißheit, daß die Ma<strong>ch</strong>t seines Vaters au<strong>ch</strong><br />

an den Ort der Toten rei<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> ihnen Leben zu geben vermag. Er zählt<br />

es mit zu seinem Beruf, das dumpfe Verzagen, das vom Grab her über uns<br />

Mens<strong>ch</strong>en liegt, zu überwinden. 5,36: Jesus aber hörte ni<strong>ch</strong>t auf das Wort, das<br />

gespro<strong>ch</strong>en wurde, <strong>und</strong> sagt zum Vorsteher der Gemeinde: Für<strong>ch</strong>te di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

nur glaube! Gr<strong>und</strong> zur Fur<strong>ch</strong>t, seine Bitte sei unerhorbar <strong>und</strong> Jesus ohnmä<strong>ch</strong>tig<br />

geworden, hat er ni<strong>ch</strong>t; aber eins legt ihm Jesus freili<strong>ch</strong> als unerläßli<strong>ch</strong><br />

ans Herz, nur das eine, sonst ni<strong>ch</strong>ts, dies aber mit heiligem Ernst: er soll glau-


48 <strong>Die</strong> Fahrt <strong>na<strong>ch</strong></strong> dein östli<strong>ch</strong>en Ufer des Sees <strong>und</strong> die Ereignisse <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Rückkehr<br />

ben. Wenn ihm sein Vertrauen zu Jesus im Angesi<strong>ch</strong>t des Todes zergeht, wenn<br />

er seine Bitte selber fallen läßt, selber den Tod der To<strong>ch</strong>ter als ein Ges<strong>ch</strong>ick<br />

hinnimmt, das au<strong>ch</strong> Gottes Gnade die Hände binde, dann freili<strong>ch</strong> hebt ni<strong>ch</strong>ts<br />

die tötende Ma<strong>ch</strong>t des Todes für ihn auf, weil die Wohltat dem ni<strong>ch</strong>t gegeben<br />

werden kann, der sie ni<strong>ch</strong>t begehrt, die Gnade dem ni<strong>ch</strong>t gehört, der sie s<strong>ch</strong>ilt,<br />

<strong>und</strong> Jesus da ni<strong>ch</strong>t helfen kann, wo man Gottes Hilfe für ni<strong>ch</strong>ts erklärt. Darum<br />

gibt es freili<strong>ch</strong> eine Bedingung, nur die eine, an die sein Geben geb<strong>und</strong>en<br />

ist; sie besteht darin, daß ihm der Wille <strong>und</strong> die Ma<strong>ch</strong>t zu helfen mit gewisser<br />

Zuversi<strong>ch</strong>t zuerkannt sei. Vermag Jairus das Vertrauen zu ihm zu behalten,<br />

daß er au<strong>ch</strong> zur Verstorbenen ni<strong>ch</strong>t vergebli<strong>ch</strong> komme, dann ist Jesus au<strong>ch</strong><br />

jetzt bereit <strong>und</strong> wird ihm zeigen, wie er stets dem Glauben gibt, was dieser<br />

bei ihm su<strong>ch</strong>t. Hier ist das kleine <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> so bedeutsame Wörtlein: „allein"<br />

dur<strong>ch</strong> Glauben! zum erstenmal ausgespro<strong>ch</strong>en worden, mit dem wir die freie<br />

<strong>und</strong> ganze Art der Gnade preisen, die ohne Rücksi<strong>ch</strong>t auf das, was wir sonst<br />

sind <strong>und</strong> leisten, nur darauf sieht, daß unser Verlangen die Hilfsma<strong>ch</strong>t Gottes<br />

erfaßt <strong>und</strong> darin den starken, si<strong>ch</strong>eren Gr<strong>und</strong> zu jeder Gabe hat. Es stammt<br />

aus Jesu M<strong>und</strong>.<br />

Jairus hielt si<strong>ch</strong> an Jesu Stärke. Weil dieser ni<strong>ch</strong>t verzagt, bleibt au<strong>ch</strong> er<br />

aufre<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> vermag, weil er ihm die Hilfe au<strong>ch</strong> jetzt no<strong>ch</strong> anbietet, sie freudig<br />

zu erwarten. 5,37: Und keinem erlaubte er mit ihm zu gehen außer Petrus<br />

<strong>und</strong> Jakobus <strong>und</strong> Johannes, dem Bruder des Jakobus. Weil in der Erweckung<br />

der Toten besonders deutli<strong>ch</strong> wird, wie unbegrenzt <strong>und</strong> herrli<strong>ch</strong> sein<br />

Sohnesre<strong>ch</strong>t ist, entfernt Jesus alle Zus<strong>ch</strong>auer, ni<strong>ch</strong>t nur die, die ihnen <strong>na<strong>ch</strong></strong>drängten,<br />

sondern au<strong>ch</strong> seine eigenen Jünger. Er handelt <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Regel: je<br />

größer Gottes Zeugnis für ihn wird, um so mehr gehört es in die Stille; je<br />

deutli<strong>ch</strong>er es ihn als den erweist, der alles, au<strong>ch</strong> den Tod, überw<strong>und</strong>en hat,<br />

um so weniger darf es öffentli<strong>ch</strong> sein. Gottes Gnade ist ni<strong>ch</strong>t zum Mißbrau<strong>ch</strong><br />

da, dem sie sofort verfällt, wenn sie in die Hände <strong>und</strong> den M<strong>und</strong> der Welt<br />

gerät. So tritt er völlig frei von Prunksu<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t um si<strong>ch</strong> selber zu erhöhen,<br />

als der Erwecker zum toten Mäd<strong>ch</strong>en herzu. Ni<strong>ch</strong>t einmal seine Jünger nahm<br />

er mit, damit sie von seinem Leidensweg ni<strong>ch</strong>t abirrten. Au<strong>ch</strong> sie wußten es<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu verbinden, wie er einerseits mit seiner Stimme die Toten zu<br />

rufen vermöge, andererseits selbst den Weg des Sterbens gehe. Darum war<br />

dieses Zei<strong>ch</strong>en sogar für seine Jünger no<strong>ch</strong> zu groß, <strong>und</strong> nur jenen Dreien<br />

unter ihnen gab er diesen Anblick, die er sein ganzes Werk, seine Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>und</strong> sein Zagen s<strong>ch</strong>auen ließ.<br />

5,38—40: Und sie kommen in das Haus des Vorstehers der Gemeinde, <strong>und</strong><br />

er sieht den Lärm <strong>und</strong> die, die laut weinten <strong>und</strong> klagten, <strong>und</strong> er geht hinein


<strong>Markus</strong> 5,37—43 49<br />

<strong>und</strong> sagt zu ihnen: Warum lärmt <strong>und</strong> weint ihr? Das Kind ist ni<strong>ch</strong>t gestorben,<br />

sondern s<strong>ch</strong>laft. Und sie verla<strong>ch</strong>ten ihn. Er aber trieb sie alle weg, nimmt den<br />

Vater des Kindes <strong>und</strong> seine Mutter <strong>und</strong> seine Begleiter mit <strong>und</strong> tritt da hinein,<br />

wo das Kind war. Den Kampf Jesu mit denen, die bereits um das Mäd<strong>ch</strong>en<br />

die laut lärmende Totenklage erhoben, hat au<strong>ch</strong> Matthäus erzählt. Daß diese<br />

zuerst verstummen muß, gehört zum Glauben, den Jesus von Jairus verlangt<br />

hat. Er duldete ni<strong>ch</strong>t, daß man das Mäd<strong>ch</strong>en als tot beweine, während er zu<br />

ihm gerufen wird. Nun ma<strong>ch</strong>te Jesus am Bett des Mäd<strong>ch</strong>ens in Gegenwart der<br />

beiden Eltern <strong>und</strong> seiner drei Jünger sein Wort: Sie s<strong>ch</strong>läft! wahr, indem er<br />

sie weckte, wie man eine S<strong>ch</strong>lafende weckt. 5,41—43: Und er ergriff die Hand<br />

des Kinds <strong>und</strong> sagt zu ihm: talitha kumi, was übersetzt heißt: Mäd<strong>ch</strong>en, i<strong>ch</strong><br />

sage dir, stehe auf! Und glei<strong>ch</strong> stand das Mäd<strong>ch</strong>en auf <strong>und</strong> ging herum; denn<br />

es war zwölf Jahre alt. Und sie erstaunten glei<strong>ch</strong> mit großem Erstaunen. Und<br />

er s<strong>ch</strong>ärfte ihnen sehr ein, daß es niemand erfahren dürfte, <strong>und</strong> er sagte, man<br />

solle ihr zu essen geben. Matthäus erzählt uns au<strong>ch</strong> das nur in der kürzesten,<br />

s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>testen Fassung, hält uns nur Jesu Tat Vor <strong>und</strong> überläßt es ganz uns<br />

selbst, ihre Bedeutsamkeit zu empfinden. <strong>Markus</strong> half dagegen seinen Lesern<br />

mit einigen ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en Zügen <strong>na<strong>ch</strong></strong>, damit sie einen lebendigen Eindruck<br />

von der Größe dieser Dinge hätten. Dazu gehörtau<strong>ch</strong> die Wiederholung der<br />

Worte Jesu <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrem syris<strong>ch</strong>en Laut, an die si<strong>ch</strong> die feierli<strong>ch</strong>e Erinnerung<br />

heftete. So hatten die Worte gelautet, die hier auf Erden gespro<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> drüben<br />

im Ort der Abges<strong>ch</strong>iedenen gehört <strong>und</strong> befolgt wurden. Jesus unterdrückte<br />

wieder jeden lärmenden Preis seiner Tat. Er hat die Bitte des Jairus erfüllt,<br />

weil er keine gläubige Bitte abwies <strong>und</strong> vor der Ma<strong>ch</strong>t des Todes ni<strong>ch</strong>t zurückwei<strong>ch</strong>t.<br />

Do<strong>ch</strong> dies war nur ein Zei<strong>ch</strong>en, eine ausnahmsweise Hilfe, ni<strong>ch</strong>t die<br />

Regel. Jesus wollte <strong>und</strong> konnte si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu allen Toten rufen lassen, daß er<br />

sie erwecke. Ewiges Leben <strong>und</strong> Überwindung des Todes ges<strong>ch</strong>ieht ni<strong>ch</strong>t jetzt<br />

s<strong>ch</strong>on innerhalb der irdis<strong>ch</strong>en Natur, sondern dadur<strong>ch</strong>, daß wir dahin erhoben<br />

werden, wo der Auferstandene ist. Darum hat er wieder von den Eltern als<br />

Dank dies gefordert, daß sie von seiner Tat ni<strong>ch</strong>t redeten. Er führte sie au<strong>ch</strong><br />

selbst aus der starken Bewegung ihrer staunenden Freude dadur<strong>ch</strong> in den natürli<strong>ch</strong>en<br />

Lauf des Lebens zurück, daß er sie für die Speisung des Kindes sorgen<br />

ließ. Ni<strong>ch</strong>t als ein W<strong>und</strong>erkind gab er es den Eltern wieder, sondern so, daß<br />

es wieder vollständig unter der Regel des natürli<strong>ch</strong>en Lebens stand.


5 o Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

Kapitel 6,1—8,26<br />

Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

<strong>Die</strong> Vaterstadt Jesu, Nazareth, gab bei seinem Besu<strong>ch</strong> ein Beispiel harten,<br />

vers<strong>ch</strong>lossenen Unglaubens. 6,1—3: Und er ging von dort fort <strong>und</strong> kommt in<br />

seine Vaterstadt, <strong>und</strong> seine Jünger ziehen ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Und als es Sabbat wurde,<br />

begann er in der Versammlung zu lehren, <strong>und</strong> die Menge, die ihn hörte, verw<strong>und</strong>erte<br />

si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sagte: Woher hat dieser das? Und was ist dies für eins<br />

Weisheit, die diesem gegeben ist, <strong>und</strong> sol<strong>ch</strong>e W<strong>und</strong>er, die dur<strong>ch</strong>'seine Hände<br />

ges<strong>ch</strong>ehen? Ist ni<strong>ch</strong>t dieser der Zimmermann, der Sohn der Maria <strong>und</strong> der<br />

Bruder des Jakobus <strong>und</strong> Jose <strong>und</strong> Judas <strong>und</strong> Simon? Und sind ni<strong>ch</strong>t seine<br />

S<strong>ch</strong>western hier bei uns? Und sie stießen si<strong>ch</strong> an ihm. Dagegen, daß sein "Wort<br />

sie ergriffen hatte, verteidigten si<strong>ch</strong> seine Mitbürger dadur<strong>ch</strong>, daß sie si<strong>ch</strong> an<br />

seine Herkunft, an seine Ges<strong>ch</strong>wister <strong>und</strong> an die kleinen, engen Verhältnisse<br />

seines früheren Lebens erinnerten. Weil er einer der Ihrigen ist, ihnen wohlbekannt<br />

<strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> seinen früheren Lebenslauf ganz in ihre Mitte gestellt, erregen<br />

seine Weisheit <strong>und</strong> seine Taten in ihnen nur ein dumpfes Staunen, das<br />

sie hindert, si<strong>ch</strong> vor ihm zu beugen <strong>und</strong> in ihm Gottes Gabe zu erkennen.<br />

<strong>Markus</strong> sagt: Jesus selbst, ni<strong>ch</strong>t nur sein Vater, sei Zimmermann gewesen. Er<br />

hat wie alle Knaben seines Volks im Vater den Lehrmeister gehabt, von dem<br />

er sein Handwerk lernte, weil er ihm von Kindheit an in der Ausübung desselben<br />

half. So war es für die Zeit, als er in Nazareth lebte, sein gerader,<br />

s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ter Weg, daß er das Gewerbe des Vaters fortbetrieb. Das wurde nun<br />

den Nazarenern zum Ärgernis. Wie kann der, der früher für sie seine Arbeit<br />

tat, nun über ihnen stehen? 6,4. 5: Und Jésus sagte zu ihnen: Nirgends ist ein<br />

Prophet ohne Ehre als in seiner Vaterstadt <strong>und</strong> bei seinen Verwandten <strong>und</strong> in<br />

seinem Haus. Und er konnte dort kein W<strong>und</strong>er tun, außer daß er wenigen<br />

Kranken die Hände auflegte <strong>und</strong> sie heilte. Er tat ni<strong>ch</strong>t viele W<strong>und</strong>er, lasen<br />

wir bei Matthäus; er konnte es ni<strong>ch</strong>t, hebt <strong>Markus</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong> hervor. Der<br />

Unglaube nahm ihm die Ma<strong>ch</strong>t, die ihm sonst von oben gegeben war, aus demselben<br />

Gr<strong>und</strong>, weshalb ihm der Glaube die Bahn frei ma<strong>ch</strong>t zu jeder Gabe <strong>und</strong><br />

Hilfe. Sein Zugang zum Vater war derselbe wie überall <strong>und</strong> sein Sohnesre<strong>ch</strong>t<br />

hier ni<strong>ch</strong>t kleiner als anderswo; aber die Bitte fehlte, zu deren Erfüllung ?onst<br />

Gottes große Gnade ihre Taten dur<strong>ch</strong> ihn tat. <strong>Die</strong>ser ungläubigen S<strong>ch</strong>ar das<br />

Zei<strong>ch</strong>en aufzudrängen, dazu war Jesus unfähig. Das hieß ihr die Buße ersparen,<br />

hieß ihre Abwendung von Gott als glei<strong>ch</strong>gültig <strong>und</strong> ents<strong>ch</strong>uldbar übersehen<br />

<strong>und</strong> sie in Gottes Gegenwart hineinversetzen, während sie diese floh <strong>und</strong><br />

mied. Das waren für Jesus Unmögli<strong>ch</strong>keiten, weil er stets die Hoheit des


<strong>Markus</strong> 6,i—-j 5 *<br />

Vaters bezeugte, Unmögli<strong>ch</strong>keiten au<strong>ch</strong> deshalb, weil er alle seine Zei<strong>ch</strong>en aus<br />

dem Antrieb der Gnade tat; dem Unglauben werden sie aber zum Geri<strong>ch</strong>t, zur<br />

Vergrößerung seiner S<strong>ch</strong>uld, zu seiner Verhärtung im Streit mit Gott. Darum<br />

ließ es si<strong>ch</strong> Jesus Wohlgefallen, in Nazareth das zu sein, wofür sie ihn hielten:<br />

s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>, einer von ihnen, der ni<strong>ch</strong>ts Besonderes vermag. Ihr Unglaube sah<br />

ni<strong>ch</strong>ts Großes in ihm; so war er au<strong>ch</strong> unter ihnen ein niedriger Mann. Sie durften<br />

redit behalten <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> rühmen, die klugen Leute zu sein, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den<br />

Ruf Jesu ni<strong>ch</strong>t blenden ließen, sondern längst s<strong>ch</strong>on wußten, daß er ein Nazarener<br />

sei <strong>und</strong> sonst ni<strong>ch</strong>ts.<br />

6,6a.: Und er verw<strong>und</strong>erte si<strong>ch</strong> über ihren Unglauben. Er galt ihm ni<strong>ch</strong>t als<br />

etwas wohl Verständli<strong>ch</strong>es, teilweise Begründetes, was man ruhig hinnehmen<br />

müsse, sondern empfand das finstere Geheimnis in aller Stärke, das dann zutage<br />

tritt, wenn Gottes helles "Wort <strong>und</strong> Werk umsonst vor einem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Auge steht <strong>und</strong> kein Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm erweckt. Freili<strong>ch</strong> hat der Unglaube<br />

in dem, was wir bei uns denken <strong>und</strong> begehren, seine starken Wurzeln, so daß<br />

er uns natürli<strong>ch</strong> ist, <strong>und</strong> er wird uns deshalb vollends lei<strong>ch</strong>t, weil die Niedrigkeit<br />

Jesu <strong>und</strong> sein Kreuzesweg ihm einen Anhalt bieten. Denno<strong>ch</strong> bleibt er<br />

verw<strong>und</strong>erli<strong>ch</strong>, weil si<strong>ch</strong> das, was von oben kommt, mit heller Deutli<strong>ch</strong>keit<br />

uns bezeugt <strong>und</strong> mit festem Griff unser Verlangen <strong>und</strong> Vertrauen aufwärts<br />

zieht. In Nazareth tat dieser S<strong>ch</strong>merz Jesus besonders weh, weil er ja dort mit<br />

allen dur<strong>ch</strong> die fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>en Beziehungen verb<strong>und</strong>en war, die uns die Heimat<br />

vers<strong>ch</strong>afft. Das zerriß nun alles, <strong>und</strong> trotz der alten Bekannts<strong>ch</strong>aft <strong>und</strong> natürli<strong>ch</strong>en<br />

Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit kam überall der dunkle, harte Kern in den Mens<strong>ch</strong>en ans<br />

Li<strong>ch</strong>t. Jesus* erstaunte darum über den Anblick, den ihm Nazareth jetzt bot.<br />

Sie sagten: Woher hast du sol<strong>ch</strong>e Weisheit <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t? <strong>und</strong> er sagte: Woher<br />

habt ihr euer hartes, gottloses Herz? Ihre Wege trennten si<strong>ch</strong>. Obglei<strong>ch</strong> von<br />

Natur verb<strong>und</strong>en, waren sie nun ges<strong>ch</strong>ieden dur<strong>ch</strong> Gott.<br />

6,6b. 7: Und er zog ringsum dur<strong>ch</strong> die Dörfer <strong>und</strong> lehrte. Und er ruft die<br />

Zwölf herbei <strong>und</strong> begann sie auszusenden je zwei <strong>und</strong> zwei <strong>und</strong> gab ihnen<br />

Ma<strong>ch</strong>t über die unreinen Geister. Von Nazareth ging Jesus in die be<strong>na<strong>ch</strong></strong>barten<br />

Dörfer, die gerade in diesem Teil des jüdis<strong>ch</strong>en Galiläa besonders zahlrei<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> stark bewohnt waren. Er hat aber seine Arbeit ni<strong>ch</strong>t nur selber getan, sondern<br />

au<strong>ch</strong> die Zwölf zu ihr herangezogen <strong>und</strong> sie dadur<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig über<br />

einen größeren Teil des Volkes ausgebreitet. Mit Jesu Besu<strong>ch</strong> in Nazareth ist<br />

<strong>Markus</strong> zu dem zurückgekehrt, was Matthäus im dreizehnten Kapitel <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

den Glei<strong>ch</strong>nissen erzählt, <strong>und</strong> folgt von nun an ohne Veränderung der Reihenfolge<br />

seiner Erzählungen. Nur einen Beri<strong>ch</strong>t holt er aus dem früher Erzählten<br />

no<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>, da er den Wegzug Jesu <strong>na<strong>ch</strong></strong> den öden Gegenden des Ostjordan-


5 2. Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

lands mit der Rückkehr seiner Jünger zusammenbringt <strong>und</strong> deshalb au<strong>ch</strong> ihre<br />

Aussendung no<strong>ch</strong> vorher erzählen muß. Deshalb greift er hier no<strong>ch</strong> kurz auf<br />

das zurück, was das zehnte Kapitel bei Matthäus enthält.<br />

Matthäus hat s<strong>ch</strong>on bei der ersten Ausübung des <strong>Die</strong>nstes, zu dem Jesus<br />

seine Jünger berufen hat, an ihre gesamte spätere Arbeit geda<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> uns deshalb<br />

in einer großen Rede das vorgelegt, was Jesus den Seinigen über ihr<br />

Apostelwerk gesagt hat, wie sie es zu treiben <strong>und</strong> was sie dabei zu leiden haben<br />

<strong>und</strong> was ihren ernsten Gang, zu dem er sie aussendet, zum guten Ziele bringt.<br />

Am Wort Jesu hängt sein Blick so vollständig, daß er über das, was die Jünger<br />

damals taten, kein "Wort beifügt, weder daß sie wirkli<strong>ch</strong> damals auszogen no<strong>ch</strong><br />

wann <strong>und</strong> wo sie zurückkehrten. <strong>Markus</strong> a<strong>ch</strong>tet au<strong>ch</strong> hier vor allem auf Jesu<br />

Tat, weil es als wi<strong>ch</strong>tiges Glied zu seinem Werk gehört, daß er Israel Gottes<br />

Wort ni<strong>ch</strong>t bloß selber bra<strong>ch</strong>te, sondern glei<strong>ch</strong>zeitig an vers<strong>ch</strong>iedenen Orten<br />

au<strong>ch</strong> seine Jünger zur Bezeugung desselben in das Volk hineingestellt hat.<br />

Zwei <strong>und</strong> zwei sandte er sie aus ni<strong>ch</strong>t nur der Jünger wegen, damit jeder die<br />

Gabe des anderen mit genieße, <strong>und</strong> der eine für den anderen Rat <strong>und</strong> Trost<br />

habe, sondern wohl zuerst der Hörer wegen, damit die alte Regel, wo<strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

jedes Zeugnis dur<strong>ch</strong> zwei Zeugen bewiesen wird <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> Gültigkeit erlangt,<br />

au<strong>ch</strong> auf Jesu Bots<strong>ch</strong>aft angewandt sei. Man konnte seine Boten weniger<br />

lei<strong>ch</strong>t überhören, wenn der eine mit einträ<strong>ch</strong>tigem Wort den Bußruf <strong>und</strong> die<br />

Verheißung des anderen bekräftigte.<br />

Von den Vors<strong>ch</strong>riften Jesu führt uns <strong>Markus</strong> die an, die sie bei ihrem Botendienst<br />

von allem Irdis<strong>ch</strong>en freima<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> ihnen jede Belastung mit Geld<br />

<strong>und</strong> Gut untersagten. 6,8.9: Und er befahl ihnen, ni<strong>ch</strong>ts mitzunehmen auf den<br />

Weg als einzig einen Stab, kein Brot, keinen Sack, kein Geld im Gürtel, sondern<br />

sie sollen Sandalen tragen, <strong>und</strong> zieht ni<strong>ch</strong>t zwei Röcke an. Bei Matthäus<br />

sind diese Worte von der umfassenden Regel abhängig: Gebt das Evangelium<br />

umsonst, wie ihr es umsonst empfingt. Es wäre ein böses Hindernis, wenn si<strong>ch</strong><br />

auf die Jünger der S<strong>ch</strong>ein legte, sie su<strong>ch</strong>ten ihren eigenen Vorteil <strong>und</strong> Gewinn.<br />

Darum wird ihnen die Annahme von Ges<strong>ch</strong>enk <strong>und</strong> Lohn völlig untersagt,<br />

was ni<strong>ch</strong>t hindert, daß sie mit fröhli<strong>ch</strong>em, freiem Gewissen den Unterhalt von<br />

denen empfangen, denen sie Gottes Gaben bringen. Dagegen sollen sie ni<strong>ch</strong>ts<br />

wegtragen <strong>und</strong> den S<strong>ch</strong>ein au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> kleine Gaben begünstigen, als<br />

ließen sie si<strong>ch</strong> für das bezahlen oder bes<strong>ch</strong>enken, was sie als Jesu Boten tun,<br />

sondern es für jedermanns Auge klar ma<strong>ch</strong>en, daß sie im Gehorsam gegen Jesu<br />

Befehl handeln <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts als das Wohl der Leute su<strong>ch</strong>en. <strong>Markus</strong> a<strong>ch</strong>tet bei<br />

diesem Wort ni<strong>ch</strong>t allein auf die reine Uneigennützigkeit, mit der die Boten<br />

Jesu ihre Arbeit tun, sondern darauf, daß sie überhaupt den ganzen Berei<strong>ch</strong>


<strong>Markus</strong> 6,8—il 53<br />

der irdis<strong>ch</strong>en Anliegen unter si<strong>ch</strong> haben. Als die Freién'treten sie vor das Volk,<br />

die ni<strong>ch</strong>t an den Vorrat von Brot <strong>und</strong> Geld geb<strong>und</strong>en sind <strong>und</strong> ihr Werk ni<strong>ch</strong>t<br />

dur<strong>ch</strong> dieses Mittel treiben, so daß niemand sol<strong>ch</strong>e Gaben von ihnen erwarten<br />

kann, wie sie au<strong>ch</strong> für si<strong>ch</strong> selbst sol<strong>ch</strong>en Gewinn ni<strong>ch</strong>t su<strong>ch</strong>en dürfen.<br />

Daraus ergaben si<strong>ch</strong> die kleinen Unters<strong>ch</strong>iede in der Form des Spru<strong>ch</strong>s.<br />

Matthäus wehrt alles ab, womit die Jünger si<strong>ch</strong> von denen bes<strong>ch</strong>enken lassen<br />

könnten, denen sie die ewigen Güter gebra<strong>ch</strong>t haben <strong>und</strong> deren heißer Dank<br />

<strong>und</strong> volle Liebe ihnen deshalb zuteil geworden ist. Glei<strong>ch</strong>wohl sollen sie ni<strong>ch</strong>t<br />

einmal einen Stab, ni<strong>ch</strong>t einmal ein paar Sandalen von dort zur weiteren Wanderung<br />

mit si<strong>ch</strong> tragen. <strong>Markus</strong> bes<strong>ch</strong>reibt uns, wie die Jünger frei von allem,<br />

was die Begehrli<strong>ch</strong>keit der Mens<strong>ch</strong>en erstrebt <strong>und</strong> für Glück <strong>und</strong> Rei<strong>ch</strong>tum<br />

hält, ihre Straße ziehen, nur mit dem Stabe <strong>und</strong> mit Sandalen versehen <strong>und</strong><br />

stets zur Wanders<strong>ch</strong>aft bereit. Sol<strong>ch</strong>e Wandlungen in der Gestalt der Worte<br />

Jesu geben uns die wi<strong>ch</strong>tige Gewißheit, daß si<strong>ch</strong> die Jünger aus Jesu Wort<br />

ni<strong>ch</strong>t wieder ein Gesetz ma<strong>ch</strong>ten, das als Bu<strong>ch</strong>stabe von außen her allen in<br />

der glei<strong>ch</strong>en Weise sagen soll, was Gottes Wille sei, als wäre derselbe dadur<strong>ch</strong><br />

getan, daß sie keinen Stock tragen, <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> übertreten, daß sie einen sol<strong>ch</strong>en<br />

bei si<strong>ch</strong> haben, sondern daß sie auf Jesu Sinn, wie er ihn in der kräftigen<br />

Ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>keit seiner Sprü<strong>ch</strong>e ausprägte, a<strong>ch</strong>teten <strong>und</strong> ihren Gehorsam darein<br />

setzten, daß sein Wille ihr Wille geworden sei, der von innen her ihr ganzes<br />

Tun dur<strong>ch</strong>dringt. Darum vermag uns der eine zu sagen: Au<strong>ch</strong> keinen Stab<br />

nehmt mit, <strong>und</strong> der andere: Nur mit einem Stab kommt, <strong>und</strong> weder dieser<br />

no<strong>ch</strong> jener hat Jesu Meinung verdorben; denn beide haben uns si<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t,<br />

wie deutli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ents<strong>ch</strong>lossen Jesu Boten von allem abges<strong>ch</strong>ieden sind,<br />

was sein Wort mit irdis<strong>ch</strong>em Gut <strong>und</strong> selbstsü<strong>ch</strong>tiger Begier vermengt.<br />

Dazu fügt <strong>Markus</strong> no<strong>ch</strong>, was die Jünger dann zu tun haben, wenn man sie<br />

aufnimmt, <strong>und</strong> dann, wenn man sie verstößt. 6,10. n: Und er sagte zu ihnen:<br />

Wenn ihr in ein Haus eintretet, so bleibt dort, bis ihr von dort fortgeht. Und<br />

wenn eu<strong>ch</strong> ein Ort ni<strong>ch</strong>t aufnimmt <strong>und</strong> man ni<strong>ch</strong>t auf eu<strong>ch</strong> hört, so geht von<br />

dort fort, <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>üttelt die Erde unter euren Füßen ab zum Zeugnis für sie.<br />

Solange sie in einem Dorf e bleiben, sollen sie die Herberge ni<strong>ch</strong>t we<strong>ch</strong>seln. Verstößt<br />

man sie, dann fällt auf den Ort, der sie vertreibt, die ernste Ankündigung<br />

des kommenden Geri<strong>ch</strong>ts. Aus einem sol<strong>ch</strong>en Dorf sollen die Jünger ni<strong>ch</strong>t<br />

einmal Staub <strong>und</strong> Erde mit si<strong>ch</strong> nehmen, damit jede Gemeins<strong>ch</strong>aft abgebro<strong>ch</strong>en,<br />

jedes Band gelöst sei. An den Ernst, den Jesus in das Zeugnis seiner Boten<br />

legt, erinnert uns <strong>Markus</strong> s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> ohne Rücksi<strong>ch</strong>t darauf, daß au<strong>ch</strong> im Fortgang<br />

der apostolis<strong>ch</strong>en Arbeit Israel dem Evangelium fern <strong>und</strong> von Christus<br />

ges<strong>ch</strong>ieden blieb. Darauf hat aber Jesus seine Boten s<strong>ch</strong>on bei ihrer ersten Aus-


54 Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

Sendung vorbereitet <strong>und</strong> sie s<strong>ch</strong>on damals ni<strong>ch</strong>t deshalb zu Israel ges<strong>ch</strong>ickt, weil<br />

er hoffte, der Sinn des Volkes wende si<strong>ch</strong> zu ihm, sondern deshalb, damit ihnen<br />

laut <strong>und</strong> öffentli<strong>ch</strong> das Rei<strong>ch</strong> angeboten sei <strong>und</strong> ihre S<strong>ch</strong>uld voll werde, wenn<br />

sie es abweisen. Deshalb kann au<strong>ch</strong> jetzt der jüdis<strong>ch</strong>e Unglaube die Boten Jesu<br />

ni<strong>ch</strong>t hindern; vielmehr gehen sie, wenn Israel sie ni<strong>ch</strong>t hören will, von jeder<br />

S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong> Pfli<strong>ch</strong>t ledig zu den Heiden.<br />

6,i2.13: Und sie gingen fort <strong>und</strong> verkündigten, daß sie Buße tun sollten,<br />

<strong>und</strong> vertrieben viele böse Geister <strong>und</strong> salbten viele Kranke mit öl <strong>und</strong> heilten<br />

sie. Bei Matthäus trägt Jesus den Jüngern auf, die Nähe des göttli<strong>ch</strong>en Königtums<br />

zu verkündigen. Das eine Wort s<strong>ch</strong>ließt hier das andere ein. "Was Gott<br />

Großes für Israel tut <strong>und</strong> tun wird, bringt ihnen ni<strong>ch</strong>t Segen <strong>und</strong> Leben, wenn<br />

sie ihren bösen Weg ni<strong>ch</strong>t verlassen; deshalb war die Bots<strong>ch</strong>aft von Gottes<br />

Rei<strong>ch</strong> immer <strong>und</strong> notwendig au<strong>ch</strong> Bußpredigt. Findet diese aber Gehör, wendet<br />

Israel seinen Sinn reuig zu Gott, dann tritt er mit seiner Gnade <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

königli<strong>ch</strong> für sie ein. <strong>Die</strong> Jünger erfuhren zur großen Stärkung ihres<br />

Glaubens, daß ähnli<strong>ch</strong>e Erweisungen der göttli<strong>ch</strong>en Hilfsma<strong>ch</strong>t ihr Wort begleiteten,<br />

wie sie diese an Jesus selber sahen. Bei den Kranken benützten sie die<br />

Salbung mit öl als ein Mittel, wodur<strong>ch</strong> sie si<strong>ch</strong> selbst wie dem Kranken die<br />

Verheißung der Genesung faßli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> nah vor die Augen hielten, was beiden<br />

den Gewinn eines festen Glaubensstands erlei<strong>ch</strong>terte. Eine ähnli<strong>ch</strong>e Verwendung<br />

der Salbung beri<strong>ch</strong>tet Jakobus aus der späteren Christenheit, 5,14*.<br />

Wie si<strong>ch</strong> der über Galiläa regierende Fürst zu Jesus stellte, war mit dem<br />

Verbre<strong>ch</strong>en, das er an Johannes begangen hatte, bereits ents<strong>ch</strong>ieden. 6,14: Und<br />

der König H erodes hörte es; denn sein Name wurde bekannt; <strong>und</strong> sie sagten:<br />

Johannes der Täufer ist aus den Toten auf erweckt worden, <strong>und</strong> deshalb sind<br />

die W<strong>und</strong>erkräfte in ihm wirksam. Glei<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem der Fürst den einen Propheten<br />

beseitigt hatte, stand wieder ein sol<strong>ch</strong>er da <strong>und</strong> setzte die Bots<strong>ch</strong>aft des<br />

Täufers fort. Das ers<strong>ch</strong>ien au<strong>ch</strong> vielen im Volk so w<strong>und</strong>erbar, daß sie sagten,<br />

der Täufer selbst sei auferweckt worden. Dadur<strong>ch</strong> erklärten sie si<strong>ch</strong> das, was<br />

Jesus über den Täufer erhob, seine w<strong>und</strong>erbaren Taten, da es ja lei<strong>ch</strong>t begreifli<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>ien, daß er jetzt <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Auferweckung aus dem Tod im Besitz geheimnisvoller<br />

Kräfte sei. <strong>Markus</strong> nennt uns glei<strong>ch</strong> hier au<strong>ch</strong> die ähnli<strong>ch</strong>en Urteile,<br />

die man im Volk über Jesus abgab. 6,15: Aber andere sagten: Er ist<br />

Elias; andere aber sagten: Er ist ein Prophet wie einer der Propheten. Wer ihn<br />

Elia nannte, da<strong>ch</strong>te daran, daß dieser bisher bei Gott für die letzte Zeit aufbewahrt<br />

worden sei <strong>und</strong> nun den Anbru<strong>ch</strong> des Himmelrei<strong>ch</strong>s, vorbereiten soll.<br />

Andere nahmen an, einem der alten Propheten habe Gottes besondere Gnade<br />

* Verglei<strong>ch</strong>e die Anmerkung zu Jakobus 5,14.


<strong>Markus</strong> 6,12—2g 5 5<br />

eine Auferweckung bes<strong>ch</strong>ieden, damit er seinen <strong>Die</strong>nst no<strong>ch</strong>mals an Israel aus-,<br />

ri<strong>ch</strong>te. <strong>Die</strong>se Urteile der Leute zeigen, wie tief Jesu Eindruck auf das Volk<br />

au<strong>ch</strong> da gewesen ist, wo es ni<strong>ch</strong>t zu jenem Glauben kam, der si<strong>ch</strong> ihm ganz ergab<br />

<strong>und</strong> ihn als den Herrn <strong>und</strong> Christus ergriff. Herodes hörte, was man von<br />

Jesus erzählte <strong>und</strong> wie das Volk über ihn urteilte, wie jedermann in ihm ein<br />

Geheimnis empfand.<strong>und</strong> seine Herkunft aus dem Jenseits ableitete, da erfaßte<br />

ihn Angst. 6,16: Als es aber Herodes hörte, sagte er: Johannes, den i<strong>ch</strong> enthaupten<br />

ließ, der wurde auf erweckt. Ist er ein auferstandener Prophet, sagte<br />

er, dann ist er der, den i<strong>ch</strong> enthauptet habe.<br />

Wie er si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> jetzt no<strong>ch</strong> vor dem Täufer ängstigte <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> darum au<strong>ch</strong><br />

vor Jesus für<strong>ch</strong>tete, so hatte er es s<strong>ch</strong>on früher ni<strong>ch</strong>t selber zum Ents<strong>ch</strong>luß gebra<strong>ch</strong>t,<br />

den Täufer zu töten. Deshalb hatte die Fürstin s<strong>ch</strong>lau <strong>und</strong> ents<strong>ch</strong>lossen<br />

einen Augenblick benützt, der ihrer wilden Ra<strong>ch</strong>su<strong>ch</strong>t günstig war, <strong>und</strong> ihn<br />

gegen seinen "Willen zum Vollzug des Todesurteils getrieben. 6,17—20: Denn<br />

Herodes sandte Soldaten aus, Heß Johannes ergreifen <strong>und</strong> ihn im Gefängnis<br />

binden wegen Herodias, der Frau seines Bruders Philippus, weil er sie geheiratet<br />

hatte. Denn Johannes sagte zu Herodes: Du darfst die Frau deines Bruders<br />

ni<strong>ch</strong>t haben. Herodias aber grollte ihm <strong>und</strong> wollte ihn töten <strong>und</strong> konnte<br />

es ni<strong>ch</strong>t. Denn Herodes für<strong>ch</strong>tete Johannes, weil er ihn als einen gere<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong><br />

heiligen Mann kannte, <strong>und</strong> behielt ihn im Gefängnis, <strong>und</strong> wenn er ihn gehört<br />

hatte, war er in großer Unruhe, <strong>und</strong> er hörte ihn gern. Der Fürst zauderte,<br />

sagt Matthäus, weil er si<strong>ch</strong> vor dem Volk für<strong>ch</strong>tete. Er s<strong>ch</strong>eut den Ruf, der<br />

Mörder des Propheten zu sein. <strong>Markus</strong> zeigt auf das hin, was Herodes im Umgang<br />

mit dem Täufer in seinem Gewissen erlebt hat. <strong>Die</strong> Ma<strong>ch</strong>t des göttli<strong>ch</strong>en<br />

Worts, das bei Israel war, rei<strong>ch</strong>te au<strong>ch</strong> ins fürstli<strong>ch</strong>e Haus hinein, obglei<strong>ch</strong> man<br />

dort im gierigen Lauf <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Ma<strong>ch</strong>t Gott tausendmal verleugnete <strong>und</strong> im<br />

wilden Brand der Leidens<strong>ch</strong>aften jedes göttli<strong>ch</strong>e Gebot zertrat. Aber au<strong>ch</strong> dort<br />

s<strong>ch</strong>uf das göttli<strong>ch</strong>e Wort ein gewecktes Gewissen, das fähig war, was heilig<br />

<strong>und</strong> gere<strong>ch</strong>t ist, zu erkennen, <strong>und</strong> trieb die Fur<strong>ch</strong>t hervor, die vor dem Streit<br />

gegen Gott zurückbebte, so daß der Täufer sogar zu Herodes ni<strong>ch</strong>t vergebli<strong>ch</strong><br />

spra<strong>ch</strong>, sondern au<strong>ch</strong> bei ihm das Zeugnis fand, er führe ein wahres <strong>und</strong> ernstes<br />

Wort.<br />

6,21—29: Und als ein geeigneter Tag kam, da Herodes an seinem Geburtstag<br />

seinen Hofleuten <strong>und</strong> den Offizieren <strong>und</strong> den Vornehmsten Galiläas ein<br />

Mahl gab <strong>und</strong> die eigene To<strong>ch</strong>ter der Herodias hineinging <strong>und</strong> tanzte, gefiel<br />

sie Herodes <strong>und</strong> denen, die mit am Tis<strong>ch</strong>e lagen. Der König aber sagte zu dem<br />

Mäd<strong>ch</strong>en: Bitte mi<strong>ch</strong>, um was du willst, <strong>und</strong> i<strong>ch</strong> werde es dir.geben, <strong>und</strong> er<br />

s<strong>ch</strong>wur ihr: Wenn du mi<strong>ch</strong> bitten wirst, werde i<strong>ch</strong> es dir geben bis zur Hälfte


5 ° Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

meines Königrei<strong>ch</strong>s. Und sie ging hinaus <strong>und</strong> sagte zu ihrer Mutter: Um was<br />

soll i<strong>ch</strong> bitten? Sie aber sagte: Um den Kopf Johannes des Täufers. Und sie<br />

ging glei<strong>ch</strong> mit Eifer zum König hinein, bat <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> will, daß du mir<br />

sofort auf einer S<strong>ch</strong>üssel den Kopf Johannes des Täufers gebest. Und der König<br />

wurde sehr betrübt; aber um der Eide willen <strong>und</strong> um derer willen, die am<br />

Tis<strong>ch</strong>e lagen, wollte er sie ni<strong>ch</strong>t abweisen. Und glei<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ickte der König einen<br />

Häs<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> befahl, seinen Kopf zu bringen. Und er ging weg <strong>und</strong> enthauptete<br />

ihn im Gefängnis <strong>und</strong> bra<strong>ch</strong>te seinen Kopf auf einer S<strong>ch</strong>üssel <strong>und</strong> gab ihn dem<br />

Mäd<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> das Mäd<strong>ch</strong>en gab ihn seiner Mutter. Und als es seine Jünger<br />

hörten, kamen sie <strong>und</strong> nahmen seinen Lei<strong>ch</strong>nam <strong>und</strong> legten ihn in ein Grab.<br />

Mit jenem halben Glauben des Herodes an das Prophetenwort des Täufers<br />

stehen die Ereignisse in bester Übereinstimmung. <strong>Die</strong> Fürstin mußte auf den<br />

Augenblick lauern, wo sie den Täufer verni<strong>ch</strong>ten konnte, <strong>und</strong> re<strong>ch</strong>nete deutli<strong>ch</strong><br />

dabei von Seiten des Herodes auf "Widerstand, weshalb sie eilig die Blöße ausnützte,<br />

die er si<strong>ch</strong> ihrer To<strong>ch</strong>ter gegenüber dur<strong>ch</strong> seinen Eid gegeben hatte.<br />

Au<strong>ch</strong> die Fur<strong>ch</strong>t, die ihm die Beri<strong>ch</strong>te über Jesus bereiteten, zeigt, daß Herodes<br />

ni<strong>ch</strong>t unwissend gehandelt hat, sondern wußte, daß er die Hand an einen Boten<br />

Gottes gelegt hatte. Au<strong>ch</strong> sein Vater, der alte Herodes, so s<strong>ch</strong>limme Dinge<br />

damals im Königspalast ges<strong>ch</strong>ahen, hat gern Männer, die im Rufe standen, die<br />

Gabe der "Weissagung zu haben, um ihren Rat gefragt, <strong>und</strong> sogar von römis<strong>ch</strong>en<br />

Männern wissen wir, daß sie jüdis<strong>ch</strong>e Zauberer <strong>und</strong> Propheten in ihrer<br />

Nähe hatten. "Weil aber der Täufer ni<strong>ch</strong>t bereit war, si<strong>ch</strong> sein Leben dadur<strong>ch</strong><br />

zu erkaufen, daß er vom Bußwort an Herodes ließ, sondern ohne S<strong>ch</strong>wanken<br />

vor ihm Gottes heiliges, unwandelbares Gebot vertrat, darum blieb Herodes<br />

seinerseits in einem uns<strong>ch</strong>lüssigen S<strong>ch</strong>wanken hängen, <strong>und</strong> Herodias haßte ihn<br />

deshalb, weil er au<strong>ch</strong> im Kerker no<strong>ch</strong> eine Ma<strong>ch</strong>t war <strong>und</strong> den Fürsten ins<br />

S<strong>ch</strong>wanken bra<strong>ch</strong>te, um so mehr <strong>und</strong> ruhte ni<strong>ch</strong>t, bis den Fürsten seine Geb<strong>und</strong>enheit<br />

an die fals<strong>ch</strong>e Ehre in ihre Hand gab <strong>und</strong> er si<strong>ch</strong> zum Mörder des Propheten<br />

ma<strong>ch</strong>en ließ. So glei<strong>ch</strong>t das Ende des Täufers dem Kreuzesweg Jesu<br />

au<strong>ch</strong> darin, daß er ni<strong>ch</strong>t ohne das Zeugnis seines Ri<strong>ch</strong>ters, er sei gere<strong>ch</strong>t <strong>und</strong><br />

heilig, den Tod des Verbre<strong>ch</strong>ers gelitten hat.<br />

Daß au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong>, der dem "Werk des Täufers nur wenige Worte widmete<br />

<strong>und</strong> einzig die Höhe zeigte, zu der er die Verheißung hinaufgehoben hat, das<br />

Ende des Täufers ausführli<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>rieb, steht damit in Übereinstimmung, daß<br />

er au<strong>ch</strong> bei Jesus alles Große, was er von ihm zu erzählen hat, in die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

seines Leidens hineingestellt hat. Alles, was Jesus mit "Worten <strong>und</strong> "Werken<br />

vollbringt, wird uns deshalb erzählt, damit wir erkennen, weshalb er das<br />

Kreuz getragen hat als der von Israel Verworfene <strong>und</strong> als der dur<strong>ch</strong> das Kreuz


<strong>Markus</strong> 6,30—34 57<br />

als Gottes Sohn Bewährte. Zu dieser Erkenntnis hilft uns au<strong>ch</strong> dasEnde des Täufers;<br />

denn es enthüllt die Ma<strong>ch</strong>t der Sünde, den Beruf derer, die Gott dienen,<br />

um seinetwillen ihr Leben preiszugeben, <strong>und</strong> die uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>e Festigkeit<br />

des göttli<strong>ch</strong>en "Willens, der von Sünde <strong>und</strong> Tod ni<strong>ch</strong>t gehindert sein gnädiges<br />

Wort vollführt <strong>und</strong> seine Herrs<strong>ch</strong>aft offenbart.<br />

Na<strong>ch</strong> dem Ende des Täufers bereitete Jesus dem Volke in öder Gegend<br />

w<strong>und</strong>erbar das Mahl <strong>und</strong> hat es dadur<strong>ch</strong> kräftig zu si<strong>ch</strong> geladen, damit es bei<br />

ihm in seiner Leitung alles finde, was es <strong>na<strong>ch</strong></strong> Leib <strong>und</strong> Seele bedurfte, <strong>und</strong> si<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> ihn zur neuen Gemeinde sammeln lasse, die si<strong>ch</strong> an der Hilfe <strong>und</strong> Gabe<br />

ihres Gottes freut. 6,30—34: Und die Apostel versammeln sido bei Jesus <strong>und</strong><br />

meldeten ihm alles, was sie getan <strong>und</strong> gelehrt hatten. Und er sagt zu ihnen:<br />

Kommt nun ihr für eud> allein an einen öden Ort <strong>und</strong> ruht ein wenig. Denn<br />

derer, die kamen <strong>und</strong> gingen, waren viele, <strong>und</strong> sie hatten ni<strong>ch</strong>t einmal Zeit zum<br />

Essen. Und sie fuhren im S<strong>ch</strong>iff ab an einen öden Ort für si<strong>ch</strong> allein. Und sie<br />

sahen sie, wie sie weggingen, <strong>und</strong> viele erkannten sie <strong>und</strong> liefen zu Fuß von<br />

allen Städten her dorthin zusammen <strong>und</strong> kamen ihnen zuvor. Und als er ausstieg,<br />

sah er eine große S<strong>ch</strong>ar <strong>und</strong> erbarmte si<strong>ch</strong> ihrer, weil sie wie S<strong>ch</strong>afe ohne<br />

Hirten waren, <strong>und</strong> er begann, sie lange zu lehren. <strong>Die</strong> Rückkehr seiner Jünger<br />

bewog Jesus, die bewohnten Gegenden zu verlassen <strong>und</strong> über den See hinüber<br />

zu gehen. Er hatte sie zur Arbeit herangezogen <strong>und</strong> gönnte ihnen nun au<strong>ch</strong> die<br />

Ruhe, wozu es in den jüdis<strong>ch</strong>en Dörfern, wo er für die Menge lei<strong>ch</strong>t zu finden<br />

war, keine Gelegenheit gab. Allein die S<strong>ch</strong>aren zogen ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>, <strong>und</strong> als die<br />

Jünger das Boot ans Land trieben, war s<strong>ch</strong>on wieder eine auf ihn wartende<br />

Menge da. <strong>Markus</strong> zeigt, was Jesus au<strong>ch</strong> jetzt bei ihnen festhält <strong>und</strong> ihn bewegt,<br />

si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> den Seinen keine Ruhe zu gönnen, sondern dem Volk mit dem<br />

Wort <strong>und</strong> dem Zei<strong>ch</strong>en unermüdli<strong>ch</strong> zu dienen, mit demselben Wort, mit dem<br />

Matthäus, 9,36, jenen Spru<strong>ch</strong> erläutert, den er der Aussendung der Jünger<br />

voranges<strong>ch</strong>ickt hat, der s<strong>ch</strong>merzvoll auf die Größe der Ernte <strong>und</strong> die kleine<br />

Zahl der Arbeiter sieht, weshalb er seine Jünger zum Gebet um die Bestellung<br />

sol<strong>ch</strong>er, die Gottes Erntearbeit tun, antreibt. Ein <strong>und</strong> dasselbe Wort<br />

drückt aus, was Jesus zur Sendung seiner Boten bewegt <strong>und</strong> was ihn <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

ihrer Rückkehr aufs neue unermüdli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Er kam ni<strong>ch</strong>t ras<strong>ch</strong> über die<br />

Not der Leute hinweg, als wäre mit der kurzen <strong>Die</strong>nstleistung der Jünger<br />

s<strong>ch</strong>on genug für sie ges<strong>ch</strong>ehen. Seinem klaren Blick war die Rat- <strong>und</strong> Hilflosigkeit<br />

der Leute beständig gegenwärtig, wie verkrümmt <strong>und</strong> verwirrt ihr<br />

Blick auf Gott, wie vers<strong>ch</strong>lossen die Bibel für sie war <strong>und</strong> wie hinderli<strong>ch</strong> <strong>und</strong><br />

versu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ihr Zusammenleben miteinander war. Es half ihnen niemand, wenn<br />

er es ni<strong>ch</strong>t tat; darum gönnte er ihnen aufs neue seine Zeit <strong>und</strong> Kraft.


5 8 Jesu weitere Arbeit in Galiläa, bis zur Weissagung seines Todes<br />

Matthäus hat die Flu<strong>ch</strong>t Jesu in die Gegend östli<strong>ch</strong> vom See dazu in Beziehung<br />

gebra<strong>ch</strong>t, daß man ihm die Hinri<strong>ch</strong>tung des Täufers meldete. <strong>Markus</strong><br />

erwog vermutli<strong>ch</strong>, daß <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Zeitfolge der Tod des Täufers etwas früher<br />

ges<strong>ch</strong>ah als die große Versammlung auf der anderen Seite des Sees. Aber au<strong>ch</strong><br />

hier ist lehrrei<strong>ch</strong>, wie trotz dieses Unters<strong>ch</strong>ieds der Gr<strong>und</strong>gedanke beider Darstellungen<br />

derselbe bleibt. Beide heben beim w<strong>und</strong>erbaren Mahle heraus, wie<br />

groß das treue Erbarmen Jesu gegen das Volk gewesen sei. Obglei<strong>ch</strong> Jesus auf<br />

der Flu<strong>ch</strong>t vor den Mens<strong>ch</strong>en war, die ihn bedrohten, sagt Matthäus, entzog er<br />

si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> dem Volke ni<strong>ch</strong>t. Obglei<strong>ch</strong> er <strong>na<strong>ch</strong></strong> Ruhe für die Seinen su<strong>ch</strong>te, sagt<br />

<strong>Markus</strong>, nahm er denno<strong>ch</strong> die Volksmenge auf.<br />

<strong>Die</strong>smal wollte er sie aus Gottes s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>em Rei<strong>ch</strong>tum als seine Gäste<br />

speisen. 6,3 5—37: Und als die Zeit s<strong>ch</strong>on vorgerückt war, traten seine Jünger zu<br />

ihm heran <strong>und</strong> sagten: Der Ort ist öde <strong>und</strong> die Zeit s<strong>ch</strong>on vorgerückt; entlaß sie,<br />

damit sie in die umliegenden Gehöfte <strong>und</strong> Dörfer gehen <strong>und</strong> für si<strong>ch</strong> kaufen,<br />

was sie essen können. Er aber antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Gebt ihr ihnen<br />

zu essen! Und sie sagen zu ihm: Sollen wir fortgehen <strong>und</strong> für zweih<strong>und</strong>ert<br />

Denare Brot kaufen <strong>und</strong> ihnen zu essen geben? Au<strong>ch</strong> die Jünger waren von<br />

Jesu Absi<strong>ch</strong>t überras<strong>ch</strong>t. Den kleinen Vorrat, den sie selber bei si<strong>ch</strong> hatten, hielten<br />

sie für ungenügend <strong>und</strong> erwogen deshalb alle S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die dem<br />

Wuns<strong>ch</strong> Jesu, das Volk zu bewirten, im Wege stehen. Zuerst müssen sie si<strong>ch</strong> in<br />

aller Eile auf die Wanderung ma<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> haben dazu beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Geldmittel<br />

nötig, <strong>und</strong> erst, wenn sie diese großen Vorräte herbeiges<strong>ch</strong>afft haben, s<strong>ch</strong>eint<br />

ihnen die Ausführung dessen, was Jesus will, mögli<strong>ch</strong> zu sein. Jesus da<strong>ch</strong>te dagegen<br />

an das, was die Jünger hatten, ni<strong>ch</strong>t an das, was ihnen fehlte, <strong>und</strong> heißt<br />

sie deshalb <strong>na<strong>ch</strong></strong>sehen, was sie denn von Lebensmitteln bei si<strong>ch</strong> haben. 6,38:<br />

Er aber sagt zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Geht <strong>und</strong> seht! Und als sie es<br />

erfors<strong>ch</strong>t hatten, sagten sie: Fünf <strong>und</strong> zwei Fis<strong>ch</strong>e. Jesus handelt au<strong>ch</strong> jetzt, wie<br />

immer, in der Zuversi<strong>ch</strong>t, daß das, was ihm der Vater gab, für jedes Bedürfnis<br />

ausrei<strong>ch</strong>e.<br />

So kam es zu jener feierli<strong>ch</strong>en Mahlzeit, bei der Jesus dem Volk seine heilige<br />

Vollma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>te, sein Ernährer, Versorger <strong>und</strong> Regierer in Gottes<br />

Auftrag zu sein. 6,39—44: Und er befahl ihnen, daß si<strong>ch</strong> alle lagern sollten,<br />

Tis<strong>ch</strong>gesells<strong>ch</strong>aft neben Tis<strong>ch</strong>gesells<strong>ch</strong>aft, auf dem grünen Gras, <strong>und</strong> sie lagerten<br />

si<strong>ch</strong> Gruppe an Gruppe je h<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> je fünfzig. Und er nahm die fünf<br />

Brote <strong>und</strong> die zwei Fis<strong>ch</strong>e, sah zum Himmel auf, spra<strong>ch</strong> den Segen <strong>und</strong> bra<strong>ch</strong><br />

die Brote <strong>und</strong> gab sie den Jüngern, damit sie sie ihnen vorsetzten, <strong>und</strong> die beiden<br />

Fis<strong>ch</strong>e teilte er für alle aus. Und alle aßen <strong>und</strong> wurden satt, <strong>und</strong> sie hoben<br />

Stücke auf, die zwölf Körbe füllten, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> von den Fis<strong>ch</strong>en. Und die¡ die


<strong>Markus</strong> 6,35—5ia 59<br />

die Brote gegessen haben, waren fünftausend Männer. <strong>Markus</strong> hebt hervor,<br />

wie Jesus alles in guter Ordnung zugehen ließ, so daß niemand übersehen<br />

wurde <strong>und</strong> kein Gedränge aufkommen konnte. Allein, obglei<strong>ch</strong> er es uns ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong><br />

ma<strong>ch</strong>en will, wie diese Menge feierli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> geordnet von Jesus gespeist<br />

worden ist, läßt er das W<strong>und</strong>er genau in derselben "Weise ein vollständiges<br />

Geheimnis bleiben, wie es dies bei Matthäus ist. Er deutet mit keinem<br />

"Wort an, woher die Brote, die alle sättigten, kamen <strong>und</strong> wie sie wurden. In<br />

Gottes s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>es "Walten gibt er keinen Einblick. Dasselbe <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem<br />

Hergang für die Phantasie auszumalen, versu<strong>ch</strong>te man ni<strong>ch</strong>t, solange man<br />

wußte, was ein "W<strong>und</strong>er ist, <strong>und</strong> selber no<strong>ch</strong> unter dem beugenden Eindruck<br />

stand, von dem jedes Erlebnis der göttli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>öpferma<strong>ch</strong>t begleitet ist.<br />

6,45 : Und glei<strong>ch</strong> nötigte er seine Jünger, in das S<strong>ch</strong>iff einzusteigen <strong>und</strong> ihm<br />

voran an das andere Ufer zu fahren gegen Bethsaida hin, während er selbst<br />

das Volk entließ. Bethsaida war ein stadtähnli<strong>ch</strong>es Dorf an der Mündung des<br />

Jordan in den See, an der Nordgrenze des öden östli<strong>ch</strong> vom See gelegenen<br />

Stri<strong>ch</strong>s <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ied diesen von der di<strong>ch</strong>tbevölkerten Gegend von Kapernaum<br />

<strong>und</strong> Genezareth. Bethsaida war deshalb der nä<strong>ch</strong>ste bewohnte Punkt der<br />

Küste, zu dem hin sie fuhren, weil sie Jesus mögli<strong>ch</strong>st nahe bleiben wollten.<br />

Er kam zu ihnen, als sie ihn ni<strong>ch</strong>t erwarteten. 6,46: Und als er von ihnen Abs<strong>ch</strong>ied<br />

genommen hatte, ging er in das Gebirge, um zu beten. Der Menge, die<br />

er bewirtet hatte, entzog er si<strong>ch</strong> jetzt <strong>na<strong>ch</strong></strong> der immer von ihm befolgten Regel,<br />

daß er gerade dann, wenn ein großes Zei<strong>ch</strong>en die Leute tief ergriffen hatte,<br />

fortging, damit das Zei<strong>ch</strong>en nun still von ihnen überda<strong>ch</strong>t werde <strong>und</strong> seine<br />

auf Gott hinzeigende "Wirkung si<strong>ch</strong> entfalten könne, ni<strong>ch</strong>t aber eine auf geregte<br />

Leidens<strong>ch</strong>aft daraus werde, bei der au<strong>ch</strong> das fleis<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e, gottlose Begehren des<br />

Volks si<strong>ch</strong> an ihn drängte <strong>und</strong> seinen Weg zu dur<strong>ch</strong>kreuzen unternahm.<br />

6,47.48: Und als es Abend geworden war, war das S<strong>ch</strong>iff mitten auf dem See<br />

<strong>und</strong> er selbst allein am Land. Und als er sah, daß sie bei der Fahrt geplagt<br />

waren, denn der Wind war ihnen zuwider, kommt er um die vierte Na<strong>ch</strong>twa<strong>ch</strong>e<br />

zu ihnen, indem er auf dem See ging, <strong>und</strong> er wollte an ihnen vorbeigehen.<br />

Er wollte sie somit am Ufer erwarten <strong>und</strong> von dort gemeinsam mit<br />

ihnen weiterziehen. Dodi ging er so nahe an ihnen vorbei, daß sie ihn sehen<br />

konnten. Es sollte ihnen ni<strong>ch</strong>t rätselhaft bleiben, wie er ihnen zuvorgekommen<br />

sei; vielmehr ma<strong>ch</strong>te er es ihnen si<strong>ch</strong>tbar, daß er au<strong>ch</strong> zu ihnen zu kommen •<br />

vermag, wenn es ihnen ferne s<strong>ch</strong>eint. 6,49—51a: Als sie ihn aber auf dem See<br />

gehen sahen, meinten sie, es sei eine Ers<strong>ch</strong>einung, <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>rieen. Denn alle sahen<br />

ihn <strong>und</strong> wurden ers<strong>ch</strong>reckt. Er aber spra<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> mit ihnen <strong>und</strong> sagt zu ihnen:<br />

Seid getrost; i<strong>ch</strong> bin es, für<strong>ch</strong>tet eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t! Und er stieg zu ihnen in das S<strong>ch</strong>iff


6o Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

hinein, <strong>und</strong> der Wind ward still. Weil die Jünger in einen großen S<strong>ch</strong>recken<br />

fielen <strong>und</strong> an eine unheimli<strong>ch</strong>e Ers<strong>ch</strong>einung da<strong>ch</strong>ten, ni<strong>ch</strong>t aber an ihn <strong>und</strong> die<br />

ihn tragende Gotteshand, darum trat Jesus zu ihnen in das S<strong>ch</strong>iff <strong>und</strong> bra<strong>ch</strong>te<br />

ihnen mit seiner Gegenwart au<strong>ch</strong> die Stillung des Sturmes, so daß die Fahrt<br />

nun ohne Gefahr zu Ende ging.<br />

An der Angst der Jünger vor Jesu plötzli<strong>ch</strong>em Ers<strong>ch</strong>einen <strong>und</strong> an ihrem<br />

Erstaunen über seine Ma<strong>ch</strong>t wird si<strong>ch</strong>tbar, wie langsam der Glaube in ihnen<br />

erwu<strong>ch</strong>s, wie er ihnen immer wieder zu ho<strong>ch</strong> <strong>und</strong> zu s<strong>ch</strong>wer geworden ist.<br />

6,51b. $2: Und sie staunten überaus stark; denn bei den Broten war ihnen das<br />

Verständnis ni<strong>ch</strong>t gekommen; sondern es war ihr Herz verhärtet, ganz so, wie<br />

<strong>Markus</strong> au<strong>ch</strong> beim früheren Sturm gesagt hat: Fehlt eu<strong>ch</strong> denn der Glaube?<br />

Mit allem, was ihnen Jesus tat, hätte er ihnen gerne eine inwendige <strong>und</strong> bleibende<br />

Gabe ges<strong>ch</strong>enkt, ni<strong>ch</strong>t nur eine kurze Labung <strong>und</strong> Ergötzung an Gottes<br />

S<strong>ch</strong>öpferma<strong>ch</strong>t, sondern einen bleibenden, hellen Einblick in das, was Gott<br />

ihm <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> ihn au<strong>ch</strong> den Jüngern war. "Wenn sie aber über jeden neuen<br />

Erweis seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater in ein tiefes Erstaunen verfielen<br />

<strong>und</strong> davon völlig überras<strong>ch</strong>t wurden, als wäre es etwas Unmögli<strong>ch</strong>es, so wurde<br />

dadur<strong>ch</strong> offenbar, daß sie Jesu Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater vor Augen hatten,<br />

ohne sie mit ihrem stumpfen Herzen wahrzunehmen <strong>und</strong> zu verstehen.<br />

Matthäus hat no<strong>ch</strong> das große Erlebnis des Petrus erzählt, der <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Anteil<br />

an Jesu herrli<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t begehrt, ihn au<strong>ch</strong> empfängt, aber dabei erlebt,<br />

wie unges<strong>ch</strong>ickt <strong>und</strong> unfähig er no<strong>ch</strong> zum Glauben ist. <strong>Markus</strong> hat ni<strong>ch</strong>t an der<br />

besonderen, außergewöhnli<strong>ch</strong>en Tat des Petrus, wohl aber am Verhalten aller<br />

Jünger mit bewußter Absi<strong>ch</strong>t hervorgehoben, wie deutli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> demütigend<br />

ihre S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit zutage trat. Denn es gehört mit zum Büß wort des Evangeliums,<br />

daß es uns neben dem Rei<strong>ch</strong>tum Jesu die Armut der Jünger zeigt <strong>und</strong><br />

allen an ihnen erkennbar ma<strong>ch</strong>t, wie viel Güte <strong>und</strong> Geduld er mit uns haben<br />

muß, bis wir an ihn glauben.<br />

6,53—56: Und als sie an das Land hinübergefahren waren, kamen sie <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Genezareth <strong>und</strong> landeten. Und als sie aus dem S<strong>ch</strong>iff ausstiegen, erkannten sie<br />

ihn glei<strong>ch</strong> <strong>und</strong> liefen in jener ganzen Gegend herum <strong>und</strong> begannen, auf Betten<br />

die Leidenden herumzutragen dahin, wo sie hörten, daß er sei. Und wo er in<br />

Dörfer oder Städte oder Gehöfte hineinging, legten sie die Kranken auf den<br />

Märkten nieder <strong>und</strong> baten ihn, daß sie au<strong>ch</strong> nur die Quaste seines Mantels anrühren<br />

dürften, <strong>und</strong> allen, die ihn anrührten, ward geholfen. Genezareth war<br />

die kleine, aber fru<strong>ch</strong>tbare <strong>und</strong> volkrei<strong>ch</strong>e Ebene am Nordwestufer des Sees.<br />

An dem Eifer, mit dem das Volk seine Kranken zu Jesus bringt, sollen wir<br />

erkennen, wie tief Jesu unermüdli<strong>ch</strong>e Güte Israel bewegt hat <strong>und</strong> wie fern es


<strong>Markus</strong> 6,5x6—56; 7,1—4 61<br />

glei<strong>ch</strong>wohl von ihm blieb, weil es ni<strong>ch</strong>ts als die Heilung seiner Kranken von<br />

ihm begehrte.<br />

Dann führte die Unterlassung der Was<strong>ch</strong>ung der Hände vor dem Mahl<br />

dur<strong>ch</strong> die Jünger einen neuen Kampf mit den Pharisäern <strong>und</strong> Lehrern herbei.<br />

7,1.2: Und es versammeln si<strong>ch</strong> bei ihm die Pharisäer <strong>und</strong> einige der S<strong>ch</strong>riftgelehrten,<br />

die von Jerusalem gekommen waren, <strong>und</strong> da sie an einigen seiner<br />

Jünger sahen, daß sie mit gemeinen Händen, das heißt ohne daß sie sie gewas<strong>ch</strong>en<br />

hatten, die Brote aßen, "Während sonst <strong>Markus</strong> die Kampfesworte<br />

Jesu gegen die jüdis<strong>ch</strong>en Meister stark verkürzt, hat er diesen Kampf eingehend<br />

dargestellt, weil das, was hier zur Bespre<strong>ch</strong>ung kam, für die ganze<br />

Kir<strong>ch</strong>e der Anfangszeit von großer Wi<strong>ch</strong>tigkeit gewesen ist. Zu den ersten Gemeinden<br />

gehörten überall au<strong>ch</strong> jüdis<strong>ch</strong>e Gläubige, weshalb es für sie von großer<br />

Wi<strong>ch</strong>tigkeit war, wie die Verordnungen über die Reinheit verstanden<br />

wurden, ob die jüdis<strong>ch</strong>en Christen frei von ihnen waren <strong>und</strong> mit den heidnis<strong>ch</strong>en<br />

Brüdern ohne Anstoß umgingen" oder ob sie es immer wieder hervorzogen,<br />

daß der Heide <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem alten B<strong>und</strong>e unrein war <strong>und</strong> sein Umgang mit<br />

dem Juden au<strong>ch</strong> diesen verunreinige. Paulus <strong>und</strong> den Männern, die mit ihm<br />

am Missionswerk standen, hat es viel Arbeit gekostet, hier keine Trennung in<br />

der Kir<strong>ch</strong>e aufkommen zu lassen, sondern in ungehemmter Gemeins<strong>ch</strong>aft alle<br />

zu verbinden, einerlei ob sie unter dem alten Gesetz standen oder ni<strong>ch</strong>t. Darum<br />

hatten gerade diese Worte Jesu gegen die Pharisäer für die erste Zeit besondere<br />

Wi<strong>ch</strong>tigkeit als der Freibrief der Gemeinde, der ihr die Na<strong>ch</strong>ahmung der<br />

jüdis<strong>ch</strong>en Sitte verbot, <strong>und</strong> als Anweisung für die jüdis<strong>ch</strong>en Gläubigen, niemand<br />

in der Gemeinde unrein zu heißen <strong>und</strong> aus der alten Satzung weder<br />

anderen no<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selbst ein Jo<strong>ch</strong> zu bereiten, das ihnen den Glauben ers<strong>ch</strong>werte,<br />

weil es dadur<strong>ch</strong> <strong>und</strong>eutli<strong>ch</strong> geworden wäre, daß Jesus uns den offenen Zugang<br />

zu Gott dur<strong>ch</strong> seine freie Gnade bereitet hat.<br />

Um uns den Anlaß zum Streit <strong>und</strong> seine Bedeutung zu erklären, bes<strong>ch</strong>reibt<br />

uns <strong>Markus</strong>, was für eine umständli<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>wierige Sa<strong>ch</strong>e eine Mahlzeit für<br />

die Juden war, wenn sie ni<strong>ch</strong>t mit Verunreinigung verb<strong>und</strong>en sein sollte.<br />

7,3.4: <strong>Die</strong> Pharisäer nämli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> alle Juden essen ni<strong>ch</strong>t, wenn sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

mit der Faust* die Hände gewas<strong>ch</strong>en haben, da sie an der Überlieferung der<br />

Ältesten festhalten, <strong>und</strong> was vom Markt kommt, essen sie ni<strong>ch</strong>t, wenn sie es<br />

ni<strong>ch</strong>t besprengt haben, <strong>und</strong> no<strong>ch</strong> vieles andere gibt es, was sie zu halten übernommen<br />

haben, Eintau<strong>ch</strong>ungen der Be<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> der zum Messen gebrau<strong>ch</strong>ten<br />

Ges<strong>ch</strong>irre <strong>und</strong> der ehernen Platten. <strong>Die</strong> Teilnehmer an einer Mahlzeit mußten<br />

• Viellei<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>rieb <strong>Markus</strong>: Wenn sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wiederholt die Hände gewas<strong>ch</strong>en haben. Bei einer ausgedehnteren<br />

Mahlzeit wiederholten si<strong>ch</strong> die Was<strong>ch</strong>ungen mehrfa<strong>ch</strong>.


62 Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

si<strong>ch</strong> selber dadur<strong>ch</strong> reinigen, daß sie den Unterarm samt dei* Hand mit "Wasser<br />

benetzten <strong>und</strong> mit der Faust abrieben. Man behauptete ni<strong>ch</strong>t, daß dieses Gebot<br />

in der Bibel stehe, erklärte es aber denno<strong>ch</strong> für heilig, weil es eine Überlieferung<br />

der Alten sei, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der si<strong>ch</strong> alle Frommen zu ri<strong>ch</strong>ten haben. Zur Reinigung<br />

der Tis<strong>ch</strong>genossen kam als weitere Pfli<strong>ch</strong>t die Reinigung der Speisen.<br />

Kamen sie ni<strong>ch</strong>t aus dem eigenen Acker oder Garten, sondern vom Markt, so<br />

mußten au<strong>ch</strong> sie dur<strong>ch</strong> Besprengung mit "Wasser gereinigt sein, weil man ni<strong>ch</strong>t<br />

wissen konnte, was für Verunreinigungen si<strong>ch</strong> an das anhängten, was auf dem<br />

Markt gekauft wurde. Eine weitere mühsame Sa<strong>ch</strong>e war die Herstellung der<br />

Reinheit bei den Be<strong>ch</strong>ern <strong>und</strong> bei den Krügen, mit denen man die Flüssigkeit<br />

maß, <strong>und</strong> bei den Metallplatten, in denen Speise <strong>und</strong> Trank aufgetragen wurden.<br />

Von all diesen verwickelten <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>wierigen Regeln ma<strong>ch</strong>te Jesus seine<br />

Jünger frei. Wie er die Mahlzeit heiligte, haben wir soeben gesehen, als er mit<br />

dem Volke in der Einöde das Mahl gehalten hat. Er dankte dem Vater für die<br />

Speise; von Was<strong>ch</strong>ung der Hände <strong>und</strong> Besprengung der Brote wußte er dagegen<br />

ni<strong>ch</strong>ts. So hielt er es tägli<strong>ch</strong> im Kreise der Seinigen. Daran ärgerten si<strong>ch</strong><br />

aber die Pharisäer <strong>und</strong> versu<strong>ch</strong>ten, der freien Weise der Jünger ein Ende zu<br />

ma<strong>ch</strong>en. 7,5: Da befragen ihn die Pharisäer <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>rifigelehrten: Warum<br />

wandeln deine Jünger ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Überlieferung der Ältesten, sondern essen<br />

das Brot mit gemeinen Händen? Jesus hat aber ni<strong>ch</strong>t nur die Seinen ges<strong>ch</strong>ützt,<br />

sondern das ganze System ihrer Ankläger, aus dem sie si<strong>ch</strong> ihre Heiligkeit <strong>und</strong><br />

Gere<strong>ch</strong>tigkeit vor Gott zusammensetzten, völlig umgestürzt.<br />

<strong>Markus</strong> stellt das strafende Wort JeSajas voran, das Jesus auf die Pharisäer<br />

angewandt <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> das er ihren gesamten Gottesdienst geri<strong>ch</strong>tet hat. 7,6. 7:<br />

Er aber spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Herrli<strong>ch</strong> hat Jesajas von eu<strong>ch</strong>, den Heu<strong>ch</strong>lern, geweissagt,<br />

wie ges<strong>ch</strong>rieben ist: <strong>Die</strong>ses Volk ehrt mi<strong>ch</strong> mit den Lippen; aber ihr Herz<br />

ist weit weg von mir. Aber sie verehren mi<strong>ch</strong> umsonst, da sie sol<strong>ch</strong>e Lehren<br />

lehren, die Gebote von Mens<strong>ch</strong>en sind (Jesajas 29,13). Ihre inwendige Gottlosigkeit<br />

ma<strong>ch</strong>t ihre Verehrung Gottes zum leeren Wort <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ein, so eifrig<br />

sie ihn pflegen. Gottes Willen erkennt er in ihrer Satzung ni<strong>ch</strong>t, sondern nur<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gesetzgebung, die si<strong>ch</strong> fäls<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> mit Gottes Namen s<strong>ch</strong>mückt. Das<br />

ma<strong>ch</strong>t ihren Gottesdienst erfolglos, von göttli<strong>ch</strong>er Hilfe <strong>und</strong> Gabe leer. 7,8:<br />

Ihr laßt das Gebot Gottes fahren <strong>und</strong> haltet an der Überlieferung der Mens<strong>ch</strong>en<br />

fest. Deshalb ist ihre Frömmigkeit ein vergebli<strong>ch</strong>es Bemühen, da sie nur<br />

den inwendigen Bru<strong>ch</strong> des göttli<strong>ch</strong>en Gebots verdecken soll.<br />

Darauf erzählt au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> das Beispiel, an dem ihnen Jesus zeigte, wie sie<br />

mit ihren Satzungen das göttli<strong>ch</strong>e Gebot ausdrückli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> zerbra<strong>ch</strong>en.<br />

7,9—13: Und er sagte zu ihnen: Herrli<strong>ch</strong> beseitigt ihr Gottes Gebot,


<strong>Markus</strong> 7,5—15 . 63<br />

um eure Überlieferung zu bewahren. Denn Mose sagte: Ehre deinen Vater <strong>und</strong><br />

deine Mutter (2. Mose 20,12) <strong>und</strong>: Wer Vater oder Mutter s<strong>ch</strong>mäht, soll sterben<br />

(5. Mose 5,16). Ihr aber sagt: Wenn ein Mens<strong>ch</strong> zum Vater oder zur Mutter<br />

sagt: Korban (was Opfer bedeutet) soll all das sein, wodur<strong>ch</strong> du von mir<br />

einen Vorteil hättest, so laßt ihr ihn für den Vater oder die Mutter ni<strong>ch</strong>ts mehr<br />

tun. So hebt ihr Gottes Wort dur<strong>ch</strong> die Überlieferung auf, die ihr überliefert<br />

habt. Und von dieser Art tut ihr viel. Ein deutli<strong>ch</strong>es, helles Gebot der S<strong>ch</strong>rift<br />

verlangt für die Eltern die Ehre; sie aber reden von Fällen, in denen Güte <strong>und</strong><br />

Wohltat gegen die Eltern eine Sünde <strong>und</strong> r<strong>und</strong>weg verboten sei, dann nämli<strong>ch</strong>,<br />

wenn jemand alles, was den Eltern Nutzen brä<strong>ch</strong>te, dem Tempel gelobt. <strong>Markus</strong><br />

nennt das "Wort au<strong>ch</strong> bei seinem syris<strong>ch</strong>en Klang, das <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung<br />

so große Ma<strong>ch</strong>t hat, daß es Gottes Gebot entkräftet, die heiligste Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />

löst <strong>und</strong> die größte Bosheit notwendig ma<strong>ch</strong>t: Korban, d. h. Darbringung<br />

an Gott. Alles, wovon man sagte, es sei „Korban", gehörte ohne Einrede dem<br />

Tempel <strong>und</strong> war jedem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> entzogen. Hatte jemand das,<br />

was er dem Vater je geben würde, Korban genannt, so war ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong> der pharisäis<strong>ch</strong>en<br />

Lehre jede Unterstützung desselben untersagt.<br />

Dann folgt Jesu Ausspru<strong>ch</strong> über das, was rein <strong>und</strong> unrein ma<strong>ch</strong>t. 7,14.15:<br />

Und er rief no<strong>ch</strong>mals die Menge herzu <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Hört alle auf mi<strong>ch</strong>,<br />

<strong>und</strong> versteht es. Es gibt ni<strong>ch</strong>ts, was von außen in den Mens<strong>ch</strong>en hineinkommt,<br />

was ihn gemein zu ma<strong>ch</strong>en vermag, sondern das, was aus dem Mens<strong>ch</strong>en herauskommt,<br />

ist das, was den Mens<strong>ch</strong>en gemein ma<strong>ch</strong>t. Bei Matthäus, 15,11, gibt<br />

Jesus dem Spru<strong>ch</strong> absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> eine rätselhafte Fassung. Auf den M<strong>und</strong> ri<strong>ch</strong>tet<br />

er unseren Blick als auf die Pforte, dur<strong>ch</strong> die das, was außen ist, in uns hinein<strong>und</strong><br />

das, was innen ist, aus uns herauskommt. Was uns s<strong>ch</strong>ändet <strong>und</strong> belastet,<br />

ist ni<strong>ch</strong>t das, was in den M<strong>und</strong> geht, sondern das, was aus dem M<strong>und</strong> kommt.<br />

Da muß si<strong>ch</strong> der Hörer selbst besinnen, was denn aus dem M<strong>und</strong>e fliege, nämli<strong>ch</strong><br />

das Wort, <strong>und</strong> warum dieses unsere S<strong>ch</strong>ande <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>eidung von Gott sei,<br />

weil es die böse Su<strong>ch</strong>t des verkehrten Willens in si<strong>ch</strong> hat <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> außen trägt.<br />

<strong>Markus</strong> erläutert den Spru<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong>, daß er ohne Beziehung auf den M<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> das Wort das Auswendige <strong>und</strong> Inwendige gegeneinander setzt. Was si<strong>ch</strong><br />

außerhalb des Mens<strong>ch</strong>en findet <strong>und</strong> nun in ihn hineingeht, hat ni<strong>ch</strong>t das Vermögen,<br />

ihm eine unreine, unheilige Art anzuhängen. <strong>Die</strong>se verderbli<strong>ch</strong>e Kraft<br />

hat dagegen das, was si<strong>ch</strong> inwendig im Mens<strong>ch</strong>en befindet <strong>und</strong> aus seinem eigenen<br />

Innern kommt. Damit ist unser Blick auf die Stelle geri<strong>ch</strong>tet, an der die<br />

Gefahr uns naht. Ni<strong>ch</strong>t im Berei<strong>ch</strong> der Natur lauert ein Widersa<strong>ch</strong>er auf uns,<br />

der uns zu Fall brä<strong>ch</strong>te; inwendig in uns selber findet si<strong>ch</strong> der Feind, der uns<br />

Gottes Wohlgefallen <strong>und</strong> damit unsere Ehre <strong>und</strong> unseren Frieden nimmt.


64 Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

Matthäus gibt an dieser Stelle no<strong>ch</strong> die mä<strong>ch</strong>tigen Worte, dur<strong>ch</strong> die Jesus<br />

seine Jünger von der Ergebenheit an die Pharisäer frei gema<strong>ch</strong>t hat. Führt ein<br />

Blinder einen Blinden, so ist das Ende für beide der Sturz.<br />

Bei beiden Evangelisten folgt no<strong>ch</strong> der bestimmtere Aufs<strong>ch</strong>luß Jesu über das,<br />

was reine <strong>und</strong> unreine Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>t. 7,17—23: Und als er vom Volk weg in<br />

das Haus gegangen war, fragten ihn seine Jünger über den Spru<strong>ch</strong>. Und er sagt<br />

zu ihnen: Seid au<strong>ch</strong> ihr so unverständig? Begreift ihr ni<strong>ch</strong>t, daß alles, was von<br />

außen in den Mens<strong>ch</strong>en hineingeht, ihn ni<strong>ch</strong>t gemein ma<strong>ch</strong>en kann, weil es<br />

ni<strong>ch</strong>t in sein Herz geht, sondern in den Bau<strong>ch</strong> <strong>und</strong> in den Abtritt hinauskommt.<br />

(So reinigt er alles, was gegessen wird.)* Er sagte aber: Das, was aus dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

herauskommt, das ma<strong>ch</strong>t den Mens<strong>ch</strong>en gemein. Denn von innen her aus<br />

dem Herzen der Mens<strong>ch</strong>en kommen die bösen Gedanken heraus: Unzu<strong>ch</strong>t,<br />

<strong>Die</strong>bstähle, Mordtaten, Bru<strong>ch</strong> der Ehe, habsü<strong>ch</strong>tige Taten, Bosheiten, Hinterlist,<br />

Auss<strong>ch</strong>weifung, ein boshaftes Auge, Lästerung, Überhebung, Unverstand.<br />

Alle diese bösen Dinge kommen von innen heraus <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>en den Mens<strong>ch</strong>en<br />

gemein. Jesus sorgt für das, was das Herz in si<strong>ch</strong> trägt. <strong>Die</strong>sem bringt die Speise<br />

keine Gefahr; dagegen treten aus ihm die argen Gedanken hervor, deren Absi<strong>ch</strong>t<br />

<strong>und</strong> Begehren Matthäus mit engerem Ans<strong>ch</strong>luß an die zehn Gebote, <strong>Markus</strong><br />

dagegen mit einer längeren Aufzählung der bösen Dinge bes<strong>ch</strong>rieben hat.<br />

Es folgt die Tat Jesu an der Heidin, die im Gebiet von Tyrus zu ihm kam<br />

<strong>und</strong> die Entfernung dur<strong>ch</strong>bra<strong>ch</strong>, die die Heiden von Israel getrennt hielt, <strong>und</strong><br />

Jesu "Wohltat erlangte, so sehr er si<strong>ch</strong> in vollkommener Treue zu Israel hielt.<br />

<strong>Die</strong>se Erzählung mußte den jüdis<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> den grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Christen in vers<strong>ch</strong>iedener<br />

"Weise zu Herzen gehen. Für die jüdis<strong>ch</strong>e Christenheit hatte au<strong>ch</strong><br />

ihr erster Teil große "Wi<strong>ch</strong>tigkeit, weil er kräftig zeigt, wie ganz <strong>und</strong> gar si<strong>ch</strong><br />

Jesus zu Israel bekannte, au<strong>ch</strong> auf dem Kreuzesweg ni<strong>ch</strong>t von ihm ließ, trotz<br />

seines Unglaubens ihm Gottes Gnade zeigte <strong>und</strong> seinen Beruf darin sah, an<br />

ihm die Verheißung Gottes zu erfüllen. Den grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Christen war der<br />

S<strong>ch</strong>luß der Erzählung verständli<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> ergreifender: wie si<strong>ch</strong> Jesus zur Heidin<br />

herabbeugt <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> ihren Glauben erhört. Darum ist gerade diese Tat<br />

Jesu ni<strong>ch</strong>t ganz glei<strong>ch</strong>artig bei beiden Evangelisten erzählt. Aber es zeigt si<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> hier, wie reine Hände die Evangelisten haben, daß sie das "Wort Jesu ni<strong>ch</strong>t<br />

eigenmä<strong>ch</strong>tig <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrem Sinn umbilden, sondern so damit umgehen, wie es<br />

treuer Glaube verlangt, nämli<strong>ch</strong> so, daß das "Wort <strong>und</strong> die Tat des Herrn so<br />

bleiben, wie er sie ihnen gegeben hat. Das "Wesentli<strong>ch</strong>e an dieser Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

tritt hier <strong>und</strong> dort mit voller Klarheit heraus.<br />

* <strong>Die</strong>se Worte sind wohl ein Zusatz eines Lesers, der darauf hinweist, daß Jesus mit dem vorangehenden<br />

Wort alle Speisen für rein erklart habe.


<strong>Markus</strong> y,iy—2y " _ 65<br />

7,24—26: Er stand aber auf <strong>und</strong> ging von dort weg in das Gebiet von Tyrus<br />

<strong>und</strong> ging in ein Haus <strong>und</strong> wollte ni<strong>ch</strong>t, daß ihn jemand erkenne. Und er<br />

konnte ni<strong>ch</strong>t verborgen bleiben, sondern glei<strong>ch</strong> kam eine Frau, die von ihm<br />

gehört hatte, deren Tö<strong>ch</strong>ter<strong>ch</strong>en einen unreinen Geist hatte, <strong>und</strong> fiel zu seinen<br />

Füßen nieder. <strong>Die</strong> Frau war aber eine Heidin, ihrer Herkunft <strong>na<strong>ch</strong></strong> eine Syrophönizierin.<br />

Und sie bat ihn, daß er den Geist von ihrer To<strong>ch</strong>ter vertreibe.<br />

<strong>Markus</strong> setzt mit der Erzählung etwas später als Matthäus ein. Wie die Frau<br />

Jesus mit vergebli<strong>ch</strong>en Bitten <strong>na<strong>ch</strong></strong>lief, wie die Jünger si<strong>ch</strong> ihrer annahmen, wie<br />

Jesus ihr s<strong>ch</strong>einbares Mitleiden abwies <strong>und</strong> das als seinen Beruf bezei<strong>ch</strong>nete,<br />

den verlorenen S<strong>ch</strong>afen des Hauses Israel zu dienen, lesen wir bei <strong>Markus</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t. Er stellt die Frau sofort vor Jesus hin <strong>und</strong> beri<strong>ch</strong>tet nur, was si<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

ihm <strong>und</strong> ihr, als sie vor ihm kniete, zugetragen hat. Er ma<strong>ch</strong>t uns weiter<br />

darauf aufmerksam, daß wir hierbei ni<strong>ch</strong>t nur an die Ges<strong>ch</strong>iedenheit der alten<br />

Gottesgemeinde von den Heiden zu denken haben, sondern au<strong>ch</strong> an den beharrli<strong>ch</strong>en<br />

Willen Jesu, alles, was Aufsehen erzeugte, zu meiden <strong>und</strong> in der<br />

Stille seinen Weg zu gehen. Das hatte für ihn im Heidenland besondere Bedeutung;<br />

hier lag es ihm no<strong>ch</strong> mehr als sonst am Herzen, daß ni<strong>ch</strong>t das Gerü<strong>ch</strong>t,<br />

daß er w<strong>und</strong>erbare Hilf e für jede Not spende, die Volksmenge zu ihm trieb.<br />

Als die Frau mit ihrer Bitte vor ihm lag, sagte er ihr, was ihn an ihrer Erfüllung<br />

hinderte. 7,27: Und er sagte zu ihr: Laß zuerst die Kinder satt werden.<br />

Denn es ist ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>t, das Brot der Kinder zu nehmen <strong>und</strong> es den Hündlein<br />

hinzuwerf en. <strong>Die</strong> jüdis<strong>ch</strong>e Gemeinde <strong>und</strong> das Heidentum sind dur<strong>ch</strong> Gottes<br />

bisherige Regierung vers<strong>ch</strong>ieden gestellt. Das ist kein kleiner Unters<strong>ch</strong>ied, den<br />

sie oder er lei<strong>ch</strong>thin mißa<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> überspringen dürfte. An Israel erging<br />

Gottes Wort, <strong>und</strong> ihm gilt Gottes Verheißung; bei ihm hat er seine <strong>Offenbarung</strong><br />

<strong>und</strong> Verherrli<strong>ch</strong>ung begonnen, <strong>und</strong> in dieses Gotteswerk ist Jesus selbst<br />

hineingesetzt. Er kann Gottes Gabe ni<strong>ch</strong>t denen nehmen, denen sie gehört, <strong>und</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t denen geben, denen sie ni<strong>ch</strong>t gehört, <strong>und</strong> kann es ni<strong>ch</strong>t so ma<strong>ch</strong>en wie der,<br />

der das Brot den Kindern entzöge <strong>und</strong> mit ihm die Hündlein fütterte. Dadur<strong>ch</strong><br />

aber, daß <strong>Markus</strong> das Wort voranstellt: Laß zuerst die Kinder satt werden,<br />

hat er angedeutet, daß Jesus bei dem, was er hier über seinen Beruf sagt,<br />

ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong> das letzte Ziel der göttli<strong>ch</strong>en Wege enthüllt. Zuerst müssen die<br />

Kinder erhalten, was ihnen gebührt; dann erst kommen andere an die Reihe.<br />

<strong>Markus</strong> will uns den Verda<strong>ch</strong>t ersparen, der oft ausgespro<strong>ch</strong>en worden ist,<br />

Jesus zeige si<strong>ch</strong> hier no<strong>ch</strong> im Vorurteil seines Volks befangen, mit einer engen,<br />

armen Liebe, die nur den eigenen kleinen Kreis umfasse. Darum erinnert uns<br />

<strong>Markus</strong> daran, daß Jesu Wille <strong>und</strong> Wort in eine weite Ferne hinaussah <strong>und</strong><br />

sein Auge s<strong>ch</strong>on auf der St<strong>und</strong>e ruhte, in der Gottes Rei<strong>ch</strong> ins Große wa<strong>ch</strong>st.


66 Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

Do<strong>ch</strong> jetzt ist diese no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t da, <strong>und</strong> sie kann ni<strong>ch</strong>t kommen, ehe denen, denen<br />

Gott das Kindesre<strong>ch</strong>t gewährt hat, alles gegeben ist, was ihnen gehört, das<br />

ganze Heilandsleben bis hinaus zum versöhnenden Opfer, das er mit dem<br />

Kreuz vollbringt.<br />

Gläubig <strong>und</strong> darum demütig, dem Wort Jesu gehorsam, stellte si<strong>ch</strong> die Frau<br />

an den Ort, den Jesu Antwort ihr angewiesen hat, <strong>und</strong> ließ do<strong>ch</strong> ihr Vertrauen<br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>wanken <strong>und</strong> ihre Bitte ni<strong>ch</strong>t sinken. 7,28: Sie aber antwortete <strong>und</strong><br />

sagt zu ihm: Ja, Herri Au<strong>ch</strong> die Händlein essen unter dem Tis<strong>ch</strong> von den,<br />

Bröcklein der Kinder. Er kann, ohne daß er Israel s<strong>ch</strong>ädigt, si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ihrer erbarmen<br />

<strong>und</strong> brau<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t jenem die Treue zu bre<strong>ch</strong>en, um an ihr die Heilandstat<br />

zu tun. Das war so geredet, wie es Jesu Sinn entspra<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> er gab ihr deshalb<br />

die Zusage, die ihrer To<strong>ch</strong>ter die Befreiung s<strong>ch</strong>uf. 7,29. 30: Und er sagte<br />

2u ihr: Um dieses Wortes willen gehe hin; der Geist ist aus deiner To<strong>ch</strong>ter<br />

ausgefahren. Und sie ging fort in ihr Haus <strong>und</strong> fand das Kind auf dem Bett<br />

liegend, <strong>und</strong> der Geist war ausgefahren.<br />

S<strong>ch</strong>on dadur<strong>ch</strong>, daß Jesus in das tyris<strong>ch</strong>e Gebiet, vermutli<strong>ch</strong> in die Gegend<br />

nördli<strong>ch</strong> vom jüdis<strong>ch</strong>en Galiläa gegen den Libanon hin, gegangen war, war er<br />

der Judens<strong>ch</strong>aft ausgewi<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> diese Zurückgezogenheit setzte er no<strong>ch</strong> fort.<br />

7,31 : Und er ging wieder aus dem Gebiet von Tyrus fort <strong>und</strong> kam dur<strong>ch</strong> Sidon,<br />

an den See von Galiläa in das Gebiet der Dekapolis. Zuerst ging er no<strong>ch</strong> nordwärts<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Sidon zu, wandte si<strong>ch</strong> dann <strong>na<strong>ch</strong></strong> Osten, übers<strong>ch</strong>ritt den Jordan<br />

<strong>und</strong> zog auf der Ostseite desselben südwärts, so daß er in die Dekapolis kam.<br />

In die Nähe des Sees, sagt Matthäus, 15,29, sei er gegangen <strong>und</strong> in das Gebirge<br />

hinaufgestiegen, wobei er deutli<strong>ch</strong> an das östli<strong>ch</strong> vom See gelegene Bergland<br />

denkt. Es sagen somit beide Beri<strong>ch</strong>te dasselbe; denn der südli<strong>ch</strong>e Teil dieser<br />

Berge war das Gebiet der Stadt Hippos <strong>und</strong> gehörte zu derjenigen Gegend, für<br />

die uns <strong>Markus</strong> ihren grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Namen Dekapolis gibt.<br />

Matthäus sagt nur im allgemeinen, Jesus sei au<strong>ch</strong> hier wieder aufgesu<strong>ch</strong>t <strong>und</strong><br />

um Hilfe für die Kranken angespro<strong>ch</strong>en worden. <strong>Markus</strong> erzählt eine besondere<br />

Heilung. 7,32—35: Und sie bringen ihm einen Tauben, der nur kümmerli<strong>ch</strong><br />

reden konnte, <strong>und</strong> bitten ihn, daß er ihm die Hand auflege. Und er nahm<br />

ihn auf die Seite weg vom Volk'für si<strong>ch</strong> allein, legte seine Finger in seine.<br />

Ohren, spuckte <strong>und</strong> berührte seine Zunge, sah zum Himmel auf, seufzte <strong>und</strong><br />

sagt zu ihm: Ephphatha, das heißt: Werde auf getan! Und seine Ohren wurden<br />

auf getan, <strong>und</strong> das Band seiner Zunge wurde gelöst, <strong>und</strong> er redete ri<strong>ch</strong>tig. An<br />

dieser Heilung zeigt uns <strong>Markus</strong>, wie Jesus ni<strong>ch</strong>t immer nur in heller, dankender<br />

Gewißheit der göttli<strong>ch</strong>en Hilfe seine königli<strong>ch</strong> gebietenden Worte spra<strong>ch</strong>,<br />

wie es vielmehr au<strong>ch</strong> vorkam, daß er in einem Gebetskampf seine Werke er-


<strong>Markus</strong> 7,28—ff; 8,1—io 67<br />

rang, die Erhörung erst su<strong>ch</strong>en mußte <strong>und</strong> mit Seufzen die S<strong>ch</strong>were der Not<br />

in seiner eigenen Seele empfand. Jesu Gebetswort gibt uns <strong>Markus</strong> wieder<br />

mit seinem syris<strong>ch</strong>en Laut. Dem inwendigen Ringen geht die äußere Gebärde<br />

naturgemäß zur Seite; er führt seinen Finger in das Ohr des Tauben ein <strong>und</strong><br />

berührt mit seinem Spei<strong>ch</strong>el seine Zunge. Er su<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> einem leibli<strong>ch</strong>en<br />

Ausdruck für die Gemeins<strong>ch</strong>aft, in die er den Kranken mit si<strong>ch</strong> selber setzt.<br />

War es Arbeit <strong>und</strong> Mühe, bis die Heilung empfangen war, so war es au<strong>ch</strong> tiefe<br />

Freude, wenn nun Ohr <strong>und</strong> M<strong>und</strong> si<strong>ch</strong> öffneten. 7,36. 37: Und er s<strong>ch</strong>ärfte<br />

ihnen ein, niemand etwas zu sagen. Aber je mehr er ihnen dies eins<strong>ch</strong>ärfte, um<br />

so mehr <strong>und</strong> eifriger verkündeten sie es, <strong>und</strong> sie verw<strong>und</strong>erten si<strong>ch</strong> überaus<br />

<strong>und</strong> sagten: Er hat alles wohl gema<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t die Tauben hören <strong>und</strong> die<br />

Spra<strong>ch</strong>losen reden. Den Dank, den Jesus wollte, bra<strong>ch</strong>te ihm keiner der Geheilten,<br />

den, daß er von Jesu Tat ni<strong>ch</strong>t weiter rede. "Warum er das wolle, war<br />

allen verborgen, weil ihnen allen der tiefe Ernst seines "Weges unverständli<strong>ch</strong><br />

blieb.<br />

Nun folgt das zweite große Mahl, das Jesus Tausenden in der "Wüste bereitet<br />

hat. 8,1—9 a: In jenen Tagen, als wieder eine große S<strong>ch</strong>ar da war <strong>und</strong> sie<br />

ni<strong>ch</strong>ts zu essen hatten, rief er seine Jünger herbei <strong>und</strong> sagt zu ihnen: I<strong>ch</strong> habe<br />

Mitleid mit der S<strong>ch</strong>ar; denn sie harren s<strong>ch</strong>on seit drei Tagen bei mir aus <strong>und</strong><br />

haben ni<strong>ch</strong>ts zu essen. Und wenn i<strong>ch</strong> sie hungrig in ihr Haus entlasse, werden<br />

sie auf dem Weg die Kraft verHeren, <strong>und</strong> einige von ihnen sind von weit her<br />

gekommen. Und seine Jünger antworteten ihm: Woher soll jemand imstande<br />

sein, diese hier in der Wüste mit Broten zu sättigen? Und er fragte sie: Wie<br />

viele Brote habt ihr? Sie aber sagten: Sieben. Und er befiehlt dem Volk, si<strong>ch</strong><br />

auf der Erde zu lagern, <strong>und</strong> nahm die sieben Brote, sagte Dank, bra<strong>ch</strong> sie <strong>und</strong><br />

gab sie seinen Jüngern, damit sie sie vorsetzten, <strong>und</strong> sie setzten sie der S<strong>ch</strong>ar<br />

vor. Und sie hatten ein paar Fis<strong>ch</strong>lein, <strong>und</strong> er spra<strong>ch</strong> den Segen über sie <strong>und</strong><br />

sagte, daß sie ihnen au<strong>ch</strong> diese vorsetzen sollten. Und sie aßen <strong>und</strong> wurden satt<br />

<strong>und</strong> hoben auf, was an Stücken übrigblieb, sieben Körbe. Es waren aber etwa<br />

viertausend. "Wieder, wie <strong>na<strong>ch</strong></strong> der ersten Speisung, benützte Jesus den See, um<br />

si<strong>ch</strong> ras<strong>ch</strong> der von ihm bewirteten Menge zu entziehen. 8,9b. 10: Und er entließ<br />

sie <strong>und</strong> stieg glei<strong>ch</strong> mit seinen Jüngern in ein S<strong>ch</strong>iß ein, <strong>und</strong> sie kamen in<br />

die Gegend von Dalmanutha. "Was der Name Dalmanutha bedeutet, ist no<strong>ch</strong><br />

unbekannt, während die Gegend von Magdala, die bei Matthäus an derselben<br />

Stelle genannt ist, das Südende der Ebene Gennesar gegen Tiberias hin bildete<br />

<strong>und</strong> gut zur vorangehenden Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te paßt, die si<strong>ch</strong> auf der Ostseite des Sees<br />

zugetragen hat. .


68 Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

Das Begehren der Pharisäer, daß er ein Zei<strong>ch</strong>en vom Himmel her tue, trieb<br />

Jesus aufs neue zum Rückzug in die östli<strong>ch</strong> vom See gelegenen Gegenden. 8,11 :<br />

Und die Pharisäer gingen aus <strong>und</strong> begannen mit ihm zu verhandeln <strong>und</strong> begehrten<br />

von ihm ein Zei<strong>ch</strong>en vom Himmel her, um ihn zu versu<strong>ch</strong>en. <strong>Markus</strong><br />

hebt nur das hervor, wie ernst <strong>und</strong> bestimmt Jesus diesem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t das Re<strong>ch</strong>t<br />

• bestritten hat, ein Zei<strong>ch</strong>en zu fordern, so daß ihr Begehren völlig abgewiesen<br />

bleibt. 8,12: Und er seufzt in seinem Geist <strong>und</strong> sagt: Warum begehrt dieses<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ein Zei<strong>ch</strong>en? Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Es wird diesem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

kein Zei<strong>ch</strong>en gegeben werden. Matthäus gibt uns hier ebenso wie 12,39 Jesu<br />

Hinweis auf das an Jona ges<strong>ch</strong>ehene "W<strong>und</strong>er, das au<strong>ch</strong> an ihm ges<strong>ch</strong>ehen, sein<br />

Königsre<strong>ch</strong>t k<strong>und</strong>tun <strong>und</strong> die Ri<strong>ch</strong>tigkeit seines Weges, den jetzt niemand<br />

versteht <strong>und</strong> jedermann s<strong>ch</strong>ilt, offenbaren wird. Erst muß er in den Tod versinken;<br />

dann tritt der Vater für ihn ein <strong>und</strong> gibt ihm neues Leben. Das ist<br />

sein Beweis, der einzige, der stark genug ist, daß er Glauben s<strong>ch</strong>affe. Do<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> dieses Zei<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>ieht ni<strong>ch</strong>t der trotzigen Forderung zulieb <strong>und</strong> leistet<br />

dem ungläubigen Sinn keinen Vors<strong>ch</strong>ub; vielmehr ist er in der Kreuzesgestalt<br />

für Israel vollends unerkennbar <strong>und</strong> verborgen, <strong>und</strong> sein neues Leben offenbart<br />

er nur vor denen, die ihm im Glauben verb<strong>und</strong>en sind. Darum hat es<br />

seine volle Wahrheit, wenn uns <strong>Markus</strong> nur das ernste „Nein" bedenken läßt,<br />

mit dem Jesus den jüdis<strong>ch</strong>en Trotz abwies <strong>und</strong> ihm jede andere <strong>Offenbarung</strong><br />

Gottes abs<strong>ch</strong>lug als die, die uns in Jesus gegeben ist. Au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> deutet hier<br />

auf Jesu Leiden hin: inwendig bei si<strong>ch</strong> selbst seufzt er. Er hat es bei einer sol<strong>ch</strong>en<br />

Forderung mit demjenigen Sinn zu tun, der si<strong>ch</strong> seinem Wort <strong>und</strong> Werk<br />

fortwährend widersetzt, ihm jetzt die bittere Pein bereitet <strong>und</strong> zuletzt das<br />

Kreuz bereiten wird.<br />

8,13: Und er ließ sie, stieg wieder in das S<strong>ch</strong>iff ein <strong>und</strong> ging an das andere<br />

Ufer fort. Seine Gegner sahen in einer sol<strong>ch</strong>en Abweisung nur das Geständnis<br />

seiner S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> spotteten über den, der keinen Beweis für seine Sendung<br />

habe. Jesus konnte ni<strong>ch</strong>ts anderes tun, als daß er wieder ging. Wie s<strong>ch</strong>on oft,<br />

entzog ihn das Boot ras<strong>ch</strong> dem böswilligen Unverstand der Leute, die nun<br />

über den Ges<strong>ch</strong>lagenen triumphieren, der si<strong>ch</strong> vor ihnen flü<strong>ch</strong>ten muß. Ohne<br />

Vorrat von Broten fuhren die Jünger ans östli<strong>ch</strong>e Ufer. 8,14: Und sie ver-<br />


<strong>Markus</strong> 8,11—15 69<br />

Heiligkeit mit "Wort <strong>und</strong> Beispiel dem Volk einprägten, übte auf das Volk<br />

einen übermä<strong>ch</strong>tigen Einfluß aus, wie der Sauerteig unwiderstehli<strong>ch</strong> den ganzen<br />

Teig erfaßt <strong>und</strong> ihm seinen Ges<strong>ch</strong>mack verleiht. Mit der Warnung vor<br />

diesem Sauerteig zeigte Jesus den Jüngern eine Gefahr, die sie beständig verfolgte,<br />

weil ihnen pharisäis<strong>ch</strong>e Gedanken <strong>und</strong> pharisäis<strong>ch</strong>e Heiligkeit immer<br />

nahelagen als das Selbstverständli<strong>ch</strong>e, was au<strong>ch</strong> sie beherrs<strong>ch</strong>en wollte, wie es<br />

jedermann beherrs<strong>ch</strong>te. Si<strong>ch</strong> dieses Sauerteigs zu erwehren, bildete für sie ihr<br />

Leben lang au<strong>ch</strong> bei ihrem Apostelwerk eine große Aufgabe, <strong>und</strong> die Mahnung<br />

Jesu, die ihre ernste A<strong>ch</strong>tsamkeit auf diese ri<strong>ch</strong>tet, war deshalb eine große<br />

Wohltat für sie. Weniger deutli<strong>ch</strong> ist, weshalb <strong>Markus</strong> au<strong>ch</strong> vom Sauerteig<br />

des Herodes spri<strong>ch</strong>t. Matthäus stellte die Sadduzäer neben die Pharisäer <strong>und</strong><br />

faßt damit alles zusammen, was si<strong>ch</strong> damals in Israel als fromm <strong>und</strong> heilig<br />

gab. <strong>Die</strong> Lehr- <strong>und</strong> Lebensform der Sadduzäer unters<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> vom pharisäis<strong>ch</strong>en<br />

Wandel ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong>, wenn Jesu Weg dabei als Maßstab dient.<br />

Bei beiden fand si<strong>ch</strong> derselbe S<strong>ch</strong>aden: der Mens<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> selber groß, hob<br />

si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> über Gott ho<strong>ch</strong> hinauf <strong>und</strong> zierte seine böse Art mit frommem<br />

S<strong>ch</strong>muck. Der Unters<strong>ch</strong>ied <strong>und</strong> Streit zwis<strong>ch</strong>en beiden entstand besonders daraus,<br />

daß si<strong>ch</strong> die Pharisäer herber <strong>und</strong> strenger gegen die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Welt abs<strong>ch</strong>lössen,<br />

während der Sadduzäer si<strong>ch</strong> den Genuß <strong>und</strong> Gebrau<strong>ch</strong> der Welt<br />

gönnte, grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Wissens<strong>ch</strong>aft pflegte <strong>und</strong> grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Lebenskunst mitma<strong>ch</strong>te,<br />

freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so, daß er deshalb auf Israels Vorzug, die Heiligkeit<br />

seines Priestertums <strong>und</strong> den besonderen Gottesdienst des erwählten Volkes<br />

verzi<strong>ch</strong>tet hätte, vielmehr so, daß er beides miteinander verb<strong>und</strong>en hat. An<br />

dieses Gemis<strong>ch</strong> von Frömmigkeit <strong>und</strong> Weltgenuß, von jüdis<strong>ch</strong>em Bekenntnis<br />

zu Gott <strong>und</strong> heidnis<strong>ch</strong>er Verleugnung aller Fur<strong>ch</strong>t Gottes, die si<strong>ch</strong> alles erlaubt<br />

<strong>und</strong> mit unersättli<strong>ch</strong>er Lust in die Welt hinauss<strong>ch</strong>weift, dabei aber stets<br />

die Figur <strong>und</strong> Manier eines geheiligten Lebens beibehält, wird <strong>Markus</strong> denken,<br />

wenn er hier statt der Sadduzäer Herodes nennt. Wie es die vornehmen Priester<br />

Jerusalems trieben, wie sie die Kunst ausbildeten, heilig <strong>und</strong> gottlos zuglei<strong>ch</strong><br />

zu sein, war der Christenheit unbekannt. Dagegen war Herodes ein<br />

deutli<strong>ch</strong>eres, öffentli<strong>ch</strong>eres Beispiel für das, was si<strong>ch</strong> in der Judens<strong>ch</strong>aft zwar<br />

dem Pharisäismus feindselig widersetzte <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t weniger verdorben<br />

als dieser war. Ob wir dabei an den ersten Herodes, den König von ganz<br />

Judäa, denken oder an seinen Sohn, den wir soeben beim Tode des Täufers<br />

kennenlernten, ma<strong>ch</strong>t keinen inneren Unters<strong>ch</strong>ied. Bei beiden zeigte si<strong>ch</strong> dieses<br />

Gemenge von Juden- <strong>und</strong> Heidentum, von Laster <strong>und</strong> Gottesdienst, von abergläubis<strong>ch</strong>er<br />

S<strong>ch</strong>eu vor Gott <strong>und</strong> wilder Begier, die jeden Zügel von si<strong>ch</strong> warf,<br />

in öffentli<strong>ch</strong>er Deutli<strong>ch</strong>keit. Das war zwar ni<strong>ch</strong>t pharisäis<strong>ch</strong>, deshalb aber dem


7° Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung seines Todes<br />

Sinne Jesu <strong>und</strong> dem Weg der Jünger ebenso fremd. Au<strong>ch</strong> das war ein Sauerteig,<br />

von dem ni<strong>ch</strong>ts mehr in ihr Herz hinein treten darf.<br />

8,16: Und sie bespra<strong>ch</strong>en sido miteinander darüber, daß sie keine Brote<br />

hatten. Vom Sauerteig spra<strong>ch</strong> Jesus; an das Brot da<strong>ch</strong>ten die Jünger. Er sah<br />

auf das, was ihnen inwendig Not ma<strong>ch</strong>te, sie auf das, was ihnen jetzt auswendig<br />

Verlegenheit bereitete. 8,17—21: Und er erkannte es <strong>und</strong> sagt zu ihnen;<br />

Warum bespre<strong>ch</strong>t ihr eu<strong>ch</strong> darüber, daß ihr keine Brote habt? Begreift ihr no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> versteht ni<strong>ch</strong>t? Ihr habt ein verhärtetes Herz, habt Augen <strong>und</strong> seht<br />

ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Ohren <strong>und</strong> hört ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> erinnert eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Als i<strong>ch</strong> die fünf Brote<br />

für die fünftausend bra<strong>ch</strong>, wie viele Körbe voll von Stücken hobt ihr auf? Sie<br />

sagen ihm: Zwölf. Als i<strong>ch</strong> die sieben Brote für die viertausend bra<strong>ch</strong>, wie viele<br />

Körbe fülltet ihr mit den Stücken, die ihr aufhobt? Und sie sagen: Sieben. Und<br />

er sagte zu ihnen: Versteht ihr no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t? <strong>Markus</strong> hat au<strong>ch</strong> hier <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong><br />

auf die Unfähigkeit der Jünger hingezeigt, si<strong>ch</strong> in Jesu Sinn <strong>und</strong> Willen hineinzufinden.<br />

Und do<strong>ch</strong> konnten sie an dem, was sie selbst erlebt hatten, erkennen,<br />

daß Jesus ihnen die Brotsorge ein für allemal abgenommen hat.<br />

8,22a: Und sie kommen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethsaida. Vom Ostufer des galiläis<strong>ch</strong>en Sees<br />

zog Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong> Norden in die Gegend desjenigen Cäsarea, das an den Jordanquellen<br />

lag. Er kam auf diesem Wege an Bethsaida am Nordende des galiläis<strong>ch</strong>en<br />

Sees vorbei. Vom Aufenthalt in Bethsaida hat uns <strong>Markus</strong> die Hei •<br />

lung eines Blinden erzählt, die nur er beri<strong>ch</strong>tet. 8,220—24: Und sie bringen ihm<br />

einen Blinden <strong>und</strong> bitten ihn, daß er ihn anrühre. Und er faßte die Hand des<br />

Blinden, führte ihn zum Dorf hinaus, spuckte in seine Augen, legte ihm die<br />

Hände auf <strong>und</strong> fragte ihn: Siehst du etwas? Und er ward sehend <strong>und</strong> sagte:<br />

I<strong>ch</strong> sehe die Mens<strong>ch</strong>en; denn wie Bäume sehe i<strong>ch</strong> sie herumgehen. <strong>Die</strong>se Heilung<br />

glei<strong>ch</strong>t der des Tauben, den Jesus in der Dekapolis, 7,32, geheilt hat,<br />

darin, daß au<strong>ch</strong> sie ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> einen einzigen Akt der S<strong>ch</strong>öpfermajestät vollendet<br />

war, sondern si<strong>ch</strong> in Stufen vollzog, wobei Jesus au<strong>ch</strong> Leibli<strong>ch</strong>es, seinen<br />

Spei<strong>ch</strong>el <strong>und</strong> die Auflegung seiner Hände, glei<strong>ch</strong>sam als Träger seiner Kraft<br />

benützte. Der Ausruf des Blinden drückt beides aus, die jubelnde Freude, die<br />

ihn dur<strong>ch</strong>zuckt, als ihm das Auge wieder ein Bild der Welt in die Seele trug,<br />

zuglei<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong>, daß dieses Bild no<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wankend <strong>und</strong> unbestimmt war <strong>und</strong><br />

Bäume <strong>und</strong> Mens<strong>ch</strong>en <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer besonderen Figur si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong><br />

unters<strong>ch</strong>ieden. Dur<strong>ch</strong> eine zweite Auflegung der Hände gab ihm Jesus den<br />

klaren Blick. 8,25.26: Dami legte er no<strong>ch</strong>mals die Hände auf seine Augen, <strong>und</strong><br />

er sah deutli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> wurde ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> sah alles s<strong>ch</strong>arf. Und er s<strong>ch</strong>ickte ihn in<br />

sein Haus <strong>und</strong> sagte: Unterlaß es sogar, in das Dorf hineinzugehen! So sorg- 1<br />

sam s<strong>ch</strong>ützte er seine Hilfe gegen den Lärm der Öffentli<strong>ch</strong>keit.


<strong>Markus</strong> 8,16—33 7 1<br />

Kapitel 8,27—9,50<br />

Der Abs<strong>ch</strong>luß der Arbeit in Galiläa<br />

8,27—30: Und Jesus <strong>und</strong> seine Jünger zogen aus in die Dörfer von Cäsarea,<br />

der Stadt des Philippus, <strong>und</strong> auf dem Wege befragte er seine Jünger <strong>und</strong><br />

spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Für wen halten mi<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en? Sie aber sagten zu ihm:<br />

Für Johannes den Täufer <strong>und</strong> andere für Elias; andere aber sagen, du seiest<br />

einer der Propheten. Und er fragte sie: Aber ihr, für wen haltet ihr midi?<br />

Petrus antwortete <strong>und</strong> sagt zu ihm: Du bist der Christus. Und er bedrohte sie,<br />

daß sie mit niemand über ihn reden sollten. In der gegen den Hermon si<strong>ch</strong> hinziehenden<br />

Gegend hat Jesus die Gemeins<strong>ch</strong>aft seiner Jünger mit ihm dadur<strong>ch</strong><br />

festgema<strong>ch</strong>t, daß er si<strong>ch</strong> von ihnen ausdrückli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> feierli<strong>ch</strong> das Bekenntnis<br />

geben ließ, daß er der Christus sei. Das wird von allen Evangelisten damit in<br />

die engste Verbindung gebra<strong>ch</strong>t, daß Jesus ihnen seine Hinri<strong>ch</strong>tung als das<br />

Ende seines Weges ansagte. Damit legt er den Jüngern eine neue, große Aufgabe<br />

auf; nun nahm er sie mit si<strong>ch</strong> auf den Kreuzesweg. Sie können aber ni<strong>ch</strong>t<br />

mit ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem gehen, ni<strong>ch</strong>t auf dem Leidensgang bei ihm bleiben,<br />

wenn ni<strong>ch</strong>t ihr Glaube an ihn fest <strong>und</strong> gewiß geworden ist <strong>und</strong> es ni<strong>ch</strong>t uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>e<br />

Klarheit für sie hat: Er ist der Christus, unser Herr <strong>und</strong> Führer<br />

ewigli<strong>ch</strong>, dur<strong>ch</strong> den wir im Rei<strong>ch</strong> Gottes stehen. <strong>Die</strong>ser Zusammenhang wird<br />

bei <strong>Markus</strong> besonders si<strong>ch</strong>tbar, weil er das Gesprä<strong>ch</strong> Jesu mit den Jüngern<br />

über sein Messiasamt gekürzt <strong>und</strong> die feierli<strong>ch</strong>e Antwort Jesu weggelassen hat,<br />

die dem bekennenden Jünger damit dankt, daß er ihm den apostolis<strong>ch</strong>en Auftrag<br />

gibt <strong>und</strong> die Herrli<strong>ch</strong>keit seines Apostelwerkes preist. 8,31: Und er begann<br />

sie zu lehren: Der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en muß vieles leiden <strong>und</strong> von den<br />

Ältesten <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>riftgelehrten verworfen <strong>und</strong> getötet werden <strong>und</strong> nado drei<br />

Tagen auferstehen. Und er sagte ihnen das Wort offen. Auf die Bereitung<br />

der Jünger zur Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Jesus auf dem Todesgang sollen wir a<strong>ch</strong>ten,<br />

wozu es die unumgängli<strong>ch</strong>e Vorbereitung war, daß si<strong>ch</strong> alles, was die Jünger<br />

bisher an Glauben <strong>und</strong> Erkenntnis Jesu erworben haben, in das eine Wort zusammenfaßte:<br />

Du bist der Christus! wodur<strong>ch</strong> sie ganz <strong>und</strong> für immer mit ihm<br />

verb<strong>und</strong>en sind.<br />

Deshalb hat <strong>Markus</strong> zwar die Verheißung für Petrus ni<strong>ch</strong>t wiederholt, dagegen<br />

das an ihn geri<strong>ch</strong>tete strafende Wort ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>wiegen. Denn darauf<br />

war beim ganzen Vorgang Jesu Absi<strong>ch</strong>t geri<strong>ch</strong>tet, die Auflehnung <strong>und</strong> Einrede<br />

der Jünger gegen sein Kreuz zu überwinden <strong>und</strong> ihren Glauben au<strong>ch</strong><br />

während der Leidenszeit an si<strong>ch</strong> zu binden <strong>und</strong> über diese hinaus. 8,32. 33:<br />

Und Petrus nahm ihn auf die Seite <strong>und</strong> begann ihn zu s<strong>ch</strong>elten. Er aber wandte


7 2 Der Abs<strong>ch</strong>luß der Arbeit in Galiläa<br />

si<strong>ch</strong> ab, sah seine Jünger, s<strong>ch</strong>alt Petrus <strong>und</strong> sagt: Geh weg, hinter mi<strong>ch</strong> zurück,<br />

Satan! Denn du bist ni<strong>ch</strong>t auf das beda<strong>ch</strong>t, was Gott, sondern auf das, was<br />

den Mens<strong>ch</strong>en gehört. Jesus da<strong>ch</strong>te bei seinem Strafwort an alle Jünger, ni<strong>ch</strong>t<br />

nur an die besonderen Meinungen <strong>und</strong> Wüns<strong>ch</strong>e des Petrus. Um Jesus seinen<br />

Rat zu geben <strong>und</strong> ihn wieder zur Hoffnung auf einen guten Ausgang aufzuri<strong>ch</strong>ten,<br />

hatte ihn Petrus auf die Seite genommen, da er ihn ni<strong>ch</strong>t vor den anderen<br />

zure<strong>ch</strong>tweisen wollte. Jesus wandte si<strong>ch</strong> ab <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te ihm s<strong>ch</strong>on dadur<strong>ch</strong><br />

si<strong>ch</strong>tbar, daß er ni<strong>ch</strong>t auf ihn höre, <strong>und</strong> dabei sah er seine Jünger, <strong>und</strong><br />

deshalb, ni<strong>ch</strong>t einzig des Petrus wegen, sondern in der Sorge für den ganzen<br />

Jüngerkreis, zertrat er das Widerstreben des Petrus mit diesem tiefen Ernst,<br />

der kein weiteres Wort zuließ, sondern r<strong>und</strong>en Gehorsam forderte <strong>und</strong> in dem<br />

Jünger Angst vor seinen eigenen Wüns<strong>ch</strong>en erweckte, weil er si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> zum<br />

Satan ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> in der Sorge für die Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> von dem abkehrt, was<br />

Gottes ist.<br />

8,34.35: Und er rief die Menge samt seinen Jüngern herzu <strong>und</strong> sagte zu<br />

ihnen: Wenn jemand mir <strong>na<strong>ch</strong></strong>gehen will, so verleugne er si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> hebe sein<br />

Kreuz auf <strong>und</strong> folge mir. Denn wer seine Seele retten will, wird sie verlieren;<br />

wer aber seine Seele verlieren wird um meinetwillen <strong>und</strong> um der guten Bots<strong>ch</strong>aft<br />

willen, der wird sie retten. Über sein eigenes Ende spra<strong>ch</strong> Jesus nur mit<br />

seinen Jüngern, hat aber allem Volk samt seinen Jüngern als die allen gültige<br />

Regel Gottes verkündigt, daß man ihm nur dann <strong>na<strong>ch</strong></strong>folgen kann, wenn man<br />

si<strong>ch</strong> selbst die Fre<strong>und</strong>s<strong>ch</strong>aft <strong>und</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft aufsagt <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> von allem frei<br />

ma<strong>ch</strong>t wie der, der sein Kreuz anfaßt <strong>und</strong> damit die ganze Welt hinter si<strong>ch</strong><br />

läßt. Denn wir bringen uns dadur<strong>ch</strong> um das Leben, daß seine Erhaltung unser<br />

hö<strong>ch</strong>stes, wi<strong>ch</strong>tigstes Anliegen wird, während wir das Leben gewinnen, wenn<br />

wir es Jesu wegen verlieren. Indem <strong>Markus</strong> beifügt, daß wir um der göttli<strong>ch</strong>en<br />

Bots<strong>ch</strong>aft willen das Leben ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>onen sollen, spri<strong>ch</strong>t er aus, was uns ein<br />

sol<strong>ch</strong>es Opfer zur Pfli<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>en kann. <strong>Die</strong> Bots<strong>ch</strong>aft von Gottes <strong>Offenbarung</strong><br />

muß allen verkündigt sein. Daraus entsteht jener Kampf, der den Verzi<strong>ch</strong>t<br />

auf das Leben mit si<strong>ch</strong> bringen kann.<br />

8,36. 37: Denn was hilft es einem Mens<strong>ch</strong>en, wenn er die ganze Welt gewinnt,<br />

aber um seine Seele kommt? Denn was kann ein Mens<strong>ch</strong> als Preis für<br />

seine Seele geben? In der fals<strong>ch</strong>en Todesfur<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> fals<strong>ch</strong>en Lebenslust können<br />

si<strong>ch</strong> die Jünger dadur<strong>ch</strong> bestärken, daß sie an die große Aufgabe denken, die<br />

ihnen Jesu Sendung an die ganze Mens<strong>ch</strong>heit gegeben hat. Und do<strong>ch</strong> könnte<br />

kein apostolis<strong>ch</strong>es Werk, wäre es au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> so groß, den S<strong>ch</strong>aden aufwiegen,<br />

den ihnen die Sünde antäte, weil ihnen diese das Leben nimmt. Darum ma<strong>ch</strong>t<br />

sie Jesus gegen sol<strong>ch</strong>e Versu<strong>ch</strong>ungen au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> fest, daß er ihnen sein Kom-


<strong>Markus</strong> 8,34—3S; 9>i 75<br />

men in der Herrlidikeit Gottes verkündigt, da er ihnen dann als Ri<strong>ch</strong>ter, was<br />

sie taten, vergelten wird. <strong>Markus</strong> benutzt zur Auslegung dieses "Wortes einen<br />

Spru<strong>ch</strong> aus der Rede bei der Aussendung der Jünger, Matthäus 10,33, m dem<br />

Jesus ausgespro<strong>ch</strong>en hat, wann seine neue Ers<strong>ch</strong>einung den Jüngern ni<strong>ch</strong>t Segen<br />

<strong>und</strong> Leben, sondern Geri<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Verderben bringen wird. Er wird si<strong>ch</strong> zu<br />

denen bekennen, die si<strong>ch</strong> zu ihm vor den Mens<strong>ch</strong>en bekannt haben, <strong>und</strong> die<br />

verleugnen, die ihn vor den Mens<strong>ch</strong>en verleugnet haben. Das sind die Taten,<br />

die er den Seinigen vergelten wird. 8,38: Denn wer si<strong>ch</strong> meiner <strong>und</strong> meiner<br />

Worte unter diesem ehebre<strong>ch</strong>eris<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> sündigen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>ämt, dessen<br />

wird si<strong>ch</strong> der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>ämen, wenn er in der Herrli<strong>ch</strong>keit seines<br />

Vaters mit den heiligen Engeln kommt. Meinet- <strong>und</strong> der guten Bots<strong>ch</strong>aft<br />

wegen, hieß es oben, müßt ihr sterben können; meiner <strong>und</strong> meiner "Worte,<br />

heißt es hier, dürft ihr eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>ämen. Aus der Art, wie wir uns zum "Wort<br />

halten, folgt, ob wir uns von Jesus getrennt haben oder in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft <<br />

sind. Mit seinem Wort wird Christus aufgenommen, mit seinem Wort Christus<br />

verworfen. Nun tritt freili<strong>ch</strong> an die Jünger die Versu<strong>ch</strong>ung heran, si<strong>ch</strong><br />

dieser "Worte zu s<strong>ch</strong>ämen als eines leeren, armen Dings, das si<strong>ch</strong> an dem, was<br />

vor Augen liegt, ni<strong>ch</strong>t bewähre <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> den Lauf der Welt widerlegt <strong>und</strong><br />

überboten sei. Dann haben sie den Mut ni<strong>ch</strong>t, Jesu Wort au<strong>ch</strong> den anderen zu<br />

sagen, sondern begraben es glaubenslos. Damit haben sie si<strong>ch</strong> des Christus ges<strong>ch</strong>ämt<br />

<strong>und</strong> ihn behandelt, als wäre er arm, widerlegt <strong>und</strong> zu den Toten geworfen.<br />

<strong>Die</strong> Gerings<strong>ch</strong>ätzung des Worts trifft Jesus selbst, weil seinem Wort<br />

so viel Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Wirkung zusteht, als er selbst besitzt. So können wir uns<br />

nur dann zu Christus stellen, wenn wir von ihm weg auf die Mens<strong>ch</strong>en sehen,<br />

ihrem Willen uns ergeben, um ihren Beifall uns bemühen <strong>und</strong> bei ihnen unsere<br />

Ehre su<strong>ch</strong>en. <strong>Die</strong>se aber sind ein ehebre<strong>ch</strong>eris<strong>ch</strong>es <strong>und</strong> sündli<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t.<br />

Darf der Mens<strong>ch</strong>, dessen Bosheit der Jünger Jesu kennt, von dem er weiß, wie<br />

unfähig er ist, au<strong>ch</strong> nur die s<strong>ch</strong>limmste Lust zu beherrs<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> vom guten <strong>und</strong><br />

geraden Wege ni<strong>ch</strong>t abzuirren, ihm mehr als Christus gelten? Jener hat kein<br />

Re<strong>ch</strong>t, ihn zu beherrs<strong>ch</strong>en, keinen Anspru<strong>ch</strong> auf Folgsamkeit <strong>und</strong> kein Vermögen,<br />

wahre <strong>und</strong> bleibende Ehre zu geben, während Jesus diesen Anspru<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> dieses Vermögen besitzt, er, der mit voller Freudigkeit zur Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

Gottes aufsah als zu seinem Eigentum <strong>und</strong> mit freiem, heiligem Gewissen über<br />

alle si<strong>ch</strong> erhob, weil das Geri<strong>ch</strong>t über alle ihm gegeben ist.<br />

9,i : Und er sagte zu ihnen: Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Unter denen, die hier<br />

stehen, gibt es einige, die den Tod ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>mecken werden, bis sie Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

mit Kraft kommen sehen. Au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> s<strong>ch</strong>ließt mit dem Wort Jesu, das<br />

seine herrli<strong>ch</strong>e <strong>Offenbarung</strong> ni<strong>ch</strong>t in weite Ferne s<strong>ch</strong>iebt, sondern den Jüngern


74 Der Abs<strong>ch</strong>luß der Arbeit in Galiläa<br />

nah vor das Auge hält als in kurzer Zeit von ihnen selbst erlebt. <strong>Die</strong> Art, wie<br />

er diesen Spru<strong>ch</strong> wiederholt, erwä<strong>ch</strong>st aus der Überzeugung, daß alle Verheißungen<br />

Jesu aus dem Gehorsam des Sohns heraus gespro<strong>ch</strong>en waren, der<br />

der göttli<strong>ch</strong>en Regierung die Bahn offen läßt <strong>und</strong> sie niemals mit herris<strong>ch</strong>em<br />

Anspru<strong>ch</strong> meistert, weil er ni<strong>ch</strong>t gegen sie, sondern dur<strong>ch</strong> sie seine Zusage erfüllt.<br />

<strong>Die</strong> Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Art aller "Weissagungen, daß sie erst dur<strong>ch</strong> den<br />

Fortgang des göttli<strong>ch</strong>en "Werks ihre Deutung finden, ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> darin si<strong>ch</strong>tbar,<br />

daß neben dem "Wort des Matthäus: Sie werden den Tod ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>mecken, bis<br />

sie den Mens<strong>ch</strong>ensohn in seinem Königtum kommen sehen, bei <strong>Markus</strong> steht,<br />

daß Gottes königli<strong>ch</strong>e <strong>Offenbarung</strong> vorher in Kraft ges<strong>ch</strong>ehen werde. Daß der<br />

Ausdruck des <strong>Markus</strong> weniger bestimmt ist, zeigt, daß er die vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Stufen <strong>und</strong> mannigfa<strong>ch</strong>en Mittel erwog, dur<strong>ch</strong> die Gottes Regierung der Verheißung<br />

Jesu die Erfüllung geben kann.<br />

Zur Vorbereitung der Jünger auf den Leidensgang gehörte au<strong>ch</strong>, daß sie an<br />

der Verklärung Jesu sahen, wie nahe ihm die Himmelswelt war, so daß ihm<br />

der Eingang in den verklärten Lebensstand ohne Sterben offenstand. Das gab<br />

für die s<strong>ch</strong>weren Wo<strong>ch</strong>en Trost <strong>und</strong> Glauben, ma<strong>ch</strong>te aber au<strong>ch</strong> die Tiefe der<br />

Entsagung <strong>und</strong> den willigen, freien Gehorsam deutli<strong>ch</strong>, den Jesus in der<br />

Kreuzestat übt. 9,2—8: Und am se<strong>ch</strong>sten Tage nimmt Jesus den Petrus <strong>und</strong><br />

Jakobus <strong>und</strong> Johannes mit si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> führt sie für si<strong>ch</strong> allein auf einen hohen<br />

Berg hinauf. Und er wurde vor ihnen verwandelt, <strong>und</strong> seine Kleider wurden<br />

glänzend, ganz weiß, wie sie kein Walker auf Erden so weiß ma<strong>ch</strong>en kann.<br />

Und Elia ers<strong>ch</strong>ien ihnen mit Mose, <strong>und</strong> sie bespra<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> mit Jesus. Und<br />

Petrus antwortete <strong>und</strong> sagt zu Jesus: Rabbi, es ist s<strong>ch</strong>ön, daß wir hier sind.<br />

So wollen wir drei Hütten ma<strong>ch</strong>en, für di<strong>ch</strong> eine <strong>und</strong> für Mose eine <strong>und</strong> für<br />

Elia eine. Denn er wußte ni<strong>ch</strong>t, was er antwortete; denn sie waren bestürzt.<br />

Und es kam eine Wolke, die sie bes<strong>ch</strong>attete, <strong>und</strong> es kam eine Stimme aus der<br />

Wolke: <strong>Die</strong>ser ist mein geliebter Sohn; hört auf ihn! Und plötzli<strong>ch</strong>, wie sie<br />

um si<strong>ch</strong> sahen, sahen sie niemand mehr als Jesus allein bei ihnen. Das ist derselbe<br />

Beri<strong>ch</strong>t, wie ihn Matthäus gibt, nur mit dem Unters<strong>ch</strong>ied, daß Matthäus<br />

die ers<strong>ch</strong>reckende Wirkung betont, die die Ers<strong>ch</strong>einung Gottes dur<strong>ch</strong> die<br />

Wolke <strong>und</strong> die Himmelsstimme auf die Jünger hatte. Das war für sie ein bedeutsames<br />

Erlebnis, das ihnen ihren Unters<strong>ch</strong>ied von Jesus ins Bewußtsein<br />

hob. Daß die Angst der Jünger aus Gottes Gegenwart floß, tritt bei <strong>Markus</strong><br />

zurück, weil er s<strong>ch</strong>on vorher, s<strong>ch</strong>on bei dem fehlgreifenden Ausruf des Petrus,<br />

vom S<strong>ch</strong>recken der Jünger spri<strong>ch</strong>t. Das Wort: Gut ist es, daß wir hier sind!<br />

drückt freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Angst aus, vielmehr Lust <strong>und</strong> Wohlgefallen an der nun<br />

hervorbre<strong>ch</strong>enden Himmelsherrli<strong>ch</strong>keit, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Petrus eifrig greift. Er ver-


<strong>Markus</strong> g,2—12 75<br />

stand aber damit die Bedeutung dessen, was hier ges<strong>ch</strong>ah, ni<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> dieses<br />

Mißverstehen erläutert uns <strong>Markus</strong> dur<strong>ch</strong> die angstvolle Verwirrung, in die<br />

die Jünger der ganze Vorgang darum versetzte, weil er über den Berei<strong>ch</strong> unseres<br />

irdis<strong>ch</strong>en Lebensstandes hinausgehoben war.<br />

Während der Wanderung vom Berg herab zu den anderen Jüngern befragen<br />

seine drei Begleiter Jesus über die Hoffnung der S<strong>ch</strong>riftgelehrten auf<br />

die Ers<strong>ch</strong>einung Elias. 9,9—11 : Und während sie vom Berg herabsteigen,<br />

s<strong>ch</strong>ärfte er ihnen ein, daß sie keinem erzählen dürften, was sie sahen, außer<br />

wenn der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en aus den Toten auferstanden sei. Und sie behielten<br />

das Wort <strong>und</strong> befragten sid) untereinander: Was heißt das, aus den Toten<br />

auferstehen? Und sie befragten ihn <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>en: <strong>Die</strong> S<strong>ch</strong>rift gelehrten sagen,<br />

daß Elia zuerst kommen muß. Au<strong>ch</strong> das war ein Punkt, der beim Verkehr der<br />

Christenheit mit der Synagoge immer wieder Bedeutung erhielt. Malea<strong>ch</strong>is<br />

Weissagung s<strong>ch</strong>loß mit der bestimmten Zusage, daß Gott vor seinem großen<br />

Tag dem Volk Elia senden werde. Ergab si<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t aus der S<strong>ch</strong>rift selbst<br />

eine Einrede gegen den Glauben an Jesus, die es verbot, in ihm die Erfüllung<br />

der Verheißung zu sehen? Wie konnte der Christus gekommen sein, während<br />

von Elia <strong>und</strong> von seinem erneuernden Werk ni<strong>ch</strong>ts si<strong>ch</strong>tbar war? Darum teilt<br />

<strong>Markus</strong> der Christenheit mit, wie Jesus die Jünger über diese Hoffnung<br />

Israels unterwiesen hat. 9,12: Er aber sagt zu ihnen: Zwar kommt Elia <strong>und</strong><br />

stellt zuerst alles wieder her, <strong>und</strong> wie ist über den Sohn des Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>rieben,<br />

daß er viel leiden <strong>und</strong> Verwerfung erfahren werde? Nur den einen<br />

Spru<strong>ch</strong> zieht Israel hervor, nur den, der ihm die Fur<strong>ch</strong>t nimmt <strong>und</strong> es si<strong>ch</strong>er<br />

auf seinem fals<strong>ch</strong>en Wege wandeln läßt. Sie hören es gerji, daß, ehe Gottes<br />

Geri<strong>ch</strong>t kommt, alles zure<strong>ch</strong>tgebra<strong>ch</strong>t werden wird dur<strong>ch</strong> die w<strong>und</strong>erbare Gestalt<br />

des Propheten, der vom Himmel her wieder unter sie tritt. Alle S<strong>ch</strong>äden<br />

wird er heilen, àie jetzt Israel plagen, <strong>und</strong> ihm die Bereitung zum ewigen<br />

Leben plötzli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>tvoll in W<strong>und</strong>erkraft geben. So kann man Jesus<br />

ohne Fur<strong>ch</strong>t vera<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> sein Wort ruhig begraben: der Bote, der der Gemeinde<br />

zum Tage Gottes die Vollendung gibt, kommt ja do<strong>ch</strong>. <strong>Die</strong>se Hoffnung<br />

stammt ni<strong>ch</strong>t aus der S<strong>ch</strong>rift <strong>und</strong> beruft si<strong>ch</strong> auf sie gegen sie; denn sie<br />

verdecken si<strong>ch</strong> mit dem S<strong>ch</strong>riftwort, auf das sie si<strong>ch</strong> stützen, was die S<strong>ch</strong>rift<br />

daneben sagt. Ebensogut wie Malea<strong>ch</strong>i 4 steht Jesaja 53 in der S<strong>ch</strong>rift. Sie<br />

redet vom Leiden des Mens<strong>ch</strong>ensohns <strong>und</strong> von seiner Vera<strong>ch</strong>tung dur<strong>ch</strong> das<br />

Volk. Wie wäre das mögli<strong>ch</strong>, wenn zuerst mit einer plötzli<strong>ch</strong>en, äußerli<strong>ch</strong>en<br />

Wandlung alles S<strong>ch</strong>limme wegges<strong>ch</strong>afft werden könnte <strong>und</strong> die Ankunft Elias<br />

s<strong>ch</strong>on zurei<strong>ch</strong>te, um alles zu bessern? Dann gäbe es kein Kreuz, keine umsonst<br />

ergehende Berufung, keinen Christus, den Israel mit S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong> bedeckt.


"jo Der Abs<strong>ch</strong>luß der Arbeit in Galiläa<br />

So ist zunä<strong>ch</strong>st gezeigt, daß der Sinn, in dem Israel dieses S<strong>ch</strong>riftwort liest,<br />

ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tig ist. Aber es ist au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so, daß jene Verheißung unerfüllt geblieben<br />

wäre. 9,13: Allein i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Elia ist gekommen, <strong>und</strong> sie taten mit<br />

ihm, was sie wollten, wie über ihn ges<strong>ch</strong>rieben ist. Der Bote, den Gott ihnen<br />

dazu sendet, damit er alles zure<strong>ch</strong>tbringe, ist gekommen, weil der Täufer dem<br />

Volk alles gab, was jene Verheißung ihm zusagte. Wenn si<strong>ch</strong> die Hoffnung<br />

Israels do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erfüllte, so liegt das ni<strong>ch</strong>t an Gott, sondern an ihm selbst,<br />

daran, daß es seinen Willen wider Gottes Willen setzte. Aber au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

hat es nur das zur Erfüllung gebra<strong>ch</strong>t, was Gott seinen Kne<strong>ch</strong>ten s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong><br />

die S<strong>ch</strong>rift zugeteilt hat. <strong>Markus</strong> hat in der Bibel s<strong>ch</strong>on für den Täufer die Berufung<br />

zum Leiden gesehen. Wenn der Kne<strong>ch</strong>t des Herrn ohne Gestalt <strong>und</strong><br />

S<strong>ch</strong>öne dasteht <strong>und</strong> seine Seele zum S<strong>ch</strong>uldopfer ma<strong>ch</strong>t, Jesaja 53, so ist freili<strong>ch</strong><br />

deutli<strong>ch</strong>, daß au<strong>ch</strong> alle, die ihm dienen, ni<strong>ch</strong>t mit Glanz <strong>und</strong> Sieg, sondern mit<br />

Arbeit <strong>und</strong> Leiden sein Werk tun. Au<strong>ch</strong> ist bei Elia selber, mit dem der kommende<br />

Prophet vergli<strong>ch</strong>en war, ni<strong>ch</strong>ts von einer w<strong>und</strong>erbaren Bekehrung des<br />

Volks zu sehen; vielmehr hat der Täufer au<strong>ch</strong> darin Elias Art, daß er einsam<br />

<strong>und</strong> mit Gefahr seines Lebens in hartem Streit mit dem Volk <strong>und</strong> verfolgt<br />

dur<strong>ch</strong> eine neue Isebel <strong>und</strong> einen neuen Ahab Gottes Sa<strong>ch</strong>e führen muß.<br />

Auf die Verklärung folgt das bedeutsame Gegenstück: die Ohnma<strong>ch</strong>t der<br />

Jünger, die das Leiden eines Knaben ni<strong>ch</strong>t heilen können, <strong>und</strong> Jesu Wort, das<br />

ihnen den Gr<strong>und</strong> ihrer Ohnma<strong>ch</strong>t darin zeigt, daß ihnen der Glaube fehlt,<br />

<strong>und</strong> dem Glauben seine unbegrenzte Verheißung gibt. Tritt Jesus in die Herrli<strong>ch</strong>keit,<br />

sind die Jünger allein, dann ist der Glaube <strong>und</strong> nur der Glaube ihre<br />

Ma<strong>ch</strong>t, ihr Sieg über die Welt, ihre Ausrüstung zu seinem Werk. Den Spru<strong>ch</strong><br />

Jesu über den Glauben hat <strong>Markus</strong> ni<strong>ch</strong>t hier, sondern nur an der zweiten<br />

Stelle wiederholt, an der Jesus bei Matthäus vor seinem Weggang mit demselben<br />

Wort die Jünger zum Glauben erzieht, Matthäus 21,21 = <strong>Markus</strong> 11,23.<br />

Aber au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> hat an dieser Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te dur<strong>ch</strong> das Gesprä<strong>ch</strong> Jesu mit dem<br />

bittenden Vater dargetan, was Glaube sei <strong>und</strong> wel<strong>ch</strong>e Verheißung ihm Jesus<br />

gegeben habe. Zuglei<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reibt er uns ähnli<strong>ch</strong> wie beim Besessenen von<br />

Gadara <strong>und</strong> beim blutflüssigen Weibe ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> die Not, die Jesus zur<br />

Hilfe trieb.<br />

9,14. 15: Und als sie zu den Jüngern kamen, sahen sie um sie herum eine<br />

große Menge <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>rift gelehrte, die si<strong>ch</strong> mit ihnen bespra<strong>ch</strong>en. Und glei<strong>ch</strong>,<br />

wie sie ihn sahen, erstaunte die ganze Menge <strong>und</strong> lief herzu <strong>und</strong> begrüßte ihn.<br />

S<strong>ch</strong>on, daß Jesus die zurückgebliebenen Jünger umringt von vielen Mens<strong>ch</strong>en<br />

bei einer Verhandlung mit Lehrern antraf, zeigte, daß etwas Bedeutsames vorgefallen<br />

war, <strong>und</strong> die Aufregung des Volks, als es ihn kommen sah, bestätigte


<strong>Markus</strong> 9,13—23 77<br />

dies. Daß er eben jetzt im re<strong>ch</strong>ten Augenblick eintraf, war ihnen ein Gr<strong>und</strong><br />

zur Verw<strong>und</strong>erung. 9,16—22: Und er fragte sie: Was verhandelt ihr rnit<br />

ihnen? Und es antwortete ihm einer aus der Menge: Lehrer, i<strong>ch</strong> habe meinen<br />

Sohn zu dir gebra<strong>ch</strong>t, der einen spra<strong>ch</strong>losen Geist hat. Und wenn er ihn ergreift,<br />

reißt er ihn, <strong>und</strong> er s<strong>ch</strong>äumt <strong>und</strong> knirs<strong>ch</strong>t mit den Zähnen, <strong>und</strong> er verwelkt,<br />

<strong>und</strong> i<strong>ch</strong> habe deinen Jüngern gesagt, sie sollten ihn vertreiben, <strong>und</strong> sie<br />

vermo<strong>ch</strong>ten es ni<strong>ch</strong>t. Er aber antwortete ihnen <strong>und</strong> sagt: O ungläubiges Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t,<br />

bis wanrfa soll i<strong>ch</strong> bei eu<strong>ch</strong> sein, bis wann eu<strong>ch</strong> tragen? Bringt ihn zu<br />

mir! Und sie bra<strong>ch</strong>ten ihn zu ihm. Und wie ihn der Geist sah, glei<strong>ch</strong> riß er ihn,<br />

<strong>und</strong> er fiel auf die Erde, wälzte si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>äumte. Und er fragte seinen Vater:<br />

Wie lange Zeit ist es her, daß ihm dies widerfahren ist? Er aber sagte: Von<br />

Kindheit;, an, <strong>und</strong> oft wirft er ihn in das Feuer <strong>und</strong> in das Wasser, um ihn zu<br />

verderben. Aber wenn du irgend etwas vermagst, hilf uns, <strong>und</strong> erbarme di<strong>ch</strong><br />

über uns!<br />

Das „Wenn" in dieser Bitte ließ Jesus ni<strong>ch</strong>t ungerügt. Darin lag ein kranker<br />

Gedanke, der zuerst geheilt sein muß, ni<strong>ch</strong>t bloß dann, falls der Verda<strong>ch</strong>t dahinter<br />

stand: Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> kannst du es ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> wirst so ohnmä<strong>ch</strong>tig wie<br />

deine Jünger sein. Der Vater bat ja inbrünstig mit heißem Begehren <strong>und</strong> ruft<br />

Jesus auf, seine ganze Kraft zusammenzunehmen, damit er, da er so vieles<br />

kann, wenn irgend mögli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> aus dieser Not abhelfe. Allein au<strong>ch</strong> so denkt<br />

dieses „Wenn" an Jesu Unvermögen <strong>und</strong> für<strong>ch</strong>tet, daß si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei ihm wiederhole,<br />

was soeben bei den Jüngern ges<strong>ch</strong>ehen war. Sol<strong>ch</strong>e Angst, die bei ihm<br />

Ohnma<strong>ch</strong>t für<strong>ch</strong>tet <strong>und</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit erwägt, daß au<strong>ch</strong> er versagt, hat Jesus<br />

ni<strong>ch</strong>t ertragen. Das ist ni<strong>ch</strong>t Glaube, kein wahrhafter Blick auf Gott, der ni<strong>ch</strong>t<br />

nur hilft, falls er kann. So reißt der Bittende Jesus vom Vater los <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t<br />

seinen Anteil am Wirken des Vaters zum Stückwerk, als wäre ihm der Zugang<br />

zum Vater ni<strong>ch</strong>t stetig offen <strong>und</strong> er in die s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Grenzen unserer<br />

Armut gefaßt. Jesus hat ein Vertrauen verlangt, das ihn als Retter <strong>und</strong> Helfer<br />

ohne Eins<strong>ch</strong>ränkung bejaht, <strong>und</strong> nur ein sol<strong>ch</strong>es Vertrauen hat er Glauben<br />

genannt. -<br />

9,23: Aber Jesus spra<strong>ch</strong> zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst! alles ist dem<br />

Glaubenden mögli<strong>ch</strong>. Ni<strong>ch</strong>t bei ihm liegt das Unvermögen, sondern beim Bittenden,<br />

<strong>und</strong> au<strong>ch</strong> bei ihm nur deshalb, weil ihm der Glaube fehlt. Könnte er<br />

glauben, so wäre ihm alles mögli<strong>ch</strong>; dann könnte er bitten <strong>und</strong> empfangen,<br />

<strong>und</strong> Gottes ganze Güte stände ihm bei. So wandte Jesus den Blick des Vaters<br />

in sein eigenes Herz hinein, ob si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dort das Hindernis finde, das die Not<br />

ni<strong>ch</strong>t wei<strong>ch</strong>en läßt, weil er au<strong>ch</strong> in sein Bitten Sünde <strong>und</strong> Entehrung Gottes<br />

mengt <strong>und</strong> es dadur<strong>ch</strong> eitel ma<strong>ch</strong>t. Das brennt ihm heiß auf der Seele; soll sein


"jS Der Abs<strong>ch</strong>luß der Arbeit-in Galiläa<br />

Kind wegen seines Unglaubens leiden <strong>und</strong> verwelken? Verlangt Jesus Glauben,<br />

er will ihm diesen erweisen.<br />

9,24: Glei<strong>ch</strong> rief der Vater des Knaben <strong>und</strong> sagte: I<strong>ch</strong> glaube; hilf meinem<br />

Unglauben! Er war redli<strong>ch</strong>, wenigstens jetzt unter Jesu Augen, jetzt, da er<br />

um das Leben seines Kindes ringt <strong>und</strong> fühlt, daß er in Jesu Gegenwart ni<strong>ch</strong>t<br />

lügen darf. Darum bekennt er glei<strong>ch</strong>zeitig beides, seinen Glauben <strong>und</strong> seinen<br />

Unglauben. Wie er ausspri<strong>ch</strong>t: I<strong>ch</strong> glaube! empfindet er, daß der Glaube ni<strong>ch</strong>t<br />

unser willkürli<strong>ch</strong>es Gebilde ist, das wir uns dur<strong>ch</strong> die Ma<strong>ch</strong>t unseres Ents<strong>ch</strong>lusses<br />

einprägen, daß die finsteren Gedanken <strong>und</strong> Triebe, die uns von Jesus<br />

wegziehen, eine Ma<strong>ch</strong>t sind, die die Seele, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem sie si<strong>ch</strong> in ihr festgesetzt<br />

haben, s<strong>ch</strong>wanken ma<strong>ch</strong>t, daß der Wuns<strong>ch</strong>, glauben zu können, ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on<br />

Glaube ist <strong>und</strong> no<strong>ch</strong> weit von jenem Blick auf Jesu Güte <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t absteht,<br />

der an ihm gewiß, still <strong>und</strong> fest geworden ist. Seine beiden Bekenntnisse, das<br />

seines Glaubens <strong>und</strong> das seines Unglaubens, waren beide wahr. Er glaubt <strong>und</strong><br />

weiß do<strong>ch</strong>, daß er s<strong>ch</strong>wankt <strong>und</strong> zagt, <strong>und</strong> hebt darum seine Bitte bis dahin<br />

empor, daß er ni<strong>ch</strong>t bloß für seinen Glauben, nein, au<strong>ch</strong> für seinen Unglauben<br />

um Jesu Hilfe bat: Sieh meinen Unglauben ni<strong>ch</strong>t an; versage mir seinetwegen<br />

deine Hilfe ni<strong>ch</strong>t; erweise di<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> an meinem Unglauben als der, der si<strong>ch</strong><br />

erbarmt!<br />

Das war wirkli<strong>ch</strong> Glaube, Vertrauen zu Jesu vergebender Gnade, die seinen<br />

Unglauben bedeckt, Zuflu<strong>ch</strong>t zu seinem starken Erbarmen, das ihn trotz des<br />

Makels in seiner Bitte ni<strong>ch</strong>t verstößt. <strong>Die</strong>ses "Wort hat Jesus erhört. Das war<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr jener Unglaube wie in Nazareth, der ihn unfähig zum Helfen<br />

ma<strong>ch</strong>te, sondern ein Unglaube, der s<strong>ch</strong>on ers<strong>ch</strong>üttert <strong>und</strong> entwurzelt war <strong>und</strong><br />

den er dadur<strong>ch</strong> ganz zertrat, daß er ihm die Hilfe gab. Es ist in der Kir<strong>ch</strong>e viel<br />

über das Wesen <strong>und</strong> die Art des Glaubens gespro<strong>ch</strong>en worden, selten aber mit<br />

der dur<strong>ch</strong>dringenden Klarheit, die auf diesen wenigen Worten des <strong>Markus</strong> liegt.<br />

Immer war Jesu Blick au<strong>ch</strong> darauf geri<strong>ch</strong>tet, daß die verborgene Stille seines<br />

Wandels ni<strong>ch</strong>t gestört werde. 9,25 a: Als aber Jesus sah, daß das Volk herbeilief,<br />

bedrohte er den unreinen Geist. <strong>Die</strong> Not drängt; er will helfen; daß er es<br />

ohne Aufs<strong>ch</strong>ub sofort tut, dazu bewegt ihn der Zulauf, den er ungern sah.<br />

9,25b. 26: Und er sagte zu ihm: Du spra<strong>ch</strong>loser <strong>und</strong> tauber Geist, i<strong>ch</strong> befehle<br />

dir, geh von ihm aus, <strong>und</strong> geh ni<strong>ch</strong>t mehr in ihn hinein! Und er s<strong>ch</strong>rie^ riß ihn<br />

stark <strong>und</strong> ging aus, <strong>und</strong> er wurde wie tot, so daß die meisten sagten: Er ist<br />

gestorben. Der Erfolg seines Worts bra<strong>ch</strong>te zunä<strong>ch</strong>st dem Verspre<strong>ch</strong>en des<br />

Vaters, daß er Jesus glauben wollte, no<strong>ch</strong> eine ernste Erprobung. <strong>Die</strong> Krämpfe<br />

des Knaben wurden heftig <strong>und</strong> dauerten an, <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> lag er da wie tot*<br />

<strong>und</strong> das ungläubige Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t gab seine Art ans Li<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> erklärte ihn für tot*


<strong>Markus</strong> 9,24—32 79<br />

Aber Jesus behielt re<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> gab ihn dem Vater geheilt. 9,27: Aber Jesus erfaßte<br />

seine Hand <strong>und</strong> ri<strong>ch</strong>tete ihn auf, <strong>und</strong> er stand auf.<br />

<strong>Die</strong> Jünger trugen no<strong>ch</strong> eine Frage bei si<strong>ch</strong>. 9,28. 29: Und als er in das Haus<br />

gegangen war, fragten ihn seine Jünger für si<strong>ch</strong> allein: Wie kam es, daß wir<br />

ihn ni<strong>ch</strong>t vertreiben konnten? Und er sagte ihnen: Dur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts wird es mögli<strong>ch</strong>,<br />

daß diese Art weggehe, als dur<strong>ch</strong> Gebet <strong>und</strong> Fasten*. Das ist eine lehrrei<strong>ch</strong>e<br />

Ergänzung zur unbegrenzten Verheißung, die dem Glauben soeben<br />

gegeben wurde. <strong>Die</strong>se offenbart Gottes vollkommene "Willigkeit, uns zu helfen,<br />

<strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t deshalb unseren Weg lei<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> das Herz froh. „Glaube nur!"<br />

bleibt Jesu Regel, die in das ganze Leben den tiefen Frieden bringt, do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

so, daß er die kräftige, ernste Spannung unseres Strebens aufhöbe <strong>und</strong> uns nur<br />

ein vergnügli<strong>ch</strong>es Ruhen in Gottes uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>er Fürsorge gestattete. Das<br />

läßt der Gang unseres Lebens ni<strong>ch</strong>t zu, weil uns dieser große Dinge vorhält,<br />

die einen starken Willen fordern <strong>und</strong> nur dem wackeren Lauf errei<strong>ch</strong>bar sind.<br />

Dazu zählte Jesus au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Heilungen. Zu diesen brau<strong>ch</strong>t es Gebet, einen<br />

Willen, der mit Ernst <strong>und</strong> Beharrli<strong>ch</strong>keit <strong>na<strong>ch</strong></strong> oben dringt, der uns ni<strong>ch</strong>t<br />

plötzli<strong>ch</strong> zuteil wird, sondern nur im Zusammenhang mit einem beharrli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> entfalteten Umgang mit Gott. Das Fasten nennt dieser Spru<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, weil<br />

es eine selbständige Leistung wäre, mit der si<strong>ch</strong> eine besondere Gnade verknüpfte,<br />

sondern in enger Verbindung mit dem Gebet. <strong>Die</strong> beharrli<strong>ch</strong>e Zuwendung<br />

zu Gott <strong>und</strong> die andauernde Rede mit ihm wird im Ans<strong>ch</strong>luß an<br />

Israels Sitte dadur<strong>ch</strong> unterstützt, daß die Nahrung <strong>und</strong> mit ihr der ganze<br />

Kreis der irdis<strong>ch</strong>en Anliegen gemieden wird. Der Beter läßt alles Irdis<strong>ch</strong>e zurück<br />

<strong>und</strong> s<strong>ch</strong>aut empor.<br />

Jesus hat seinen Jüngern seine Weissagung über seinen Ausgang wiederholt.<br />

9,30—32: Und als sie von dort fortgingen, wanderten sie dur<strong>ch</strong> Galiläa dur<strong>ch</strong>,<br />

<strong>und</strong> er wollte ni<strong>ch</strong>t, daß ihn jemand erkenne. Denn er lehrte seine Jünger <strong>und</strong><br />

sagte zu ihnen: Der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en wird in die Hände der Mens<strong>ch</strong>en überantwortet,<br />

<strong>und</strong> sie werden ihn töten, <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er getötet ist, wird er <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

drei Tagen auferstehen. Sie aber verstanden das Wort ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> für<strong>ch</strong>teten<br />

si<strong>ch</strong>, ihn zu befragen. Was die Worte: In die Hände der Mens<strong>ch</strong>en überliefert<br />

werden, getötet werden, auferstehen, sagten, das verstanden sie gut genug;<br />

aber gerade deshalb, weil die Meinung dieser Worte ihnen deutli<strong>ch</strong> war, wurde<br />

ihnen Jesu Wort zu einem dunklen Rätsel, das ihnen no<strong>ch</strong> <strong>und</strong>ur<strong>ch</strong>dringli<strong>ch</strong><br />

blieb. Er allein hätte es ihnen lösen können <strong>und</strong> hätte vermo<strong>ch</strong>t, es mit seinem<br />

Zeugnis von der Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes in Einheit zu bringen <strong>und</strong> ihnen darin das<br />

Evangelium zu zeigen. Na<strong>ch</strong>her mögen si<strong>ch</strong> die Jünger oft gesagt haben: Hät-<br />

-, * Zahlrei<strong>ch</strong>e Texte geben nur: „Dur<strong>ch</strong> Gebet", ohne das Fasten.


8o Der Abs<strong>ch</strong>luß der Arbeit in Galiläa<br />

ten wir ihn do<strong>ch</strong> gefragt! aber damals für<strong>ch</strong>teten sie si<strong>ch</strong> davor <strong>und</strong> zeigten<br />

damit, wie wenig sie no<strong>ch</strong> mit Jesu Gang einverstanden sind. Sie wußten wohl,<br />

daß er von seinem Weg ni<strong>ch</strong>t lasse <strong>und</strong> die Kreuzestat vollbringe. Fragten sie,<br />

so fiel ihnen diese nur immer näher <strong>und</strong> gewisser auf die Seele, <strong>und</strong> das war<br />

es, was sie mieden. Darum trugen sie lieber seine Weissagung als ein unverstandenes<br />

Geheimnis bei si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> für das, was kam, selber<br />

s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>.<br />

9,33 a: Und sie kamen nado Kapernaum. Aus dem letzten Aufenthalt Jesu<br />

in Kapernaum hat Matthäus zuerst erzählt, wie Jesus die Forderung, daß au<strong>ch</strong><br />

er die Tempelsteuer zahle, dazu benutzte, um Petrus seine Freiheit vom Gesetz<br />

zu zeigen, sodann wie der Streit der Jünger um die Größe ihm den Anlaß gab,<br />

die Regel der Liebe ihnen auszulegen, unter die er das ganze Leben seiner Gemeinde<br />

stellt. <strong>Markus</strong> übergeht wieder dasjenige Stück, das si<strong>ch</strong> auf Israel <strong>und</strong><br />

das Gesetz des alten B<strong>und</strong>es bezieht, gibt dagegen aus dem, was Jesus Matthäus<br />

18 seinen Jüngern aufträgt, einige wi<strong>ch</strong>tige Worte, die uns vorhalten,<br />

was Jesus seiner Gemeinde als ihre Aufgabe überwiesen hat.<br />

9,33 b. 34: Und als er im Hause war, fragte er sie: Was bespra<strong>ch</strong>t ihr unterwegs?<br />

Sie aber s<strong>ch</strong>wiegen. Denn sie hatten unterwegs miteinander bespro<strong>ch</strong>en,<br />

wer größer sei. Jesu Antwort auf die Frage der Jünger, wer der Größte unter<br />

ihnen sei, hat im Beri<strong>ch</strong>t des Matthäus den unerbittli<strong>ch</strong>en Ernst, der das ganze<br />

erste Evangelium erfüllt. <strong>Die</strong> Jünger ri<strong>ch</strong>ten ihre Frage selbst an Jesus, <strong>und</strong><br />

nun trifft sie seine Antwort vollends nieders<strong>ch</strong>metternd: So kommt ihr gar<br />

ni<strong>ch</strong>t in das Himmelrei<strong>ch</strong>; erst müßt ihr umkehren, <strong>und</strong> wohin sie ihre Umkehr<br />

bringen muß, das bes<strong>ch</strong>reibt er mit dem kleinen <strong>und</strong> geringen Kind; nur<br />

so kleine Leute gehen ein ins Himmelrei<strong>ch</strong>. <strong>Markus</strong> bringt au<strong>ch</strong> bei diesem<br />

Anlaß Jesu milde Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit zur Wahrnehmung, damit si<strong>ch</strong> niemand vor<br />

ihm für<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> den Mut zum Glauben verliere. Er erläutert zunä<strong>ch</strong>st, wie die<br />

Frage der Jünger vor Jesus kam. Sie war ni<strong>ch</strong>t für sein Ohr bestimmt, sondern<br />

wurde nur im Kreise der Jünger unterwegs bespro<strong>ch</strong>en. Er ließ sie aber<br />

ni<strong>ch</strong>t heimli<strong>ch</strong> in ihrem Herzen gären, da sie ihr Verhältnis zu ihm <strong>und</strong> zueinander<br />

vergiftet hätte, sondern zog sie dadur<strong>ch</strong> ans Li<strong>ch</strong>t, daß er wissen wollte,<br />

was sie miteinander bespro<strong>ch</strong>en hatten. Und da si<strong>ch</strong> die Jünger s<strong>ch</strong>ämten <strong>und</strong><br />

s<strong>ch</strong>wiegen <strong>und</strong> wohl empfanden, daß ihr Streit ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem Sinn war,<br />

legte er ihnen die Regel der e<strong>ch</strong>ten, wirkli<strong>ch</strong>en Größe vor. 9,35: Und er setzte<br />

si<strong>ch</strong>, rief die Zwölf <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Wenn einer Erster sein will, soll er<br />

von allen der Letzte <strong>und</strong> für alle der <strong>Die</strong>ner sein.<br />

Ehrgeiziges Großseinwollen s<strong>ch</strong>ändet <strong>und</strong> erniedrigt in seinen Augen, weil<br />

es ni<strong>ch</strong>t aus der Liebe stammt <strong>und</strong> uns darum sündigen ma<strong>ch</strong>t. Auf diesem


<strong>Markus</strong> 9,33a—38 81<br />

Wege bereiten wir uns unsere Größe dadur<strong>ch</strong>, daß wir die anderen drücken<br />

<strong>und</strong> s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en, gründen unsere Ehre auf die Erniedrigung der anderen, unsere<br />

Stärke auf ihre S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> unseren Rei<strong>ch</strong>tum auf ihre Armut. Sol<strong>ch</strong>er Größe<br />

wird Jesus zum "Widersa<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> stößt sie um. <strong>Die</strong> dagegen, die es verstehen<br />

zu dienen, gehen auf seinem "Weg, tun seinen Willen <strong>und</strong> sind deshalb in<br />

seinen Augen die Großen, auf die er sein Lob <strong>und</strong> seine Ehre legt. Darum gibt<br />

es in seiner Gemeinde kein anderes Streben <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Vorrang als das, wodur<strong>ch</strong><br />

wir uns von uns selbst abwenden, ni<strong>ch</strong>t uns selber leben, sondern uns<br />

ernstli<strong>ch</strong> bemühen, als die Letzten in der Reihe zu stehen, wenn für uns selbst<br />

Ehre, Ruhe, Genuß <strong>und</strong> Gewinn in Frage kommen, <strong>und</strong> dann die Ersten zu<br />

sein, wenn es gilt, die anderen zu heben, zu tragen <strong>und</strong> zu begaben mit Wort<br />

<strong>und</strong> Tat.<br />

Damit, daß Jesus in die Mitte der Jünger ein Kind gestellt hat, verbindet<br />

<strong>Markus</strong> den Spru<strong>ch</strong>, dur<strong>ch</strong> den Jesus die dem Kind getane Wohltat als ihm<br />

selbst getan annimmt. 9,36. 37a: Und er nahm ein Kind, stellte es in ihre<br />

Mitte, umarmte es <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Wer von sol<strong>ch</strong>en Kindern eines meines<br />

Namens wegen aufnimmt, nimmt mi<strong>ch</strong> auf. Dur<strong>ch</strong> diese Verheißung nimmt<br />

er den Jüngern die Fur<strong>ch</strong>t, sie versäumten dadur<strong>ch</strong>, daß sie ihren <strong>Die</strong>nst auf<br />

die Kleinen ri<strong>ch</strong>ten, ihre Jüngerpfli<strong>ch</strong>t, würden für Christus wertlos <strong>und</strong> verlören<br />

ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm. Vielmehr errei<strong>ch</strong>t ihre liebe ihn dadur<strong>ch</strong>, daß<br />

sie für die Kleinen sorgen. So erläutert er ihnen au<strong>ch</strong> seine Verheißung, die den<br />

Letzten <strong>und</strong> <strong>Die</strong>nenden zum Ersten ma<strong>ch</strong>t. Weil ihr <strong>Die</strong>nst ihm getan ist <strong>und</strong><br />

ihn mit ihnen verb<strong>und</strong>en ma<strong>ch</strong>t, darum sind sie dur<strong>ch</strong> denselben groß. Was<br />

es aber heißt, Christus aufnehmen, spri<strong>ch</strong>t <strong>Markus</strong> mit dem Worte aus, das bei<br />

Matthäus an einer ähnli<strong>ch</strong>en Stelle, 10,40, steht. 9,37b: Und wer mi<strong>ch</strong> aufnimmt,<br />

nimmt ni<strong>ch</strong>t mi<strong>ch</strong> auf, /ondern den, der mi<strong>ch</strong> gesandt hat. So wissen<br />

die Jünger, wie sie Christus, ja no<strong>ch</strong> mehr, wie sie den Vater, der ihn sandte,<br />

bei si<strong>ch</strong> herbergen <strong>und</strong> zu Gast haben können. Gelegenheit zu sol<strong>ch</strong>em Gottesdienst<br />

wä<strong>ch</strong>st ihnen dur<strong>ch</strong> die Kleinen zu, wenn sie um Jesu willen Haus <strong>und</strong><br />

Herz ihnen aufs<strong>ch</strong>ließen.<br />

Das Widerspiel zur Aufnahme der Kleinen ist ihre Ärgerung. Ehe aber <strong>Markus</strong><br />

zum Urteil Jesu über die, die die Kleinen ärgern, übergeht, legt er no<strong>ch</strong><br />

einige Worte ein, die zeigen, wie fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong> er jeden ihm geleisteten <strong>Die</strong>nst<br />

ansieht. 9,38: Johannes sagte zu ihm: Lehrer, wir sahen jemand, der in deinem<br />

Namen böse Geister vertreibt, der uns ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong>folgt, <strong>und</strong> wir wehrten es<br />

ihm, weil er uns ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong>folgte. Johannes, der ens<strong>ch</strong>lossen <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Ganzen<br />

<strong>und</strong> Vollkommenen strebte <strong>und</strong> Unfertiges s<strong>ch</strong>wer ertrug, ers<strong>ch</strong>ien ein sol<strong>ch</strong>es<br />

Verhalten als fals<strong>ch</strong> <strong>und</strong> unzulässig. Glaubt dieser Mann an Jesus, so komme


82 Der A bs<strong>ch</strong>luß der A rbeil in Galiläa<br />

er zu ihm <strong>und</strong> trete in seine Jüngers<strong>ch</strong>aft; legt er auf die Na<strong>ch</strong>folge Jesu keinen<br />

Wert, so lasse er au<strong>ch</strong> die Anrufung seines Namens. Darum hat er ihm diese<br />

untersagt.<br />

Jesus hat sein Verbot ni<strong>ch</strong>t gutgeheißen. 9,39: Aber Jesus sagte: Wehrt<br />

ihm ni<strong>ch</strong>t/ Denn es gibt keinen, der dur<strong>ch</strong> meinen Namen ein W<strong>und</strong>er tun <strong>und</strong><br />

ras<strong>ch</strong> imstande sein wird, mi<strong>ch</strong> zu s<strong>ch</strong>mähen. Sol<strong>ch</strong>e Erlebnisse sind eine S<strong>ch</strong>utzwehr<br />

gegen das Ärgernis an ihm, verhüten die Feinds<strong>ch</strong>aft gegen ihn <strong>und</strong> bahnen<br />

dem.Glauben den "Weg. Das ist aus demselben gnädigen Sinn gespro<strong>ch</strong>en<br />

wie die Antwort an den Täufer: Selig ist, wer si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an mir ärgert. Jesus<br />

dehnt seine Gnade auf alle aus, die ni<strong>ch</strong>t mit ents<strong>ch</strong>lossener Bosheit ihr den<br />

Zugang verwehren. Wer ni<strong>ch</strong>t imstande ist, ihn zu s<strong>ch</strong>mähen, steht no<strong>ch</strong> im<br />

Berei<strong>ch</strong> seiner Gnade.<br />

Das Wort, das <strong>Markus</strong> hier der Christenheit erhalten hat, findet in ihrem<br />

Leben mannigfa<strong>ch</strong>e Anwendung. Es untersagt ihr den zornigen Eifer, der jeden<br />

hastig zur Ents<strong>ch</strong>eidung drängt, <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t sie geduldig, au<strong>ch</strong> Unfertiges zu<br />

ertragen <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Anfängen Zeit zu gönnen. Er ermutigt sie zur<br />

Freude an allem, was irgendwie no<strong>ch</strong> die Wirkung des Christus ist <strong>und</strong> aus<br />

seiner Wahrheit <strong>und</strong> Gnade stammt, selbst dann, wenn das Verständnis für<br />

Christus no<strong>ch</strong> dunkel <strong>und</strong> dürftig blieb.<br />

9,40: Denn wer ni<strong>ch</strong>t wider uns ist, ist für uns. Alle, die Jesus ni<strong>ch</strong>t mit<br />

Widerstreben <strong>und</strong> Feinds<strong>ch</strong>aft entgegenwirken, zählt er zu seinen Genossen<br />

<strong>und</strong> zu seinem Eigentum. Daß es ni<strong>ch</strong>t zum Widerwillen kommt, der ihn abwehrt,<br />

<strong>und</strong> zum Unglauben, der ihm widerspri<strong>ch</strong>t, rührt do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on daher,<br />

daß Jesu Gnade <strong>und</strong> Wahrheit den Mens<strong>ch</strong>en irgendwie erfaßt <strong>und</strong> zu ihm<br />

hinwendet, <strong>und</strong> das gibt seinem Heilandswillen das Re<strong>ch</strong>t, ihn zu den Seinen<br />

zu zählen, denen er si<strong>ch</strong> einst völlig offenbaren wird. Für uns ist er, sagt Jesus,<br />

<strong>und</strong> nimmt dadur<strong>ch</strong> die Jünger mit si<strong>ch</strong> zusammen. Sie haben eine gemeinsame<br />

Sa<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> treiben ein <strong>und</strong> dasselbe Werk. <strong>Die</strong> Jünger reden das Wort,<br />

das er ihnen gab, <strong>und</strong> laden die Mens<strong>ch</strong>en zu ihm.<br />

Bei Matthäus lasen wir 12,30 das andere Wort: Wer ni<strong>ch</strong>t mit mir ist, ist<br />

wider mi<strong>ch</strong>. Nur dur<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>iedenen, treuen Ans<strong>ch</strong>luß bleibt man ihm verb<strong>und</strong>en.<br />

Wer ni<strong>ch</strong>t mit ganzem Herzen auf seine Seite tritt, bleibt im <strong>Die</strong>nsr<br />

der Mä<strong>ch</strong>te, mit denen Jesus seinen Kampf in dieser Welt dur<strong>ch</strong>kämpft. Darin<br />

liegt der ernste, eindringende Bußruf, der Ents<strong>ch</strong>eidung <strong>und</strong> Ents<strong>ch</strong>iedenheit<br />

fordert, die Glei<strong>ch</strong>gültigen aufrüttelt, die Halbheit ri<strong>ch</strong>tet, den heimli<strong>ch</strong>en<br />

Widerwillen ans Li<strong>ch</strong>t zieht <strong>und</strong> ihm die Gefahr zeigt, in die er si<strong>ch</strong> wirft. Im<br />

Geiste Jesu waren der ri<strong>ch</strong>tende Ernst, der alle Bosheit trifft, <strong>und</strong> die überallhin<br />

blickende Gnade, die alles mit ihrem Vergeben umfaßt, zu einer unlös-


<strong>Markus</strong> 9,39—42 83<br />

liehen Einheit verknüpft, stießen ni<strong>ch</strong>t gegeneinander <strong>und</strong> we<strong>ch</strong>selten ni<strong>ch</strong>t<br />

miteinander ab, sondern bildeten in völliger Einheit zusammen seinen Beruf.<br />

Darum spre<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> das ernste Wort, das nur den, der si<strong>ch</strong> ihm ganz ergibt,<br />

zu den Seinen zählt, <strong>und</strong> das fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>e Wort, das nur den, der si<strong>ch</strong> ihm ganz<br />

vers<strong>ch</strong>ließt, fallen läßt, zusammen in Einheit Jesu Willen aus. Jenes s<strong>ch</strong>ützt<br />

uns davor, daß wir uns in unserer lauen Glei<strong>ch</strong>gültigkeit Wohlgefallen, dieses<br />

davor, daß wir wegen unserer s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en, unfertigen Art verzagen. Es ist<br />

aber für das Ziel <strong>und</strong> die Art der beiden <strong>Evangelien</strong> lehrrei<strong>ch</strong>, daß das strenge<br />

Wort bei Matthäus, das gnädige bei <strong>Markus</strong> steht.<br />

Ein weiteres Wort, das die rei<strong>ch</strong>e Güte Jesu hell hervorstrahlen läßt, las<br />

<strong>Markus</strong> bei Matthäus, 10,42, am S<strong>ch</strong>luß der Aussendungsrede. 9,41: Denn wer<br />

eu<strong>ch</strong> mit einem Be<strong>ch</strong>er Wasser tränkt im Namen, daß ihr des Christus seid,<br />

wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Er wird seinen Lohn ni<strong>ch</strong>t verlieren. Na<strong>ch</strong>dem bei<br />

Matthäus Jesus zuerst vom Kampf seiner Jünger mit dem feindseligen Israel<br />

gespro<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> ihnen den Beruf gegeben hat, bis zum Tode treu zu sein <strong>und</strong><br />

alles geringer zu s<strong>ch</strong>ätzen als ihn, hält ihnen das S<strong>ch</strong>lußwort au<strong>ch</strong> den rei<strong>ch</strong>en<br />

Segen vor, den sie den Mens<strong>ch</strong>en bringen. Jede Liebe, jede Wohltat, die ihnen<br />

getan wird, <strong>und</strong> sei es au<strong>ch</strong> nur ein Be<strong>ch</strong>er Wasser, wird Christus selber lohnen.<br />

<strong>Markus</strong> stellt den Spru<strong>ch</strong> an diese Stelle, wo er uns zeigt, wie Jesu Liebe si<strong>ch</strong> in<br />

die Weite dehnt, wie er si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit den Kleinen eins ma<strong>ch</strong>t, so daß wir mit<br />

den Kindern ihn aufnehmen, <strong>und</strong> alle eins<strong>ch</strong>ließt, die ni<strong>ch</strong>t wider ihn sind.<br />

<strong>Die</strong>selbe Freigebigkeit der göttli<strong>ch</strong>en Gnade läßt au<strong>ch</strong> den Be<strong>ch</strong>er mit Wasser,<br />

der seinen Boten gerei<strong>ch</strong>t wird, ni<strong>ch</strong>t unbelohnt. Wer einen dieser Kleinen<br />

tränkt „auf den Jüngernamen hin", sagt Matthäus: er ehrt <strong>und</strong> liebt den Jünger<br />

Jesu in ihm <strong>und</strong> steht ihm deshalb mit seiner Gabe bei. So liegt Glaube,<br />

wenigstens Ehrfur<strong>ch</strong>t vor Jesus, in seiner Tat, <strong>und</strong> darum trägt sie ihm rei<strong>ch</strong>e<br />

Fru<strong>ch</strong>t, weil Jesus si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t umsonst ehren <strong>und</strong> umsonst dienen läßt; sein<br />

Dank bleibt ni<strong>ch</strong>t aus. <strong>Markus</strong> legt aus, was der Jüngername meint. Ein Jünger<br />

sein heißt dem Christus eigen sein.<br />

<strong>Die</strong>selbe Liebe, deren Größe <strong>und</strong> Rei<strong>ch</strong>tum uns soeben bes<strong>ch</strong>rieben wurde,<br />

ma<strong>ch</strong>t Jesus zum S<strong>ch</strong>irmer <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ützer der Kleinen gegen die, die sie in die<br />

Sünde stoßen. 9,42: Und wer für einen dieser Kleinen, die glauben, zum Anstoß<br />

wird, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein, wie ihn ein Esel<br />

treibt, um den Hals hinge <strong>und</strong> er in das Meer geworfen würde. Für den, der<br />

die S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en verdirbt, hat Jesus keine Gnade; ihm gilt sein Zorn, der ihm<br />

mit dem S<strong>ch</strong>limmsten droht, wenn sogar das besser für ihn wäre, daß er ins<br />

Meer versenkt würde.


84 Der Abs<strong>ch</strong>luß der Arbeit in Galiläa<br />

Daß wir anderen zum Ärgernis werden, verhüten wir nur dadur<strong>ch</strong>, daß wir<br />

das Böse an uns selbst mit Ents<strong>ch</strong>lossenheit bekämpfen. Darum folgt der mä<strong>ch</strong>tige<br />

Aufruf Jesu zum ernsten Kampf gegen alles, was uns selber ärgert <strong>und</strong> in<br />

das Böse zieht, <strong>und</strong> seine dreimalige Wiederholung bei <strong>Markus</strong> zeigt, wie ernst<br />

er ihn uns einprägen will. 9,43—48: Und wenn dir deine Hand zum Anstoß<br />

wird, haue sie ab! Es ist besser für di<strong>ch</strong>, als Krüppel in das Leben einzugehen,<br />

als mit beiden Händen in die Hölle zu gehen, in das F euer, das niemand lös<strong>ch</strong>en<br />

kann. Und wenn dir dein Fuß zum Anstoß wird, haue ihnab! Es ist besser für<br />

di<strong>ch</strong>, lahm in das Leben einzugehen, als mit beiden Füßen in die Hölle geworfen<br />

zu werden. Und wenn dir dein Auge zum Anstoß wird, wiff es fort! Es ist<br />

besser für di<strong>ch</strong>, einäugig in Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft einzugehen, als mit zwei Augen<br />

in die Hölle geworfen zu werden, wo ihr Wurm ni<strong>ch</strong>t stirbt <strong>und</strong> das Feuer<br />

ni<strong>ch</strong>t verlös<strong>ch</strong>t. Wer das Böse bei si<strong>ch</strong> selbst hegt, bringt es au<strong>ch</strong> anderen, <strong>und</strong><br />

mit dem eigenen Fall bereiten wir au<strong>ch</strong> ihnen den Sturz. An den Gliedern des<br />

eigenen Leibes, Auge, Hand, Fuß, wird dargestellt, wie uns kein Opfer reuen<br />

<strong>und</strong> kein S<strong>ch</strong>merz zurückhalten darf, um der Sünde zu entgehen. Ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong><br />

Wei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> Feigheit, sondern dur<strong>ch</strong> Mut <strong>und</strong> Ernst sorgen wir hier für<br />

uns selbst. Denn nur in der Überwindung des Ärgernisses gewinnen wir das<br />

Leben; dadur<strong>ch</strong>, daß wir uns ins Böse ziehen lassen, bereiten wir uns den Tod<br />

<strong>und</strong> fallen hinab in den Ort des Geri<strong>ch</strong>ts, zu dessen Bes<strong>ch</strong>reibung Jesus das<br />

Wort verwendet, mit dem das Bu<strong>ch</strong> Jesaja s<strong>ch</strong>ließt, 66,24. Wurm <strong>und</strong> Feuer<br />

sind das, was die Lei<strong>ch</strong>e zerstört. Der Wurm zernagt den verwesenden Leib;<br />

das Feuer verni<strong>ch</strong>tet ihn. Wenn der Wurm ni<strong>ch</strong>t stirbt <strong>und</strong> das Feuer ni<strong>ch</strong>t verlös<strong>ch</strong>t,<br />

so heißt uns das an einen Tod denken, auf den kein Leben folgt, an<br />

einen endgültigen <strong>und</strong> bleibenden Tod, dur<strong>ch</strong> den uns Gott <strong>und</strong> sein Rei<strong>ch</strong><br />

voll Li<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Leben für immer verloren ging.<br />

9,49: Denn jeder wird mit Feuer gesalzen werden. <strong>Die</strong>ser Spru<strong>ch</strong> faßt den<br />

Ernst der vorangehenden Mahnung zusammen. Entweder, oder! rief sie uns<br />

zu. Entweder r<strong>und</strong>e Absage gegen alles Böse <strong>und</strong> Kampf gegen dasselbe ohne<br />

S<strong>ch</strong>onung, oder Geri<strong>ch</strong>t, Tod, mit dem fur<strong>ch</strong>tbaren Blick in ein ewiges Sterben,<br />

das si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr wenden wird. Hier <strong>und</strong> dort ist es Feuer, was uns faßt,<br />

so daß ihm keiner entrinnen wird. Gehor<strong>ch</strong>en wir dem Aufruf Jesu <strong>und</strong> führen<br />

wir den Streit gegen das Ärgernis, so gehen wir dur<strong>ch</strong> ein Feuer hindur<strong>ch</strong>,<br />

weil dieser Streit seine S<strong>ch</strong>merzen hat <strong>und</strong> dem vergnügli<strong>ch</strong>en Frohsinn ni<strong>ch</strong>t<br />

gelingt. Redli<strong>ch</strong>e Buße ist eine ernste Sa<strong>ch</strong>e, die wohl einem Feuer zu verglei<strong>ch</strong>en<br />

ist, das vieles in uns verzehrt, s<strong>ch</strong>melzt, läutert <strong>und</strong> unter Bangen den inwendigen<br />

Mens<strong>ch</strong>en so gestaltet, wie er zum Rei<strong>ch</strong>e Gottes taugt.


<strong>Markus</strong> g,43—5°c 8 5<br />

Darum ist vom „Gesalzenwerden" die Rede. <strong>Die</strong> Speise erhält dadur<strong>ch</strong>, daß<br />

sie gesalzen wird, ihre Verwendbarkeit, wird vor Fäulnis bewahrt <strong>und</strong> genießbar<br />

gema<strong>ch</strong>t. So sind au<strong>ch</strong> wir ni<strong>ch</strong>t von selbst dur<strong>ch</strong> das, was von Natur in<br />

uns wä<strong>ch</strong>st, zur Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Gott ges<strong>ch</strong>ickt <strong>und</strong> bereit. "Wir bedürfen<br />

dazu einer Zubereitung, die uns für sein Leben <strong>und</strong> für seinen <strong>Die</strong>nst geeignet<br />

ma<strong>ch</strong>t, wie die Speise dur<strong>ch</strong> Salzen zum Genuß bereitet wird. Darum ist uns<br />

jenes Feuer unentbehrli<strong>ch</strong>, von dem Jesus spri<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> darum mahnt er uns so<br />

dringend, daß wir ni<strong>ch</strong>t in fals<strong>ch</strong>er, blinder Sorge für uns selbst uns weigern,<br />

dem zu entsagen, was uns verdirbt, <strong>und</strong> das zu töten, was uns zerstört.<br />

Nun s<strong>ch</strong>aut <strong>Markus</strong> auf dasjenige Wort Jesu zurück, mit dem er in der Bergpredigt<br />

den hohen Beruf seiner Jünger bes<strong>ch</strong>rieb, aber au<strong>ch</strong> ihren tiefen Sturz,<br />

wenn sie si<strong>ch</strong> diesem entziehen: Ihr seid das Salz der Erde; ihr seid das Li<strong>ch</strong>t<br />

der "Welt. Das letztere Wort hat <strong>Markus</strong> neben das Glei<strong>ch</strong>nis vom Säemann<br />

gestellt, weil Li<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Wort zusammengehören <strong>und</strong> das, was wir dem Li<strong>ch</strong>te<br />

s<strong>ch</strong>ulden, deutli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t, was wir dem Wort zu geben haben. Hier, wo er uns<br />

den Kampf bes<strong>ch</strong>reibt, den wir im Christenleben zu bestehen haben, benutzt<br />

er jene ernste Warnung, die Jesus dur<strong>ch</strong> die Verglei<strong>ch</strong>ung mit dem Salz seinen<br />

Jüngern eingeprägt hat. 9,50a: Gut ist das Salz; wenn aber das Salz fad wird,<br />

womit werdet ihr es würzen? <strong>Die</strong> beiden Evangelisten gebrau<strong>ch</strong>en dieses Wort<br />

mit vers<strong>ch</strong>iedenem Blick. Matthäus s<strong>ch</strong>aut auf das, wozu Jesus seine Jünger<br />

brau<strong>ch</strong>t, was er dur<strong>ch</strong> sie der Welt gibt, wie er dur<strong>ch</strong> ihren <strong>Die</strong>nst sein Wort<br />

<strong>und</strong> Werk in die Weite führt. Das Salz ist dazu da, damit es anderes salze, ihm<br />

seinen Ges<strong>ch</strong>mack mitteile <strong>und</strong> die Speise würze. Verliert es diese Kraft, dann<br />

kann man es ni<strong>ch</strong>t mehr bessern <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr brau<strong>ch</strong>en. Es wird ein nutzloses<br />

Ding, weil sein Wert nur darin besteht, daß es anderes salzt. <strong>Markus</strong> faßt<br />

das ins Auge, was für den <strong>Die</strong>nst der Jünger die innere Bedingung <strong>und</strong> Voraussetzung<br />

ist: die Bewahrung des eigenen Christenstands in der A<strong>ch</strong>tsamkeit<br />

auf uns selbst, die das Ärgernis zerstört <strong>und</strong> die Versu<strong>ch</strong>ung besiegt. Wenn wir<br />

uns der Sünde ergeben, ma<strong>ch</strong>en wir uns zum faden Salz, dem ni<strong>ch</strong>t mehr zu<br />

helfen ist.<br />

Darum lautet die letzte Mahnung hier ni<strong>ch</strong>t: Werdet der Erde zum Salz,<br />

gebt den Leuten, was ihr empfangen habt! sondern: 9,50b: Habt bei eu<strong>ch</strong><br />

selber Salz, jenes Salz, dur<strong>ch</strong> das jedes Opfer gesalzen werden muß, das mit<br />

seiner feurigen Kraft dem Verdorbenen <strong>und</strong> Kranken widersteht <strong>und</strong> das Böse<br />

auszutilgen weiß. Na<strong>ch</strong> dem Zusammenhang haben wir das Salz dadur<strong>ch</strong> bei<br />

uns, daß wir allem Bösen redli<strong>ch</strong> absagen <strong>und</strong> mit treuer Wa<strong>ch</strong>samkeit in der<br />

Buße bleiben, uns mit ni<strong>ch</strong>ts, was s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ist, versöhnen <strong>und</strong> unser Leben ni<strong>ch</strong>t<br />

an Sündli<strong>ch</strong>es hängen. So wä<strong>ch</strong>st uns zu, was der Anfang der Rede von uns


86 Vom Aufbru<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa bis zum Einzug in Jerusalem<br />

verlangt, zu dem si<strong>ch</strong> das letzte Wort zurückwendet, 9,50 c: <strong>und</strong> habt untereinander<br />

Frieden! Vom Streit der Jünger ging die Rede aus, wie er aus der<br />

Su<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> der fals<strong>ch</strong>en Größe, die die anderen erniedrigen will, entbrennt.<br />

So wird das Salz fad, <strong>und</strong> der Jünger hat es ni<strong>ch</strong>t bei si<strong>ch</strong>. "Wenn es dagegen<br />

jeder bei si<strong>ch</strong> hat, weil jeder gegen seine Bosheit ehrli<strong>ch</strong> kämpft, dann ist Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

unter uns mögli<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> der Friede regiert unseren Verkehr. Er<br />

wei<strong>ch</strong>t immer, wo die Sünde gehegt <strong>und</strong> das Ärgernis großgezogen wird. Wer<br />

dem Kampf mit si<strong>ch</strong> selbst auswei<strong>ch</strong>t, muß den Zank mit anderen haben. Wer<br />

gegen si<strong>ch</strong> streitet <strong>und</strong> sein Auge, seine Hand, seinen Fuß <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Sinn ni<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>ont, der steht mit den anderen im Frieden <strong>und</strong> führt au<strong>ch</strong> sie ihm zu. Nur<br />

so entsteht die einträ<strong>ch</strong>tige Gemeinde, auf die Jesu Sinn geri<strong>ch</strong>tet war.<br />

Kapitel 10<br />

Vom Aufbru<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa bis zum Einzug in Jerusalem<br />

Na<strong>ch</strong> dem Aufbru<strong>ch</strong> aus Galiläa zog Jesus ni<strong>ch</strong>t sofort <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem, sondern<br />

blieb zunä<strong>ch</strong>st im Ostjordanland <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> westwärts vom Jordan in den<br />

Dörfern Judäas. 10,1: Und er stand auf von dort <strong>und</strong> kommt in das Gebiet<br />

Judäas <strong>und</strong> auf die Ostseite des Jordans, <strong>und</strong> wieder versammeln si<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>aren<br />

bei ihm, <strong>und</strong> er lehrte sie wieder, wie er gewohnt war. Es folgen au<strong>ch</strong> bei <strong>Markus</strong><br />

die drei zusammenhängenden Stücke über die re<strong>ch</strong>te Ordnung der Ehe,<br />

über den Anteil der Kinder an der göttli<strong>ch</strong>en Gnade <strong>und</strong> über die Gefahr, die<br />

uns der Rei<strong>ch</strong>tum bringt.<br />

Darf man seine Frau aus jedem Gr<strong>und</strong> entlassen? lautet bei Matthäus die<br />

Frage, die Jesus vorgelegt wird. Das ist die jüdis<strong>ch</strong>e Gestalt der Frage, weil es<br />

in der Judens<strong>ch</strong>aft als zweifellos galt, daß S<strong>ch</strong>eidung zulässig sei, weil das Gesetz<br />

sie anerkannte. Dagegen war das Gewissen des Volks darüber verwirrt<br />

<strong>und</strong> beunruhigt, ob jeder Gr<strong>und</strong>, was es sei, genüge, die S<strong>ch</strong>eidung bere<strong>ch</strong>tigt<br />

zu ma<strong>ch</strong>en, oder ob nur gewisse Gründe, ernstere Verfehlungen der Frau, dazu<br />

bere<strong>ch</strong>tigten, da seine Lehrer ihm zum Teil ein S<strong>ch</strong>eidungsre<strong>ch</strong>t vormalten, das<br />

so weit rei<strong>ch</strong>te als das Belieben des Mannes. <strong>Markus</strong> sagt, 10,2: Und die Pharisäer<br />

traten heran <strong>und</strong> befragten ihn: 1st es dem Mann erlaubt, die Frau zu entlassen?<br />

um ihn zu versu<strong>ch</strong>en. Das ist die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>e Form der Frage, die auf die<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen S<strong>ch</strong>eidungsgründe keine Rücksi<strong>ch</strong>t nimmt, sondern die Frage an<br />

der Wurzel faßt, ob S<strong>ch</strong>eidung überhaupt re<strong>ch</strong>t sei oder ni<strong>ch</strong>t.<br />

10,3—9: Er aber antwortet <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Was hat eu<strong>ch</strong> Mose geboten?<br />

Sie aber sagten: Mose hat erlaubt, einen S<strong>ch</strong>eidebrief zu s<strong>ch</strong>reiben <strong>und</strong> die Frau<br />

zu entlassen. Jesus aber sagte zu ihnen: Wegen der Härte eures Herzens s<strong>ch</strong>rieb


<strong>Markus</strong> 10,1—12 87<br />

er eu<strong>ch</strong> dieses Gebot. Vom Anfang der S<strong>ch</strong>öpfung her aber s<strong>ch</strong>uf er sie als<br />

Mann <strong>und</strong> Weib. Deshalb wird ein Mens<strong>ch</strong> seinen Vater <strong>und</strong> seine Mutter verlassen,<br />

<strong>und</strong> die zwei werden zu e in e m Fleisclj. Also sind sie ni<strong>ch</strong>t mehr zwei,<br />

sondern ein Fleis<strong>ch</strong>. Darum soll der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eiden, was Gott verband.<br />

Bei dieser Bespre<strong>ch</strong>ung kamen zwei Bibelstellen zur Erläuterung. <strong>Die</strong> eine,<br />

5. Mose 24,1, die den S<strong>ch</strong>eidebrief erwähnt, war die, auf die si<strong>ch</strong> die jüdis<strong>ch</strong>en<br />

Lehrer beriefen; die andere, die S<strong>ch</strong>öpfUHgsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, 1. Mose 1,27 <strong>und</strong> 2,25,<br />

war die, aus der Jesus die reine, ursprüngli<strong>ch</strong>e Regel Gottes entnahm. <strong>Die</strong><br />

erste entkräftete Jesus dur<strong>ch</strong> die Erklärung, daß das Gesetz auf die unfolgsame<br />

Härte der Herzen in Israel Rücksi<strong>ch</strong>t nahm. In der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

sieht er dagegen den ursprüngli<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> bleibenden Willen Gottes ausgespro<strong>ch</strong>en,<br />

dur<strong>ch</strong> den die Ehe geheiligt sei. Gott hat dem einen Mann das eine "Weib<br />

verb<strong>und</strong>en, wobei die S<strong>ch</strong>rift beide ein Fleis<strong>ch</strong> heißt. Das, was Gott verb<strong>und</strong>en<br />

hat, darf der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t trennen. <strong>Markus</strong> beginnt mit der Gesetzesstelle,<br />

die Jesus entkräftet, worauf er positiv aus der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te die Heiligkeit<br />

der Ehe erweist. Bei Matthäus antwortet Jesus auf die jüdis<strong>ch</strong>e Frage dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß er aus der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te zeigt, was die Ehe <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes<br />

Ordnung ist. Damit ist die Frage <strong>na<strong>ch</strong></strong> den zulässigen S<strong>ch</strong>eidungsgründen völlig<br />

umgestürzt <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>eidung überhaupt zur Sünde gema<strong>ch</strong>t. Weil si<strong>ch</strong> die<br />

Hörer hiegegen sträuben <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> auf die Vors<strong>ch</strong>rift des Gesetzes berufen,<br />

sagt hierauf Jesus, daß diese Vors<strong>ch</strong>rift der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bosheit angepaßt war.<br />

Bei beiden ma<strong>ch</strong>t die Erklärung Jesu den S<strong>ch</strong>luß, daß die Heirat einer zweiten<br />

Frau <strong>na<strong>ch</strong></strong> Entlassung der ersten Ehebru<strong>ch</strong> sei. 10,10—12: Und im Hause<br />

befragten ihn die Jünger no<strong>ch</strong>mals darüber, <strong>und</strong> er sagt zu ihnen: Wer seine<br />

Frau entlaßt <strong>und</strong> eine andere heiratet, bri<strong>ch</strong>t an ihr die Ehe, <strong>und</strong> wenn sie ihren<br />

Mann entläßt <strong>und</strong> einen anderen heiratet, bri<strong>ch</strong>t sie die Ehe. Matthäus spri<strong>ch</strong>t<br />

nur vom Mann, <strong>Markus</strong> au<strong>ch</strong> von der Frau, wohl im Blick auf die größere<br />

Selbständigkeit der Frau in der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>-römis<strong>ch</strong>en Welt. Aber au<strong>ch</strong> in der<br />

Judens<strong>ch</strong>aft haben die vornehmen Damen, z. B. die zum Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t des Herodes<br />

gehörenden, es als ihr Re<strong>ch</strong>t behauptet, ihre Männer entlassen zu können,<br />

um in eine andere Ehe zu treten. Handelt die Frau so, so zeigt sie, daß ihr ihre<br />

eigensü<strong>ch</strong>tige, sinnli<strong>ch</strong>e Begehrli<strong>ch</strong>keit mehr gilt als die Liebe <strong>und</strong> Treue, die<br />

sie ihrem ersten Manne s<strong>ch</strong>uldete. Jesus nennt sie darum eine Ehebre<strong>ch</strong>erin,<br />

weil sie die S<strong>ch</strong>uld auf si<strong>ch</strong> hat, die auf allen liegt, die die eheli<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

gemein ma<strong>ch</strong>en. <strong>Markus</strong> sagt, Jesus habe dieses Wort im besonderen an seine<br />

Jünger geri<strong>ch</strong>tet, <strong>und</strong> bezei<strong>ch</strong>net dadur<strong>ch</strong> diese Regel ausdrückli<strong>ch</strong> als für die<br />

Christenheit bestimmt. Das Wort Jesu, das sagt, wann die Enthaltung von der<br />

Ehe ri<strong>ch</strong>tig ist <strong>und</strong> wozu sie erstrebt werden darf, hat <strong>Markus</strong> ni<strong>ch</strong>t wiederholt.


88 Vom Aufbru<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa bis zum Einzug in Jerusalem<br />

Er hätte es s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> übergangen, wenn er dem freiwilligen Verzi<strong>ch</strong>t auf die<br />

Ehe für die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Gemeinden Wi<strong>ch</strong>tigkeit beigelegt hätte. Für den ri<strong>ch</strong>tigen<br />

Wandel der Kir<strong>ch</strong>e war ihm dies das Wi<strong>ch</strong>tigste, daß Jesus der Ehe ihre<br />

reine Würde <strong>und</strong> unverletzbare Festigkeit zurückgegeben hat.<br />

10,13.14 a: Und sie trugen ihm Kinder zu, damit er sie berühre, aber die<br />

Jünger s<strong>ch</strong>alten sie. Als es aber Jesus sah, zürnte er. Indem <strong>Markus</strong> vom Zorne<br />

Jesu gegen die Jünger spri<strong>ch</strong>t, gibt er dem, was hier ges<strong>ch</strong>ah, Wi<strong>ch</strong>tigkeit <strong>und</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, daß in ihrem Verhalten ein s<strong>ch</strong>arfer Gegensatz gegen seinen<br />

Willen <strong>und</strong> ein Mißverständnis der Regierung Gottes lag, das in ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit ihm <strong>und</strong> miteinander eine s<strong>ch</strong>were Störung gebra<strong>ch</strong>t hätte. Ein<br />

anderes Evangelium wäre entstanden, ni<strong>ch</strong>t dasjenige Jesu, <strong>und</strong> eine andere<br />

Kir<strong>ch</strong>e, ni<strong>ch</strong>t die seine, wären die Kinder von ihm entfernt <strong>und</strong> das Christentum<br />

nur zur Sa<strong>ch</strong>e der Männer gema<strong>ch</strong>t worden. Darum hat Jesus ausdrückli<strong>ch</strong><br />

den Kindern den Weg zu ihm geöffnet. 10,14b: Und er sagte ihnen: Laßt die<br />

Kindlein zu mir kommen; wehrt ihnen ni<strong>ch</strong>t! Denn für sol<strong>ch</strong>e ist Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

da. <strong>Die</strong>ses Wort enthält ni<strong>ch</strong>t nur eine Verheißung für die Kinder, sondern<br />

zuglei<strong>ch</strong> eine Regel für alle, die au<strong>ch</strong> uns unterweist, wie uns der Anteil<br />

an Gottes Gnade zufällt. „Sol<strong>ch</strong>en" gehört sie <strong>und</strong> nur sol<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> niemand<br />

empfängt sie, als wer ein sol<strong>ch</strong>er ist.<br />

In wel<strong>ch</strong>em Sinne gilt es, daß Gott nur Kinder zu sicH beruft? Matthäus<br />

konnte das hier ohne Erläuterung lassen, weil er uns bereits beim Streit über<br />

den größten Jünger sagte, daß Jesus von ihnen verlangt hat, daß sie wie ein<br />

Kind werden <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> so niedrig <strong>und</strong> demütig wie ein Kind ma<strong>ch</strong>en, wenn sie<br />

groß vor Gott sein wollen. Weil uns <strong>Markus</strong> dort das Straf wort Jesu, das die<br />

Größe der Jünger zerbra<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t wiederholt hat, erläutert er hier, was Jesus<br />

meint, wenn er die Kinder ni<strong>ch</strong>t nur von Gottes vollkommenen Gaben ni<strong>ch</strong>t<br />

auss<strong>ch</strong>ließt, sonden sie nur sol<strong>ch</strong>en, die wie Kinder sind, verleiht. 10,15 : Wahrli<strong>ch</strong>,<br />

i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wer die Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes ni<strong>ch</strong>t wie ein Kind annimmt, geht<br />

ni<strong>ch</strong>t in sie ein. Empfangen wird Gottes Werk <strong>und</strong> Gabe, ni<strong>ch</strong>t erworben, ni<strong>ch</strong>t<br />

vom Mann dur<strong>ch</strong> männli<strong>ch</strong>e Tat ges<strong>ch</strong>affen, sondern von Jesus uns gebra<strong>ch</strong>t<br />

dur<strong>ch</strong> Gottes Gnade. Darum stehen alle vor Gottes Rei<strong>ch</strong> wie das Kind, weil<br />

es für alle eine Gabe ist, die ihnen die freie Güte s<strong>ch</strong>enkt, weshalb es von jedermann<br />

au<strong>ch</strong> nur so angenommen werden kann, wie ein Kind annimmt, das no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t von der Su<strong>ch</strong>t gefangen ist, si<strong>ch</strong> selbst zu verherrli<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> ho<strong>ch</strong> zu heben,<br />

sondern die Gabe dankbar nimmt <strong>und</strong> der Güte ni<strong>ch</strong>t mit Verda<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Zweifel<br />

widerstrebt.<br />

10,16: Und er umarmte sie, legte die Hände auf sie <strong>und</strong> segnete sie. Vor<br />

den Kindern brau<strong>ch</strong>te Jesus seine liebe ni<strong>ch</strong>t zu hüten, daß sie ni<strong>ch</strong>t miß-


<strong>Markus</strong> 10,13—18 89<br />

brau<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> besudelt werde. Hier waltet sie frei mit Gebärden <strong>und</strong> Worten.<br />

"Wo aber Jesu Liebe waltet, ist Gottes Rei<strong>ch</strong>, das wir dadur<strong>ch</strong> annehmen, daß<br />

Jesu Liebe gern <strong>und</strong> dankbar von uns empfangen wird.<br />

Na<strong>ch</strong>dem Jesus die Kinder bei si<strong>ch</strong> aufgenommen hatte, zerbra<strong>ch</strong> er den<br />

ho<strong>ch</strong>gemuten Sinn des Rei<strong>ch</strong>en. Indem <strong>Markus</strong> das Gesprä<strong>ch</strong> mit diesem kürzt,<br />

dagegen das S<strong>ch</strong>lußwort, das si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur an ihn, sondern an alle wendet <strong>und</strong><br />

von der Gefahr des Rei<strong>ch</strong>tums für jedermann spri<strong>ch</strong>t, <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong> bezeugt,<br />

hebt er dieses als die Hauptsa<strong>ch</strong>e hervor, der das, was Jesus jenem Rei<strong>ch</strong>en besonders<br />

sagte, zur Erläuterung dient. 10,17.18: Und als er auf die Straße<br />

hinauskam, lief einer herzu, kniete vor ihm nieder <strong>und</strong> fragte ihn: Guter Lehrer,<br />

was muß i<strong>ch</strong> tun, um ewiges Leben zu erben? Jesus aber sagt ihm: Warum<br />

heißest du mi<strong>ch</strong> gut? Keiner ist gut außer einem, Gott. Lehrer, was ist das<br />

Gute, das i<strong>ch</strong> tun soll, um ewiges Leben zu erhalten? lautete bei Matthäus die<br />

Frage des Rei<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> Jesu Antwort: Warum fragst du mi<strong>ch</strong> über das Gute?<br />

Einer ist der Gute. Bei beiden Evangelisten fragt ihn der Rei<strong>ch</strong>e, was er tun<br />

müsse, um das ewige Leben zu gewinnen, <strong>und</strong> bei beiden weist er ihn dieser<br />

Frage wegen ernst zure<strong>ch</strong>t, obwohl er, um das ewige Leben zu gewinnen, bereit<br />

war, alles zu tun, was ihm Jesus sagt. Uns mag es s<strong>ch</strong>einen, keine andere<br />

Frage hätte Jesus mit so großer Freudigkeit beantworten können wie diese.<br />

Aber beide Evangelisten sagen, daß er in ihr etwas Krankes <strong>und</strong> Fals<strong>ch</strong>es sah,<br />

das er verwarf. Na<strong>ch</strong> beiden Beri<strong>ch</strong>ten hält Jesus dem Rei<strong>ch</strong>en vor, daß er<br />

Gott vergesse, den, der allein gut ist, <strong>und</strong> Gottes Gebote umgehe, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong><br />

sind sie <strong>und</strong> sie allein die Antwort auf die Frage, was ein Mens<strong>ch</strong> tun müsse,<br />

damit er das ewige Leben finde. <strong>Die</strong> Verleugnung Gottes, die in der Frage enthalten<br />

war, ma<strong>ch</strong>te sie fals<strong>ch</strong>.<br />

So, wie Matthäus das Wort Jesu gibt, zündet es mit mä<strong>ch</strong>tigem Li<strong>ch</strong>t mitten<br />

in die Verkehrtheit des jüdis<strong>ch</strong>en Gottesdienstes hinein. Indem der Fragende<br />

Jesus über das, was gut sei, ausfors<strong>ch</strong>t, stellt er si<strong>ch</strong>, als ob das Gute eine<br />

dunkle, geheimnisvolle Sa<strong>ch</strong>e sei, über die man si<strong>ch</strong> an die berühmten Lehrer<br />

wenden müsse, damit man von ihnen Rat <strong>und</strong> Anweisung erhalte, was Gott<br />

wohlgefällig sei. Auf eine sol<strong>ch</strong>e Frage antwortet Jesus ni<strong>ch</strong>t, weil er Gott<br />

ni<strong>ch</strong>t die Unehre antut, als ob ein anderer gut wäre als er, ein anderer hier<br />

Gebot stellen <strong>und</strong> Rat erteilen könnte als er, als wäre Gottes Gebot <strong>und</strong>eutli<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> ungenügend. Wer <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Guten fragt, fragt <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Willen,<br />

<strong>und</strong> dieser ist klar <strong>und</strong> offenbar: Halte die Gebote! Sie liegen in jedermanns<br />

Hand, in jedermanns M<strong>und</strong>, in jedermanns Verstand. Statt dessen läuft<br />

Israel zu seinen Lehrern <strong>und</strong> fragt: Was sollen wir tun? <strong>und</strong> wirft eben dadur<strong>ch</strong><br />

Gottes Gebot beiseite <strong>und</strong> verleugnet den, der allein gut ist. Damit hat


9° Vom Aufbru<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa bis zum Einzug in Jerusalem<br />

Jesus ni<strong>ch</strong>ts gemein. In der Art, wie <strong>Markus</strong> uns die Antwort Jesu gibt, zeigt er<br />

mit großem Ernst auf die fals<strong>ch</strong>e Ehre hin, die mit einer sol<strong>ch</strong>en Frage dem<br />

menscMi<strong>ch</strong>en Lehrer gespendet wird. Ihn rühmt der Fragende als gut, ma<strong>ch</strong>t<br />

ihn zu seinem Meister, von dem er si<strong>ch</strong> führen läßt, <strong>und</strong> vergißt darob, daß<br />

nur einer uns das Gute sagen, nur einer uns auf dem Wege ins ewige Leben<br />

Führer sein kann, Gott <strong>und</strong> Gott allein. Von einer sol<strong>ch</strong>en Ehre, die Gott entehrt,<br />

will Jesus ni<strong>ch</strong>ts wissen <strong>und</strong> läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als den Guten feiern, während<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig auf Gott der Verda<strong>ch</strong>t geworfen wird, sein Gebot sei <strong>und</strong>eutli<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> zeige uns den Weg zum ewigen Leben ni<strong>ch</strong>t. Auf Kosten Gottes läßt si<strong>ch</strong><br />

Jesus ni<strong>ch</strong>t loben <strong>und</strong> setzt ni<strong>ch</strong>t seinen Rat an die Stelle des göttli<strong>ch</strong>en Gebots,<br />

sondern spri<strong>ch</strong>t als der Sohn, der niemand Güte zuerkennt als einzig Gott <strong>und</strong><br />

allein Gottes Willen preist.<br />

Au<strong>ch</strong> in dieser Fassung leu<strong>ch</strong>tet das Wort tief in die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Verkehrtheit<br />

hinein. Überall setzen si<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en Meister, in deren S<strong>ch</strong>ule sie si<strong>ch</strong><br />

geben <strong>und</strong> die sie an Gottes Statt verehren. So hielt es der Grie<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> der<br />

Jude, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> in der Christenheit heftet si<strong>ch</strong> an die seelsorgerli<strong>ch</strong>e Beratung<br />

immer dieselbe Gefahr. Es reizt die Eigenliebe <strong>und</strong> Selbstbew<strong>und</strong>erung, wenn<br />

uns andere als die Guten verehren, <strong>na<strong>ch</strong></strong> deren Rat sie fragen <strong>und</strong> ihr Leben<br />

einri<strong>ch</strong>ten. Darum hält uns <strong>Markus</strong> Jesus vor, der si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> als der Sohn<br />

Gottes bewährt, daß er ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong> das Lob der Güte begehrt <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

in der Rolle dessen wohlgefälit, der anderen Gebote geben kann, sondern alle,<br />

au<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selber, vor Gott beugt als vor dem, der allein gut ist <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> den<br />

allein die gut werden, die in das ewige Leben gehen. Es ist lehrrei<strong>ch</strong>, daß beide<br />

Evangelisten vom Verda<strong>ch</strong>t, der heute weit verbreitet ist, völlig unberührt<br />

sind, daß Jesus mit diesem Wort die Sohns<strong>ch</strong>aft Gottes von si<strong>ch</strong> ablehne <strong>und</strong><br />

au<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selber zu denen re<strong>ch</strong>ne, die boshaft sind. Es steht in beiden Beri<strong>ch</strong>ten<br />

mit derselben Deutli<strong>ch</strong>keit, daß Jesus einzig Gott gut heißt, <strong>und</strong> dies gilt ihnen<br />

ni<strong>ch</strong>t als dunkel, ni<strong>ch</strong>t als einer Erläuterung bedürftig. Darin, daß Jesus nur<br />

Gott für gut hielt, ihn aber au<strong>ch</strong> ganz, daß eben dies seine eigene Güte, Sündlosigkeit<br />

<strong>und</strong> Vollkommenheit ausma<strong>ch</strong>te, daß er niemand <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts zugestand,<br />

gut zu sein, als Gott <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> beständig einzig an ihn, an seinen Willen,<br />

an sein Gebot <strong>und</strong> Wort hielt <strong>und</strong> von niemand si<strong>ch</strong> leiten ließ als von Gott<br />

allein, hat niemand in der ersten Christenheit eine S<strong>ch</strong>wierigkeit gef<strong>und</strong>en;<br />

denn wo das Verständnis hierfür fehlt, fehlt jeder Blick in Jesu Herrli<strong>ch</strong>keit.<br />

Für Jesu Jünger wurde dadur<strong>ch</strong>, daß er ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>, sondern den Vater verherrli<strong>ch</strong>t,<br />

Jesu Sohns<strong>ch</strong>aft ni<strong>ch</strong>t dunkel, sondern offenbar.<br />

Mit dem eben erläuterten Unters<strong>ch</strong>ied hängt weiter zusammen, daß Jesu<br />

Antwort bei Matthäus zunä<strong>ch</strong>st ni<strong>ch</strong>ts anderes enthält als: Halte die Gebote!


<strong>Markus</strong> IO,IÇ—zi 9 1<br />

Darauf fragt der Rei<strong>ch</strong>e: Wel<strong>ch</strong>e? <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong>mals deutli<strong>ch</strong>, worin<br />

er mit Jesu Sinn ni<strong>ch</strong>t zusammentrifft. Für Jesus ist es eine klare <strong>und</strong> gewisse<br />

Sa<strong>ch</strong>e, was Gott geboten hat, während dem Rei<strong>ch</strong>en mit dieser Antwort<br />

Jesu no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts gesagt s<strong>ch</strong>ien. Nun zählt ihm Jesus den jedermann bekannten<br />

zweiten Teil der zehn Gebote auf, der Gottes Willen allen deutli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> heilig<br />

ma<strong>ch</strong>t. Bei <strong>Markus</strong> fehlt die Frage des Rei<strong>ch</strong>en: Wel<strong>ch</strong>e Gebote? Jesus fährt<br />

einfa<strong>ch</strong> fort. 10,19: Du kennst die Gebote: Du sollst ni<strong>ch</strong>t töten, ni<strong>ch</strong>t ehebre<strong>ch</strong>en,<br />

ni<strong>ch</strong>t stehlen, ni<strong>ch</strong>t fals<strong>ch</strong>es Zeugnis geben, ni<strong>ch</strong>t fremdes Eigentum<br />

an di<strong>ch</strong> ziehen; ehre deinen Vater <strong>und</strong> deine Mutter. Au<strong>ch</strong> hier ist bei <strong>Markus</strong><br />

alles Wesentli<strong>ch</strong>e an der Antwort Jesu erhalten; einzig der Kampf Jesu gegen<br />

Israels frommen Übermut, der si<strong>ch</strong> weit über diese Gebote hinausdünkt, sie<br />

zwar hält, aber do<strong>ch</strong> für etwas Geringes a<strong>ch</strong>tet <strong>und</strong> nun erst no<strong>ch</strong> fragt: Was<br />

muß i<strong>ch</strong> tun? ist uns bei <strong>Markus</strong> ni<strong>ch</strong>t so deutli<strong>ch</strong> wie bei Matthäus gezeigt.<br />

Dann nannte ihm Jesus die Tat, mit der er zeigen kann, daß er mit Ernst<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem ewigen Leben tra<strong>ch</strong>tet <strong>und</strong> Gott über alle Dinge liebt. 10,20. 21:<br />

Er aber sagte ihm: Lehrer, dies alles habe i<strong>ch</strong> von meiner Jugend an gehalten.<br />

Aber Jesus sah ihn an, gewann ihn lieb <strong>und</strong> sagte ihm: Eines fehlt dir: Geh,<br />

verkaufe, was du hast, <strong>und</strong> gib es den Armen, <strong>und</strong> du wirst einen S<strong>ch</strong>atz im<br />

Himmel haben, <strong>und</strong> komm; folge mir <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Matthäus hat uns die Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

der Verheißung Jesu dadur<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t, daß er dem Rei<strong>ch</strong>en, wenn er<br />

ihm gehor<strong>ch</strong>t, die Vollkommenheit anbietet. Wagt er den S<strong>ch</strong>ritt, zu dem ihn<br />

Jesus beruft, so gewinnt er das, was Gott uns s<strong>ch</strong>enkt, ganz <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t seinen<br />

Anteil an seiner Gnade fest. Weil uns aber der Gedanke an die Vollkommenheit<br />

lei<strong>ch</strong>t verwirrt, da wir unsere eigensü<strong>ch</strong>tigen Wüns<strong>ch</strong>e, die nur die mögli<strong>ch</strong>st<br />

große Steigerung unseres eigenen Lebens begehren, mit ihm vermengen,<br />

hält uns <strong>Markus</strong> ohne den Hinweis auf die Vollkommenheit die gnadenvolle<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit des Gebotes Jesu dadur<strong>ch</strong> vor, daß er sagt, Jesus habe den Rei<strong>ch</strong>en<br />

deshalb zur Armut berufen, weil er ihm seine Liebe gab. Wir sollen in<br />

seinem Gebot keine Härte sehen <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen, er handle als strenger Zu<strong>ch</strong>tmeister<br />

am Rei<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> bürde ihm eine harte Probe auf, sollen au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur<br />

an den Bußernst Jesu denken, daß er den Rei<strong>ch</strong>en beugt, zur Selbsterkenntnis<br />

bringt <strong>und</strong> ihm seine Geb<strong>und</strong>enheit vor die Augen hält. Seine Liebe erwies ihm<br />

Jesus dur<strong>ch</strong> das, was er von ihm verlangte. Weil er ihn liebhatte, darum rang<br />

er um seine Seele <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te den Versu<strong>ch</strong>, die Bande zu zerbre<strong>ch</strong>en, die ihn<br />

hinderten, damit er ihm die Freiheit vers<strong>ch</strong>affe. Weil er ihn liebhatte, bot er<br />

ihm seine Jüngers<strong>ch</strong>aft an, die er freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t anders bekommen kann als so,<br />

daß er seinen Rei<strong>ch</strong>tum fahren läßt. Das dürfen wir aber <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Sinn ni<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>wer heißen. In Jesu Augen war der kein unglückli<strong>ch</strong>er, armer Mann, der


9 2 Vom Aufbru<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa bis zum Einzug in Jerusalem<br />

um seinetwillen alles verließ; denn in Jesu M<strong>und</strong> war es kein leeres Wort: Du<br />

wirst einen S<strong>ch</strong>atz im Himmel haben; dein Vermögen <strong>und</strong> Rei<strong>ch</strong>tum liegt nun<br />

bei Gott. <strong>Die</strong>ses Besitztum hat Jesus für wirkli<strong>ch</strong>en, e<strong>ch</strong>ten Rei<strong>ch</strong>tum gehalten<br />

<strong>und</strong> diesen dem Rei<strong>ch</strong>en mit herzli<strong>ch</strong>er Liebe gegönnt. 10,22: Er aber wurde<br />

über dieses Wort unwillig <strong>und</strong> ging betrübt weg; denn er hatte große Besitzungen.<br />

Das muß niemand erst erklären; jedermann kennt sein eigenes Herz.<br />

Au<strong>ch</strong> damals wie oft haben die Jünger die Ma<strong>ch</strong>t empf<strong>und</strong>en, die im Auge<br />

Jesu lag <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> ihnen bei sol<strong>ch</strong>en Ereignissen unvergeßli<strong>ch</strong> einprägte. 10,23a:<br />

Und Jesus blickte rings um si<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> las in ihnen, was sie dazu sagen, ob ihnen<br />

sein Gebot töri<strong>ch</strong>t, s<strong>ch</strong>wer <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>merzhaft s<strong>ch</strong>eine, oder ob sie los von der<br />

Fessel seien, die den Rei<strong>ch</strong>en band, ob au<strong>ch</strong> sie do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> begehrli<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> derjenigen<br />

Habe hinübers<strong>ch</strong>ielen, um deren willen jener Jesu Jüngers<strong>ch</strong>aft gering<br />

s<strong>ch</strong>ätzte. Und weil er, als er rings um si<strong>ch</strong> blickte, vielerlei in den Seinen sah,<br />

spra<strong>ch</strong> er gewaltig aus, wie ohnmä<strong>ch</strong>tig wir Mens<strong>ch</strong>en der Gewalt jener Begehrungen<br />

unterliegen, die der Besitz in uns erweckt, <strong>und</strong> als die Jünger vor<br />

dem Ernst seines Bußworts erbebten, setzte er über dieses den Preis der allmä<strong>ch</strong>tigen<br />

Gnade, die mögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t, was uns unmögli<strong>ch</strong> ist. 10,2315—27: Und<br />

er sagt zu seinen Jüngern: Wie s<strong>ch</strong>wierig wird es für die sein, die den Rei<strong>ch</strong>tum<br />

haben, in Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft einzugehen. <strong>Die</strong> Jünger aber erstaunten über<br />

seine Worte. Aber Jesus antwortete no<strong>ch</strong>mals <strong>und</strong> sagt zu ihnen: Kinder, wie<br />

s<strong>ch</strong>wierig ist es, in Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft einzugehen. Lei<strong>ch</strong>ter ist es, daß ein Kamel<br />

dur<strong>ch</strong> das Lo<strong>ch</strong> der Nadel dur<strong>ch</strong>gehe, als daß ein Rei<strong>ch</strong>er in Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

eingehe. Sie aber ers<strong>ch</strong>raken überaus <strong>und</strong> sagten zueinander: Wer kann denn<br />

errettet werden? Jesus sah sie an <strong>und</strong> sagt: Bei den Mens<strong>ch</strong>en ist es unmögli<strong>ch</strong>,<br />

aber ni<strong>ch</strong>t bei Gott. Denn bei Gott ist alles mögli<strong>ch</strong>.<br />

Hier liegen uns verkehrte Gedanken nahe, die dem, was wir sonst an Jesus<br />

sehen, widerspre<strong>ch</strong>en würden. Sonst heißt er uns das, was uns gemein ma<strong>ch</strong>t,<br />

s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> verdirbt, ni<strong>ch</strong>t draußen in den Dingen, sondern bei uns selber<br />

su<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> blickt auf unsere inwendige Lebensgestalt als auf- den Ort, an dem<br />

das Gute oder das Böse wä<strong>ch</strong>st, Göttli<strong>ch</strong>es oder Teuflis<strong>ch</strong>es si<strong>ch</strong> findet, Gott<br />

sein Werk in uns s<strong>ch</strong>afft, wie immer unsere äußere Lage si<strong>ch</strong> wende, <strong>und</strong> allein<br />

jenes Übel heimis<strong>ch</strong> ist, das uns um die Gnade bringt. Ob wir aber rei<strong>ch</strong> sind<br />

oder arm, ist zunä<strong>ch</strong>st ein äußerer Unters<strong>ch</strong>ied, ein Unters<strong>ch</strong>ied im Maß der<br />

Dinge, über die wir Ma<strong>ch</strong>t haben, etwas uns Fremdes, was ni<strong>ch</strong>t in unser Wesen<br />

fällt. Sollen wir nun draußen su<strong>ch</strong>en, was uns selig oder unselig ma<strong>ch</strong>t, im<br />

Armsein unser Heil, im Rei<strong>ch</strong>sein unser Verderben sehen? Damit hätten wir<br />

ni<strong>ch</strong>t verstanden, was Jesus hier ausgespro<strong>ch</strong>en hat. Er heißt uns ni<strong>ch</strong>t die<br />

Summen zählen, die wir haben, sondern darauf a<strong>ch</strong>ten, was unser Geld für


<strong>Markus</strong> 10,22—30 93<br />

9 • '<br />

uns bedeutet, wie wir es s<strong>ch</strong>ätzen, ob wir unsere Zuversi<strong>ch</strong>t aus ihm ziehen,<br />

so daß es uns an Gottes Statt tritt, <strong>und</strong> wir uns vor Gott <strong>und</strong> den Mens<strong>ch</strong>en<br />

darauf gründen, daß wir rei<strong>ch</strong>e Leute sind. Au<strong>ch</strong> hier s<strong>ch</strong>ilt Jesu Bußwort ni<strong>ch</strong>t<br />

die Dinge <strong>und</strong> die Verhältnisse, in denen wir leben, sondern uns Mens<strong>ch</strong>en<br />

trifft sein Wort, unsere fals<strong>ch</strong>e Liebe, die si<strong>ch</strong> von Gott weg auf die Dinge<br />

ri<strong>ch</strong>tet <strong>und</strong> an sie hängt, unser inwendiges Verhältnis zu ihnen <strong>und</strong> die Herrs<strong>ch</strong>aft,<br />

die wir ihnen über uns selbst gewähren. Da kennt nun Jesus freili<strong>ch</strong><br />

keine uns<strong>ch</strong>uldigen Rei<strong>ch</strong>en, keinen Rei<strong>ch</strong>tum, an dem ni<strong>ch</strong>t Sünde <strong>und</strong> Fall<br />

klebte, keinen, der ni<strong>ch</strong>t sein Geld abgöttis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ätzte <strong>und</strong> ihm ni<strong>ch</strong>t ein Vertrauen<br />

erwiese, das ihm ni<strong>ch</strong>t gebührt, keinen, der sagen dürfte, daß ihm sein<br />

Geld Gott nie verdunkelt hat. Deshalb, weil am Geld Sünde hängt <strong>und</strong> an<br />

vielem Geld viele Sünde <strong>und</strong> die Sünde von Gott s<strong>ch</strong>eidet, darum <strong>und</strong> einzig<br />

darum glei<strong>ch</strong>t der Eintritt des Rei<strong>ch</strong>en in Gottes Rei<strong>ch</strong> dem Dur<strong>ch</strong>gang des<br />

Kamels dur<strong>ch</strong> das Nadello<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ist für ihn eine unmögli<strong>ch</strong>e Sa<strong>ch</strong>e, die Gott<br />

allein mögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t.<br />

Weil Jesus aufs neue am Rei<strong>ch</strong>en gezeigt hat, daß er nur sol<strong>ch</strong>e Männer in<br />

seinen Jüngerkreis nahm, die seinetwegen alles verlassen konnten, spri<strong>ch</strong>t<br />

Petrus aus, daß die Jünger seiner Berufung gehor<strong>ch</strong>t haben. 10,28: Petrus begann<br />

zu ihm zu sagen:Sieh! wir haben alles verlassen <strong>und</strong> sind dir <strong>na<strong>ch</strong></strong>gefolgt.<br />

Dabei liegt eine Frage in seiner Seele, die Matthäus au<strong>ch</strong> ausgedrückt hat: Was<br />

wird uns deshalb zuteil werden? Obwohl er diese Frage so stellt, daß sie Jesus<br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>elten muß, sondern freudig mit dem ganzen Rei<strong>ch</strong>tum seiner Verheißung<br />

beantwortet hat, fehlt sie bei <strong>Markus</strong> do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> ohne Gr<strong>und</strong>.<br />

Wenn wir sie wiederholen, erhält sie lei<strong>ch</strong>t einen unreinen Ton, weil wir ein<br />

selbstsü<strong>ch</strong>tiges Begehren in sie legen <strong>und</strong> mit ihr die Treue des <strong>Die</strong>nstes <strong>und</strong> die<br />

Reinheit der Liebe kränken. <strong>Markus</strong> will uns ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> das Beispiel des<br />

Petrus zu lohnsü<strong>ch</strong>tigen Fragen anleiten <strong>und</strong> stellt uns darum nur das vor<br />

Augen, wie die Jünger ohne Vorbehalt ihr ganzes Hoffen <strong>und</strong> Begehren auf<br />

Jesus stellten, ni<strong>ch</strong>ts mehr hatten als ihn <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts mehr waren als seine Ber<br />

gleiter, so daß ihr Ges<strong>ch</strong>ick völlig an dem seinigen hing. Es war Jesu Freude,<br />

ihnen zu bes<strong>ch</strong>reiben, wieviel sie dadur<strong>ch</strong>, daß sie ni<strong>ch</strong>ts mehr haben als ihn,<br />

gewinnen.<br />

10,29. 30: Jesus sagte: Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Es gibt keinen, der ein Haus<br />

oder Brüder oder S<strong>ch</strong>western oder die Mutter oder den Vater oder Kinder<br />

oder Äcker um meinetwillen <strong>und</strong> um der guten Bots<strong>ch</strong>aft willen verlassen hat,<br />

ohne daß er h<strong>und</strong>ertfa<strong>ch</strong> jetzt in dieser Zeit Häuser <strong>und</strong> Brüder <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>western<br />

<strong>und</strong> Mütter <strong>und</strong> Kinder <strong>und</strong> Äcker erhalte unter Verfolgungen <strong>und</strong> in<br />

der kommenden Welt ewiges Leben. <strong>Die</strong> auf ihn gestellte Hoffnung wird sie


94 Vom Aufbru<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa bis zum Einzug in Jerusalem<br />

'Zi<br />

ni<strong>ch</strong>t betrügen. <strong>Die</strong> verlassenen Häuser, Familien <strong>und</strong> Äcker kommen ihnen<br />

h<strong>und</strong>ertfa<strong>ch</strong> wieder; dur<strong>ch</strong> sie sammelt er ja seine Gemeinde, in der sie alles<br />

rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> haben, was sie für ihr irdis<strong>ch</strong>es Leben brau<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> so frei von Sorge<br />

<strong>und</strong> so rei<strong>ch</strong> an Liebe werden wie nie zuvor, wie sie es nie ohne ihn erlangt<br />

hätten. Das verbindet si<strong>ch</strong> freili<strong>ch</strong> mit Verfolgungen, wird aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

diese ni<strong>ch</strong>t gestört. Bei den s<strong>ch</strong>weren Worten Jesu über das, was er von der<br />

Treue der Seinen verlangt, verbleibt es. Darin setzt si<strong>ch</strong> die Notwendigkeit,<br />

alles um seinetwillen zu lassen, immer wieder fort. Sie dürfen aber ihre Hoffnung<br />

no<strong>ch</strong> hoher heben über die irdis<strong>ch</strong>en Verhältnisse empor zur zukünftigen<br />

Welt, wo der, der hier auf Erden ni<strong>ch</strong>ts mehr hatte, als was Jesus für ihn hat,<br />

das ewige Leben empfängt.<br />

Das sagt Jesus jedem zu, der Haus oder Brüder verläßt um seinetwillen <strong>und</strong><br />

um des göttli<strong>ch</strong>en Worts willen. Damit ist ähnli<strong>ch</strong> wie 8,35 ausgespro<strong>ch</strong>en,<br />

warum dieses Wort ni<strong>ch</strong>t nur für Petrus <strong>und</strong> die ersten Jünger, sondern au<strong>ch</strong><br />

für die Späteren seine volle Bedeutung behält. <strong>Die</strong> göttli<strong>ch</strong>e Bots<strong>ch</strong>aft darf<br />

ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>wiegen <strong>und</strong> verleugnet werden. In ihrer Verkündigung <strong>und</strong> Verteidigung<br />

kann es der Christenheit immer wieder ges<strong>ch</strong>ehen, daß sie alles fahren<br />

lassen muß <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts mehr hat, als daß sie in der Na<strong>ch</strong>folge Jesu steht.<br />

Bei Matthäus beantwortet Jesus die Frage des Petrus zuerst dadur<strong>ch</strong>, daß er<br />

den Jüngern die Throne in Israel zusagt. <strong>Die</strong>se Verheißung wandte si<strong>ch</strong> an die<br />

Zwölf allein, weshalb sie <strong>Markus</strong> ni<strong>ch</strong>t wiederholt. Er hat uns diejenige Verheißung<br />

vorgehalten, an die si<strong>ch</strong> jeder halten durfte, der um Jesu willen alles<br />

zu verlassen berufen war.<br />

Jesu Verheißung ist uns aber ni<strong>ch</strong>t dazu gegeben, damit wir daran die<br />

Hoffart nähren <strong>und</strong> uns ihrer in träger Ruhe getrösten. 10,31: Aber viele<br />

Erste werden Letzte <strong>und</strong> die Letzten Erste sein. Wir stehen no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t da, wohin<br />

uns Gottes Urteil s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> stellen wird, <strong>und</strong> können darum weder für<br />

uns no<strong>ch</strong> für andere bere<strong>ch</strong>nen, was dieses uns zuteilen wird. Matthäus hat<br />

diese Regel herrli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>nis erläutert, in dem der Herr des Weinbergs<br />

seine Arbeiter <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem freien Ermessen belohnt. Da <strong>Markus</strong> überhaupt<br />

die Glei<strong>ch</strong>nisse zurückstellt, lesen wir bei ihm nur den Spru<strong>ch</strong>, zu dem<br />

das Glei<strong>ch</strong>nis die Ausführung gab.<br />

Bereits war Jerusalem das Ziel der Wanderung Jesu. 10,32 a: Sie waren<br />

aber unterwegs <strong>und</strong> zogen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem hinauf, <strong>und</strong> Jesus ging ihnen voran,<br />

<strong>und</strong> sie staunten; die aber, die ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>zogen, für<strong>ch</strong>teten si<strong>ch</strong>. Seinen Jüngern<br />

hatte er zwar die Angst genommen, daß sein Gang <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem in Untergang<br />

<strong>und</strong> Jammer ende. Sie glaubten ihm ja <strong>und</strong> hielten fest, daß er der Christus<br />

sei. So war für sie die Fur<strong>ch</strong>t, die den weiteren Kreis derer, die si<strong>ch</strong> in


<strong>Markus</strong> 10,31—38 95<br />

Jesu Nähe hielten, erregte, überw<strong>und</strong>en. Aber ein tiefes Staunen, daß si<strong>ch</strong> die<br />

Dinge so gewandt hatten <strong>und</strong> wie sie si<strong>ch</strong> wohl weiter wenden <strong>und</strong> den Ausgang<br />

finden, lag au<strong>ch</strong> auf ihrer Seele. Darum erläuterte Jesus seinen Jüngern<br />

die Leidensweissagung. 10,3213—34: Und er nahm die Zwölf no<strong>ch</strong>mals zu si<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> begann ihnen zu sagen, was ihm widerfahren werde: Seht! wir ziehen<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem hinauf, <strong>und</strong> der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en wird den Hohenpriestern<br />

<strong>und</strong> S<strong>ch</strong>rift gelehrten überantwortet werden, <strong>und</strong> sie werden ihn zum Tod<br />

verurteilen <strong>und</strong> ihn den Heiden überantworten <strong>und</strong> ihn verspotten <strong>und</strong> anspeien<br />

<strong>und</strong> geißeln <strong>und</strong> töten, <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> drei Tagen wird er auferstehen.<br />

Jakobus <strong>und</strong> Johannes baten Jesus um die Sitze neben seinem Thron.<br />

10,35—37: Und Jakobus <strong>und</strong> Johannes, die Söhne des Zebedäus, treten an ihn<br />

heran <strong>und</strong> sagen zu ihm: Lehrer, wir wollen, daß du uns tuest, was wir von<br />

dir erbitten. Er aber sagte zu ihnen: Was wollt ihr, daß i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> tun soll? Sie<br />

aber sagten zu ihm: Gib uns, daß wir einer zu deiner Re<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> einer zu<br />

deiner Linken sitzen dürfen in deiner Herrli<strong>ch</strong>keit. Sie baten, sagt Matthäus,<br />

mit Hilfe ihrer Mutter, während <strong>Markus</strong> die Mutter ni<strong>ch</strong>t nennt, sondern die<br />

Kühnheit ihrer Bitte, die stürmis<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Größten greift <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> wieder<br />

wegen der Größe des Erbetenen zagt, dadur<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reibt, daß sie glei<strong>ch</strong> die<br />

Zusage der Erhörung verlangen, no<strong>ch</strong> bevor sie auszuspre<strong>ch</strong>en wagen, um was<br />

sie bitten. Da mit dem Ende Jesu die letzten großen Ents<strong>ch</strong>eidungen ras<strong>ch</strong><br />

kommen mußten, war das Herz der Jünger in starker Bewegung; wer jetzt<br />

zugreift, wird das Hö<strong>ch</strong>ste gewinnen. Jesus hat ihnen bisher besondere Liebe<br />

erwiesen; sie wissen, daß er ihnen traut. So wagen sie, ihn um das Verspre<strong>ch</strong>en<br />

zu bitten, das ihnen seine besondere Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen in ewiger Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

si<strong>ch</strong>ern wird. Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>, aber fest beugt sie Jesus in die ruhige, gehorsame<br />

Unterordnung unter Gottes Regierung zurück.<br />

10,38: Jesus aber spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Ihr wißt ni<strong>ch</strong>t, was ihr bittet. Könnt ihr<br />

den Be<strong>ch</strong>er trinken, den i<strong>ch</strong> trinke, oder mit der Taufe getauft werden, mit<br />

der i<strong>ch</strong> getauft werde? "Wer mit ihm herrs<strong>ch</strong>en will, muß mit ihm den Be<strong>ch</strong>er<br />

trinken, den ihm der Vater rei<strong>ch</strong>t. <strong>Markus</strong> stellt zum Be<strong>ch</strong>er no<strong>ch</strong> die Taufe.<br />

In seinem Gang ans Kreuz hat Jesus eine Taufe gesehen. Man rüstete si<strong>ch</strong> ja<br />

in Israel zu allem, was Reinheit <strong>und</strong> Heiligkeit erforderte, dadur<strong>ch</strong>, daß man<br />

zuerst an si<strong>ch</strong> das Taufbad vollzog. Es war z. B. jedesmal zuerst die Taufe<br />

nötig, wenn jemand den Einlaß ins Heiligtum begehrte. Jesu Taufe ist sein<br />

Kreuz; dieses ist seine Zubereitung zum Eingang in Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit, seine<br />

Weihe, die ihn zum Heiligen Gottes ma<strong>ch</strong>t. Es nimmt von ihm, was seine Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit dem Vater jetzt no<strong>ch</strong> hemmt, die irdis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit <strong>und</strong> die<br />

Glei<strong>ch</strong>heit des Mens<strong>ch</strong>ensohns mit der Sünderwelt, <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t ihm den Zu-


5)6 Vom Aufbru<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa bis zum Einzug in Jerusalem<br />

gang zu Gottes Thron frei. "Wer aber seinen Thron mit ihm teilen will, muß<br />

au<strong>ch</strong> die Taufe mit ihm teilen, dur<strong>ch</strong> die er zu seiner Herrli<strong>ch</strong>keit bereitet wird.<br />

Indem Jesus das Kreuz den Be<strong>ch</strong>er heißt, s<strong>ch</strong>aut er auf Gottes Hand, die<br />

ihm dasselbe zumißt <strong>und</strong> auflegt. Derselbe Blick auf den Vater, der ihn ins<br />

Leiden führt, liegt darin, daß er dasselbe seine Taufe nennt, weil jede Taufe<br />

auf göttli<strong>ch</strong>er Verordnung beruht, da nur Gott das Mittel einsetzt, das uns<br />

vor ihm Reinheit gibt. Es kommt aber mit der neuen Verglei<strong>ch</strong>ung no<strong>ch</strong> ein<br />

Neues hinzu; diese s<strong>ch</strong>aut ni<strong>ch</strong>t nur darauf, daß Jesu Leiden von Gott kommt,<br />

sondern au<strong>ch</strong> darauf, wozu es kommt <strong>und</strong> wel<strong>ch</strong>e Fru<strong>ch</strong>t es s<strong>ch</strong>afft. Es ist ni<strong>ch</strong>t<br />

die Verhinderung seines Werks, das er als der Christus tut, vielmehr seine<br />

Zubereitung zu diesem; eben in der Gestalt, die das Kreuz ihm gibt, empfängt<br />

er die Herrli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> hat er die wirksame Gnade, die Heilandsma<strong>ch</strong>t. So<br />

bereitet dieses Wort das spätere vor, mit dem Jesus den Jüngern den <strong>Die</strong>nst<br />

erklärt hat, den er mit seinem Todesgang den Mens<strong>ch</strong>en tut, daß seine Seele<br />

das Lösegeld für viele sei. Deshalb, weil sein Sterben seine Taufe ist, gibt es<br />

ihm die Heilandsma<strong>ch</strong>t, mit der er die Vielen befreit.<br />

<strong>Die</strong> Jünger waren bereit, mit ihm zu leiden, <strong>und</strong> er sagt es ihnen au<strong>ch</strong> zu,<br />

daß sie sein Leiden mit ihm teilen dürfen <strong>und</strong> können. 10,39: Sie aber sagten<br />

zu ihm: Wir können es. Jesus aber sagte zu ihnen: Den Be<strong>ch</strong>er, den i<strong>ch</strong> trinke,<br />

werdet ihr trinken <strong>und</strong> mit der Taufe getauft werden, mit der i<strong>ch</strong> getauft<br />

werde. Er lehrt au<strong>ch</strong> sie auf alles verzi<strong>ch</strong>ten um Gottes willen, ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> sie<br />

von si<strong>ch</strong> selber los, daß sie Gott au<strong>ch</strong> mit ihrem Tode zu preisen vermögen,<br />

<strong>und</strong> erweckt au<strong>ch</strong> in ihnen jenen ganzen Glauben, der si<strong>ch</strong> ohne Vorbehalt in<br />

Gottes Hände legt. Das lernen sie auf seinem Kreuzesweg, auf dem er sie mit<br />

si<strong>ch</strong> führt <strong>und</strong> bei si<strong>ch</strong> erhält, jetzt in Jerusalem, später au<strong>ch</strong> in ihrem Apostelwerk.<br />

Er bringt au<strong>ch</strong> sie dadur<strong>ch</strong> zum selben Ziel, daß sie zum Eingang in<br />

Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit bereitet <strong>und</strong> geheiligt sind. Sie haben si<strong>ch</strong> aber still <strong>und</strong><br />

gläubig unter Gottes Ents<strong>ch</strong>eidung zu stellen <strong>und</strong> zu empfangen, was der<br />

Vater ihnen bestimmt. 10,40: Aber den Sitz zu meiner Re<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> zu meiner<br />

Linken zu verleihen ist ni<strong>ch</strong>t meine Sa<strong>ch</strong>e; sondern er gehört denen, denen er<br />

bereitet ist.<br />

Weil die Bitte der beiden die anderen Jünger verdroß <strong>und</strong> ihnen wie ein<br />

Angriff auf ihre eigene Würde ers<strong>ch</strong>ien, hat ihnen Jesus mit den Worten, die<br />

wir s<strong>ch</strong>on bei Matthäus lasen, den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en der sündli<strong>ch</strong>en <strong>und</strong><br />

der göttli<strong>ch</strong>en Große vorgehalten <strong>und</strong> ihnen an seiner Kreuzestat den Weg<br />

zur wahren Ehre <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t gezeigt. 10,41—45: Und die Zehn, hörten es <strong>und</strong><br />

begannen Jakobus <strong>und</strong> Johannes zu zürnen. Und Jesus rief sie herzu <strong>und</strong> sagt<br />

zu ihnen: Ihr wißt, daß unter den Heiden die, die als Herrs<strong>ch</strong>er gelten, sie mit


<strong>Markus</strong>io,39—52 97<br />

ihrer Herrs<strong>ch</strong>aft drücken <strong>und</strong> ihre Großen ihre Gewalt gegen sie brau<strong>ch</strong>en. Es<br />

ist aber bei eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so; sondern wer unter eu<strong>ch</strong> groß werden will, wird bei<br />

eu<strong>ch</strong> <strong>Die</strong>ner sein, <strong>und</strong> wer bei eu<strong>ch</strong> der Erste sein will, wird aller Kne<strong>ch</strong>t sein.<br />

Denn au<strong>ch</strong> der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en kam ni<strong>ch</strong>t, um bedient zu werden, sondern<br />

um zu dienen <strong>und</strong> seine Seele hinzugeben als Lösegeld an vieler Statt.<br />

Vor den letzten Gang <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem fiel no<strong>ch</strong> ein Aufenthalt Jesu in Jeri<strong>ch</strong>o<br />

<strong>und</strong> in diesen ein Zei<strong>ch</strong>en an einem Blinden, das darum besondere Bedeutung<br />

hat, weil er Jesus als den Sohn Davids, somit als den verheißenen König<br />

Israels anrief. 10,46—52: Und sie kommen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jeri<strong>ch</strong>o. Und als er <strong>und</strong> seine<br />

Jünger <strong>und</strong> eine große S<strong>ch</strong>ar aus Jeri<strong>ch</strong>o auszogen, saß der Sohn des Timäus<br />

Bartimäus, ein blinder Bettler, am Weg. Und er hörte, daß es Jesus von Naza~<br />

ret h sei, <strong>und</strong> begann zu rufen <strong>und</strong> zu sagen: Sohn Davids, Jesus, erbarme di<strong>ch</strong><br />

meiner! Und viele s<strong>ch</strong>alten ihn, daß er s<strong>ch</strong>weigen sollte. Er aber rief no<strong>ch</strong> viel<br />

mehr: Sohn Davids, erbarme di<strong>ch</strong> meiner! Und Jesus stand still <strong>und</strong> sagte:<br />

Ruft ihn! Und sie rufen den Blinden <strong>und</strong> sagen zu ihm: Sei getrost, steh auf;<br />

er ruft di<strong>ch</strong>. Er aber warf seinen Mantel ab, sprang auf <strong>und</strong> kam zu Jesus.<br />

Und Jesus antwortete ihm <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Was willst du, daß i<strong>ch</strong> dir tun soll? Der<br />

Blinde aber spra<strong>ch</strong> zu ihm: Kabbuni, daß i<strong>ch</strong> sehend werde. Und Jesus spra<strong>ch</strong><br />

zu ihm: Geh, dein Glaube hat dir geholfen, <strong>und</strong> er wurde sofort sehend <strong>und</strong><br />

folgte ihm auf dem Weg <strong>na<strong>ch</strong></strong>. <strong>Markus</strong> kann den Namen dessen* nennen, an<br />

dem Jesus jetzt, da er zum Sterben ging, seinen königli<strong>ch</strong>en Namen mit der<br />

ma<strong>ch</strong>tvollen Tat bestätigt hat; <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem Vater Timäus hieß man ihn Bartimäus,<br />

wie es in der Judens<strong>ch</strong>aft übli<strong>ch</strong> war. Er hat uns au<strong>ch</strong> die Dringli<strong>ch</strong>keit<br />

seines Bittens <strong>und</strong> die Freudigkeit seiner Zuversi<strong>ch</strong>t vorgehalten, damit wir<br />

begreifen, warum Jesus ihm die Hilfe ni<strong>ch</strong>t verweigert hat. Er hat au<strong>ch</strong> jetzt<br />

den Glauben ni<strong>ch</strong>t zertreten, sondern erhört.<br />

Kapitel 11—13<br />

Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

Vom Dorfe Bethphage an, das oben auf dem Kamm des ölbergs lag, wurde<br />

aus Jesu Einzug eine feierli<strong>ch</strong>e Bezeugung seines Königtums. Bethphage war<br />

aber nur den Besu<strong>ch</strong>ern Jerusalems bekannt; in der Christenheit wurde dagegen<br />

Bethanien öfter genannt, das bereits am Ostabhang des ölbergs gegen"<br />

die Wüste hin liegt. Wir lesen deshalb bei <strong>Markus</strong> 11,1: Und als sie nahe an<br />

Jerusalem herankamen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethphage <strong>und</strong> Bethanien beim ölberg. So ist<br />

freili<strong>ch</strong> der Ausdruck ni<strong>ch</strong>t mehr genau, weil man von Jeri<strong>ch</strong>o her zuerst<br />

* Matthäus spra<strong>ch</strong> hier von zwei Blinden: - • >•


98 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethanien kam <strong>und</strong> nun Bethphage no<strong>ch</strong> vor si<strong>ch</strong> hatte, Jerusalem zu.<br />

Do<strong>ch</strong> bot dieser Text dem Leser den Vorteil, ihm den Ort des Vorgangs näherzubringen<br />

<strong>und</strong> ihn glei<strong>ch</strong> hier auf die Lage Bethaniens hinzuweisen, das während<br />

der letzten Tage die Herberge Jesu gewesen ist.<br />

Den Anstoß zur Feier seines Einzugs gab Jesus selber. 11,2: Da s<strong>ch</strong>ickt er<br />

zwei seiner Jünger aus <strong>und</strong> sagt zu ihnen: Geht in das vor eu<strong>ch</strong> liegende Dorf,<br />

<strong>und</strong> glei<strong>ch</strong>, wenn ihr in dieses hineinkommt, werdet ihr ein Füllen angeb<strong>und</strong>en<br />

finden, auf dem no<strong>ch</strong> nie ein Mens<strong>ch</strong> saß. Löst <strong>und</strong> bringt es! Er handelt wieder<br />

in der Gewißheit, daß der Vater ihm alles bereit halte, was ihm zur Ausri<strong>ch</strong>tung<br />

seines <strong>Die</strong>nstes hilfrei<strong>ch</strong> ist. Wenn eu<strong>ch</strong> jemand etwas sagt, heißt es bei<br />

Matthäus, sollt ihr sagen: „Der Herr hat sie nötig; er wird sie aber soglei<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>icken", ohne daß er Einrede erhebt. Bei <strong>Markus</strong> lesen wir 11,3: Und wenn<br />

eu<strong>ch</strong> jemand sagt: Warum ma<strong>ch</strong>t ihr dies? so sagt: Der Herr bedarf seiner, <strong>und</strong><br />

s<strong>ch</strong>ickt es glei<strong>ch</strong> wieder hierher. Er hebt hervor, daß es ni<strong>ch</strong>t Jesu Absi<strong>ch</strong>t war,<br />

dem Besitzer das Tier für immer zu nehmen, sondern daß er es ihm sofort<br />

wieder zurücks<strong>ch</strong>ickte, sowie es ihm bei seinem Einzug gedient hatte. So kann<br />

si<strong>ch</strong> zwar gelegentli<strong>ch</strong> ein Wort bei seiner späteren Wiederholung von seiner<br />

ersten Meinung entfernen; es liegt aber au<strong>ch</strong> hier hell am Li<strong>ch</strong>t, wie kleine<br />

Dinge sol<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wankungen treffen, während Jesu Tat uns von beiden Evangelisten<br />

mit si<strong>ch</strong>erem Verständnis in großer Übereinstimmung vorgehalten<br />

wird.<br />

11,4—6: Und sie gingen weg <strong>und</strong> fanden ein Füllen angeb<strong>und</strong>en an der Tür<br />

draußen auf dem Vorplatz <strong>und</strong> lösen es ab. Und einige von denen, die dort<br />

standen, sagten zu ihnen: Was ma<strong>ch</strong>t ihr, daß ihr das Füllen löst? Sie aber<br />

sagten, wie Jesus es gesagt hatte, <strong>und</strong> sie ließen sie. <strong>Markus</strong> hält unseren Blick<br />

no<strong>ch</strong> besonders dabei fest, daß Jesu Zuversi<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> bewährt hat <strong>und</strong> das Tier<br />

auf dem Vorplatz für ihn bereitstand, so daß die Jünger ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm zu<br />

su<strong>ch</strong>en brau<strong>ch</strong>ten, sondern es sofort vor Augen hatten. Dagegen hat <strong>Markus</strong><br />

au<strong>ch</strong> hier den Spru<strong>ch</strong> des Propheten ni<strong>ch</strong>t angeführt, dur<strong>ch</strong> den Jesu Absi<strong>ch</strong>t<br />

bei seinem Einzug helles Li<strong>ch</strong>t bekommt, sondern uns au<strong>ch</strong> jetzt einzig das<br />

vorgehalten, was Jesus tat, ohne Hinweis auf das alttestamentli<strong>ch</strong>e Wort.<br />

Darum spra<strong>ch</strong> er au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wie Matthäus von zwei Tieren, dem alten <strong>und</strong><br />

dem jungen, die si<strong>ch</strong> Jesus bringen ließ, da er darin eine Annäherung des Beri<strong>ch</strong>ts<br />

au<strong>ch</strong> an die Form des prophetis<strong>ch</strong>en Spru<strong>ch</strong>s erkannte, die er vermieden<br />

hat.<br />

<strong>Die</strong> S<strong>ch</strong>aren, die mit Jesus zogen, bekannten si<strong>ch</strong> zu ihm als zum verheißenen<br />

König Israels. 11,7—10: Und sie bringen das Füllen zu Jesu <strong>und</strong> legen ihre<br />

Mäntel darauf, <strong>und</strong> er setzte si<strong>ch</strong> darauf. Und viele breiteten ihre Mäntel auf


<strong>Markus</strong> 11,2—11 99<br />

den Weg, andere aber Zweige, die sie auf den Feldern abhieben. Und die, die<br />

voranzogen <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>folgten, riefen: Hosianna/ Gesegnet ist der, der im Namen<br />

des Herrn kommt (Psalm 118,25. 26). Gesegnet ist das Königtum unseres<br />

Vater s David, das kommt. Hosianna in der H ob! Davids königli<strong>ch</strong>er Thron<br />

wird dadur<strong>ch</strong> wieder erri<strong>ch</strong>tet, daß er kommt, den die Propheten verspro<strong>ch</strong>en<br />

haben als Davids Erben, in dessen Hand die Herrs<strong>ch</strong>aft bleiben soll. Dur<strong>ch</strong><br />

diesen Rückblick auf Davids Königtum lernen wir beides verstehen, warum<br />

Jesus den Preis des Volkes annahm <strong>und</strong> sein Bekenntnis zu ihm si<strong>ch</strong> Wohlgefallen<br />

ließ, aber au<strong>ch</strong>, warum dieses Bekenntnis so ras<strong>ch</strong> wieder verstummte<br />

<strong>und</strong> der Weg Jesu denno<strong>ch</strong> der Kreuzesweg blieb. Daß das Volk auf seinen<br />

verheißenen König wartete, war Glaube, der si<strong>ch</strong> auf Gottes treue Zusage<br />

aufbaute. Jesus hat diesem ni<strong>ch</strong>t widerspro<strong>ch</strong>en, ihm vielmehr die Erfüllung<br />

dur<strong>ch</strong> sein Werk gebra<strong>ch</strong>t. Aber der Blick des Volkes war no<strong>ch</strong> trüb <strong>und</strong> sein<br />

Verlangen no<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>, wenn es ni<strong>ch</strong>ts Höheres kannte <strong>und</strong> su<strong>ch</strong>te als die<br />

Wiederherstellung des königli<strong>ch</strong>en Thrones, den David einst besessen hatte.<br />

Gottes Regierung dur<strong>ch</strong> Jesus ist höherer Art <strong>und</strong> bleibt ni<strong>ch</strong>t im Maß <strong>und</strong> in<br />

der Ähnli<strong>ch</strong>keit mit dem, was er einst dur<strong>ch</strong> David Israel gab. Wer nur auf<br />

Davids Königsma<strong>ch</strong>t sah, blieb auf dem Leidensweg ni<strong>ch</strong>t bei Jesus <strong>und</strong> konnte<br />

ni<strong>ch</strong>t verstehen, wie er in seiner Kreuzesgestalt uns die verheißene Gnade<br />

s<strong>ch</strong>enkt.<br />

11,11: Und er ging naò Jerusalem hinein in den Tempel <strong>und</strong> sah si<strong>ch</strong> alles<br />

ringsum an, ging aber, da es s<strong>ch</strong>on spät war, <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethanien hinaus mit den<br />

Zwölf. In das Heiligtum zog Jesus an dem Tage, als ihm Israel den Königsnamen<br />

gab <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> damit bereit erklärte, von ihm si<strong>ch</strong> führen zu lassen <strong>und</strong><br />

dur<strong>ch</strong> ihn Gottes neue, große Gnade zu empfangen. Wie er dort dem Volk<br />

k<strong>und</strong>tat, daß sein Gottesdienst fals<strong>ch</strong> sei, Gott ni<strong>ch</strong>t ehre <strong>und</strong> Israel ni<strong>ch</strong>t helfe,<br />

sondern das Heiligtum entweihe <strong>und</strong> das Volk verderbe, das hat Matthäus<br />

ohne Unterbre<strong>ch</strong>ung mit dem Einzug zusammengefaßt. Weil Jesus als der Christus<br />

in den Tempel zieht, hat er die Ma<strong>ch</strong>t, ihn zu reinigen, <strong>und</strong> brau<strong>ch</strong>t sie<br />

au<strong>ch</strong> <strong>und</strong> tut dem Volk die Liebe, daß er ihm den S<strong>ch</strong>aden in seinem Tempeldienst<br />

si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>t. <strong>Markus</strong> dagegen erzählt, daß Jesus den festli<strong>ch</strong>en Jubel<br />

des Volks, das si<strong>ch</strong> an seiner Ankunft freute, ni<strong>ch</strong>t sofort dur<strong>ch</strong> das Zei<strong>ch</strong>en<br />

unterbra<strong>ch</strong>, das sie zur Buße berief, sondern nur zusah, wie der Tempeldienst<br />

vonstatten ging, <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> dann, weil die Na<strong>ch</strong>t nahte, mit den Jüngern <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Bethanien zurückgezogen hat.<br />

Ebenso hält <strong>Markus</strong> beide Ereignisse auseinander, die si<strong>ch</strong> auf den Feigenbaum<br />

am öiberg beziehen, Jesu Strafwort über den Baum, bei dem er umsonst<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Frü<strong>ch</strong>ten su<strong>ch</strong>te, <strong>und</strong> sein Mahnwort an die Jünger, die si<strong>ch</strong> dar-


loo Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

über verw<strong>und</strong>erten, daß si<strong>ch</strong> sein Urteil erfüllt hatte. Au<strong>ch</strong> hier hatte Matthäus,<br />

was innerli<strong>ch</strong> zusammengehört <strong>und</strong> ein Erlebnis bildete, glei<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>einander<br />

erzählt. 11,12.13: Und als sie am nä<strong>ch</strong>sten Tag von Bethanien fortgingen,<br />

hungerte er, <strong>und</strong> da er in der Ferne einen Feigenbaum sah, der Blätter<br />

hatte, ging er hin, ob er wohl etwas an ihm fände, <strong>und</strong> als er zu ihm kam, fand<br />

er ni<strong>ch</strong>ts als Blätter; denn die Zeit war ni<strong>ch</strong>t die der Feigen. Es wäre in der Tat<br />

auffallend, wenn si<strong>ch</strong> um die Zeit des Pas<strong>ch</strong>as am ölberg ein Feigenbaum gef<strong>und</strong>en<br />

hätte, der bereits eine genießbare Feige trug. Darin, daß die Jahreszeit<br />

es mit si<strong>ch</strong> bra<strong>ch</strong>te, daß Jesus vergebli<strong>ch</strong> zum Baume kam, liegt ein Wink,<br />

daß wir beim Zorn <strong>und</strong> Flu<strong>ch</strong> Jesu ni<strong>ch</strong>t allein an den Baum zu denken haben,<br />

sondern mit Jesus auf das große, heilige Walten der göttli<strong>ch</strong>en Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

zu sehen haben, die eben jetzt dur<strong>ch</strong> seinen Todesgang über Israels Ges<strong>ch</strong>ick,<br />

ents<strong>ch</strong>ied <strong>und</strong> es von Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft s<strong>ch</strong>ied. Am Baum war ni<strong>ch</strong>ts Unnatürli<strong>ch</strong>es,<br />

ni<strong>ch</strong>ts Krankes, was Jesus erregen konnte <strong>und</strong> sein Strafwort begründet<br />

hätte. An jedem anderen Ort nähme er es zu dieser Jahreszeit ruhig hin, daß<br />

no<strong>ch</strong> keine Feige auf den Bäumen zu finden war. Hier aber, als er das letztemal<br />

zu Israel kam, um es no<strong>ch</strong> einmal mit starkem Verlangen <strong>und</strong> ganzer<br />

Liebe zu Gott zu berufen, <strong>und</strong> wußte, daß es ihn vergebli<strong>ch</strong> bitten ließ <strong>und</strong><br />

seiner Seele versagte, wo<strong>na<strong>ch</strong></strong> sie hungerte, <strong>und</strong> Gott versagte, worum er<br />

dur<strong>ch</strong> ihn bat, hier spra<strong>ch</strong> er über den Baum das Urteil. 11,14: Und er antwortete<br />

<strong>und</strong> sagte zu ihm: Nie mehr soll jemand von dir Fru<strong>ch</strong>t essen, <strong>und</strong><br />

seine Jünger hörten es. Indem er dem Baume verbot, andere zu nähren, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem<br />

er für ihn unfru<strong>ch</strong>tbar geblieben war, ma<strong>ch</strong>te er an ihm den Ernst offenbar,<br />

mit dem er aufgenommen <strong>und</strong> gehört sein will, weil uns seine Gegenwart<br />

die St<strong>und</strong>e des Heils bringt <strong>und</strong> mit seiner Verwerfung der Fall ges<strong>ch</strong>ehen ist.<br />

Das, was nun im Tempel ges<strong>ch</strong>ah, <strong>und</strong> Jesu Tat am Baum erläuterten si<strong>ch</strong><br />

gegenseitig. Wie zum Baum, so trat er in den Tempel hinein, prüfte Israels<br />

Gottesdienst, su<strong>ch</strong>te <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Fru<strong>ch</strong>t, hob ihn aus seiner fals<strong>ch</strong>en Bahn heraus,<br />

reinigte ihn, verlangte dafür Gehorsam, <strong>und</strong> wenn er ihn ni<strong>ch</strong>t findet,<br />

tut er das Unfru<strong>ch</strong>tbare weg <strong>und</strong> übergibt das entweihte Heiligtum der Zerstörung,<br />

das unbußfertige Volk dem Geri<strong>ch</strong>t. Der Tempeldienst wurde Israel<br />

zur Fessel, die es am Ans<strong>ch</strong>luß an Jesus verhinderte, weil es si<strong>ch</strong> mit ihm wie<br />

mit einer Decke seine Sünde <strong>und</strong> Not verbarg. Jesus führte gegen den Mißbrau<strong>ch</strong><br />

des Heiligtums dadur<strong>ch</strong> einen s<strong>ch</strong>arfen Stoß, daß er den Markt aus<br />

dem Hof des Tempels vertrieb. 11..15.16: Und sie kommen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem,<br />

<strong>und</strong> er ging in den Tempel hinein <strong>und</strong> begann, die, die im Tempel verkauften<br />

<strong>und</strong> kauften, zu vertreiben, <strong>und</strong> die Tis<strong>ch</strong>e der We<strong>ch</strong>sler <strong>und</strong> die Sitze derer,<br />

die die Tauben verkauften, stieß er um, <strong>und</strong> er erlaubte ni<strong>ch</strong>t, daß jemand ein


<strong>Markus</strong> 11,12—21 loi<br />

Gerät dur<strong>ch</strong> den Tempel trage. Denn au<strong>ch</strong> darin wurde si<strong>ch</strong>tbar, wie sorglos<br />

<strong>und</strong> zuversi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> Israel im Tempel benahm. Trotzdem es ihn als den<br />

Ort verehrte, wo Gott bei ihm sei, ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> dort do<strong>ch</strong> »ein der Erde zugewandtes<br />

Treiben ohne S<strong>ch</strong>eu breit.<br />

11,17: Und er lehrte <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Ist ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>rieben: Mein Haus<br />

wird ein Haus des Gebets für alle Völker heißen? Ihr aber habt eine Höhle für<br />

Räuber aus ihm gema<strong>ch</strong>t (Jesaja 56,7; Jeremía 7,11). Im Unters<strong>ch</strong>ied von<br />

Matthäus spri<strong>ch</strong>t <strong>Markus</strong> mit dem prophetis<strong>ch</strong>en "Wort aus, daß Gott Israel<br />

den Tempel für alle Völker gegeben habe. Matthäus spra<strong>ch</strong> nur von dem,<br />

was Israel am Tempel hatte <strong>und</strong> was es in seiner sündli<strong>ch</strong>en Art aus ihm<br />

ma<strong>ch</strong>te. Damit es beten lerne, gläubig beten könne, dazu war ihm der Tempel<br />

gegeben, <strong>und</strong> wie eine Räuberhöhle benutzten sie ihn als Si<strong>ch</strong>erung auf ihrem<br />

bösen Weg. Das "Wort des Propheten s<strong>ch</strong>aute aber über Israel hinaus auf den<br />

Beruf, der ihm für die Mens<strong>ch</strong>heit gegeben war, daß alle Völker, in seinem<br />

Tempel Gott finden <strong>und</strong> zu seiner Anbetung kommen sollen. Je heller die Bedeutung<br />

des Tempels erkannt ist, um so s<strong>ch</strong>werer ist die S<strong>ch</strong>uld, die seine Entweihung<br />

<strong>und</strong> sein Mißbrau<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> si<strong>ch</strong> zieht. Israel bereitet ni<strong>ch</strong>t nur si<strong>ch</strong><br />

selber den Fall, sondern vers<strong>ch</strong>ließt au<strong>ch</strong> den Heiden den Weg zu Gott, hindert<br />

sie an seiner Erkenntnis <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t es ihnen unmögli<strong>ch</strong>, in seinem Tempel<br />

zur Anbetung Gottes zu kommen. In einem Tempel, der zur Räuberhöhle<br />

geworden ist, lernt der Heide ni<strong>ch</strong>t beten, <strong>und</strong> Gottes Angesi<strong>ch</strong>t bleibt ihm<br />

dort verdeckt* Weil Israel den Tempel ni<strong>ch</strong>t dazu brau<strong>ch</strong>t, wozu er ihm gegeben<br />

war, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ihn aus der Mens<strong>ch</strong>heit jene anbetende Gemeinde<br />

werden kann, von der der Prophet redet, darum wird der Tempel weggetan<br />

<strong>und</strong> Jesus tritt an dessen Stelle als der, in dem alle Völker zu Gott berufen<br />

sind <strong>und</strong> nun wirkli<strong>ch</strong> beten lernen.<br />

11,18: Und die Hohenpriester <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>riftgelehrten hörten es <strong>und</strong> su<strong>ch</strong>ten,<br />

wie sie ihn umbringen könnten. Denn sie für<strong>ch</strong>teten ihn. Denn das ganze<br />

Volk war über seine Lehre erstaunt. Jeder Angriff auf den Tempel versetzte<br />

die Häupter Israels, sowohl seine Priester als seine Lehrer, in heftige Erbitterung;<br />

denn sie hüteten ihn als ihren kostbarsten S<strong>ch</strong>atz, der Israels Vorzug<br />

offenk<strong>und</strong>ig ma<strong>ch</strong>e. Darum folgten auf die Austreibung der Krämer Beratungen<br />

über die Hinri<strong>ch</strong>tung Jesu; nur waren die Häupter Israels no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

die Angst vor dem Volke gelähmt.<br />

11,19—21: Und als es spät wurde, gingen sie zur Stadt hinaus. Und wie sie<br />

am Morgen vorbeigingen, sahen sie den Feigenbaum von den Wurzeln aus<br />

verdorrt, <strong>und</strong> Petrus erinnerte si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sagt zu ihm: Rabbi, sieh! der Feigenbaum,<br />

den du verflu<strong>ch</strong>t hast, ist verdorrt. Weil Petrus Jesus darauf aufmerk-


I° 2 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

sam ma<strong>ch</strong>te, sein Wort habe si<strong>ch</strong> erfüllt <strong>und</strong> der Baum sei abgestorben, hat er<br />

diese Gelegenheit benutzt, um den Jüngern no<strong>ch</strong>mals die Art <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t des<br />

Glaubens zu zeigen. Das ist ni<strong>ch</strong>t Glaube, sondern Zweifel <strong>und</strong> Zerspaltung<br />

des Herzens, wenn sie von Jesu Wort erwarten, es ges<strong>ch</strong>ehe ni<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> deshalb<br />

in Verw<strong>und</strong>erung geraten, weil es ges<strong>ch</strong>ieht. <strong>Markus</strong> nennt s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> ohne<br />

besondere Absi<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> Petrus als den, der no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t imstande war,<br />

Jesu Wort mit dem Ohr des Glaubens zu hören, <strong>und</strong> darum au<strong>ch</strong> die Anleitung<br />

zum Glauben zuerst empfing. Denn die Ma<strong>ch</strong>t der Jünger, ihr Apostelwerk<br />

auszuri<strong>ch</strong>ten, beruht allein auf dem Glauben, weshalb alles daran liegt,<br />

daß gerade Petrus lerne, was ungebro<strong>ch</strong>ener, aufri<strong>ch</strong>tiger Glaube sei.<br />

11,22: Und Jesus antwortete <strong>und</strong> sagt zu ihnen: Habt Glauben an Gott!<br />

Darauf, ob Jesu Wort ges<strong>ch</strong>ehe <strong>und</strong> sein Urteil gelte, bezog si<strong>ch</strong> der Zweifel<br />

<strong>und</strong> die Verw<strong>und</strong>erung des Jüngers. Dabei handelt es si<strong>ch</strong> aber um das, was<br />

er Gott zutraut, ob er Gott für ni<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> ohnmä<strong>ch</strong>tig hält oder seine Wahrheit,<br />

Gnade <strong>und</strong> Treue vor Augen hat. Aus Jesu Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater<br />

kommen seine Werke, au<strong>ch</strong> sein Urteil über den Baum, der ihn unerquickt<br />

weitergehen ließ. Stehen die Jünger glaubenslos vor seinem Wort, so versagen<br />

sie Gott den Glauben. Gott dürfen <strong>und</strong> müssen sie aber glauben; um<br />

Gottes willen, weil sie ihm ni<strong>ch</strong>t mißtrauen, ihn ni<strong>ch</strong>t bezweifeln können,<br />

haben sie Jesus das ganze Vertrauen zu erweisen, das in seinem Wort <strong>und</strong><br />

Willen mit si<strong>ch</strong>erer Gewißheit ruht.<br />

Damit wir glauben können, sagt Jesus dem Glauben ohne jede Bedingung<br />

<strong>und</strong> Eins<strong>ch</strong>ränkung jede Hilfe, jede Erhörung, Gottes ganzen Beistand zu.<br />

Hier lesen wir au<strong>ch</strong> bei <strong>Markus</strong> jenes Wort, das uns absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ins Erstaunen<br />

treibt, das den Glaubenden an den Berg den Befehl ri<strong>ch</strong>ten läßt, si<strong>ch</strong> in das<br />

Meer zu stürzen, <strong>und</strong> diesem, obglei<strong>ch</strong> er alles mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Tun <strong>und</strong> Vermögen<br />

himmelweit übersteigt, denno<strong>ch</strong> die Erfüllung verspri<strong>ch</strong>t, wofern er<br />

nur im Glauben ohne innere S<strong>ch</strong>wankung, ohne den Selbstwiderspru<strong>ch</strong> eines<br />

zerspaltenen Herzens gespro<strong>ch</strong>en ist. 11,23: Wahrlidr, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wer zu<br />

diesem Berg sagt: Hebe di<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> falle in das Meer! <strong>und</strong> in seinem Herzen<br />

ni<strong>ch</strong>t zweifelt, sondern glaubt, daß das, was er sagt, ges<strong>ch</strong>ieht, dem .wird es<br />

ges<strong>ch</strong>ehen. So fest <strong>und</strong> groß stellt Jesus die Gewißheit vor uns hin, daß Gott<br />

keine Zuversi<strong>ch</strong>t, die auf ihn gestellt ist, bes<strong>ch</strong>ämt <strong>und</strong> keine Hilfe, um die er<br />

angerufen wird, versagt, weil seine Güte größer als unsere Bitte <strong>und</strong> seine<br />

Gabe rei<strong>ch</strong>er als unsere Erwartung ist. Darum ist mit derjenigen Verheißung,<br />

die dem Glauben gegeben ist, sofort au<strong>ch</strong> die verb<strong>und</strong>en, die der Bitte gilt.<br />

Beide Verspre<strong>ch</strong>en sind innerli<strong>ch</strong> eins <strong>und</strong> halten uns eine <strong>und</strong> dieselbe Güte<br />

Gottes vor, wie au<strong>ch</strong> der Glaube <strong>und</strong> die Bitte ni<strong>ch</strong>t voneinander zu s<strong>ch</strong>eiden


<strong>Markus</strong> il,22—25 103<br />

sind. 11,24: Deshalb sage i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>: Alles, worum ihr betet <strong>und</strong> bittet, glaubt,<br />

daß ihr es empfangen habt, <strong>und</strong> es wird eu<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ehen. „Ihr habt es empfangen."<br />

Dadur<strong>ch</strong> ist uns die volle Ruhe des Glaubens in Gott vor die Augen<br />

gemalt. Wir hoffen ni<strong>ch</strong>t nur, daß wir empfangen werden, s<strong>ch</strong>auen ni<strong>ch</strong>t bloß<br />

in eine Zukunft hinaus, in der si<strong>ch</strong> Gottes Gnade an uns offenbaren wird,<br />

sondern kennen das Vaterherz unseres Gottes <strong>und</strong> wissen, daß dort eine Liebe<br />

für uns lebt, die uns alles gewährt, was wir bedürfen.<br />

Weil der Glaube auf Gott geri<strong>ch</strong>teter Blick, auf Gott gegründete Gewißheit,<br />

Griff <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Tat <strong>und</strong> Gabe ist, deshalb konnte Jesus seine Verheißung<br />

so frei <strong>und</strong> voll vor uns hinstellen <strong>und</strong> verleitet do<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> niemand<br />

zum Übermut, als wäre uns ein eigenmä<strong>ch</strong>tiges Herrs<strong>ch</strong>erre<strong>ch</strong>t über die Berge<br />

<strong>und</strong> die Welt, ja über Gott selbst dadur<strong>ch</strong> eingeräumt. Gläubig ist nur dasjenige<br />

Wort, das im Aufblick zu Gott geredet ist, gläubig nur derjenige Wille,<br />

der in der Leitung <strong>und</strong> im Gehorsam Gottes steht. Weil wir dur<strong>ch</strong> den Glauben<br />

über alles Herr werden, bleibt unser Eigensinn völlig ausges<strong>ch</strong>lossen;<br />

vielmehr stehen wir im Glauben unter Gott als unter unserem <strong>und</strong> aller Welt<br />

Herr. Weil die Ma<strong>ch</strong>t der Gemeinde Jesu aus dem Glauben fließt, nimmt sie<br />

dieselbe aus Gottes Hand, wie sie ihr dur<strong>ch</strong> seinen heiligen Willen zugemessen<br />

ist, <strong>und</strong> ist derselben beraubt, wenn sie, statt zu glauben, selbst regieren will.<br />

Es gibt aber no<strong>ch</strong> eine Bedingung, von der die Erhörbarkeit unseres Gebetes<br />

abhängt, <strong>und</strong> an diese erinnert uns <strong>Markus</strong> no<strong>ch</strong>, damit Jesu Unterri<strong>ch</strong>t<br />

über das Gebet uns vollständig gegeben <strong>und</strong> die dem Glauben gewährte Verheißung<br />

klar ums<strong>ch</strong>rieben sei. 11,2$: Und wenn ihr als die Betenden steht,<br />

vergebt, wenn ihr etwas gegen jemand habt, damit au<strong>ch</strong> euer Vater, der in den<br />

Himmeln ist, eu<strong>ch</strong> eure Fehltritte vergebe. <strong>Die</strong>ses Wort ist mit der Erläuterung<br />

zur fünften Bitte, Matthäus 6,14.15, verwandt. Weil uns Gott sein Verzeihen<br />

dann gewährt, wenn wir vergeben, so ist zum erhörbaren Bitten erforderli<strong>ch</strong>,<br />

daß wir den Unwillen <strong>und</strong> Haß gegen die anderen in uns töten<br />

<strong>und</strong> unsere Klagen gegen sie begraben. Das sagt ni<strong>ch</strong>t nur, daß unser Zorn<br />

Gott ni<strong>ch</strong>t gegen die anderen anrufen darf, als dürften wir Gott den Wüns<strong>ch</strong>en<br />

unseres erbitterten Herzens unterwerfen. Vielmehr kommt alle Erhörung<br />

unserer Bitten <strong>und</strong> jede unserem Glauben gewährte Gnade aus dem<br />

göttli<strong>ch</strong>en Verzeihen <strong>und</strong> wird uns deshalb zuteil, weil Gott unsere Sünde<br />

tilgt <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t an uns heimsu<strong>ch</strong>t. Nur deshalb ist unserem Glauben Gottes<br />

rei<strong>ch</strong>e, volle Gabe zugesagt, <strong>und</strong> nur deshalb hat unser Gebet vor seinem<br />

Throne Ma<strong>ch</strong>t. Darum wird dur<strong>ch</strong> das, was uns die göttli<strong>ch</strong>e Vergebung<br />

nimmt, au<strong>ch</strong> unser Gebet ni<strong>ch</strong>tig. Wir können aber Gottes Vergebung weder<br />

su<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> empfangen, wenn wir selbst den Mens<strong>ch</strong>en unser Verzeihen ver-


*O4 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

weigern <strong>und</strong> ihnen ihre S<strong>ch</strong>uld anre<strong>ch</strong>nen. Darum müssen wir, um beten zu<br />

können, der vergebenden Gnade Gottes von Herzen gehorsam sein. Es zeigt<br />

si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> an unserem Gebet, wie unser Glaube <strong>und</strong> unsere Liebe fest<br />

aneinander geb<strong>und</strong>en sind. Beide entstehen vereint in unserer Seele <strong>und</strong> ergeben<br />

zusammen jene Heiligung unserer Bitten, die sie mit Gottes Willen übereinstimmend<br />

ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> unter Gottes Verheißung setzt.<br />

Mit Matthäus erzählt uns au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong>, wie Jesus das Verhör über die Art<br />

seiner Vollma<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> abgewehrt hat, daß er die, die ihn befragten, sagen<br />

hieß, ob ihnen die Taufe im Auftrag Gottes angeboten worden sei. 11,27—33:<br />

Und sie kommen wieder <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem. Und als er im Tempel umherging,<br />

kommen die Hohenpriester <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> Ältesten zu ihm <strong>und</strong><br />

sagten zu ihm: Mit was für einer Vollma<strong>ch</strong>t tust du das, oder wer gab dir diese<br />

Vollma<strong>ch</strong>t, das zu tun? Aber Jesus spra<strong>ch</strong> zu ihnen: I<strong>ch</strong> werde eu<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> einer<br />

einzigen Sa<strong>ch</strong>e fragen. Antwortet mir, so werde i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> sagen, mit was für<br />

einer Vollma<strong>ch</strong>t i<strong>ch</strong> dies tue. War die Taufe des Johannes vom Himmel oder<br />

von den Mens<strong>ch</strong>en? Antwortet mir! Und sie verhandelten miteinander <strong>und</strong><br />

sagten: Wenn wir sagen: Vom Himmel, so wird er sagen: Warum habt ihr<br />

ihm denn ni<strong>ch</strong>t geglaubt? Sollen wir aber sagen: Von den Mens<strong>ch</strong>en? Sie für<strong>ch</strong>teten<br />

die Menge. Denn alle waren ernsthaft überzeugt, daß Johannes ein<br />

Prophet war. Und sie antworteten Jesus <strong>und</strong> sagen: Wir wissen es ni<strong>ch</strong>t. Und<br />

Jesus sagt zu ihnen: Au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, mit wel<strong>ch</strong>er Vollma<strong>ch</strong>t i<strong>ch</strong> dies<br />

tue. Jesus hat denen ni<strong>ch</strong>ts zu sagen, die ni<strong>ch</strong>t wissen, daß es Gott ist, der sie<br />

dur<strong>ch</strong> den Täufer zur Buße <strong>und</strong> zur Vergebung der Sünden berufen hat.<br />

Von den Glei<strong>ch</strong>nissen, dur<strong>ch</strong> die Jesus damals die Sünde Israels bes<strong>ch</strong>rieb,<br />

hat <strong>Markus</strong> das ausgewählt, das den "Willen Jesu mit besonderer Deutli<strong>ch</strong>keit<br />

bes<strong>ch</strong>reibt, weil es sein Werk mit Israels ganzer Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, sowohl mit der,<br />

die seine Vergangenheit erfüllt, als mit der, die ihm nun no<strong>ch</strong> bevorsteht, in<br />

Verbindung bringt. 12,1—5: Und er begann in Glei<strong>ch</strong>nissen zu ihnen zu reden.<br />

Ein Mens<strong>ch</strong> pflanzte einen Weinberg <strong>und</strong> zog einen Zaun um ihn <strong>und</strong> grub<br />

eine Kelter <strong>und</strong> baute einen Turm <strong>und</strong> verpa<strong>ch</strong>tete ihn Weingärtnern <strong>und</strong><br />

reiste fort. Und er sandte zu den Weingärtnern, als die Zeit kam, einen<br />

Kne<strong>ch</strong>t, damit er einen Teil der Frü<strong>ch</strong>te des Weinbergs von den Weingärtnern<br />

erhalte. Und sie nahmen ihn, s<strong>ch</strong>lugen ihn <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ickten ihn leer weg. Und er<br />

sandte no<strong>ch</strong>mals zu ihnen einen anderen Kne<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> diesen s<strong>ch</strong>lugen sie auf<br />

den Kopf <strong>und</strong> sdjändeten ihn. Und er s<strong>ch</strong>ickte einen anderen, <strong>und</strong> ihn töteten<br />

sie, <strong>und</strong> viele andere, von denen sie die einen s<strong>ch</strong>lugen, die anderen töteten.<br />

Indem <strong>Markus</strong> jeden Kne<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong>, diese aber in langer Reihe zu den Empörten<br />

kommen läßt, erweckt er die Erinnerung an die lange Reihe der Pro-


<strong>Markus</strong> 11,27—33; 12,13—27 105<br />

pheten, die Israel umsonst das Bußwort sagten <strong>und</strong> seinen Streit mit Gott<br />

ni<strong>ch</strong>t zu beenden vermo<strong>ch</strong>ten.<br />

12,6—9: No<strong>ch</strong> einen hatte er, den geliebten Sohn. Er sandte ihn zuletzt zu<br />

ihnen, weil er sagte: Sie werden si<strong>ch</strong> vor meinem Sohne s<strong>ch</strong>euen. Aber jene<br />

Weingärtner sagten zueinander: <strong>Die</strong>ser ist der Erbe; kommt, wir wollen ihn<br />

töten, <strong>und</strong> das Erbe wird uns gehören. Und sie nahmen ihn, töteten ihn <strong>und</strong><br />

warfen ihn zum Weinberg hinaus. Was wird der Herr des Weinbergs tun?<br />

Er wird kommen <strong>und</strong> die Weingärtner umbringen <strong>und</strong> den Weinberg anderen<br />

geben. Das Urteil über die Empörten spri<strong>ch</strong>t hier Jesus selbst, während uns<br />

Matthäus den bewegten Kampf zwis<strong>ch</strong>en Jesus <strong>und</strong> den Führern der Gemeinde<br />

ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> dargestellt hat. Er hat diese Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te dazu geformt, damit<br />

sie aus ihr selber das Urteil ziehen, das si<strong>ch</strong> auf ihr eigenes Verhalten überträgt.<br />

Au<strong>ch</strong> so ist es sein Urteil <strong>und</strong> spri<strong>ch</strong>t aus, was ihm als Israels Ende vor<br />

Augen steht, vor dem er es behüten mö<strong>ch</strong>te.<br />

12,10.11: Habt ihr au<strong>ch</strong> diesen Spru<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gelesen: Der Stein, den die<br />

Bauenden verwarfen, der wurde zum Eckstein; vom Herrn kam dieser, <strong>und</strong><br />

er ist w<strong>und</strong>erbar in unseren Augen (Psalm 118,22. 23)? <strong>Markus</strong> gibt nur die<br />

S<strong>ch</strong>riftstelle, die im Kreuze Jesu die Herrli<strong>ch</strong>keit der göttli<strong>ch</strong>en Gnade erkennbar<br />

ma<strong>ch</strong>t. Der von Israel Verworfene wird zum Herrn der neuen Gemeinde<br />

<strong>und</strong> wird dadur<strong>ch</strong> zum heiligen "W<strong>und</strong>er, das Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft offenbart.<br />

<strong>Die</strong>jenige Verwendung des vom Stein hergenommenen Glei<strong>ch</strong>nisses,<br />

dur<strong>ch</strong> die Israel das Geri<strong>ch</strong>t verkündigt wird, hat <strong>Markus</strong> dagegen ni<strong>ch</strong>t<br />

wiederholt. 12,12: Und sie wollten ihn ergreifen <strong>und</strong> für<strong>ch</strong>teten si<strong>ch</strong> vor der<br />

Menge. Denn sie erkannten, daß er das Glei<strong>ch</strong>nis gegen sie gespro<strong>ch</strong>en hatte.<br />

Und sie ließen ihn <strong>und</strong> gingen weg.<br />

Ebenso erzählt <strong>Markus</strong> glei<strong>ch</strong>förmig mit Matthäus, wie Jesus den Verda<strong>ch</strong>t<br />

der Pharisäer zuni<strong>ch</strong>te ma<strong>ch</strong>te, er wolle Israel zum Aufruhr reizen <strong>und</strong> befehle,<br />

dem Kaiser die Steuer zu verweigern, <strong>und</strong> wie er den Spott der Sadduzäer<br />

entkräftete, die meinten, er lehre die Auferstehung, wie sie die Pharisäer<br />

lehrten, so daß sie nur eine Rückkehr ins irdis<strong>ch</strong>e Leben sei. 12,13—27: Und sie<br />

s<strong>ch</strong>icken einige der Pharisäer <strong>und</strong> der Herodianer zu ihm, um ihn in einem<br />

Wort zu fangen. Und als sie kamen, sagen sie zu ihm: Lehrer, wir wissen, daß<br />

au wahrhaftig bist <strong>und</strong> auf niemand Rücksi<strong>ch</strong>t nimmst. Denn du siehst ni<strong>ch</strong>t<br />

auf das Gesi<strong>ch</strong>t der Mens<strong>ch</strong>en, sondern lehrst Gottes Weg mit Wahrheit. Ist es<br />

erlaubt, die Steuer dem Kaiser zu geben, oder ist es ni<strong>ch</strong>t erlaubt? Sollen wir<br />

sie geben oder ni<strong>ch</strong>t geben? Er aber kannte ihre Heu<strong>ch</strong>elei <strong>und</strong> sagte zu ihnen:<br />

Warum versu<strong>ch</strong>t ihr mi<strong>ch</strong>? Bringt mir einen Denar, damit i<strong>ch</strong> ihn sehe. Sie<br />

aber bra<strong>ch</strong>ten ihm einen. Und er sagt zu ihnen: Wessen Bild <strong>und</strong> Aufs<strong>ch</strong>rift


io6 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

ist das? Sie aber sagten zu ihm: Des Kaisers. Jesus aber sagte zu ihnen: Was<br />

dem Kaiser gehört, gebt dem Kaiser, <strong>und</strong> was Gott gehört, Gott. Und sie erstaunten<br />

über ihn.<br />

Und es kommen Sadduzäer zu ihm, die sagen, es gebe keine Auferstehung,<br />

<strong>und</strong> befragten ihn <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>en: Lehrer, Mose s<strong>ch</strong>rieb uns, daß, wenn der<br />

Bruder eines Mannes stirbt <strong>und</strong> eine Frau zurückläßt <strong>und</strong> keinen Sohn hinterlaßt,<br />

sein Bruder die Frau nehmen <strong>und</strong> für seinen Bruder das Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t fortsetzen<br />

soll. Es waren sieben Brüder, <strong>und</strong> der erste nahm eine Frau, <strong>und</strong> als er<br />

starb, hinterließ er keine Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft, <strong>und</strong> der zweite nahm sie <strong>und</strong><br />

starb, ohne Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft zu hinterlassen, <strong>und</strong> der dritte ebenso, <strong>und</strong> die<br />

Sieben hinterließen keine Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft. Zuletzt <strong>na<strong>ch</strong></strong> allen starb au<strong>ch</strong><br />

die Frau. Bei der Auferstehung, wenn sie auferstanden sind, wem von ihnen<br />

wird sie zur Frau sein? Denn die Sieben haben sie zur Frau gehabt. Jesus sagte<br />

ihnen: Irrt ihr ni<strong>ch</strong>t deshalb, weil ihr die Sprü<strong>ch</strong>e der S<strong>ch</strong>rift ni<strong>ch</strong>t kennt <strong>und</strong><br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Ma<strong>ch</strong>t Gottes? Denn wenn sie aus den Toten auferstehen, werden<br />

sie weder heiraten no<strong>ch</strong> geheiratet werden, sondern sind wie die Engel in<br />

den Himmeln. Über die Toten aber, daß sie erweckt werden, habt ihr ni<strong>ch</strong>t im<br />

Bu<strong>ch</strong> Moses beim Dornbus<strong>ch</strong> gelesen, wie Gott zu ihm spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> bin der Gott<br />

Abrahams <strong>und</strong> der Gott Isaaks <strong>und</strong> der Gott Jakobs (2. Mose 3,6)? Er ist ni<strong>ch</strong>t<br />

der Gott Toter, sondern Lebender. Ihr irrt sehr. In beiden Fällen hat Jesus mit<br />

sieghafter Klarheit unters<strong>ch</strong>ieden, was seine Widersa<strong>ch</strong>er vermengten: das<br />

irdis<strong>ch</strong>e Regiment <strong>und</strong> Gottes Regierung, das irdis<strong>ch</strong>e Leben <strong>und</strong> das hiinmlis<strong>ch</strong>e<br />

Leben, das uns Gott in der Auferstehung bes<strong>ch</strong>ert.<br />

Ein Lehrer stellte ihm die dritte Frage. 12,28—31: Und einer der S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

trat herzu, der gehört hatte, wie sie verhandelten, <strong>und</strong> wußte, daß er<br />

ihnen ri<strong>ch</strong>tig geantwortet hatte, <strong>und</strong> befragte ihn: Was für ein Gebot ist das<br />

erste von allen? Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr unser<br />

Gott ist ein einiger Herr, <strong>und</strong> du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit<br />

deinem ganzen Herzen <strong>und</strong> deiner ganzen Seele <strong>und</strong> deinem ganzen Sinn <strong>und</strong><br />

deiner ganzen Kraft (5. Mose 6,4. 5). Das zweite ist dies: Du sollst deinen<br />

Nä<strong>ch</strong>sten lieben wie di<strong>ch</strong> (3. Mose 19,18). Kein anderes Gebot ist größer als<br />

diese. Gedrückt von der Menge der Gebote, die das Gesetz s<strong>ch</strong>einbar nebeneinander<br />

setzte, so daß dieselbe Heiligkeit auf allen lag, fragte der Lehrer bei<br />

Matthäus <strong>na<strong>ch</strong></strong> denjenigen Geboten, die si<strong>ch</strong> vor den anderen dur<strong>ch</strong> ihre Wi<strong>ch</strong>tigkeit<br />

auszei<strong>ch</strong>nen <strong>und</strong> den Willen Gottes ausspre<strong>ch</strong>en, der vor allem getan<br />

sein muß, <strong>und</strong> Jesus hat ihm die eine Wurzel aller Gebote genannt, den einigen,<br />

vollkommenen Willen Gottes, an dem alles hängt, was das Gesetz <strong>und</strong> die<br />

Propheten verlangt haben. Das war für alle jüdis<strong>ch</strong>en Frommen eine große


• <strong>Markus</strong> 12,28—540 107<br />

Wohltat <strong>und</strong> half ihnen bei jedem Stück ihres Gottesdienstes zum wahrhaften<br />

Gehorsam gegen Gott. Weil aber die Heiden<strong>ch</strong>ristenheit ni<strong>ch</strong>t mehr unter dem<br />

alten Gesetz stand <strong>und</strong> in ihrem Gewissen ni<strong>ch</strong>t mehr damit bes<strong>ch</strong>wert war,<br />

wie Opfer <strong>und</strong> Reinigkeit, Zehnten <strong>und</strong> Sabbat aus dem einen großen göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gebot herauswa<strong>ch</strong>sen, gab <strong>Markus</strong> diesem Gesprä<strong>ch</strong> eine einfa<strong>ch</strong>ere Gestalt<br />

<strong>und</strong> erzählte, wel<strong>ch</strong>e Gebote Jesus als die wi<strong>ch</strong>tigsten bezei<strong>ch</strong>net hat. Zum<br />

ersten Gebot, das uns Gott völlig lieben heißt mit allem, was wir sind, gehört<br />

au<strong>ch</strong> der vorangehende Spru<strong>ch</strong>, da er seinen Gr<strong>und</strong> ausspri<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> Einzigkeit<br />

<strong>und</strong> Hoheit dessen, der si<strong>ch</strong> als den Herrn offenbart <strong>und</strong> zum Gott seines Volkes<br />

gema<strong>ch</strong>t hat, bindet unsere Liebe ganz an ihn <strong>und</strong> verbietet uns, etwas<br />

anderes über oder neben ihn zu setzen, woran unser Herz si<strong>ch</strong> hängen dürfte,<br />

daß es ni<strong>ch</strong>t mit ganzem Verlangen ihn su<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> ihm allein diente. <strong>Die</strong>ser<br />

eine Gott, dem wir mit voller Liebe leben dürfen, war nun dur<strong>ch</strong> das Evangelium<br />

als die neue Wahrheit weithin dur<strong>ch</strong> die Welt verkündigt worden.<br />

12,32. 33: Und der S dir ijtgelehrte spra<strong>ch</strong> zu ihm: Ri<strong>ch</strong>tig, Lehrer, derWahrheit<br />

gemäß hast du gesagt, daß ein einiger ist <strong>und</strong> kein anderer außer ihm, <strong>und</strong><br />

ihn mit dem ganzen Herzen <strong>und</strong> dem ganzen Verstand <strong>und</strong> der ganzen Kraft<br />

zu lieben <strong>und</strong> den Nä<strong>ch</strong>sten wie si<strong>ch</strong> zu lieben, das ist mehr als alle Brandopfer<br />

<strong>und</strong> anderen Opfer. Wie der S<strong>ch</strong>riftgelehrte urteilt, daß das, was die beiden<br />

großen Gebote der S<strong>ch</strong>rift uns tun heißen, alles überwiege, was Israel auf den<br />

Altar zu legen vermo<strong>ch</strong>te, <strong>und</strong> unseren besten, größten Gottesdienst ergebe, so<br />

hielt es au<strong>ch</strong> die Christenheit <strong>und</strong> trat ni<strong>ch</strong>t mehr zum Altar hinzu, sondern<br />

gab si<strong>ch</strong> selber Gott zum lebendigen Opfer dar mit der Liebe, die ihr im Giauben<br />

an Jesus gegeben war. Darum war es für sie von hoher Bedeutung, wie<br />

Jesus die Antwort dieses S<strong>ch</strong>riftgelehrten aufgenommen hat.<br />

12,34 a: Und da Jesus sah, daß er verständig geantwortet hatte, sagte er zu<br />

ihm: Du bist ni<strong>ch</strong>t weit von Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft entfernt. Er hat dadur<strong>ch</strong>, daß<br />

er Gottes Gebot verstanden hat, das königli<strong>ch</strong>e Werk der göttli<strong>ch</strong>en Gnade<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gesehen <strong>und</strong> erlebt, weil dieses ni<strong>ch</strong>t in dem besteht, womit wir Gott<br />

dienen, sondern in dem, was er für uns tut <strong>und</strong> aus uns ma<strong>ch</strong>t. Über Gottes<br />

Tat, dur<strong>ch</strong> die sein gnädiger Wille an uns ges<strong>ch</strong>ieht, hat aber Jesus mit diesem<br />

Lehrer no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu spre<strong>ch</strong>en vermo<strong>ch</strong>t, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von dem, was seine Sendung<br />

war <strong>und</strong> was er mit seinem Kreuz <strong>und</strong> seiner Erhöhung uns erworben<br />

hat. Wird er den Zugang zu Jesus finden <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> ihn zu Gott kommen, dann<br />

ist er ni<strong>ch</strong>t nur nahe bei Gottes Gnade, sondern dann gibt si<strong>ch</strong> diese ihm. Dafür<br />

war es aber eine große <strong>und</strong> fru<strong>ch</strong>tbare Vorbereitung, daß er si<strong>ch</strong> mit aufri<strong>ch</strong>tigem<br />

Sinn Gottes Willen deutli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>te. Das s<strong>ch</strong>ützte ihn gegen die Verführung<br />

des leeren, eigenwilligen Gottesdienstes, ma<strong>ch</strong>te ihm das Büß wort Jesu


io8 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

deutli<strong>ch</strong>, ma<strong>ch</strong>te ihm au<strong>ch</strong> verständli<strong>ch</strong>, worin Jesu Werk <strong>und</strong> Opfer bestand,<br />

wie er dur<strong>ch</strong> die Kreuzestat das vollbra<strong>ch</strong>t hat, was der S<strong>ch</strong>riftgelehrte selbst<br />

als Gottes großen, heiligen Willen anerkennt. Darum hat ihn Jesus in dem,<br />

was ihm als das Ziel <strong>und</strong> der Sinn des Gesetzes ers<strong>ch</strong>ien, bestärkt <strong>und</strong> mit<br />

seinem fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> ernsten Wort gespornt, <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Zugang zu<br />

Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft zu verlangen, der er bereits nahe war.<br />

Na<strong>ch</strong>dem si<strong>ch</strong> Jesus selbst über das hat fragen lassen, was seinen Widersa<strong>ch</strong>ern<br />

besonders s<strong>ch</strong>wer ers<strong>ch</strong>ien, hielt er ihnen mit seiner eigenen Frage vor,<br />

was für sein Auge das große Geheimnis in Gottes Regierung bildet, das Israel<br />

ni<strong>ch</strong>t versteht, ni<strong>ch</strong>t einmal sieht, daß nämli<strong>ch</strong> der Christus, der zum Herrn<br />

Davids erhöht ist <strong>und</strong> seinen Ort am Thron Gottes hat, si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes<br />

Rat so'sehr erniedrigt <strong>und</strong> entäußert, daß aus dem Herrn ein Sohn Davids geworden<br />

ist. 12,34b—37a: Und keiner wagte mehr, ihn zu fragen. Und Jesus<br />

antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>, als er im Tempel lehrte: Wie sagen die S<strong>ch</strong>rift gelehrten,<br />

daß der Christus der Sohn Davids ist? David selber sagte im heiligen<br />

Geist: Der Herr spra<strong>ch</strong> zu meinem Herrn: Setze di<strong>ch</strong> zu meiner Re<strong>ch</strong>ten, bis<br />

i<strong>ch</strong> deine Feinde unter deine Füße lege (Psalm 110,1). David selbst nennt ihn<br />

Herr; woher ist er denn sein Sohn? <strong>Die</strong>ses Wort steht bei <strong>Markus</strong> wie bei Matthäus,<br />

nur mit dem Unters<strong>ch</strong>ied, daß <strong>Markus</strong> glei<strong>ch</strong> mit dem feststehenden<br />

Lehrsatz der S<strong>ch</strong>riftgelehrten beginnt, der Christus sei Davids Sohn, während<br />

bei Matthäus Jesus zuerst die Lehrer fragt, wessen Sohn der Christus sei, <strong>und</strong><br />

si<strong>ch</strong> von ihnen diejenige Antwort geben läßt, die ihnen <strong>na<strong>ch</strong></strong> der S<strong>ch</strong>rift selbstverständli<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> einzig mögli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ien, die, er sei Davids Sohn, worauf sie nun<br />

Jesus darin, daß der Christus in Davids Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> in die Glei<strong>ch</strong>förmigkeit<br />

mit ihm hineingeboren ist, das große Geheimnis ahnen läßt, das all ihr<br />

Denken überragt.<br />

Zur letzten Arbeit Jesu gehörte no<strong>ch</strong>mals die Ausri<strong>ch</strong>tung des Bußworts an<br />

Israels Fromme <strong>und</strong> Lehrer, das zum Geri<strong>ch</strong>tswort wurde, ihre Heiligkeit zerriß<br />

<strong>und</strong> den S<strong>ch</strong>ein der Treue gegen das Gesetz, mit dem sie si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>mücken<br />

<strong>und</strong> verhärten, zerstörte, Matthäus 23. Aus diesem letzten Zeugnis Jesu gegen<br />

die Judens<strong>ch</strong>aft hat <strong>Markus</strong> nur wenige Sprü<strong>ch</strong>e wiederholt, die seinen Gr<strong>und</strong>gedanken<br />

ausspre<strong>ch</strong>en. Er weist zuerst auf die selbstsü<strong>ch</strong>tige Eitelkeit der Theologen<br />

hin, weil sie ihre verborgene Gottlosigkeit deutli<strong>ch</strong> offenbart. 12,370—39:<br />

Und die große Menge hörte ihn gern. Und als er lehrte, sagte er: Hütet eu<strong>ch</strong><br />

vor den S<strong>ch</strong>rift gelehrten, die ihre Lust daran haben, in langen Gewändern<br />

einherzugehen <strong>und</strong> auf den Märkten den Gruß, in den Versammlungen die<br />

ersten Sitze <strong>und</strong> beim Mahl die ersten Plätze zu erhalten. Derglei<strong>ch</strong>en zeigt,<br />

daß sie si<strong>ch</strong> selber leben <strong>und</strong> dienen, ni<strong>ch</strong>t Gott.


<strong>Markus</strong> 12,340—44 109<br />

Der zweite Spru<strong>ch</strong> leu<strong>ch</strong>tet no<strong>ch</strong> tiefer in ihre Sünde hinein; denn er hält<br />

ihnen vor, daß sie imstande sind, unbarmherzige Härte gegen die Bedrüdtten<br />

mit ihrem frommen Eifer zu verbinden; dadur<strong>ch</strong> vereinigen sie, was nimmermehr<br />

zusammen bestehen kann. Gott verlangt von uns, daß wir den Mens<strong>ch</strong>en<br />

helfen; sie aber ma<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> einen Gottesdienst zure<strong>ch</strong>t, der die Bosheit ni<strong>ch</strong>t<br />

verhindert, vielmehr hegt <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ützt. 12,40: <strong>Die</strong>, die die Häuser der Witwen<br />

aufessen <strong>und</strong> angebli<strong>ch</strong> lange beten, werden ein besonderes Urteil erhalten.<br />

Obglei<strong>ch</strong> der Witwe mit ihrem Mann ihr Ernährer <strong>und</strong> Bes<strong>ch</strong>ützer gestorben<br />

ist, bringen es diese berühmten Frommen denno<strong>ch</strong> fertig, auf ihrem Re<strong>ch</strong>t<br />

gegen sie zu bestehen <strong>und</strong> ihr das Haus zu nehmen, weil sie ihnen vers<strong>ch</strong>uldet<br />

ist <strong>und</strong> für die Erhaltung ihres Lebens ihrer Darlehen <strong>und</strong> Gaben bedarf. Sie<br />

s<strong>ch</strong>lucken es hinunter mit Behagen als fette Bissen <strong>und</strong> sind do<strong>ch</strong> Beter, die tägli<strong>ch</strong><br />

viel Zeit <strong>und</strong> Eifer auf die Übung des Gebets verwenden. Do<strong>ch</strong> sie geben<br />

nur vor, daß sie beten, sagt Jesus. Ein wirkli<strong>ch</strong>es Gebet ist, was sie so nennen,<br />

in seinen Augen ni<strong>ch</strong>t, nur S<strong>ch</strong>ein <strong>und</strong> Worte, kein aufri<strong>ch</strong>tiges Gesprä<strong>ch</strong> ihres<br />

Herzens mit Gott. Aber au<strong>ch</strong> so bleibt das Gebet eine ernste Sa<strong>ch</strong>e, weil es Anrufung<br />

des göttli<strong>ch</strong>en Namens ist. Das entartete, verkommene Gebet hilft<br />

ihnen zwar ni<strong>ch</strong>t, ma<strong>ch</strong>t aber ihre unbarmherzige Härte doppelt s<strong>ch</strong>uldig <strong>und</strong><br />

strafbar. Denn jedes Gebet erinnert uns au<strong>ch</strong> an Gottes Barmherzigkeit, <strong>und</strong><br />

sein heiliger <strong>und</strong> guter Wille wird dur<strong>ch</strong> dasselbe in unserem Gewissen lebendig.<br />

Wer denno<strong>ch</strong> hart bleibt <strong>und</strong> trotz des häufigen <strong>und</strong> eifrigen Betens sein boshaftes<br />

Begehren bei si<strong>ch</strong> behält, häuft <strong>und</strong> mehrt si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> sein Geri<strong>ch</strong>t.<br />

An Stelle der anderen Worte Jesu, die die Unarten <strong>und</strong> Unlauterkeiten der .<br />

Pharisäer strafen, gibt uns <strong>Markus</strong> eine neue Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, die uns zwar au<strong>ch</strong><br />

zeigt, wie si<strong>ch</strong> gegen Jesu Ernst kein prunkender S<strong>ch</strong>ein behaupten kann, zuglei<strong>ch</strong><br />

aber seine Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit uns si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>t, womit er allem, was in<br />

Aufri<strong>ch</strong>tigkeit zur Ehre Gottes ges<strong>ch</strong>ah, sein Wohlgefallen s<strong>ch</strong>enkt. Es lag<br />

<strong>Markus</strong> au<strong>ch</strong> bei der Darstellung der letzten s<strong>ch</strong>weren Worte Jesu an Israel<br />

am Herzen, daß wir ni<strong>ch</strong>t nur auf das Zürnen <strong>und</strong> Ri<strong>ch</strong>ten des Christus, sondern<br />

au<strong>ch</strong> auf seine fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>e Gnade sehen.<br />

12,41—44: Und als er dem S<strong>ch</strong>atzbaus gegenüber saß, sah er zu, wie das<br />

Volk Kupfergeld in das S<strong>ch</strong>atzhaus einzahlte. Und viele Rei<strong>ch</strong>e zahlten viel<br />

ein, <strong>und</strong> eine arme Witwe kam <strong>und</strong> zahlte zwei Kupfer stücklein ein, die zusammen<br />

den Viertel eines As wert sind. Und er rief seine Jünger herbei <strong>und</strong><br />

sagte zu ihnen: Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: <strong>Die</strong>se arme Witwe hat mehr eingezahlt<br />

als alle, die in das S<strong>ch</strong>atzhaus einzahlten. Denn alle zahlten von ihrem Überfluß<br />

ein; sie aber zahlte aus ihrem Mangel alles, was sie hatte, ihren ganzen<br />

Unterhalt ein. Als er beim S<strong>ch</strong>atzhaus zusah, wie die Leute das, was sie Gott


I IO Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

gelobt hatten, dem S<strong>ch</strong>atzmeister einzahlten, gab er dieser "Witwe das Zeugnis,<br />

sie habe untep allen Gott das größte Opfer gebra<strong>ch</strong>t. Das ganze, ungeteilte Herz,<br />

das si<strong>ch</strong> Gott ohne Vorbehalt hingibt mit einer Liebe, die Gott alles gibt, <strong>und</strong><br />

mit einem Glauben, der auf ihn allein blickt <strong>und</strong> in ihm allein ruht <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> auf<br />

ni<strong>ch</strong>ts verläßt als auf ihn, hat Jesu Wohlgefallen. Alles gab sie. Das ma<strong>ch</strong>te an<br />

der Gabe der Witwe Jesu Freude aus. Sie hat bei ihr wirkli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an si<strong>ch</strong> selbst<br />

geda<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> hat dadur<strong>ch</strong> ihre Liebe rein gema<strong>ch</strong>t, unvermengt mit Eigensu<strong>ch</strong>t,<br />

<strong>und</strong> völligen Glauben geübt, ungemis<strong>ch</strong>t mit Argwohn <strong>und</strong> Verda<strong>ch</strong>t, der<br />

si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ganz auf Gott verläßt. Das ist derselbe Jesus, wie wir ihn immer<br />

fanden, derselbe wie damals, als er Petrus <strong>und</strong> Johannes rief, alles zu verlassen<br />

<strong>und</strong> ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>zufolgen, oder wie damals, als er dem Rei<strong>ch</strong>en sagte: Verkaufe,<br />

was du hast! derselbe, der auf den Kreuzesweg trat <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> mit allem, was er<br />

ist <strong>und</strong> hat, in Gottes Hände legte. Er hat uns ja bereits mit man<strong>ch</strong>em Wort<br />

gesagt, was für eine liebe er s<strong>ch</strong>ätzt, die, die alles leiden <strong>und</strong> geben kann, <strong>und</strong><br />

was für einen Glauben er unter seine Verheißung stellt, den, der alles von Gott<br />

erbittet <strong>und</strong> alles von ihm hofft. So wird Gott als Gott geehrt; das war in Jesu<br />

Augen Gottesdienst.<br />

Als Jesus den Tempel verließ, weissagte er seine Zerstörung, woran si<strong>ch</strong> sein<br />

Abs<strong>ch</strong>iedswort an die Jünger s<strong>ch</strong>loß, dur<strong>ch</strong> das er sie in aller Not der Zeit auf.<br />

ihn warten hieß, weil er in der Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes wiederkommen wird. Es<br />

ist lehrrei<strong>ch</strong>, daß dies die einzige Rede Jesu ist, deren großes Hauptstück wir<br />

bei <strong>Markus</strong> unverkürzt lesen. Er hebt sie als Jesu wi<strong>ch</strong>tigstes Vermä<strong>ch</strong>tnis an'<br />

die Seinigen hervor, dur<strong>ch</strong> das der Kir<strong>ch</strong>e ihre lebendige Hoffnung gegeben ist.<br />

13,1: Und als er aus dem Tempel hinausging, sagte einer seiner Jünger zu<br />

ihm: Lehrer, sieht was für Steine <strong>und</strong> was für Bauten! Ni<strong>ch</strong>t nur die Wände<br />

des Tempelhauses, sondern au<strong>ch</strong> die ungeheuren Mauern, die den Tempelberg<br />

ringsum einfaßten <strong>und</strong> die Höfe ums<strong>ch</strong>lossen, waren aus den mä<strong>ch</strong>tigsten Steinblöcken<br />

aufgeführt, damit alles das Gepräge der Uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>keit habe als<br />

ein Bau, der ni<strong>ch</strong>t für das flü<strong>ch</strong>tige Mens<strong>ch</strong>enleben erri<strong>ch</strong>tet sei, sondern dur<strong>ch</strong><br />

alle Zeiten hin dauern soll als Gottes Haus, der ewigli<strong>ch</strong> bei seinem Volke<br />

wohnt. <strong>Die</strong>se eindrucksvolle Festigkeit des Baues war der Stolz der Judens<strong>ch</strong>aft<br />

<strong>und</strong> ging au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> dem Jünger zu Herzen, als er im Gehorsam Jesu<br />

das alte Heiligtum mit ihm verließ. Jesus dagegen war vom Tempel los <strong>und</strong><br />

sah hier nur Zerstörung <strong>und</strong> Ruinen, weil Israels Zeit vorüber <strong>und</strong> sein Tempel<br />

zu Ende ist. 13,2—4: Und Jesus sagte zu ihm: Siehst du diese großen Bauten?<br />

Kein Stein wird auf dem anderen gelassen, der ni<strong>ch</strong>t herabgestürzt würde.<br />

Und als er si<strong>ch</strong> am Ölberg gesetzt hatte dem Tempel gegenüber, fragten ihn für<br />

si<strong>ch</strong> allein Petrus <strong>und</strong> Jakobus <strong>und</strong> Johannes <strong>und</strong> Andreas: Sage uns, wann


<strong>Markus</strong> 13,1—ç III<br />

wird dies ges<strong>ch</strong>ehen, <strong>und</strong> wel<strong>ch</strong>es ist das Zei<strong>ch</strong>en, wann dies alles si<strong>ch</strong> vollenden<br />

wird? <strong>Markus</strong> ma<strong>ch</strong>t darauf aufmerksam, daß diese Worte dem Tempel<br />

gegenüber gespro<strong>ch</strong>en worden sind, der gerade hier, mehr als irgendwo sonst,<br />

seine ganze Pra<strong>ch</strong>t dem Auge darstellte. Indem er weiter sagt, daß nur die vier<br />

ersten Jünger damals bei ihm waren, wird er darauf den Na<strong>ch</strong>druck legen,<br />

daß Jesus sein Abs<strong>ch</strong>iedswort denen übergeben hat, deren Verständnis <strong>und</strong><br />

Glaube besonders fest gegründet war <strong>und</strong> die den weiteren Kreis seiner Gemeinde<br />

zu tragen <strong>und</strong> zu leiten hatten.<br />

13,5—8: Jesus aber begann ihnen zu sagen: Seht eu<strong>ch</strong> vor, daß eu<strong>ch</strong> niemand<br />

verführe! Viele werden mit meinem Namen kommen <strong>und</strong> sagen: I<strong>ch</strong> bin es!<br />

<strong>und</strong> werden viele verführen. Wenn ihr aber von Kriegen <strong>und</strong> Kriegsbots<strong>ch</strong>aften<br />

hört, werdet ni<strong>ch</strong>t fur<strong>ch</strong>tsam. Das muß ges<strong>ch</strong>ehen, ist aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das<br />

Ende. Denn Volk wird si<strong>ch</strong> gegen Volk <strong>und</strong> Rei<strong>ch</strong> gegen Rei<strong>ch</strong> erheben. Erdbeben<br />

werden sein von Ort zu Ort; Hungersnöte werden sein. Der Anfang der<br />

Wehen ist dies. Wie bei Matthäus bereitet Jesus die Jünger zuerst auf die<br />

s<strong>ch</strong>weren, beängstigenden Ereignisse vor, die den nä<strong>ch</strong>sten Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tslauf füllen<br />

werden, auf die täus<strong>ch</strong>enden Versu<strong>ch</strong>e, die messianis<strong>ch</strong>e Verheißung zur<br />

Erfüllung zu bringen dur<strong>ch</strong> unberufene Heilande, auf Ers<strong>ch</strong>ütterungen, die<br />

dur<strong>ch</strong> die Völker gehen <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> die Natur. Do<strong>ch</strong> bringen diese Notzeiten<br />

das Ende no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wenn sie au<strong>ch</strong> ein Anfang derjenigen Ereignisse sind, die<br />

es herbeiführen.<br />

Daran s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> die Weissagung des s<strong>ch</strong>weren Kampfes, den die Christenheit<br />

zu bestehen <strong>und</strong> wobei sie willig in den Tod zu gehen hat. <strong>Die</strong>se Erklärung<br />

Jesu, daß seine Jünger dur<strong>ch</strong> Verfolgung <strong>und</strong> Tod hindur<strong>ch</strong> ihr Werk<br />

zu vollbringen haben, bildet bei Matthäus bereits ein Hauptstück derjenigen<br />

Rede, mit der sie Jesus aussandte. <strong>Markus</strong> benützt sie hier, um vollständiger<br />

zu zeigen, wie Jesus die Seinen zum standhaften Martyrium berufen <strong>und</strong> vorbereitet<br />

hat. 13,9: Ihr aber, gebt a<strong>ch</strong>t auf eu<strong>ch</strong> selbst! Sie werden eu<strong>ch</strong> den Geri<strong>ch</strong>ten<br />

übergeben <strong>und</strong> eu<strong>ch</strong> in den Versammlungen S<strong>ch</strong>läge geben, <strong>und</strong> vor<br />

Statthalter <strong>und</strong> Könige werdet ihr meinetwegen gestellt werden, ihnen zum<br />

Zeugnis i vgl. Matthäus 10,17. Mk diesem Spru<strong>ch</strong> hat Jesus den Kampf bes<strong>ch</strong>rieben,<br />

den Israel gegen die Christenheit führen wird. Da die an Jesus Glaubenden<br />

von den jüdis<strong>ch</strong>en Gemeinden ni<strong>ch</strong>t ertragen, sondern als Abgefallene<br />

ges<strong>ch</strong>olten <strong>und</strong> verfolgt werden, so werden sie vor die Geri<strong>ch</strong>tshöfe gestellt,<br />

die über die Reinheit der Gemeinde wa<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> über die Lehre <strong>und</strong> den Wandel<br />

in ihr die Aufsi<strong>ch</strong>t führen. Das Mittel, wodur<strong>ch</strong> diese die Zu<strong>ch</strong>t in der Gemeinde<br />

verwalteten, war die Geißel, mit der ein ungehorsamer <strong>und</strong> ketzeris<strong>ch</strong>er<br />

Mens<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong> in den Versammlungen ges<strong>ch</strong>lagen wurde. Damit


112 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

wird si<strong>ch</strong> aber der Eifer Israels nodi ni<strong>ch</strong>t zufrieden geben. Es liegt ihm an der<br />

Tötung derer, die si<strong>ch</strong> zu Jesus bekennen. Dazu haben sie die Statthalter <strong>und</strong><br />

Könige nötig, die befugt sind, Todesurteile über die zu spre<strong>ch</strong>en, die den Frieden<br />

stören <strong>und</strong> das Gesetz bre<strong>ch</strong>en; darum werden die Jünger au<strong>ch</strong> vor diese gestellt<br />

werden, damit sie ausgerottet werden. Das fällt als Anklage auf ihre Ri<strong>ch</strong>ter<br />

<strong>und</strong> ergibt das Zeugnis, vor dem sie in Gottes Geri<strong>ch</strong>t verstummen werden.<br />

Was die Jüngers<strong>ch</strong>ar unter Israel auszuri<strong>ch</strong>ten hat, ist somit dies, daß sie<br />

beim Bekenntnis zu Jesus trotz S<strong>ch</strong>mähung <strong>und</strong> Ä<strong>ch</strong>tung, Verfolgung <strong>und</strong> Tod<br />

bleibt. Sie empfängt aber au<strong>ch</strong> einen Beruf für die Völkerwelt, <strong>und</strong> <strong>Markus</strong><br />

stellt das "Wort, das ihnen diese Aufgabe nennt, glei<strong>ch</strong> hier neben das, das<br />

ihnen sagt, was sie von Israel zu erwarten haben. 13,10: Und bei allen Völkern<br />

muß zuerst die gute Bots<strong>ch</strong>aft verkündigt werden.<br />

Mit dieser Weissagung verband Jesus den Trost, daß der heilige Geist<br />

ihnen dann das Wort gebe, wenn sie vor den Mä<strong>ch</strong>tigen der Erde ihr Bekenntnis<br />

auszuri<strong>ch</strong>ten haben. 13,11: Und wenn sie eu<strong>ch</strong> überantworten <strong>und</strong> vorführen,<br />

sorgt ni<strong>ch</strong>t zum voraus, was ihr reden werdet, sondern was eu<strong>ch</strong> in<br />

jener St<strong>und</strong>e gegeben wird, das redet! Denn ni<strong>ch</strong>t ihr seid es, die da reden, sondern<br />

der heilige Geist. Gott läßt sie ni<strong>ch</strong>t allein diesen s<strong>ch</strong>weren Streit ausfe<strong>ch</strong>ten,<br />

sondern gibt ihnen den Anwalt mit, der seine Sa<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> sie führt.<br />

Das S<strong>ch</strong>werste, was ihnen bes<strong>ch</strong>ieden sein wird, ist, daß um Jesu willen au<strong>ch</strong><br />

die Bande der natürli<strong>ch</strong>en Liebe <strong>und</strong> Verwandts<strong>ch</strong>aft zerreißen <strong>und</strong> ihnen der<br />

Tod dur<strong>ch</strong> ihre nä<strong>ch</strong>sten Angehörigen bereitet werden wird. 13,12.13: Und<br />

ein Bruder wird den Bruder zum Tod überantworten <strong>und</strong> ein Vater den Sohn,<br />

<strong>und</strong> Kinder werden aufstehen gegen ihre Eltern <strong>und</strong> ihnen zum Tod helfen,<br />

<strong>und</strong> ihr werdet von allen gehaßt sein um meines Namens willen. Wer aber bis<br />

zum Ende beharrt, der wird gerettet werden. Auf diesen s<strong>ch</strong>weren Leidenswegen<br />

kommt die Christenheit nur dur<strong>ch</strong> Geduld voran; aber sie kommt au<strong>ch</strong><br />

so zur Errettung hinan <strong>und</strong> wird, wenn sie nur mit Mut duldet <strong>und</strong> mit Treue<br />

stirbt, das Ziel errei<strong>ch</strong>en, das ihr verheißen ist. .<br />

Das dritte, was Jesu Weissagung verkündet, ist die große Not, die über<br />

Israel hereinbri<strong>ch</strong>t. Wir lesen dieselbe bei <strong>Markus</strong> ganz in derselben Form wie<br />

bei Matthäus, mit derselben geheimnisvollen Unbestimmtheit, die au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t erläutert, weil sie an der ihm gegebenen Gestalt der Worte Jesu<br />

hängt. 13,14—23: Wenn ihr aber den Greuel der Verwüstung da stehen seht,<br />

wo er ni<strong>ch</strong>t stehen soll, — wer es liest, sei verständig — dann sollen die, die in<br />

Juda'a sind, in die Berge fliehen. Wer auf dem Da<strong>ch</strong> ist, steige ni<strong>ch</strong>t herab <strong>und</strong><br />

gehe ni<strong>ch</strong>t hinein, um etwas aus seinem Hause zu holen, <strong>und</strong> wer auf dem<br />

Acker ist, wende si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t rückwärts, um seinen Mantel zu holen. Wehe aber


<strong>Markus</strong> 13,10-32 113<br />

den S<strong>ch</strong>wangeren <strong>und</strong> den Säugenden in jenen Tagen! Betet aber, daß es ni<strong>ch</strong>t<br />

in der Regenzeit ges<strong>ch</strong>ehe! Denn jene Tage werden eine Not sein, wie eine<br />

sol<strong>ch</strong>e vom Anfang der S<strong>ch</strong>öpfung her, die Gott s<strong>ch</strong>uf, bis jetzt ni<strong>ch</strong>t gekommen<br />

ist, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kommen wird. Und wenn der Herr die Tage ni<strong>ch</strong>t verkürzte,<br />

würde kein Fleis<strong>ch</strong> errettet. Aber wegen der Auserwählten, die er erwählt<br />

hat, hat er die Tage verkürzt. Und wenn eu<strong>ch</strong> dann jemand sagt: Sieh!<br />

hier ist der Christus, sieh! dort, glaubt es ni<strong>ch</strong>t. Denn es werden fals<strong>ch</strong>e Christus<br />

<strong>und</strong> fals<strong>ch</strong>e Propheten aufstehen <strong>und</strong> Zei<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> W<strong>und</strong>er tun, um, wenn<br />

mögli<strong>ch</strong>, die Erwählten zu verführen. Ihr aber seht eu<strong>ch</strong> vor! I<strong>ch</strong> habe es eu<strong>ch</strong><br />

alles vorhergesagt.<br />

Auf den großen Jammer, der über Israel kommt, folgt die erlösende Gottestat,<br />

die Himmel <strong>und</strong> Erde wandelt, die Jesus dadurdi ausführt, daß er wiederkommt.<br />

13,24—27: Aber in jenen Tagen <strong>na<strong>ch</strong></strong> jener Not wird die Sonne finster<br />

wetden <strong>und</strong> der Mond sein Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t geben, <strong>und</strong> die Sterne werden vom<br />

Himmel fallen <strong>und</strong> die Kräfte, die in dem Himmel sind, ers<strong>ch</strong>üttert werden,<br />

<strong>und</strong> dann werden sie den Sohn des Mens<strong>ch</strong>en in den Wolken kommen sehen<br />

mit'großer Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit, <strong>und</strong> dann wird er die Engel senden <strong>und</strong><br />

seine Erwählten versammeln von den vier Windri<strong>ch</strong>tungen her vom Rand der<br />

Erde bis zum Rand des Himmels. Wozu er kommt, wird au<strong>ch</strong> hier mit dem<br />

einzigen Wort bes<strong>ch</strong>rieben, daß er seine Auserwählten von der ganzen Erde<br />

her sammle. Seine Gemeinde holt er zu si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> vereinigt sie in ihrer Vollzahl<br />

bei si<strong>ch</strong> zum Empfang seiner Herrli<strong>ch</strong>keit.<br />

Es folgen die Worte, die den Jüngern die Anleitung zur re<strong>ch</strong>ten Bereits<strong>ch</strong>aft<br />

auf sein Kommen geben. 13,28—32: Aber vom Feigenbaum holt eu<strong>ch</strong> die Verglei<strong>ch</strong>ung.<br />

Wenn sein Zweig s<strong>ch</strong>on wei<strong>ch</strong> wird <strong>und</strong> seine Blätter hervorsprossen,<br />

so wißt ihr, daß der Sommer nahe ist. So wißt au<strong>ch</strong> ihr, wenn ihr dies alles eintreffen<br />

seht, daß es nahe vor der Tür ist. Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: <strong>Die</strong>ses Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

geht ni<strong>ch</strong>t dahin, bis alles dies ges<strong>ch</strong>ieht. Der Himmel <strong>und</strong> die Erde<br />

werden vergehen; aber meine Worte vergehen ni<strong>ch</strong>t. Aber von jenem Tag oder<br />

jener St<strong>und</strong>e hat keiner Kenntnis, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Engel im Himmel, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

der Sohn, niemand außer dem Vater. Au<strong>ch</strong> hier bleiben die Worte bei <strong>Markus</strong><br />

denjenigen bei Matthäus genau glei<strong>ch</strong>förmig, obwohl si<strong>ch</strong> man<strong>ch</strong>e Frage<br />

an sie heftet <strong>und</strong> hier vieles unserem vollen Verständnis entzogen bleibt. <strong>Markus</strong><br />

hat aber dieser Weissagung Jesu ni<strong>ch</strong>ts weiter beizufügen, als was au<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>on Matthäus gab.<br />

"Zuletzt ma<strong>ch</strong>t Jesus die Hoffnung, die er den Seinen gibt, für ihren Gehorsam<br />

<strong>und</strong> ihre Arbeit fru<strong>ch</strong>tbar <strong>und</strong> sorgt dafür, daß sie ihre erweckli<strong>ch</strong>e <strong>und</strong><br />

heiligende Kraft in ihnen entfalte <strong>und</strong> sie dadur<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er zum verheißenen


1 14 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

Ziele leite. <strong>Die</strong>se Mahnworte mit den mä<strong>ch</strong>tigen Glei<strong>ch</strong>nissen, dur<strong>ch</strong> die sie<br />

Jesus den Jüngern eingeprägt hat, hat <strong>Markus</strong> verkürzt. Was Jesu Verheißung<br />

in uns wirken soll, sagt er ausrei<strong>ch</strong>end mit dem einen Wort, 13,33: Seht eud)<br />

vor y seid wa<strong>ch</strong>; denn ihr wißt ni<strong>ch</strong>t, wann es Zeit ist. Weil wir die Zeit ni<strong>ch</strong>t<br />

kennen, wann alles zur Vollendung kommen wird, deshalb dürfen wir ni<strong>ch</strong>t<br />

s<strong>ch</strong>lafen, ni<strong>ch</strong>t träge <strong>und</strong> sorglos die Gegenwart verträumen, als käme es erst auf<br />

eine spätere Zukunft an, als könnten wir uns au<strong>ch</strong> dann no<strong>ch</strong> zum Eingang in<br />

Gottes Rei<strong>ch</strong> bereiten. Jesus hat der Verheißung, die er seinen Jüngern gab,<br />

die entgegengesetzte Folgerung entnommen, daß sie beständig Tag um Tag<br />

das hohe, ernste Ziel im Auge haben, dem uns Gottes Regierung entgegenführt.<br />

Unseren Beruf, wa<strong>ch</strong> zu sein, ma<strong>ch</strong>t uns au<strong>ch</strong> hier ein Glei<strong>ch</strong>nis ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>.<br />

13,34: Wie ein Mens<strong>ch</strong>, der verreist <strong>und</strong> sein Haus verläßt <strong>und</strong> seinen Kne<strong>ch</strong>ten<br />

die Vollma<strong>ch</strong>t gibt, jedem sein Werk, <strong>und</strong> dem Torhüter gebot er ztt<br />

wa<strong>ch</strong>en. Wofür hat nun in dieser Lage der Torhüter zu sorgen? Eben dafür,<br />

daß er wa<strong>ch</strong> sei. Das ist der <strong>Die</strong>nst, dur<strong>ch</strong> den er den Willen seines Herrn tut<br />

<strong>und</strong> ihm Gehorsam erzeigt. Er kann ni<strong>ch</strong>t wissen, wann sein Herr kommt.<br />

13,35. 3^ : Darum seid wa<strong>ch</strong>; denn ihr wißt ni<strong>ch</strong>t, wann der Herr des Hauses<br />

kommt, ob spät abends oder um Mitter<strong>na<strong>ch</strong></strong>t oder beim Hahnenruf oder früh<br />

morgens, damit er ni<strong>ch</strong>t, wenn er plötzli<strong>ch</strong> kommt, eu<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lafend finde. Nur<br />

dann ist der Jünger bereit, wenn er unablässig auf der Wa<strong>ch</strong>e steht.<br />

Jesus spri<strong>ch</strong>t in der Erwartung, daß er plötzli<strong>ch</strong> kommen könne, ni<strong>ch</strong>t geb<strong>und</strong>en<br />

an den Lauf der Dinge auf Erden <strong>und</strong> unabhängig von dem, was hier<br />

die Seinen s<strong>ch</strong>affen <strong>und</strong> errei<strong>ch</strong>en. Au<strong>ch</strong> mit seinem herrli<strong>ch</strong>en Kommen vollzieht<br />

er den Willen des Vaters <strong>und</strong> tut au<strong>ch</strong> sein neues Werk in der Sendung<br />

von oben. Wann diese ihn zu den letzten großen Taten der Vollendung s<strong>ch</strong>ickt,<br />

ermißt <strong>und</strong> bere<strong>ch</strong>net das Auge der Jünger ni<strong>ch</strong>t. 13,37: Was i<strong>ch</strong> aber eu<strong>ch</strong> sage,<br />

das sage i<strong>ch</strong> allen: Seid wa<strong>ch</strong>! Jesus spra<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st zu denjenigen Jüngern,<br />

denen er die Führung der Christenheit <strong>und</strong> die Verantwortung für sie übertragen<br />

hat. Für sie gilt die Pfli<strong>ch</strong>t mit besonders dringli<strong>ch</strong>em Ernst, daß sie<br />

ihren Herrn ni<strong>ch</strong>t vergessen, sondern si<strong>ch</strong> dessen beständig bewußt bleiben,<br />

daß er kommt <strong>und</strong> daß sie die Gemeinde ihm zu bewahren <strong>und</strong> ihm zuzuführen<br />

haben. Darum sonderte au<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>nis aus dem Gesinde den Türhüter<br />

aus, dem die Pfli<strong>ch</strong>t aufgetragen ist, den Herrn zu empfangen <strong>und</strong> ihm<br />

die Pforte seines Hauses offen zu halten. Wie aber Jesu Verheißung uns allen<br />

dasselbe Ziel vorhält, so daß wir uns alle auf ihn freuen dürfen, weil er Gottes<br />

ganze Gemeinde zu si<strong>ch</strong> sammeln wird, so ist au<strong>ch</strong> sein Befehl, der uns mit<br />

wa<strong>ch</strong>em <strong>und</strong> bereitem Herzen auf ihn warten heißt, ni<strong>ch</strong>t nur seinen besonderen<br />

Boten gegeben, sondern bes<strong>ch</strong>reibt die allen obliegende Christenpfli<strong>ch</strong>t.


<strong>Markus</strong> 13,33—37! I4J~7<br />

Kapitel 14 <strong>und</strong> 15<br />

Jesu Sterben<br />

Der Beridit über Jesu letzte St<strong>und</strong>en bleibt bei <strong>Markus</strong> im wesentli<strong>ch</strong>en so,<br />

wie er bei Matthäus steht; Zusätze, die uns einzelne Vorgänge verständli<strong>ch</strong>er<br />

<strong>und</strong> eindrückli<strong>ch</strong>er ma<strong>ch</strong>en, finden si<strong>ch</strong> nur selten.<br />

14,1. 2: Es war aber das Pas<strong>ch</strong>a <strong>und</strong> die Tage der ungesäuerten Brote <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

zwei Tagen. Und die Hohenpriester <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>rift gelehrten su<strong>ch</strong>ten, wie sie ihn<br />

mit List fangen <strong>und</strong> töten könnten. Denn sie sagten: Ni<strong>ch</strong>t am Fest, damit kein<br />

Lärm im Volk entsteht!<br />

Vor dem letzten Gang Jesu <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem empfing er no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Hand<br />

einer Frau die Salbung <strong>und</strong> dankte ihr für sie, da sie dadur<strong>ch</strong> seinen Leib zum<br />

Grabe gerüstet habe. 14,3—5: Und als er in Bethanien im Hause Simons des<br />

Aussätzigen war, kam, als er am Tis<strong>ch</strong>e lag, eine Frau mit einem Fläs<strong>ch</strong><strong>ch</strong>en<br />

voll editen, kostbaren Nardenöls, Sie zerbra<strong>ch</strong> das Fläs<strong>ch</strong><strong>ch</strong>en <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>üttete es<br />

auf seinen Kopf. Einige aber zürnten bei si<strong>ch</strong>: Wozu ist diese Vers<strong>ch</strong>wendung<br />

des Salböls ges<strong>ch</strong>ehen? Denn dieses Salböl konnte für mehr als dreih<strong>und</strong>ert<br />

Denare verkauft <strong>und</strong> den Armen gegeben werden. Und sie fuhren sie an.<br />

Gegen die tiefe, volle Liebe, die ihm hier vor seinem S<strong>ch</strong>eiden no<strong>ch</strong> erwiesen<br />

worden ist, erhob si<strong>ch</strong> sogar im Jüngerkreise die Einrede. <strong>Markus</strong> erläutert<br />

uns den Verdruß der Murrenden, aber au<strong>ch</strong> die über jede Bere<strong>ch</strong>nung hinausgehobene<br />

Stärke der Liebe, die hier ihr "Werk getan hat, indem er den "Wert<br />

des hier vergossenen Salböls auf mehr als dreih<strong>und</strong>ert Denare s<strong>ch</strong>ätzt. Kein<br />

W<strong>und</strong>er, daß die, die hier re<strong>ch</strong>nen mo<strong>ch</strong>ten, si<strong>ch</strong> ärgerten, wenn wir bedenken,<br />

daß ein einziger Denar den Tagelohn eines Arbeiters ausma<strong>ch</strong>te. 14,6.7: Jesus<br />

aber spra<strong>ch</strong>: Laßt siel Warum quält ihr sie? Ein gutes Werk tat sie an mir.<br />

Denn ihr habt die Armen immer bei eu<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> wann ihr wollt, könnt ihr ihnen<br />

wohltun. Mi<strong>ch</strong> aber habt ihr ni<strong>ch</strong>t immer. An die Armen hatten jene Murrenden<br />

erinnert <strong>und</strong> an die rei<strong>ch</strong>e Wohltat, die ihnen nun entgangen sei. <strong>Die</strong> Gelegenheit<br />

zur Wohltat an den Armen fehlt ihnen jedo<strong>ch</strong> nie; es liegt immer<br />

einzig an ihrem Wollen, wenn ihre Liebe <strong>na<strong>ch</strong></strong> dieser Seite müßig <strong>und</strong> tatlos<br />

bleibt. Jesus aber den Dank zu bringen, ihn mit der. Gabe reiner Liebe zu erquicken,<br />

dazu ist die Frist nun ras<strong>ch</strong> vorbei, <strong>und</strong> die Murrenden bedenken<br />

ni<strong>ch</strong>t, wie übel es si<strong>ch</strong> eben jetzt für sie s<strong>ch</strong>ickt, daß au<strong>ch</strong> sie mit ihrem blinden,<br />

harten Herzen ihm Leid bereiten. Weil aber die Salbe trotz ihres hohen Wertes<br />

do<strong>ch</strong> nur eine geringe Gabe s<strong>ch</strong>eint, die Jesus ni<strong>ch</strong>ts wirkli<strong>ch</strong> zu bieten vermag,<br />

sagt er dem Weibe zur Re<strong>ch</strong>tfertigung, 14,8: Was sie vermo<strong>ch</strong>te, tat sie.<br />

Zum voraus hat sie meinen Leib zur Bestattung gesalbt. Er heißt ihr Salböl<br />

x1 5


Hö Jesu Sterbeil<br />

ni<strong>ch</strong>t unnütz; denn damit hat sie seinem Leib das gegeben, was ihm gebührt,<br />

ehe er ins Grab gelegt wird. Das ist freili<strong>ch</strong> ein geringer <strong>Die</strong>nst, aber der einzige,<br />

den ihm diese Frau erweisen kann. 14,9: Aber wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>:<br />

Überall, wo die gute Bots<strong>ch</strong>aft in der ganzen Welt verkündigt wird, wird<br />

man au<strong>ch</strong> von dem spre<strong>ch</strong>en, was diese tat, zum Gedä<strong>ch</strong>tnis für sie.<br />

14,10. 11: Und Judas Iskarioth, einer der Zwölf, ging zu den Hohenpriestern,<br />

um ihn ihnen zu überantworten. Sie aber wurden, als sie das hörten,<br />

froh <strong>und</strong> verspra<strong>ch</strong>en, ihm Geld zu geben, <strong>und</strong> er su<strong>ch</strong>te, wie er ihn bei einer<br />

guten Gelegenheit überantworten könnte.<br />

Darauf, daß Jesus in Jerusalem einen Saal zur letzten Vereinigung mit<br />

seinen Jüngern erhielt, hat <strong>Markus</strong> ein größeres Gewi<strong>ch</strong>t gelegt als Matthäus<br />

<strong>und</strong> au<strong>ch</strong> an dieser Stelle die besondere göttli<strong>ch</strong>e Leitung si<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t, die<br />

Jesus diesen Abs<strong>ch</strong>ied von seinen Jüngern ermögli<strong>ch</strong>t hat. 14,12—16: Und am<br />

ersten Tag der ungesäuerten Brote, als man das Pas<strong>ch</strong>a s<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tete, sagen seine<br />

Jünger zu ihm: Wohin willst du, daß wir gehen <strong>und</strong> für di<strong>ch</strong> rüsten sollen,<br />

damit du das Pas<strong>ch</strong>a essen kannst? Und er s<strong>ch</strong>ickt zwei seiner Jünger <strong>und</strong> sagt<br />

zu ihnen: Geht in die Stadt, <strong>und</strong> es wird eu<strong>ch</strong> ein Mens<strong>ch</strong> begegnen, der einen<br />

Wasserkrug trägt. Geht ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>, <strong>und</strong> wo er hineintritt, dort sagt dem Hausherrn:<br />

Der Lehrer sagt: Wo ist für mi<strong>ch</strong> das Gema<strong>ch</strong>, in dem i<strong>ch</strong> mit meinen<br />

Jüngern das Pas<strong>ch</strong>a essen kann? Und er wird eu<strong>ch</strong> ein großes Gema<strong>ch</strong> zeigen,<br />

das mit Teppi<strong>ch</strong>en belegt <strong>und</strong> gerüstet ist. Und dort ma<strong>ch</strong>t alles für uns bereit!<br />

Und die Jünger gingen weg <strong>und</strong> kamen in die Stadt <strong>und</strong> fanden es, wie er es<br />

ihnen gesagt hatte, <strong>und</strong> bereiteten das Pas<strong>ch</strong>a. Ein Obergemadi, das si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

im Hause selbst, sondern auf dem Da<strong>ch</strong> befand, war Jesus deshalb erwüns<strong>ch</strong>t,<br />

weil er dadur<strong>ch</strong> ungestört, von Fremden abgesondert, den Seinen all das no<strong>ch</strong><br />

sagen <strong>und</strong> geben konnte, womit er ihnen den "Willen Gottes in seinem Ende<br />

erläutert hat. In der Vorbereitung seines letzten Mahls hat er ähnli<strong>ch</strong> gehandelt<br />

wie damals, als er seine Jünger <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethphage s<strong>ch</strong>ickte mit der Gewißheit,<br />

der Esel zum Einzug stehe für ihn bereit. Er zählt den ungestörten<br />

Abs<strong>ch</strong>ied von seinen Jüngern zu dem vom Vater ihm aufgetragenen "Werk;<br />

so wußte er au<strong>ch</strong>, daß alles, was dazu erforderli<strong>ch</strong> sei, ihm gegeben werde.<br />

14,17—21: Und als es Abend geworden war, kommt er mit den Zwölf, <strong>und</strong><br />

als sie si<strong>ch</strong> am Tis<strong>ch</strong> niedergelegt hatten <strong>und</strong> aßen, sagte Jesus: Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong><br />

sage eu<strong>ch</strong>: Einer von eu<strong>ch</strong>, der mit mir ißt, wird mi<strong>ch</strong> überantworten. Sie begannen<br />

si<strong>ch</strong> zu betrüben <strong>und</strong> einer <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem anderen zu ihm zu sagen: I<strong>ch</strong> bin<br />

es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t? Er aber sagte zu ihnen: Einer der Zwölf, der mit mir in die<br />

S<strong>ch</strong>üssel tunkt. Denn der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en geht zwar weg, wie über ihn ges<strong>ch</strong>rieben<br />

ist. Do<strong>ch</strong> wehe jenem Mens<strong>ch</strong>en, dur<strong>ch</strong> den der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en


<strong>Markus</strong> 14,8—31 117<br />

überantwortet wird! Für ihn wäre es besser, wenn jener Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t geboren<br />

wäre. Über das Verhalten des Judas in jenem Augenblick sagt <strong>Markus</strong> ni<strong>ch</strong>ts.<br />

Das S<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong>ste an diesem Vorgang hat er verhüllt, wie Judas seinen "Willen<br />

vor Jesu Augen festhielt, obwohl er ihn ans Li<strong>ch</strong>t gezogen hat.<br />

14,22—24: Und während sie aßen, nahm er ein Brot, spra<strong>ch</strong> den Segen, bra<strong>ch</strong><br />

es <strong>und</strong> gab es ihnen <strong>und</strong> sagte: Nehmet, dies ist mein Leib. Und er nahm einen<br />

Be<strong>ch</strong>er, sagte Dank <strong>und</strong> gab ihn ihnen, <strong>und</strong> sie tranken alle aus ihm. Und er<br />

sagte zu ihnen: <strong>Die</strong>s ist mein Blut, das Blut des B<strong>und</strong>es, das für viele vergossen<br />

wird. Einen Verlust hat dieses Wort dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erlitten, daß <strong>Markus</strong> die<br />

Vergebung der Sünden ni<strong>ch</strong>t erwähnt, sondern Jesu Blut nur als das Blut des<br />

B<strong>und</strong>es bezei<strong>ch</strong>net, an dem viele Anteil erhalten werden. Denn es gibt für Jesus<br />

<strong>und</strong> seine Jünger keine Verb<strong>und</strong>enheit mit Gott, die ni<strong>ch</strong>t auf der Vergebung<br />

der Sünden beruht <strong>und</strong> uns diese gewährt. Der neue B<strong>und</strong> wird dur<strong>ch</strong><br />

die Sünde nötig <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> hergestellt, daß sie vergeben ist. Viellei<strong>ch</strong>t sah<br />

<strong>Markus</strong> beim Abendmahl <strong>und</strong> Kreuz Jesu vor allem auf den neuen Lebensstand,<br />

in den uns Jesus dur<strong>ch</strong> sein Sterben führt, auf den neuen Anteil an<br />

Gottes Gnade <strong>und</strong> Gere<strong>ch</strong>tigkeit, der die Fru<strong>ch</strong>t des Kreuzes Jesu für uns ist.<br />

Dem Bußernst des Matthäus entspra<strong>ch</strong> es, daß er ausdrückli<strong>ch</strong> auf die Vergebung<br />

der Sünden hinweist, die Jesus seiner Gemeinde dadur<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>afft,<br />

daß er sein Blut für sie vergoß.<br />

14,25—31 : Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> werde ni<strong>ch</strong>t mehr von der Fru<strong>ch</strong>t des<br />

Weinstocks trinken bis auf jenen Tag, da i<strong>ch</strong> sie neu trinken werde, dann,<br />

wenn Gott herrs<strong>ch</strong>t. Und als sie den Lobgesang gespro<strong>ch</strong>en hatten, gingen sie<br />

an den ölberg hinaus. Und Jesus sagt zu ihnen: Ihr alle werdet Anstoß nehmen;<br />

denn es ist ges<strong>ch</strong>rieben: I<strong>ch</strong> werde den Hirten s<strong>ch</strong>lagen, <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>afe<br />

werden si<strong>ch</strong> zerstreuen (Sa<strong>ch</strong>ar ja 13,7). Aber <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem i<strong>ch</strong> auf erweckt bin, will<br />

i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa vorangehen. Petrus aber sagte zu ihm: Wenn au<strong>ch</strong> alle<br />

Anstoß nehmen, so werde i<strong>ch</strong> es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t tun. Und Jesus sagt zu ihm: Wahrli<strong>ch</strong>,<br />

i<strong>ch</strong> sage dir: Du wirst mi<strong>ch</strong> heute in dieser Na<strong>ch</strong>t, bevor der Hahn zweimal<br />

ruft, dreimal verleugnen. Er aber redete eifrig: Wenn i<strong>ch</strong> mit dir sterben<br />

muß, werde i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verleugnen. Ebenso spra<strong>ch</strong>en aber au<strong>ch</strong> alle.<br />

Das weissagende Wort Jesu, mit dem er Petrus zeigte, daß seine ganze<br />

S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit <strong>und</strong>Sündli<strong>ch</strong>keit vor seinem Blick enthüllt war <strong>und</strong> daß er ihn denno<strong>ch</strong><br />

in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft erhalte, obglei<strong>ch</strong> er ihn sofort verleugnen wird,<br />

enthält bei <strong>Markus</strong> die genaue Zeitangabe, auf die er au<strong>ch</strong> da, wo er den Fall<br />

des Petrus erzählt, Rücksi<strong>ch</strong>t nimmt: der Hahn wird ni<strong>ch</strong>t zweimal krähen,<br />

bis der Fall des Petrus ges<strong>ch</strong>ehen ist. Als die Zeit des Hahnens<strong>ch</strong>reis bezei<strong>ch</strong>nete<br />

man den letzten Teil der Na<strong>ch</strong>t gegen den Anbru<strong>ch</strong> der Dämmerung hin, wobei


Ii8 Jesu Sterben<br />

man zu genauerer Zeitbestimmung wieder einen ersten <strong>und</strong> zweiten Hahnens<strong>ch</strong>rei<br />

unters<strong>ch</strong>ied. Ni<strong>ch</strong>t vor dem ersten, sondern vor dem zweiten Hahnens<strong>ch</strong>rei<br />

wird die Verleugnung ges<strong>ch</strong>ehen sein. Daran, daß Petrus von der Verleugnung<br />

ni<strong>ch</strong>t abließ, obwohl der erste Hahnens<strong>ch</strong>rei erfolgte, wurde offenbar,^<br />

wie gebro<strong>ch</strong>en er war, wie unvermögend, es an diesem Ort <strong>und</strong> zu dieser Zeit<br />

über seine Lippen zu bringen, daß er mit seinem ganzen Leben <strong>und</strong> Ges<strong>ch</strong>ick<br />

an dem hing, der nun vor dem Kreuze stand. Erst als das verleugnende Wort<br />

zum drittenmal gespro<strong>ch</strong>en war <strong>und</strong> Jesu "Weissagung si<strong>ch</strong> ganz erfüllt hatte,<br />

wa<strong>ch</strong>te er auf.<br />

14,32—36: Und sie kommen an einen Platz, dessen Name Gethsemane ist,<br />

<strong>und</strong> er sagt zu seinen Jüngern:Setzt eu<strong>ch</strong> hier, während i<strong>ch</strong> bete. Und er nimmt<br />

Petrus <strong>und</strong> Jakobus <strong>und</strong> Johannes mit si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> begann, si<strong>ch</strong> zu entsetzen <strong>und</strong><br />

zu zagen, <strong>und</strong> er sagt zu ihnen: Tief betrübt ist meine Seele bis zum Tod. Bleibt<br />

hier, <strong>und</strong> seid wa<strong>ch</strong>! Und er ging ein wenig voran, fiel auf die Erde <strong>und</strong> betete,<br />

daß, wenn es mögli<strong>ch</strong> sei, die St<strong>und</strong>e an ihm vorbeigehe, <strong>und</strong> er sagte: Abba,<br />

Vater, alles ist dir mögli<strong>ch</strong>. Laß diesen Kel<strong>ch</strong> an mir vorbeigehen/ Aber ni<strong>ch</strong>t,<br />

was i<strong>ch</strong> will, sondern was du willst. An den Gebetsworten Jesu in Gethsemane<br />

hat Matthäus hervorgehoben, wie Jesus dur<strong>ch</strong> sein Bitten aus dem Kampf in<br />

die Gewißheit drang, aus dem Erbeben vor dem Kreuz in den ges<strong>ch</strong>lossenen,<br />

ganzen Willen, der mit Gottes Willen völlig einig ward. <strong>Markus</strong> hat darauf<br />

ni<strong>ch</strong>t weiter Gewi<strong>ch</strong>t gelegt, dagegen ausgespro<strong>ch</strong>en, wie Jesu Bitte aus seinem<br />

gläubigen Blick in Gottes unbegrenzte Herrs<strong>ch</strong>erma<strong>ch</strong>t geflossen ist. Au<strong>ch</strong> jetzt<br />

steht ihm der Vater in seiner ganzen Herrli<strong>ch</strong>keit vor Augen als der, der alles<br />

wenden kann; darum ist es Gott allein, auf den er angesi<strong>ch</strong>ts des Sterbens<br />

blickt. Aus seiner Hand allein nimmt er den Be<strong>ch</strong>er, dur<strong>ch</strong> den ihm Bande,<br />

S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong> <strong>und</strong> Tod bes<strong>ch</strong>ieden sind. Den Namen, mit dem Jesus Gott anrief,<br />

gibt uns <strong>Markus</strong> au<strong>ch</strong> in seiner syris<strong>ch</strong>en Form: Abba; ob wir „Vater" oder<br />

„mein Vater" übersetzen, kommt <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem damaligen Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> auf<br />

eins hinaus.<br />

14,37—47: Und er kommt <strong>und</strong> findet sie s<strong>ch</strong>lafend <strong>und</strong> sagt zu Petrus:<br />

Simon, s<strong>ch</strong>läfst du? Hattest du ni<strong>ch</strong>t die Kraft, eine einzige St<strong>und</strong>e wa<strong>ch</strong> zu<br />

seinf Seid wa<strong>ch</strong> <strong>und</strong> betet, damit ihr ni<strong>ch</strong>t in eine Versu<strong>ch</strong>ung kommt. Der<br />

Geist zwar ist willig, aber das Fleis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>. Und er ging wieder weg <strong>und</strong><br />

betete, indem er dasselbe Wort spra<strong>ch</strong>. Und er fand sie, als er kam, wieder<br />

s<strong>ch</strong>lafend. Denn ihre Augen waren bes<strong>ch</strong>wert, <strong>und</strong> sie wußten ni<strong>ch</strong>t, was sie<br />

ihm antworteten. Und er kommt zum drittenmal <strong>und</strong> sagt zu ihnen: S<strong>ch</strong>laft<br />

sonst, <strong>und</strong> ruht eu<strong>ch</strong> aus. Es ist genug. <strong>Die</strong> St<strong>und</strong>e kam. Seht! der Sohn des<br />

Mens<strong>ch</strong>en wird in die Hände der Sünder überantwortet. Steht auf, wir wollen


<strong>Markus</strong> 14,32—56 119<br />

gehen. Seht! der, der mi<strong>ch</strong> überantwortet, ist gekommen. Und glei<strong>ch</strong>, während<br />

er no<strong>ch</strong> redete, kommt Judas, einer der Zwölf, an <strong>und</strong> mit ihm eine S<strong>ch</strong>ar mit<br />

S<strong>ch</strong>wertern <strong>und</strong> Knütteln von den Hohenpriestern <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong><br />

Ältesten. Aber der, der ihn überantwortete, hatte ihnen ein Kennzei<strong>ch</strong>en gegeben<br />

<strong>und</strong> gesagt: Der, den i<strong>ch</strong> küssen werde, der ist es; ergreift ihn <strong>und</strong> führt<br />

ihn sieber ab! Und wie er kam, trat er glei<strong>ch</strong> zu ihm <strong>und</strong> sagt: Rabbi, <strong>und</strong><br />

küßte ihn. Sie aber legten die Hände an ihn <strong>und</strong> ergriffen ihn. Einer aber von<br />

denen, die dabei standen, zog das S<strong>ch</strong>wert, s<strong>ch</strong>lug den Kne<strong>ch</strong>t des Hohenpriesters<br />

<strong>und</strong> hieb ihm das Ohr ab. Au<strong>ch</strong> hier spri<strong>ch</strong>t <strong>Markus</strong> weder davon, wie<br />

Jesus die Heu<strong>ch</strong>elei des Verräters abgewiesen, no<strong>ch</strong>, wie er den Jünger, der<br />

zum S<strong>ch</strong>werte griff, bes<strong>ch</strong>ämt hat. Er erzählt nur, daß einer der Jünger mit<br />

seinem S<strong>ch</strong>wert Jesus helfen wollte, <strong>und</strong> re<strong>ch</strong>net darauf, daß wir selber sehen,<br />

wie fern dies dem "Willen Jesu lag, wie blind hier mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gedanken<br />

Gottes großen Rat dur<strong>ch</strong>kreuzen wollten.<br />

14,48—52: Und Jesus antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Wie gegen einen<br />

Räuber seid ihr mit S<strong>ch</strong>wertern <strong>und</strong> Knütteln ausgezogen, um mi<strong>ch</strong> zu fangen.<br />

Jeden Tag war i<strong>ch</strong> bei eu<strong>ch</strong> im Tempel <strong>und</strong> lehrte, <strong>und</strong> ihr habt mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ergriffen.<br />

Aber das ges<strong>ch</strong>ah, damit die Sprü<strong>ch</strong>e der S<strong>ch</strong>rift erfüllt werden. Und<br />

alle verließen ihn <strong>und</strong> flohen. Und ein Jüngling war ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>gefolgt, mit<br />

einem Stück Leinwand auf dem bloßen Körper bekleidet, <strong>und</strong> sie ergreifen<br />

ihn. Er aber ließ die Leinwand fahren <strong>und</strong> entfloh nackt. Wir sollen wissen,<br />

wie angstvoll die Jünger auseinanderflöhen. Sie hatten, als sie Jesus geb<strong>und</strong>en<br />

sahen, nur no<strong>ch</strong> einen Gedanken: Flu<strong>ch</strong>t! Ob mit den Kleidern, ob ohne Kleider,<br />

galt jetzt als Nebensa<strong>ch</strong>e. Mit überwältigender Ma<strong>ch</strong>t trieb sie der Anblick<br />

des geb<strong>und</strong>enen Jesus fort. Au<strong>ch</strong> hier ist wieder si<strong>ch</strong>tbar, wie tief <strong>Markus</strong> die<br />

Gebre<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> Armut der Jüngers<strong>ch</strong>ar empfindet, wie sie si<strong>ch</strong> bei Jesu<br />

Kreuzesweg offenbart*.<br />

14,53—56: Und sie führten Jesus zum Hohenpriester ab, <strong>und</strong> alle Hohenpriester<br />

<strong>und</strong> Ältesten <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>riftgelehrten kommen zusammen. Und Petrus<br />

ging von weitem <strong>na<strong>ch</strong></strong> bis hinein in den Palast des Hohenpriesters, <strong>und</strong> er saß<br />

bei den <strong>Die</strong>nern <strong>und</strong> wärmte si<strong>ch</strong> am Feuer. Aber die Hohenpriester <strong>und</strong> der<br />

ganze Geri<strong>ch</strong>tshof su<strong>ch</strong>ten <strong>na<strong>ch</strong></strong> einem Zeugnis gegen Jesus, um ihn töten zu<br />

können, <strong>und</strong> fanden es ni<strong>ch</strong>t. Denn viele gaben gegen ihn fals<strong>ch</strong>es Zeugnis ab,<br />

<strong>und</strong> ihre Zeugnisse waren ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>. <strong>Die</strong> Beratung der Priester <strong>und</strong> Lehrer<br />

* Es ist die Vermutung ausgespro<strong>ch</strong>en worden, <strong>Markus</strong> sei selber dieser junge Mann gewesen. Im<br />

Saale seines elterli<strong>ch</strong>en Hauses, in dem später die Gemeinde zusammenkam, Apostelges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te 12,1z,<br />

habe Jesus das Abendmahl gehalten <strong>und</strong> <strong>Markus</strong> habe si<strong>ch</strong> an die Jüngers<strong>ch</strong>ar bei ihrem Weggang ras<strong>ch</strong><br />

anges<strong>ch</strong>lossen. <strong>Die</strong> s<strong>ch</strong>amvolle Buße, in die der Vers getau<strong>ch</strong>t ist, spri<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t gegen die Vermutung. Nur<br />

ist es eben nur eine Vermutung.


120 Jesu Sterben<br />

über Jesu Ges<strong>ch</strong>ick hat si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st bemüht, die Formen eines gesetzli<strong>ch</strong>en<br />

Ri<strong>ch</strong>terspru<strong>ch</strong>s zu bewahren, wozu vor allem ein Zeugenbeweis gegen den Angeklagten<br />

erforderli<strong>ch</strong> war. <strong>Die</strong>ser mißlang jedo<strong>ch</strong>, weil eine übereinstimmende<br />

Aussagung zweier Zeugen nötig war, damit die S<strong>ch</strong>uld des Verklagten erwiesen<br />

sei. <strong>Die</strong> Pünktli<strong>ch</strong>keit der S<strong>ch</strong>riftgelehrten hatte si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf diesen Punkt<br />

erstreckt <strong>und</strong> für die Aussagen der Zeugen strenge Regeln ausgebildet. Den<br />

Männern, die über Jesus Geri<strong>ch</strong>t hielten, widerstrebte es, diese Regeln offenk<strong>und</strong>ig<br />

zu zerbre<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> hier ein Zeugnis zuzulassen, das sie in jedem anderen<br />

Fall ohne Bedenken als ungültig verworfen hätten. 14,57—59: Und einige<br />

standen auf, gaben gegen ihn fals<strong>ch</strong>es Zeugnis ab <strong>und</strong> sagten: Wir haben ihn<br />

sagen gehört: I<strong>ch</strong> werde diesen Tempel, der mit den Händen gema<strong>ch</strong>t ist, zerstören<br />

<strong>und</strong> während drei Tagen einen anderen bauen, der ni<strong>ch</strong>t mit den Händen<br />

gema<strong>ch</strong>t ist. Und au<strong>ch</strong> so war ihr Zeugnis ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>. In der Art, wie<br />

<strong>Markus</strong> das Wort wiedergibt, mit dem Jesu Gegner seine Gottlosigkeit beweisen<br />

wollten, ist die neue, höhere Art desjenigen Tempels hervorgehoben, den<br />

Jesus s<strong>ch</strong>afft. Mit den Händen gema<strong>ch</strong>t zu sein, ist das Merkmal dessen, was<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Kunst erzeugt; ni<strong>ch</strong>t mit den Händen gema<strong>ch</strong>t zu sein, ist die Art<br />

dessen, was das göttli<strong>ch</strong>e Wirken s<strong>ch</strong>afft. Der Tempel, von dem Jesus spra<strong>ch</strong>,<br />

glei<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t mehr dem alten Heiligtum, das als ein Gebilde des Mens<strong>ch</strong>en vergängli<strong>ch</strong><br />

ist <strong>und</strong> keine bleibende Gegenwart Gottes in si<strong>ch</strong> hat, sondern steht<br />

so ho<strong>ch</strong> über diesem wie Gottes Werk über des Mens<strong>ch</strong>en Werk, ein ewiger<br />

Bau. Aber au<strong>ch</strong> dieser Beweis dafür, daß si<strong>ch</strong> Jesus an Gott <strong>und</strong> seinem Gesetz<br />

versündigt habe, wurde ni<strong>ch</strong>t als gültig zugelassen, weil si<strong>ch</strong> die Zeugen nur<br />

no<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wankend <strong>und</strong> unglei<strong>ch</strong> an Jesu Wort erinnerten.<br />

14,60—62: Und der Hohepriester trat in die Mitte, befragte Jesus <strong>und</strong><br />

spra<strong>ch</strong>: Antwortest du ni<strong>ch</strong>ts? Was zeugen diese gegen di<strong>ch</strong>? Er aber s<strong>ch</strong>wieg<br />

<strong>und</strong> antwortete ni<strong>ch</strong>ts. No<strong>ch</strong>mals befragte ihn der Hohepriester <strong>und</strong> sagt zu<br />

ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Ho<strong>ch</strong>gelobten? Jesus aber sagte: I<strong>ch</strong><br />

bin es, <strong>und</strong> ihr werdet sehen, daß der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en zur Re<strong>ch</strong>ten der<br />

Ma<strong>ch</strong>t sitzt <strong>und</strong> mit den Wolken des Himmels kommt. „Von jetzt an" werdet<br />

ihr dies sehen, hat Jesus gesagt, weil er jetzt am Ende seiner Erniedrigung <strong>und</strong><br />

seines Leidens steht <strong>und</strong> glei<strong>ch</strong> auf diese seine Verherrli<strong>ch</strong>ung folgt. <strong>Markus</strong><br />

bedenkt, daß die Verheißung Jesu seine ganze königli<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft <strong>und</strong><br />

<strong>Offenbarung</strong> umfaßt <strong>und</strong> darum den ganzen Lauf der Zeit umspannt. Aber<br />

au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> gibt an, daß Jesus seinen Ri<strong>ch</strong>tern gesagt hat, sie selbst würden<br />

es sehen, wie Gott ihn erhöht.<br />

I 4> 6 3—7 2 ' Aber der Hohepriester zerriß seine Kleider <strong>und</strong> sagt: Wozu brau<strong>ch</strong>en<br />

wir no<strong>ch</strong> Zeugen? Ihr habt die Lästerung gehört. Was haltet ihr für rieh-


<strong>Markus</strong> 14,57—72; 15,1—7<br />

tig? Sie alle aber verurteilten ihn, daß er des Todes s<strong>ch</strong>uldig sei. Und einige<br />

begannen, ihn anzuspucken <strong>und</strong> sein Gesi<strong>ch</strong>t zu verdecken <strong>und</strong> ihn zu s<strong>ch</strong>lagen<br />

<strong>und</strong> ihm zu sagen: Weissage! <strong>und</strong> die <strong>Die</strong>ner gaben ihm Backenstrei<strong>ch</strong>e. Und<br />

als Petrus unten im Hof war, kommt eine der Mägde des Hohenpriesters, <strong>und</strong><br />

wie sie Petrus si<strong>ch</strong> wärmen sah, sah sie ihn an <strong>und</strong> sagt: Au<strong>ch</strong> du warst bei dem<br />

Nazarener, bei Jesus. Er aber leugnete <strong>und</strong> sagte: Weder weiß no<strong>ch</strong> verstehe<br />

i<strong>ch</strong>, was du sagst. Und er ging hinaus in den äußeren Hof, <strong>und</strong> ein Hahn rief,<br />

<strong>und</strong> die Magd sah ihn <strong>und</strong> begann wieder, den dabei Stehenden zu sagen:<br />

<strong>Die</strong>ser gehört zu ihnen. Er aber leugnete wieder. Und <strong>na<strong>ch</strong></strong> kurzer Zeit sagten<br />

die dabei Stehenden wieder zu Petrus: Du gehörst wahrhaftig zu ihnen; denn<br />

du bist au<strong>ch</strong> ein Galiläer. Er aber begann, si<strong>ch</strong> zu verflu<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> zu s<strong>ch</strong>wören:<br />

I<strong>ch</strong> kenne diesen Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t, von dem ihr spre<strong>ch</strong>t. Und glei<strong>ch</strong> rief der<br />

Hahn zum zweitenmal. Und Petrus geda<strong>ch</strong>te an das Wort, wie ihm Jesus gesagt<br />

hatte: Ehe der Hahn zweimal ruft, wirst du mi<strong>ch</strong> dreimal verleugnen.<br />

Und er verhüllte sieb <strong>und</strong> weinte.<br />

15,1—7: Und glei<strong>ch</strong> am Morgen ma<strong>ch</strong>ten die Hohenpriester mit den Ältesten<br />

<strong>und</strong> S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> der ganze Geri<strong>ch</strong>tshof den Bes<strong>ch</strong>luß fertig, banden<br />

Jesus, führten ihn weg <strong>und</strong> übergaben ihn Pilatus. Und Pilatus befragte<br />

ihni] Bist du der König der Juden? Er aber antwortete ihm <strong>und</strong> sagt: Du<br />

spri<strong>ch</strong>st es aus. Und die Hohenpriester bra<strong>ch</strong>ten viele Anklagen gegen ihn vor.<br />

Pilatus aber befragte ihn no<strong>ch</strong>mals: Antwortest du ni<strong>ch</strong>ts? Sieh! wie S<strong>ch</strong>weres<br />

sie gegen di<strong>ch</strong> klagen. Aber Jesus antwortete ni<strong>ch</strong>ts mehr, so daß si<strong>ch</strong> Pilatus<br />

verw<strong>und</strong>erte. Er gab ihnen aber je am Test einen Gefangenen frei, um den sie<br />

baten. Es war aber der, der den Namen Barabbas hat, mit den Aufrührern<br />

geb<strong>und</strong>en worden, die beim Aufruhr einen Mord begangen hatten. <strong>Markus</strong><br />

gibt an, wodur<strong>ch</strong> Barabbas in die Gewalt des Pilatus gekommen war <strong>und</strong> sein<br />

Leben verwirkt hatte. Er ma<strong>ch</strong>t so seinen grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Lesern deutli<strong>ch</strong>, was<br />

dieser Wahl Israels ihre tiefe Bedeutung gab. Sein Kampf gegen die römis<strong>ch</strong>e<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft <strong>und</strong> seine Lust, si<strong>ch</strong> mit Gewalt <strong>und</strong> Blutvergießen die Freiheit zu<br />

vers<strong>ch</strong>affen, zog es zu Barabbas hin, während Jesus, der si<strong>ch</strong> allein an den<br />

Vater hält, ihm als verä<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gilt. <strong>Die</strong> Art, wie er den Namen „Barabbas",<br />

d. h. Sohn des Vaters, hervorhebt, wird zeigen, daß ihm au<strong>ch</strong> dieser bedeutsam<br />

war. Israel hatte zwis<strong>ch</strong>en einem une<strong>ch</strong>ten Sohn Gottes, bei dem dieser<br />

Name leer <strong>und</strong> unwahr war, <strong>und</strong> dem e<strong>ch</strong>ten Sohn Gottes zu wählen, <strong>und</strong> es<br />

wählte fals<strong>ch</strong>.<br />

15,8—21: Und die Menge zog hinauf <strong>und</strong> begann, das zu erbitten, was er<br />

ihnen zu tun gewohnt war. Pilatus aber antwortete ihnen <strong>und</strong> sagte: Wollt<br />

ihr, daß i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> den König der Juden freigebe? Denn er begriff, daß ihn die<br />

1Z1


122 Jesu Sterben<br />

Hohenpriester aus Neid überantwortet hatten. Aber die Hohenpriester regten<br />

die Menge auf, daß er ihnen vielmehr Barabbas freigeben sollte. Pilatus aber<br />

antwortete no<strong>ch</strong>mals <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Was soll i<strong>ch</strong> denn dem tun, den ihr<br />

den König der Juden nennt? Sie aber s<strong>ch</strong>rieen wieder: Kreuzige ihn! Pilatus<br />

aber sagte ihnen: Was hat er denn Böses getan? Sie aber s<strong>ch</strong>rieen gewaltig:<br />

Kreuzige ihn! Pilatus aber wollte der Menge denWillen tun, gab ihnen Barabbas<br />

frei, ließ Jesus geißeln <strong>und</strong> überantwortete ihn, daß er gekreuzigt werde.<br />

<strong>Die</strong> Soldaten führten ihn hinein in den Palast, das ist das Prätorium, <strong>und</strong><br />

riefen die ganze Kohorte zusammen. Und sie ziehen ihm einen Purpur an, fle<strong>ch</strong>ten<br />

einen Kranz aus Dornen <strong>und</strong> setzen ihn ihm auf <strong>und</strong> begannen, ihn zu<br />

begrüßen: Sei gegrüßt, König der Juden! <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>lugen ihn auf den Kopf mit<br />

einem Rohr <strong>und</strong> spuckten ihn an, beugten die Kniee <strong>und</strong> huldigten ihm. Und<br />

als sie ihn verhöhnt hatten, zogen sie ihm den Purpur aus <strong>und</strong> seine eigenen<br />

Kleider an <strong>und</strong> führten ihn hinaus, um ihn zu kreuzigen. Und sie zwangen<br />

einen, der vorbeiging, Simon aus Cyrene, der vom Feld herkam, den Vater des<br />

Alexander <strong>und</strong> Ruf us, daß er sein Kreuz trage. Den, der das Kreuz für Jesus<br />

trug, ma<strong>ch</strong>t <strong>Markus</strong> seinen Lesern dadur<strong>ch</strong> bekannt, daß er ihn den Vater des<br />

Alexander <strong>und</strong> Rufus heißt. Si<strong>ch</strong>er waren diese seine Söhne damals Glieder der<br />

Christenheit <strong>und</strong> dem Leserkreis des <strong>Markus</strong> wohlbekannt. Es ist der Bea<strong>ch</strong>tung<br />

wert, daß das Haus dessen, der Jesus diesen <strong>Die</strong>nst erweisen mußte <strong>und</strong><br />

etwas von seiner S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong> mit ihm getragen hat, her<strong>na<strong>ch</strong></strong> zum Glauben an ihn<br />

gekommen ist. Jesus hat au<strong>ch</strong> diesem seinem Genossen auf dem Kreuzesweg<br />

den Dank ni<strong>ch</strong>t versagt.<br />

15,22. 23: Und sie bringen ihn an den Ort Golgotha, das heißt übersetzt:<br />

Ort des S<strong>ch</strong>ädels. Und sie gaben ihm mit Myrrhe gewürzten Wein. Er aber<br />

nahm ihn ni<strong>ch</strong>t. Den Trank, der Jesus bei der Kreuzigung gerei<strong>ch</strong>t wurde, hat<br />

Matthäus mit Galle vermis<strong>ch</strong>ten Wein genannt. Er s<strong>ch</strong>aute dabei mehr auf die<br />

Klage des Psalms als auf das, was tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> in den Be<strong>ch</strong>er kam, den man<br />

denen rei<strong>ch</strong>te, die die Marter einer qualvollen Hinri<strong>ch</strong>tung zu leiden hatten.<br />

<strong>Markus</strong> hat die Sa<strong>ch</strong>e mit ihrem eigentli<strong>ch</strong>en Namen genannt. <strong>Die</strong> betäubende<br />

Kraft des Weins sollte dur<strong>ch</strong> die Mis<strong>ch</strong>ung mit Myrrhe verstärkt werden.<br />

15,24.25: Und sie kreuzigen ihn, <strong>und</strong> sie verteilen seine Kleider, indem sie<br />

das Los um sie warfen, wel<strong>ch</strong>es Stück jeder erhalte. Es war aber die dritte<br />

St<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> sie kreuzigten ihn. Über die St<strong>und</strong>e, in die die Aufri<strong>ch</strong>tung des<br />

Kreuzes fiel, enthält Matthäus keine Angabe. Er sagt nur, daß Jesus um die<br />

se<strong>ch</strong>ste St<strong>und</strong>e, um Mittag, am Kreuze hing, <strong>und</strong> von dann an die Finsternis<br />

über allem lag. <strong>Markus</strong> unters<strong>ch</strong>eidet die Kreuzigung vom Beginn der Finster-


<strong>Markus</strong> 15,8—47 125<br />

nis <strong>und</strong> setzt diese um die dritte St<strong>und</strong>e, vielleidit, wenn wir an Johannes 19,14<br />

denken, etwas zu früh.<br />

15,26-36: Und die Ins<strong>ch</strong>rift über seine S<strong>ch</strong>uld war so verfaßt: Der König<br />

der Juden. Und mit ihm kreuzigen sie zwei Räuber, den einen zu seiner Re<strong>ch</strong>ten<br />

<strong>und</strong> den anderen zu seiner Linken. Und die, die vorbeigingen, lästerten<br />

ihn, s<strong>ch</strong>üttelten ihre Köpfe <strong>und</strong> sagten: Ah! der du den Tempel abbri<strong>ch</strong>st <strong>und</strong><br />

in drei Tagen baust, rette di<strong>ch</strong> selbst dadur<strong>ch</strong>, daß du vom Kreuz herniedersteigst!<br />

Ebenso verhöhnten ihn au<strong>ch</strong> die Hohenpriester untereinander mit den<br />

S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> sagten: Andere rettete er, si<strong>ch</strong> selbst kann er ni<strong>ch</strong>t retten.<br />

Der Christus, der König Israels, steige jetzt vom Kreuz herab, damit wir sehen<br />

<strong>und</strong> glauben! Und die, die mit ihm gekreuzigt waren, s<strong>ch</strong>mähten ihn. Und als<br />

es die se<strong>ch</strong>ste St<strong>und</strong>e war, kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur<br />

neunten St<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> um die neunte St<strong>und</strong>e rief Jesus mit lauter Stimme: Eloi,<br />

Eloi, lama, sab a<strong>ch</strong>t ani, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast<br />

du mi<strong>ch</strong> verlassen? Und einige von den Dabeistehenden, die es hörten, sagten:<br />

Sieh! er ruft den Elia herbei. Es lief aber einer, füllte einen S<strong>ch</strong>wamm mit<br />

Essig, legte ihn um ein Rohr, tränkte ihn <strong>und</strong> sagte: Laßt mi<strong>ch</strong>, wir wollen<br />

sehen, ob Elia kommt, um ihn herabzunehmen. Wie Matthäus, so gibt uns<br />

au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> von Worten Jesu aus den Kreuzesst<strong>und</strong>en nur das aus Psalm 22<br />

genommene Gebet, in dem si<strong>ch</strong> die Tiefe seines Leidens offenbart. Es wird ihm<br />

deswegen Elia vorgehalten, den er jetzt herbeirufen soll, <strong>und</strong> dieser Spott<br />

begleitet au<strong>ch</strong> die Labung, die ihm der an die Lippen gehaltene, mit Essig gefüllte<br />

S<strong>ch</strong>wamm gewährt. Bei <strong>Markus</strong> spottet au<strong>ch</strong> der, der ihn tränkte; bei<br />

Matthäus sagen die andern zu dem, der ihm die Labung bot, er solle es darauf<br />

ankommen lassen, ob Elia ihm zur Hilfe ers<strong>ch</strong>eine. Wenn ihn au<strong>ch</strong> der verspottete,<br />

der ihn tränkte, so ges<strong>ch</strong>ah es, um die kleine Wohltat, die er ihm<br />

erwies, zu verdecken, weil er den S<strong>ch</strong>ein ni<strong>ch</strong>t haben wollte, als greife ihm Jesu<br />

Leiden ans Herz. So wird sein Spott bedeuten, man dürfe ihm den Trunk<br />

wohl gönnen, da sie abwarten wollen, ob ihn Elia herabhole; zu diesem langen,<br />

vergebli<strong>ch</strong>en Warten tue ihm einige Erquickung wohl. Unversehens tritt nun<br />

Jesu Tod ein <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t dem grausamen Spott ein Ende.<br />

15,37—47: Aber Jesus tat einen lauten S<strong>ch</strong>rei <strong>und</strong> vers<strong>ch</strong>ied. Und der Vorhang<br />

des Tempels zerriß in zwei Stücke von oben bis unten hin. Als aber der<br />

Hauptmann, der ihm gegenüber dabeistand, sah, daß er so vers<strong>ch</strong>ied, sagte er:<br />

<strong>Die</strong>ser Mens<strong>ch</strong> war wahrhaftig Gottes Sohn. Es waren aber au<strong>ch</strong> Frauen da,<br />

die von ferne zusahen, unter ihnen Maria aus Magdala <strong>und</strong> Maria, die Mutter<br />

des kleinen Jakobus <strong>und</strong> Jose, <strong>und</strong> Salome, die ihm, als er in Galiläa war,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>gefolgt waren <strong>und</strong> ihm gedient hatten, <strong>und</strong> viele andere, die mit ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>


124 r Jesu Sterben<br />

Jerusalem hinaufgezogen waren. Und als es s<strong>ch</strong>on Abend wurde, da es Rüsttag<br />

war, das ist der Tag vor dem Sabbat, kam Joseph aus Arimathia, ein vornehmer<br />

Ratsherr, der au<strong>ch</strong> auf Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft wartete, wagte es, ging zu<br />

Pilatus hinein <strong>und</strong> bat für si<strong>ch</strong> um Jesu Leib. Pilatus aber verw<strong>und</strong>erte si<strong>ch</strong>,<br />

ob er s<strong>ch</strong>on gestorben sei, rief den Hauptmann <strong>und</strong> fragte ihn, ob er s<strong>ch</strong>on<br />

lange tot sei. Und als er es vom Hauptmann erfahren hatte, s<strong>ch</strong>enkte er den<br />

Lei<strong>ch</strong>nam dem Joseph. Und er kaufte eine Leinwand, nahm ihn herab, umwickelte<br />

ihn mit der Leinwand <strong>und</strong> legte ihn in ein Grab, das aus dem Felsen<br />

gehauen war, <strong>und</strong> wälzte einen Stein an die Türe des Grabes. Aber Maria aus<br />

Magdala <strong>und</strong> Maria, die Mutter Joses, sahen, wohin er gelegt worden war.<br />

Gekürzt hat <strong>Markus</strong> den Beri<strong>ch</strong>t des Matthäus über Jesu Kreuzigung dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß sol<strong>ch</strong>e Stücke fehlen, wel<strong>ch</strong>e die Größe der Vers<strong>ch</strong>uldung Israels<br />

hervorheben. Es fehlt der Gang des Judas in den Tempel, wo er vergebli<strong>ch</strong><br />

die Uns<strong>ch</strong>uld Jesu bezeugt, von den Priestern verhöhnt wird <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> verzweifelnd<br />

den Tod gibt, ferner die Bots<strong>ch</strong>aft der Frau des Pilatus, die ihn warnt,<br />

das zu tun, wozu ihn Israel treibt, si<strong>ch</strong> am Gere<strong>ch</strong>ten zu versündigen, der<br />

Spru<strong>ch</strong> des Pilatus, womit er die Verantwortung für die Hinri<strong>ch</strong>tung Jesu auf<br />

Israel legt, das Erdbeben beim Tode Jesu mit der Auferweckung vieler, die<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Auferstehung als seine Zeugen in Jerusalem ers<strong>ch</strong>einen, <strong>und</strong> die Bestellung<br />

der Wä<strong>ch</strong>ter vor seinem Grab, die her<strong>na<strong>ch</strong></strong> die Osterbots<strong>ch</strong>aft zu den<br />

Priestern bringen. Alle diese Vorgänge ma<strong>ch</strong>ten aus der Verkündigung des<br />

Todes Jesu für Israel ein ernstes Bußwort <strong>und</strong> zeigen ihm seine Vers<strong>ch</strong>uldung.<br />

<strong>Markus</strong> wollte ni<strong>ch</strong>t, daß si<strong>ch</strong> die Christenheit bei der Betra<strong>ch</strong>tung des Kreu-<br />

^zes gegen Israel ereifere. Seine S<strong>ch</strong>uld ist ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>önigt, ebensowenig wie<br />

die der Jünger; aber das Bußwort, das in der Bots<strong>ch</strong>aft von Jesu Tod enthalten<br />

ist, ergeht an alle, beugt alle unter der gemeinsamen S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong> tut der<br />

Welt k<strong>und</strong>, daß Gott seinen Sohn ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ont, sondern ihrer Sünde wegen<br />

dahingegeben hat. Indem so zuglei<strong>ch</strong> alle Nebenfiguren aus dem Kreuzigungsberi<strong>ch</strong>t<br />

entfernt sind, bleibt das Auge auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> an den Einen geheftet,<br />

dessen Sterben seiner Gemeinde unvergessen bleiben muß.<br />

Kapitel 16,1—8<br />

Der Anfang des Osterberi<strong>ch</strong>ts<br />

Wie Matthäus beri<strong>ch</strong>tet au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong>, daß am Sonntag in der Frühe die beiden<br />

Marien, diejenige von Magdala <strong>und</strong> die Mutter des kleinen Jakobus <strong>und</strong><br />

des Jose, den Jüngern die Bots<strong>ch</strong>aft von der Auferstehung Jesu bra<strong>ch</strong>ten.<br />

16,1. 2: Und als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala <strong>und</strong>


<strong>Markus</strong> 16,1—4 ' 12 5<br />

Maria, die Mutter des Jakobus, <strong>und</strong> Salome wohlrie<strong>ch</strong>ende Salben, damit sie<br />

kämen <strong>und</strong> ihn salbten, <strong>und</strong> sehr früh am ersten Tag <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Sabbat kommen<br />

sie zum Grab, als die Sonne aufgegangen war. Der Unters<strong>ch</strong>ied vom Beri<strong>ch</strong>t<br />

des Matthäus entsteht zunä<strong>ch</strong>st dadur<strong>ch</strong>, daß <strong>Markus</strong> darauf keine Rücksi<strong>ch</strong>t<br />

nimmt, wie si<strong>ch</strong> Israel zur Auferstehung verhielt. Deshalb fehlt die<br />

Wa<strong>ch</strong>e am Grabe, darum au<strong>ch</strong> die strahlende Ers<strong>ch</strong>einung des Engels, der das<br />

Grab öffnet, den Stein wegwälzt <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> auf ihn setzt, wodur<strong>ch</strong> den Wä<strong>ch</strong>tern<br />

die Auferstehung Jesu bekannt wird, S<strong>ch</strong>recken sie faßt <strong>und</strong> sie vom<br />

Grabe vertreibt. .<br />

Während <strong>Markus</strong> gar ni<strong>ch</strong>t mehr zu Israel hinübersieht <strong>und</strong> uns ni<strong>ch</strong>t zeigt,<br />

wie si<strong>ch</strong> dieses gegen die Osterbots<strong>ch</strong>aft verhärtete, hebt er stark hervor, wie<br />

völlig <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>arf Jesu Auferstehung den Gedanken der Jünger widerspro<strong>ch</strong>en<br />

hat. Darum ma<strong>ch</strong>t er uns einen neuen Gr<strong>und</strong> si<strong>ch</strong>tbar, weshalb die Frauen<br />

glei<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Ende der Sabbatruhe, sowie es hell wurde, zum Grabe gegangen<br />

sind. Sie kamen, sagt Matthäus, um das Grab zu besehen. Dasselbe<br />

wieder zu öffnen war ni<strong>ch</strong>t ihre Absi<strong>ch</strong>t, war ihnen au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> seine Versiegelung<br />

<strong>und</strong> Bewa<strong>ch</strong>ung unmögli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t. Sie wollten si<strong>ch</strong> aber vor die Grabkammer<br />

setzen <strong>und</strong> sehen, wie es dort stand. <strong>Markus</strong> sagt: <strong>Die</strong> Frauen wollten<br />

den Lei<strong>ch</strong>nam Jesu no<strong>ch</strong> salben. Da sie erst am Abend der Kreuzigung wußten,<br />

daß Pilatus ihnen den Lei<strong>ch</strong>nam überließ, <strong>und</strong> damals der Anbru<strong>ch</strong> der Sabbatruhe<br />

zur größten Eile zwang, waren den Frauen die stark duftenden öle<br />

<strong>und</strong> Harze ni<strong>ch</strong>t zur Hand, die man in die Binden um die Lei<strong>ch</strong>e bra<strong>ch</strong>te. So<br />

wollten sie das Grab no<strong>ch</strong> einmal betreten <strong>und</strong> es mit den Wohlgerü<strong>ch</strong>en erfüllen,<br />

die den Grabesgeru<strong>ch</strong> verdrängen sollen. <strong>Die</strong> Frauen wurden somit von<br />

dem, was sie nun erlebten, völlig überras<strong>ch</strong>t. Ihr Wuns<strong>ch</strong> war, den toten Leib<br />

zur Grabesruhe zu rüsten <strong>und</strong> unter Wohlgerü<strong>ch</strong>en seine Verwesung zu verstecken,<br />

mit der der Streit do<strong>ch</strong> völlig vergebli<strong>ch</strong> ist; er war aber s<strong>ch</strong>on erstanden,<br />

s<strong>ch</strong>on Tod <strong>und</strong> Grab entnommen in herrli<strong>ch</strong>er Lebendigkeit.<br />

16,3. 4: Und sie sagten zueinander: Wer wird uns den Stein von der Türe<br />

des Grabes wegwälzen? Und sie blicken auf <strong>und</strong> sehen, daß der Stein weggewälzt<br />

war; denn er war sehr groß. Au<strong>ch</strong> die Sorge, die der Vers<strong>ch</strong>luß des<br />

Grabes ihnen ma<strong>ch</strong>t, hält uns denselben Zwiespalt zwis<strong>ch</strong>en ihren Gedanken<br />

<strong>und</strong> Gottes Tat vor. Sie bekümmern si<strong>ch</strong> wegen der s<strong>ch</strong>weren Steinplatte, die<br />

ihnen den Eingang ins Grab verwehrt, <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>on ist es offen, weil es keines<br />

Vers<strong>ch</strong>lusses mehr bedarf; denn es ist leer.<br />

16,5—7: Und als sie in das Grab eintraten, sahen sie einen Jüngling, der auf<br />

der re<strong>ch</strong>ten Seite saß, mit einem weißen Gewand bekleidet, <strong>und</strong> erstaunten<br />

überaus. Er aber sagt zu ihnen: Erstaunet ni<strong>ch</strong>t! Ihr su<strong>ch</strong>t Jesus von Nazareth,


12 6 Der Anfang des Osterberi<strong>ch</strong>ts<br />

den Gekreuzigten. Er wurde auf erweckt; er ist ni<strong>ch</strong>t hier. Seht den Ort, wo sie<br />

ihn hingelegt haben. Aber geht, sagt seinen Jüngern <strong>und</strong> dem Petrus, daß er<br />

eu<strong>ch</strong> voran <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa geht. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er eu<strong>ch</strong> gesagt<br />

hat. Das "Wort, das der Engel an sie ri<strong>ch</strong>tet, lautet in beiden Beri<strong>ch</strong>ten glei<strong>ch</strong>.<br />

Jesu Auferstehung wird ihnen verkündigt, das leere Grab gezeigt <strong>und</strong> sie an<br />

die Apostel mit dem Beri<strong>ch</strong>t gesandt, daß Jesu Verspre<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> jetzt erfülle,<br />

wodur<strong>ch</strong> er ihnen zugesagt hat, daß er vor ihnen her <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa gehe. Nur<br />

das eine fügt <strong>Markus</strong> neu hinzu, daß sie ihre Bots<strong>ch</strong>aft au<strong>ch</strong> Petrus zu überbringen<br />

haben. Ob er au<strong>ch</strong> verleugnet hat, er bleibt der Fels, der die Gemeinde<br />

tragen wird. Für ihn ist darum besonders bestimmt, was die Jünger neu im<br />

Glauben gründet <strong>und</strong> ihnen Gottes Evangelium so darrei<strong>ch</strong>t, daß es nun ihr<br />

inwendiges <strong>und</strong> unverlierbares Eigentum geworden ist.<br />

16,8: Und sie gingen hinaus <strong>und</strong> flohen vom Grab; denn Zittern <strong>und</strong> Entsetzen<br />

erfüllte sie; <strong>und</strong> sie redeten mit niemand davon; denn sie für<strong>ch</strong>teten<br />

si<strong>ch</strong>. Na<strong>ch</strong> der deutli<strong>ch</strong>en Aussage der alten Abs<strong>ch</strong>riften des Evangeliums sind<br />

das die letzten "Worte, die <strong>Markus</strong> ges<strong>ch</strong>rieben hat. Ebenso deutli<strong>ch</strong> ist, daß das<br />

ni<strong>ch</strong>t das Ende seines Osterberi<strong>ch</strong>ts gewesen ist. Den Frauen war die Auferstehung<br />

dazu verkündigt, damit sie diese au<strong>ch</strong> den Jüngern melden; sie<br />

s<strong>ch</strong>weigen aber, <strong>und</strong> die Jünger hören ni<strong>ch</strong>ts. Gewiß ist es verständli<strong>ch</strong>, daß die<br />

Frauen tief bewegt waren, ja ers<strong>ch</strong>üttert dur<strong>ch</strong> die w<strong>und</strong>erbare "Wandlung, die<br />

das Kreuz in Leben umgewandelt hatte, ers<strong>ch</strong>üttert au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong>, daß ihnen<br />

ein himmlis<strong>ch</strong>er Bote si<strong>ch</strong>tbar geworden war <strong>und</strong> mit ihnen geredet hatte wie<br />

ein Mens<strong>ch</strong> mit dem anderen. Jedermann versteht, wie es ihnen s<strong>ch</strong>einen<br />

konnte, sie könnten mit niemand davon reden, weil diese Dinge zu groß, zu<br />

unglaubli<strong>ch</strong> seien, als daß ihr M<strong>und</strong> sie zu bezeugen vermö<strong>ch</strong>te, wie zunä<strong>ch</strong>st<br />

ni<strong>ch</strong>t Freude, sondern Fur<strong>ch</strong>t in ihnen die Oberhandgewann. Das letzte, was<br />

sie in ihrer Seele trugen, war das fur<strong>ch</strong>tbare Kreuzesbild mit der Gottlosigkeit<br />

Israels, mit der Glaubenslosigkeit der Jünger, mit ihrem eigenen Verzagen an<br />

ihm, mit dem Meer von S<strong>ch</strong>merz <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ande, das Jesus überflutete. Nun<br />

wendet si<strong>ch</strong> alles: Gott handelt in herrli<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> der Gekreuzigte<br />

kommt wieder, Gr<strong>und</strong> genug ni<strong>ch</strong>t nur zum Staunen, sondern au<strong>ch</strong> zu tiefem<br />

Erbeben über dem, was ges<strong>ch</strong>ehen ist, <strong>und</strong> vor dem, was nun ges<strong>ch</strong>ehen wird.<br />

Und do<strong>ch</strong>, das letzte an der Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ist das ni<strong>ch</strong>t gewesen, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

das letzte am Osterberi<strong>ch</strong>t, den <strong>Markus</strong> der Kir<strong>ch</strong>e geben wollte. Er hat ni<strong>ch</strong>t<br />

als sein letztes "Wort gesagt, daß das Zeugnis von Jesu Auferstehung vers<strong>ch</strong>wiegen,<br />

sondern daß es offenbar ward.<br />

Über das, was folgte, läßt si<strong>ch</strong> eine Angabe mit voller Si<strong>ch</strong>erheit ma<strong>ch</strong>en,<br />

sowie bea<strong>ch</strong>tet wird, daß der Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Markus</strong> vom ersten Vers bis hierher


<strong>Markus</strong> 16,5—8 127<br />

in fester Glei<strong>ch</strong>förmigkeit mit Matthäus steht, die au<strong>ch</strong> diesen letzten Vers<br />

mit umfaßt. Er ist die erweiterte Parallele zu den "Worten des Matthäus: Und<br />

sie gingen ras<strong>ch</strong> vom Grabe fort mit Fur<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> großer Freude. Darin hat<br />

<strong>Markus</strong> ni<strong>ch</strong>t die Freude, wohl aber die Fur<strong>ch</strong>t betont aus demselben Gr<strong>und</strong>,<br />

weshalb er von den Salbentöpfen der Frauen <strong>und</strong> von ihrer Sorge der Steinplatte<br />

wegen spra<strong>ch</strong>, um uns einzuprägen, wie s<strong>ch</strong>arf Jesu Auferstehung mit<br />

dem, was die Jünger da<strong>ch</strong>ten, zusammenstieß. Indem er die Fur<strong>ch</strong>t der Frauen<br />

kräftig s<strong>ch</strong>ildert, bereitete er das, was bei Matthäus sofort folgt, vor <strong>und</strong> erläuterte<br />

es. <strong>Die</strong> Frauen kommen ni<strong>ch</strong>t nur mit dem Engel wort zu den Jüngern,<br />

sondern, ehe sie ihnen ihre Bots<strong>ch</strong>aft bringen, ers<strong>ch</strong>eint ihnen Jesus selbst, so<br />

daß sie nun ihren Auftrag in seinem eigenen Namen auszuri<strong>ch</strong>ten vermögen,<br />

in der Gewißheit, daß sie ihn selber sahen. Deshalb hat <strong>Markus</strong> stark betont,<br />

daß das Engelwort ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>te, um die Frauen gewiß <strong>und</strong> froh zu ma<strong>ch</strong>en;<br />

denn deswegen ers<strong>ch</strong>ien ihnen nun der Herr selbst <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te die zagenden<br />

Frauen gewiß <strong>und</strong> gab ihnen, während sie bisher mit niemand zu reden vermo<strong>ch</strong>ten,<br />

den offenen M<strong>und</strong>, so daß dur<strong>ch</strong> sie die Bots<strong>ch</strong>aft von seinem Leben<br />

zu den Jüngern kam.<br />

Au<strong>ch</strong> diese Ers<strong>ch</strong>einung Jesu hatte bloß einen vorbereitenden Zweck, fa<strong>ch</strong>te<br />

den Glauben der Jünger an <strong>und</strong> rüstete sie zu derjenigen <strong>Offenbarung</strong>, dur<strong>ch</strong><br />

die er seine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen besiegelt, sein Wort ihnen bestätigt <strong>und</strong><br />

ihnen den Apostelauftrag gegeben hat. Wie aber <strong>Markus</strong> diese erzählte, darüber<br />

läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts mehr sagen, da hier der Beri<strong>ch</strong>t des Matthäus mit großer<br />

Knappheit dem Ende zustrebt <strong>und</strong> <strong>Markus</strong> lei<strong>ch</strong>t Ausführli<strong>ch</strong>eres <strong>und</strong> anderes<br />

erzählt haben kann. Jedenfalls hat au<strong>ch</strong> er darauf Gewi<strong>ch</strong>t gelegt, daß Jesus<br />

die Jünger weg von Jerusalem zurück <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa führte <strong>und</strong> dort seiner Arbeit<br />

auf Erden dur<strong>ch</strong> die <strong>Offenbarung</strong> seiner Auferstehung die Vollendung<br />

gab; denn <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa werden sie dur<strong>ch</strong> den Engel mit der Verheißung gesandt:<br />

Dort werdet ihr ihn sehen.<br />

Nirgends finden si<strong>ch</strong> in der Überlieferung der ältesten Kir<strong>ch</strong>e Texte, in<br />

denen der Osterberi<strong>ch</strong>t des <strong>Markus</strong> vollständiger war, als wir ihn lesen. Soweit<br />

<strong>Lukas</strong> <strong>und</strong> die anderen alten Zeugen ein Urteil mögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en, läßt si<strong>ch</strong><br />

nur sagen: immer hatte das Evangelium diesen plötzli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>luß. Wie es diesen<br />

erhielt, kann man si<strong>ch</strong> in man<strong>ch</strong>erlei Weise vorstellen. Es kann z. B. eine<br />

Verhinderung die Arbeit des Evangelisten unterbro<strong>ch</strong>en haben, Verfolgung,<br />

Nötigung zur Flu<strong>ch</strong>t, ein zwingender Ruf zu anderer Arbeit, so daß seine<br />

S<strong>ch</strong>rift ohne S<strong>ch</strong>luß in den Händen der Brüder blieb. Oder eine Verletzung<br />

der ersten Hands<strong>ch</strong>rift kann ihr die letzte Spalte geraubt haben, so daß das<br />

Evangelium nur mit einem verstümmelten S<strong>ch</strong>luß in der Kir<strong>ch</strong>e verbreitet wer-


128 Der Zusatz zum Osterberi<strong>ch</strong>t<br />

. den konnte. Oder der Evangelist war am Ende seiner Bu<strong>ch</strong>rolle <strong>und</strong> geda<strong>ch</strong>te<br />

in einem zweiten Band no<strong>ch</strong> weiter zu erzählen, zuerst no<strong>ch</strong> von der Auferstehung<br />

des Herrn, sodann vom Werk des Petrus <strong>und</strong> der Apostel, dur<strong>ch</strong><br />

das die Kir<strong>ch</strong>e gebaut wurde, wie es später <strong>Lukas</strong> tut, <strong>und</strong> nur der erste Band,<br />

der der Christenheit ihren Herrn bes<strong>ch</strong>rieb, blieb im Gebrau<strong>ch</strong> der Gemeinden,<br />

während der zweite entweder unges<strong>ch</strong>rieben blieb oder wieder vers<strong>ch</strong>wand.<br />

Aber keine dieser Vorstellungen ist mehr als eine Vermutung; keiner steht Gewißheit<br />

oder au<strong>ch</strong> nur allein "Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit zu.<br />

Kapitel 16,9—20<br />

Der Zusatz zum Osterberi<strong>ch</strong>t<br />

Der abgebro<strong>ch</strong>ene S<strong>ch</strong>luß war beim Gebrau<strong>ch</strong> des Evangeliums zur Vorlesung<br />

im Gottesdienst störend. Wir finden darum s<strong>ch</strong>on im zweiten Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

häufig einen anderen Osterberi<strong>ch</strong>t angefügt, der dem Evangelium<br />

denjenigen Abs<strong>ch</strong>luß gab, der der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Jesu entspra<strong>ch</strong>. Es wurde aber<br />

au<strong>ch</strong> hier mit reiner Hand verfahren, ohne daß man versu<strong>ch</strong>t hätte, die Erzählung<br />

des <strong>Markus</strong> weiterzuführen <strong>und</strong> eigenmä<strong>ch</strong>tig zu ergänzen, was verloren<br />

war. Vielmehr ist der neue Beri<strong>ch</strong>t ein selbständiges Stück, das mit Vers 9<br />

wieder beim Ostermorgen anfängt <strong>und</strong> aus der S<strong>ch</strong>rift eines anderen alten<br />

Lehrers genommen worden ist. Er steht ni<strong>ch</strong>t mehr ganz auf derselben Höhe<br />

wie das, was uns Matthäus <strong>und</strong> <strong>Markus</strong> erzählen, weil si<strong>ch</strong> die besonderen,<br />

lehrhaften Zwecke dieses Erzählers si<strong>ch</strong>tbarer hervordrängen <strong>und</strong> das, was<br />

er uns beri<strong>ch</strong>tet, einengen. Es liegt ihm an der Beglaubigung der Apostel, am<br />

Beweis, daß ihr Zeugnis zuverlässig, ihre Sendung offenk<strong>und</strong>ig sei. Darum<br />

betont er, daß die Verkündigung der Auferstehung ni<strong>ch</strong>t aus der Lei<strong>ch</strong>tgläubigkeit<br />

der Jünger stamme, als hätte sie dem entspro<strong>ch</strong>en, was sie da<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong><br />

erwarteten. Sie standen vielmehr ungläubig vor ihr, 'ni<strong>ch</strong>t nur als Jesus am<br />

Kreuz hing <strong>und</strong> im Grabe lag, sondern au<strong>ch</strong> dann no<strong>ch</strong>, als ihnen seine Auferstehung<br />

verkündigt wurde, ni<strong>ch</strong>t einmal, sondern mehrere Male, bis Jesus<br />

selbst in ihrer Mitte stand, ihren Unglauben s<strong>ch</strong>alt <strong>und</strong> ihn dur<strong>ch</strong> seinen Anblick<br />

niederzwang. <strong>Die</strong>se Nötigung der Jünger zum Glauben, die sie dem ni<strong>ch</strong>t<br />

widerspre<strong>ch</strong>en ließ, was sie mit Augen sahen, gibt ihrem Zeugnis vom Auferstandenen<br />

Festigkeit. Damit ist ein Gedanke zur Geltung gebra<strong>ch</strong>t, der<br />

überall in der Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te heraustritt <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> von <strong>Markus</strong> dur<strong>ch</strong> seinen<br />

Hinweis auf den "Wuns<strong>ch</strong> der Frauen, der sie zum Grabe führt, <strong>und</strong> auf die<br />

Fur<strong>ch</strong>t, mit der sie von ihm fliehen, betont worden ist.


<strong>Markus</strong> 16,9—16 . 129<br />

<strong>Die</strong> erste, die den Jüngern die Auferstehungsbots<strong>ch</strong>aft bra<strong>ch</strong>te, war Maria<br />

von Magdala. 16,9—11: Als er in der Frühe am ersten Tag nado dem Sabbat<br />

auferstanden war, ers<strong>ch</strong>ien er zuerst der Maria aus Magdala, aus der er sieben<br />

böse Geister ausgetrieben hatte. Sie ging <strong>und</strong> verkündete es denen, die mit ihm<br />

gewesen waren <strong>und</strong> trauerten <strong>und</strong> weinten, <strong>und</strong> sie, als sie hörten, daß er lebe<br />

<strong>und</strong> von ihr gesehen wurde, glaubten ni<strong>ch</strong>t. Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> hat der Beri<strong>ch</strong>t<br />

die Erzählung des <strong>Lukas</strong> <strong>und</strong> des Johannes vor Augen; aus jenem stammt die<br />

Erinnerung an ihre Heilung dur<strong>ch</strong> Jesus, vgl. <strong>Lukas</strong> 8,2, aus diesem, daß nur<br />

sie, ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> die andere Maria genannt ist als die erste Empfängerin des<br />

Osterworts.<br />

Den zweiten Beri<strong>ch</strong>t bringen ihnen die beiden, die über Feld gingen. 16,12.<br />

13: Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> wurde er zwei aus ihnen unterwegs in einer anderen Gestalt<br />

offenbar, als sie auf das Land gingen. Und sie kamen <strong>und</strong> verkündigten es<br />

den anderen, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> ihnen glaubten sie ni<strong>ch</strong>t. Das sind deutli<strong>ch</strong> Kleophas<br />

<strong>und</strong> sein Genosse, von denen uns <strong>Lukas</strong> erzählt, daß Jesus sie auf ihrem Gang<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Emmaus begleitet hat.<br />

16,14—16: Später aber, als sie am Tis<strong>ch</strong> lagen, wurde er den Elf offenbar<br />

<strong>und</strong> s<strong>ch</strong>alt ihren Unglauben <strong>und</strong> die Härtigkeit ihres Herzens, weil sie denen<br />

ni<strong>ch</strong>t geglaubt hatten, die ihn als den Auferweckten gesehen hatten. Und er<br />

sagte zu ihnen: Geht zur ganzen Welt, <strong>und</strong> verkündigt die gute Bots<strong>ch</strong>aft<br />

allen Ges<strong>ch</strong>affenen! Wer geglaubt hat <strong>und</strong> getauft ist, wird errettet werden;<br />

wer aber ungläubig blieb, wird verurteilt werden. Jetzt tritt Jesus selbst in<br />

den Kreis der elf Jünger beim Mahl am Abend des Ostertags <strong>und</strong> erteilt ihnen<br />

die erneute Sendung als seinen Boten, was in allen <strong>Evangelien</strong> als die wi<strong>ch</strong>tigste<br />

Tat des Auferstandenen hervorgehoben ist. Der Beruf, den ihnen Jesus<br />

gibt, umfaßt die "Welt; allen Ges<strong>ch</strong>affenen, jedem Mens<strong>ch</strong>en, wer er sei, haben<br />

sie das Evangelium zu sagen. <strong>Die</strong> große Bedeutung ihres <strong>Die</strong>nstes besteht<br />

darin, daß sie ihnen Errettung oder Verurteilung bringen. Dur<strong>ch</strong> ihr "Wort<br />

wendet si<strong>ch</strong> der "Weg des Mens<strong>ch</strong>en zum Leben oder zum Tod, zum Leben für<br />

den, in dem es Glauben wirkt, so daß er zum Empfang der Taufe willig wird,<br />

zum Geri<strong>ch</strong>t für den, der ungläubig bleibt <strong>und</strong> darum au<strong>ch</strong> die Taufe vers<strong>ch</strong>mäht.<br />

"Wie im letzten "Wort Jesu bei Matthäus, so ist au<strong>ch</strong> hier den Jüngern<br />

die Taufe als das Mittel übergeben, dur<strong>ch</strong> das sie der "Welt die Errettung<br />

bringen. Sie bildet das nä<strong>ch</strong>ste Ziel des Glaubens, wo<strong>na<strong>ch</strong></strong> der Glaubende zuerst<br />

verlangt <strong>und</strong> was ihm in Jesu Namen zuerst gegeben werden soll. Indem<br />

er getauft wird, wird er in die Gnade <strong>und</strong> Vergebung Jesu gestellt <strong>und</strong> zu<br />

denen, die ihm gehören, hinzugetan. Ihm verb<strong>und</strong>en sein heißt aber errettet<br />

sein; von ihm ges<strong>ch</strong>ieden bleiben zieht die Verurteilung <strong>na<strong>ch</strong></strong> si<strong>ch</strong>.


13° Der Zusatz zum Osterberi<strong>ch</strong>t<br />

So rei<strong>ch</strong>t der Beruf der Boten Jesu ho<strong>ch</strong> über das hinaus, was vor Augen<br />

liegt, <strong>und</strong> bringt der Welt die himmlis<strong>ch</strong>e Gabe. Sie sollen darum au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

Zei<strong>ch</strong>en unterstützt werden, die jedermann zeigen, daß Gottes S<strong>ch</strong>utz, Hilfe<br />

<strong>und</strong> Gabe bei ihnen ist. 16,17.18: <strong>Die</strong> aber, die Glauben haben, werden diese<br />

Zei<strong>ch</strong>en begleiten: sie werden in meinem Namen die bösen Geister vertreiben,<br />

in neuen Zungen reden, S<strong>ch</strong>langen aufheben, <strong>und</strong> wenn sie etwas Todbringendes<br />

trinken, wird es ihnen ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>aden; auf Kranke werden sie die Hände<br />

legen, <strong>und</strong> sie werden genesen. Ni<strong>ch</strong>t den Aposteln allein werden diese Zei<strong>ch</strong>en<br />

verheißen, sondern den Glaubenden, womit zuglei<strong>ch</strong> auf die inwendige<br />

Bedingung hingezeigt ist, an der jede Erfahrung besonderer göttli<strong>ch</strong>er Hilfe<br />

hängt. Genannt wird die Ma<strong>ch</strong>t über die s<strong>ch</strong>limmen Geister in Jesu Namen,<br />

dann das Reden in neuen Zungen, das si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>t, daß Gottes Geist sie inwendig<br />

bewegt, indem aus ihnen ein Wort hervorbri<strong>ch</strong>t, von dem jedermann<br />

sieht, daß sie es ni<strong>ch</strong>t selber bilden, sondern daß es ihnen gegeben ist. Dazu<br />

kommt der w<strong>und</strong>erbare Sdiutz gegen das, was ihr Leben zerstören würde,<br />

S<strong>ch</strong>langen <strong>und</strong> Gift, <strong>und</strong> die heilende Ma<strong>ch</strong>t, die die Auflegung ihrer Hand,<br />

das Zei<strong>ch</strong>en ihrer Segnung <strong>und</strong> Fürbitte, über die Kranken hat. Darin sollen<br />

die Glaubenden je <strong>und</strong> je erleben, daß sie einem sol<strong>ch</strong>en Herrn verb<strong>und</strong>en<br />

sind, der mit der Ma<strong>ch</strong>t Gottes bei ihnen ist <strong>und</strong> für sie wirkt.<br />

<strong>Die</strong>sem Abs<strong>ch</strong>iedswort Jesu entspra<strong>ch</strong> der Fortgang der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. 16,19.<br />

20: Nun wurde der Herr Jesus, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er mit ihnen geredet hatte, in den<br />

Himmel emporgenommen <strong>und</strong> setzte si<strong>ch</strong> zur Re<strong>ch</strong>ten Gottes. Sie aber zogen<br />

aus <strong>und</strong> ri<strong>ch</strong>teten überall die Verkündigung aus, indem der Herr mit ihnen<br />

wirkte <strong>und</strong> das Wort dur<strong>ch</strong> die sie begleitenden Zei<strong>ch</strong>en bestätigte. Jesus<br />

selbst hat nun im Himmel seinen Ort bei Gottes Thron, <strong>und</strong> die Apostel vollführten<br />

ihren <strong>Die</strong>nst <strong>und</strong> ri<strong>ch</strong>teten die Verkündigung überall aus <strong>und</strong> taten<br />

es deshalb ni<strong>ch</strong>t umsonst, weil sie bei ihr ni<strong>ch</strong>t allein waren, sondern der Herr<br />

ihr Werk zum seinigen ma<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> ihrem Wort seine Zei<strong>ch</strong>en beigab, so daß<br />

es Glauben s<strong>ch</strong>uf.<br />

Dur<strong>ch</strong> dieses letzte Wort war den Lesern des Evangeliums mit einer kurzen<br />

Übersi<strong>ch</strong>t gezeigt, wie ihr eigener Christenstand mit Jesu Arbeit auf Erden<br />

zusammenhing. Dur<strong>ch</strong> die Apostel ist ihnen das Wort gebra<strong>ch</strong>t worden, das<br />

der Auferstandene jedermann zu sagen befahl, <strong>und</strong> ihr in Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

regierender Herr ließ sein Wort ni<strong>ch</strong>t ohne seinen S<strong>ch</strong>utz, sondern sorgte selbst<br />

mit seinem königli<strong>ch</strong>en Regiment dafür, daß es Glauben wirkt. So entstand<br />

die Kir<strong>ch</strong>e, <strong>und</strong> darauf gründet si<strong>ch</strong> der Glaube derer, die in ihr stehen.


Das Evangelium <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Lukas</strong><br />

Kapitel 1,1—4<br />

Der Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Lukas</strong> über sein Bu<strong>ch</strong><br />

Offen <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t hat uns <strong>Lukas</strong> zuerst gesagt, was ihn dazu bewogen habe,<br />

sein Evangelium zu s<strong>ch</strong>reiben, wie er dazu das Re<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> das gute Gewissen<br />

bekommen habe <strong>und</strong> was er damit errei<strong>ch</strong>en wolle. Es steht ihm groß <strong>und</strong> deutli<strong>ch</strong><br />

vor Augen, daß es eine hohe <strong>und</strong> heilige Sa<strong>ch</strong>e ist, der Christenheit ihren<br />

Herrn zu zeigen, an den sie glauben darf <strong>und</strong> dem sie gehor<strong>ch</strong>en soll. Wäre er<br />

der erste, der die Feder ergriffe, um Jesu Worte <strong>und</strong> Werke aufzuzei<strong>ch</strong>nen,<br />

so könnten ihn wohl Bedenken ergreifen, ob er so Großes wagen dürfe. Nun<br />

hat er aber dabei viele Vorgänger, <strong>und</strong> ihr Beispiel ermutigt ihii, si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in<br />

ihre Reihe zu stellen. 1,1—4: Da es viele unternommen haben, eine Erzählung<br />

über die Dinge zu verfassen, deren wir gewiß sind, weil sie uns die überliefert<br />

haben, die von Anbeginn an Augenzeugen <strong>und</strong> <strong>Die</strong>ner des Worts geworden<br />

sind, so bes<strong>ch</strong>loß au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong>, da i<strong>ch</strong> allem von Anfang an genau gefolgt bin, es<br />

für didi, bester Theophilus, zusammenhängend aufzuzei<strong>ch</strong>nen, damit du die<br />

Zuverlässigkeit der Worte erkennest, in denen du unterwiesen bist.<br />

Wo es Christen <strong>und</strong> Glaube an Jesus gab, war au<strong>ch</strong> das Verlangen da, das<br />

Wesentli<strong>ch</strong>e aus Jesu Wort <strong>und</strong> Werk s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> zu besitzen, damit es den<br />

S<strong>ch</strong>wankungen des Gedä<strong>ch</strong>tnisses entzogen in si<strong>ch</strong>erer Aufbewahrung allen<br />

Gliedern der Gemeinde zugängli<strong>ch</strong> sei. Da die Anfänge der Kir<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> die<br />

freie Arbeit zahlrei<strong>ch</strong>er Männer, die Jesu Wort verkündigten, zustande<br />

kamen, standen ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on von Anfang an dieselben <strong>Evangelien</strong> in der ganzen<br />

Christenheit in Geltung, sondern man<strong>ch</strong>erlei Aufzei<strong>ch</strong>nungen über Jesus<br />

waren in Gebrau<strong>ch</strong>, von Gegend zu Gegend, viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> von Gemeinde zu<br />

Gemeinde vers<strong>ch</strong>iedene, je <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Verlauf der Mission <strong>und</strong> der Art der<br />

Männer, die die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Versammlungen leiteten. An diese Mannigfaltigkeit<br />

der evangelis<strong>ch</strong>en Beri<strong>ch</strong>te erinnert <strong>Lukas</strong> den, der ihn fragen mö<strong>ch</strong>te:<br />

Wie kommst du dazu, ein Bu<strong>ch</strong> über Jesus zu s<strong>ch</strong>reiben? Was jene vielen trieb,<br />

bewegt au<strong>ch</strong> ihn; er maßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr an als sie <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> mit glei-


13 2 Der Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Lukas</strong> über sein Bu<strong>ch</strong><br />

<strong>ch</strong>em Re<strong>ch</strong>t an ihre Reihe an. Weil er seinen eigenen Ents<strong>ch</strong>luß dur<strong>ch</strong> das Beispiel<br />

der anderen begründet <strong>und</strong> für si<strong>ch</strong> um dasselbe Gehör <strong>und</strong> Re<strong>ch</strong>t bittet,<br />

wie es jenen gegeben wird, liegt ihm jeder Tadel gegen sie fern. Freili<strong>ch</strong> sandte<br />

er an Theophilus ni<strong>ch</strong>t nur eine dieser älteren S<strong>ch</strong>riften <strong>und</strong> verwies die Kir<strong>ch</strong>e<br />

ni<strong>ch</strong>t nur auf die Arbeit der früheren Männer, sondern ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> selbst daran,<br />

Jesu Lebenslauf zu bes<strong>ch</strong>reiben. Das tat er in der Überzeugung, daß er uns<br />

mehr <strong>und</strong> Besseres zu sagen habe, als in jenen älteren Beri<strong>ch</strong>ten zu finden war.<br />

<strong>Die</strong>ses Urteil hat die erste Christenheit bestätigt <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t jene vielen älteren<br />

Bü<strong>ch</strong>er, sondern das des <strong>Lukas</strong> erhalten <strong>und</strong> zusammen mit den anderen drei<br />

<strong>Evangelien</strong> in der ganzen Kir<strong>ch</strong>e zur Verbreitung <strong>und</strong> Geltung gebra<strong>ch</strong>t.<br />

Ehe er jedo<strong>ch</strong> ausspri<strong>ch</strong>t, was ihn befähigt hat, uns tiefer <strong>und</strong> vollständiger<br />

in Jesu Werk einzuführen, als es dur<strong>ch</strong> die Erzählung der anderen ges<strong>ch</strong>ehen<br />

war, erinnert er zuerst an das si<strong>ch</strong>ere F<strong>und</strong>ament, auf dem alle Beri<strong>ch</strong>te über<br />

Jesus stehen, au<strong>ch</strong> sein eigenes Evangelium. Das, wovon sie alle reden, sind<br />

ni<strong>ch</strong>t Vermutungen, ni<strong>ch</strong>t Ungewisse, dunkle Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten, sondern zur Gewißheit<br />

gebra<strong>ch</strong>te Dinge, die als si<strong>ch</strong>er verbürgt <strong>und</strong> kräftig erwiesen das helle,<br />

klare Wissen der Christenheit ausma<strong>ch</strong>en; denn was sie von Jesus erzählt <strong>und</strong><br />

glaubt, kommt von den Aposteln her, die von Anfang an die Augenzeugen<br />

seiner Worte <strong>und</strong> Werke waren <strong>und</strong> die au<strong>ch</strong> den heiligen Beruf übernommen<br />

<strong>und</strong> vollführt haben, Christus zu verkündigen <strong>und</strong> allen mitzuteilen, was sie<br />

an ihm gesehen <strong>und</strong> gehört haben. Würden die, die über Jesus s<strong>ch</strong>reiben, ihre<br />

Mühe an leere Einbildungen wenden, dann wäre es freili<strong>ch</strong> töri<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> überflüssig,<br />

wenn zu den vielen, die s<strong>ch</strong>on darüber s<strong>ch</strong>rieben, no<strong>ch</strong> ein neuer<br />

S<strong>ch</strong>reiber si<strong>ch</strong> an die Arbeit ma<strong>ch</strong>te. Es handelt si<strong>ch</strong> hierbei aber um das, was<br />

die Apostel über den Herrn überliefert haben, um ihr si<strong>ch</strong>eres Zeugnis über<br />

die größten Dinge, die Gott auf Erden getan hat, um die gewisse <strong>und</strong> heilige<br />

Wahrheit, die ni<strong>ch</strong>t begraben werden darf, sondern hell ins Li<strong>ch</strong>t gehalten<br />

werden muß für jedermann zum Glau&ensgr<strong>und</strong>.<br />

Daß sie aus dem Wort der Apostel als aus ihrer Quelle s<strong>ch</strong>öpften, war das<br />

Gemeinsame in allen Bü<strong>ch</strong>ern, die in der Christenheit über Jesus in Gebrau<strong>ch</strong><br />

waren; eine andere Quelle hat <strong>und</strong> su<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t. Aber innerhalb<br />

dieser Gemeinsamkeit waren zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Aufzei<strong>ch</strong>nungen<br />

über Jesus no<strong>ch</strong> beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede mögli<strong>ch</strong>. Der eine war besser<br />

unterri<strong>ch</strong>tet, die K<strong>und</strong>e des anderen dürftiger. Erzählte der eine kürzer <strong>und</strong><br />

einseitiger, so beri<strong>ch</strong>tete der andere eingehender <strong>und</strong> vollständiger. Darum<br />

erinnert <strong>Lukas</strong> weiter an das, was ihn persönli<strong>ch</strong> zu seiner Arbeit fähig ma<strong>ch</strong>t.<br />

Das ist der Fleiß, die Na<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>ung <strong>na<strong>ch</strong></strong> allem, die anhaltende Arbeit, die<br />

er daran wandte, zu sammeln <strong>und</strong> zu erk<strong>und</strong>en, was über Jesus von den


<strong>Lukas</strong> 1,1—4 --. * 3 3<br />

Aposteln überliefert war. Weil er dadur<strong>ch</strong> besser unterri<strong>ch</strong>tet ist als die anderen,<br />

nimmt au<strong>ch</strong> er no<strong>ch</strong> das Wort <strong>und</strong> stellt, was er über Jesus weiß, in eine<br />

geordnete Darstellung zusammen. Auf die Ordnung <strong>und</strong> den Zusammenhang<br />

seiner Darstellung legt er Gewi<strong>ch</strong>t, weil das den Vorzug des- ges<strong>ch</strong>riebenen<br />

Evangeliums vor der mündli<strong>ch</strong>en Verkündigung ausma<strong>ch</strong>te. <strong>Die</strong> Gemeinden<br />

hörten beständig man<strong>ch</strong>es Wort Jesu, weil dann, wenn Christus verkündigt<br />

<strong>und</strong> die Christenheit zum reinen Wandel ermahnt wurde, immer an das erinnert<br />

worden ist, was der Herr gesagt <strong>und</strong> getan habe. Sol<strong>ch</strong>e Mitteilungen<br />

erfolgten jedo<strong>ch</strong> ohne Ordnung, ni<strong>ch</strong>t in irgendeiner zusammenhängenden<br />

Folge, sondern so, wie der besondere Zweck der Predigt es erforderte. Au<strong>ch</strong><br />

man<strong>ch</strong>e jener Aufzei<strong>ch</strong>nungen, an die <strong>Lukas</strong> da<strong>ch</strong>te, mögen nur Bru<strong>ch</strong>stücke<br />

aus den Worten <strong>und</strong> Taten Jesu enthalten haben, wie sie dur<strong>ch</strong> die Predigt<br />

der Christenheit übermittelt waren. Was <strong>Lukas</strong> uns gibt, geht darüber hinaus<br />

<strong>und</strong> bes<strong>ch</strong>reibt uns Jesu Lebenslauf mit zusammenhängender Vollständigkeit;<br />

Den Anlaß zur Abfassung des Evangeliums gab ihm seine Verbindung mit<br />

einem Christen namens Theophilus. Er wird eine Bitte desselben dadur<strong>ch</strong> erfüllt<br />

haben; viellei<strong>ch</strong>t war er au<strong>ch</strong> bereit, bei der Verbreitung des Bu<strong>ch</strong>es mit<br />

seinen Geldmitteln behilfli<strong>ch</strong> zu sein. Aus seinem ehrenvollen Titel „bester<br />

Theophilus"? der damals für vornehme Männer übli<strong>ch</strong> war, läßt si<strong>ch</strong> entnehmen,<br />

daß der Mann, in dessen Hand <strong>Lukas</strong> sein Bu<strong>ch</strong> zuerst legte, eine hohe,<br />

angesehene Stellung besaß. Was ihm <strong>Lukas</strong> dur<strong>ch</strong> sein Bu<strong>ch</strong> geben mö<strong>ch</strong>te <strong>und</strong><br />

au<strong>ch</strong> zu geben vermag, ist die Erkenntnis, daß das ihm verkündigte Wort<br />

Si<strong>ch</strong>erheit <strong>und</strong> zuverlässige Wahrheit hat. Man hat ihm die Bots<strong>ch</strong>aft von<br />

Jesus als Gottes Evangelium gebra<strong>ch</strong>t, hat ihn zum Glauben an ihn eingeladen<br />

<strong>und</strong> ihn angeleitet, in Jesus Gottes Gnade zu erkennen <strong>und</strong> bei ihm das ewige<br />

Leben zu su<strong>ch</strong>en. Daß dies gewisse Worte sind, eine wahre <strong>und</strong> treue Bots<strong>ch</strong>aft,<br />

sieht er an dem, was Jesus selbst während seines irdis<strong>ch</strong>en Lebens gesagt <strong>und</strong> getan<br />

hat. Das ergibt für immer den Beweis zum Zeugnis seiner Boten <strong>und</strong> zum<br />

Glauben der Kir<strong>ch</strong>e. Es sind ni<strong>ch</strong>t Meinungen der Apostel gewesen, was ihm<br />

zugekommen ist, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t die Wüns<strong>ch</strong>e <strong>und</strong>HofiFnungen der Mens<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>ufen<br />

das Evangelium. Es stammt von Jesus selbst, aus dem, was er auf Erden spra<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> tat, <strong>und</strong> gründet si<strong>ch</strong> auf die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, die als vollbra<strong>ch</strong>te Gottestat ges<strong>ch</strong>ehen<br />

ist <strong>und</strong> bleibt. Indem uns die Kenntnis Jesu vers<strong>ch</strong>afFt wird, können<br />

wir immer wieder selbst ermessen <strong>und</strong> prüfen, ob wir unseren Glauben mit<br />

Re<strong>ch</strong>t auf ihn stellen <strong>und</strong> an ihm Gottes gewiß werden. Damit ist die Absi<strong>ch</strong>t<br />

ausgespro<strong>ch</strong>en, die die ganze Arbeit des <strong>Lukas</strong> beseelt <strong>und</strong> jedes Wort in seiner<br />

Darstellung bestimmt. Er mö<strong>ch</strong>te uns an Jesu Bild zur hellen, klaren Erkennt-


134 Wie Christus geboren ward '<br />

nis bringen, auf weldi festem Gr<strong>und</strong>e das Zeugnis der Apostel <strong>und</strong> unser<br />

Glaube an Jesus steht.<br />

Kapitel 1,5—2,52<br />

Wie Christus geboren ward<br />

Wie es kam, daß Jesus eben dann vor Israel trat, als sdion Johannes mit<br />

Gottes Botsdiaft vor ihm stand, das ist das erste, worüber uns <strong>Lukas</strong> unterriditet<br />

hat. Einträditig kamen die beiden zu Israel mit derselben Verheißung<br />

Gottes, daß sein Königtum nahe sei, <strong>und</strong> mit derselben Forderung Gottes, daß<br />

es umkehre, dodi nidit so, daß sie einander gleidigestellt ihre Arbeit taten,<br />

sondern so, daß Johannes sidi völlig unter Jesus beugte <strong>und</strong> Jesus sidi über<br />

ihn <strong>und</strong> das ganze Volk stellte als König in Gottes Reidi. <strong>Die</strong>ses versdiiedene<br />

<strong>und</strong> dodi einträditige Wirken der beiden gehört zur w<strong>und</strong>erbaren Art der<br />

Gesdiidite Jesu, zu dem, worin ihre gÖttlidie Leitung siditbar wird. Nidit<br />

durdi eine Tat des Mensdien konnte es so kommen, nidit durdi den Aufsdiwung<br />

des mensdilidien Sdiarfblicks oder der mensdilidien Tatkraft, die sidi<br />

Gott zum <strong>Die</strong>nst weiht. Als Gottes Gabe ist Jesus gekommen durdi Gottes<br />

Tat; so konnte ihm audi sein Bote nidit anders bereitet werden als durdi eine<br />

Gottestat.<br />

1,5—7: In den Tagen des Her odes, des Königs von Judäa, war ein Priester<br />

mit Namen Za<strong>ch</strong>arias aus der Priesterabteilung des Abia, <strong>und</strong> er hatte eine<br />

Frau aus den Tö<strong>ch</strong>tern Aarons, <strong>und</strong> ihr Name war Elisabeth. Beide waren aber<br />

gere<strong>ch</strong>t vor Gott <strong>und</strong> wandelten in allen Geboten <strong>und</strong> Satzungen des Herrn<br />

ohne Tadel. Und sie hatten kein Kind, weil Elisabeth unfru<strong>ch</strong>tbar war, <strong>und</strong><br />

beide waren in ihren Tagen s<strong>ch</strong>on weit voran. Im Tempel von Jerusalem beginnt<br />

die Gesdiidite, die Israel <strong>und</strong> mit ihm der ganzen Mensdiheit Gottes<br />

neues Wort bradite. Darin zeigt sidi der Zusammenhang, der das, was Jesus<br />

wirkt, mit dem verbindet, was Gott in Israel gesdiaffen hat. Aus jenem göttlidien<br />

Wort <strong>und</strong> Werk, das Israel zum heiligen Volk gemadit hat, erhob sidi<br />

Jesu Sendung. Darum war audi der, der zum Vater des Propheten erkoren<br />

wurde, ein Priester, dem sein Amt den Eintritt in das heilige Haus verstattete,<br />

das der Gemeinde die Gegenwart Gottes verbürgte. Daß Zadiarias sein Priestertum<br />

in Ehren hielt, hat er audi dadurdi bewährt, daß er sidi seine Frau in<br />

den priesterlidien Familien gesudit hatte, weil daran, daß sidi an seine Ehe<br />

kein Makel heftete, das priesterlidie Redit seiner Söhne geb<strong>und</strong>en war. Der<br />

Sohn eines Priesters war zwar audi dann zum Priesterdienst befähigt, wenn<br />

seine Mutter nur eine Israelitin <strong>und</strong> nidit aus dem priesterlidien Gesdiledite


<strong>Lukas</strong> 1,5—13a 135<br />

war. Wenn aber au<strong>ch</strong> sie zu Aarons Stamm gehörte, so war ihm das Priesterre<strong>ch</strong>t<br />

vollends gesi<strong>ch</strong>ert <strong>und</strong> er gegen jede Einrede ges<strong>ch</strong>ützt. "Wer aber für den<br />

<strong>Die</strong>nst Gottes würdig sein will, der muß si<strong>ch</strong> ihm gehorsam erweisen <strong>und</strong> sein<br />

Herz an seine Gebote binden. Um diese inwendige Bindung ihres Priestertums<br />

hatten si<strong>ch</strong> Za<strong>ch</strong>arias <strong>und</strong> Elisabeth mit Fleiß bemüht <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> ihr langes<br />

Leben hindur<strong>ch</strong> ihren Blick unverwandt auf das göttli<strong>ch</strong>e Gebot geri<strong>ch</strong>tet.<br />

Nun ges<strong>ch</strong>ah ihnen wieder etwas Ähnli<strong>ch</strong>es wie damals, als die alte Gemeinde<br />

Gottes ges<strong>ch</strong>affen ward. Abraham erhielt den Sohn so, daß ihm himmlis<strong>ch</strong>e<br />

Boten seine Geburt ansagten, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er bis in ein hohes Alter auf ihn<br />

hatte warten müssen. Als Israel dur<strong>ch</strong> die Philister zertreten war, verhieß ein<br />

Engel den Eltern Simsons die Geburt dessen, der Israel wieder Raum <strong>und</strong> neuen<br />

Mut s<strong>ch</strong>affen sollte. Als das Volk <strong>und</strong> das Heiligtum zerrüttet war, empfing<br />

Hanna <strong>na<strong>ch</strong></strong> langer Unfru<strong>ch</strong>tbarkeit Samuel, indem ihr der Priester die Erhörung<br />

ihres Gebets verhieß. "Was si<strong>ch</strong> in der Zeit, seit die Gemeinde aus dem<br />

Exil zurückgekehrt war, ni<strong>ch</strong>t mehr wiederholt hatte, wurde ihr jetzt, da der<br />

Christus nahe ist <strong>und</strong> die neue Gemeinde s<strong>ch</strong>affen wird, wieder zuteil: ein Kind<br />

wird geboren, das s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong> die "Weise, wie es geboren ward, zum <strong>Die</strong>nst<br />

Gottes bestimmt <strong>und</strong> als sein Ges<strong>ch</strong>enk bezei<strong>ch</strong>net ist. Frommen Eltern wird es<br />

gegeben, die mit ernstem Gehorsam auf Gottes Gebot a<strong>ch</strong>teten, aber erst dann,<br />

als sie in das kinderlose Alter getreten waren <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem "Wege der Natur<br />

kein Kind mehr erhalten konnten. Dadur<strong>ch</strong> ist es als Gottes Gabe bezei<strong>ch</strong>net,<br />

<strong>und</strong> deshalb sagt au<strong>ch</strong> ein himmlis<strong>ch</strong>er Bote dem Vater die Geburt des<br />

Knaben an.<br />

1,8—13a: Es ges<strong>ch</strong>ah aber, als er <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Ordnung seiner Abteilung vor<br />

Gott den Priesterdienst versah, traf ihn <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Sitte des Priestertums das<br />

Los, daß er in das Haus des Herrn hineinzutreten <strong>und</strong> das Rau<strong>ch</strong>opfer darzubringen<br />

hatte, <strong>und</strong> die ganze Menge des Volkes betete draußen zur St<strong>und</strong>e des<br />

Rau<strong>ch</strong>opfers. Es wurde ihm aber ein Engel des Herrn si<strong>ch</strong>tbar, der auf der<br />

re<strong>ch</strong>ten Seite des Räu<strong>ch</strong>eraltars stand, <strong>und</strong> Za<strong>ch</strong>arias ers<strong>ch</strong>rak, als er ihn sah,<br />

<strong>und</strong> Fur<strong>ch</strong>t fiel auf ihn. Aber der Engel spra<strong>ch</strong> zu ihm: Für<strong>ch</strong>te di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, Za<strong>ch</strong>arias;<br />

denn deine Bitte wurde erhört, <strong>und</strong> deine Frau Elisabeth wird dir<br />

einen Sohn gebären. S<strong>ch</strong>on dadur<strong>ch</strong>, daß ihm ein Sohn verkündet wird, als er<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> der Ordnung seines <strong>Die</strong>nstes das brennende Rau<strong>ch</strong>werk auf den goldenen<br />

Altar im heiligen Raum des Tempelhauses legte <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> für Israel Gott<br />

die Anbetung darbra<strong>ch</strong>te, wird ihm k<strong>und</strong>getan, daß dieser Erweis der göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gnade ni<strong>ch</strong>t bloß ihm allein, sondern der ganzen Gemeinde gilt. Aus<br />

ihrer Berufung zu Gottes Eigentum <strong>und</strong> <strong>Die</strong>ijst ergibt si<strong>ch</strong>, daß ihr Gott nun<br />

mit dem Christus au<strong>ch</strong> den sendet, der das Volk für ihn zu rüsten hat. Aber


136 Wie Christus geboren ward<br />

au<strong>ch</strong> für ihn selbst ist dieses Erlebnis ein großer Erweis der göttli<strong>ch</strong>en Gnade;<br />

denn es bringt ihm die Erhörung seines Gebets. Jene Gebete, die er in früheren<br />

Jahren dringend <strong>und</strong> anhaltend um einen Sohn an Gott geri<strong>ch</strong>tet hatte <strong>und</strong> die<br />

ihm unerhört s<strong>ch</strong>ienen, waren denno<strong>ch</strong> erhört; nun wird ihm ni<strong>ch</strong>t nur das Erbetene,<br />

sondern mehr als dies zuteil.<br />

1,13b: Und du wirst seinen Namen Johannes heißen. Dem Vater wird ni<strong>ch</strong>t<br />

deshalb gesagt, daß er den Knaben Johannes heißen soll, weil dieser Name in<br />

der Judens<strong>ch</strong>aft neu oder seltsam gewesen wäre — er war vielmehr, wie au<strong>ch</strong><br />

Jesus, ein gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Name — sondern, um k<strong>und</strong>zutun, daß dieses Kind mit<br />

allem, was es erlebt, unter Gottes Leitung stehe <strong>und</strong> Gott gehöre. Indem er<br />

selbst ihm den Namen gibt, sagt er ihm zu, daß er ihn kenne, sein Auge auf<br />

ihn ri<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> ihn in seiner Hand halte. Au<strong>ch</strong> der Sinn des Namens wird dabei<br />

zu erwägen sein: „Der Herr ist gnädig." Johannes wird dadur<strong>ch</strong> von Anfang<br />

an in den <strong>Die</strong>nst der göttli<strong>ch</strong>en Gnade gestellt.<br />

1,14: Und Freude <strong>und</strong> Jubel werden dir zuteil werden <strong>und</strong> viele si<strong>ch</strong> über<br />

seine Geburt freuen. Da sein <strong>Die</strong>nst ein unentbehrli<strong>ch</strong>es Glied im Werke Jesu<br />

ist, freuen si<strong>ch</strong> alle an seiner Geburt, die erkannt haben <strong>und</strong> erkennen werden,<br />

was ihnen Gott dur<strong>ch</strong> Jesus gab. Deren Zahl ist aber unzählbar, da sie alle zur<br />

ewigen Gemeinde Vereinten umfaßt.<br />

1,15a: Denn er wird groß vor dem Herrn sein <strong>und</strong> Wein <strong>und</strong> anderes beraus<strong>ch</strong>endes<br />

Getränk ni<strong>ch</strong>t trinken. Daß ihn Gott zu seinem besonderen <strong>Die</strong>nst<br />

brau<strong>ch</strong>t, kommt au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> zum Ausdruck, daß er si<strong>ch</strong> von jedem Trank,<br />

der beraus<strong>ch</strong>en kann, enthält <strong>na<strong>ch</strong></strong> jener Regel des Gesetzes, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der die Nasiräer<br />

si<strong>ch</strong> eine Zeitlang für Gott heiligten <strong>und</strong> einige der alten Boten Gottes<br />

ihr Leben lang ihr besonderes Verhältnis zu Gott si<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t hatten.<br />

Bloß mit dieser Heiligkeit, die an einem Zei<strong>ch</strong>en haftete <strong>und</strong> ihm von außen<br />

her aufgeprägt ward, wäre Johannes freili<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t über den Stand der<br />

alten Gemeinde hinausgekommen: es kam aber zu ihr der Empfang des prophetis<strong>ch</strong>en<br />

Amtes hinzu, zu dem er von innen her dur<strong>ch</strong> Gottes Geist bereitet<br />

wird. 1,15b: Und mit heiligem Geist wird er erfüllt werden s<strong>ch</strong>on vom Leib<br />

seiner Mutter her. Damit ist ihm verspro<strong>ch</strong>en, daß sein ganzer Lebenslauf<br />

eine Bereitung zu einem prophetis<strong>ch</strong>en "Werk sein wird. Gottes Geist wird ihn<br />

vom ersten Anfang seines Lebens an so gestalten <strong>und</strong> führen, daß er einst als<br />

der Verkündiger einer göttli<strong>ch</strong>en Bots<strong>ch</strong>aft vor Israel treten kann.<br />

1,16.17: Und viele von den Söhnen Israels wird er zum Herrn ihrem Gott<br />

bekehren, <strong>und</strong> er wird vor ihm einhergehen im Geist <strong>und</strong> in der Kraft Elias,<br />

damit er die Herzen der Väter zu den Kindern <strong>und</strong> die Ungehorsamen zur<br />

Gesinnung der Gere<strong>ch</strong>ten bekehre, um für den Herrn ein gerüstetes Volk bereit


<strong>Lukas</strong> i,i 3b—i8 137<br />

zu ma<strong>ch</strong>en. Was er als Prophet Israel zu sagen <strong>und</strong> in ihm zu wirken hat,<br />

gründet si<strong>ch</strong> auf Malea<strong>ch</strong>is Weissagung. Gott wird si<strong>ch</strong> nun seinem Volk offenbaren<br />

mit jener großen Gottestat, auf die die Verheißung hinzeigte <strong>und</strong> Israel<br />

wartete. Dafür das Volk zu rüsten <strong>und</strong> Israel seinem Gott zuzuführen, damit<br />

dieser mit seiner Gnade zu ihm kommen kann, das ist' der Beruf, der diesem<br />

Kindlein gegeben wird. Dazu, ist nötig, daß in der Gemeinde der Hader beendet<br />

werde, der sie jetzt zersprengt. Sogar Väter <strong>und</strong> Söhne sind entzweit,<br />

<strong>und</strong> die, die Gottes Willen widerstreben, sind von dem, was den Gere<strong>ch</strong>ten am<br />

Herzen liegt <strong>und</strong> ihr Sinnen <strong>und</strong> Tra<strong>ch</strong>ten beständig erfüllt, dur<strong>ch</strong> einen tiefen<br />

Riß getrennt. Der Prophet wird sie zur Buße <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> die Gemeinde zur<br />

Eintra<strong>ch</strong>t führen, so daß si<strong>ch</strong> die Söhne mit den Vätern <strong>und</strong> die früher Ungere<strong>ch</strong>ten<br />

mit den Gere<strong>ch</strong>ten gemeinsam dem göttli<strong>ch</strong>en Willen unterwerfen <strong>und</strong><br />

si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> für Gottes neue Gnadentat bereit ma<strong>ch</strong>en. Den, der zu diesem<br />

Werk vor der letzten, hö<strong>ch</strong>sten <strong>Offenbarung</strong> Gottes kommen werde, hatte<br />

Malea<strong>ch</strong>i Elia genannt. Johannes wird darum Elias Geist <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t empfangen,<br />

daß er gegen Israels Sünde so kräftig streite <strong>und</strong> Gottes Wahrheit <strong>und</strong><br />

Re<strong>ch</strong>t so herrli<strong>ch</strong> bezeuge, wie es einst Elia tat, wodur<strong>ch</strong> jenes Verspre<strong>ch</strong>en des<br />

Propheten seinem Wesen <strong>na<strong>ch</strong></strong> zur Erfüllung kommt <strong>und</strong> Israel das gegeben<br />

wird, was es zur Vorbereitung auf Gottes großen Tag bedarf. Zwar meinte<br />

das Volk, Elia selbst, wie er einst vor Ahab stand <strong>und</strong> wie ihn Gott zu si<strong>ch</strong> genommen<br />

hatte, müsse zu ihm zurückkehren, <strong>und</strong> da<strong>ch</strong>te, dies allein sei ein deutli<strong>ch</strong>es<br />

Zei<strong>ch</strong>en Gottes <strong>und</strong> eine si<strong>ch</strong>ere <strong>Offenbarung</strong> seines Willens. Gott gab<br />

ihm aber Größeres: ni<strong>ch</strong>t eine Gestalt aus dem Jenseits, die nur als fremder<br />

Gast zur Erde käme, sondern ein Kindlein, in Israels Mitte geboren <strong>und</strong> zum<br />

Mann herangewa<strong>ch</strong>sen <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> befähigt, mit seinem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en M<strong>und</strong> Gottes<br />

Wort zu reden <strong>und</strong> sein Rei<strong>ch</strong> k<strong>und</strong>zutun. So wurde Gott wirkli<strong>ch</strong> bei uns<br />

Mens<strong>ch</strong>en gegenwärtig <strong>und</strong> für uns Mens<strong>ch</strong>en offenbar, <strong>und</strong> Israel erlebte es,<br />

daß Gott si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur einst in seiner Mitte seine Boten s<strong>ch</strong>uf, sondern si<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> jetzt ebenso herrli<strong>ch</strong> wie vordem dur<strong>ch</strong> seinen Geist die Werkzeuge bereitete,<br />

dur<strong>ch</strong> die sein gnädiger Wille ges<strong>ch</strong>ieht. Ebenso gehört es zwar mit zur<br />

Größe dieser Ereignisse, daß dabei die hohen, heiligen Geister Gottes mitwirkten<br />

<strong>und</strong> k<strong>und</strong>taten, was Gott in der Mens<strong>ch</strong>enwelt s<strong>ch</strong>uf, solange sein Werk, für<br />

diese verborgen war. Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> wird uns'Gottes Gnadentat zuteil,<br />

daß ein Engel, sondern darin, daß ein Mens<strong>ch</strong>enkind zum Boten Gottes wird.<br />

Gottes große Wohltat war hier verkündigt, Freude ni<strong>ch</strong>t nur für Za<strong>ch</strong>arias,<br />

sondern für viele. Sofort legt si<strong>ch</strong> aber ein Geheimnis darüber <strong>und</strong> verbirgt<br />

die herrli<strong>ch</strong>e Bedeutung dessen, was hier ges<strong>ch</strong>ehen war, weil die Bots<strong>ch</strong>aft<br />

des Engels ni<strong>ch</strong>t Glauben fand. i,i8: Und Zacbarias s f rä<strong>ch</strong> zum Engel: Wor-


13 ^ Wie Christus geboren ward<br />

an soll i<strong>ch</strong> dies erkennen? Denn i<strong>ch</strong> bin ein Greis, <strong>und</strong> meine Trau ist in ihren<br />

Tagen s<strong>ch</strong>on weit voran. Der Gedanke an sein natürli<strong>ch</strong>es Unvermögen beherrs<strong>ch</strong>te<br />

ihn. So kam glei<strong>ch</strong> bei der ersten Ausspra<strong>ch</strong>e des Evangeliums ans<br />

Li<strong>ch</strong>t, daß das Ohr des Mens<strong>ch</strong>en ihm vers<strong>ch</strong>lossen ist, weil ihn das überwältigt,<br />

was er mit seinen Augen sieht, <strong>und</strong> die Natur ihn als mä<strong>ch</strong>tige "Wirkli<strong>ch</strong>keit<br />

beherrs<strong>ch</strong>t, Gott aber ihm verborgen, fern <strong>und</strong> ohnmä<strong>ch</strong>tig s<strong>ch</strong>eint.<br />

Darum wird Za<strong>ch</strong>arias die Hoheit dessen vorgehalten, der ihm Gottes<br />

Willen ansagte, 1,19: Und der Engel antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihm: I<strong>ch</strong> bin<br />

Gabriel, der vor Gott steht, <strong>und</strong> bin gesandt, mit dir zu reden <strong>und</strong> dir diese<br />

gute Bots<strong>ch</strong>aft zu bringen. Jetzt, da der Engel den Zweifel an seiner Bots<strong>ch</strong>aft<br />

zu überwinden hat, gibt er si<strong>ch</strong> einen Namen, weil dieser Za<strong>ch</strong>arias<br />

seine Größe <strong>und</strong> Würde eindrückli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Der Engelname Gabriel, „Gottesmann",<br />

war in der Judens<strong>ch</strong>aft seit ihrer Rückkehr aus Babylonien ähnli<strong>ch</strong><br />

wie Mi<strong>ch</strong>ael für die hö<strong>ch</strong>sten Geister Gottes in Gebrau<strong>ch</strong>, die stets seinem<br />

Throne nahe sind. Ni<strong>ch</strong>t ein geringer Geist redet hier, der etwa au<strong>ch</strong> täus<strong>ch</strong>en<br />

könnte, sondern der heiligste, größte Bote Gottes, der in Kraft seiner Sendung<br />

spri<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> den Auftrag, den er empfangen hat, treu vollführt.<br />

Sodann bestätigt er ihm seines Zweifels wegen sein Wort dur<strong>ch</strong> ein Zei<strong>ch</strong>en,<br />

das diesen nieders<strong>ch</strong>lägt, do<strong>ch</strong> so, daß ihm das Sündli<strong>ch</strong>e an seinem Unglauben<br />

deutli<strong>ch</strong> wird. 1,20: Und sieh! du wirst s<strong>ch</strong>weigen <strong>und</strong> unfähig sein zu reden<br />

bis zu dem Tag, an dem dies ges<strong>ch</strong>ieht, dafür, daß du meinen Worten ni<strong>ch</strong>t geglaubt<br />

hast, die sido zu ihrer Zeit erfüllen werden. Mit seinem zweifelnden<br />

Herzen ist er ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ickt, das Evangelium, das er vernommen hat, au<strong>ch</strong><br />

anderen zu sagen. Im ungläubigen M<strong>und</strong> wird dieses entstellt <strong>und</strong> sein Zweck<br />

verkehrt. Denn wer ungläubig von Gottes Gnadentat redet, hängt Versündigung<br />

<strong>und</strong> Entehrung Gottes an sie. Darum wird Gottes Tat si<strong>ch</strong> selber k<strong>und</strong><br />

ma<strong>ch</strong>en, indem sie ges<strong>ch</strong>ieht, <strong>und</strong> bis dahin bleibt sie in der Verborgenheit. Erst<br />

her<strong>na<strong>ch</strong></strong>, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem sie ges<strong>ch</strong>ehen <strong>und</strong> kein Unglaube mehr mögli<strong>ch</strong> ist, soll au<strong>ch</strong><br />

Za<strong>ch</strong>arias erzählen, was er erlebt hat, <strong>und</strong> wird es dann zu Gottes Preis mit<br />

gläubigem Danke tun.<br />

So erfuhr vorerst niemand, was si<strong>ch</strong> zugetragen hatte. 1,21—24: Und das<br />

Volk wartete auf Za<strong>ch</strong>arias <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>erte si<strong>ch</strong> darüber, daß er lange im heiligen<br />

Hause war. Als er aber heraustrat, konnte er ni<strong>ch</strong>t zu ihnen reden, <strong>und</strong><br />

sie erkannten, daß er im heiligen Haus eine Ers<strong>ch</strong>einung gesehen hatte, <strong>und</strong> er<br />

winkte ihnen zu <strong>und</strong> blieb stumm. Und es ges<strong>ch</strong>ah, als die Tage seines Priesterdienstes<br />

voll waren, ging er heim in sein Haus. Aber <strong>na<strong>ch</strong></strong> diesen Tagen wurde<br />

Elisabeth, seine Frau, s<strong>ch</strong>wanger <strong>und</strong> verbarg si<strong>ch</strong> fünf Monate lang. Daran,<br />

daß Za<strong>ch</strong>arias auffallend lang im Innern des Heiligtums verweilt hatte <strong>und</strong>


<strong>Lukas</strong> 1,19—27 139<br />

stumm aus diesem zurückkehrte, merkte zwar das zum Gebet anwesende Volk,<br />

daß si<strong>ch</strong> etwas Besonderes zugetragen hatte; do<strong>ch</strong> blieb ungewiß, was ges<strong>ch</strong>ehen<br />

war, <strong>und</strong> als her<strong>na<strong>ch</strong></strong> Elisabeth ein Kind empfing, verbarg si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> sie während<br />

der ersten fünf Monate ihrer S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft, damit das, was ihr widerfahren<br />

war, dem Auge <strong>und</strong> M<strong>und</strong> der Leute entzogen sei. Sie hielt es ni<strong>ch</strong>t für<br />

ihre Sa<strong>ch</strong>e, Gottes "Werk k<strong>und</strong>zutun; dieses mußte si<strong>ch</strong> selbst offenbaren <strong>und</strong><br />

dur<strong>ch</strong> seinen Fortgang selber allen zeigen, was die göttli<strong>ch</strong>e Gnade Israel bereitete.<br />

1,25: Und sie spra<strong>ch</strong>: Sol<strong>ch</strong>es hat mir der Herr getan zur Zeit, da er <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

mir sah, um meine S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong> unter den Mens<strong>ch</strong>en wegzunehmen, Sie s<strong>ch</strong>ätzt mit<br />

freudigem Danke das Kind, das sie empfangen hat, als Gottes Gabe <strong>und</strong><br />

dankt ihm für diese mit den "Worten Raheis, 1. Mose 30,23, die seither s<strong>ch</strong>on<br />

man<strong>ch</strong>e Mutter in Israel wiederholt hatte. Denn jede Frau in Israel litt s<strong>ch</strong>wer,<br />

wenn ihr der Kindersegen versagt blieb, <strong>und</strong> die Priestersfrau, deren Söhne an<br />

den Altar das Anre<strong>ch</strong>t erhielten, empfand dies besonders s<strong>ch</strong>wer. <strong>Die</strong>ser<br />

S<strong>ch</strong>merz vers<strong>ch</strong>ärfte si<strong>ch</strong>, weil si<strong>ch</strong> in Israel mit jedem Erlebnis der Blick auf<br />

Gott verband, niemand bei Kinderlosigkeit bloß an ein natürli<strong>ch</strong>es Mißges<strong>ch</strong>ick<br />

da<strong>ch</strong>te, sondern jedermann darin Gottes Fügung sah. Wie es aber des<br />

Mens<strong>ch</strong>en hö<strong>ch</strong>ste Ehre ist, daß Gottes Güte si<strong>ch</strong> an ihm erweist, so empfand<br />

es Elisabeth als S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>, daß sie bisher von Gott zurückgesetzt <strong>und</strong> ihre Bitte<br />

unerhört geblieben war, so daß sie seiner Gnade unwert s<strong>ch</strong>ien. Das hat si<strong>ch</strong><br />

nun aber alles herrli<strong>ch</strong> gewandelt. Nun ist ihr mehr bes<strong>ch</strong>ieden als jeder anderen<br />

Mutter; ein Kind, das als Prophet Gott im hö<strong>ch</strong>sten Sinn dienen darf,<br />

ist ihr zum Sohn gegeben.<br />

Na<strong>ch</strong>dem fünf Monate in der Stille verstri<strong>ch</strong>en waren, während deren Elisabeth<br />

ihr Geheimnis hütete <strong>und</strong> Za<strong>ch</strong>arias nur dur<strong>ch</strong> seine Stummheit das<br />

göttli<strong>ch</strong>e Werk, das im Gang war, bezeugte, kam diesem dadur<strong>ch</strong> die <strong>Offenbarung</strong>,<br />

daß Maria zur Mutter des Christus ward. S<strong>ch</strong>on die Erzeugung des<br />

Johannes war eine göttli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfertat; die des Christus selber war es in<br />

no<strong>ch</strong> höherem Sinn. Dort war es das erstorbene Alter, dem Gottes Wille die<br />

Kraft verlieh, den Sohn zu empfangen; hier wurde das natürli<strong>ch</strong>e Vermögen,<br />

das sonst dem Mens<strong>ch</strong>enleben den Ursprung gibt, ganz beseite gesetzt <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

Gottes Wirken no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>er offenbar.<br />

1,26. 27: Aber bn se<strong>ch</strong>sten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine<br />

Stadt Galiläas mit Namen Nazareth gesandt zu einer Jungfrau, die mit einem<br />

Mann mit Namen Joseph aus Davids Haus verlobt war, <strong>und</strong> der Name der<br />

Jungfrau war Maria. Eine Jungfrau war zur Mutter des Christus berufen, jedo<strong>ch</strong><br />

eine Verlobte, die bereits einem Manne gehörte, dem somit au<strong>ch</strong> ihr Kind


14° Wie Christus geboren ward<br />

dur<strong>ch</strong> Gottes deutli<strong>ch</strong>e Fürsorge als sein Sohn übergeben wird. Es soll ni<strong>ch</strong>t<br />

vaterlos aufwa<strong>ch</strong>sen, der Lästerzunge preisgegeben, wird vielmehr in Davids<br />

Haus hineingeboren, dessen Glied Marias Verlobter war. Mit festem Ans<strong>ch</strong>luß<br />

an das, was vordem ges<strong>ch</strong>ehen war, erbaut si<strong>ch</strong> Gottes neue Tat auf dem "Wort<br />

der Propheten auf, bekennt si<strong>ch</strong> zu diesem <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t den, dem Gott selbst in<br />

w<strong>und</strong>erbarer Weise Vater <strong>und</strong> Erzeuger seines Lebens ist, zuglei<strong>ch</strong> zu Davids<br />

Sohn. Das ges<strong>ch</strong>ah ni<strong>ch</strong>t, ohne daß Maria davon die Bots<strong>ch</strong>aft empfing, die ihr<br />

k<strong>und</strong>tat, zu wel<strong>ch</strong>em <strong>Die</strong>nst Gott sie berufen hat. Ni<strong>ch</strong>t ohne ihr Wissen, ihr<br />

zum dunklen Rätsel, wurde sie Mutter, sondern so, daß sie erfuhr, was Gott<br />

an ihr tat. Darum wurde au<strong>ch</strong> zu ihr der Engel gesandt. Weder bei Zadiarias<br />

no<strong>ch</strong> bei Maria wird mit einem einzigen Wort die Ers<strong>ch</strong>einung des Engels bes<strong>ch</strong>rieben.<br />

Er kommt ni<strong>ch</strong>t zum Anblick, sondern zur Mitteilung des göttli<strong>ch</strong>en<br />

Worts, wennglei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ein S<strong>ch</strong>auen desselben damit verb<strong>und</strong>en war. Wir werden<br />

an eine mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gestalt zu denken haben. Das aber, worauf uns der<br />

Evangelist a<strong>ch</strong>ten heißt, ist ni<strong>ch</strong>t die Ers<strong>ch</strong>einungsweise des Engels, sondern<br />

einzig sein Wort.<br />

1,28. 29: Und er trat zu ihr hinein <strong>und</strong> sagte: Sei gegrüßt, Begnadete; der<br />

Herr ist mit dir. Sie aber ers<strong>ch</strong>rak wegen dieses Worts <strong>und</strong> erwog, was wohl<br />

dieser Gruß bedeute. Er erinnerte an die Art, die in Israels alter Zeit Gott die,<br />

dur<strong>ch</strong> die er seinem Volk Großes tat, in seinen <strong>Die</strong>nst berufen hat. Au<strong>ch</strong> haftete<br />

an der Ers<strong>ch</strong>einung des Engels mit einem Eindruck, der die Seele unmittelbar<br />

dur<strong>ch</strong>drang, die Gewißheit, daß ein himmlis<strong>ch</strong>er Bote zu ihr rede.<br />

Sie staunt deshalb; denn unerwartet <strong>und</strong> mit dem, was bisher ihr stilles Leben<br />

füllte, unvermittelt wird ihr plötzli<strong>ch</strong> unsagbar Großes zuteil.<br />

1,30. 31: Und der Engel spra<strong>ch</strong> zu ihr: Für<strong>ch</strong>te di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, Maria; denn du<br />

fandest bei Gott Gnade. Und sieh! du wirst s<strong>ch</strong>wanger werden <strong>und</strong> einen Sohn<br />

gebären <strong>und</strong> sollst seinen Namen Jesus heißen. Das erste, was sie über den<br />

Sohn, den sie erhält, erfährt, ist au<strong>ch</strong> hier sein Name, der wie bei Johannes<br />

ni<strong>ch</strong>t der Wahl der Mens<strong>ch</strong>en überlassen wird. Au<strong>ch</strong> dieses Kind empfängt<br />

s<strong>ch</strong>on in seinem Namen das helle Zeugnis, daß es Gottes ist, von ihm gekannt<br />

<strong>und</strong> in seine Gegenwart gestellt. Indem es Jesus — „der Herr hilft" — heißen<br />

soll, ist au<strong>ch</strong> dieses Kindlein s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong> seinen Namen für den <strong>Die</strong>nst der<br />

göttli<strong>ch</strong>en Gnade ausgesondert. Daß der Herr gnädig sei, verkündete der Name<br />

seines Vorläufers; daß er zu seinem gnädigen Willen die Gnadentat fügt, hilft<br />

<strong>und</strong> errettet, sagt der Name dessen, der ihm folgen wird.<br />

Sein Beruf ist das messianis<strong>ch</strong>e Amt, das Werk dessen, den Israel <strong>na<strong>ch</strong></strong> der<br />

prophetis<strong>ch</strong>en Verheißung den „Gesalbten" hieß. 1,32a: <strong>Die</strong>ser wird groß sein<br />

<strong>und</strong> Sohn des Hö<strong>ch</strong>sten heißen. Was er für die Mens<strong>ch</strong>en ist, gründete si<strong>ch</strong> dar-


<strong>Lukas</strong> 1,28—35a 141<br />

auf, wie Gott si<strong>ch</strong> zu ihm hält, <strong>und</strong> dies drückt sein Name „Sohn Gottes" aus.<br />

Gott ma<strong>ch</strong>t ihn, führt ihn <strong>und</strong> gibt ihm, was er hat, so daß er mit Gott lebt<br />

<strong>und</strong> in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft steht wie ein Sohn mit seinem Vater, <strong>und</strong> das wird<br />

an ihm so offenk<strong>und</strong>ig <strong>und</strong> in heller Deutli<strong>ch</strong>keit si<strong>ch</strong>tbar sein, daß dies sein<br />

Name werden wird. Wer ihn in seiner Hoheit preisen wird <strong>und</strong> ausspre<strong>ch</strong>en<br />

will, was dur<strong>ch</strong> "Wort <strong>und</strong> "Werk als Gottes w<strong>und</strong>erbare Gabe an ihm si<strong>ch</strong>tbar<br />

ist, der wird ihn den Sohn Gottes heißen. •<br />

1,32b. 33: Und der Herr, Gott, wird ihm den Thron Davids, seines Vaters,<br />

geben, <strong>und</strong> er wird über das Haus Jakobs ewigli<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> sein Königtum<br />

wird kein Ende haben. Einst ma<strong>ch</strong>te Gott David zum König Israels, daß<br />

er mit göttli<strong>ch</strong>em Re<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> göttli<strong>ch</strong>er Hilfe das Haus Jakobs regiere <strong>und</strong><br />

dieses dur<strong>ch</strong> sein Regiment von Gott regiert <strong>und</strong> geleitet sei. <strong>Die</strong>ser Thron war<br />

nun leer; einen Herrs<strong>ch</strong>er, der es im Namen Gottes <strong>und</strong> mit Gottes Segen zu<br />

regieren vermo<strong>ch</strong>te, hatte das Volk ni<strong>ch</strong>t mehr. <strong>Die</strong>sen leeren Thron wird Gott<br />

Jesus geben. In ihm erhält Israel den, dur<strong>ch</strong> den es Gott in königli<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t<br />

regiert, <strong>und</strong> seine Herrs<strong>ch</strong>aft hat ewigen Bestand. Unter seiner Führung wird<br />

die Gemeinde bleiben <strong>und</strong> in keines anderen Hand übergehen.<br />

Es war ni<strong>ch</strong>t ein neuer Blick in die Zukunft, der Maria damit eröffnet war,<br />

sondern es war die alte Hoffnung auf den Verheißenen, wie sie in Israel lebte<br />

<strong>und</strong> au<strong>ch</strong> in Marias Seele lag. Neu, alle Gedanken Marias übersteigend <strong>und</strong><br />

sie zur tiefen Verw<strong>und</strong>erung beugend war, daß er jetzt kommen, dur<strong>ch</strong> sie geboren<br />

werden <strong>und</strong> als ihr Kind si<strong>ch</strong> zum ewigen Thron erheben soll. Hier ergab<br />

si<strong>ch</strong> aus der Bots<strong>ch</strong>aft des Engels für Maria eine Frage, die sie bes<strong>ch</strong>äftigen<br />

muß, weil si<strong>ch</strong> ihr eigenes Verhalten da<strong>na<strong>ch</strong></strong> zu ri<strong>ch</strong>ten hat. "Wie soll sie zur<br />

Mutter des Christus werden? 1,34: Maria aber spra<strong>ch</strong> zum Engel: Wie wird<br />

das ges<strong>ch</strong>ehen, da i<strong>ch</strong> einen Mann ni<strong>ch</strong>t kennef Sie war ja mit Joseph erst verlobt,<br />

stand also no<strong>ch</strong> mit keinem Mann in eheli<strong>ch</strong>er Gemeins<strong>ch</strong>aft. Zuerst<br />

wurde ihr der Blick auf das hohe Ziel ihres Kindes gegeben, dann erst das Geheimnis<br />

seiner Erzeugung ihr gesagt. So half ihr der Engel zum Glauben, weil<br />

jenes ihr dieses verständli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> ihr dafür den Glaubensgr<strong>und</strong> darrei<strong>ch</strong>t.<br />

Maria kann si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t w<strong>und</strong>ern, daß der zur ewigen Herrs<strong>ch</strong>aft Berufene dur<strong>ch</strong><br />

Gott selbst in ihr ges<strong>ch</strong>affen wird.<br />

Gerade deshalb, weil sie den Mann ni<strong>ch</strong>t kennt, wird sie zur Mutter dieses<br />

Kindes gema<strong>ch</strong>t werden. 1,35a: Und der Engel antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihr:<br />

Heiliger Geist wird auf di<strong>ch</strong> kommen <strong>und</strong> Kraft des Hö<strong>ch</strong>sten di<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>atten.<br />

Gott ist der, der dieses Kindes Leben s<strong>ch</strong>afft. Als Gottes "Werk empfängt sie es.<br />

"Wo Gott si<strong>ch</strong> inwendig dem Mens<strong>ch</strong>en gegenwärtig <strong>und</strong> ihn selbst zur Stätte<br />

seines "Wirkens ma<strong>ch</strong>t, da spri<strong>ch</strong>t die S<strong>ch</strong>rift von Geist, <strong>und</strong> damit er uns in


I4 2 Wie Christus geboren ward<br />

seiner Einheit mit Gott erkennbar sei, nennt sie ihn „heiligen Geist". Er trägt<br />

die Allma<strong>ch</strong>t Gottes in si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> vermag Leben zu s<strong>ch</strong>affen, wie er es anderswo<br />

dur<strong>ch</strong> den vermittelnden <strong>Die</strong>nst der natürli<strong>ch</strong>en Kräfte kann, so au<strong>ch</strong> ohne sie.<br />

Der S<strong>ch</strong>atten der Kraft Gottes wird auf sie fallen. Was uns bes<strong>ch</strong>attet, überragt<br />

uns; dann steht etwas Großes vor uns, ni<strong>ch</strong>t mit ers<strong>ch</strong>reckender Majestät,<br />

die uns fliehen ma<strong>ch</strong>t, sondern mit einer uns erquickenden "Wirkung, da der<br />

Orientale den S<strong>ch</strong>atten ak Labsal empfindet <strong>und</strong> dankbar empfängt. So tritt<br />

Gottes Kraft in Maria hinein, ni<strong>ch</strong>t als gewaltsamer Stoß, sondern als stille<br />

"Wirkung mit einem heilsamen, seligma<strong>ch</strong>enden Ges<strong>ch</strong>enk.<br />

"Wozu handelt hier Gott w<strong>und</strong>erbar? 1,35b: Deshalb wird au<strong>ch</strong> das, was ge^<br />

boren wird, heilig heißen, Gottes Sohn. Heilig ist das, was Gott gehört, da<br />

alles, was Gottes Eigentum ausma<strong>ch</strong>t, an seiner unangreifbaren Hoheit Anteil<br />

hat <strong>und</strong> von Verletzung <strong>und</strong> Mißbrau<strong>ch</strong> abgesondert ist. Gottes Eigentum<br />

wird ihm aber ni<strong>ch</strong>t von anderen bereitet; er s<strong>ch</strong>afft es si<strong>ch</strong> selber dur<strong>ch</strong> seine<br />

eigene S<strong>ch</strong>öpferma<strong>ch</strong>t. Das hatte zuerst für die Bedeutung, die dieses Kind<br />

empfingen, für seine Mutter <strong>und</strong> seinen Vater, unter deren Hand es nunmehr<br />

steht. Sie wissen dur<strong>ch</strong> die Weise seiner Erzeugung, daß ihnen mit diesem Kind<br />

ein Heiligtum anvertraut ist, das unverletzt bleiben muß. "Wie eine starke<br />

Mauer s<strong>ch</strong>ützte ihn das "W<strong>und</strong>er in seiner Geburt gegen den kne<strong>ch</strong>tenden<br />

Druck, mit dem die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft au<strong>ch</strong> in ihren zartesten, reinsten<br />

Formen, au<strong>ch</strong> die hö<strong>ch</strong>ste Elternliebe, uns ni<strong>ch</strong>t nur Gutes, sondern au<strong>ch</strong><br />

S<strong>ch</strong>limmes, ni<strong>ch</strong>t nur Hilfe, sondern au<strong>ch</strong> Verführung <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>aden aufzwingt.<br />

An dieses Kind darf si<strong>ch</strong> die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e "Willkür ni<strong>ch</strong>t wagen <strong>und</strong> darf es<br />

ni<strong>ch</strong>t meistern, regieren <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrem Sinn gestalten. Gott hat es gema<strong>ch</strong>t;<br />

so muß es au<strong>ch</strong> wa<strong>ch</strong>sen <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem eigenen Gesetz <strong>und</strong> ist über alle hinaufgehoben,<br />

daß sie si<strong>ch</strong> vor ihm beugen als vor dem, der Gottes heiliges Eigentum<br />

ist. "Was in der Geburt gepflanzt wird, erstreckt aber seine Folgen ni<strong>ch</strong>t<br />

nur dur<strong>ch</strong> die Kindheit, sondern dur<strong>ch</strong> das ganze Leben. Dort wird der Keim<br />

gesät; her<strong>na<strong>ch</strong></strong> entfaltet er si<strong>ch</strong> zum vollendeten Gewä<strong>ch</strong>s. Weil Gottes Geist<br />

ihm Leib <strong>und</strong> Seele bereitet hat, steht Jesus au<strong>ch</strong> in seinem Mannesleben als<br />

der Heilige da, den keiner an si<strong>ch</strong> ziehen, fesseln <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> unterwerfen kann.<br />

Mit Gott vereint wird er in ihm bleiben, weil er dur<strong>ch</strong> ihn geworden ist. Damit<br />

ist der Gr<strong>und</strong> seiner Herrs<strong>ch</strong>aft aufgedeckt. Sein Ursprung aus Gott, der<br />

ihn zum Sohne Gottes ma<strong>ch</strong>t, zeigt, weshalb er das königli<strong>ch</strong>e Amt verwaltet.<br />

"Weil er Gott gehört, gehört ihm die Gemeinde. Sie ist an ihn geb<strong>und</strong>en, weil<br />

er an Gott geb<strong>und</strong>en ist. Als der Gott Unterworfene herrs<strong>ch</strong>t er, <strong>und</strong> sein<br />

königli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t entsteht daraus, daß er Gott ganz gehor<strong>ch</strong>t.<br />

1,36. 37: Und sieh! Elisabeth, deine Verwandte, hat au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> in ihrem


<strong>Lukas</strong> 1,35b—41 143<br />

Alter einen Sohn empfangen, <strong>und</strong> dies ist für sie, die man unfru<strong>ch</strong>tbar heißt,<br />

der se<strong>ch</strong>ste Monat, weil bei Gott kein Ding unmögli<strong>ch</strong> ist. Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong> kommt<br />

der Engel Marias Glauben zu Hilfe <strong>und</strong> tut ihr k<strong>und</strong>, daß Elisabeth ein ähn^<br />

lidies W<strong>und</strong>er Gottes an si<strong>ch</strong> erlebt habe <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>on im se<strong>ch</strong>sten Monat ein<br />

Kindlein in ihrem S<strong>ch</strong>oß trage zum hellen Erweis, daß Gottes Ma<strong>ch</strong>t keine<br />

Grenzen hat <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> Maria sein Wort gläubig ergreifen darf.<br />

Sie gab si<strong>ch</strong> Gott. 1,38a: Maria aber spra<strong>ch</strong>: Sieh! i<strong>ch</strong> bin die Magd des<br />

Herrn; es ges<strong>ch</strong>ehe mir <strong>na<strong>ch</strong></strong> deinem Wort. Als Gottes Magd gehört sie ihm<br />

mit Leib <strong>und</strong> Leben, mit Sinn <strong>und</strong>~Wïllen. Sie kann <strong>und</strong> will ihm ni<strong>ch</strong>t widerstreben,<br />

sondern nimmt, was er ihr gibt, <strong>und</strong> tut, was er sie heißt. Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

bloß Ergebung, die sie vor Gottes Willen willenlos ma<strong>ch</strong>t, füllt ihre Seele.<br />

Denn die Gnadentat Gottes ist ihr verkündigt <strong>und</strong> seine herrli<strong>ch</strong>e Gabe vor<br />

sie gelegt. Na<strong>ch</strong> ihr darf <strong>und</strong> soll si<strong>ch</strong> ihre Seele strecken, <strong>und</strong> sie wagt es, verlangend<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Gabe zu greifen um der Gnade <strong>und</strong> Größe dessen willen,<br />

der sie ihr s<strong>ch</strong>enkt. Für Größeres ist im Mens<strong>ch</strong>enleben ni<strong>ch</strong>t Raum. Hier stand<br />

eine Seele Gott zu <strong>Die</strong>nsten <strong>und</strong> gehor<strong>ch</strong>te seiner Berufung. Ni<strong>ch</strong>ts Sonderli<strong>ch</strong>es<br />

ges<strong>ch</strong>ah; keine ausnahmsweise Höhe eigenartiger Heiligkeit war hier er^<br />

rei<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>ts als s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ter Glaube, ni<strong>ch</strong>ts als Kindesgehorsam, aber wirkli<strong>ch</strong><br />

Gott erzeigter Glaube, wirkli<strong>ch</strong> Gott dargebra<strong>ch</strong>ter Gehorsam. Höheres gibt<br />

es in der Mens<strong>ch</strong>enwelt ni<strong>ch</strong>t. Damit das ges<strong>ch</strong>ehe <strong>und</strong> auf Erden Raum habe,<br />

ist die ganze alttestamentli<strong>ch</strong>e <strong>Offenbarung</strong> ges<strong>ch</strong>ehen, ist das Gesetz gekommen<br />

<strong>und</strong> die Propheten mit allen W<strong>und</strong>ern der Regierung Gottes über Israel,<br />

Dur<strong>ch</strong> diese Vorbereitung ward es mögli<strong>ch</strong>, daß ein Mens<strong>ch</strong>enkind, als ihm<br />

Gott seinen Sohn gab, ihn gläubig <strong>und</strong> gehorsam empfing.<br />

Der Engel selbst hatte Maria auf Elisabeth hingewiesen. Zu ihr zog sie nun<br />

mit ihrem seligen Geheimnis, dessen <strong>Offenbarung</strong> sie Gott überlassen muß,<br />

1,380—40: Und der Engel ging von ihr fort. Maria aber stand in diesen Tagen<br />

auf <strong>und</strong> ging eilig in das Bergland in eine Stadt Judas <strong>und</strong> trat ein in das Haus<br />

des Za<strong>ch</strong>arias <strong>und</strong> grüßte Elisabeth. Über den Wohnort des Za<strong>ch</strong>arias sagt<br />

<strong>Lukas</strong> nur, er habe im Bergland Judas gewohnt, ohne den Namen des Dorfes<br />

anzugeben. Das Bergland ist die ho<strong>ch</strong>gelegene, an Gipfeln <strong>und</strong> Tälern rei<strong>ch</strong>e<br />

Umgebung Jerusalems, etwa eine Tagereise <strong>na<strong>ch</strong></strong> Nord <strong>und</strong> Süd. Der Eintritt<br />

Marias in Elisabeths Haus bra<strong>ch</strong>te beiden Frauen die Bestätigung ihres hohen<br />

Berufs. Bei ihrem Gruß, ni<strong>ch</strong>t erst als sie erzählt hatte, werden Mutter <strong>und</strong><br />

Kind prophetis<strong>ch</strong> bewegt. 1,41 : Und es ges<strong>ch</strong>ah, als Elisabeth den Gruß Marias<br />

hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib, <strong>und</strong> Elisabeth wurde des heiligen Geistes<br />

'voll. Ein erleu<strong>ch</strong>teter Blick wurde ihr ges<strong>ch</strong>enkt, der ihr si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>te, was<br />

Maria dur<strong>ch</strong> Gottes Wahl geworden war. Wie tief sie inwendig bewegt war,


144 Wie Christus geboren ward<br />

ma<strong>ch</strong>te au<strong>ch</strong> ihr lauter Ruf wahrnehmbar. 1,42—45: Und sie rief mit einem<br />

lauten Ruf <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Gesegnet bist du unter den Frauen, <strong>und</strong> gesegnet ist die<br />

Fru<strong>ch</strong>t deines Leibs. Woher ges<strong>ch</strong>ieht mir dies, daß die Mutter meines Herrn<br />

zu mir kommt? Denn sieh! als der Ton deines Grußes in mein Ohr kam, da<br />

hüpfte mit Frohlocken das Kind in meinem Leib. Und selig ist die, die geglaubt<br />

hat, weil dem, was ihr vom Herrn geredet ist, Vollendung kommen wird. Sie<br />

ruft Maria das Wort der Segnung zu, die ihr nun vor allen Frauen gebührt,<br />

ruft ihr zu, daß sie sie als Mutter eines Kindes kennt, das gesegnet ist, beugt<br />

si<strong>ch</strong> in tiefer Demut vor ihr als vor der Mutter ihres Herrn, ob deren Gruß sogar<br />

das s<strong>ch</strong>lummernde Kind in ihrem S<strong>ch</strong>oß aufjubelte, besiegelt ihr ihren Weg,<br />

den Weg des Glaubens, als ri<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> selig <strong>und</strong> bestärkt sie, daß sie au<strong>ch</strong><br />

fernerhin Glauben bewahre, wie sie Gott Glauben erwiesen hat, weil si<strong>ch</strong> das<br />

ihr gegebene Wort Gottes erfüllen wird.<br />

Damit war, was Maria erlebt hatte, zum erstenmal dur<strong>ch</strong> einen mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

M<strong>und</strong> ausgespro<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> die Bots<strong>ch</strong>aft des Engels au<strong>ch</strong> zum mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Zeugnis geworden <strong>und</strong> Gott zum erstenmal dafür gepriesen, daß er der Welt<br />

den Christus gab. Mit liebli<strong>ch</strong>er Fürsorge hatte es Gott so gelenkt, daß das<br />

erste K<strong>und</strong>werden ihres Geheimnisses Marias Glauben aufri<strong>ch</strong>tete <strong>und</strong> ihr die<br />

Seele mit Freude füllte. Na<strong>ch</strong>her wird au<strong>ch</strong> die boshafte Zunge der Welt von<br />

ihrem hohen Beruf spre<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> ihr Glaube verhöhnt werden, so daß si<strong>ch</strong> ihre<br />

Seele an" den Dornen <strong>und</strong> Sta<strong>ch</strong>eln der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Sünde verw<strong>und</strong>en wird.<br />

Do<strong>ch</strong> das war ni<strong>ch</strong>t der Anfang ihres Weges. Zuerst hat sie die Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit<br />

der göttli<strong>ch</strong>en Fürsorge gekostet, die ihr Erquickung <strong>und</strong> Stärkung bereitete.<br />

Da Elisabeth gespro<strong>ch</strong>en hat, strömt au<strong>ch</strong> aus Marias Seele das Wort. 1,46.<br />

47: Und Maria spra<strong>ch</strong>: Meine Seele erhebt den Herrn, <strong>und</strong> mein Geist jubelt<br />

über Gott, meinen Heiland. Es ist Preis Gottes, den sie ausspri<strong>ch</strong>t, dem Gebet<br />

der alttestamentli<strong>ch</strong>en Frommen entnommen. Mit den ersten Worten heftet<br />

sie ihn an ihr eigenes Erlebnis an; dann führt sie ihn aber zur Betra<strong>ch</strong>tung <strong>und</strong><br />

Verkündigung der göttli<strong>ch</strong>en Größe empor, wie sie si<strong>ch</strong> überall in Gottes Regierung<br />

offenbart.<br />

1,48—50: Denn er sah auf die Erniedrigung seiner Magd. Denn sieh! von<br />

jetzt an werden mi<strong>ch</strong> alle Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter selig preisen. Denn Großes tat mir der<br />

Mä<strong>ch</strong>tige, <strong>und</strong> sein Name ist heilig, <strong>und</strong> sein Erbarmen ist von Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t zu<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t bei denen, die ihn für<strong>ch</strong>ten. Gott hat sie ni<strong>ch</strong>t deshalb mißa<strong>ch</strong>tet,<br />

weil ni<strong>ch</strong>ts Großes <strong>und</strong> Hohes an ihr war, sondern hat ihr seinen Blick ges<strong>ch</strong>enkt<br />

<strong>und</strong> auf sie mit dem erwählenden Auge ges<strong>ch</strong>aut, das sie zum Werkzeug<br />

seines Rats erkoren hat, <strong>und</strong> nun ist sie auf eine Höhe erhoben, daß sie<br />

für immer als die Ho<strong>ch</strong>begnadigte <strong>und</strong> Auserkorene gelten wird <strong>und</strong> allen


<strong>Lukas</strong> 1,42—56 ' 145<br />

Zeiten das, was Gott ihr gab, als unausdenkbarer Vorzug ers<strong>ch</strong>einen muß. So<br />

handelt er an ihr gemäß seiner göttli<strong>ch</strong>en Majestät <strong>und</strong> offenbart seine Ma<strong>ch</strong>t,<br />

seine Heiligkeit <strong>und</strong> sein Erbarmen. Bei seiner Regierung verweilt nun ihr<br />

Blick, die ungeb<strong>und</strong>en an das, was groß <strong>und</strong> mä<strong>ch</strong>tig unter den Mens<strong>ch</strong>en ist,<br />

ihren eigenen "Weg geht <strong>und</strong> Gottes Willen allein zur Geltung bringt.<br />

1,51—53: Er handelte mä<strong>ch</strong>tig mit seinem Arm, zerstreute die in den Gedanken<br />

ihres Herzens Stolzen. Er riß Herrs<strong>ch</strong>er von Thronen herab <strong>und</strong> erhöhte<br />

Niedrige. Hungernde sättigte er mit Gütern, <strong>und</strong> Rei<strong>ch</strong>e vertrieb er leer.<br />

So tat er je <strong>und</strong> je, tut er jetzt <strong>und</strong> wird er tun. Das ist die Art seines Regiments,<br />

der immer wieder w<strong>und</strong>erbare' Gang seines "Werks. "Wo mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es<br />

Unvermögen ist, s<strong>ch</strong>afft sein Vermögen die Hilfe <strong>und</strong> Fülle; wo si<strong>ch</strong> dagegen<br />

der Mens<strong>ch</strong> groß <strong>und</strong> wohlversorgt dünkt <strong>und</strong> ohne Gott, ja gegen ihn si<strong>ch</strong><br />

ho<strong>ch</strong> erhebt, da bringt ihm Gottes "Walten den Sturz <strong>und</strong> offenbart ihm seine<br />

Eitelkeit. <strong>Die</strong>ses freie, königli<strong>ch</strong>e Handeln Gottes, der seinen eigenen Weg<br />

ohne S<strong>ch</strong>wanken geht, beugt alle, au<strong>ch</strong> die Großen, vor ihm in Demut <strong>und</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t jedem, au<strong>ch</strong> dem Armen, den Zugang zu ihm im Glauben frei.<br />

Das letzte "Wort sieht mit Dank <strong>und</strong> Preis auf Gottes Volk, auf Israels<br />

Berufung <strong>und</strong> Gottes Verb<strong>und</strong>enheit mit ihm. "Was er Maria tat, wird ihr als<br />

Glied der Gemeinde zuteil. Seinem Volke gilt seine Gnade; ihm ist der Christus<br />

gegeben. 1,54. 55: Er half seinem Kne<strong>ch</strong>t Israel, um des Erbarmens zu gedenken,<br />

wie er zu unseren Vätern geredet hat, zu Abraham <strong>und</strong> seinem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

ewigli<strong>ch</strong>. S<strong>ch</strong>on ist die Hilfe da; denn Christus kommt. Es ist s<strong>ch</strong>on<br />

Zeit zum Danken, Zeit zur Freude an Gottes Heilandstat. Er läßt sein "Werk<br />

ni<strong>ch</strong>t unvollendet. "Was ihn bewegt, ist sein Erbarmen, ni<strong>ch</strong>t Israels Würdigkeit<br />

oder Verdienst. Weil er an das Erbarmen denkt, bringt er die Heilszeit<br />

herbei. Was ihn bewegt, ist sein Wort, das er den Vätern gab; dieses zieht mit<br />

heiliger Ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> die errettende Gottestat herbei.<br />

So pries ein jüdis<strong>ch</strong>es Herz, das gläubig im alttestamentli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riftwort<br />

lebte, Gott, als ihm die Gewißheit gegeben war: Der Christus ist da! Jesu<br />

Kreuzesweg <strong>und</strong> Israels Fall sind seinem Blick no<strong>ch</strong> verborgen. Es s<strong>ch</strong>aut rückwärts<br />

auf das Große, was Gott Israel gab, sieht über ihm Gott in seiner Hoheit •<br />

walten <strong>und</strong> baut darauf die herrli<strong>ch</strong>e Vollendung auf.<br />

1,56: Maria aber blieb etwa drei Monate bei ihr <strong>und</strong> kehrte in ihr Haus<br />

zurück. Elisabeths Haus war für Maria eine stille, si<strong>ch</strong>ere Heimat, bis für jene<br />

die Zeit zur Geburt ihres Sohnes kam. No<strong>ch</strong> vor seiner Geburt ging Maria weg,<br />

da diese den Beruf ihres Kindleins k<strong>und</strong>ma<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> vieler Blicke auf dasselbe<br />

lenkte. Dadur<strong>ch</strong> hörte das Haus des Za<strong>ch</strong>arias auf, für Maria ein Ort der


14" Wie Christus geboren ward<br />

Verborgenheit zu sein, <strong>und</strong> sie kehrte, der Führung Gottes gewiß, in ihre Heimat<br />

zurüde.<br />

Man hat diese Erzählung oft ein Gedi<strong>ch</strong>t genannt; wäre sie nur das, so gehörte<br />

der, der sie s<strong>ch</strong>uf, zu den Größten, die je poetis<strong>ch</strong>e Gaben empfingen.<br />

Es gibt aber ni<strong>ch</strong>t nur mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e, sondern au<strong>ch</strong> göttli<strong>ch</strong>e Poesie; poetis<strong>ch</strong>er als<br />

alle Di<strong>ch</strong>tung ist die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, die Gottes Geist wirkt.<br />

1,57. j8: Für Elisabeth aber wurde die Zeit voll, daß sie gebären konnte,<br />

<strong>und</strong> sie gebar einen Sohn. Und die Na<strong>ch</strong>barn <strong>und</strong> ihre Verwandten hörten, daß<br />

der Herr sein Erbarmen an ihr groß gema<strong>ch</strong>t hatte, <strong>und</strong> freuten si<strong>ch</strong> mit ihr.<br />

<strong>Die</strong> Geburt des Kindes bewegte die Na<strong>ch</strong>barn <strong>und</strong> Verwandten der Mutter,<br />

au<strong>ch</strong> ohne daß sein künftiger Beruf s<strong>ch</strong>on in Frage kam, s<strong>ch</strong>on deshalb, weil<br />

die greise Frau no<strong>ch</strong> Mutter geworden war <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> eine besondere "Wohltat<br />

Gottes erlebt hatte. 1,59—63: Und es ges<strong>ch</strong>ah am a<strong>ch</strong>ten Tag, da kamen sie,<br />

um das Knäblein zu bes<strong>ch</strong>neiden, <strong>und</strong> nannten es <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Namen seines<br />

Vaters Za<strong>ch</strong>arias, <strong>und</strong> seine Mutter antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Nein, sondern er<br />

wird Johannes heißen. Und sie sagten zu ihr: Niemand ist unter deiner Verwandts<strong>ch</strong>aft,<br />

der diesen Namen hat. Sie winkten aber seinem Vater, wie er<br />

wollte, daß er heiße. Und er verlangte ein Täfei<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>rieb darauf: Johannes<br />

ist sein Name. Und sie staunten alle. Jetzt war au<strong>ch</strong> der Vater dem<br />

"Wort des Engels gehorsam <strong>und</strong> bestätigte den "Willen der Mutter, no<strong>ch</strong> zum<br />

Spre<strong>ch</strong>en unfähig, no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>rift. Dann wurde ihm aber die Spra<strong>ch</strong>e<br />

wiedergegeben. 1,64—66: Es wurde aber sofort sein M<strong>und</strong> auf getan <strong>und</strong> seine<br />

Zunge, <strong>und</strong> er redete <strong>und</strong> pries Gott. Und es kam auf alle, die in ihrer Na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aft<br />

wohnten, Fur<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> im ganzen Bergland Judäas wurden alle diese<br />

Dinge bespro<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> alle, die sie hörten, taten sie in ihr Herz <strong>und</strong> sagten:<br />

Was wird wohl dieses Knäblein werden? Denn die Hand des Herrn war mit<br />

ihm.<br />

Au<strong>ch</strong> Za<strong>ch</strong>arias wurde zum Propheten, <strong>und</strong> ein weissagender Spru<strong>ch</strong> von<br />

ihm ist im Kreise der Jünger aufbewahrt worden, so daß ihn uns der Evangelist<br />

wiederholen kann. Er verkündigt zuerst den Eintritt der messianis<strong>ch</strong>en<br />

Zeit, wie er ihm s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong> das angesagt war, was ihm, der Engel über den<br />

Beruf des Johannes zu sagen hatte. 1,67: Und Za<strong>ch</strong>arias, sein Vater, wurde des<br />

heiligen Geistes voll <strong>und</strong> weissagte <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>. Dann, wenn der Mens<strong>ch</strong> zu<br />

einem prophetis<strong>ch</strong>en "Wort oder zu einer in Gottes Kraft vollbra<strong>ch</strong>ten Tat bewegt<br />

wurde, sagte man in der Christenheit: Jetzt sei er mit dem Geist gefüllt,<br />

weil jetzt sein ganzes inwendiges Leben dem Geiste dienstbar ist <strong>und</strong> alles, was<br />

der Mens<strong>ch</strong> von Kraft, "Wissen <strong>und</strong> "Willen besitzt, dem Antrieb des Geistes<br />

gehor<strong>ch</strong>t. Bewegt si<strong>ch</strong> dagegen das inwendige Leben in seiner natürli<strong>ch</strong>en Bahn,


<strong>Lukas</strong> 1,57—71 147<br />

so wird der Mens<strong>ch</strong> zwar dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vom Geist ges<strong>ch</strong>ieden, da dieser unser<br />

natürli<strong>ch</strong>es Leben ni<strong>ch</strong>t anfi<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t zerstört, ist aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> vollständig in den <strong>Die</strong>nst des Geistes gestellt, wie es dann ges<strong>ch</strong>ient,<br />

wenn er ihn zum Werkzeug für seine besondere <strong>und</strong> neue <strong>Offenbarung</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t. 1,68: Gepriesen ist der Herr, der Gott Israels; denn er hat si<strong>ch</strong> seines<br />

Volkes angenommen <strong>und</strong> ihm Erlösung ges<strong>ch</strong>affen. Erlösung verkündigt Za<strong>ch</strong>arias<br />

als das erste <strong>und</strong> wesentli<strong>ch</strong>e Merkmal, weil Israel eine geb<strong>und</strong>ene, gekne<strong>ch</strong>tete<br />

S<strong>ch</strong>ar gewesen ist. Daß es in den großen Weltstaat des römis<strong>ch</strong>en<br />

Kaiserrei<strong>ch</strong>es hineingezogen war, war ni<strong>ch</strong>t das einzige, was es drückte. Di<strong>ch</strong>t<br />

<strong>und</strong> stark legte si<strong>ch</strong> vielmehr Not auf sein ganzes Leben. Gottlosigkeit ist<br />

mä<strong>ch</strong>tig in seiner eigenen Mitte, <strong>und</strong> Gott s<strong>ch</strong>weigt. <strong>Die</strong> Einheit der Gemeinde<br />

ist zerbro<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> ihre Glieder sind hin <strong>und</strong> her in die Welt zersprengt. In<br />

Härte <strong>und</strong> Habgier kne<strong>ch</strong>tet der eine den anderen, <strong>und</strong> kümmerli<strong>ch</strong> ringt das<br />

Volk um seinen Lebensunterhalt. W<strong>und</strong>e um W<strong>und</strong>e s<strong>ch</strong>lägt ihm der Lauf der<br />

Dinge, <strong>und</strong> wenig ist das, was es an göttli<strong>ch</strong>er Hilfe <strong>und</strong> Gabe empfängt. Es<br />

war eine Zeit geringer Dinge, eine Zeit des Darbens <strong>und</strong> Wartens. Darum<br />

streckt si<strong>ch</strong> die Sehnsu<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem, der Befreiung s<strong>ch</strong>afft <strong>und</strong> alle Ketten<br />

bri<strong>ch</strong>t, so daß si<strong>ch</strong> Israel frei in die Höhe heben <strong>und</strong> seines Gottes froh werden<br />

kann. 1,69.70: Und er ri<strong>ch</strong>tete uns ein Horn des Heils im Hause Davids, seines<br />

Kne<strong>ch</strong>tes, auf, wie er dur<strong>ch</strong> den M<strong>und</strong> seiner heiligen Propheten von alters her<br />

geredet hat. <strong>Die</strong> Erlösung ist nun gekommen; denn der Christus ist da, Gottes<br />

mä<strong>ch</strong>tiges Werkzeug, dur<strong>ch</strong> das er seine <strong>und</strong> seines Volkes Sa<strong>ch</strong>e führt. Ein<br />

Horn des Heils nennt er ihn, weil er mit der sieghaften Kraft ausgerüstet ist,<br />

die die uns kne<strong>ch</strong>tenden Mä<strong>ch</strong>te zu überwinden vermag. Dankbar sieht Za<strong>ch</strong>arias<br />

mit der ganzen Gemeinde auf das göttli<strong>ch</strong>e Wort. Ihm zur Erfüllung<br />

kommt der Christus; seinetwegen geht Israel die Heilszeit auf.<br />

Das erste, was er an der kommenden Erlösung heraushebt, ist der S<strong>ch</strong>utz<br />

Israels gegen alle seine Feinde. 1,71: Errettung von unseren Feinden <strong>und</strong> aus<br />

der Hand aller unserer Hasser. Es hat tief in das Empfinden <strong>und</strong> Leben Israels<br />

eingegriffen, daß es in einen beständigen Streit mit der ganzen Völkerwelt<br />

hineingesetzt war. Alle widerspra<strong>ch</strong>en, verhöhnten <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ädigten es; so<br />

widerspra<strong>ch</strong> es au<strong>ch</strong> seinerseits allen. Das war ni<strong>ch</strong>t einzig Israels S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong><br />

hing ni<strong>ch</strong>t bloß an seiner Hoffart <strong>und</strong> an seiner Vera<strong>ch</strong>tung der anderen, sondern<br />

an seinem Bekenntnis zum einigen Gott, daran, daß es mit keinem Volk<br />

eins werden durfte in dem, was sein Gottesdienst war. <strong>Die</strong>se Vereinsamung in<br />

der Völkerwelt <strong>und</strong> der beständige Kampfesstand war aber ein hartes Los <strong>und</strong><br />

legte auf die Gemeinde einen s<strong>ch</strong>weren Druck. Sie war ja nur eine kleine S<strong>ch</strong>ar,<br />

s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> <strong>und</strong> wehrlos unter den großen Völkern. Darum wird der Christus


148 Wie Christus geboren ward<br />

von Zadiarias vor allem als der Bes<strong>ch</strong>irmer Israels gegen seine Feinde gepriesen,<br />

der Haß, Krieg <strong>und</strong> Verfolgung von ihm nimmt, so daß mit ihm der Friede<br />

kommt.<br />

Aber ni<strong>ch</strong>t bei Israels Bedrängnis <strong>und</strong> Bedürfnis verweilt Za<strong>ch</strong>arias, sondern<br />

bei den festen F<strong>und</strong>amenten, auf die si<strong>ch</strong> Gottes Werk erbaut; das sind die<br />

Väter <strong>und</strong> der B<strong>und</strong> <strong>und</strong> der Eid Gottes an Abraham. 1,72—75: Daß er Barmherzigkeit<br />

unseren Vätern erweise <strong>und</strong> seines heiligen B<strong>und</strong>es gedenke, des<br />

Eides, den er unserem Vater Abraham s<strong>ch</strong>wur, uns zu geben, daß wir ohne<br />

Fur<strong>ch</strong>t aus der Hand der Feinde errettet ihm dienen in Heiligkeit <strong>und</strong> Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

vor ihm alle unsere Tage. An den Vätern tut Gott Barmherzigkeit<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß er jetzt Israel hilft, weil er si<strong>ch</strong> den Vätern mit Liebe <strong>und</strong> Treue<br />

verband <strong>und</strong> diese dadur<strong>ch</strong> betätigt, daß er, was er ihnen verspra<strong>ch</strong>, erfüllt<br />

<strong>und</strong> ihrem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t seine Gnade offenbart. Das Ziel, zu dem Gott Israel nun<br />

führt, ist, daß es wahrhaft zum priesterli<strong>ch</strong>en Volke wird. Gott zu dienen,<br />

das steht vor Za<strong>ch</strong>arias Augen als Israels herrli<strong>ch</strong>er Beruf. Daran hindert es<br />

jetzt der äußere Druck <strong>und</strong> die Fur<strong>ch</strong>t, in der es leben muß. Das nimmt ihm<br />

nun sein König ab, so daß es ohne Fur<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Verfolgung sein heiliges Priesteramt<br />

üben kann. Dazu gehört aber weiter die inwendige Ausrüstung <strong>und</strong> Zubereitung<br />

des Volks: Heiligkeit <strong>und</strong> Gere<strong>ch</strong>tigkeit, ohne die niemand in Gottes<br />

Nähe steht, <strong>und</strong> vor allem Gottes eigene Gegenwart. <strong>Die</strong>s alles wird ihm nun<br />

ges<strong>ch</strong>enkt. Gott ruft es zu si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> ihm nah, so daß es vor ihm in<br />

Heiligkeit <strong>und</strong> Gere<strong>ch</strong>tigkeit zu seiner Anbetung stehen darf. Alle unsere Tage,<br />

sagt Za<strong>ch</strong>arias mit Frohlocken, ohne daß uns etwas stört <strong>und</strong> aus Gottes Heiligtum<br />

vertreibt. Er sieht die ungestörte, unaufhörli<strong>ch</strong>e Anbetung, die im Himmel<br />

jetzt Gott dargebra<strong>ch</strong>t wird, nun au<strong>ch</strong> in derjenigen Gemeinde beginnen,<br />

die Gott si<strong>ch</strong> auf Erden bereiten wird.<br />

Dann ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> sein Wort an seinen Sohn, den sein Amt an den Eingang<br />

der Heilszeit stellt. 1,76: Du aber, Kna'blein, wirst ein Prophet des Hö<strong>ch</strong>sten<br />

heißen. Denn du wirst vor dem Herrn hergehen, seine Wege zu bereiten. Dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß Gott aus ihm den Propheten ma<strong>ch</strong>t, wird er seine Zusage dem Volk<br />

erfüllen, daß es für seine hö<strong>ch</strong>sten Gaben gerüstet <strong>und</strong> auf sein Kommen vorbereitet<br />

werden soll. Sein Amt ist, 1,77: Erkenntnis der Errettung seinemVolke<br />

zu geben dur<strong>ch</strong> Vergebung seiner Sünden. An seinem Wort <strong>und</strong> Werk wird<br />

Israel erkennen, daß Gott als sein Heiland an ihm handelt, <strong>und</strong> das erste,<br />

was es hierbei bedarf <strong>und</strong> empfängt, ist Vergebung der Sünden. Ohne sie gäbe<br />

es für Israel keine Hilfe. Weil es sündig ist, kommt es zum Genuß der Heilszeit<br />

nur dadur<strong>ch</strong>, daß ihm verziehen wird. Ihm Gottes Vergebung zu bringen,<br />

darin wird der prophetis<strong>ch</strong>e <strong>Die</strong>nst des Johannes bestehen. Daß er zu Israel


<strong>Lukas</strong> 1,72—J9 149<br />

gesandt ist <strong>und</strong> wie er zu ihm gesandt wird, wird ihm zeigen, daß Gott seine<br />

Sünden bedeckt <strong>und</strong> es gnädig zu si<strong>ch</strong> ruft.<br />

I >7^' 79' Wegen der erb armungsr ei<strong>ch</strong>en Barmherzigkeit unseres Gottes, mit<br />

der si<strong>ch</strong> der Aufgang aus der Höhe unsrer annehmen wird*, um denen Li<strong>ch</strong>t zu<br />

geben, die in der Finsternis <strong>und</strong> im S<strong>ch</strong>atten des Todes sitzen, um unsere Füße<br />

auf den Weg des Friedens zu ri<strong>ch</strong>ten. Alles, was Johannes zu tun vermag, beruht<br />

darauf, daß Gottes rei<strong>ch</strong>e Gnade dem Volk den Christus gibt. Sein Amt<br />

wird mit den Worten der Verheißung bes<strong>ch</strong>rieben <strong>na<strong>ch</strong></strong> Sa<strong>ch</strong>ar ja 6,12 <strong>und</strong><br />

Jesaja 9,1. „Aufgang" ist der Name, den der Prophet Sa<strong>ch</strong>arja dem Verheißenen<br />

gibt. Er ließ an ein Gewä<strong>ch</strong>s denken, das aus dem Boden herauswä<strong>ch</strong>st<br />

mit lebendiger Kraft, die in die Höhe strebt, oder au<strong>ch</strong> an den Li<strong>ch</strong>tstrahl, der<br />

in die Dunkelheit hineinglänzt. So ist hier der Name gebrau<strong>ch</strong>t. Aus der Höhe,<br />

aus dem himmlis<strong>ch</strong>en Ort, von Gottes Thron her tritt dieser Bringer des Li<strong>ch</strong>ts<br />

in die Mens<strong>ch</strong>enwelt, ein Ewiger, der von oben her aus Gottes Nähe heraus in<br />

die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft herabgesandt wird. Darum ist Gott in ihm, redet<br />

dur<strong>ch</strong> ihn <strong>und</strong> herrs<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ihn, <strong>und</strong> Gottes Geist verleiht ihm Leben, Ma<strong>ch</strong>t<br />

<strong>und</strong> Sieg. Weil der Christus mit Gottes Erbarmen si<strong>ch</strong> Israels annimmt, darum<br />

ist au<strong>ch</strong> Johannes mit der Vergebung der Sünden zu ihm gesandt. So werden<br />

die, die glei<strong>ch</strong>sam in der Finsternis eines Kerkers saßen, ans helle Li<strong>ch</strong>t geführt,<br />

<strong>und</strong> der "Weg des Friedens ist für Israel aufges<strong>ch</strong>lossen, daß es von nun an<br />

seinen Lebenslauf in dem von Gott ihm bereiteten Frieden führen kann.<br />

Das "Wort des Za<strong>ch</strong>arias faßt alles zusammen, was die alttestamentli<strong>ch</strong>e<br />

"Weissagung dem Volk als Hoffnung eingepflanzt hat, geht aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

über diese hinaus. Wie in Marias Loblied, so ist au<strong>ch</strong> in der "Weissagung des<br />

Za<strong>ch</strong>arias das no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t enthalten, was erst aus Jesu "Weg zum Kreuz erwa<strong>ch</strong>sen<br />

ist. Au<strong>ch</strong> ein Vorblick auf den Kampf des Johannes mit Israel, auf<br />

seine Taufe <strong>und</strong> seinen Zeugentod, der bereits erwöge, daß das Kmdlein, für<br />

dessen Geburt <strong>und</strong> Werk jetzt Gott die Anbetung dargebra<strong>ch</strong>t wird, im Kerker<br />

dur<strong>ch</strong> Herodes enden wird, zeigt si<strong>ch</strong> in diesen Worten ni<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> überras<strong>ch</strong>ende<br />

Wendung, die Gott dem <strong>Die</strong>nst des Täufers <strong>und</strong> dem Weg Jesu dadur<strong>ch</strong><br />

bereiten wird, daß er sie auf den Kreuzesweg stellt, wird erst her<strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

offenbar. Indem <strong>Lukas</strong> an den Eingang des Evangeliums diese Worte stellte,<br />

die ohne pharisäis<strong>ch</strong>e Verkrümmung völlig auf der Höhe der alttestamentli<strong>ch</strong>en<br />

Erwartung stehen, aber au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> auf dieser bleiben <strong>und</strong> so kräftig ausspre<strong>ch</strong>en,<br />

was das fromme Israel auf Gr<strong>und</strong> der S<strong>ch</strong>rift von dem hoffte, der<br />

* <strong>Die</strong> Texte geben: Der Aufgang aus der Höhe wird si<strong>ch</strong> unsrer annehmen, oder: er hat si<strong>ch</strong> unsrer<br />

' angenommen. In jenem Fall ist daran geda<strong>ch</strong>t, daß der Christus sein Werk erst künftig tun wird, in diesem,<br />

daß er s<strong>ch</strong>on erzeugt ist <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>on damit der von oben Gekommene dem Volk seinen gnädigen Blick zu<br />

gewendet hat, der ihm das Heil verleiht.


15° Wie Christus geboren ward<br />

ihm verheißen war, hat er uns hell gezeigt, wie das Evangelium mit dem Alten<br />

B<strong>und</strong> <strong>und</strong> seiner Weissagung zusammenhängt <strong>und</strong> Jesu "Werk auf dem steht,<br />

was Gott Israel gesagt <strong>und</strong> gegeben hat.<br />

Damit verläßt <strong>Lukas</strong> zunä<strong>ch</strong>st das Kindlein, über dessen Beruf wir dur<strong>ch</strong><br />

die Weise seiner Geburt <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> die Weissagung bei dieser unterri<strong>ch</strong>tet sind,<br />

<strong>und</strong> überblickt nur mit einem kurzen Wort den Zeitraum bis zum Beginn seines<br />

öffentli<strong>ch</strong>en <strong>Die</strong>nstes. Was dur<strong>ch</strong> seine Geburt begonnen war, fand seinen<br />

Fortgang. i,8oa: Aber das Knäblein wu<strong>ch</strong>s <strong>und</strong> erstarkte im Geiste. Au<strong>ch</strong> inwendig<br />

wurde er ein starker Mens<strong>ch</strong>, da er dur<strong>ch</strong> Gottes Geist seine Führung<br />

zu vernehmen <strong>und</strong> ihr zu gehor<strong>ch</strong>en lernte. i,8ob: Und er hielt si<strong>ch</strong> an einsamen<br />

Orten auf bis zu dem Tag, an dem er Israel gezeigt wurde. In der Stille<br />

geborgen ward er ein Mann, ni<strong>ch</strong>t in der Gemeinde mit ihren vielen verführeris<strong>ch</strong>en<br />

Reizungen <strong>und</strong> ihrer Gewöhnung an Sünde <strong>und</strong> Heu<strong>ch</strong>elei, sondern<br />

abges<strong>ch</strong>ieden von den Mens<strong>ch</strong>en, wohl bei der Herde, erwartete er die Zeit, da<br />

ihn Gott Israel zeigen wird. Jeder eigenmä<strong>ch</strong>tige S<strong>ch</strong>ritt, dur<strong>ch</strong> den er si<strong>ch</strong><br />

selbst vor Israel stellte <strong>und</strong> mit einem Wagen sein Werk unternähme, war ihm<br />

dur<strong>ch</strong> das, was er von Kindheit an über seinen Beruf wußte, völlig untersagt.<br />

Es lag mit Klarheit vor seinem Blick, daß er den Fortgang seines Lebens in<br />

Gottes Hand zu legen hatte, der ihm allein die St<strong>und</strong>e zeigen <strong>und</strong> sein Werk<br />

anweisen kann.<br />

<strong>Lukas</strong> geht über zu Jesu Geburt. Bei dieser stand Maria unter Josephs Hut<br />

als sein Weib; wie dies ges<strong>ch</strong>ah, hat er uns ni<strong>ch</strong>t erzählt, so daß uns nur Matthäus<br />

einigen Einblick in das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Joseph <strong>und</strong> Maria gibt <strong>und</strong><br />

uns beri<strong>ch</strong>tet, wie sie trotz ihres neuen, hohen Berufs denno<strong>ch</strong> Josephs Frau<br />

geworden ist.<br />

Dagegen hat <strong>Lukas</strong> erzählt, wie es kam, daß Jesus in Bethlehem geboren<br />

worden ist. Als Heimat Marias nannte er uns Nazareth <strong>und</strong> gibt uns keinen<br />

Anlaß, Joseph anderswohin zu stellen als in Marias Nähe, ebenfalls <strong>na<strong>ch</strong></strong> Nazareth.<br />

<strong>Die</strong> Weissagung zeigte aber für den Christus auf Bethlehem hin, auf<br />

Davids Stadt, <strong>und</strong> so ges<strong>ch</strong>ah es au<strong>ch</strong>. 2,1-5: Es ges<strong>ch</strong>ah aber in jenen Tagen,<br />

da ging ein Befehl vom Kaiser Augustus aus, daß in der ganzen Welt eine<br />

S<strong>ch</strong>ätzung gehalten werde. <strong>Die</strong>se S<strong>ch</strong>ätzung war die erste, die ges<strong>ch</strong>ah, als<br />

Quirinius über Syrien Statthalter war. Und alle gingen, si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ätzen zu lassen,<br />

jeder in seine Stadt. Es zog aber au<strong>ch</strong> Joseph aus Galiläa aus der Stadt Nazareth<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Judäa in die Stadt Davids hinauf, die Bethlehem heißt, weil er aus<br />

dem Hause <strong>und</strong> Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t Davids war, um si<strong>ch</strong> mit Maria s<strong>ch</strong>ätzen zu lassen,<br />

die ihm verlobt <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>wanger war. Eine S<strong>ch</strong>ätzung bestand in der Aufzei<strong>ch</strong>nung<br />

aller Einwohner samt ihrem Vermögensstand <strong>und</strong> ihrer Steuerpfli<strong>ch</strong>t.


<strong>Lukas</strong> 1,80a—Sob; 2%x—$ 151<br />

<strong>Lukas</strong> da<strong>ch</strong>te dabei ni<strong>ch</strong>t nur an eine Maßregel der jüdis<strong>ch</strong>en Obrigkeit, die<br />

bloß Judäa umfaßt hätte. Er sagt, das Gebot sei vom Kaiser Augustus gekommen<br />

<strong>und</strong> habe überall die S<strong>ch</strong>ätzung angeordnet. Er nennt uns darum au<strong>ch</strong><br />

den römis<strong>ch</strong>en Beamten, der sie im Orient auszuführen hatte, den Statthalter<br />

von Syrien, Quirinius. In diesen Angaben über die damalige S<strong>ch</strong>ätzung liegen<br />

man<strong>ch</strong>erlei S<strong>ch</strong>wierigkeiten. "Wie konnte sie dadur<strong>ch</strong> hergestellt werden, daß<br />

jeder Mann in seinen Heimatort ging? <strong>und</strong> wie konnte sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> römis<strong>ch</strong>er "Weise<br />

stattfinden, während Herodes no<strong>ch</strong> König im Lande war? <strong>und</strong> wel<strong>ch</strong>es war der<br />

Anteil des Quirinius an ihr? Hat si<strong>ch</strong>, da uns Josephus von Quirinius, allerdings<br />

nur in einem verworrenen Beri<strong>ch</strong>t, sagt, er habe rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> zehn Jahre<br />

später, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem dem Sohne des Herodes, Ar<strong>ch</strong>elaus, vom Kaiser die Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

über Jerusalem genommen war, eine S<strong>ch</strong>ätzung in Jerusalem <strong>und</strong> Judäa<br />

gehalten, Früheres <strong>und</strong> Späteres in der Erinnerung der Jünger oder des <strong>Lukas</strong><br />

vermengt? Völlig klarstellen lassen si<strong>ch</strong> die damaligen Verhältnisse <strong>und</strong> Vorgänge<br />

ni<strong>ch</strong>t. An den "Worten des <strong>Lukas</strong> ist jedenfalls deutli<strong>ch</strong>, daß man von<br />

ihnen in der Christenheit <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Weise des Volks <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t mit der sa<strong>ch</strong>k<strong>und</strong>igen<br />

Genauigkeit römis<strong>ch</strong>er Staatsmänner gespro<strong>ch</strong>en hat. Der Fortgang<br />

der Erzählung zeigt, daß Jesus ni<strong>ch</strong>t im Hause seiner Eltern, sondern während<br />

einer Wanderung derselben geboren ward. Nur so kann die Krippe zum Bette<br />

des Kindes geworden sein. Wie soll aber die Krippe als das Zei<strong>ch</strong>en des Christus<br />

in die Weih<strong>na<strong>ch</strong></strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te kommen anders, als weil es so ges<strong>ch</strong>ehen ist?<br />

Waren die Eltern auf der Wanderung, so nötigte sie dazu ein zwingender<br />

Gr<strong>und</strong>, ein Befehl der Obrigkeit, wie ihn uns <strong>Lukas</strong> erzählt, au<strong>ch</strong> wenn wir<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr ans Li<strong>ch</strong>t stellen können, wie dit Verordnung des Herodes mit derjenigen<br />

des Augustus zusammenhing <strong>und</strong> weshalb Joseph ihr ni<strong>ch</strong>t in Nazareth<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>kommen konnte, sondern dazu <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethlehem gewandert ist.<br />

<strong>Lukas</strong> heißt uns bedenken, wie vollständig Jesus von Anfang an in Israels<br />

Leben <strong>und</strong> Leiden hineinversetzt worden ist. Was der Kaiser in Rom befahl,<br />

traf ihn s<strong>ch</strong>on in seinen ersten Lebenstagen <strong>und</strong> gab ihm sdion bei seiner Geburt<br />

die arme Gestalt. Aber dieses Weltgetriebe war für die göttli<strong>ch</strong>e Regierung<br />

<strong>und</strong> Jesu Sendung kein Hindernis, war ihr vielmehr Untertan <strong>und</strong> ein<br />

Mittel zu ihrem Ziel; denn es bra<strong>ch</strong>te Jesus in die Stadt Davids an den Ort,<br />

den die Verheißung genannt hatte. Eine Herrs<strong>ch</strong>aft, wie sie Augustus hat,<br />

kann ni<strong>ch</strong>t bestehen, ohne daß alle Welt der S<strong>ch</strong>ätzung unterworfen wird. Sie<br />

bedarf einen vollen S<strong>ch</strong>atz <strong>und</strong> nimmt deshalb jedermann, so viel sie kann.<br />

<strong>Die</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit des Königs, der hier geboren ward, ist anderer Art; er hat<br />

<strong>und</strong> brau<strong>ch</strong>t von all dem ni<strong>ch</strong>ts. Denn seine Königsma<strong>ch</strong>t beruht darauf, daß<br />

ihn Gottes Gnade in die Welt gesandt hat.


15 2 Wie Christus geboren ward<br />

2,6. 7: Es ges<strong>ch</strong>ah aber, als sie dort waren, da wurden die Tage voll, daß sie<br />

gebären sollte, <strong>und</strong> sie gebar ihren erstgeborenen Sohn <strong>und</strong> wickelte ihn in<br />

Windeln <strong>und</strong> legte ihn in eine Krippe, weil für sie kein Raum in der Herberge<br />

war. Sie waren in Bethlehem fremd; darum kehrten sie in der Herberge ein, in<br />

dem Gehöft, das für die Dur<strong>ch</strong>wandernden erri<strong>ch</strong>tet war, damit sie dort für<br />

si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ihre Tiere ein gesi<strong>ch</strong>ertes Obda<strong>ch</strong> hätten. Hier drängten si<strong>ch</strong> aber die<br />

Leute; Hof <strong>und</strong> Halle waren von Mens<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Tieren voll, <strong>und</strong> mitten in<br />

diesem Gedränge kam über Maria ihre s<strong>ch</strong>were St<strong>und</strong>e, ohne daß jemand auf<br />

die Frau a<strong>ch</strong>tete, die von den Wehen ergriffen wurde, <strong>und</strong> ohne daß ihr ein<br />

si<strong>ch</strong>erer Raum bereitet wurde, wo sie das Kind so betten konnte, daß es ni<strong>ch</strong>t<br />

von Mens<strong>ch</strong> <strong>und</strong> Tier getreten ward. So ma<strong>ch</strong>te sie die Krippe zu seinem Bett.<br />

In diesem Anfang des Christus lag eine mä<strong>ch</strong>tige Weissagung: los von allem<br />

Irdis<strong>ch</strong>en hat ihn Gott unter uns gestellt; ni<strong>ch</strong>ts von irdis<strong>ch</strong>em Besitz ward<br />

ihm mitgegeben, kein Hilfsmittel <strong>und</strong> Werkzeug von der Art, womit wir uns<br />

Größe, Glück <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t bereiten. Sein Rei<strong>ch</strong> steht allein auf Gott, seine Gabe<br />

allein in dem, was des Geistes ist.<br />

<strong>Die</strong> Na<strong>ch</strong>t war für Maria s<strong>ch</strong>wer; ohne ein Zei<strong>ch</strong>en der göttli<strong>ch</strong>en Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

wurde das Kind geboren, ohne daß von diesen S<strong>ch</strong>läfern jemand ahnte,<br />

was di<strong>ch</strong>t neben ihnen ges<strong>ch</strong>ah. Da wurde ihr von oben der Trost <strong>und</strong> die<br />

Stärkung des Glaubens bereitet <strong>und</strong> Jesus die ersten Anbeter dur<strong>ch</strong> Gottes<br />

himmlis<strong>ch</strong>e Boten zugeführt. Es wurde offenbar, daß dieses Kindlein für uns<br />

Mens<strong>ch</strong>en geboren ist, damit wir zu ihm kommen, daß ihm Gott eine Gemeinde<br />

gibt, die ihn findet <strong>und</strong> erkennt. Ni<strong>ch</strong>t über dem Kindlein vor Marias<br />

Augen erstrahlte das himmlis<strong>ch</strong>e Li<strong>ch</strong>t; die Herberge blieb finster <strong>und</strong> behielt<br />

ihre gewöhnli<strong>ch</strong>e Art; aber draußen auf dem Feld gegen die "Wüste hin, wo<br />

die S<strong>ch</strong>afhirten bei den Herden lagerten, verri<strong>ch</strong>tete einer der himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Geister ein hohes Botenamt.<br />

2,8—12: Und Hirten hüteten in jener Gegend auf dem Feld <strong>und</strong> hielten bei<br />

ihrer Herde die Wa<strong>ch</strong>en in der Na<strong>ch</strong>t. Und ein Engel des Herrn stand bei<br />

ihnen, <strong>und</strong> die Herrli<strong>ch</strong>keit des Herrn leu<strong>ch</strong>tete rings um sie, <strong>und</strong> sie für<strong>ch</strong>teten<br />

si<strong>ch</strong> mit großer Fur<strong>ch</strong>t. Und der Engel sagte zu ihnen: Für<strong>ch</strong>tet eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t;<br />

denn seht! i<strong>ch</strong> verkündige eu<strong>ch</strong> große Freude, die dem ganzen Volk widerfahren<br />

wird; denn eu<strong>ch</strong> ist heute der Retter geboren, das ist Christus, der Herr,<br />

in Davids Stadt. Und dies sei für eu<strong>ch</strong> das Zei<strong>ch</strong>en: Ihr werdet ein Kind finden<br />

inWindeln gewickelt <strong>und</strong> in eine Krippe gelegt. Als der Bote der großen Freude<br />

trat der Engel vor die Hirten, die ihnen, do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ihnen allein, sondern mit<br />

ihnen ganz Israel gegeben wird, weil ihnen der verheißene, dur<strong>ch</strong> Gottes Geist<br />

gesalbte König geboren ist, „Christus der Herr", dessen Verb<strong>und</strong>enheit mit


<strong>Lukas</strong> 2,6—14 * 5 3<br />

Gott ihn würdig ma<strong>ch</strong>t, daß er den Namen Gottes trägt. Aber ni<strong>ch</strong>t an irgend<br />

einem Zei<strong>ch</strong>en, das Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t k<strong>und</strong>täte, sollten sie ihn<br />

erkennen, sondern der ist es, der in dieser Na<strong>ch</strong>t als ein neugeborenes Kindlein<br />

sein Leben begann <strong>und</strong> jetzt in der Krippe liegt. Darauf öffnet si<strong>ch</strong> ihnen<br />

ein Blick in die heilige Geisterwelt, in das Heer des Himmels, für das Gottes<br />

Tat auf Erden, die von den Mens<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> unbemerkt <strong>und</strong> unverstanden ges<strong>ch</strong>ieht,<br />

bereits zum Gr<strong>und</strong> der Anbetung geworden ist. 2,13.14: Und plötzli<strong>ch</strong><br />

war bei dem Engel die Menge des himmlis<strong>ch</strong>en Heers, die Gott lobten <strong>und</strong><br />

sagten: Ehre sei Gott in der Höhe, <strong>und</strong> auf Erden ist Friede bei den Mens<strong>ch</strong>en,<br />

an denen er Gefallen hat*<br />

<strong>Die</strong> Geburt dieses Kindes ist Gottes Verherrli<strong>ch</strong>ung <strong>und</strong> erzeugt seine Anbetung<br />

ni<strong>ch</strong>t nur einst, wennglei<strong>ch</strong> für die Erde diese Fru<strong>ch</strong>t seines Kommens<br />

no<strong>ch</strong> in der Zukunft liegt; droben aber in der Höhe, wo Gottes große Geister<br />

mit hellem Auge ihn <strong>und</strong> sein "Werk s<strong>ch</strong>auen, wird Gott jetzt gepriesen, deshalb<br />

gepriesen, weil dieses Kind geboren ist, das ihn in seiner Gnade <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

offenbart. Und auf der Erde ist, was ihr vorher fehlte, der Friede als<br />

dieses Kindes Gabe, als die Fru<strong>ch</strong>t seiner Geburt. Mit seinem Kommen kommt<br />

er; mit seiner Gegenwart ist er da, Gottes Friede, das Ende der Entzweiung<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem Mens<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Gott. Nun ist der Mens<strong>ch</strong> in Gottes Gnade gesetzt<br />

<strong>und</strong> hat Gott ni<strong>ch</strong>t mehr wider si<strong>ch</strong>, sondern hat in diesem Kinde den bei<br />

si<strong>ch</strong>, in dem Gottes Liebe für ihn handelt, ihm hilft, ihn errettet <strong>und</strong> ins Leben<br />

zieht. So fällt die Bürde des Streits <strong>und</strong> Haders von der Mens<strong>ch</strong>enwelt ab, <strong>und</strong><br />

sie tritt aus der Not der Unseligkeit <strong>und</strong> des Hasses in den Stand hinüber, den<br />

Gottes Gnade ihr bereitet hat. Denn Gottes "Wohlgefallen ruht nun auf den<br />

Mens<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> allen denen, die in seinem "Wohlgefallen stehen, ist der Friede<br />

gegeben. Damit ist Gottes Gnade so gepriesen, daß zuglei<strong>ch</strong> seiner heiligen<br />

Majestät au<strong>ch</strong> für ihr ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>es Werk die volle Anbetung dargebra<strong>ch</strong>t ist.<br />

Au<strong>ch</strong> jetzt no<strong>ch</strong> kann der Mens<strong>ch</strong> friedlos sein <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> wider Gott zum Streit<br />

erheben, <strong>und</strong> die Na<strong>ch</strong>t der Gottlosigkeit mit ihrer Bitterkeit <strong>und</strong> Todesnot ist<br />

ni<strong>ch</strong>t für alle gewi<strong>ch</strong>en. "Wer Gottes Wohlgefallen ni<strong>ch</strong>t su<strong>ch</strong>t, es vielmehr vera<strong>ch</strong>tet<br />

<strong>und</strong> vers<strong>ch</strong>erzt, wem er es weder geben kann no<strong>ch</strong> geben will, dem gilt<br />

das Lied der Engel ni<strong>ch</strong>t. Aber alle, wer sie seien, die ihm wohlgefällig sind, sie<br />

haben in dem, der jetzt geboren ward, den Frieden; denn sie haben in ihm den<br />

S<strong>ch</strong>irmer gegen alles Verderben, den Erretter aus Not <strong>und</strong> Tod. Das gibt dem<br />

Gebet der Engel seinen vollen, reinen Ton: der "Wille der göttli<strong>ch</strong>en Gnade ges<strong>ch</strong>ieht<br />

vollkommen <strong>und</strong> überall <strong>und</strong> an allen, die er beruft, dur<strong>ch</strong> den, der<br />

* So steht der Spru<strong>ch</strong> in den älteren Bibeln. Später s<strong>ch</strong>rieb man ihn gewöhnli<strong>ch</strong> so: Ehre hat Gott<br />

in der Höhe, auf Erden ist Friede, bei den Mens<strong>ch</strong>en ist das Wohlgefallen.


154 Wie Christus geboren ward<br />

jetzt geboren ist. Es ist das einzige Mal im ganzen Verlauf der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Jesu<br />

<strong>und</strong> der Apostel, daß si<strong>ch</strong> zu dem, was auf Erden ges<strong>ch</strong>ieht, ein Blick in den<br />

himmlis<strong>ch</strong>en Ort fügt <strong>und</strong> über dem Dunkel der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te das<br />

Li<strong>ch</strong>t der oberen "Welt strahlt.<br />

2,1 j—20: Und es ges<strong>ch</strong>ah, als die Engel von ihnen weg in den Himmel gegangen<br />

waren, spra<strong>ch</strong>en die Hirten zueinander: Wir wollen do<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethlehem<br />

hinübergehen <strong>und</strong> die Sa<strong>ch</strong>e sehen, die ges<strong>ch</strong>ehen ist <strong>und</strong> die der Herr<br />

uns k<strong>und</strong>getan hat. Und sie kamen eilig <strong>und</strong> fanden Maria <strong>und</strong> Joseph <strong>und</strong> das<br />

Kind, in die Krippe gelegt. Als sie es aber sahen, da wurden sie des Worts gewiß,<br />

das zu ihnen über dieses Knäblein gesagt worden war. Und alle, die es<br />

hörten, verw<strong>und</strong>erten si<strong>ch</strong> über das, was ihnen von den Hirten gesagt wurde.<br />

Maria aber bewahrte alle diese Worte <strong>und</strong> sammelte sie in ihrem Herzen. Und<br />

die Hirten kehrten zurück, priesen <strong>und</strong> lobten Gott über alles, was sie gehört<br />

<strong>und</strong> gesehen hatten, wie es ihnen gesagt worden war. Zum Kinde hin waren<br />

die Hirten gewiesen, <strong>und</strong> sie su<strong>ch</strong>ten, was ihnen verkündigt war, <strong>und</strong> fanden<br />

es. Sie bra<strong>ch</strong>ten Maria den stärkenden Beweis, daß Gott über ihr <strong>und</strong> ihrem<br />

Kinde wa<strong>ch</strong>e, bra<strong>ch</strong>ten dem Kinde den ersten Dank, die erste Anbetung <strong>und</strong><br />

erweckten in vielen dur<strong>ch</strong> ihren Beri<strong>ch</strong>t die Verw<strong>und</strong>erung über das, was hier<br />

ges<strong>ch</strong>ah.<br />

Den nä<strong>ch</strong>sten S<strong>ch</strong>ritt in Jesu Lebenslauf bildete dem Gesetz gemäß die Bes<strong>ch</strong>neidung<br />

a<strong>ch</strong>t Tage <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Geburt, wobei er den Namen empfängt, den er<br />

als Gottes Gabe tragen darf. 2,21: Und als a<strong>ch</strong>t Tage voll waren, daß man<br />

ihn bes<strong>ch</strong>neiden mußte, da wurde sein Name Jesus genannt, der vom Engel<br />

genannt wurde, ehe er im Mutters<strong>ch</strong>oß empfangen ward. Vierzig Tage <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

der Geburt folgte der Gang der Eltern mit dem Kind in den Tempel zur Darbringung<br />

des Opfers, dur<strong>ch</strong> das die Zeit der Unreinheit für die Mutter beendet<br />

<strong>und</strong> das Kind von der Verpfli<strong>ch</strong>tung gelöst wurde, womit das Gesetz die Erstgeburt<br />

für Gott geheiligt hatte. 2,22—24: Und als die Tage ihrer Reinigung<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Gesetz Moses voll wurden, bra<strong>ch</strong>ten sie ihn <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem hinauf,<br />

um ihn dem Herrn darzustellen, wie im Gesetz des Herrn ges<strong>ch</strong>rieben ist:<br />

Jedes männli<strong>ch</strong>e Kind, das den Mutters<strong>ch</strong>oß öffnet, wird heilig für den<br />

Herrn heißen (2. Mose 13,2), <strong>und</strong> um das Opfer darzubringen, wie es im<br />

Gesetz des Herrn gesagt ist: Ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben<br />

(3. Mose 12,8).<br />

Au<strong>ch</strong> damals, als Jesus in den Tempel getragen wurde, war für ihn ein<br />

Zeuge bereit, der seinen Beruf erkannte <strong>und</strong> mit Gottes Preis zur Überras<strong>ch</strong>ung<br />

<strong>und</strong> Stärkung der Eltern verkündigte. 2,25. 26: Und sieh! ein Menso war in<br />

Jerusalem, der den Namen Simeon hatte, <strong>und</strong> dieser Mens<strong>ch</strong> war gere<strong>ch</strong>t <strong>und</strong>


<strong>Lukas</strong> 2,13—32 155<br />

gotte $ für<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> wartete auf die Tröstung Israels. Und heiliger Geist war<br />

auf ihm, <strong>und</strong> es war ihm vom heiligen Geist verkündigt worden, daß er den<br />

Tod ni<strong>ch</strong>t sehe, bevor er den Christus des Herrn sehe. „Tröstung Israels" war<br />

eines der s<strong>ch</strong>önen Worte, dur<strong>ch</strong> die man in Israel alles, was ihm die S<strong>ch</strong>rift verhieß,<br />

in einem Ausdruck zusammenfaßte im Ans<strong>ch</strong>luß an Jesaja 40,1: Tröstet,<br />

tröstet mein Volk! Simeons Hoffnung mußte si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t nur wie die der<br />

anderen Frommen an das S<strong>ch</strong>riftwort halten, sondern es war ihm eine prophetis<strong>ch</strong>e<br />

Gabe gegeben, heiliger Geist, von dem er in besonderer Erleu<strong>ch</strong>tung<br />

die Zusage erhalten hatte, daß er ni<strong>ch</strong>t, ohne den Christus gesehen zu haben,<br />

sterben werde. So war seine Hoffnung fest auf die nahe Zukunft gelenkt <strong>und</strong><br />

in sein Herz bereits das Wort gepflanzt: Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft ist nah!<br />

2,27—32: Und er kam dur<strong>ch</strong> den Geist in den Tempel, <strong>und</strong> als die Eltern das<br />

Knäblein Jesus hereinbra<strong>ch</strong>ten, damit sie seinetwegen täten, was dur<strong>ch</strong> das Gesetz<br />

angeordnet ist, da nahm au<strong>ch</strong> er es in die Arme, pries Gott <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>:<br />

Nun entlassest du, Herr, deinen Kne<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> deinem Wort im Frieden. Denn<br />

meine Augen haben dein Heil gesehen, das du im Angesi<strong>ch</strong>t aller Völker bereitet<br />

hast, ein Li<strong>ch</strong>t zur <strong>Offenbarung</strong> für die Völker <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit für dein<br />

Volk Israel. "Wie Johannes der Täufer sagte, daß mit der Ankunft des Verheißenen<br />

sein eigener <strong>Die</strong>nst beendet sei, so preist au<strong>ch</strong> Simeon, sowie er den<br />

Christus sieht, Gott dafür, daß jetzt die Zeit des mühsamen <strong>Die</strong>nstes <strong>und</strong> der<br />

harten Anstrengung vorüber sei. Der Tag der Ruhe, der Sabbat Gottes, beginnt<br />

jetzt für sein Volk. So erhält die <strong>Die</strong>nstzeit für den, der in Gottes <strong>Die</strong>nst gestellt<br />

war, einen friede vollen S<strong>ch</strong>luß. Weder das, was von nun an auf Erden<br />

ges<strong>ch</strong>ieht, no<strong>ch</strong> das, was ihn drüben erwartet, bereitet ihm Angst, <strong>und</strong> jeder<br />

Anlaß zur Klage <strong>und</strong> Bes<strong>ch</strong>werde ist vers<strong>ch</strong>eu<strong>ch</strong>t. Er kann si<strong>ch</strong> nur in Dank<br />

<strong>und</strong> Anbetung vor der Größe der göttli<strong>ch</strong>en Gnade beugen. Denn er sieht ja<br />

mit seinen Augen den Christus <strong>und</strong> damit das Heil, das Gott gibt, die Hilfe,<br />

die er s<strong>ch</strong>afft, eine volle Hilfe, die das Bitten <strong>und</strong> Bedürfen aller erfüllt. Sie<br />

vollzieht si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur im Verborgenen <strong>und</strong> geht ni<strong>ch</strong>t bloß Israels kleine Gemeinde<br />

an. Für diese ist sie bestimmt, do<strong>ch</strong> so, daß alle Völker davon Zeugen<br />

sind <strong>und</strong> Gott si<strong>ch</strong> groß <strong>und</strong> herrli<strong>ch</strong> vor ihnen offenbart. Von den Heiden<br />

wei<strong>ch</strong>t jetzt daJ Dunkel, das ihnen Gott verbirgt. Seine Wahrheit <strong>und</strong> Größe<br />

wird au<strong>ch</strong> ihnen nun wahrnehmbar, ma<strong>ch</strong>t die Namen aller fals<strong>ch</strong>en Götter<br />

vers<strong>ch</strong>winden <strong>und</strong> erfüllt die Erde mit Gottes Ruhm. Der Christus errettet uns<br />

aus der Hand unserer Hasser, weissagte Za<strong>ch</strong>arias; wie er dies ma<strong>ch</strong>t, verkündigte<br />

Simeon: er enthüllt vor ihnen Gott. Dann wird an der Größe seines<br />

Gottes Israel groß. Bis jetzt war seine Würde, Gottes Eigentum <strong>und</strong> Erbe zu


Ij6 Wie Christus geboren ward<br />

sein, vielfa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Sünde, S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong> <strong>und</strong> Not verdeckt. Das wei<strong>ch</strong>t nun alles.<br />

<strong>Die</strong> Gnadentat seines Gottes gibt ihm Herrli<strong>ch</strong>keit.<br />

2,33: Und sein Vater <strong>und</strong> seine Mutter verw<strong>und</strong>erten si<strong>ch</strong> über das, was<br />

über ihn geredet ward. Gern öifneten sie ihre Seele frohlockendemJErstaunen,<br />

wenn die Herrli<strong>ch</strong>keit des Rei<strong>ch</strong>es Jesu vor ihnen gepriesen ward. Darum wendet<br />

si<strong>ch</strong> Simeon nun an sie. 2,34a: Und Simeon segnete sie <strong>und</strong> sagte zu Maria,<br />

seiner Mutter. Zum <strong>Die</strong>nst, den sie als die Eltern ihrem Kind zu leisten haben,<br />

spri<strong>ch</strong>t er ihnen mit fester Zuversi<strong>ch</strong>t die göttli<strong>ch</strong>e Hilfe <strong>und</strong> Leitung zu, <strong>und</strong><br />

sie haben diese nötig, weil ihre Verb<strong>und</strong>enheit mit Jesus ihnen vor allen anderen<br />

au<strong>ch</strong> an seinem Kampf Anteil gibt. In seinem ersten "Wort hatte Simeon<br />

zusammengefaßt, was das alttestamentli<strong>ch</strong>e Wort über die Heilszeit erkennen<br />

ließ; er hatte aber au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on einen klaren, tiefen Blick in die S<strong>ch</strong>were des<br />

"Werks, das Jesus auszuri<strong>ch</strong>ten hat. Er nimmt zwar aus dem uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>atz der göttli<strong>ch</strong>en Gnade seine Gaben, <strong>und</strong> Gottes herrli<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t ist bei<br />

ihm, weshalb kein "Wort groß genug ist, seine "Wohltat zu preisen, die die<br />

Heiden <strong>und</strong> Juden umfaßt <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> bis an die Enden der Erde erstreckt. Denno<strong>ch</strong><br />

wartet auf den, der Gott unter Israel zu dienen hat, ein s<strong>ch</strong>werer Kampf.<br />

Simeon kennt den Zustand des Volks. "Wo Gottes Geist den Blick erleu<strong>ch</strong>tet,<br />

erfaßt er nie bloß Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit, sondern zuglei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Tiefe der<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Sünde, <strong>und</strong> der Traum zergeht, als sei Gottes <strong>Offenbarung</strong> bei<br />

uns Mens<strong>ch</strong>en lauter Glanz, Jubel <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> sein <strong>Die</strong>nst ni<strong>ch</strong>ts als<br />

Sieg <strong>und</strong> "Wonne. Er hat dabei die Mutter besonders angespro<strong>ch</strong>en, weil ihr<br />

Herz besonders innig an ihrem Sohne hängt, viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> in der Voraussi<strong>ch</strong>t,<br />

daß nur sie, ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> der Vater, ihren Sohn bis zum Ende begleiten<br />

wird. 2,34b. 35: Sieht dieser ist da zum Sturz <strong>und</strong> zum Aufstehen vieler in<br />

Israel <strong>und</strong> zu einem Zei<strong>ch</strong>en, dem widerspro<strong>ch</strong>en wird, <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> deine eigene<br />

Seele wird das S<strong>ch</strong>wert fahren, damit aus vielen Herzen die Gedanken enthüllt<br />

werden. An dem, den Gott gesandt hat, wird si<strong>ch</strong> Israels "Weg s<strong>ch</strong>eiden; denn<br />

er verwaltet au<strong>ch</strong> Gottes Geri<strong>ch</strong>t. Viele werden an ihm stürzen, weil sie si<strong>ch</strong> an<br />

ihm in ihrer Sünde verhärten. Aber er wird au<strong>ch</strong> vielen zum Aufstehen helfen,<br />

die gestürzt waren <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t aufri<strong>ch</strong>ten konnten, denen er nun die<br />

Heilandshand rei<strong>ch</strong>t. Als ein Zei<strong>ch</strong>en Gottes steht er da, deutli<strong>ch</strong>, unleugbar,<br />

so daß er ni<strong>ch</strong>t übersehen werden kann, aber ni<strong>ch</strong>t so, daß der Glaube <strong>und</strong> das<br />

Lob aller ihm zufiele, sondern so, daß ihm widerspro<strong>ch</strong>en wird, der Glaube des<br />

einen si<strong>ch</strong> an ihn hält <strong>und</strong> der Unglaube des anderen si<strong>ch</strong> wider ihn setzt. Da<br />

fassen au<strong>ch</strong> seine Mutter die S<strong>ch</strong>merzen. Au<strong>ch</strong> über sie kommt ein Sterben, <strong>und</strong><br />

das S<strong>ch</strong>wert fährt in ihre Seele. Alle diese Dunkelheiten <strong>und</strong> Bitterkeiten, dies<br />

Leiden <strong>und</strong> Sterben ist aber in Gottes heiligen Rat gefaßt <strong>und</strong> hat göttli<strong>ch</strong>e


<strong>Lukas</strong> 2,33—39 *57<br />

Notwendigkeit an sidi. Denn was im Herzen der Mensdien liegt, muß ans<br />

li<strong>ch</strong>t herausgeholt werden. Nur wenn aufgedeckt wird, was im Mens<strong>ch</strong>enherzen<br />

ist, ist der Mens<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> mit Gott versöhnt; dann ist ihm vergeben,<br />

<strong>und</strong> die Gnade hat si<strong>ch</strong> ihm ganz offenbart. Nur so wird ihm au<strong>ch</strong> Gottes Geri<strong>ch</strong>t<br />

in seiner heiligen Gere<strong>ch</strong>tigkeit klar <strong>und</strong> offenbar. Darum steht der<br />

Christus so in der Welt, daß si<strong>ch</strong> das Tra<strong>ch</strong>ten des Mens<strong>ch</strong>en an ihm offenbaren<br />

muß <strong>und</strong> es si<strong>ch</strong> zeigt, wie heftig er si<strong>ch</strong> Gott widersetzt, wie sehr er si<strong>ch</strong><br />

wider ihn erbittert, wie gierig er das Eigene su<strong>ch</strong>t, wie ni<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> lügneris<strong>ch</strong><br />

seine Gere<strong>ch</strong>tigkeit ist, wie unfähig <strong>und</strong> unwillig zum Glauben er ist. Das gehört<br />

mit zu dem Amt des Verheißenen <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t das Leiden zu seinem Beruf.<br />

Maria empfing mit diesem "Wort eine große Hilfe für die kommenden Jahre,<br />

wie es immer Gottes Weise ist, daß er da, wo er Großes s<strong>ch</strong>enkt, au<strong>ch</strong> das gewährt,<br />

was uns in die Beugung stellt. Ein hohes Lob Gottes war ihr gegeben:<br />

Von nun an werden mi<strong>ch</strong> selig preisen alle Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter! Sie wurde aber au<strong>ch</strong><br />

von Anfang an dazu angeleitet, in der Fur<strong>ch</strong>t Gottes auf das zu sehen, was<br />

dur<strong>ch</strong> ihr Kind ausgeri<strong>ch</strong>tet werden muß, <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> bereit zu halten, daß sie ihre<br />

Seele in den Tod geben <strong>und</strong> alle Wüns<strong>ch</strong>e ihres Herzens zum Opfer bringen<br />

muß.<br />

Simeon blieb ni<strong>ch</strong>t allein, sondern es fand si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eine zweite Stimme, die<br />

au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den prophetis<strong>ch</strong>en Geist erweckt sein Wort bekräftigte <strong>und</strong> Jesus<br />

als den Christus pries, eine ho<strong>ch</strong>betagte Frau. 2,36—38: Und Anna war da,<br />

eine Prophetin, die To<strong>ch</strong>ter Phanuels aus dem Stamm Asser. <strong>Die</strong>se war in einer<br />

langen Lebenszeit weit voran. Sie hatte mit einem Mann sieben Jahre naà)<br />

ihrer Jungfraus<strong>ch</strong>aft gelebt <strong>und</strong> war Witwe bis zu vier<strong>und</strong>a<strong>ch</strong>tzig Jahren. Sie<br />

verließ den Tempel ni<strong>ch</strong>t, sondern diente Gott mit Fasten <strong>und</strong> Gebeten bei<br />

Na<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> bei Tag. Und in derselben St<strong>und</strong>e stand sie dabei <strong>und</strong> pries Gott<br />

<strong>und</strong> redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. Sie<br />

muß als ganz junges Mäd<strong>ch</strong>en geheiratet haben, besaß aber ihren Mann nur<br />

sieben Jahre <strong>und</strong> hatte seither einen Witwenstand von 84 Jahren geführt, so<br />

daß sie über h<strong>und</strong>ert Jahre alt gewesen sein muß. Ihre Heimat war der Tempel<br />

geworden <strong>und</strong> ihr Anliegen das beständige Gebet. Au<strong>ch</strong> sie empfing no<strong>ch</strong> die<br />

freudige Gewißheit, Gottes Verheißung sei erfüllt <strong>und</strong> der König Israels geboren,<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> davon zu allen, deren Herz an dem, was ihnen der Lauf des<br />

Lebens bra<strong>ch</strong>te, ni<strong>ch</strong>t satt geworden war, sondern si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> der verheißenen<br />

Gabe sehnte, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Erlösung Jerusalems.<br />

2,39: Und wie sie alles erfüllt hatten, was das Gesetz des Herrn anordnete,<br />

kehrten sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa in ihre Stadt Nazareth zurück. An dieser Stelle erwarten<br />

wir einen Hinweis auf das, was uns Matthäus aus der Geburtsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te


15 8 Wie Christus geboren ward<br />

Jesu beri<strong>ch</strong>tet hat, auf die Ankunft der Magier in Bethlehem <strong>und</strong> die Flu<strong>ch</strong>t<br />

der Eltern Jesu <strong>na<strong>ch</strong></strong> Ägypten. "Wir lesen davon bei <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>ts <strong>und</strong> können<br />

aus seinem Beri<strong>ch</strong>t nur entnehmen, daß die Eltern, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem die "Wartezeit<br />

Marias beendigt war, heim <strong>na<strong>ch</strong></strong> Nazareth gezogen sind.<br />

An den späteren Stücken des Evangeliums läßt si<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er beoba<strong>ch</strong>ten, daß<br />

<strong>Lukas</strong> den Beri<strong>ch</strong>t des Matthäus über Jesus vor Augen hatte, da er eine große<br />

Zahl von "Worten Jesu in derselben Form wiederholt, wie sie uns Matthäus<br />

gibt. Sein Beri<strong>ch</strong>t über Jesu Geburt ist dagegen neu, von Matthäus unabhängig<br />

<strong>und</strong> <strong>Lukas</strong> dur<strong>ch</strong> einen anderen Zeugen gegeben, dessen Namen wir ni<strong>ch</strong>t kennen,<br />

von dem si<strong>ch</strong> nur das mit "Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit sagen läßt, daß er zur Gemeinde<br />

Palästinas gehört habe, da seine Darstellung dur<strong>ch</strong> ihren Ans<strong>ch</strong>luß an<br />

die Spra<strong>ch</strong>e der Bibel <strong>und</strong> Jerusalems ein sehr bestimmtes, eigenartiges Gepräge<br />

hat. Obwohl <strong>Lukas</strong> die Beri<strong>ch</strong>te dieser beiden Zeugen vor si<strong>ch</strong> hatte, hat<br />

er do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t versu<strong>ch</strong>t, sie ineinander zu fügen <strong>und</strong> zu einem einheitli<strong>ch</strong>en<br />

Ganzen zu vereinigen, sondern hat eine Wahl getroffen <strong>und</strong> uns nur den einen<br />

ohne Änderung oder Zusatz gegeben, so wie er vor ihm lag. Er hält es au<strong>ch</strong><br />

später im Evangelium mehrfa<strong>ch</strong> so.*<br />

"Wie bei Johannes, so s<strong>ch</strong>aut <strong>Lukas</strong> au<strong>ch</strong> bei Jesus darauf hin, wie das als<br />

Gottes "Werk geborene Kind herangewa<strong>ch</strong>sen ist. 2,40a: Aber das Knablein<br />

wu<strong>ch</strong>s <strong>und</strong> ward kräftig, da es voll Weisheit ward. "Was in seinem Inneren<br />

wu<strong>ch</strong>s, blieb von der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Torheit fern; statt dessen hatte er den hellen,<br />

dur<strong>ch</strong>dringenden Blick aufwärts zu Gott <strong>und</strong> hinaus in die "Welt, der seiner<br />

Tat zum si<strong>ch</strong>eren Führer ward. 2,40b: Und Gottes Gnade war über ihm.<br />

Im Kleinen <strong>und</strong> Großen wurde si<strong>ch</strong>tbar, daß Gottes väterli<strong>ch</strong>es Auge über ihm<br />

stand <strong>und</strong> ihn mit rei<strong>ch</strong>er Güte behütete <strong>und</strong> leitete.<br />

Zu den Zei<strong>ch</strong>en, die Jesu Abkunft von oben bei seiner Geburt k<strong>und</strong>taten<br />

<strong>und</strong> seine Sendung bezeugten, fügt <strong>Lukas</strong> als letztes no<strong>ch</strong> ein eigenes Zeugnis<br />

Jesu über si<strong>ch</strong> selbst hinzu. Er gibt uns wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> aus demselben Erzähler,<br />

von dem er die Geburtsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te empfing, ein "Wort von ihm, das uns erkennen<br />

läßt, wie er von Kindheit an zum Vater stand. 2,41—43: Und seine Eltern<br />

gingen jedes Jahr <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem am Fest des Pas<strong>ch</strong>a. Und als er zwölf Jahre<br />

alt war <strong>und</strong> sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Sitte des Festes hinaufgezogen waren <strong>und</strong> die Tage<br />

vollendet hatten, blieb der Knabe Jesus, als sie heimkehrten, in Jerusalem zurück,<br />

<strong>und</strong> seine Eltern bemerkten es ni<strong>ch</strong>t. "Während der jüdis<strong>ch</strong>e Knabe bis<br />

zum Ablauf des zwölften Jahres no<strong>ch</strong> als Kind galt, das die Gebote der S<strong>ch</strong>rift<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit eigener Verantwortung verpfli<strong>ch</strong>teten, begann nun die Zeit,<br />

• Bei der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tstafel, der Predigt Jesu in Nazareth, der Berufung der ersten Jünger, der Salbung<br />

Jesu dur<strong>ch</strong> eine Frau, dem Gesprä<strong>ch</strong> mit dem Lehrer über Gottes Gebot, dem Zei<strong>ch</strong>en am Feigenbaum <strong>und</strong><br />

in der Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.


<strong>Lukas</strong> 2,40a—47 159<br />

daß au<strong>ch</strong> er selbständig mit eigener Pfli<strong>ch</strong>t den <strong>Die</strong>nst Gottes mit der ganzen<br />

Gemeinde ausübte <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> den Geboten der S<strong>ch</strong>rift wandelte. So nahmen die<br />

Eltern damals au<strong>ch</strong> Jesus zum erstenmal mit <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem. Es war ein bedeutender<br />

Tag in Jesu Leben, als er zum erstenmal mit ganz Jerusalem in den<br />

heiligen Hof des Tempels trat <strong>und</strong> vor dem Altar stand <strong>und</strong> dann zum erstenmal<br />

mit seiner Familie in der feierli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>t des Gedä<strong>ch</strong>tnisses an den Auszug<br />

aus Ägypten vom Pas<strong>ch</strong>alamm aß. Do<strong>ch</strong> davon wird uns ni<strong>ch</strong>ts erzählt,<br />

sondern nur von dem, was si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem S<strong>ch</strong>luß der Festwo<strong>ch</strong>e zutrug. <strong>Die</strong><br />

Eltern zogen heim; das Fest war ja beendet <strong>und</strong> die gottesdienstli<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t<br />

erfüllt, während Jesus, ohne daß es die Eltern erfuhren, in Jerusalem zurückgeblieben<br />

ist. "Wie dies kam, wird uns ni<strong>ch</strong>t gesagt, <strong>und</strong> es läßt si<strong>ch</strong> auf man<strong>ch</strong>erlei<br />

"Weise vorstellen. Der Irrtum, der diese Trennung veranlaßte, war<br />

lei<strong>ch</strong>t ohne jede Verfehlung der Eltern oder des Knaben mögli<strong>ch</strong>, zumal in<br />

dieser di<strong>ch</strong>tgedrängten Mens<strong>ch</strong>enmenge, die nun <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem S<strong>ch</strong>luß der Festzeit<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> allen Seiten wieder <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Heimat zog. Darum wurden die Eltern<br />

au<strong>ch</strong> erst besorgt, als sie ihn am S<strong>ch</strong>luß der ersten Tageswanderung unter<br />

den heimziehenden S<strong>ch</strong>aren ni<strong>ch</strong>t fanden.<br />

2,44.45: Sie meinten aber, er sei bei den Reisegefährten, <strong>und</strong> zogen eine<br />

Tagereise weit <strong>und</strong> su<strong>ch</strong>ten ihn bei den Verwandten <strong>und</strong> Bekannten, <strong>und</strong> da sie<br />

ihn ni<strong>ch</strong>t fanden, kehrten sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem zurück, um ihn zu su<strong>ch</strong>en. Nun<br />

faßte sie die Angst. Ihnen hatte Gott diesen Knaben anvertraut, den er selbst<br />

si<strong>ch</strong> bereitet hatte zur Ausri<strong>ch</strong>tung seines herrli<strong>ch</strong>en Rats. Für die Eltern heftete<br />

si<strong>ch</strong> daran eine heilige Verantwortli<strong>ch</strong>keit, <strong>und</strong> sein Vers<strong>ch</strong>winden ma<strong>ch</strong>te sie<br />

darum erbeben. In diesem s<strong>ch</strong>merzli<strong>ch</strong>en Zagen der Eltern ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> unsere<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Art geltend, der es s<strong>ch</strong>wer wird, Gottes Leitung wirkli<strong>ch</strong> zu erfassen<br />

als die den ganzen Lauf unseres Lebens gestaltende Ma<strong>ch</strong>t. Sie wußten,<br />

wer ihnen das Kind gegeben hatte; so durften sie au<strong>ch</strong> in der Gewißheit verharren,<br />

daß Gottes Auge über ihm offen sei. An die glaubenss<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e Angst<br />

der Eltern hat Jesus, indem er in Jerusalem blieb, ni<strong>ch</strong>t geda<strong>ch</strong>t; denn sein<br />

Auf blick zum Vater kannte kein sol<strong>ch</strong>es Zagen.<br />

"Während dieser Tage war er im Tempel. "Was ihn dort festhielt, waren die<br />

Lehrer <strong>und</strong> ihre S<strong>ch</strong>riftkenntnis. 2,46.47: Und es ges<strong>ch</strong>ah am dritten Tag, da<br />

fanden sie ihn, wie er im Tempel mitten unter den Lehrern saß <strong>und</strong> ihnen zuhörte<br />

<strong>und</strong> sie fragte. Alle aber, die ihn hörten, erstaunten über seinen Verstand<br />

<strong>und</strong> seine Antworten. In den Höfen <strong>und</strong> Hallen des Tempels waren<br />

immer Lehrer zu finden, teils selbst mit dem Studium bes<strong>ch</strong>äftigt, teils umgeben<br />

vom Kreis der Jünger, denen sie ihren Unterri<strong>ch</strong>t erteilten. Ohne S<strong>ch</strong>eu saß<br />

Jesus in ihrer Mitte, hörend <strong>und</strong> fragend <strong>und</strong> bew<strong>und</strong>ert, obwohl er aus Naza-


160 Wie Christus geboren ward<br />

reth kam, weil seine Antworten ein Verständnis der S<strong>ch</strong>rift zeigten, das au<strong>ch</strong><br />

den Lehrern überras<strong>ch</strong>end war.<br />

Es ist eine wi<strong>ch</strong>tige Sa<strong>ch</strong>e im Leben Jesu, daß die Gemeinde, in der er stand,<br />

ihm ni<strong>ch</strong>t bloß zur Versu<strong>ch</strong>ung ward <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t einzig sol<strong>ch</strong>es vorhielt, wogegen<br />

er Herz <strong>und</strong> Geist verriegeln mußte, sondern daß er au<strong>ch</strong> mit Lust <strong>und</strong><br />

Eifer lernen konnte <strong>und</strong> aus seiner Umgebung gute Gaben empfing, die er<br />

dankbar nehmen durfte. Das war deshalb mögli<strong>ch</strong>, weil die Bibel bei Israel<br />

war. Na<strong>ch</strong> dem, was die Meister Jerusalems über die S<strong>ch</strong>rift wußten, verlangte<br />

es den Knaben, <strong>und</strong> er griff hier, wo er mehr vor si<strong>ch</strong> hatte, als was in der Versammlung<br />

von Nazareth zu lernen war, mit unermüdli<strong>ch</strong>em Eifer zu.<br />

2,48a: Und wie sie ihn sahen, verw<strong>und</strong>erten sie si<strong>ch</strong>. Über die Lehrer war ein<br />

feierli<strong>ch</strong>es Ansehen ausgebreitet, so daß si<strong>ch</strong> sonst niemand in ihren Kreis begab,<br />

der ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> regelmäßiges Studium zur Teilnahme an ihrem Gesprä<strong>ch</strong><br />

befähigt war. Zuglei<strong>ch</strong> brannte der Mutter no<strong>ch</strong> die Angst des langen Su<strong>ch</strong>ens<br />

im Herzen <strong>und</strong> trieb ihr den Vorwurf über die Lippen. 2,48b. 49: Und seine<br />

Mutter spra<strong>ch</strong> zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das angetan? Sieh! dein<br />

Vater <strong>und</strong> i<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>en di<strong>ch</strong> mit Angst. Und er spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Warum habt ihr<br />

mi<strong>ch</strong> gesu<strong>ch</strong>t? Wußtet ihr ni<strong>ch</strong>t, daß i<strong>ch</strong> in dem sein muß, was meinem Vater<br />

gehört? Es war eine jener St<strong>und</strong>en, die ihm den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en ihm <strong>und</strong><br />

allen anderen, au<strong>ch</strong> den Eltern, s<strong>ch</strong>merzhaft zum Bewußtsein bra<strong>ch</strong>ten. Sie<br />

hatten ihn gesu<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> gemeint, er könne an einem anderen Orte sein als im<br />

Hause seines Vaters, kannten also das starke Band ni<strong>ch</strong>t, das ihn, solange er in<br />

Jerusalem war, bei dem festhielt, was heilig ist, beim Gott geweihten <strong>Die</strong>nst im<br />

Tempel <strong>und</strong> bei der Auslegung des göttli<strong>ch</strong>en "Worts: Hier muß i<strong>ch</strong> sein, <strong>und</strong> i<strong>ch</strong><br />

kann ni<strong>ch</strong>t anderswo sein. Das war wohl seines Herzens Gestalt, den anderen<br />

aber fremd. Sie kamen ins Heiligtum, weil es ihnen anbefohlen war, gingen<br />

darum au<strong>ch</strong> gern wieder weg, konnten ebensogut au<strong>ch</strong> anderswo sein, am unheiligen<br />

Ort wie am heiligen, beim Tand der Mens<strong>ch</strong>en, wie bei Gottes "Wahrheit<br />

<strong>und</strong> Gebot. Nur war er an das, was Gottes Gebot ist, geb<strong>und</strong>en mit einer<br />

Liebe, die ihn beim Vater ohne S<strong>ch</strong>wankung bleiben hieß, so daß er ni<strong>ch</strong>t anderswo<br />

sein konnte als da, wo sein Name geehrt <strong>und</strong> sein "Wort gehört wurde.<br />

In dieser Antwort strahlt die inwendige Herrli<strong>ch</strong>keit Jesu hervor, die Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

des Sohns, ohne Prunk, einfa<strong>ch</strong>, wahr, aber mit hellem Glanz. Mitten<br />

unter dem angelernten Gottesdienst der Mens<strong>ch</strong>en, die ihn mit widerwilligem<br />

Herzen üben, mit kne<strong>ch</strong>tis<strong>ch</strong>em Geist, stand er als der einzige, dem Gott nahe,<br />

lebendig <strong>und</strong> süß war, so daß es für ihn keine Wahl gab, ob er in dem, was<br />

Gottes ist, sein wolle oder anderswo.<br />

2,50. 51a: Und sie verstanden das Wort ni<strong>ch</strong>t, das er zu ihnen redete. Und


<strong>Lukas</strong> 2,48a—52; 3,1. 2a 161<br />

er zog mit ihnen hinab <strong>und</strong> kam <strong>na<strong>ch</strong></strong> Nazareth <strong>und</strong> war ihnen Untertan. Er<br />

hatte den Vater ni<strong>ch</strong>t im Tempel allein <strong>und</strong> folgte darum willig den Eltern.<br />

Damit erhält au<strong>ch</strong> sein Wort im Tempel das Siegel der Wahrheit, daß es ihm<br />

wirkli<strong>ch</strong> an dem lag, was des Vaters war, ni<strong>ch</strong>t am Glanz des Tempeldienstes<br />

oder am heimli<strong>ch</strong>en "Wohlgefühl der Eitelkeit, das wir au<strong>ch</strong> an unserem Gottesdienst<br />

<strong>und</strong> an unserer S<strong>ch</strong>riftkenntnis nähren können. Er su<strong>ch</strong>te in seinem Verhältnis<br />

zum Vater ni<strong>ch</strong>t bloß den Genuß, sondern verstand es von Anfang an<br />

als Berufung zum Gehorsam, zur Erfüllung des göttli<strong>ch</strong>en Willens. Dur<strong>ch</strong> den<br />

Gehorsam gegen das Gebot, das ihn die Eltern ehren hieß, blieb er im Willen<br />

des Vaters dadur<strong>ch</strong>, daß er die kleinen, engen Verhältnisse in Nazareth froh<br />

ertrug. 2,51b: Und seine Mutter bewahrte alle Worte in ihrem Herzen. Damit<br />

deutet <strong>Lukas</strong> ähnli<strong>ch</strong> wie im Beri<strong>ch</strong>t über die Weih<strong>na<strong>ch</strong></strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te an, woher<br />

diese Erzählung s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> stammt. Weil der Mutter dieses Erlebnis unvergeßli<strong>ch</strong><br />

blieb, kam der Beri<strong>ch</strong>t darüber au<strong>ch</strong> in den Jüngerkreis.<br />

Das nä<strong>ch</strong>ste, was <strong>Lukas</strong> von Jesus erzählt, zeigt ihn uns als Mann. Über das,<br />

was dazwis<strong>ch</strong>en liegt, sagt er uns nur das kurze Wort, 2,52: Und Jesus nahm an<br />

Weisheit <strong>und</strong> Wu<strong>ch</strong>s <strong>und</strong> Gnade bei Gott <strong>und</strong> den Mens<strong>ch</strong>en zu. Inwendig<br />

<strong>und</strong> auswendig wird er mit den Jahren größer <strong>und</strong> stärker, an Weisheit <strong>und</strong><br />

an der Leibesgestalt, <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> oben zu Gott hin, wie <strong>na<strong>ch</strong></strong> außen zu den Mens<strong>ch</strong>en<br />

hin entfaltete si<strong>ch</strong> seine Gemeins<strong>ch</strong>aft <strong>und</strong> sein Verkehr immer voller,<br />

tiefer <strong>und</strong> liebli<strong>ch</strong>er. Au<strong>ch</strong> die Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> Gunst der Mens<strong>ch</strong>en fehlte<br />

ihm ni<strong>ch</strong>t, solange er in der Stille lebte; auf den Kreuzesweg trat er erst, als<br />

er seinen öffentli<strong>ch</strong>en <strong>Die</strong>nst antrat.<br />

Kapitel 3,1—4,13<br />

<strong>Die</strong> Aussonderung Jesu zu seinem Werk<br />

Auf die Weltges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te sahen die anderen Evangelisten ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> nannten<br />

aus ihrem Berei<strong>ch</strong> nur die Männer <strong>und</strong> Ereignisse, die selbst in den Lebenslauf<br />

Jesu eingriffen, Herodes, vor dem geflü<strong>ch</strong>tet werden mußte, den anderen<br />

Herodes, Antipas, der den Täufer tötete, Pilatus, der Jesus hinri<strong>ch</strong>tete. Damit<br />

war im allgemeinen die Zeit bestimmt, die Jesus auf Erden verlebt hat:<br />

er wurde unter Herodes gegen das Ende seiner Regierung geboren <strong>und</strong> unter<br />

Pilatus gekreuzigt. <strong>Lukas</strong> hat die Stelle no<strong>ch</strong> etwas genauer bestimmt, an der<br />

Jesu Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te in den großen Gang der Weltereignisse einzufügen ist. 3,1.2a:<br />

Im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus<br />

Statthalter über Judaa <strong>und</strong> Herodes Vierfürst über Galiläa <strong>und</strong> sein Bruder<br />

Philippus Vierfürst über Ituräa <strong>und</strong> das tra<strong>ch</strong>onitis<strong>ch</strong>e Land <strong>und</strong> Lysanias


Io2 <strong>Die</strong> Aussonderung Jesu zu seinem Werk<br />

Vierfürst über Abilene war, unter den Hohenpriestern Hannas <strong>und</strong> Kajaphas.<br />

Das fünfzehnte Jahr des Tiberius ist das Jahr 28 oder 29 unserer Zeitre<strong>ch</strong>nung.<br />

Damit ist uns freili<strong>ch</strong> die Bere<strong>ch</strong>nung der Jahre für Jesu Tod <strong>und</strong> Geburt<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ohne S<strong>ch</strong>wierigkeiten mögli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t. Das Jahr 28 nennt uns<br />

<strong>Lukas</strong> zusammen mit dem Auftreten Jesu <strong>und</strong> des Täufers, <strong>und</strong> das genügt<br />

ihm zur <strong>ch</strong>ronologis<strong>ch</strong>en Aufklärung. Zwis<strong>ch</strong>en dem Anfang des Täufers <strong>und</strong><br />

demjenigen Jesu muß allerdings nur ein kurzer Zwis<strong>ch</strong>enraum eingesetzt<br />

werden; dagegen erstreckte si<strong>ch</strong> Jesu Arbeit unter Israel <strong>und</strong> sein Verkehr<br />

mit den Jüngern si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> über eine längere Zeit. Eine genaue Angabe hierüber<br />

lesen wir bei <strong>Lukas</strong> so wenig wie bei Matthäus. Es wird wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> die<br />

Meinung des <strong>Lukas</strong> sein, daß in das von ihm genannte Jahr Jesu Anfang fiel<br />

<strong>und</strong> die Zeit, die seine Arbeit in Israel ausfüllte, an dasselbe anzufügen ist,<br />

so daß Jesu Tod ins Jahr 30 oder 31 fallen wird.<br />

Zuglei<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reibt er uns, wie damals Palästina staatli<strong>ch</strong> geordnet war,<br />

<strong>und</strong> nennt uns die Männer, die im Lande als Ma<strong>ch</strong>thaber regierten, unter deren<br />

Regiment somit Johannes <strong>und</strong> Jesus ihr Werkgetan haben.Über das ganze Rei<strong>ch</strong><br />

regierte als Kaiser Tiberius, über Judäa als kaiserli<strong>ch</strong>er Verwalter Pontius<br />

Pilatus. Als Augustus Ar<strong>ch</strong>elaus, den Sohn des Herodes, aus Jerusalem abberief,<br />

übergab er die Stadt mit der zu ihr gehörenden Lands<strong>ch</strong>aft keinem<br />

jüdis<strong>ch</strong>en Fürsten, sondern stellte sie unter die Verwaltung römis<strong>ch</strong>er Beamter,<br />

die dur<strong>ch</strong> das freie Belieben des Kaisers ernannt <strong>und</strong> abberufen wurden. Ihnen<br />

waren die staatli<strong>ch</strong>en Hoheitsre<strong>ch</strong>te für diesen Teil des Landes übergeben.<br />

Ebenso blieb es unter Tiberius, nur daß Tiberius dem ras<strong>ch</strong>en We<strong>ch</strong>sel der<br />

Beamten abgeneigt war <strong>und</strong> sie gern längere Zeit an ihrem Posten ließ. Pilatus<br />

hat Judäa zehn Jahre lang von z6 bis 36 regiert.<br />

Neben ihm regierten über Stücke des Landes no<strong>ch</strong> zwei Sohne des Herodes,<br />

ni<strong>ch</strong>t mit dem Königs-, sondern mit dem geringeren Titel eines „Vierfürsten".<br />

Über Galiläa war Antipas Regent, den die Evangelisten immer wie seinen<br />

Vater nur Herodes heißen. Außer Galiläa gehörte ihm no<strong>ch</strong> der von den<br />

Juden besetzte Teil des Ostjordanlandes. Für das vom anderen Sohn des<br />

Herodes, von Philippus, regierte Land war <strong>na<strong>ch</strong></strong> Westen hin der Jordan von<br />

seinen Quellen bis zum See von Genezareth die Grenze. Na<strong>ch</strong> Osten erstreckte<br />

es si<strong>ch</strong> bis an den Rand der Wüste <strong>und</strong> umfaßte no<strong>ch</strong> den Bergzug im Osten<br />

des Hauran. In diesem Gebiete lag das wilde Steinrevier, das die Grie<strong>ch</strong>en den<br />

Tra<strong>ch</strong>on nannten; <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm heißt <strong>Lukas</strong> die Gegend zwis<strong>ch</strong>en dem See Genezareth<br />

<strong>und</strong> der Wüste das tra<strong>ch</strong>onitis<strong>ch</strong>e Land. Ituräa ist ein Name, der<br />

mehr für die nördli<strong>ch</strong>en Gegenden übli<strong>ch</strong> war, die si<strong>ch</strong> zum AntiUbanon <strong>und</strong><br />

gegen Damaskus hinziehen. <strong>Die</strong> Besitzungen des Philippus rei<strong>ch</strong>ten in der


<strong>Lukas</strong> 3,i. 2a 163<br />

Tat bis zu den Jordanquellen, da Paneas, die Stadt an der einen großen Jordanquelle,<br />

seine Hauptstadt war. Er hat sie umgebaut <strong>und</strong> dem Kaiser zu<br />

Ehren Cäsarea genannt.<br />

Endli<strong>ch</strong> nennt <strong>Lukas</strong> no<strong>ch</strong> dasjenige Gebiet, das nördli<strong>ch</strong> an das Fürstentum<br />

des Philippus grenzte: Abilene, das Gebiet von Abila, der Stadt am Flusse<br />

Barada, nördli<strong>ch</strong> vom Hermon im Bergland, das si<strong>ch</strong> vom Hermon zu den<br />

hohen Gipfeln des Antilibanon hinüberzieht. Au<strong>ch</strong> dort regierte ein Fürstenhaus,<br />

dessen Haupt damals Lysanias hieß, über das wir sonst nur dürftige<br />

Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten haben. <strong>Lukas</strong> wird ihn hier deshalb nennen, weil diese Gebiete<br />

später an die beiden Agrippa vom Kaiser verliehen wurden <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

unter jüdis<strong>ch</strong>es Regiment gekommen sind. Zur Zeit Jesu regierte dort no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t ein Na<strong>ch</strong>komme des Herodes, sondern Lysanias.<br />

Israel galten aber immer no<strong>ch</strong> seine Hohenpriester als die re<strong>ch</strong>ten Häupter<br />

des Volks, die dur<strong>ch</strong> das Gesetz zu seiner Regierung bestimmt seien. Ihre<br />

Ma<strong>ch</strong>t war deshalb über das ganze Volk no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gering, so daß au<strong>ch</strong> die<br />

römis<strong>ch</strong>en Verwalter des Landes auf sie sorgsam Rücksi<strong>ch</strong>t nahmen. Darum<br />

stellt <strong>Lukas</strong> au<strong>ch</strong> die Hohenpriester zu den Regenten der Judens<strong>ch</strong>aft, nennt<br />

uns aber deren zwei: Hannas <strong>und</strong> Kajaphas. S<strong>ch</strong>on als Herodes König wurde,<br />

ließ er den Hohenpriestern ni<strong>ch</strong>t mehr den lebenslängli<strong>ch</strong>en Besitz ihres Amts.<br />

Er für<strong>ch</strong>tete von ihnen eine S<strong>ch</strong>mälerung der königli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> bra<strong>ch</strong><br />

deshalb ihre Bedeutung dadur<strong>ch</strong>, daß er sie mehrmals entsetzte <strong>und</strong> ihnen<br />

Na<strong>ch</strong>folger gab. Dasselbe Verfahren setzten die römis<strong>ch</strong>en Beamten fort,<br />

denen ein lebenslängli<strong>ch</strong> regierender Priester vollends unbequem war. Für den<br />

Gottesdienst gab es zwar nie mehr als einen Hohenpriester; nur einer bra<strong>ch</strong>te<br />

am Versöhnungstag das besondere Opfer dar <strong>und</strong> ging in das Allerheiligste '<br />

hinein. Das tat zur Zeit des öffentli<strong>ch</strong>en Wirkens Jesu Kajaphas. Aber die<br />

abgesetzten Hohenpriester blieben mä<strong>ch</strong>tige Männer, die bei der inneren Leitung<br />

des Volks im Rat <strong>und</strong> Geri<strong>ch</strong>t ein gewi<strong>ch</strong>tiges "Wort mitreden. <strong>Die</strong>s<br />

galt besonders von demjenigen, den uns <strong>Lukas</strong> vor Kajaphas nennt, von Hannas,<br />

der zwar damals längst ni<strong>ch</strong>t mehr als hö<strong>ch</strong>ster Priester im Tempel die<br />

Opferhandlungen vollzog, aber mit hohem Ansehen lange das Haupt der<br />

Priesters<strong>ch</strong>aft geblieben war, wobei er es so einzuri<strong>ch</strong>ten verstand, daß das<br />

hohepriesterli<strong>ch</strong>e Amt vorwiegend bei seiner Familie blieb <strong>und</strong> nur nodi eine<br />

kleine Zahl anderer Familien an ihm Anteil bekam.<br />

Dur<strong>ch</strong> diese Aufzählung der Männer, die Palästina damals regiert haben,<br />

ist uns ni<strong>ch</strong>t nur im allgemeinen die Zeit angegeben, in die die folgenden Ereignisse<br />

fallen, sondern s<strong>ch</strong>on re<strong>ch</strong>t viel au<strong>ch</strong> über den inneren Stand des Volkes<br />

gesagt. Wir haben das zerrissene Israel vor uns, das si<strong>ch</strong> mit der römis<strong>ch</strong>en Welt-


164 <strong>Die</strong> Aussonderung Jesu zu seinem Werk<br />

ma<strong>ch</strong>t bald trotzig, bald unterwürfig abfinden muß, dessen mä<strong>ch</strong>tigstes Glied<br />

das von Herodes stammende Fürstenhaus war, das das Volk dur<strong>ch</strong> seine Vermis<strong>ch</strong>ung<br />

von Juden- <strong>und</strong> Heidentum <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> seine zügellose Gier <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Genuß teils erbitterte, teils verführte, <strong>und</strong> in dessen Heiligtum<br />

eine entweihte, gesunkenePriesters<strong>ch</strong>aft stand, die mit allen Mitteln der S<strong>ch</strong>lauheit<br />

<strong>und</strong> Habgier für ihre Herrs<strong>ch</strong>aft kämpfte. In dieses Israel <strong>und</strong> unter<br />

diesen Fürsten wurden Johannes <strong>und</strong> Jesus mit der Bots<strong>ch</strong>aft von Gottes<br />

königli<strong>ch</strong>er Herrs<strong>ch</strong>aft hineingestellt.<br />

Als Johannes heranwu<strong>ch</strong>s, war er in die Wüste gegangen <strong>und</strong> wartete dort<br />

darauf, daß ihn Gott Israel zeigen werde. Jetzt kam der göttli<strong>ch</strong>e Befehl an<br />

ihn, der ihn aus der "Wüste heraus zu Israel führte. 3,2b. 3a: Da kam Gottes<br />

Wort zu Johannes, dem Sohn des Za<strong>ch</strong>arias, in der Wüste, <strong>und</strong> er ging in den<br />

ganzen Bezirk des Jordans. Was seine Bots<strong>ch</strong>aft an Israel war, sagt uns <strong>Lukas</strong><br />

mit demselben Wort, mit dem uns s<strong>ch</strong>on <strong>Markus</strong> kurz <strong>und</strong> tief das Werk des<br />

Johannes bes<strong>ch</strong>rieben hat, 3,3b: Und er verkündigte eine Taufe der Buße zur<br />

Vergebung der Sünden. Dazu stellt au<strong>ch</strong> er den Spru<strong>ch</strong> Jesaja 40,3—5, damit<br />

wir sofort den Zusammenhang vor Augen haben, in deni diese neue Bots<strong>ch</strong>aft<br />

an Israel sowohl mit dem Alten B<strong>und</strong> als mit Jesu Sendung steht. 3,4—6: Wie<br />

im Bu<strong>ch</strong> der Worte des Propheten Jesaja ges<strong>ch</strong>rieber, ist: <strong>Die</strong> Stimme eines<br />

Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, ma<strong>ch</strong>t gerade seine<br />

Pfade! Jede S<strong>ch</strong>lu<strong>ch</strong>t wird aufgefüllt <strong>und</strong> jeder Berg <strong>und</strong> Hügel niedrig gema<strong>ch</strong>t<br />

<strong>und</strong> das Krumme zu geraden Wegen <strong>und</strong> die unebenen Wege zu ebenen<br />

werden. Und alles Fleis<strong>ch</strong> wird das Heil Gottes sehen (Jesaja 40,3—5). <strong>Lukas</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t uns au<strong>ch</strong> auf die Fortsetzung der Stelle aufmerksam; sie bes<strong>ch</strong>reibt zwar<br />

das, was Gott Israel dur<strong>ch</strong> Johannes gab, nur in einem Glei<strong>ch</strong>nis, spri<strong>ch</strong>t aber<br />

dur<strong>ch</strong> dieses die Größe <strong>und</strong> Wi<strong>ch</strong>tigkeit seines Werks ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> aus. <strong>Die</strong><br />

Hügel werden abgetragen, die Täler gefüllt <strong>und</strong> die ebene, glatte breite Bahn<br />

für Gott gebaut, daß kein Hindernis bleibe, das ihm widerstrebt, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts<br />

Israel von ihm s<strong>ch</strong>eide <strong>und</strong> seiner gnädigen Nähe beraube. Daran hat der<br />

Täufer sein Leben gesetzt; darauf soll au<strong>ch</strong> Israel jetzt mit ganzem Herzen<br />

beda<strong>ch</strong>t sein <strong>und</strong> kein anderes Anliegen für höher a<strong>ch</strong>ten als das eine, Gott die<br />

Bahn freizuma<strong>ch</strong>en, daß er zu ihm kommen kann. Darüber glänzt hell Gottes<br />

letztes Ziel: der ganzen Mens<strong>ch</strong>heit wird si<strong>ch</strong>bar werden, was Gottes Gnade<br />

für uns tut.<br />

Wie dur<strong>ch</strong> Johannes das, was diese Weissagung verkündigte, ges<strong>ch</strong>ehen ist,<br />

zeigt uns <strong>Lukas</strong> an seinem Wort. Er gibt uns sämtli<strong>ch</strong>e Worte des Täufers,<br />

die wir bei Matthäus lesen, <strong>und</strong> ergänzt sie no<strong>ch</strong> aus einem anderen Beri<strong>ch</strong>t.<br />

Während <strong>Lukas</strong> das, was er über Jesu Geburt erzählt, einem einzigen Beri<strong>ch</strong>t


<strong>Lukas</strong> 3,2b—6 .165<br />

entnommen hat, zieht er, sowie es zum Auftreten des Täufers kommt, mehrere<br />

Zeugen zu Rat. Hier begann der Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Markus</strong>, auf den er sofort<br />

a<strong>ch</strong>tet <strong>und</strong> den er weiterhin dur<strong>ch</strong> das ganze Evangelium zugr<strong>und</strong>e legt.<br />

Für die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten bleibt von nun an <strong>Markus</strong> immer sein Hauptzeuge. Er<br />

will aber der Gemeinde au<strong>ch</strong> Jesu Wort rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er geben, als es <strong>Markus</strong> tat;<br />

dazu hat er, was uns Matthäus gibt, benutzt. Er hatte aber no<strong>ch</strong> andere,<br />

namentli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> einen dritten Zeugen, dem er man<strong>ch</strong>es "Wort Jesu <strong>und</strong> man<strong>ch</strong>e<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te entnimmt; es ist wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> der, der ihm s<strong>ch</strong>on die Weih<strong>na<strong>ch</strong></strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

gegeben hat.<br />

Kehrt um! sagte Johannes in Gottes Auftrag zu Israel. Was Israel Böses<br />

tut, wodur<strong>ch</strong> es si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uldig ma<strong>ch</strong>t; erläutert uns Matthäus ni<strong>ch</strong>t. Das Bußwort<br />

hat ja seine helle Dur<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>tigkeit für jedermann, weil mit klarer Deutli<strong>ch</strong>keit<br />

in jedem Gewissen steht, was vor Gott re<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> an uns verdammli<strong>ch</strong><br />

ist. Wenn wir aber hören, was in den Augen des Täufers die Sünde Israels<br />

ausma<strong>ch</strong>te, weshalb er es s<strong>ch</strong>alt <strong>und</strong> was er von ihm verlangte, so ergibt dies<br />

zum früheren Beri<strong>ch</strong>t eine kostbare Berei<strong>ch</strong>erung. <strong>Lukas</strong> kannte sol<strong>ch</strong>e Worte<br />

<strong>und</strong> wußte, was der Täufer denen zur Antwort gab, die ihn fragten: Was<br />

sollen wir tun? womit au<strong>ch</strong> ins Li<strong>ch</strong>t gestellt ist, was sie an ihrem alten Wege<br />

lassen sollen, weil es Sünde ist <strong>und</strong> sie ins Verderben stößt. <strong>Die</strong>se neuen Worte<br />

hat <strong>Lukas</strong> mit sorgfältiger Überlegung in die Mitte derer gesetzt, die wir bei<br />

Matthäus lasen, wodur<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> ihm drei kleine Reden des Täufers ergaben. Er<br />

hatte anklagende Worte vor si<strong>ch</strong>, die Israel in die Fur<strong>ch</strong>t treiben <strong>und</strong> ihm die<br />

Gefahr vor Augen malen, in der es steht, weiter den Unterri<strong>ch</strong>t an die Bußfertigen,<br />

der ihnen zeigt, was sie von nun an zu tun haben, endli<strong>ch</strong> die verheißenden<br />

Worte, die den Christus bes<strong>ch</strong>reiben, wie er alsbald mit Geist <strong>und</strong><br />

Feuer kommt. <strong>Lukas</strong> begann mit den anklagenden Worten, fährt mit der Anweisung<br />

an die Reuigen fort <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ließt mit der Verkündigung dessen, der<br />

kommen wird.<br />

Vom gewaltigen Straf wort des Täufers: „S<strong>ch</strong>langenbrut, wer hat es eu<strong>ch</strong><br />

gezeigt, vor dem kommenden Zorne zu fliehen?" hat uns Matthäus gesagt, daß<br />

es den Pharisäern <strong>und</strong> Sadduzäern gesagt worden ist. Es bekommt dadur<strong>ch</strong><br />

seine besondere Bedeutung, weil es denen gilt, die in Israel die Frömmigkeit<br />

als ihr besonderes Anliegen <strong>und</strong> Vorre<strong>ch</strong>t übten. Das ma<strong>ch</strong>te Israels Not deutli<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> groß, daß seine Frommen no<strong>ch</strong> verdorbener waren als das übrige<br />

Volk. Den besonderen Kampf des Täufers mit den Pharisäern hat <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

bes<strong>ch</strong>rieben, sondern uns nur gesagt, so ernst habe der Täufer mit dem Volk<br />

gespro<strong>ch</strong>en, das die Taufe von ihm begehrte. Er re<strong>ch</strong>net darauf, daß wir uns<br />

mit verständiger Besonnenheit sagen, der Täufer habe ni<strong>ch</strong>t jedermann in


i66 <strong>Die</strong> Aussonderung Jesu zu seinem Werk<br />

Israel S<strong>ch</strong>langenbrut genannt <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t darüber verw<strong>und</strong>ert, daß überhaupt<br />

Leute zu ihm kamen, die die Taufe empfangen <strong>und</strong> vom kommenden<br />

Zorn befreit werden wollten. Er war ja dazu gesandt, um Israel zu berufen,<br />

ni<strong>ch</strong>t um es zu verstoßen, um es für Gottes Rei<strong>ch</strong> bereit zu ma<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t um<br />

ihm das verdammende Urteil zu bringen. <strong>Lukas</strong> heißt uns aber darauf a<strong>ch</strong>ten,<br />

daß es für das ganze Volk von Wi<strong>ch</strong>tigkeit war, daß der Täufer mit einem<br />

Teil desselben in sol<strong>ch</strong>er "Weise spra<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ihm die Verlorenheit vorhielt, vor<br />

der sie si<strong>ch</strong> kaum no<strong>ch</strong> retten werden. Daran sah jedermann, wie ernst <strong>und</strong><br />

wie nötig die Buße sei.<br />

3,7—9: Er sagte nun zu der Menge, die herauskam, um von ihm getauft zu<br />

werden: S<strong>ch</strong>langenbrut! Wer hat es eu<strong>ch</strong>' gezeigt, vor dem kommenden Zorn<br />

zu fliehenf Darum bringt Frü<strong>ch</strong>te, die der Buße würdig sind! Und beginnt<br />

ni<strong>ch</strong>t, bei eu<strong>ch</strong> zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater! Denn i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>:<br />

•Gott vermag aus diesen Steinen Abraham Kinder zu erwecken. S<strong>ch</strong>on liegt aber<br />

au<strong>ch</strong> die Axt an der Wurzel der Bäume, Denn jeder Baum, der ni<strong>ch</strong>t gute<br />

Frü<strong>ch</strong>te bringt, wird umgehauen <strong>und</strong> in das Feuer geworfen.<br />

Viele waren willig, dem Täufer zu gehor<strong>ch</strong>en. 3,10.11: Und die Menge befragte<br />

ihn <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Was sollen wir denn tun? Er aber antwortete <strong>und</strong><br />

spra<strong>ch</strong>: Wer zwei Röcke hat, teile dem mit, der keinen hat, <strong>und</strong> wer Speise hat,<br />

tue ebenso. Re<strong>ch</strong>te Buße ma<strong>ch</strong>t aus harten geizigen Mens<strong>ch</strong>en sol<strong>ch</strong>e, die zu<br />

geben vermögen. Neben dem, der Überfluß hat, steht der, dem es am Nötigen<br />

gebri<strong>ch</strong>t; das kümmerte sie bisher ni<strong>ch</strong>t. Der Besitzer der beiden Röcke hütete<br />

sie sorgfältig <strong>und</strong> ließ den anderen in seiner Blöße, <strong>und</strong> wer rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> Nahrung<br />

hatte, genoß sie'mit Behagen <strong>und</strong> ließ die anderen hungern, <strong>und</strong> denno<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>ien es ihnen, sie seien ein heiliges <strong>und</strong> gere<strong>ch</strong>tes Volk. Deshalb müssen sie<br />

umkehren, weil sie mit hartem Herzen die anderen leiden <strong>und</strong> verderben lassen<br />

<strong>und</strong> nur si<strong>ch</strong> selber leben.<br />

3,12.13: Es kamen aber au<strong>ch</strong> Zöllner, um getauft zu werden, <strong>und</strong> sagten zu<br />

ihm: Lehrer, was sollen wir tun? Er aber spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Fordert ni<strong>ch</strong>t mehr,<br />

als für eu<strong>ch</strong> festgesetzt ist! Der Rat des Täufers für die Zöllner lautete ni<strong>ch</strong>t:<br />

Laßt euer Zöllnerges<strong>ch</strong>äft; denn Zöllner, die Gott wohlgefällig wären, gibt<br />

es ni<strong>ch</strong>t. Er s<strong>ch</strong>ickte sie vielmehr vom Jordan an ihre Zollstätte zurück, forderte<br />

aber von ihnen die reine Hand, die ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong> Geld zusammenrafft<br />

mit Unre<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Grausamkeit. <strong>Die</strong> Buße, die er dem Zöllner aufgibt, besteht<br />

darin, daß er die Ma<strong>ch</strong>t, die ihm gegeben war, ni<strong>ch</strong>t mehr dazu mißbrau<strong>ch</strong>e,<br />

daß er si<strong>ch</strong> selber zum rei<strong>ch</strong>en Manne ma<strong>ch</strong>t.<br />

3,14a: Es fragten ihn aber au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e, die Kriegsdienst taten: Was sollen<br />

wir tun? Gottes Berufung ergeht an alle; au<strong>ch</strong> für Zöllner <strong>und</strong> Soldaten


<strong>Lukas</strong> 3,7—17 167<br />

kommt Gottes Rei<strong>ch</strong>. Aber ihr Stand bringt ihnen besondere Versu<strong>ch</strong>ungen,<br />

<strong>und</strong> in diesen haben sie Gottes" Gebot zu ehren <strong>und</strong> zu halten. Dem Soldaten<br />

war damals die Ausri<strong>ch</strong>tung der Polizei übertragen <strong>und</strong> damit viel Gelegenheit<br />

zu Unre<strong>ch</strong>t, zu fals<strong>ch</strong>en Anklagen <strong>und</strong> Erpressungen gegeben. 3,14b: Und<br />

er sagte zu ihnen: Raubt niemand aus, <strong>und</strong> erhebt gegen keinen fals<strong>ch</strong>e Anklage,<br />

<strong>und</strong> begnügt eu<strong>ch</strong> mit eurem Sold!<br />

Dem harten Volk verkündigt er die Güte, die geben kann, dem geldgierigen<br />

Ges<strong>ch</strong>äftsmann die Redli<strong>ch</strong>keit, dem Gewalttätigen die Gere<strong>ch</strong>tigkeit. Das ist<br />

die Umkehr, die Gott von Israel verlangt. So bereitet es ihm den Weg; so<br />

rüstet es si<strong>ch</strong> auf seine <strong>Offenbarung</strong>. Für die linbarmherzigen <strong>und</strong> Geldgierigen,<br />

die dem Geld zulieb Re<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Wahrheit zertreten, kommt Gott als<br />

Ri<strong>ch</strong>ter. Und weil Israels Gere<strong>ch</strong>tigkeit mit sol<strong>ch</strong>en Dingen befleckt ist <strong>und</strong> sein<br />

Gottesdienst es ni<strong>ch</strong>t davor behütet, dem Geld alles zu opfern, das Leben des<br />

anderen samt dem eigenen Gewissen, darum ist seine Gere<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>ts, sein<br />

Gottesdienst eitel, <strong>und</strong> es muß si<strong>ch</strong> was<strong>ch</strong>en, die Vergebung seiner Sünden<br />

su<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> als ein bußfertiges Volk auf den warten, den Gott ihnen senden<br />

wird. Ernst, einfa<strong>ch</strong>, von jedem S<strong>ch</strong>ein ruhmsü<strong>ch</strong>tiger Neuheit frei tritt der<br />

Unterri<strong>ch</strong>t des Täufers auf <strong>und</strong> nennt nur das, was jedermann s<strong>ch</strong>on weiß <strong>und</strong><br />

si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> jedermann stets verdeckt. Eben daran hat er bewährt, daß er los<br />

von den Mens<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> los von si<strong>ch</strong> selbst als e<strong>ch</strong>ter Zeuge Gottes seinen hellen,<br />

reinen Willen vertrat.<br />

Johannes verkündigte ihnen au<strong>ch</strong> den Christus. Bei Matthäus ist au<strong>ch</strong> dieses<br />

Wort ein Stück seiner Bußpredigt, mit der er den unbußfertigen Stolz der Gere<strong>ch</strong>ten<br />

s<strong>ch</strong>lägt. Sie sollen bedenken, daß die Zeit drängt <strong>und</strong> der Hohe, dem<br />

Gott das Geri<strong>ch</strong>t übertragen hat, naht. Es standen aber ni<strong>ch</strong>t nur unbußfertige<br />

<strong>und</strong> trotzige Männer am Jordan, sondern au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e, die die Bots<strong>ch</strong>aft von<br />

Gottes neuer <strong>Offenbarung</strong> bewegte <strong>und</strong> mit starkem Verlangen zu seiner<br />

Gnade hinwendete. Au<strong>ch</strong> ihnen war sein Wort von dem, der kommen wird,<br />

gesagt <strong>und</strong> gab ihrem Blick die Ri<strong>ch</strong>tung auf das letzte Ziel. 3,15: Da aber das<br />

Volk in Erwartung war <strong>und</strong> alle in ihren Herzen über Johannes erwogen, ob<br />

ni<strong>ch</strong>t er der Christus sei. Es war ja neben ihm no<strong>ch</strong> kein zweiter si<strong>ch</strong>tbar, der<br />

Gottes Werk tun <strong>und</strong> in seinem Rei<strong>ch</strong> regieren könnte. Aber Johannes ließ<br />

ni<strong>ch</strong>t zu, daß die Erwartung des Volkes si<strong>ch</strong> an ihn selber hänge. 3,16.17: Da<br />

antwortete Johannes <strong>und</strong> sagte zu allen: I<strong>ch</strong> zwar taufe eu<strong>ch</strong> mit Wasser; es<br />

kommt aber der, der stärker ist als i<strong>ch</strong>, für den i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t tü<strong>ch</strong>tig bin, den<br />

Riemen seiner S<strong>ch</strong>uhe aufzuknüpfen. Er wird eu<strong>ch</strong> mit heiligem Geist <strong>und</strong> mit<br />

Feuer taufen. Er hat die Worfs<strong>ch</strong>aufel in seiner Hand, um seine Tenne zu<br />

reinigen <strong>und</strong> den Weizen in seine S<strong>ch</strong>eune zu sammeln; die Spreu aber wird


168 <strong>Die</strong> Aussonderung Jesu zu seinem Werk<br />

er mit Feuer verbrennen, das niemand lös<strong>ch</strong>en kann. Weil Johannes mit seinem<br />

Bad im Wasser ni<strong>ch</strong>ts ist neben dem, dem Gott den Geist <strong>und</strong> das Feuer übergibt,<br />

darum warte Israel auf den, der sofort kommen wird.<br />

Vom Zeugnis <strong>und</strong> der Taufe des Johannes ging Matthäus sofort zu Jesus<br />

hinüber, dur<strong>ch</strong> dessen Ankunft das Werk des Täufers zum Ziele kommt. <strong>Lukas</strong><br />

hat zuerst no<strong>ch</strong> eine kurze Angabe über das Ende des Johannes eingefügt.<br />

3,18—20: Au<strong>ch</strong> mit vielen anderen Worten mahnte er das Volk <strong>und</strong> sagte ihm<br />

die gute Bots<strong>ch</strong>aft. Aber der Vierfürst Herodes, der von ihm zure<strong>ch</strong>tgewiesen<br />

wurde wegen Herodias, der Frau seines Bruders, <strong>und</strong> wegen alles Bösen, das<br />

Herodes tat, tat au<strong>ch</strong> das nocfy zu allem hinzu <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>loß Johannes in das<br />

Gefängnis ein. Was Antipas am Täufer tat, fügte si<strong>ch</strong> als S<strong>ch</strong>luß <strong>und</strong> Gipfel<br />

an seinen früheren Sündenweg an. So endete der, dessen Geburt der Engel<br />

verkündigt hat. Weil er die Sünde strafte, au<strong>ch</strong> die der Gewaltigen, wurde der,<br />

den Gott Israel gegeben hat, ihm dur<strong>ch</strong> seinen Fürsten wieder genommen<br />

<strong>und</strong> ins Gefängnis gelegt. Das hat aber <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t gehindert, uns bei der Geburt<br />

des Täufers den frohlockenden Jubel zu s<strong>ch</strong>ildern, der es als das Amt des<br />

Täufers pries, dem Volk die Erkenntnis des Heils zu bereiten. Denn Gottes<br />

Gnade wird dur<strong>ch</strong> das, was die Bosheit wagt <strong>und</strong> errei<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>mälert,<br />

sondern ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> dann, wenn Israel unbußfertig bleibt, ihre. Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

offenbar.<br />

3,21. 22: Es ges<strong>ch</strong>ah aber, als das ganze Volk getauft wurde, als au<strong>ch</strong> Jesus<br />

getauft wurde <strong>und</strong> betete, da wurde der Himmel auf getan, <strong>und</strong> der heilige<br />

Geist fuhr in körperli<strong>ch</strong>er Gestalt wie eine Taube auf ihn herab, <strong>und</strong> eine<br />

Stimme aus dem Himmel ges<strong>ch</strong>ah: Du bist mein geliebter Sohn; an dir habe i<strong>ch</strong><br />

mein Wohlgefallen. Ni<strong>ch</strong>t nur, daß Jesus selbst, sondern au<strong>ch</strong>, daß das ganze<br />

Volk die Taufe empfing, bildet dafür die Voraussetzung, daß Gott nun Jesus<br />

offenbart. Zu demjenigen Volk, das <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Vergebung griff <strong>und</strong> darum<br />

reuig vor ihm stand, wurde er gesandt, damit er ihm die Verheißung erfülle,<br />

die ihm mit seiner Taufe gegeben war. <strong>Lukas</strong> hob weiter hervor, daß Jesu Anteil<br />

am Geiste Gottes bei seiner Taufe si<strong>ch</strong>tbar geworden sei. Der heilige Geist<br />

kam „in körperli<strong>ch</strong>er Gestalt" auf ihn. Do<strong>ch</strong> ist damit das Geheimnis des<br />

Vorgangs ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong> über das hinaus bes<strong>ch</strong>rieben, was uns au<strong>ch</strong> die beiden<br />

anderen Evangelisten sagen. Was seinem Wesen <strong>na<strong>ch</strong></strong> innerli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> verborgen<br />

ist, kam hier au<strong>ch</strong> in etwas Leibli<strong>ch</strong>em, in einer Gestalt, die einer Taube gli<strong>ch</strong>,<br />

zur Wahrnehmung.<br />

Nun, da Jesus an der S<strong>ch</strong>welle seines öffentli<strong>ch</strong>en Werkes steht, weist ihm<br />

<strong>Lukas</strong> dur<strong>ch</strong> ein Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsregister seinen Ort in der Mens<strong>ch</strong>heit an. 3,23—38:<br />

Und Jesus begann etwa dreißig Jahre alt als Sohn, wie man von ihm an-


<strong>Lukas</strong> 3,i8—38; 4,1—12 169<br />

nahm, des Joseph, <strong>und</strong> dieser war ein Sohn des Eli, des Matthat, des Levi, des<br />

Mel<strong>ch</strong>i, des Jannai, des Joseph, des Mattathia, des Arnos, des Nahum, des Esli,<br />

des Naggai, des Maath, des Mattathia, des Semei, des Jose, des Joda, des<br />

Joanan, des Resa, des Ser uh ah el, des Salathiel, des Neri, des Mel<strong>ch</strong>i, des Addi,<br />

des Kosam, des Elmadam, des Er, des Jesus, des Eliezer, des Jorim, des Matthat,<br />

des Levi, des Sirneon, des Juda, des Joseph, des Jona, des Eliakim, des<br />

Melea, des Menna, des Mattatha, des Nathan, des David, des Jesse, des Obed,<br />

des Boas, des Sala, des Naasson, des Aminadab, des Admin, des Ami, des Esron,<br />

des Phares, des Juda, des Jakob, des Isaak, des Abraham, des Thera, des<br />

Na<strong>ch</strong>or, des Serug, des Regu, des Phaleg, des Eber, des Sala, des Kainan, des<br />

Arphaxad, des Sem, des Noah, des Lame<strong>ch</strong>, des Methusala, des Eno<strong>ch</strong>, des Jared,<br />

des Maleleel, des Kainan, des Enos, des Seth, des Adam, Gottes.<br />

Seinen geliebten Sohn hieß ihn Gott; daß er dies als ein Glied der Mens<strong>ch</strong>heit<br />

ist, in deren Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsreihe ihn seine Geburt hineingestellt hat} das gibt<br />

dem Evangelium seine Tiefe <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit. <strong>Lukas</strong> a<strong>ch</strong>tet au<strong>ch</strong> auf Jesu<br />

Platz im Hause Davids, wie er ihm dadur<strong>ch</strong> zustand, daß er als Josephs Sohn<br />

galt ni<strong>ch</strong>t nur <strong>na<strong>ch</strong></strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Meinung, sondern au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Gottes deutli<strong>ch</strong>e<br />

Fügung. Damit hat Jesus au<strong>ch</strong> seinen Ort unter Israel. Seine Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsreihe<br />

wird aber absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bei Abraham ges<strong>ch</strong>lossen, sondern hinauf zu<br />

Adam geführt, vor dem kein anderer Vater mehr steht als Gott. Wie Adam<br />

als Gottes Sohn das Leben empfing, so wiederum Jesus. Gott sendet ihn zur<br />

Mens<strong>ch</strong>heit, die seine S<strong>ch</strong>öpfung ist; deshalb ist au<strong>ch</strong> Gottes Sohn ihr re<strong>ch</strong>tes,<br />

einiges Haupt.<br />

Wie in der Weih<strong>na<strong>ch</strong></strong>tsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, wei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> hier der andere Zeuge, den<br />

uns <strong>Lukas</strong> wiederholt, von dem, was Matthäus gibt, ab. Beide Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tstafeln<br />

verbinden Jesus dur<strong>ch</strong> Joseph mit den Vorvätern, sind aber vers<strong>ch</strong>ieden<br />

<strong>und</strong> geben s<strong>ch</strong>on für den Vater Josephs vers<strong>ch</strong>iedene Namen, führen au<strong>ch</strong><br />

die Familie in anderer Weise auf Davids Haus zurück. Bei <strong>Lukas</strong> ist sie an<br />

Nathan, bei Matthäus an die Königsreihe von Jerusalem anges<strong>ch</strong>lossen. Es<br />

liegt in der Natur der Dinge, daß es s<strong>ch</strong>on für die Christenheit Jerusalems eine<br />

s<strong>ch</strong>wierige Sa<strong>ch</strong>e war, eine sol<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tslinie mit Si<strong>ch</strong>erheit festzustellen,<br />

<strong>und</strong> wir müssen vollends die Frage offen lassen, zu wessen Gunsten dieser<br />

Zwiespalt zu ents<strong>ch</strong>eiden sei.<br />

<strong>Die</strong> erste Tat Jesu <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner <strong>Offenbarung</strong> war die Überwindung der Versu<strong>ch</strong>ung,<br />

mit der ihn der Satan anfo<strong>ch</strong>t. Wir lesen über sie denselben Beri<strong>ch</strong>t<br />

wie bei Matthäus*, nur mit veränderter Reihenfolge der Versu<strong>ch</strong>ungen. 4,1—12:<br />

Jesus aber kehrte des heiligen Geistes voll vom Jordan zurück <strong>und</strong> hielt sieb<br />

• In Vers 2 ist au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> berücksi<strong>ch</strong>tigt.


17° <strong>Die</strong> Aussonderung Jesu zu seinem Werk<br />

vom Geist geleitet in der Wüste vierzig Tage auf, versu<strong>ch</strong>t vom Verklager.<br />

Und er aß in jenen Tagen ni<strong>ch</strong>ts, <strong>und</strong> als sie vollendet waren, hungerte er. Es<br />

spra<strong>ch</strong> aber derVerkläger zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so sage zu diesem<br />

Stein, daß er Brot werde! Und Jesus antwortete ihm; Es ist ges<strong>ch</strong>rieben: Der<br />

Mens<strong>ch</strong> wird ni<strong>ch</strong>t einzig vom Brot leben (f. Mose 8,3). Und er führte ihn in<br />

die Höhe <strong>und</strong> zeigte ihm alle Königrei<strong>ch</strong>e der Welt in einem Augenblick, <strong>und</strong><br />

der Verkläger sagte zu ihm: Dir will i<strong>ch</strong> diese ganze Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> ihre Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

geben: denn sie ist mir übergeben, <strong>und</strong> i<strong>ch</strong> gebe sie, wem i<strong>ch</strong> will. Wenn du<br />

nun vor mir anbetest, so soll sie ganz dein eigen sein. Und Jesus antwortete<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihm: Es ist ges<strong>ch</strong>rieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten<br />

<strong>und</strong> ihm allein dienen {5. Mose 6,13). Er führte ihn aber <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

<strong>und</strong> stellte ihn auf den Flügel des Tempels <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihm: Wenn du Gottes<br />

Sohn bist, so wirf di<strong>ch</strong> von hier hinab! denn es ist ges<strong>ch</strong>rieben: Seinen Engeln<br />

wird er deinetwegen Befehl geben, daß sie di<strong>ch</strong> behüten, <strong>und</strong>: Auf die Arme<br />

werden sie di<strong>ch</strong> nehmen, damit du deinen Fuß ni<strong>ch</strong>t an einen Stein stoßest<br />

(Psalm 91,11.12). Und Jesus antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihm: Es ist gesagt: Du<br />

sollst den Herrn, deinen Gott, ni<strong>ch</strong>t versu<strong>ch</strong>en (5. Mose 6,16).<br />

Bei Matthäus folgt eine Versu<strong>ch</strong>ung der anderen mit einem tiefen, innerli<strong>ch</strong>en<br />

Zusammenhang. „Du hungerst", sagt ihm der Versu<strong>ch</strong>er; „s<strong>ch</strong>affe dir<br />

Brot!" „I<strong>ch</strong> stehe in Gottes Hand", antwortet ihm Jesus, „<strong>und</strong> verlasse mi<strong>ch</strong><br />

auf ihn." „Du verlassest di<strong>ch</strong> auf ihn", fährt der Versu<strong>ch</strong>er fort, „so wirf<br />

di<strong>ch</strong> über die Mauer hinab <strong>und</strong> für<strong>ch</strong>te di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, sondern glaube nur, da dir<br />

der S<strong>ch</strong>utz der Engel verheißen ist!" „I<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>e Gott ni<strong>ch</strong>t", antwortet ihm<br />

Jesus. „I<strong>ch</strong> helfe dir", fährt der Versu<strong>ch</strong>er fort, „<strong>und</strong> vers<strong>ch</strong>affe dir alles, was<br />

die Beherrs<strong>ch</strong>er der Welt haben; nur gewähre au<strong>ch</strong> mir, was du Gott gibst, die<br />

Anbetung!" „I<strong>ch</strong> bete nur Gott an", ist Jesu Erwiderung. Hier s<strong>ch</strong>ließt die<br />

zweite Versu<strong>ch</strong>ung eng an die erste an, weil es si<strong>ch</strong> bei beiden um das reine<br />

Vertrauen handelt, mit dem si<strong>ch</strong> Jesus einzig <strong>und</strong> ganz auf den Vater stützt,<br />

<strong>und</strong> der letzte Kampf ist der große, bei dem die Verleugnung Gottes Jesus<br />

offen zugemutet wird, <strong>und</strong> der Preis, um den nun gestritten wird, ist die Welt.<br />

Was <strong>Lukas</strong> bewog, diese Ordnung zu ändern, ist ni<strong>ch</strong>t zu sehen. Freili<strong>ch</strong> ist<br />

au<strong>ch</strong> die Versu<strong>ch</strong>ung auf der Tempelmauer, mit der <strong>Lukas</strong> den Kampf Jesu<br />

s<strong>ch</strong>ließt, wohl geeignet, die S<strong>ch</strong>ärfe desselben zu enthüllen <strong>und</strong> ans Li<strong>ch</strong>t zu<br />

stellen, um was gestritten wurde <strong>und</strong> wodur<strong>ch</strong> Jesus den Sieg behielt. Hier soll<br />

er den Glauben in Hoff art <strong>und</strong> Übermut verwandeln <strong>und</strong> aus dem gehorsamen<br />

Warten auf Gottes Leitung ein eigenmä<strong>ch</strong>tiges Wagen ma<strong>ch</strong>en. Damit ist das<br />

Heiligste in Jesus angegriffen <strong>und</strong> der Stoß des Teufels auf das geri<strong>ch</strong>tet, worauf<br />

seine ganze Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater beruht. Was ist hier das Ge-


<strong>Lukas</strong> 4,13—ig 171<br />

ringere, was das Höhere? daß Jesus auf die Hilfe des Teufels verzi<strong>ch</strong>tet hat<br />

oder daß er auf den <strong>Die</strong>nst der Engel verzi<strong>ch</strong>tet hat? daß er dem Teufel die<br />

Anbetung versagte oder daß er Gott jenen Gehorsam gab, der ni<strong>ch</strong>ts tut ohne<br />

seinen Befehl? Am Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Lukas</strong> ist zu sehen, daß ni<strong>ch</strong>t die s<strong>ch</strong>öne, li<strong>ch</strong>tvolle<br />

Anordnung das erste Anliegen der Evangelisten war. <strong>Die</strong>se hat zwar<br />

Wi<strong>ch</strong>tigkeit, weil der Erzähler dur<strong>ch</strong> sie sein Lehrges<strong>ch</strong>ick bewährt, da uns die<br />

Ordnung der Dinge zu ihrem Verständnis hilft, ist aber weniger wi<strong>ch</strong>tig als<br />

die Sa<strong>ch</strong>e selbst. Ni<strong>ch</strong>t das hat die Jünger am meisten bes<strong>ch</strong>äftigt, wel<strong>ch</strong>es die<br />

erste <strong>und</strong> wel<strong>ch</strong>es die zweite Versu<strong>ch</strong>ung war <strong>und</strong> wie si<strong>ch</strong> die eine aus der anderen<br />

entwickelt habe. Wohl aber war ihr Blick ernst <strong>und</strong> klar darauf geri<strong>ch</strong>tet,<br />

worin Jesus die Stimme des Versu<strong>ch</strong>ers erkannt <strong>und</strong> wogegen er si<strong>ch</strong><br />

als einen bösen Willen vers<strong>ch</strong>lossen hat.<br />

4,13: Und <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem der Verkläger jede Versu<strong>ch</strong>ung vollendet hatte, trat er<br />

von ihm weg, bis die Zeit wieder kam. Es war ni<strong>ch</strong>t Jesu letzter Kampf; es<br />

kam no<strong>ch</strong> ein anderer <strong>na<strong>ch</strong></strong>. <strong>Lukas</strong> denkt si<strong>ch</strong>er an Jesu Sterben. Indem er si<strong>ch</strong><br />

in Glauben <strong>und</strong> Gehorsam so Gott untergab, wie er es dur<strong>ch</strong> die Abwehr des<br />

Versu<strong>ch</strong>ers tat, hatte er si<strong>ch</strong> zum Leiden <strong>und</strong> Sterben willig gema<strong>ch</strong>t. Wenn<br />

nun dieses an ihn kommt, dann muß er no<strong>ch</strong>mals seinen Gehorsam bewähren<br />

<strong>und</strong> die Versu<strong>ch</strong>ung zertreten. Wie er sein Werk mit der Überwindung des<br />

Versu<strong>ch</strong>ers begann, so wird er es mit ihr bes<strong>ch</strong>ließen. Was er in der Wüste <strong>und</strong><br />

was er auf dem Kreuzesweg vollbra<strong>ch</strong>te, wird dadur<strong>ch</strong> ein einträ<strong>ch</strong>tiges Werk<br />

<strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t ihn zu dem, der Gott den vollkommenen Gehorsam erwies.<br />

Kapitel 4,14—9,50<br />

Jesu Arbeit in Galiläa<br />

<strong>Die</strong> Predigt in Nazareth<br />

4,14.15: Und Jesus kehrte mit der Ma<strong>ch</strong>t des Geistes <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa zurück,<br />

<strong>und</strong> die Bots<strong>ch</strong>aft von ihm ging in die ganze Umgegend hinaus. Und er lehrte<br />

in ihren Versammlungen <strong>und</strong> ward von allen gepriesen. Wie si<strong>ch</strong> Jesu Werk in<br />

Galiläa entfaltet hat, das hat uns <strong>Lukas</strong> an den Ereignissen in der Versammlung<br />

von Nazareth gezeigt.<br />

4,16—19: Und er kam <strong>na<strong>ch</strong></strong> Nazara, wo er aufgewa<strong>ch</strong>sen war, <strong>und</strong> ging <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

seiner Gewohnheit am Tag des Sabbats in die Versammlung <strong>und</strong> stand auf, um<br />

vorzulesen. Und es wurde ihm das Bu<strong>ch</strong> des Jesaja gerei<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> als er das Bu<strong>ch</strong><br />

öffnete, fand er die Stelle, wo ges<strong>ch</strong>rieben ist: Der Geist des Herrn ist auf mir;<br />

deshalb salbte er mi<strong>ch</strong>, damit i<strong>ch</strong> den Armen die gute Bots<strong>ch</strong>aft bringe. Er<br />

sandte mi<strong>ch</strong>, um den Gefangenen die Freilassung zu verkünden, <strong>und</strong> den Blin-


tJZ Jesu Arbeit in Galiläa<br />

den, daß sie sehend werden, um Zers<strong>ch</strong>lagene dur<strong>ch</strong> Freilassung los zu ma<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> das Jahr des Herrn auszurufen, das ihm wohlgefällig ist (Jesaja 61,1.2).<br />

Jesus nahm wie früher am sabbatli<strong>ch</strong>en Gottesdienst der Gemeinde teil. Der<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt aus dem Gesetz war verlesen, <strong>und</strong> es folgte <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Sitte no<strong>ch</strong> die<br />

Vorlesung eines Stücks aus den Propheten. Um die S<strong>ch</strong>riftabs<strong>ch</strong>nitte vorzulesen,<br />

durfte jedes Glied der Gemeinde, das dazu fähig war, vor die Versammlung<br />

treten; daher benutzte Jesus diese Gelegenheit, ihr das göttli<strong>ch</strong>e Wort<br />

ni<strong>ch</strong>t nur zu lesen, sondern ihr au<strong>ch</strong> seine Erfüllung in dem zu zeigen, was<br />

Gott ihm selbst gegeben hat. Er trat vor die Gemeinde, empfing vom Gemeindediener<br />

das Bu<strong>ch</strong> Jesaja <strong>und</strong> las ihr nun — ob die Ordnung der Bibelabs<strong>ch</strong>nitte<br />

es so mit si<strong>ch</strong> bra<strong>ch</strong>te oder ob Jesus die Stelle selbst wählte, wissen<br />

wir ni<strong>ch</strong>t — Jesaja 61,1.2, jene Worte, die wie kaum ein zweiter Vers im Alten<br />

Testament die gnädige Hilfe <strong>und</strong> das erlösende Erbarmen bes<strong>ch</strong>reiben, das<br />

der dur<strong>ch</strong> Gottes Geist Gesalbte Israel bringen wird, so daß Jesus in ihnen die<br />

volle Bes<strong>ch</strong>reibung seines <strong>Die</strong>nstes erkennen konnte, wie er ihn jetzt glei<strong>ch</strong> auf<br />

Erden au<strong>ch</strong> in seiner Niedrigkeit zu üben vermag.<br />

4,20: Und als er das Bu<strong>ch</strong> zusammengerollt <strong>und</strong> dem <strong>Die</strong>ner zurückgegeben<br />

hatte, setzte er si<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> die Augen aller in der Versammlung sahen auf ihn.<br />

Dadur<strong>ch</strong>, daß er si<strong>ch</strong> setzte, ma<strong>ch</strong>te er si<strong>ch</strong>tbar, daß er lehrend etwas zum<br />

S<strong>ch</strong>riftwort hinzufügen wollte, <strong>und</strong> nun tat er dieser S<strong>ch</strong>ar, in der ihn jedermann<br />

von Kindheit an kannte, seine himmlis<strong>ch</strong>e Sendung k<strong>und</strong>. Ni<strong>ch</strong>t mit dem<br />

Büß wort trat er vor sie, das ihnen die Bosheit vorhielt, sondern mit der Verheißung,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> deren Erfüllung si<strong>ch</strong> alle sehnten, <strong>und</strong> bezeugte ihnen, daß die<br />

ganze Gnade Gottes, von der die S<strong>ch</strong>rift redete, dur<strong>ch</strong> ihn bei ihnen sei. 4,21 :<br />

Er begann aber ihnen zu sagen: Heute ist dieser Spru<strong>ch</strong> zur Erfüllung gekommen<br />

vor euren Ohren. Denn sie hörten es jetzt, wie er den Armen die gute Bots<strong>ch</strong>aft<br />

ansagte, den Gefangenen die Entlassung verkündigte <strong>und</strong> das dem<br />

Herrn wohlgefällige Jahr ausrief. Das Amt, Bote der erlösenden Gnade zu<br />

sein, wie es der Prophet ihm zuwies, übte er jetzt vor ihnen aus, <strong>und</strong> sie hörten<br />

zu <strong>und</strong> erlebten, was ihnen verheißen war.<br />

4,22: Und sie gaben alle für ihn Zeugnis <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>erten sido über die<br />

Worte der Gnade, die aus seinem M<strong>und</strong> kamen, <strong>und</strong> sie sagten: Ist dieser ni<strong>ch</strong>t<br />

Josephs Sohn? Alle waren einstimmig in dem Lob; keiner wußte seinen Wandel<br />

zu s<strong>ch</strong>elten, <strong>und</strong> sie empfanden, daß ihm Gottes Gnade sein Wort gab, mit<br />

dem er sie ihnen herrli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> kräftig anzubieten vermo<strong>ch</strong>te. Aber nun kam die<br />

Frage: Woher hatte er das? <strong>und</strong> ihr Blick ging auf die bes<strong>ch</strong>eidene Stellung<br />

seines Vaters <strong>und</strong> auf die Zugehörigkeit seiner Familie zu ihrer Gemeinde <strong>und</strong><br />

auf seine ihnen wohlbekannte Gestalt, die si<strong>ch</strong> von jeher unter ihnen als einer


<strong>Lukas</strong> 4,20—27 173<br />

von ihnen bewegt hatte, <strong>und</strong> daran fiel ihr Glaube hin. "Was er sagte, blieb<br />

wirkungslos; denn es war ja Josephs Sohn, der es ihnen sagte.<br />

Sie wissen ihm freili<strong>ch</strong> guten Rat, wie er ihnen Glauben beibringen <strong>und</strong><br />

ihren Zweifel nieders<strong>ch</strong>lagen könnte. Von Kapernaum her kamen die großen<br />

Beri<strong>ch</strong>te; dort hatte er "W<strong>und</strong>erbares getan. 4,23 : Und er sagte zu ihnen: Si<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong><br />

werdet ihr mir dieses Spri<strong>ch</strong>wort sagen: Arzt, heile di<strong>ch</strong> selbst! Tue au<strong>ch</strong><br />

hier in deiner Vaterstadt das, wovon wir gehört haben, daß es in Kapernaum<br />

ges<strong>ch</strong>ehen ist. Daß er ähnli<strong>ch</strong>es au<strong>ch</strong> hier tue, s<strong>ch</strong>eint ihnen besonders nötig, je<br />

unwilliger sie waren, si<strong>ch</strong> vor seiner Sendung zu beugen <strong>und</strong> Gottes Auftrag<br />

anzuerkennen, dur<strong>ch</strong> den er spri<strong>ch</strong>t. Ist der Arzt ni<strong>ch</strong>t ein Tor, der si<strong>ch</strong> selbst<br />

ni<strong>ch</strong>t zu helfen vermag <strong>und</strong> seine Kunst nur für andere besitzt? Wird ni<strong>ch</strong>t mit<br />

Re<strong>ch</strong>t Argwohn gegen sie wa<strong>ch</strong>, wenn sie bei ihm selbst versagt? Aber das ist<br />

ein Rat, auf den si<strong>ch</strong> Jesus ni<strong>ch</strong>t einläßt. Darüber hat er s<strong>ch</strong>on mit dem Teufel<br />

gerungen, ob er Gottes Ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> selbst zum Nutzen anrufen dürfe. Hat er<br />

dort die Versu<strong>ch</strong>ung überw<strong>und</strong>en, so bewegen ihn au<strong>ch</strong> die Zumutungen der<br />

Nazarener ni<strong>ch</strong>t.<br />

So wurde die Kluft zwis<strong>ch</strong>en ihm <strong>und</strong> ihnen immer größer <strong>und</strong> der Kampf<br />

s<strong>ch</strong>ärfer. Daß er seiner Vaterstadt das Zei<strong>ch</strong>en versagt, die do<strong>ch</strong> das erste Anre<strong>ch</strong>t<br />

an ihn habe, erbittert sie. 4,24: Er sagte aber: Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>:<br />

Kein Prophet wird in seiner Vaterstadt aufgenommen. <strong>Die</strong> Heimat war immer<br />

diejenige Gemeinde, die den Propheten besonders widerstand, weil sie si<strong>ch</strong> nie<br />

vor dem beugen mo<strong>ch</strong>te, den Gott aus ihrer eigenen Mitte herausholte <strong>und</strong><br />

nun mit seinem Wort ihnen zum Führer gab. Das bringt aber den, der der<br />

göttli<strong>ch</strong>en Sendung gewiß ist, ni<strong>ch</strong>t ins S<strong>ch</strong>wanken. 4,25—27: I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong><br />

aber <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Wahrheit: Es gab viele Witwen in den Tagen des Elia in Israel,<br />

als der Himmel für drei Jahre <strong>und</strong> se<strong>ch</strong>s Monate vers<strong>ch</strong>lossen wurde, da eine<br />

große Hungersnot über die ganze Erde kam, <strong>und</strong> zu keiner von ihnen wurde<br />

Elia ges<strong>ch</strong>ickt, sondern <strong>na<strong>ch</strong></strong> Sarepta im Gebiet von Sidon zu einer Frau, die<br />

Witwe war. Und es gab viele Aussätzige in Israel zur Zeit des Propheten<br />

Elisa, <strong>und</strong> keiner von ihnen wurde gereinigt, sondern Naeman, der Syrer. Jesus<br />

ist vom Urteil der Mens<strong>ch</strong>en unabhängig, darum au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Unglauben<br />

seiner Heimat ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>üttert. Er sah auf das, was die S<strong>ch</strong>rift von den alten<br />

Boten Gottes beri<strong>ch</strong>tete. <strong>Die</strong> Witwe, der Elia bei der großen Hungersnot die<br />

Hilfe bra<strong>ch</strong>te, war eine Sidonierin, <strong>und</strong> der Aussätzige, der bei Elisa Heilung<br />

fand, ein Syrer. <strong>Die</strong> Heilszeit ist angebro<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> an sol<strong>ch</strong>en, die ihre Gnade<br />

empfangen, wird es ni<strong>ch</strong>t fehlen. Will Nazareth sie ni<strong>ch</strong>t, so werden sie andere<br />

empfangen; will sie Israel ni<strong>ch</strong>t, so holt Gott si<strong>ch</strong> die Seinen anderswo.<br />

Wie der Täufer dem zuversi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Israel sagte: Au<strong>ch</strong> aus Steinen kann si<strong>ch</strong>


174 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

Gott Kinder Abrahams erwecken, ebenso stark <strong>und</strong> groß steht Jesus vor den<br />

Genossen seiner Jugend <strong>und</strong> der S<strong>ch</strong>ar seiner Bekannten: Seid ihr ni<strong>ch</strong>t die<br />

Armen, denen die gute Bots<strong>ch</strong>aft gehört, so sind es andere; seid ihr ni<strong>ch</strong>t die<br />

Gefangenen, denen mein Wort den Kerker aufs<strong>ch</strong>ließen darf, so wird anderen<br />

die Befreiung zuteil; habt ihr keinen Anteil am Heilsjahr Gottes, so bri<strong>ch</strong>t es<br />

für andere an. Damit war die Gewißheit ausgespro<strong>ch</strong>en, die bei allem Ansturm<br />

der Bosheit <strong>und</strong> unter der s<strong>ch</strong>weren Last des Kreuzes aus dem "Werk Jesu die<br />

<strong>Offenbarung</strong> der Gnade <strong>und</strong> aus seinem "Wort die frohe Bots<strong>ch</strong>aft ma<strong>ch</strong>t.<br />

Aus den Worten der Gnade wurde so für die Nazarener eine bittere Rede,<br />

gegen die sie si<strong>ch</strong> zornig wehrten. 4,28—30: Und sie wurden alle in der Versammlung<br />

voll Zorn, als sie dies hörten, standen auf, stießen ihn zur Stadt hinaus<br />

<strong>und</strong> führten ihn bis an den Rand des Bergs, auf dem ihre Stadt erbaut war,<br />

um ihn hinabzustürzen. Aber er ging mitten dur<strong>ch</strong> sie dur<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ging weg.<br />

Verkündigte er die Heilszeit, aber ni<strong>ch</strong>t für sie, pries er sein Heilandsamt,<br />

aber für andere, die Gott in der Ferne holen werde, so war er zweifellos ein<br />

fals<strong>ch</strong>er Prophet, weil nur ein sol<strong>ch</strong>er Israel s<strong>ch</strong>mähen kann. <strong>Die</strong> Geri<strong>ch</strong>tsverwaltung<br />

war aber in der jüdis<strong>ch</strong>en Gemeinde gegen die, die ihr als Verführer<br />

ers<strong>ch</strong>ienen, ras<strong>ch</strong> <strong>und</strong> hart. Wer an der S<strong>ch</strong>rift mit eitler Anmaßung frevelt<br />

<strong>und</strong> si<strong>ch</strong> eine göttli<strong>ch</strong>e Sendung beimißt, die ihm ni<strong>ch</strong>t gebührt, muß sterben.<br />

Sie rissen ihn also aus der S<strong>ch</strong>ule heraus <strong>und</strong> wollten ihn über den Abhang des<br />

Berges hinunterstürzen, auf dem Nazareth damals lag. Aber Gottes S<strong>ch</strong>utz<br />

war über ihm, <strong>und</strong> er ging unversehrt weg aus dieser tobenden S<strong>ch</strong>ar.<br />

So vereinigt diese Erzählung bereits alles, was Jesus bei seiner Arbeit in<br />

Galiläa widerfahren wird. Wie er Gottes Gnadentat verkündigt <strong>und</strong> Israel<br />

sie anbietet, wie si<strong>ch</strong> dieses an seiner mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Art <strong>und</strong> Herkunft ärgert<br />

<strong>und</strong> das Zei<strong>ch</strong>en von ihm fordert, aber ni<strong>ch</strong>t erhält, wie Jesus uners<strong>ch</strong>üttert<br />

stürzen läßt, was stürzen will, gewiß bleibt, daß Gott ihn do<strong>ch</strong> zu seinem<br />

Werke brau<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> über Israel hinaus in die Ferne s<strong>ch</strong>aut auf die, die Gott<br />

herzurufen wird, wie er sein Leben ni<strong>ch</strong>t liebhat, aber in Gottes Hand geborgen<br />

bleibt, das alles steht bereits in dieser Erzählung so deutli<strong>ch</strong> beisammen,<br />

daß wir wohl verstehen, warum <strong>Lukas</strong> mit ihr seinen Beri<strong>ch</strong>t über Jesu Werk<br />

in Galiläa begonnen hat.<br />

Freili<strong>ch</strong> war dieser Vorfall ni<strong>ch</strong>t das erste, was si<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Heimkehr<br />

Jesu zugetragen hat; denn es ist dabei bereits auf die Wirksamkeit Jesu in<br />

Kapernaum hingezeigt, über die man in Nazareth Beri<strong>ch</strong>t hatte. Do<strong>ch</strong> steht<br />

Jesu Arbeit deutli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> in ihren Anfängen: seine Predigt war den Leuten<br />

von Nazareth neu; sie sind überras<strong>ch</strong>t, daß er si<strong>ch</strong> ihnen als den Bringer der<br />

Heilszeit anbietet. Au<strong>ch</strong> zog er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als der Wohltäter der Kranken dur<strong>ch</strong>


<strong>Lukas</strong> 4,28—44 17 J<br />

das ganze Land; nur Kapernaum ers<strong>ch</strong>eint als der bevorzugte Ort, dem er<br />

seine großen Taten gönne. "Wie si<strong>ch</strong> diese Erzählung zum Beri<strong>ch</strong>t des Matthäus<br />

über Jesu Besu<strong>ch</strong> in Nazareth, 13,54 f., verhält, ist ni<strong>ch</strong>t festzustellen. Viellei<strong>ch</strong>t<br />

beziehen si<strong>ch</strong> beide Beri<strong>ch</strong>te auf dasselbe Ereignis; viellei<strong>ch</strong>t hat si<strong>ch</strong><br />

Jesus au<strong>ch</strong> später no<strong>ch</strong> um die Nazarener bemüht <strong>und</strong> ihnen das Evangelium<br />

no<strong>ch</strong>mals <strong>und</strong> wieder vergebli<strong>ch</strong> gebra<strong>ch</strong>t. Au<strong>ch</strong> die Erzählung des Johannes<br />

ist zu bea<strong>ch</strong>ten: Jesus, sagt er, sei <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Heimkehr vom Jordan <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Kapernaum, dann zum Pas<strong>ch</strong>a <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem gezogen; <strong>na<strong>ch</strong></strong> einem Auf enthalt<br />

in Judäa kam er wieder <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kana, also wieder in die Gegend von Nazareth.<br />

Hier hören wir von einem Aufenthalt Jesu in dieser Gegend, der den Anfang<br />

seines "Werks in Galiläa bildet <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on eine Wirksamkeit in Kapernaum<br />

vor si<strong>ch</strong> hat. Viellei<strong>ch</strong>t gehört dieser Kampf Jesu mit den Männern yon<br />

Nazareth in diese Zeit des zweiten Anfangs in Galiläa hinein.<br />

Der Sabbat in Kapernaum<br />

(Na<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> 1,21—39)<br />

Von Nazareth wendete si<strong>ch</strong> Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum <strong>und</strong> findet dort Eingang.<br />

4,31—44: Und er ging <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum, einer Stadt Galiläas, hinab.<br />

Und er lehrte sie am Sabbat, <strong>und</strong> sie erstaunten wegen seiner Lehre, weil sein<br />

Wort mit Vollma<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ah. Und in der Versammlung war ein Mens<strong>ch</strong> mit<br />

dem Geist eines unreinen Dämon, <strong>und</strong> er s<strong>ch</strong>rie auf mit lauter Stimme: A<strong>ch</strong>,<br />

was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazareth? Du kamst, um uns zu verderben.<br />

I<strong>ch</strong> kenne di<strong>ch</strong>, wer du bist, der Heilige Gottes. Und Jesus s<strong>ch</strong>alt ihn<br />

<strong>und</strong> sagte: Verstumme, <strong>und</strong> gehe aus ihm fort! Und der Geist warf ihn in die<br />

Mitte <strong>und</strong> ging aus ihm fort, ohne ihm zu s<strong>ch</strong>aden. Und Verw<strong>und</strong>erung kam<br />

auf alle, <strong>und</strong> sie bespra<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> miteinander <strong>und</strong> sagten: Was ist dieses Wort?<br />

Denn mit Vollma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Kraft gebietet er den unreinen Geistern, <strong>und</strong> sie<br />

gehen fort. Und das Gerü<strong>ch</strong>t von ihm kam <strong>na<strong>ch</strong></strong> jedem Ort der Na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aft.<br />

Als er aber von der Versammlung aufstand, ging er in das Haus des Simon.<br />

Aber die S<strong>ch</strong>wiegermutter Simons war von einem s<strong>ch</strong>weren Fieber ergriffen,<br />

<strong>und</strong> sie baten ihn für sie. Und er stand zu ihr <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>alt das Fieber, <strong>und</strong> es<br />

verließ sie. Sofort aber stand sie auf <strong>und</strong> bediente sie.<br />

Als aber die Sonne unterging, führten alle, die sol<strong>ch</strong>e hatten, die an man<strong>ch</strong>erlei<br />

Krankheiten litten, sie zu ihm. Er aber legte jedem von ihnen die Hände<br />

auf <strong>und</strong> heilte sie. Es gingen aber au<strong>ch</strong> die s<strong>ch</strong>limmen Geister von vielen fort,<br />

indem sie s<strong>ch</strong>rieen <strong>und</strong> sagten: Du bist der Sohn Gottes. Und er s<strong>ch</strong>alt sie <strong>und</strong><br />

ließ sie ni<strong>ch</strong>t reden, weil sie wußten, daß er der Christus war.<br />

Als es aber Tag wurde, ging er fort <strong>und</strong> ging an einen öden Ort weg, <strong>und</strong>


iy6 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

die Menge su<strong>ch</strong>te ihn <strong>und</strong> kam zu ihm <strong>und</strong> wollte ihn festhalten, daß er ni<strong>ch</strong>t<br />

von ihnen gehe. Er aber sagte zu ihnen: Au<strong>ch</strong> anderen Städten muß i<strong>ch</strong> die<br />

gute Bots<strong>ch</strong>aft von Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft sagen; denn dazu bin i<strong>ch</strong> gesandt. Und<br />

er verkündigte in den Versammlungen Galiläas*. Beim Aufbru<strong>ch</strong> Jesu aus<br />

Kapernaum hat <strong>Markus</strong> gezeigt, daß Jesus glei<strong>ch</strong> hier seinen Jüngern zeigte,<br />

ihre Meinungen über seine Pfli<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Arbeit seien fals<strong>ch</strong>. Da <strong>Lukas</strong> erst im<br />

nä<strong>ch</strong>sten Stück von der Berufung der Jünger redet, sagt er hier nur im allgemeinen,<br />

die Leute seien Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong>gegangen <strong>und</strong> hätten ihn festzuhalten gesu<strong>ch</strong>t.<br />

Er erwog beim eiligen Aufbru<strong>ch</strong> Jesu aus der Stadt sein auf das Ganze<br />

geri<strong>ch</strong>tetes Ziel, daß er ni<strong>ch</strong>t nur für die eine Stadt, sondern für alle sorgt.<br />

In dieser Fassung spri<strong>ch</strong>t Jesu Antwort ni<strong>ch</strong>t bloß aus, weshalb er zur Überras<strong>ch</strong>ung<br />

der Jünger Kapernaum wieder verläßt, sondern was ihm Gott als<br />

Auftrag für seine Arbeit unter Israel gab, daß er dem ganzen Volk sein "Wort<br />

bringen muß.<br />

<strong>Die</strong> Berufung der ersten Jünger<br />

Wie Jesus seine vier ersten Jünger gewann, hat uns <strong>Markus</strong> vor den Ereignissen<br />

in Kapernaum erzählt. <strong>Lukas</strong> hat jenen Beri<strong>ch</strong>t übergangen <strong>und</strong> uns<br />

dafür einen anderen gegeben, der die Berufung der Jünger mit Jesu Lehren<br />

am galiläis<strong>ch</strong>en See zusammenbringt <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> voraussetzt, daß die ersten<br />

S<strong>ch</strong>ritte bereits ges<strong>ch</strong>ehen waren, dur<strong>ch</strong> die Jesus dort beim Volk den Eingang<br />

jfand. 5,1—3: Es ges<strong>ch</strong>ah aber, als das Volk ihm anhing <strong>und</strong> das Wort Gottes<br />

hörte, stand er am See Genezareth <strong>und</strong> sah zwei S<strong>ch</strong>iffe am See stehen. <strong>Die</strong><br />

Fis<strong>ch</strong>er waren aber aus ihnen ausgestiegen <strong>und</strong> wus<strong>ch</strong>en die. Netze. Er aber<br />

stieg in eines der S<strong>ch</strong>iffe, wel<strong>ch</strong>es das des Simon war, <strong>und</strong> bat ihn, ein wenig<br />

vom Lande wegzufahren. Er aber setzte si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> lehrte vom S<strong>ch</strong>iff aus das<br />

Volk. Na<strong>ch</strong>dem Jesus die Arbeit der Fis<strong>ch</strong>er unterbro<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> sie für si<strong>ch</strong><br />

gebrau<strong>ch</strong>t hat, zeigt er ihnen, daß sie in seinem <strong>Die</strong>nst wohl versorgt sind<br />

<strong>und</strong> von allen Sorgen frei werden, weil Gottes Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Gnade für sie sorgt.;<br />

5,4. 5 : Als er aber aufhörte zu reden, sagte er zu Simon: Fahre hinaus auf<br />

den See, <strong>und</strong> laßt eure Netze hinunter zum Fang! Und Simon antwortete<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Meister, wir haben die ganze Na<strong>ch</strong>t hindur<strong>ch</strong> gearbeitet <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts<br />

gefangen. Aber auf dein Wort werde i<strong>ch</strong> die Netze hinablassen. Daß Simon<br />

den rei<strong>ch</strong>en Fang Jesus verdankte, wurde ihm dadur<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> besonders eindrückli<strong>ch</strong>,<br />

daß eine mit erfolgloser Arbeit vergebli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>te Na<strong>ch</strong>t vorangegangen<br />

war. Na<strong>ch</strong> seiner Kenntnis der Verhältnisse im See hätte Simon<br />

jetzt die Netze ni<strong>ch</strong>t mehr ausgeworfen; er tat es nur auf Jesu Geheiß.<br />

* In anderen Texten steht „Judäas"; dann hat hier <strong>Lukas</strong> Judäa als den umfassenden Namen für<br />

das ganze Land gebrau<strong>ch</strong>t.


<strong>Lukas</strong> 5,1—io 177<br />

So war ihm ohne jeden Zweifel gezeigt, daß der rei<strong>ch</strong>e Fang Jesu Gabe für<br />

ihn war.; .<br />

5,6. 7: Und als sie dies taten, s<strong>ch</strong>lössen sie eine große Menge Fis<strong>ch</strong>e ein. Es<br />

rissen aber ihre Netze, <strong>und</strong> sie winkten den Genossen in dem anderen S<strong>ch</strong>iff,<br />

daß sie kämen <strong>und</strong> ihnen hülfen, <strong>und</strong> sie kamen <strong>und</strong> füllten beide S<strong>ch</strong>iffe,<br />

daß sie tief einsanken. Weil der Fang für das Netz des Petrus zu groß war,<br />

empfingen au<strong>ch</strong> Jakobus <strong>und</strong> Johannes am Zei<strong>ch</strong>en Jesu Anteil.<br />

5,8: Als es aber Simon Petrus sah, warf er si<strong>ch</strong> vor den Knien Jesu nieder<br />

<strong>und</strong> sagte: Geh von mir fort; denn i<strong>ch</strong> bin ein sündiger Mann, Herr. Hier<br />

gibt <strong>Lukas</strong> Simon zum erstenmal den Petrusnamen, weil er dur<strong>ch</strong> das, was<br />

hier ges<strong>ch</strong>ah, zum Apostel wird. Von nun an war er Jesus für immer verb<strong>und</strong>en,<br />

willig, in seinem <strong>Die</strong>nst zu stehen. Er empfand hell: Hier offenbart<br />

si<strong>ch</strong> Gottes Ma<strong>ch</strong>t; a\is_ihr_nimmt Jesus seine Gaben. Darum steht er als der<br />

HeiligeüEer ihm, während Petrus seine sündlicHe Art kennt <strong>und</strong> sie eben jetzt<br />

besonders klar erfaßt, da er Jesu Anteil an Gottes Ma<strong>ch</strong>t vor Augen hat <strong>und</strong><br />

seine Gegenwart dur<strong>ch</strong> ihn erlebt. Mit seiner Bitte zog er aus Jesu Zei<strong>ch</strong>en<br />

ni<strong>ch</strong>t einen verkehrten S<strong>ch</strong>luß, wennglei<strong>ch</strong> dies no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die ganze <strong>und</strong> einzige<br />

Fru<strong>ch</strong>t war, die es in ihm wirken wollte. Jesus hat seine Zei<strong>ch</strong>en immer au<strong>ch</strong><br />

dazu getan, damit sie die Buße erweckten <strong>und</strong> im Empfang der göttli<strong>ch</strong>en<br />

Wohltat ein wa<strong>ch</strong>es, helles GewisseiTentstehe, das uns zeigt, wie unverdient,<br />

auf unserer Seite unbegründet sjmejGnadej5u uns kommt. Für den ganzen<br />

Verkehr Jesu mit Petrus war es von großer Wi<strong>ch</strong>tigkeit, daß von Anfang an<br />

jeder Gedanke an einen Anspru<strong>ch</strong> des Petrus an Jesu Fre<strong>und</strong>s<strong>ch</strong>aft <strong>und</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

beseitigt war <strong>und</strong> er hell erkannte, daß Jesus sie ihm gab, obwohl<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihnen die S<strong>ch</strong>eidung stand, die den Reinen vom Sünder trennt.<br />

5,9.10: Denn Verw<strong>und</strong>erung ergriff ihn <strong>und</strong> alle, die bei ihm waren, wegen<br />

des Fangs der Fis<strong>ch</strong>e, den sie gefangen hatten, ebenso au<strong>ch</strong> Jakobus <strong>und</strong> Johannes,<br />

die Söhne des Zebedäus, die Simons Genossen waren. Und Jesus sagte<br />

zu Simon: Für<strong>ch</strong>te di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t! Von jetzt an wirst du Mens<strong>ch</strong>en fangen. Jesus<br />

ging ni<strong>ch</strong>t fort, wie Petrus bat, sondern zog ihn bleibend zu si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ließ ihn<br />

dadur<strong>ch</strong> erleben, daß er die Sünde bedeckt <strong>und</strong> vergibt. Nun erst sah Petrus<br />

Jesu ganze Heiligkeit, ni<strong>ch</strong>t mehr so, wie er sie zuerst unter dem Antrieb<br />

des verklagenden Gewissens sah, wie sie den Sünder von si<strong>ch</strong> treibt, sondern<br />

so, wie sie si<strong>ch</strong> in der Gnade vollendet <strong>und</strong> darin ihr Wesen hat, daß sie den<br />

Sünder zu si<strong>ch</strong> zieht. Seine ganze Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Jesus war <strong>und</strong> blieb nun<br />

auf sein Vergeben begründet, <strong>und</strong> in jeder Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit Jesu erlebte er dieses<br />

neu. Jesus verhieß ihm eine neue, höhere Gabe als die, die sein Zei<strong>ch</strong>en ihm<br />

soeben gewährt hatte, wodurdi au<strong>ch</strong> dieses eine vertiefte Bedeutung empfängt,


17^ Jesu Arbeit in Galiläa<br />

da es au<strong>ch</strong> der neuen Verheißung zur Verbürgung <strong>und</strong> Versieglung dient. Bisher<br />

fing er Fis<strong>ch</strong>e; von nun an wird er Mens<strong>ch</strong>en fangen. Denn er wird Jesus<br />

bei seiner Arbeit helfen, Mens<strong>ch</strong>en zu sammeln, die sein eigen sind, denen dadur<strong>ch</strong>,<br />

daß er sie an si<strong>ch</strong> bindet, die hö<strong>ch</strong>ste Wohltat widerfährt. Seiner neuen,<br />

auf die Mens<strong>ch</strong>en geri<strong>ch</strong>teten Arbeit verheißt das Zei<strong>ch</strong>en, das er soeben empfing,<br />

den rei<strong>ch</strong>en Ertrag. Um den kleinen Lohn, den seine Arbeit bisher su<strong>ch</strong>te,<br />

hat er si<strong>ch</strong> oft vergebens bemüht; was er aber in Jesu Auftrag tun wird, darauf<br />

liegt Gottes großer Segen. 5,11: Und als sie die S<strong>ch</strong>iffe an das Land gebra<strong>ch</strong>t<br />

hatten, verließen sie alles <strong>und</strong> folgten ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>.<br />

S<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> haben wir zwis<strong>ch</strong>en der Erzählung des Matthäus über die Berufung<br />

dieser Jünger <strong>und</strong> dem, was uns <strong>Lukas</strong> hier erzählt, eine Wahl zu<br />

treffen, als könnte nur der eine oder andere Vorfall für den Ans<strong>ch</strong>luß der<br />

Jünger an Jesus wi<strong>ch</strong>tig geworden sein. In ihrem Rückblick auf die Tage, in<br />

denen sie Jesus kennenlernten <strong>und</strong> zu ihm hinzutraten, hoben si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t mehrere<br />

Begegnungen als so bedeutsam <strong>und</strong> ents<strong>ch</strong>eidend heraus, daß si<strong>ch</strong> mit<br />

Re<strong>ch</strong>t die Wendung ihres Lebens zu Jesus hin auf sie zurückleiten ließ. Das<br />

eine Mal geht Jesus an ihnen vorbei, wie sie am See bei der Arbeit sind, <strong>und</strong><br />

ruft sie von ihr weg. Mit dur<strong>ch</strong>dringendem Ernst verlangt sein Ruf Gehorsam;<br />

wenn sie ihm jetzt ni<strong>ch</strong>t folgen, ist ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Jesus gebro<strong>ch</strong>en;<br />

denn er nimmt die ni<strong>ch</strong>t zu si<strong>ch</strong>, die er vergebens ruft, denen Netz <strong>und</strong> Fis<strong>ch</strong>fang<br />

teurer sind als er. Das andere Mal wendet er ihnen Gottes rei<strong>ch</strong>e Gabe<br />

zu <strong>und</strong> stellt sie in die Gewißheit, daß sie si<strong>ch</strong> mit ihrem ganzen Leben getrost<br />

ihm übergeben dürfen, weil ihnen unter seiner Leitung ni<strong>ch</strong>ts mangeln<br />

wird <strong>und</strong> ihre Arbeit in seinem <strong>Die</strong>nst eine rei<strong>ch</strong>e Segensfülle s<strong>ch</strong>afft. Es entspri<strong>ch</strong>t<br />

dem tiefen Bußernst, der dur<strong>ch</strong> das ganze Evangelium des Matthäus<br />

geht, daß er jene St<strong>und</strong>e als die ents<strong>ch</strong>eidende hervorgehoben hat, in der Jesu<br />

Befehl die Jünger traf <strong>und</strong> sie ents<strong>ch</strong>lossen alles beiseite warfen, um ihm<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>zugehen. Das s<strong>ch</strong>ließt aber ni<strong>ch</strong>t aus, daß er sie au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> zu si<strong>ch</strong><br />

gezogen hat, daß er ihnen seine Güte offenbarte, wie es uns <strong>Lukas</strong> erzählt*.<br />

<strong>Die</strong> Arbeit Jesu in Kapernaum<br />

(Aus <strong>Markus</strong> 1,40—3,19)<br />

Am Aussätzigen tat Jesus k<strong>und</strong>, wie er die mit reinem <strong>und</strong> gewissem Glauben<br />

an ihn gestellte Bitte erhört. 5,12—16: Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er in einer der<br />

Städte war, sieh! da war ein Mann voll von Aussatz. Als er aber Jesus sah,<br />

• Johannes hat einen ähnli<strong>ch</strong>en rei<strong>ch</strong>en Fang bei der Zusammenkunft des Auferstandenen mit den<br />

Jüngern am galiläis<strong>ch</strong>en See erzählt, Kapitel 21. Nun ist mehrfa<strong>ch</strong> wahrzunehmen <strong>und</strong> war au<strong>ch</strong> unvermeid»<br />

lieh, daß bei der Erzählung der Taten Jesu in der Kir<strong>ch</strong>e die eine der anderen si<strong>ch</strong> näherte. Das ergibt aber<br />

no<strong>ch</strong> keinen Gr<strong>und</strong>, beide zu vermengen <strong>und</strong> die eine Erzählung um der anderen willen zu strei<strong>ch</strong>en.


<strong>Lukas</strong> 5tii—26 179<br />

fiel er auf sein Gesi<strong>ch</strong>t, bat ihn <strong>und</strong> sagte: Herr, wenn du willst, kannst du<br />

mi<strong>ch</strong> reinigen. Und er streckte die Hand aus, rührte ihn an <strong>und</strong> sagte: I<strong>ch</strong><br />

will es; werde rein! Und gleido ging der Aussatz von ihm weg, <strong>und</strong> er befahl<br />

ihm, es niemand zu sagen, sondern geh fort, <strong>und</strong> zeige di<strong>ch</strong> dem Priester, <strong>und</strong><br />

bringe für deine Reinigung das Opfer, wie es Mose befohlen hat, zum Zeugnis<br />

für sie. Um so mehr breitete si<strong>ch</strong> aber das Wort von ihm aus, <strong>und</strong> große<br />

S<strong>ch</strong>aren kamen zusammen, um zu hören <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> von ihren Krankheiten heilen<br />

zu lassen. Er aber zog si<strong>ch</strong> an die öden Orte zurück <strong>und</strong> betete. <strong>Die</strong> Erinnerung<br />

an Jesu Gebet ist bei <strong>Lukas</strong> neu. Jesus ging ni<strong>ch</strong>t nur deshalb weg, um seinen<br />

wa<strong>ch</strong>senden Ruhm zu mindern <strong>und</strong> den Jubel des Volks über seine Heilungen<br />

zu dämpfen, sondern au<strong>ch</strong> deshalb, weil ihm das Gebet ein Hauptstück seines<br />

Lebens <strong>und</strong> ein wesentli<strong>ch</strong>er Bestandteil seines Amtes war. Obwohl er seinen<br />

Verkehr mit den Mens<strong>ch</strong>en aufs hö<strong>ch</strong>ste heiligte dur<strong>ch</strong> die Ausri<strong>ch</strong>tung seines<br />

Lehramts <strong>und</strong> im <strong>Die</strong>nste seines mä<strong>ch</strong>tigen Erbarmens, ertrug er ihn do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

ununterbro<strong>ch</strong>en, sondern ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> vom steten Anlauf der Mens<strong>ch</strong>en immer<br />

wieder frei <strong>und</strong> vers<strong>ch</strong>affte si<strong>ch</strong> Stille, weil er ni<strong>ch</strong>t für die Mens<strong>ch</strong>en lebt,<br />

sondern zuerst im anhaltenden Gebet dem Vater seinen inwendigen <strong>Die</strong>nst<br />

darbringt.<br />

Darauf folgen die fünf von <strong>Markus</strong> zusammengestellten Erzählungen über<br />

den Widerspru<strong>ch</strong> der Pharisäer gegen Jesu Gnade <strong>und</strong> Freiheit. 5,17a: Und es<br />

ges<strong>ch</strong>ah an einem Tage, da lehrte er, <strong>und</strong> Pharisäer <strong>und</strong> Lehrer des Gesetzes<br />

saßen da, die aus jedem Dorf e Galiläas <strong>und</strong> Judäas <strong>und</strong> aus Jerusalem gekommen<br />

waren. Es zogen ihm die theologis<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ulten Männer <strong>und</strong> die Glieder<br />

der pharisäis<strong>ch</strong>en Genossens<strong>ch</strong>aft aus dem ganzen Lande zu, so daß ihn je<br />

<strong>und</strong> je größere Versammlungen von Lehrern <strong>und</strong> Frommen umgaben. "Weil<br />

ihnen der <strong>Die</strong>nst Gottes ein besonderes Anliegen war, hatten sie au<strong>ch</strong> an Jesus<br />

ein besonderes Interesse, <strong>und</strong> sie wüns<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> über ihn ein eigenes Urteil zu<br />

vers<strong>ch</strong>affen, wie sie si<strong>ch</strong> zu ihm zu stellen hätten. Man<strong>ch</strong>es war ihnen an Jesus<br />

im Anfang seiner Wirksamkeit merkwürdig <strong>und</strong> lehrrei<strong>ch</strong>, bis der S<strong>ch</strong>eideweg<br />

kam, der ihn ans Kreuz <strong>und</strong> sie in ihren Gesetzesdienst zurückbra<strong>ch</strong>te. Was<br />

sie bei ihm fanden, war dies, 5,17b: Und die Ma<strong>ch</strong>t des Herrn war da, so<br />

daß er sie heilte. Den Gott, der große Dinge tut <strong>und</strong> seine Ma<strong>ch</strong>t in herrli<strong>ch</strong>er<br />

Erweisung offenbart, fanden sie bei ihm. Das gab den Heilungen Jesu ihre<br />

inwendige Tiefe <strong>und</strong> Wi<strong>ch</strong>tigkeit, daß er sie offenk<strong>und</strong>ig aus der Ma<strong>ch</strong>t Gottes<br />

nahm. Für diese fehlte ihnen das Auge ni<strong>ch</strong>t; als er aber aus der Gnade<br />

Gottes dem Gi<strong>ch</strong>tbrü<strong>ch</strong>igen die Sünden verzieh, da erregten sie si<strong>ch</strong> gegen ihn<br />

<strong>und</strong> erhoben den Streit.<br />

5,18—26: Und sieh! Männer bringen auf einem Bett einen Mens<strong>ch</strong>en, der


18o " Jesu Arbeit in Galiläa<br />

gelähmt war, <strong>und</strong> wollten ihn hineinbringen <strong>und</strong> vor ihn legen. Und da sie<br />

des Volkes wegen ni<strong>ch</strong>t fanden, wie sie ihn hineinbringen könnten, stiegen sie<br />

auf das Da<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ließen ihn dur<strong>ch</strong> die Ziegel mit dem Bett hinunter in die<br />

Mitte vor Jesus. Und da er ihren Glauben sah, sagte er: Mens<strong>ch</strong>, deine Sünden<br />

sind dir vergeben. Und die S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> Pharisäer begannen zu erwägen<br />

<strong>und</strong> zu sagen: Wer ist dieser, der Lästerungen redet? Wer kann Sünden<br />

vergeben außer einzig Gott? Aber Jesus erkannte ihre Gedanken,- antwortete<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Was denkt ihr in euren Herzen? Was ist lei<strong>ch</strong>ter, zu<br />

sagen: Deine Sünden sind dir vergeben, oder zu sagen: Steh auf <strong>und</strong> geh?<br />

Damit ihr aber wißt, daß der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en Vollma<strong>ch</strong>t hat, auf der Erde<br />

Sünden zu vergeben, sagte er zu dem Gelähmten: I<strong>ch</strong> sage dir, stehe auf, <strong>und</strong><br />

nimm dein Bett, <strong>und</strong> gehe in dein Haus! Und sofort stand er vor ihnen auf,<br />

nahm das auf, worauf er lag, <strong>und</strong> ging Gott preisend weg in sein Haus. Und<br />

Verw<strong>und</strong>erung erfaßte alle, <strong>und</strong> sie ^priesen Gott, wurden voller Fur<strong>ch</strong>t <strong>und</strong><br />

sagten: Heute sahen wir W<strong>und</strong>erbares. <strong>Lukas</strong> sagt vom Geheilten, er habe<br />

Gott gepriesen. Auf diese Fru<strong>ch</strong>t der Taten Jesu zeigt er je <strong>und</strong> je hin. In dem,<br />

dem Jesus Gottes volle Güte <strong>na<strong>ch</strong></strong> Seele <strong>und</strong> Leib gebra<strong>ch</strong>t hatte, hat er dankbares<br />

Lob Gottes erweckt <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> seine Widersa<strong>ch</strong>er bes<strong>ch</strong>ämt, die<br />

ihm Entehrung Gottes vorwarfen. <strong>Die</strong>, denen er half, lernten Gott preisen,<br />

ni<strong>ch</strong>t lästern, so preisen, wie sie es vorher no<strong>ch</strong> nie getan hatten.<br />

5,27—29: Und her<strong>na<strong>ch</strong></strong> ging er hinaus <strong>und</strong> sah einen Zöllner mit Namen<br />

Levi an der Zollstätte sitzen <strong>und</strong> sagte zu ihm: Folge mir! <strong>und</strong> er verließ alles,<br />

stand auf <strong>und</strong> folgte ihm. Und Levi ma<strong>ch</strong>te ihm in seinem Haus ein großes<br />

Mahl, <strong>und</strong> eine große S<strong>ch</strong>ar von Zöllnern <strong>und</strong> anderen war da, die mit ihnen<br />

am Tis<strong>ch</strong>e lagen. "Wie es <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Berufung des Zöllners zu jener Mahlzeit<br />

kam, bei der Jesus mit einer großen S<strong>ch</strong>ar von sol<strong>ch</strong>en, auf denen die S<strong>ch</strong>ande<br />

öffentli<strong>ch</strong>er Sünde lag, zusammen aß, das hat si<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong> anders geda<strong>ch</strong>t als die<br />

beiden früheren Evangelisten. Na<strong>ch</strong> ihrem Beri<strong>ch</strong>t war es Jesu Tis<strong>ch</strong>, an dem<br />

wir dièse S<strong>ch</strong>ar mit ihm vereinigt finden. Zu ihm kamen sie in sein Haus, <strong>und</strong><br />

er teilte mit ihnen au<strong>ch</strong> sein Mahl. <strong>Lukas</strong> nimmt an, diese Zusammenkunft habe<br />

im Hause Levis stattgef<strong>und</strong>en, weil er ein Gastmahl veranstaltete, an dem<br />

ni<strong>ch</strong>t nur Jesus <strong>und</strong> die Jünger, sondern au<strong>ch</strong> viele seiner alten Genossen teilnahmen.<br />

Damit hat er Jesus ni<strong>ch</strong>ts zuges<strong>ch</strong>rieben, was ihm des Gewissens<br />

wegen unmögli<strong>ch</strong> gewesen wäre. Au<strong>ch</strong> in Jeri<strong>ch</strong>o war er der Gast des Zöllners,<br />

<strong>und</strong> in Kapernaum hat er Levis Haus so wenig gemieden als das des Petrus.<br />

Wir haben in diesem <strong>und</strong> jenem Beri<strong>ch</strong>t Jesu Weise vor uns.<br />

5,30—32: Und die Pharisäer <strong>und</strong> ihre S<strong>ch</strong>riftgelehrten murrten <strong>und</strong> sagten<br />

zu seinen Jüngern: Warum eßt <strong>und</strong> trinkt ihr mit den Zöllnern <strong>und</strong> Sündern?


<strong>Lukas</strong> 5,27—33<br />

Und Jesus antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihnen: <strong>Die</strong> Ges<strong>und</strong>en haben den Arzt<br />

ni<strong>ch</strong>t nötig, sondern die, denen es s<strong>ch</strong>limm geht. I<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t gekommen, um<br />

Gere<strong>ch</strong>te zu rufen, sondern Sünder zur Buße. Dem Urteil Jesu, dur<strong>ch</strong> das Jesus<br />

die Gere<strong>ch</strong>ten, die ihn von den Sündern s<strong>ch</strong>eiden wollten, traf, gibt <strong>Lukas</strong> eine<br />

Erläuterung bei: Jesu Auftrag <strong>und</strong> Werk sei, die Sünder „zur Buße" zu berufen.<br />

Er fügt dies hinzu, weil Jesu Wort gegen die Gere<strong>ch</strong>ten, wie jede Bezeugung<br />

der Gnade <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Freiheit <strong>und</strong> Vollma<strong>ch</strong>t, mißbrau<strong>ch</strong>t werden<br />

kann, wenn si<strong>ch</strong> unser s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Wille ihrer bemä<strong>ch</strong>tigt <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> mit ihr ents<strong>ch</strong>uldigen<br />

will. Darum heißt uns <strong>Lukas</strong> bedenken, daß Jesu Ruf an die<br />

Sünder im reinen Sinne ergeht, ni<strong>ch</strong>t um sie im Bösen zu stärken, sondern um<br />

sie aus ihm herauszuziehen. Er lädt sie ni<strong>ch</strong>t anders in seine Gemeins<strong>ch</strong>aft als<br />

so, daß sie ihre Bosheit hassen <strong>und</strong> dem göttli<strong>ch</strong>en Wort gehorsam werden.<br />

Wie er si<strong>ch</strong> gegen dit Gere<strong>ch</strong>ten, als den Heiligen, bewährt dadur<strong>ch</strong>, daß er ihre<br />

harte, selbstgefällige Gere<strong>ch</strong>tigkeit zerbri<strong>ch</strong>t, so steht er ni<strong>ch</strong>t minder vor<br />

den Sündern als der Heilige dadur<strong>ch</strong>, daß er sie über ihre Sünde zur Reue<br />

bringt <strong>und</strong> zur Umkehr führt. Damit ist uns Jesu Wort völlig ri<strong>ch</strong>tig ausgelegt;<br />

nur ist es mit dieser Erläuterung ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>öpft, sondern nur <strong>na<strong>ch</strong></strong> einer<br />

Ri<strong>ch</strong>tung hin, zur Abwehr des Bösen, benützt. <strong>Die</strong> Buße ist ni<strong>ch</strong>t das einzige,<br />

wozu Jesus die Sünder beruft; er ruft sie au<strong>ch</strong> zum Rei<strong>ch</strong>, zu Gott herzu, zu<br />

si<strong>ch</strong> in seine Gemeins<strong>ch</strong>aft, in seine Liebe <strong>und</strong> Vergebung, in das ewige Leben.<br />

Zu all dem beruft er die Gere<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t. Niemals finden wir anders den Zugang<br />

zu Jesu Gaben als dur<strong>ch</strong> die Buße hindur<strong>ch</strong>; sie ist aber nie allein Jesu<br />

Ziel; nie hält er unseren Blick allein bei unserer S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong> Verdammli<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>und</strong> bei unserer Pfli<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Gehorsamsübung fest. Sein Ruf ist die gute Bots<strong>ch</strong>aft,<br />

Gottes gnadenrei<strong>ch</strong>es Wort. Daß er dieses den Sündern bringen darf,<br />

war Jesu Freude; daß er es den Gere<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t zu bringen hat, zers<strong>ch</strong>lug wie<br />

ein Blitz Israels ganzen Ruhm.<br />

5,33: Sie aber sagten zu ihm: <strong>Die</strong> Jünger des Johannes fasten oft <strong>und</strong> halten<br />

Gebete, ebenso au<strong>ch</strong> die der Pharisäer; aber die deinigen essen <strong>und</strong> trinken.<br />

Zum Anstoß an Jesu Tis<strong>ch</strong>gemeinscnaft mit den Sündern hat s<strong>ch</strong>on Matthäus<br />

die andere Klage gesetzt, er entbinde die Jünger von der Fastenordnung,<br />

worin si<strong>ch</strong> der geringe Ernst der Buße, die er von den Seinigen verlange, zeigen<br />

soll. Ein tiefer, inwendiger Zusammenhang führt hier von einem Anstoß zum<br />

anderen, auf den <strong>Lukas</strong> gea<strong>ch</strong>tet hat, weshalb er beide Bes<strong>ch</strong>werden in ein einziges<br />

Gesprä<strong>ch</strong> verknüpft. Er stellt so den Vorwurf: <strong>Die</strong> Deinigen fasten ni<strong>ch</strong>t!<br />

unmittelbar dem Urteil Jesu entgegen, dur<strong>ch</strong> das er den Gere<strong>ch</strong>ten seine Berufung<br />

versagt. Was liegt ihnen an seinem Mißfallen, da er ja ni<strong>ch</strong>t zu den<br />

fastenden Frommen gehört! <strong>und</strong> wie kann er die Sünder zur Buße leiten, da<br />

l8]t


182 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

seine Jünger das Fasten ni<strong>ch</strong>t üben! Dort die Überhebung gegen die Gefallenen,<br />

die keine Barmherzigkeit für sie hat, sondern nur Geri<strong>ch</strong>t; hier der Eifer für<br />

das Fasten, mit dem man die eigene Sünde zu tilgen su<strong>ch</strong>t, dort der Anstoß an<br />

Jesu Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit gegen die Sünder, hier der Anstoß an seiner freudigen Haltung<br />

vor Gott: beides erwä<strong>ch</strong>st aus derselben "Wurzel; do<strong>ch</strong> folgt daraus ni<strong>ch</strong>t,<br />

daß beide Klagen unmittelbar <strong>na<strong>ch</strong></strong>einander dur<strong>ch</strong> dieselben Männer gegen<br />

Jesus erhoben worden sind.<br />

^Sie fasten häufig, sagen sie von den Jüngern des Johannes, <strong>und</strong> halten Gebete.<br />

Dadur<strong>ch</strong> hat <strong>Lukas</strong> seine <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Leser daran erinnert, wel<strong>ch</strong>en Sinn<br />

Israels Fastenordnung hatte, daß seine Fasttage vor allem Gebetstage gewesen<br />

sind. Dadur<strong>ch</strong> wird uns au<strong>ch</strong> erläutert, weshalb sie mit sol<strong>ch</strong>em Eifer an ihrem<br />

Fasten hingen. Sie stärkten dadur<strong>ch</strong> ihr Gebet, <strong>und</strong> was gibt es Höheres in<br />

unserem Leben als das Gebet? <strong>und</strong> wie kann Jesus das vera<strong>ch</strong>ten, was dem<br />

Gebet zur Hilfe dient? Denno<strong>ch</strong> hieß Jesus das Fasten jetzt für die Seinen so<br />

unmögli<strong>ch</strong> wie für die Genossen des Bräutigams an seinem Fest. 5,34. 35: Jesus<br />

aber spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Könnt ihr wohl ma<strong>ch</strong>en, daß die Fre<strong>und</strong>e des Bräutigams<br />

fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen,<br />

wenn der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann an jenem Tage werden<br />

sie fasten.<br />

Jesus hat vor der Vermengung seiner "Weise mit derjenigen der alten Meister<br />

dur<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>nis vom neuen Flick gewarnt, der no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gewalkt ist <strong>und</strong><br />

deshalb das alte Kleid zerreißt. Dasselbe hielt den fastenden Männern kräftig<br />

vor, was ihnen Jesus zu bedenken gab, hat aber dadur<strong>ch</strong> eine gewisse Dunkelheit,<br />

daß wir uns selber deutli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en müssen, weshalb ein sol<strong>ch</strong>er Flick am<br />

alten Kleid nur Unheil stiften kann. Darum hat <strong>Lukas</strong> die Verglei<strong>ch</strong>ung weniger<br />

speziell gefaßt. 5,36: Er sagte aber au<strong>ch</strong> ein Glei<strong>ch</strong>nis zu ihnen: Niemand<br />

reißt von einem neuen Kleid einen Flick ab <strong>und</strong> setzt ihn auf ein altes Kleid;<br />

sonst wird er das neue zerreißen, <strong>und</strong> zum alten wird der Flick vom neuen ni<strong>ch</strong>t<br />

stimmen. Das neue Kleid zu zerreißen, um das alte zu heilen, ist eine Torheit,<br />

die niemand begeht, weil er ja das bessere verderben <strong>und</strong> das alte erst no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t brau<strong>ch</strong>bar ma<strong>ch</strong>en würde, weil das neue Stück dasselbe uns<strong>ch</strong>ön entstellt.<br />

So ist das Glei<strong>ch</strong>nis zwar einfa<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>tiger, hat aber ni<strong>ch</strong>t mehr die<br />

s<strong>ch</strong>arfe Spitze, die das ursprüngli<strong>ch</strong>e hat. Dort flickt der Unbesonnene sein<br />

Kleid so, daß er es gerade dur<strong>ch</strong> sein Flicken zerstört, <strong>und</strong> darauf kam es Jesus<br />

^an. Er war besorgt, daß si<strong>ch</strong> die Jünger des Täufers <strong>und</strong> der Pharisäer dadur<strong>ch</strong><br />

um das, was sie haben, bringen, daß sie es in fals<strong>ch</strong>er "Weise bessern wollen, mit<br />

dem bessern wollen, was sie Jesu Jüngern absahen <strong>und</strong> dodi ni<strong>ch</strong>t mit freiem<br />

Gewissen <strong>und</strong> innerli<strong>ch</strong>em Gr<strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>zutun imstande sind. Darum spra<strong>ch</strong> er


<strong>Lukas</strong> 5,34—39/ 6,1—5<br />

ni<strong>ch</strong>t bloß von einem Kleid, das häßli<strong>ch</strong> geflickt wird, sondern von einem sol<strong>ch</strong>en,<br />

das dadur<strong>ch</strong>, daß ein neues, aber no<strong>ch</strong> unfertiges Stück daran gehängt<br />

wird, zerrissen wird.<br />

5,37—39: Und niemand s<strong>ch</strong>üttet jungen Wein in alte S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>e; sonst wird<br />

der junge Wein die S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>e zerreißen <strong>und</strong> selbst vers<strong>ch</strong>üttet werden, <strong>und</strong> die<br />

S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>e werden verlorengehen, sondern man muß jungen Wein in neue<br />

S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>e s<strong>ch</strong>ütten. Und niemand, der alten Wein trank, will neuen; denn er<br />

sagt: Der alte tut wohl. Au<strong>ch</strong> dieses letzte Wort, das uns <strong>Lukas</strong> neu mitzuteilen<br />

vermag, hat Jesus zum S<strong>ch</strong>utz derer gesagt, die in der alten Weise Gott dienten.<br />

Wenn sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von Herzen im Glauben ihm ans<strong>ch</strong>ließen können, sollen sie<br />

ihren alten Weg ni<strong>ch</strong>t verlassen, sondern es ma<strong>ch</strong>en wie die, die klugerweise<br />

beim alten Wein bleiben <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem neuen verlangen. Haltet, mahnt<br />

er, was ihr habt! Er wollte niemand in Versu<strong>ch</strong>ung führen, niemand zu äußerli<strong>ch</strong>er<br />

Na<strong>ch</strong>ahmung seines Wandels anreizen <strong>und</strong> ihn dadur<strong>ch</strong> zum Sturz treiben,<br />

niemand um das bringen, was ihm als heilige Wahrheit vor Augen stand.<br />

Mit der Unwahrheit in Israels Gottesdienst <strong>und</strong> mit der Bosheit, die si<strong>ch</strong> hinter<br />

ihm versteckte, rang er; aber über alles, was in Aufri<strong>ch</strong>tigkeit Gott zur Ehre<br />

ges<strong>ch</strong>ah, hielt er s<strong>ch</strong>ützend seine Hand, au<strong>ch</strong> wenn es ni<strong>ch</strong>t aus voller Erkenntnis<br />

kam <strong>und</strong> deshalb im Glauben an ihn zu überwinden war.<br />

6,1—5: Es ges<strong>ch</strong>ah aber am zweiter sten'' Sabbat, da ging er dur<strong>ch</strong> die Saaten,<br />

<strong>und</strong> seine Jünger rissen Ähren ab, rieben sie mit den Händen <strong>und</strong> aßen sie.<br />

Einige aber von den Pharisäern sagten: Was ma<strong>ch</strong>t ihr, was am Sabbat ni<strong>ch</strong>t<br />

erlaubt ist? Und Jesus antwortete ihnen <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Habt ihr au<strong>ch</strong> das ni<strong>ch</strong>t<br />

gelesen, was David tat, als er <strong>und</strong> die, die bei ihm waren, hungerten? wie er in<br />

das Haus Gottes hineinging <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>aubrote nahm <strong>und</strong> aß <strong>und</strong> denen gab,<br />

die bei ihm waren, die einzig die Priester essen dürfen? Und er sagte ihnen:<br />

Der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en ist,über den Sabbat Herr. Den Bru<strong>ch</strong> des Sabbats, den<br />

die Jünger im Kornfeld begingen, re<strong>ch</strong>tfertigt Jesus, wie wir dies bei <strong>Markus</strong><br />

lasen, dur<strong>ch</strong> die Berufung auf David, der die S<strong>ch</strong>aubrote aß, <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> das<br />

königli<strong>ch</strong>e Wort, daß der Mens<strong>ch</strong>ensohn der Herr des Sabbats sei. Damit hält<br />

<strong>Lukas</strong> die pharisäis<strong>ch</strong>e Anklage für genugsam widerlegt. Das erste Wort s<strong>ch</strong>lägt<br />

den Vorwurf nieder, die Tat der Jünger sei Sünde; das ist sie so wenig wie die<br />

Davids; das zweite heißt sie in Jesu Führung bleiben, der sie die re<strong>ch</strong>te Heili-<br />

• <strong>Die</strong>ses Beiwort zum Sabbat wird ni<strong>ch</strong>t von allen Texten gegeben <strong>und</strong> läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit Si<strong>ch</strong>erheit<br />

erklären. Am wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>sten wird es auf den zweiten Neujahrstag am ersten Nisan bezogen. Israel<br />

hatte eine doppelte Jahrre<strong>ch</strong>nung; <strong>na<strong>ch</strong></strong> der einen begann das Jahr im Herbst, <strong>und</strong> der Neujahrstag, „der<br />

erste Sabbat", war der erste des siebenten Monats. Na<strong>ch</strong> der anderen Re<strong>ch</strong>nung fiel der Neujahrstag auf<br />

den ersten Nisan. <strong>Die</strong>ser „zweite Neujahrstag" mag der „zweiterste Sabbat" genannt worden sein. Beim<br />

Frühlingsneujahr stand in Galiläa das Korn jedenfalls no<strong>ch</strong> auf den Feldern, mag aber lei<strong>ch</strong>t, vor allem<br />

in der Umgegend von Kapemaum, s<strong>ch</strong>on reifende Ähren gehabt haben.<br />

l8 3


184 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

gung des Sabbats lehrt. Den anderen von <strong>Markus</strong> gegebenen Spru<strong>ch</strong>, daß der<br />

Sabbat des Mens<strong>ch</strong>en wegen gegeben sei, hat er ni<strong>ch</strong>t wiederholt, wobei wir<br />

daran denken dürfen, daß die Christenheit, für die <strong>Lukas</strong> s<strong>ch</strong>rieb, ihre Zeit mit<br />

Freiheit brau<strong>ch</strong>te, den Ruhetag des Gesetzes ni<strong>ch</strong>t mehr hielt <strong>und</strong> darum ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr von der Frage bewegt war, wel<strong>ch</strong>es die re<strong>ch</strong>te Ehrung <strong>und</strong> Feier des Sabbats<br />

sei.<br />

Wie si<strong>ch</strong> Jesus aus dem Sabbat kein Verbot des "Wohltuns ma<strong>ch</strong>en ließ, hat<br />

<strong>Lukas</strong> wie <strong>Markus</strong> erzählt. 6,6—11 : Es ges<strong>ch</strong>ah aber an einem anderen Sabbat,<br />

da ging er hinein in die Versammlung <strong>und</strong> lehrte, <strong>und</strong> dort war ein Mens<strong>ch</strong>,<br />

<strong>und</strong> sein re<strong>ch</strong>ter Arm war verdorrt. Aber die S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> Pharisäer<br />

paßten ihm auf, ob er am Sabbat heile, damit sie etwas fänden, womit sie ihn<br />

verklagen könnten. Er aber kannte ihre Gedanken. Er sagte aber zu dem<br />

Mann, der den verdorrten Arm hatte: Steh auf <strong>und</strong> stelle di<strong>ch</strong> in die Mitte!<br />

Und er stand auf <strong>und</strong> stellte si<strong>ch</strong> hin. Jesus aber sagte zu ihnen: I<strong>ch</strong> frage eu<strong>ch</strong>,<br />

ob es am Sabbat erlaubt ist, wohlzutun oder übelzutun, die Seele zu retten oder<br />

sie zu verderben. Und er sah ringsum alle an <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihm: Strecke deinen<br />

Arm aus! Er aber tat es, <strong>und</strong> sein Arm wurde wieder hergestellt. Sie aber wurden<br />

von Unverstand voll <strong>und</strong> bespra<strong>ch</strong>en miteinander, was sie wohl Jesus tun<br />

könnten.<br />

6,12: Es ges<strong>ch</strong>ah aber in diesen Tagen, da ging er fort in das Gebirge, um zu<br />

beten, <strong>und</strong> er verbra<strong>ch</strong>te die Na<strong>ch</strong>t im Gebet zu Gott. In das Bergland, wo die<br />

Bestellung der Apostel erfolgte, begab si<strong>ch</strong> Jesus au<strong>ch</strong> deshalb, weil er wieder<br />

mit anhaltendem Gebet zum Vater trat. Als er die Absi<strong>ch</strong>t hatte, den Zwölfen<br />

seinen besonderen Auftrag zu geben, stand er vor einer Tat, die den Fortgang<br />

seines ganzen "Werks tief beeinflußte <strong>und</strong> die er darum au<strong>ch</strong> in besonderer<br />

"Weise auf das Gebet begründete. Als der, der zuerst ihretwegen mit dem Vater<br />

geredet hat, trat er vor die Jünger <strong>und</strong> gab ihnen seine Verheißung <strong>und</strong> seinen<br />

Befehl.<br />

Am Morgen rief er aus dem größeren Jüngerkreis die Zwölf heraus. 6,13:<br />

Und als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> wählte zwölf aus ihnen<br />

aus, die er au<strong>ch</strong> Apostel nannte. Bote, den er sendet, das war der Name, den<br />

er ihnen gab sowohl zur Abwehr jeder prunkenden Herrs<strong>ch</strong>begier als zur deutli<strong>ch</strong>en<br />

Ausprägung ihres hohen <strong>Die</strong>nstes. Er hat sie als die Überbringer seines<br />

"Worts an die "Welt erwählt. 6,14—16: Simon, den er au<strong>ch</strong> Petrus nannte, <strong>und</strong><br />

Andreas, seinen Bruder, <strong>und</strong> Jakobus <strong>und</strong> Johannes <strong>und</strong> Philippus <strong>und</strong> Bartholomäus<br />

<strong>und</strong> Matthäus <strong>und</strong> Thomas <strong>und</strong> Jakobus, den Sohn des Alphäus, <strong>und</strong><br />

Simon, den man den Eiferer nennt, <strong>und</strong> Judas, den Sohn des Jakobus, <strong>und</strong><br />

Judas Iskarioth, der zum Verräter wurde. Bei den Namen der Zwölf gibt


<strong>Lukas</strong> 6,6—23 185<br />

<strong>Lukas</strong> an derselben Stelle, wo s<strong>ch</strong>on <strong>Markus</strong> von Matthäus abwei<strong>ch</strong>t, einen<br />

neuen Namen: Judas, des Jakobus Sohn. Unsere Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten über diese Männer<br />

sind zu spärli<strong>ch</strong>, als daß wir diesen We<strong>ch</strong>sel erläutern könnten.<br />

Mit der Einsetzung der Zwölf in ihre besondere Stellung hat <strong>Lukas</strong> die Bergpredigt<br />

verb<strong>und</strong>en, wozu ihm au<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong> die Anleitung gab, da er die Wanderung<br />

Jesu in die Berge zur Einsetzung seiner Jünger dur<strong>ch</strong> dieselben Worte<br />

eingeleitet hat, die bei Matthäus vor der Bergpredigt stehen. 6,17: Und er ging<br />

mit ihnen herab <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te Halt an einem ebenen Ort, <strong>und</strong> eine große S<strong>ch</strong>ar<br />

seiner Jünger war dort <strong>und</strong> eine große Menge des Volks aus ganz Judäa <strong>und</strong><br />

Jerusalem <strong>und</strong> von der Küste von Tyrus <strong>und</strong> Sidon. <strong>Die</strong> Berge su<strong>ch</strong>te Jesus als<br />

Stätte der Einsamkeit auf zum Gebet <strong>und</strong> für seinen besonderen Verkehr mit<br />

den Jüngern. Weil er si<strong>ch</strong> aber der Menge ni<strong>ch</strong>t entzog, sondern ihr sein Wort<br />

gönnte, mußte er aus den Bergen herabkommen an einen ebenen Ort, der einer<br />

großen S<strong>ch</strong>ar den Raum gab, si<strong>ch</strong> so zu ihm zu s<strong>ch</strong>aren, daß alle lei<strong>ch</strong>t Zugang<br />

zu ihm fanden <strong>und</strong> überall sein Wort vernahmen. <strong>Die</strong> S<strong>ch</strong>ar, die ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>gezogen<br />

war, begehrte zuerst seine Hilfe. 6,18.19: Sie waren gekommen, ihn<br />

zu hören <strong>und</strong> von ihren Krankheiten geheilt zu werden, <strong>und</strong> die von unreinen<br />

Geistern Geplagten wurden geheilt. Und die ganze Menge su<strong>ch</strong>te ihn anzurühren,<br />

weil Kraft von ihm ausging <strong>und</strong> alle heilte. Er gab ihnen aber au<strong>ch</strong><br />

sein Wort.<br />

<strong>Die</strong> Bergpredigt *<br />

6,20-23 : Und er ri<strong>ch</strong>tete seine Augen auf seine Jünger <strong>und</strong> sagte: Selig seid<br />

ihr Armen; denn für eu<strong>ch</strong> ist Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft da. Selig seid ihr, die ihr jetzt<br />

hungert; denn ihr werdet gesättigt werden. Selig seid ihr, die ihr jetzt weint;<br />

denn ihr werdet la<strong>ch</strong>en. Selig seid ihr, wenn eu<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en hassen <strong>und</strong> eu<strong>ch</strong><br />

ausstoßen <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>mähen <strong>und</strong> eure Namen als böse verwerfen um des Sohns des<br />

Mens<strong>ch</strong>en willen. Freut eu<strong>ch</strong> an jenem Tag <strong>und</strong> hüpft! Denn seht! euer Lohn<br />

ist im Himmel groß. Denn ebenso taten ihre Väter den Propheten. Au<strong>ch</strong> bei<br />

<strong>Lukas</strong> beginnt die Rede damit, daß Jesus sagt, wen er selig preist. Für seine<br />

Jünger waren diese freudigen Worte bestimmt, damit sie in ihnen hell <strong>und</strong> voll<br />

den Dank für das erwecken, was ihnen mit Jesus gegeben ist. Ihnen tat er hier,<br />

was er der Gemeinde von Nazareth als seine Sendung bes<strong>ch</strong>rieb <strong>und</strong> was er<br />

dem Täufer unter den Zei<strong>ch</strong>en seiner Herrli<strong>ch</strong>keit nannte: Armen wird die<br />

gute Bots<strong>ch</strong>aft angesagt. Daß ihre Armut ihnen von ihr ni<strong>ch</strong>ts raubt, war Jesu<br />

helle Freude. Ho<strong>ch</strong> hebt er die Armen über ihren gedrückten Sinn empor, dem<br />

die Armut als Not <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ande ers<strong>ch</strong>eint, als wären sie au<strong>ch</strong> von Gott vera<strong>ch</strong>tet,<br />

weil die Mens<strong>ch</strong>en sie vera<strong>ch</strong>ten, als erwiese si<strong>ch</strong> mit ihrem kärgli<strong>ch</strong>en<br />

Anteil am irdis<strong>ch</strong>en Gut Gottes Liebe gegen sie karg. Sie sollen hören <strong>und</strong> er-


18 6 Jesu A rbeit in Galiläa<br />

messen, was ihnen gegeben ist: alles, was Gottes königli<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft dem<br />

Mens<strong>ch</strong>en gewährt, ist ihr Besitz; mit seiner vollkommenen Gnade nimmt er<br />

si<strong>ch</strong> ihrer deshalb an, weil sie arm sind. Sind sie es ni<strong>ch</strong>t von Hause aus, so<br />

werden sie es in ihrer Jüngers<strong>ch</strong>aft, wenn Israel sie ä<strong>ch</strong>tet <strong>und</strong> verstößt. Jesu<br />

Auge ruht auf ihrem Leidensweg.<br />

Hunger, Tränen, Haß ihrer Volksgenossen, die ihren Namen seinetwegen<br />

s<strong>ch</strong>änden, wird sie finden. All dies bri<strong>ch</strong>t von seinem Wort ni<strong>ch</strong>ts ab. Selig sind<br />

sie denno<strong>ch</strong>, ja vielmehr eben deshalb, weil sie die Armen, Hungernden, Weinenden,<br />

Geä<strong>ch</strong>teten sind. Für sie lebt im Himmel der Helfer; für sie tut er<br />

seine Gottestat. Jetzt hungern sie; darum wird ihnen her<strong>na<strong>ch</strong></strong> die Sättigung<br />

bes<strong>ch</strong>ert. Jetzt weinen sie; darum werden sie her<strong>na<strong>ch</strong></strong> la<strong>ch</strong>en. Sie werden ges<strong>ch</strong>olten,<br />

ausgestoßen, mit S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong> bedeckt <strong>und</strong> dürfen darob jubeln, weil der,<br />

der im Himmel thront, ihnen für das, was ihnen die Mens<strong>ch</strong>en Böses tun, seinen<br />

rei<strong>ch</strong>en Lohn gewährt. Hier redet derselbe Heldensinn Jesu, den wir s<strong>ch</strong>on bei<br />

Matthäus im Eingang der Bergpredigt, 5,11, <strong>und</strong> no<strong>ch</strong> mä<strong>ch</strong>tiger in der Aussendungsrede<br />

an die Jünger vor uns hatten. Unter Gottes königli<strong>ch</strong>er Leitung<br />

stehen, dur<strong>ch</strong> sie das Leben empfangen, mit einem Wort: Gott für si<strong>ch</strong> haben,<br />

das war für Jesus kein Traum, sondern Gegenwart <strong>und</strong> volle Wirkli<strong>ch</strong>keit. Er<br />

gibt dies den Seinen <strong>und</strong> verkündet mit vollem Dank zu Gottes Lob gerade<br />

denen, die auf Erden im S<strong>ch</strong>atten stehen <strong>und</strong> vom irdis<strong>ch</strong>en Glück ni<strong>ch</strong>ts bekamen,<br />

daß sie dur<strong>ch</strong> das, was Gott ihnen s<strong>ch</strong>enkt, mitten in der Armut, im<br />

S<strong>ch</strong>merz <strong>und</strong> in der S<strong>ch</strong>ande rei<strong>ch</strong> <strong>und</strong> selig sind.<br />

Bei Matthäus blicken diese Sprü<strong>ch</strong>e <strong>na<strong>ch</strong></strong> innen auf das inwendige Verhalten<br />

der Jünger, auf ihr inwendiges Entbehren <strong>und</strong> Dulden, um deswillen ihnen<br />

Jesus hilft, weil er deshalb für sie eintritt <strong>und</strong> ihnen Gottes Rei<strong>ch</strong> <strong>und</strong> Gnade<br />

s<strong>ch</strong>enkt. Bei <strong>Lukas</strong> s<strong>ch</strong>auen die Sprü<strong>ch</strong>e <strong>na<strong>ch</strong></strong> außen, auf die Lage <strong>und</strong> das Ges<strong>ch</strong>ick<br />

der Jünger, das ihren inwendigen Zustand erzeugt. Mit Frohlocken beruft<br />

sie Jesus, Überwinder zu sein. Alles wirft er unter ihre Füße. In die<br />

Armut, den S<strong>ch</strong>merz, die Not der Geä<strong>ch</strong>teten führt er die Seinen hinein <strong>und</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t sie in dem allem <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> das alles zu seligen Mens<strong>ch</strong>en, weil ihnen all<br />

das Gottes Rei<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nimmt, vielmehr ihnen an ihm Anteil gibt <strong>und</strong> es für<br />

sie unverlierbar ma<strong>ch</strong>t.<br />

Den Ernst seiner Seligpreisung bewährt er damit, daß er das zu ihr gehörende<br />

Wehe ohne S<strong>ch</strong>eu mit seiner ganzen S<strong>ch</strong>ärfe auf sie folgen läßt. 6,24<br />

bis 26: Aber wehe eu<strong>ch</strong>, den Rei<strong>ch</strong>en; denn damit habt ihr euren Trost. Wehe<br />

eu<strong>ch</strong>, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Wehe eu<strong>ch</strong>, die ihr jetzt<br />

la<strong>ch</strong>t; denn ihr werdet trauern <strong>und</strong> weinen. Wehe, wenn eu<strong>ch</strong> alle Mens<strong>ch</strong>en<br />

loben; denn ebenso taten ihre Väter den fals<strong>ch</strong>en Propheten. Jetzt ist es ni<strong>ch</strong>t


<strong>Lukas</strong> 6,24—26 187<br />

Zeit, Besitz anzuhäufen, für rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Essen zu sorgen, si<strong>ch</strong> Lust zu vers<strong>ch</strong>affen<br />

<strong>und</strong> um den Beifall der Mens<strong>ch</strong>en zu werben. Denn jetzt ist Gottes<br />

Rei<strong>ch</strong> nahe, <strong>und</strong> der Christus beruft alle zur Umkehr. Wenn ihr Begehren auf<br />

Rei<strong>ch</strong>tum, Genuß, Vergnügen <strong>und</strong> Ehre geri<strong>ch</strong>tet ist, vera<strong>ch</strong>ten sie den Ruf<br />

Gottes <strong>und</strong> versäumen die Heilszeit. So bereiten sie si<strong>ch</strong> mit dem, was sie ihr<br />

Glück heißen, das Unheil <strong>und</strong> den Tod. In ihrem Besitz finden die Rei<strong>ch</strong>en<br />

ihren Trost, werden aber keinen anderen erhalten, ni<strong>ch</strong>t den, den Gott denen<br />

gibt, die mit seinem Christus den Kreuzesweg gehen. Dem Wohlleben, an dem<br />

si<strong>ch</strong> jetzt die laben, die ni<strong>ch</strong>t entbehren mögen, folgt der Hunger <strong>na<strong>ch</strong></strong>, <strong>und</strong> dem<br />

La<strong>ch</strong>en derer, die <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrem Vergnügen has<strong>ch</strong>en, das Weinen, <strong>und</strong> das Lob,<br />

das ihnen jedermann spendet, beweist ni<strong>ch</strong>t die Wahrheit ihres Wortes <strong>und</strong><br />

die Ri<strong>ch</strong>tigkeit ihres Weges, so wenig das Lob, das die fals<strong>ch</strong>en Propheten ernteten,<br />

diese gere<strong>ch</strong>tfertigt hat. Vielmehr wird ihnen dieses volle Lob der Mens<strong>ch</strong>en<br />

zur Bes<strong>ch</strong>uldigung, weil es beweist, daß sie die Sünde geehrt, vor der<br />

Bosheit ges<strong>ch</strong>wiegen <strong>und</strong> das Wort Jesu vera<strong>ch</strong>tet haben. Weil Gottes Wille<br />

<strong>und</strong> unser Wille ni<strong>ch</strong>t zusammenstimmen, kann man jenen ni<strong>ch</strong>t sagen <strong>und</strong><br />

tun, ohne daß daraus ein Kampf mit dem Willen der Mens<strong>ch</strong>en entsteht.<br />

Er sah seine Jünger an <strong>und</strong> sagte: Selig, ihr Armen! So sollen es si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

seine Jünger zuerst merken: Wehe eu<strong>ch</strong>, wenn ihr rei<strong>ch</strong>, satt, lustig, angesehen<br />

werdet in Jesu <strong>Die</strong>nst <strong>und</strong> sein Wort als Mittel brau<strong>ch</strong>t zu sol<strong>ch</strong>em Erwerb,<br />

um eu<strong>ch</strong> selbst gegen S<strong>ch</strong>merz <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ande zu s<strong>ch</strong>ützen <strong>und</strong> euren Anteil an<br />

der Erde groß zu ma<strong>ch</strong>en. Das geht ohne Entehrung Gottes ni<strong>ch</strong>t ab, ni<strong>ch</strong>t,<br />

ohne daß er zum Werkzeug der selbstsü<strong>ch</strong>tigen Begier erniedrigt wird. So<br />

haben sie Jesu <strong>Die</strong>nst versäumt, ihm die Treue gebro<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> ihr Herz befleckt.<br />

Jesus hat immer das ganze Herz für Gott verlangt. Do<strong>ch</strong> enthalten diese<br />

Sprü<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t bloß Jesu Urteil über jenen Jünger, der, wie er später im Glei<strong>ch</strong>nis<br />

sagt, mit den Trunkenen trunken wird <strong>und</strong> seines Herrn vergißt. Er drohte<br />

mit seinem Wehe ni<strong>ch</strong>t bloß der rei<strong>ch</strong>en, satten, lustigen Jüngers<strong>ch</strong>ar, sondern<br />

allen, wer sie seien, die ihr Glück in den vollen Beutel <strong>und</strong> den voll besetzten<br />

Tis<strong>ch</strong>, in die von Kummer freie Heiterkeit <strong>und</strong> in den bei jedermann angesehenen<br />

Namen setzen. Das ist in keiner Weise anders oder härter geredet, als<br />

wenn er uns sagt, daß wir ni<strong>ch</strong>t zuglei<strong>ch</strong> Kne<strong>ch</strong>te Gottes <strong>und</strong> des Mammons<br />

sein können, oder daß wir unser Leben ni<strong>ch</strong>t erhalten, wir verlieren es denn.<br />

Ni<strong>ch</strong>t der Besitz, ni<strong>ch</strong>t die Speise, ni<strong>ch</strong>t die Freude werden ges<strong>ch</strong>olten, ebensowenig<br />

das Armsein, das Hungern, das Weinen für si<strong>ch</strong> allein s<strong>ch</strong>on als heilsam<br />

gelobt. Wohl aber sieht Jesu Blick all die Gottlosigkeit, all die Vera<strong>ch</strong>tung<br />

<strong>und</strong> Gerings<strong>ch</strong>ätzung Gottes, all die Verblendung <strong>und</strong> Lieblosigkeit, die an<br />

diesen Dingen klebt, <strong>und</strong> davor warnt uns sein Wehe. Er will uns gegen die


188 . ' Jesu Arbeit in Galiläa<br />

eins<strong>ch</strong>mei<strong>ch</strong>elnde Ma<strong>ch</strong>t unserer Lust s<strong>ch</strong>ützen, die uns umfängt, blendet <strong>und</strong><br />

bindet, so daß wir ni<strong>ch</strong>ts mehr haben als viel Geld <strong>und</strong> einen vollen Magen<br />

<strong>und</strong> ein heiteres Gemüt <strong>und</strong> einen guten Namen bei jedermann, ni<strong>ch</strong>ts mehr<br />

als dies, Gott ni<strong>ch</strong>t mehr.<br />

Weil Jesus seine Jünger von den natürli<strong>ch</strong>en Begehrungen <strong>und</strong> Gütern losma<strong>ch</strong>t<br />

<strong>und</strong> ihnen die herrli<strong>ch</strong>e Freiheit zeigt, die arm sein <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> freuen, leiden<br />

<strong>und</strong> selig sein kann, kann er ihnen nun ihre Aufgabe zeigen, mit der er ihr<br />

Leben anfüllt, ihr Herz bewegt <strong>und</strong> ihnen Arbeit gibt; das ist sein Liebesgebot.<br />

6,27a: Aber eu<strong>ch</strong> sage i<strong>ch</strong>, denen, die hören. <strong>Die</strong>, denen er sein Wehe sagen<br />

mußte, hören ni<strong>ch</strong>t; ihnen würde er die Liebe umsonst anpreisen, da sie ni<strong>ch</strong>t<br />

verstehen, was die Liebe ist <strong>und</strong> tut, daß sie Gottes Wille ist <strong>und</strong> sein Werk<br />

dur<strong>ch</strong> sie ges<strong>ch</strong>ieht. Darum hat Jesus das Geld <strong>und</strong> den rei<strong>ch</strong> besetzten Tis<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> das behagli<strong>ch</strong>e Wohlleben ges<strong>ch</strong>olten, weil sie uns das Ohr verstopfen <strong>und</strong><br />

wir ihretwegen ni<strong>ch</strong>t mehr hören können, wenn er uns lieben heißt. Seine<br />

armen <strong>und</strong> weinenden Jünger dagegen kann er selig preisen, weil sie ein Ohr<br />

haben, das ihn versteht, so daß er sie in die liebe leiten kann.<br />

6,27b. 28: Liebet eure Feinde; tut denen wohl, die eu<strong>ch</strong> hassen; segnet die,<br />

die eu<strong>ch</strong> verflu<strong>ch</strong>en; betet für die, die eu<strong>ch</strong> anfeinden! Jesus nimmt von der<br />

liebe der Jünger jede S<strong>ch</strong>ranke weg <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t sie ganz, vollendet, frei, unabhängig<br />

vom Wohl- <strong>und</strong> Ubeltun der anderen, so daß sie an ihrem Hassen<br />

ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> hassen, sondern nun erst re<strong>ch</strong>t lieben lernen, dur<strong>ch</strong> ihr Flu<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t<br />

au<strong>ch</strong> ins Flu<strong>ch</strong>en fallen, sondern beim Segnen bleiben <strong>und</strong> ein Wohltun <strong>und</strong><br />

Geben üben, das alle umfaßt. Es ist dasselbe Wort, wie es Matthäus 5,44 steht,<br />

hier aber ni<strong>ch</strong>t als Kampfeswort gegen die eigensü<strong>ch</strong>tige Einengung der Liebe<br />

gespro<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong> auf das Gesetz berief, ni<strong>ch</strong>t zur Ablösung der Jünger von<br />

Israels verkehrter Weise, sondern ohne diesen Gegensatz als Jesu Gebot an die<br />

Seinen, als. sein Befehl an alle, der jedermann die Christenpfli<strong>ch</strong>t vorhält. So<br />

hat man in der Gemeinde der Apostel das Wort Jesu betra<strong>ch</strong>tet, ni<strong>ch</strong>t nur, um<br />

gegen die Judens<strong>ch</strong>aft zu streiten, sondern zuerst dazu, um selbst gehorsam<br />

von ihm zu lernen, was der re<strong>ch</strong>te, ihm wohlgefällige <strong>Die</strong>nst Gottes sei*.<br />

Zyr freien, ganzen liebe fügt <strong>Lukas</strong> glei<strong>ch</strong> dasjenige Wort, das bei Matthäus<br />

5,39 die freie, ganze Geduld bes<strong>ch</strong>reibt. 6,29. 30: Dem, der di<strong>ch</strong> auf die Wange<br />

s<strong>ch</strong>lägt, biete au<strong>ch</strong> die andere dar, <strong>und</strong> dem, der deinen Mantel nimmt, wehre<br />

au<strong>ch</strong> den Rock ni<strong>ch</strong>t. Jedem, der di<strong>ch</strong> bittet, gib, <strong>und</strong> von dem, der das Deine<br />

nimmt, fordere es ni<strong>ch</strong>t zurück. <strong>Die</strong> volle liebe <strong>und</strong> die ganze Geduld gehören<br />

zusammen. Ohne die Uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>keit der Geduld wird die Liebe bre<strong>ch</strong>en,<br />

• Darin hat die Fassung der Worte Jesu bei <strong>Lukas</strong> Verwandts<strong>ch</strong>aft mit der Weise des <strong>Markus</strong>, der, so<br />

wenig er den Kampf Jesu mit der Judens<strong>ch</strong>aft verbirgt, do<strong>ch</strong> seine Kampfes- <strong>und</strong> Geri<strong>ch</strong>tsworte offenk<strong>und</strong>ig<br />

zurückgestellt hat.


<strong>Lukas</strong> 6,27a—6,35a 189<br />

<strong>und</strong> nur die Völligkeit der Liebe erzeugt den unüberwindli<strong>ch</strong>en Mut der Geduld.<br />

<strong>Die</strong>selbe Regel der Liebe liegt au<strong>ch</strong> darin, wenn Jesus sagt 6,31 : Und wie<br />

ihr wollt, daß eu<strong>ch</strong> die Leute tun, tut au<strong>ch</strong> ihr ihnen ebenso."Weshalb uns <strong>Lukas</strong><br />

dieses "Wort an dieser Stelle gibt, verglei<strong>ch</strong>e Matthäus 7,12. Denn damit ist<br />

unser selbstsü<strong>ch</strong>tiger Gedankenlauf zers<strong>ch</strong>nitten, der nur empfangen will, ni<strong>ch</strong>t<br />

geben, andere uns dienen heißt <strong>und</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t dienen mag <strong>und</strong> uns selbst einen<br />

besonderen Platz zuteilt, als wären wir von anderer Art oder höherer "Würde<br />

als sie. Au<strong>ch</strong> hier ist bei <strong>Lukas</strong> die Beziehung des Spru<strong>ch</strong>s auf das Gesetz der<br />

S<strong>ch</strong>rift entfernt. „Das ist das ganze Gesetz <strong>und</strong> die Propheten", lesen wir bei<br />

Matthäus, was dem Spru<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eine besondere Tiefe gibt, weil er im Gegensatz<br />

zu allen verwickelten, dunklen Deutungen des göttli<strong>ch</strong>en "Willens die<br />

ganze S<strong>ch</strong>rift auf das helle, klare Liebesgebot bezieht. <strong>Lukas</strong> denkt au<strong>ch</strong> hier<br />

ni<strong>ch</strong>t an das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en der alten <strong>und</strong> der neuen Gemeinde, zwis<strong>ch</strong>en<br />

den Geboten Moses <strong>und</strong> dem "Wort Jesu, sondern hält uns nur positiv vor, was<br />

uns Jesus zur Regel unseres Handelns ma<strong>ch</strong>t.<br />

"Wogegen er kämpft, das ist die unreine, selbstsü<strong>ch</strong>tige Art der gewöhnli<strong>ch</strong>en<br />

Liebe. 6,32. 33: Und wenn ihr die liebt, die eu<strong>ch</strong> lieben, was für Gnade wird<br />

eu<strong>ch</strong> dafür?Denn au<strong>ch</strong> die Sünder lieben die, die sie Heben.Und wenn ihr denen<br />

wohltut, die eu<strong>ch</strong> wohltun, was für Gnade wird eu<strong>ch</strong> dafür? Au<strong>ch</strong> die Sünder<br />

tun dasselbe. Gottes Auge sieht unserer Liebe zu <strong>und</strong> antwortet ihr mit seiner<br />

Liebe. "Was soll er uns aber deshalb geben, weil wir die, die uns lieben, ni<strong>ch</strong>t<br />

hassen, s<strong>ch</strong>ädigen <strong>und</strong> verderben, sondern an ihrer Liebe uns zur liebe erwecken<br />

lassen? Für sol<strong>ch</strong>e kranke, geb<strong>und</strong>ene Liebe fällt uns Gottes Gabe ni<strong>ch</strong>t<br />

zu. Das können au<strong>ch</strong> die Zöllner, können au<strong>ch</strong> die Heiden, sagt Jesus bei Matthäus.<br />

"Wenn <strong>Lukas</strong> sagt: Dazu sind au<strong>ch</strong> die Sünder no<strong>ch</strong> fähig, so legt er uns<br />

damit aus, was jenes "Wort im Sinne hat. Als Beispiel sündli<strong>ch</strong>er Verdorbenheit<br />

hat Jesus den Zöllner <strong>und</strong> Heiden genannt, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> in ihnen ni<strong>ch</strong>t<br />

jede "Willigkeit zu <strong>Die</strong>nst <strong>und</strong> Hilfe erlos<strong>ch</strong>en, sondern au<strong>ch</strong> in ihnen erweckt<br />

Güte Dank. "Was au<strong>ch</strong> in der Gottlosigkeit dem Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t verloren geht,<br />

drückt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vollständig <strong>und</strong> unvermindert aus, wozu Jesus die Seinen<br />

beruft.<br />

Au<strong>ch</strong> an unserem Borgen zeigt si<strong>ch</strong> dieselbe bere<strong>ch</strong>nende, selbstsü<strong>ch</strong>tige Art.<br />

6,34. 35a: Und wenn ihr denen borgt, von denen ihr es, wie ihr hofft, zurückempfangen<br />

werdet, was für Gnade wird eu<strong>ch</strong> dafür? Audi Sünder borgen Sündern,<br />

um dasselbe wiederzuerhalten. Vielmehr liebt eure Feinde <strong>und</strong> tut wohl<br />

<strong>und</strong> borgt, ohne etwas davon zu hoffen, <strong>und</strong> euer Lohn wird groß sein. Von<br />

demjenigen Borgen ist hier gespro<strong>ch</strong>en, das dem anderen zur Hilfe ges<strong>ch</strong>ieht<br />

<strong>und</strong> ihn aus Not <strong>und</strong> Druck befreit. Da heißt uns Jesus ni<strong>ch</strong>t bere<strong>ch</strong>nen, was


190 Jesu A rbeit in Galiläa<br />

für Si<strong>ch</strong>erheit unser Darlehen hat, als wäre es ganz unerhört <strong>und</strong> unzulässig,<br />

daß wir au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>aden litten, <strong>und</strong> wir nur dann dem anderen zur Hilfe erbötig<br />

sein dürften, wenn wir selber ni<strong>ch</strong>ts einbüßen. Das ist immer wieder dieselbe<br />

Kümmerli<strong>ch</strong>keit der Liebe, wobei sie nur so weit Raum erhält, als unser Eigennutz<br />

si<strong>ch</strong> mit ihr verträgt. Übrigens gilt vom Borgen, was vom Geben gilt,<br />

daß beides mit Weisheit ges<strong>ch</strong>ehen muß, damit es wirkli<strong>ch</strong> eine Hilfe für die<br />

anderen sei <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t ihr Verderben, wobei wir jedesmal zu prüfen haben,<br />

wann wir zur Hilfeleistung berufen sind, damit wir ni<strong>ch</strong>t mit geringem Nutzen<br />

für die einen glei<strong>ch</strong>zeitig anderen größeren S<strong>ch</strong>aden tun.<br />

Großen Lohn verhieß uns Jesus, <strong>und</strong> er sagt uns, wie groß das ist, was wir<br />

mit der Liebe finden. 6,35b: Und ihr werdet Söhne des Hö<strong>ch</strong>sten sein; denn er<br />

ist gegen die Undankbaren <strong>und</strong> Bösen gütig. Es sind ni<strong>ch</strong>t Sa<strong>ch</strong>en, mit denen<br />

uns Jesus lohnt, ni<strong>ch</strong>t dingli<strong>ch</strong>e Gaben, <strong>na<strong>ch</strong></strong> denen er uns begierig ma<strong>ch</strong>t. Unser<br />

Verlangen erhebt er zu Gott, daß er uns Vater sei <strong>und</strong> wir seine Söhne, die<br />

dur<strong>ch</strong> ihn <strong>und</strong> bei ihm leben. Da er aber eine vollkommene Liebe hat, die<br />

ni<strong>ch</strong>t erst dur<strong>ch</strong> unsere Wohltat entsteht <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t an unserem Undank <strong>und</strong><br />

unserer bösen Art untergeht, so führt uns nur die volle, ganze liebe zu ihm,<br />

<strong>und</strong> nur dur<strong>ch</strong> sie bleiben wir in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft.<br />

6,36: Werdet barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist! „Ihr werdet vollkommen<br />

sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist", sagt uns Jesus bei<br />

Matthäus. „Vollkommenheit" ist für uns immer ein s<strong>ch</strong>weres Wort; <strong>Lukas</strong><br />

s<strong>ch</strong>ließt es uns auf: barmherzig, sagt er. Aus unserer halben, zerbro<strong>ch</strong>enen, zerspaltenen<br />

Art ruft uns Matthäus heraus ins Ganze hinauf, in eine Liebe, die<br />

lauter, rein <strong>und</strong> ganz Liebe ist. So übt sie Gott, so au<strong>ch</strong> ihr. Ihr werdet sie<br />

lernen, verheißt er uns, diese reine, volle Liebe, <strong>und</strong> daran eure Vollkommenheit<br />

haben, ganzen Anteil an Gottes Gnade, ganze Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm, vollendeten<br />

Stand in seinem Rei<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong> leitet uns aus unserer engen, unreinen<br />

Liebe empor, indem er uns auf Gottes Barmherzigkeit a<strong>ch</strong>ten heißt:<br />

werdet barmherzig wie er; das bringt unsere Liebe zure<strong>ch</strong>t.<br />

6,37. 38a: Und ri<strong>ch</strong>tet ni<strong>ch</strong>t, so werdet ihr ni<strong>ch</strong>t geri<strong>ch</strong>tet werden, <strong>und</strong> verurteilt<br />

ni<strong>ch</strong>t, so werdet ihr ni<strong>ch</strong>t verurteilt werden. Laßt frei, <strong>und</strong> ihr werdet<br />

freigelassen werden. Gebt, <strong>und</strong> es wird eu<strong>ch</strong> gegeben werden. Mit klarem Verständnis<br />

für Jesu Wort läßt <strong>Lukas</strong> glei<strong>ch</strong> hier den Spru<strong>ch</strong> folgen, der es uns<br />

untersagt, daß wir an den anderen als ihre Ri<strong>ch</strong>ter handeln. Ri<strong>ch</strong>ten wir ni<strong>ch</strong>t,<br />

so verzeihen wir, dulden wir, tragen wir, <strong>und</strong> das fließt aus der Barmherzigkeit,<br />

aus jener Barmherzigkeit, die auf Gottes Erbarmen blickt. Wir werden<br />

selbst vom Geri<strong>ch</strong>t befreit, wenn wir ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>ten, selbst in die Freiheit gesetzt,<br />

wenn wir freilassen. Weil Jesus unserer Liebe die Verheißung gibt, daß wir


<strong>Lukas</strong> 6,35b—39 191<br />

dadur<strong>ch</strong> Gottes Söhne werden, so fließt daraus au<strong>ch</strong> die Zusage, daß Gott zu<br />

unserem Vergeben sein Vergeben fügt. Er preist uns die rei<strong>ch</strong>e, überfließende<br />

Art der göttli<strong>ch</strong>en Vergeltung an, die unserer kleinen Liebe seine große liebe<br />

<strong>und</strong> unserem geringen Verzeihen sein großes Verzeihen zum Lohn gibt, wie<br />

au<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>nis bei Matthäus die h<strong>und</strong>ert Denare, die wir erlassen, neben<br />

die zehntausend Talente setzt, die Gott uns erläßt. 6,38b: Ein gutes, gedrücktes,<br />

ges<strong>ch</strong>ütteltes, überlaufendes Maß wird man eu<strong>ch</strong> in euren Busen geben.<br />

"Wird das Maß gedrückt, ges<strong>ch</strong>üttelt <strong>und</strong> bis zum Überlaufen gefüllt, so hat<br />

der Verkäufer den "Willen, dem Käufer alles zu geben, was ihm gebührt, ja<br />

mehr als dies. So stellt vollends Gott seine rei<strong>ch</strong>e Gnade neben unseren kleinen<br />

<strong>Die</strong>nst, aber au<strong>ch</strong> seine s<strong>ch</strong>arfe Gere<strong>ch</strong>tigkeit neben unsere Bosheiten. 6,38c:<br />

Denn mit wel<strong>ch</strong>em Maß ihr meßt, wird eu<strong>ch</strong> wieder gemessen werden. Er setzt<br />

zu unserer Härte seine Härte, zu unserem Zorn seinen Zorn, zu unserem Vergeben<br />

sein Vergeben, zu unserem Erbarmen seine Barmherzigkeit.<br />

Ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>ten, ni<strong>ch</strong>t verurteilen, freilassen, das leitet uns bereits zu derjenigen<br />

<strong>Die</strong>nstleistung an, die der inwendigen Not der anderen beispringt <strong>und</strong><br />

ihrem Geist <strong>und</strong> Herzen das darrei<strong>ch</strong>t, was sie bedürfen. Damit tritt die hö<strong>ch</strong>ste<br />

Aufgabe der Liebe vor unseren Blick. Sie ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur mit dem leibli<strong>ch</strong>en<br />

Mangel der anderen zu s<strong>ch</strong>affen, sondern legt ihre Gaben in das Innerste<br />

des persönli<strong>ch</strong>en Lebens hinein <strong>und</strong> nimmt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> der verborgenen Not des<br />

Geistes an. An diese Liebe, die heilend, lehrend <strong>und</strong> bessernd das Herz <strong>und</strong><br />

den Willen der anderen begabt, erinnerte s<strong>ch</strong>on derjenige Spru<strong>ch</strong>, der bei Matthäus<br />

unmittelbar mit dem Verbot zu ri<strong>ch</strong>ten verb<strong>und</strong>en ist, der uns bes<strong>ch</strong>reibt,<br />

wie wir den Splitter aus dem Auge des Bruders ri<strong>ch</strong>tig ziehen. Ehe uns aber<br />

<strong>Lukas</strong> diesen wiederholt, legt er sol<strong>ch</strong>e "Worte Jesu ein, die uns die "Wi<strong>ch</strong>tigkeit<br />

dieser <strong>Die</strong>nstleistung vorhalten <strong>und</strong> uns zeigen, wie ernst diese Aufgaben sind<br />

<strong>und</strong> wel<strong>ch</strong> bösen S<strong>ch</strong>aden wir einander zuzufügen vermögen, wenn wir hier<br />

sorglos handeln.<br />

6,39: Er sagte ihnen aber au<strong>ch</strong> ein Glei<strong>ch</strong>nis: Vermag wohl ein Blinder einen<br />

Blinden zu leiten? Werden ni<strong>ch</strong>t beide in eine Grube stürzen? "Wer si<strong>ch</strong> dem<br />

anderen zum Führer anbietet, sorge deshalb dafür, daß er ein Sehender sei. Ist<br />

er selber blind <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> denno<strong>ch</strong> zum Führer der anderen, so ist das Ende<br />

nur Verderben für die, die si<strong>ch</strong> auf ihn verlassen, <strong>und</strong> für ihn selbst. <strong>Die</strong>ses<br />

Glei<strong>ch</strong>nis hat Jesus zunä<strong>ch</strong>st dazu gesagt, um seine Jünger von der Verehrung<br />

der S<strong>ch</strong>riftgelehrten zu befreien <strong>und</strong> ihnen zu zeigen, warum er ihnen ohne<br />

Na<strong>ch</strong>giebigkeit widersteht <strong>und</strong> ihre Ma<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>lossen zerbri<strong>ch</strong>t, Matthäus<br />

15,14*. An der Führung dieser blinden Meister geht Israel zugr<strong>und</strong>e. Nur<br />

* Bisher war kein einziger Spru<strong>ch</strong> wörtli<strong>ch</strong> mit Matthäus glei<strong>ch</strong>lautend, während wir do<strong>ch</strong> unzweifelhaft


I9 2 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

dem ist zu helfen, der diesen Meistern allen Gehorsam aufsagt. Allein in dem,<br />

was zunä<strong>ch</strong>st ein Strafwort gegen Israels Lehrer war, liegt au<strong>ch</strong> für die Gemeinde<br />

eine ernste Weisung. Jeder, der Jesu Liebesgebot hört, bedenke, daß<br />

er, wenn er selbst blind ist, niemand führen kann, sondern sehen lernen muß,<br />

damit sein Wort andere erleu<strong>ch</strong>te, sein Rat andere ri<strong>ch</strong>tig führe <strong>und</strong> sein Beispiel<br />

anderen zum S<strong>ch</strong>utz <strong>und</strong> Segen sei. <strong>Die</strong> Weise, wie uns <strong>Lukas</strong> dieses Wort<br />

wiederholt, hat denselben ernsten <strong>und</strong> gläubigen Sinn in si<strong>ch</strong> wie die Worte<br />

über die völlige Liebe: an den Kampfesworten Jesu haben seine Jünger ni<strong>ch</strong>t<br />

nur das gehört, womit er die anderen s<strong>ch</strong>alt, Israel traf <strong>und</strong> seine Lehrer bes<strong>ch</strong>uldigte,<br />

sondern sie haben auf das aufgemerkt, was sie au<strong>ch</strong> ihnen sagten,<br />

<strong>und</strong> si<strong>ch</strong> selbst aufri<strong>ch</strong>tig unter sie gestellt.<br />

6,40a: Der Jünger ist ni<strong>ch</strong>t über dem Lehrer, weshalb si<strong>ch</strong> der Blinde gegen<br />

den Sturz ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>ützen kann, wenn sein Führer blind ist. Darum habe der<br />

Lehrer auf si<strong>ch</strong> selber a<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> bedenke, was «r dem gibt, der si<strong>ch</strong> ihm anvertraut.<br />

6,40b: Ist er aber vollendet, so wird jeder wie sein Lehrer sein. <strong>Die</strong>ser<br />

s<strong>ch</strong>afft im Lernenden sein eigenes Bild <strong>und</strong> stellt ihn, wenn ihm sein Lehren<br />

gelingt <strong>und</strong> er sein Ziel errei<strong>ch</strong>t, neben si<strong>ch</strong> auf seinen eigenen Weg. Das ma<strong>ch</strong>t<br />

seine Verantwortli<strong>ch</strong>keit groß. Bei Matthäus 10,24 war dieses Wort den Jüngern<br />

zum Trost gesagt, daß sie si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>mähen lassen, wie Jesus ges<strong>ch</strong>mäht worden<br />

ist, <strong>und</strong> kein besseres Los für si<strong>ch</strong> begehren, als er gehabt hat. <strong>Lukas</strong> hebt<br />

die Pfli<strong>ch</strong>t heraus, die die Ähnli<strong>ch</strong>keit des Jüngers mit dem Meister diesem auferlegt.<br />

Au<strong>ch</strong> dieses Wort dient ihm dazu, den Sinn der liebe in uns zu wecken<br />

<strong>und</strong> uns auf das a<strong>ch</strong>tsam zu ma<strong>ch</strong>en, was unsere Umgebung von uns empfängt.<br />

Nun erst folgt das Wort, das von unserer heilenden Einwirkung auf das<br />

kranke Auge anderer spri<strong>ch</strong>t: 6,41. 42: Warum siehst du aber den Splitter im<br />

Ange deines Bruders, dagegen den Balken, der in deinem eigenen Auge steckt,<br />

nimmst du ni<strong>ch</strong>t wahr? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, laß<br />

mi<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> will den Splitter ausziehen, der in deinem Auge ist, während du selbst<br />

den Balken, der in deinem Auge steckt, ni<strong>ch</strong>t siehst? Heu<strong>ch</strong>ler, ziehe zuerst den<br />

Balken aus deinem Auge, <strong>und</strong> dann kannst du zusehen, wie du den Splitter,<br />

der im Auge deines Bruders ist, ausziehen kannst. Wie sollen wir aneinander<br />

Zu<strong>ch</strong>t üben, einander das Büß wort geben <strong>und</strong> dem Fehlenden zur Umkehr<br />

helfen? Ni<strong>ch</strong>t so, daß wir unsere eigene Sünde übersehen, no<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> so, daß<br />

wir sie zwar gestehen, aber Buße <strong>und</strong> Besserung nur den anderen auferlegen<br />

<strong>und</strong> uns selbst von der Zu<strong>ch</strong>t des göttli<strong>ch</strong>en Wortes freima<strong>ch</strong>en. <strong>Die</strong> erste Bedingung<br />

zu jeder heilsamen Wirkung auf die anderen ist, daß wir an uns selbst<br />

dieselben Worte Jesu hier <strong>und</strong> dort lesen. Von hier bis zum S<strong>ch</strong>luß der Rede liegt dagegen wörtli<strong>ch</strong>e Übereinstimmung<br />

mit den Parallelen bei Matthäus vor. Das kann daranliegen, daß <strong>Lukas</strong> den ersten Teil der<br />

Rede aus einem anderen Beri<strong>ch</strong>te nahm <strong>und</strong> ihn am S<strong>ch</strong>luß no<strong>ch</strong> aus Matthäus ergänzte.


<strong>Lukas</strong> 6,40a—46 193<br />

das Böse ri<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> selbst in der Buße stehen. So hat si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> aus dem Liebesgebot,<br />

das uns für die anderen sorgen heißt, die s<strong>ch</strong>einbar entgegengesetzte<br />

Mahnung entwickelt: Habe a<strong>ch</strong>t auf di<strong>ch</strong> selbst! <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> ist hier beides miteinander<br />

völlig übereinstimmend. Nur wer hat, kann geben, nur wer weiß,<br />

lehren, nur wer an si<strong>ch</strong> selbst die Sünde geri<strong>ch</strong>tet hat, andere heilen.<br />

Damit hat si<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong> den S<strong>ch</strong>luß der Rede vorbereitet <strong>und</strong> gibt nun das<br />

"Wort, das die Art der Fru<strong>ch</strong>t von der Art des Baumes abhängig ma<strong>ch</strong>t, zusammen<br />

mit dem sinnverwandten "Wort Matthäus 12,33 vom inwendigen S<strong>ch</strong>atz,<br />

aus dem das Wort kommt, sei er böse, sei er gut. 6,43—45: Denn es gibt keinen<br />

guten Baum, der faule Fru<strong>ch</strong>t brä<strong>ch</strong>te, wiederum keinen faulen Baum, der gute<br />

Fru<strong>ch</strong>t brä<strong>ch</strong>te. Denn jeder Baum wird an seiner Fru<strong>ch</strong>t erkannt. Denn man<br />

sammelt von den Dornen ni<strong>ch</strong>t Feigen, <strong>und</strong> vom Dornbus<strong>ch</strong> erntet man ni<strong>ch</strong>t<br />

Trauben. Der gute Mens<strong>ch</strong> bringt aus dem guten S<strong>ch</strong>atz des Herzens das Gute<br />

hervor, <strong>und</strong> der böse bringt aus dem bösen das Böse hervor. Denn aus dem<br />

Vorrat des Herzens redet sein M<strong>und</strong>. Fru<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>affen mö<strong>ch</strong>te die Liebe; sie<br />

ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> ans Werk <strong>und</strong> lebt für die Mens<strong>ch</strong>en. Sie gibt ihnen das Wort <strong>und</strong><br />

legt unseren inwendigen Besitz au<strong>ch</strong> in ihr Herz. Aber wie sollen an Dornen<br />

Feigen wa<strong>ch</strong>sen oder aus einem bösen S<strong>ch</strong>atz etwas anderes kommen als ein<br />

böses Wort? So wird die Sorge der Liebe in uns erweckt, daß wir gute Bäume<br />

sein mö<strong>ch</strong>ten, damit die Fru<strong>ch</strong>t, die an uns wä<strong>ch</strong>st, die gute Art des Baumes<br />

an si<strong>ch</strong> habe, <strong>und</strong> einen guten S<strong>ch</strong>atz in uns sammeln, damit das, was der.M<strong>und</strong><br />

aus unserem inwendigen Eigentum heraus den anderen gibt, eine gute Gabe<br />

für jedermann sei.<br />

In der Bergpredigt des Matthäus gehört diese Ausführung zu den Worten,<br />

dur<strong>ch</strong> die Jesus die Seinigen vor der fals<strong>ch</strong>en, verführeris<strong>ch</strong>en Frömmigkeit in<br />

ihrer eigenen Mitte s<strong>ch</strong>ützte. Fals<strong>ch</strong>e Propheten werden sie verlocken wollen;<br />

do<strong>ch</strong> die Jünger sind imstande, sie zu erkennen; denn die Fru<strong>ch</strong>t offenbart die<br />

Art des Baumes. <strong>Die</strong>se Warnung haben jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Jünger für ihr eigenes<br />

Leben <strong>und</strong> Wirken zu bedenken. Derselbe Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en dem<br />

inneren Wesen <strong>und</strong> der <strong>na<strong>ch</strong></strong> außen in die Mens<strong>ch</strong>en überfließenden Wirkung,<br />

den keine Verstellung der fals<strong>ch</strong>en Propheten zerreißen kann, beherrs<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />

ihren Lebenslauf.<br />

Au<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong> erinnert uns, wenn au<strong>ch</strong> nur mit einem abgekürzten Wort, an<br />

den fals<strong>ch</strong>en Glaubensstand, dessen Hoffnung Jesus zerstört. 6,46: Warum<br />

nennt ihr mi<strong>ch</strong> aber: Herr, Herr, <strong>und</strong> tut ni<strong>ch</strong>t, was i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> sage? Damit ist<br />

uns gezeigt, wie ein guter Baum aus uns wird: dur<strong>ch</strong> Gehorsam gegen Jesu<br />

Wort, <strong>und</strong> wie wir ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Baum sind, anderen zur Verführung <strong>und</strong> zum


194 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

S<strong>ch</strong>aden: dur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>einglauben, der zwar Jesu Namen preist, aber ihm<br />

ni<strong>ch</strong>t gehor<strong>ch</strong>t.<br />

Mit dem Glei<strong>ch</strong>nis, das auf die Wi<strong>ch</strong>tigkeit des Worts hinzeigt, bes<strong>ch</strong>ließt<br />

au<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong> seine Rede. 6,47-49: Jeder, der zu mir kommt <strong>und</strong> meine Worte<br />

hört <strong>und</strong> sie tut, — i<strong>ch</strong> will eu<strong>ch</strong> zeigen, wem er glei<strong>ch</strong>t. Er glei<strong>ch</strong>t einem Mens<strong>ch</strong>en,<br />

der ein Haus baute, der bis in die Tiefe grub <strong>und</strong> ein F<strong>und</strong>ament auf<br />

den Felsen stellte. Als aber eine Wasserflut entstand, drang der Strom an jenes<br />

Haus, <strong>und</strong> er konnte es ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>üttern, weil es gut gebaut war. Der aber, der<br />

sie gehört <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t getan hat, glei<strong>ch</strong>t einem Mens<strong>ch</strong>en, der sein Haus auf den<br />

Boden ohne F<strong>und</strong>ament baute, zu dem der Strom drang, <strong>und</strong> es fiel sofort zusammen,<br />

<strong>und</strong> der Riß jenes Hauses wurde groß. <strong>Lukas</strong> ma<strong>ch</strong>t das Bild wieder<br />

dur<strong>ch</strong> eine kleine Veränderung denjenigen Lesern verständli<strong>ch</strong>er, die ni<strong>ch</strong>t vor<br />

Augen hatten, was in den Dörfern Palästinas Sitte war. Dort s<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tet der<br />

Bauer die Steinmauer zu seinem Hause auf, ohne daß er zuerst eine F<strong>und</strong>ansentmauer<br />

in die Erde legt. Deshalb hat es vor allem Bedeutung, was für einen<br />

Untergr<strong>und</strong> er wählt, ob er einen Felsen für seinen Bau su<strong>ch</strong>t, damit ihm die<br />

Mauer ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den Regenguß unterwas<strong>ch</strong>en werde. Der ist dagegen ein<br />

Tor, der seine Mauer gedankenlos auf den sandigen Boden setzt. <strong>Lukas</strong> formt<br />

das Glei<strong>ch</strong>nis so, daß es au<strong>ch</strong> für größere Bauten paßt, die mit mehr Kunst<br />

<strong>und</strong> Aufwand hergestellt sind. Darum läßt er den einen die Erde forts<strong>ch</strong>affen,<br />

so daß er für das Haus eine F<strong>und</strong>amentmauer in die Erde auf den Felsen stellen<br />

kann, während der andere dies unterläßt. Jener ist der, der ni<strong>ch</strong>t nur zu Jesus<br />

kommt <strong>und</strong> sein Wort hört, sondern es au<strong>ch</strong> tut; dieser ist der, der es ungetan<br />

läßt. Für diesen ist Jesu Wort vergebli<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en; jener hat an ihm die ihn<br />

errettende Gottesma<strong>ch</strong>t.<br />

So hält die Rede, wie wir sie bei <strong>Lukas</strong> lesen, der Christenheit den Willen<br />

ihres Herrn deutli<strong>ch</strong> vor. Von der kne<strong>ch</strong>tenden Ma<strong>ch</strong>t der irdis<strong>ch</strong>en Dinge frei,<br />

hat sie an der liebe das, was ihr ganzes Handeln leitet; dur<strong>ch</strong> sie ist sie zur<br />

A<strong>ch</strong>tsamkeit auf si<strong>ch</strong> selbst verpfli<strong>ch</strong>tet, zur ernsten Abwehr des Bösen im<br />

eigenen Herzen. Dazu ist ihr das Mittel in Jesu Wort gegeben. Wenn sie dieses<br />

bewahrt, dieses tut, so ist ihr die Errettung bes<strong>ch</strong>ert. So ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> der Inhalt<br />

der Rede dur<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>tig, weshalb sie <strong>Lukas</strong> mit der Einsetzung der zwölf Apostel<br />

zusammenstellt.<br />

Neue Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten aus der galiläis<strong>ch</strong>en Zeit<br />

Bei der Einsetzung der Zwölf hat <strong>Lukas</strong> den Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Markus</strong> verlassen<br />

der Rede wegen, dur<strong>ch</strong> die ihnen Jesus sein Gebot gegeben hat. Ehe er der Erzählung<br />

des <strong>Markus</strong> wieder folgt, setzt er no<strong>ch</strong> einiges aus der galiläis<strong>ch</strong>en<br />

Arbeit Jesu ein, was er ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> <strong>Markus</strong>, sondern dur<strong>ch</strong> andere Zeugen, zum


<strong>Lukas</strong> 6,47—49! 7, 1 —9 *95<br />

Teil dur<strong>ch</strong> Matthäus weiß. In der Erinnerung an ihn beendet er die Bergpredigt<br />

mit einer ähnli<strong>ch</strong>en Formel wie die, mit der Matthäus regelmäßig seine<br />

großen Reden s<strong>ch</strong>ließt. 7,1: Als er alle seine Worte für die Ohren des Volks<br />

vollendet hatte, ging er hinein <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum.<br />

Dort legt ihm der heidnis<strong>ch</strong>e Hauptmann die Bitte für seinen Kne<strong>ch</strong>t vor.<br />

Sie lautet mit dem, was wir bei Matthäus lasen, völlig glei<strong>ch</strong>, ebenso Jesu Antwort.<br />

Im vorbereitenden Teil der Erzählung sagt uns aber <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t, was<br />

er von Matthäus, sondern was er anderswoher empfangen hat. Bei Matthäus<br />

können wir nur daran denken, daß der Hauptmann mit seiner Bitte selbst zu<br />

Jesus trat. Hier hören wir, daß er dur<strong>ch</strong> Mittelsmänner mit Jesus verhandelte.<br />

7,2—6a: Aber dem Kne<strong>ch</strong>t eines Hauptmanns ging es s<strong>ch</strong>limm, <strong>und</strong> er war am<br />

Sterben, den er in Ehren hielt. Als er aber von Jesus hörte, s<strong>ch</strong>ickte er Älteste<br />

der Juden zu ihm <strong>und</strong> bat ihn, daß er käme <strong>und</strong> seinen Kne<strong>ch</strong>t rettete. Sie aber<br />

kamen zu Jesus, baten ihn eifrig <strong>und</strong> sagten: Er ist es wert, daß du ihm dies<br />

gewährst. Denn er liebt unser Volk <strong>und</strong> hat uns selber das Bethaus gebaut.<br />

Jesus aber ging mit ihnen. So handelte der Hauptmann ni<strong>ch</strong>t bloß <strong>na<strong>ch</strong></strong> der<br />

übli<strong>ch</strong>en höfli<strong>ch</strong>en Sitte, sondern des weiten Abstands wegen, in den ihn sein<br />

Heidentum von Jesus setzt. Er su<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> deshalb Fürspre<strong>ch</strong>er, deren Bitte für<br />

Jesus mehr Gewi<strong>ch</strong>t habe als sein eigenes Wort. Dazu wählte er si<strong>ch</strong> die Vorsteher<br />

der Judens<strong>ch</strong>aft, die es au<strong>ch</strong> übernahmen, Jesus zu bezeugen, daß er<br />

seine Wohltat keinem Unwürdigen gewähre. Wenn er au<strong>ch</strong> ein Heide sei, so<br />

sei er do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wie die anderen ein Bedrücker des Volks, sondern er liebe es,<br />

<strong>und</strong> zum Beweise wiesen sie Jesus auf das Versammlungshaus hin, das er der<br />

Judens<strong>ch</strong>aft erbaut hatte.<br />

7,6b-8: Als er aber s<strong>ch</strong>on ni<strong>ch</strong>t weit vom Hause war, s<strong>ch</strong>ickte der Hauptmann<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> ließ ihm sagen: Herr, bemühe di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t! Denn i<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t<br />

würdig, daß du unter mein Da<strong>ch</strong> trittst; darum hielt i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t für<br />

wert, zu dir zu kommen; aber sage es mit einem Wort, <strong>und</strong> mein Kne<strong>ch</strong>t sei<br />

geheilt! Denn au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> bin zwar ein Mens<strong>ch</strong> <strong>und</strong> höherer Gewalt unterworfen,<br />

habe aber unter mir Soldaten <strong>und</strong> sage zu diesem: Geh! <strong>und</strong> er geht, <strong>und</strong> dem<br />

anderen: Komm! <strong>und</strong> er kommt, <strong>und</strong> meinem Kne<strong>ch</strong>t: Tue dies! <strong>und</strong> er tut es.<br />

Nun war das ans Li<strong>ch</strong>t gekommen, was Jesus su<strong>ch</strong>te, weil es seiner Gnade die<br />

freie Bahn s<strong>ch</strong>uf, was er aber in Israel vergebli<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> bloß beim Heiden<br />

fand: Glaube! 7,9: Als aber Jesus dies hörte, verw<strong>und</strong>erte er si<strong>ch</strong> über ihn <strong>und</strong><br />

wandte si<strong>ch</strong> um <strong>und</strong> sagte zu der S<strong>ch</strong>ar, die ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>zog: I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t<br />

einmal in Israel fand i<strong>ch</strong> so großen Glauben. <strong>Die</strong>ses Wort erhält dur<strong>ch</strong> die einleitenden<br />

Gesprä<strong>ch</strong>e seine besondere Kraft. Ni<strong>ch</strong>t nur der Hauptmann errçpfand<br />

es tief, daß er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an Jesus herandrängen dürfe, weil er als Heide


196 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

ni<strong>ch</strong>t zu Israel gehört, sondern au<strong>ch</strong> den Ältesten, die für ihn baten, galt es als<br />

völlig gewiß, daß Israel ho<strong>ch</strong> über den Heiden stehe, so daß es eine sonderli<strong>ch</strong>e<br />

Gnade sei, wenn Jesus si<strong>ch</strong> zu ihm herablasse. Sie baten ihn ja nur deshalb darum,<br />

weil dieser Heide Israels "Wohltäter geworden war. Und nun war dieser<br />

Heide Israel zuvorgekommen, hatte, was dieses ni<strong>ch</strong>t hatte, <strong>und</strong> war gläubig<br />

zum Empfang der Gabe Jesu bereit, während Israel in seinem Unglauben dazu<br />

unfähig <strong>und</strong> unwürdig blieb. 7,10: Und als die Abgesandten in das Haus<br />

zurückkehrten, fanden sie den Kne<strong>ch</strong>t ges<strong>und</strong>.<br />

? 7,na: Und es ges<strong>ch</strong>ah am folgenden Tage, da wanderte er <strong>na<strong>ch</strong></strong> einer Stadt,<br />

die Nain heißt. Sie lag am Fuß des Tabor südöstli<strong>ch</strong> vom Berg, so daß die<br />

Wanderung von Kapernaum dorthin ni<strong>ch</strong>t einen übergroßen Tagesmars<strong>ch</strong> ergab.<br />

Au<strong>ch</strong> dieses Mal hat Jesus sofort <strong>na<strong>ch</strong></strong> einem bedeutsamen Zei<strong>ch</strong>en, das<br />

den Leuten von Kapernaum mä<strong>ch</strong>tig ins Gewissen spra<strong>ch</strong>, àie Stadt verlassen.<br />

Er hat sie jedesmal genötigt, was sie erlebten, ernst <strong>und</strong> still bei si<strong>ch</strong> zu überdenken<br />

<strong>und</strong> si<strong>ch</strong> selber klar zu werden, was ihre re<strong>ch</strong>te Stellung zu ihm sei.<br />

7,1 ib. 12: Und seine Jünger <strong>und</strong> eine große S<strong>ch</strong>ar wanderten mit ihm. Wie er<br />

aber zum Tor der Stadt kam, sieh! da wurde ein Gestorbener hinausgetragen,<br />

der einzige Sohn seiner Mutterm<strong>und</strong> sie war Witwe, <strong>und</strong> eine große S<strong>ch</strong>ar aus<br />

der Stadt war mit ihr. Hier handelte Jesus ungebeten. In der Begegnung mit<br />

dem Lei<strong>ch</strong>enzug liegt für ihn hier der Aufruf zur hilfrei<strong>ch</strong>en Tat; er sah auf<br />

die Hilflosigkeit <strong>und</strong> den harten Mangel der Frau mit Erbarmen. 7,13—17:<br />

Und als der Herr sie sah, erbarmte er si<strong>ch</strong> ihrer <strong>und</strong> sagte zu ihr: Weine ni<strong>ch</strong>t!<br />

Und er trat heran <strong>und</strong> berührte den Sarg; die Träger aber standen still. Und er<br />

sagte: Jüngling, i<strong>ch</strong> sage dir, steh auf! Und der Tote setzte si<strong>ch</strong> auf <strong>und</strong> begann<br />

zu spre<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> er gab ihn seiner Mutter. Aber Fur<strong>ch</strong>t erfaßte alle, <strong>und</strong> sie<br />

priesen Gott <strong>und</strong> sagten: Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden, <strong>und</strong>:<br />

Gott hat si<strong>ch</strong> seines Volkes angenommen. Und diesesWort verbreitete si<strong>ch</strong> über<br />

ihn in ganz Judäa <strong>und</strong> der ganzen Umgegend. Angesi<strong>ch</strong>ts des Todes empfand<br />

das Volk besonders lebhaft, daß es göttli<strong>ch</strong>e Gnade <strong>und</strong> Gabe vor Augen habe.<br />

Den Gr<strong>und</strong> sol<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t su<strong>ch</strong>t es in Jesu Amt, darin, daß ihn Gott zum Propheten,<br />

zum Boten seines Worts <strong>und</strong> Zeugen seines Willens gema<strong>ch</strong>t habe, <strong>und</strong><br />

das Ziel desselben sieht es darin, daß Gott seinem Volk Heil <strong>und</strong> Hilfe s<strong>ch</strong>affen<br />

will.<br />

Zu diesen Zeugnissen der Heilandsma<strong>ch</strong>t Jesu setzt <strong>Lukas</strong> no<strong>ch</strong> Jesu Antwort<br />

an den s<strong>ch</strong>wankenden Täufer, da er ihn auf seine Werke verwiesen<br />

hat, in denen si<strong>ch</strong> offenbart, daß er der ist, der kommen soll, dem der Mens<strong>ch</strong><br />

si<strong>ch</strong> mit ganzem Vertrauen ergeben kann, weil Gottes S<strong>ch</strong>utz <strong>und</strong> Hilfe bei<br />

ihm zu finden sind. 7,18—23: Und es beri<strong>ch</strong>teten dem Johannes seine Jünger


<strong>Lukas</strong> 7,io—28 197<br />

über dieses alles. Und Johannes rief zwei seiner Jünger zu si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ickte sie<br />

zum Herrn <strong>und</strong> ließ sagen: Bist du der, der kommen wird, oder erwarten wir<br />

einen anderen? Als aber die Männer zu ihm kamen, sagten sie: Johannes der<br />

Täufer sandte uns zu dir <strong>und</strong> läßt sagen: Bist du der, der kommen wird, oder<br />

erwarten wir einen anderen? In jener St<strong>und</strong>e heilte er viele von Krankheiten<br />

<strong>und</strong> Plagen <strong>und</strong> bösen Geistern, <strong>und</strong> vielen Blinden s<strong>ch</strong>enkte er das Sehen. Und<br />

er antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Geht, meldet Johannes, was ihr saht <strong>und</strong><br />

hörtet! Blinde sehen; Lahme gehen; Aussätzige werden rein, <strong>und</strong> Taube hören;<br />

Tote stehen auf; Armen wird die gute Bots<strong>ch</strong>aft gesagt. Und selig ist, wer an<br />

mir ni<strong>ch</strong>t Anstoß nimmt. Der Beri<strong>ch</strong>t ist derselbe, wie ihn Matthäus gab, ebenso<br />

die Worte, mit denen Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Weggang der Boten dem Volk das hohe<br />

Amt des Johannes vorgehalten hat.<br />

7,24-28: Als aber die Boten des Johannes weggingen, fing er an, zum Volk<br />

über Johannes zu spre<strong>ch</strong>en: Was wolltet ihr eu<strong>ch</strong> ansehen, als ihr in die Wüste<br />

zogt? S<strong>ch</strong>ilf, das der Wind biegt? Vielmehr, was wolltet ihr sehen, als ihr<br />

hinausgingt? Einen Mens<strong>ch</strong>en, der mit wei<strong>ch</strong>en Kleidern angetan ist. Sieh! die,<br />

die in herrli<strong>ch</strong>em Gewand <strong>und</strong> Wollust leben, sind in den königli<strong>ch</strong>en Palästen.<br />

Vielmehr, was wolltet ihr sehen, als ihr hinauszogt? Einen Propheten? Ja,<br />

i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Sogar mehr als einen Propheten. Denn dieser ist der, über den<br />

ges<strong>ch</strong>rieben ist: Sieh! i<strong>ch</strong> sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor<br />

dir herri<strong>ch</strong>ten wird (Malea<strong>ch</strong>i 3,1). I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Unter denen, die von Frauen<br />

geboren sind, gibt es keinen größeren Propheten als Johannes; wer aber kleiner<br />

ist, wird bei der Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes größer als er. „Es gibt keinen, der größer<br />

wäre als er", lesen wir bei Matthäus. Damit wir bei dieser Größe an den heiligen<br />

Beruf des Täufers dä<strong>ch</strong>ten, hat <strong>Lukas</strong> viellei<strong>ch</strong>t* hervorgehoben, kein Prophet<br />

sei größer als er. Bew<strong>und</strong>ernd s<strong>ch</strong>aut das Volk auf die früheren Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter<br />

zurück, die Propheten in ihrer Mitte hatten <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> Gottes Regierung<br />

deutli<strong>ch</strong>er erlebten als das gegenwärtige Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t. Und do<strong>ch</strong> hat dieses unglei<strong>ch</strong><br />

mehr empfangen als alle früheren Zeiten, einen Propheten, der größer<br />

als sie alle ist, weil er unmittelbar am Aufgang des göttli<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>es mitarbeitet<br />

<strong>und</strong> dem verheißenen Herrn der Gemeinde bei der Ausri<strong>ch</strong>tung seines Werkes<br />

hilft. Denno<strong>ch</strong> erhebt Gottes Gnade in ihrer letzten <strong>und</strong> hö<strong>ch</strong>sten <strong>Offenbarung</strong><br />

sol<strong>ch</strong>e, die kleiner sind als er, zu einem no<strong>ch</strong> höheren Amt <strong>und</strong> zu<br />

größerer Herrli<strong>ch</strong>keit.<br />

Bis hierher hat Jesu Rede bei beiden Evangelisten festen Zusammenhang <strong>und</strong><br />

gräbt mit mä<strong>ch</strong>tigem Bußwort einen einheitli<strong>ch</strong>en Gedanken in das Gewissen<br />

der Hörer hinein. An derselben Stelle, wo der Zusammenhang bei Matthäus<br />

* Das Wort „Prophet" steht in den Texten ni<strong>ch</strong>t überall.


I9 8 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

lockerer wird <strong>und</strong> Worte Jesu aneinandergereiht sind, bei denen si<strong>ch</strong> der Übergang<br />

von einem zum anderen dem Auge weniger lei<strong>ch</strong>t zeigt, gibt au<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong><br />

einen neuen Spru<strong>ch</strong>. 7,29. 30: Und das ganze Volk, das ihn hörte, <strong>und</strong> die<br />

Zöllner haben Gott gere<strong>ch</strong>tfertigt, da sie mit der Taufe des Johannes getauft<br />

wurden; die Pharisäer dagegen <strong>und</strong> die Lehrer des Gesetzes haben Gottes Rat<br />

an sie verworfen, da sie ni<strong>ch</strong>t von ihm getauft wurden. Für oder gegen Gott<br />

fiel die Ents<strong>ch</strong>eidung des Volks, als es Johannes zur Taufe berief. Gott gaben<br />

die re<strong>ch</strong>t, die si<strong>ch</strong> von ihm taufen ließen; Gott s<strong>ch</strong>alten die, die seine Taufe<br />

s<strong>ch</strong>alten, <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>ten seinen Rat zuni<strong>ch</strong>te, als sie si<strong>ch</strong> ihrer weigerten. Und<br />

wie seltsam war, was dabei zutage trat! <strong>Die</strong> Pharisäer <strong>und</strong> Gesetzeslehrer, die,<br />

von denen man erwarten sollte, daß sie mit vollem Gehorsam <strong>und</strong> glühender<br />

Buße Gottes Rat beistimmten, verwarfen ihn. Das übrige Volk, dessen Gottesdienst<br />

mangelhaft war, ja sogar die Zöllner, die mit ihm in offenem Hader lebten,<br />

sie anerkannten Gottes Gere<strong>ch</strong>tigkeit <strong>und</strong> stimmten ihm bei, sowohl wenn<br />

er ihre Sünde Sünde hieß, als wenn er ihnen seine Vergebung als ihren einzigen<br />

Weg in sein Rei<strong>ch</strong> anbot. S<strong>ch</strong>on früh hat man ges<strong>ch</strong>wankt, ob dies ein Spru<strong>ch</strong><br />

Jesu sei, dur<strong>ch</strong> den er sagte, was dur<strong>ch</strong> die Taufe am Jordan aus Israels Frömmigkeit<br />

geworden war, ähnli<strong>ch</strong> dem Glei<strong>ch</strong>nis von den beiden Söhnen, dem gehorsamen,<br />

der ungehorsam ward, <strong>und</strong> dem ungehorsamen, der gehorsam ward,<br />

Matthäus 21,28, oder ob die Worte einen Beri<strong>ch</strong>t des Evangelisten über die<br />

Antworten bilden, die Jesu Lob des Täufers beim Volke fand, daß die einen<br />

Gott priesen <strong>und</strong> seine Gere<strong>ch</strong>tigkeit bezeugten, die nämli<strong>ch</strong>, die dem Täufer<br />

gehorsam gewesen waren, die anderen aber Jesus widerspra<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t gelten<br />

ließen, daß das Werk des Täufers so wi<strong>ch</strong>tig sei, die Pharisäer <strong>und</strong> Lehrer<br />

nämli<strong>ch</strong>, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hatten taufen lassen <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> gezwungen waren,<br />

den Beruf des Täufers au<strong>ch</strong> jetzt zu verkleinern <strong>und</strong> Jesus zu widerspre<strong>ch</strong>en,<br />

damit sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst bes<strong>ch</strong>uldigten*. Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> haben wir hier einen<br />

Ausspru<strong>ch</strong> Jesu vor uns, den <strong>Lukas</strong> hierher gesetzt hat, weil au<strong>ch</strong> dieser Spru<strong>ch</strong><br />

die Wi<strong>ch</strong>tigkeit erkennbar ma<strong>ch</strong>t, die Jesus der Taufe des Johannes zuges<strong>ch</strong>rieben<br />

hat, so daß si<strong>ch</strong> an ihr der Weg Israels ents<strong>ch</strong>ied, sei es zu Gott hin, sei es<br />

von ihm weg, <strong>und</strong> an ihr s<strong>ch</strong>on offenbar ward, daß Jesus nur dazu kommen<br />

konnte, die Sünder zu berufen.<br />

Daran s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> wörtli<strong>ch</strong> wie bei Matthäus das Glei<strong>ch</strong>nis, das Israel sein<br />

Bild in den launis<strong>ch</strong>en, zankenden Kindern gibt, weil weder Johannes no<strong>ch</strong><br />

• Mit der vers<strong>ch</strong>iedenen Auffassung hängt zusammen, daß die einen Texte das Glei<strong>ch</strong>nis V. 31 unmittelbar<br />

anfügen — dann ist au<strong>ch</strong> das Vorangehende als Jesu Wort verstanden —, die andern davor no<strong>ch</strong> die<br />

Worte haben: Es sagte aber der Herr. <strong>Die</strong>se deuten dur<strong>ch</strong> den neuen Absatz an, daß das Vorangehende<br />

eine Itemerkung des Evangelisten sei. Es ist aber ni<strong>ch</strong>t wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, daß diese Worte von <strong>Lukas</strong> ges<strong>ch</strong>rieben<br />

sind.


<strong>Lukas</strong> 7,29—38 199<br />

Jesus ihren Beifall finden können, sondern sie beide Boten Gottes kindis<strong>ch</strong><br />

meistern. 7,31—35: Wem soll i<strong>ch</strong> nun die Menseben dieses Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts verglei<strong>ch</strong>en,<br />

<strong>und</strong> wem glei<strong>ch</strong>en sie? Sie glei<strong>ch</strong>en den Kindern^ die auf dem Marktplatz<br />

sitzen, einander anrufen <strong>und</strong> sagen: Wir bliesen eu<strong>ch</strong> auf der Flöte, <strong>und</strong> ihr<br />

tanztet ni<strong>ch</strong>t; wir sangen ein Trauerlied, <strong>und</strong> ihr jammertet ni<strong>ch</strong>t. Denn Johannes<br />

der Täufer kam, aß kein Brot <strong>und</strong> trank keinen Wein, <strong>und</strong> ihr sagt:<br />

Er hat einen bösen Geist. Der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en kam, aß <strong>und</strong> trank, <strong>und</strong> ihr<br />

sagt: Seht! ein Fresser <strong>und</strong> Säufer, ein Fre<strong>und</strong> der Zöllner <strong>und</strong> Sünder. Und<br />

die Weisheit wurde gere<strong>ch</strong>tfertigt an allen ihren Kindern. Ni<strong>ch</strong>t im Urteil<br />

Israels, wohl aber in dem, was sie s<strong>ch</strong>afft, hat Gottes "Weisheit ihre Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />

gef<strong>und</strong>en. Zwar ist es au<strong>ch</strong> ihr Werk, daß sie die Torheit des Mens<strong>ch</strong>en<br />

offenbar ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> zu Fall bringt; ihr hö<strong>ch</strong>stes Werk ist aber, daß sie Kinder<br />

der Weisheit erzeugt, Mens<strong>ch</strong>en, denen sie ihre Art gibt, die sie selbst leitet <strong>und</strong><br />

erfüllt. Daß es trotz Israels Unverstand sol<strong>ch</strong>e aus der Weisheit Gottes geborene<br />

Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> den <strong>Die</strong>nst des Täufers <strong>und</strong> Jesu gibt, das ist ihre<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung. Darin wird offenbar, daß Gottes Mittel do<strong>ch</strong> die re<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong><br />

Gottes Wege do<strong>ch</strong> die guten <strong>und</strong> geraden sind.<br />

No<strong>ch</strong> eine neue Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te hat uns <strong>Lukas</strong> bewahrt, weil sie uns einen besonders<br />

hellen Einblick in Jesu Gnade gibt. 7,36: Einer der Pharisäer bat ihn aber,<br />

daß er bei ihm esse. Und er trat in das Haus des Pharisäers ein <strong>und</strong> legte si<strong>ch</strong><br />

am Tis<strong>ch</strong>e nieder. Der Pharisäer will ihn dur<strong>ch</strong> seine Einladung ehren, <strong>und</strong> Jesus<br />

war so demütig <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>, daß er si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> eine sol<strong>ch</strong>e Ehrung wohl<br />

gefallen ließ. Aber während des Mahles ges<strong>ch</strong>ah ein Ereignis, das offenbar<br />

ma<strong>ch</strong>te, wie heftig <strong>und</strong> gründli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> der Pharisäer an ihm ärgerte, obwohl sie<br />

am selben Tis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>einbar im fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>en Verkehr beisammen waren. 7,37. 38:<br />

Und sieh! eine Frau, eine Sünderin, die in der Stadt war <strong>und</strong> erfahren hatte,<br />

daß er im Haus des Pharisäers am Tis<strong>ch</strong> lag, bra<strong>ch</strong>te ein Fläs<strong>ch</strong><strong>ch</strong>en mit Salböl,<br />

stand hinten bei seinen Füßen, weinte <strong>und</strong> begann, mit ihren Tränen seine<br />

Füße zu benetzen, <strong>und</strong> wis<strong>ch</strong>te sie mit den Haaren ihres Kopfes ab <strong>und</strong> küßte<br />

seine Füße <strong>und</strong> salbte sie mit dem Salböl. Eine Frau, die ihre Ehre verloren<br />

hatte <strong>und</strong> in ihrem Gewissen eine S<strong>ch</strong>uld trug, die jedermann kannte, stellte<br />

si<strong>ch</strong> gebeugt hinter Jesus, ließ ihre Tränen auf seine Füße fließen <strong>und</strong> wis<strong>ch</strong>te<br />

sie, als wären es Flecken, wieder mit ihren Haaren ab, drückte ihre Küsse auf<br />

sie <strong>und</strong> goß auf sie das duftende öl, <strong>und</strong> Jesus ließ sie gewähren. Er spri<strong>ch</strong>t<br />

ni<strong>ch</strong>t mit ihr, aber s<strong>ch</strong>ilt sie au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, sondern läßt dem Drang ihres Herzens<br />

Lauf <strong>und</strong> gönnt es ihr, daß sie ihm danken darf.<br />

<strong>Die</strong> Glut ihres Dankes enthüllt die brennende Qual, die ihr bis jetzt alle<br />

dur<strong>ch</strong> die beständige Anre<strong>ch</strong>nung ihrer S<strong>ch</strong>uld bereitet haben. Wir, die wir, sei


2OO Jesu Arbeit in Galiläa<br />

es au<strong>ch</strong> dürftig <strong>und</strong> äußerli<strong>ch</strong>, von Jugend an vom Wort Jesu berührt sind,<br />

wissen ni<strong>ch</strong>t mehr, wie s<strong>ch</strong>wer die Last für die war, die den verdammenden<br />

Spru<strong>ch</strong> des Gesetzes zu tragen hatten. Ratlos <strong>und</strong> hilflos standen sie vor ihrer<br />

S<strong>ch</strong>uld, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t sie allein; hier wußte niemand Rat. Wie soll das Ges<strong>ch</strong>ehene<br />

unges<strong>ch</strong>ehen <strong>und</strong> das zerbro<strong>ch</strong>ene Leben wieder aufgeri<strong>ch</strong>tet werden? Sie<br />

konnten alle ni<strong>ch</strong>ts Besseres, als daß au<strong>ch</strong> sie den Gefallenen no<strong>ch</strong> stießen, damit<br />

er ganz falle, <strong>und</strong> den S<strong>ch</strong>uldigen unablässig quälten, damit er seine Missetat<br />

büße. Nun kam Jesus <strong>und</strong> trug die Vers<strong>ch</strong>uldeten in Gottes Rei<strong>ch</strong> hinein.<br />

Alles war damit verwandelt, eine neue Zeit begonnen, eine neue Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

geoffenbart, eine neue Geburt gewährt, "Wiedergeburt aus Gott. Da die Frau<br />

unter der alten Ordnung gelitten hatte, wußte sie, was uns Jesus bra<strong>ch</strong>te, <strong>und</strong><br />

dankte ihm dafür.<br />

7,39: Als es aber der Pharisäer sah, der ihn geladen hatte, sagte er bei si<strong>ch</strong>:<br />

Wenn dieser ein Prophet wäre, so würde er erkennen, wer <strong>und</strong> wel<strong>ch</strong>er Art die<br />

Frau ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. Der "Wirt Jesu kann si<strong>ch</strong><br />

sein Benehmen nur dann erklären, wenn er von der Tat <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>uld der Frau<br />

ni<strong>ch</strong>ts weiß. Somit fehlt ihm jene Erleu<strong>ch</strong>tung, die den Propheten auszei<strong>ch</strong>net,<br />

jener Blick des göttli<strong>ch</strong>en Geistes ins Mens<strong>ch</strong>enherz, der ihn befähigt, die Mens<strong>ch</strong>en<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Urteil zu behandeln <strong>und</strong> an ihnen das "Werk der göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gere<strong>ch</strong>tigkeit zu tun. "Wüßte Jesus, was die Frau ist, so ließe er nimmermehr<br />

zu, daß sie ihn berührte. Nur die Unwissenheit ents<strong>ch</strong>uldigt ihn ; aber Unwissenheit<br />

verträgt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit dem Prophetenamt.<br />

Da gab ihm Jesus einen Erweis seiner in die Herzen s<strong>ch</strong>auenden Erleu<strong>ch</strong>tung<br />

dur<strong>ch</strong> den Geist. 7,40—43 : Und Jesus anwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihm: Simon,<br />

i<strong>ch</strong> habe dir etwas zu sagen. Er aber sagt: Meister, spri<strong>ch</strong>! Ein Geldverleiher<br />

hatte zwei S<strong>ch</strong>uldner. Der eine war fünfh<strong>und</strong>ert, der andere fünfzig<br />

Denare s<strong>ch</strong>uldig. Da sie es ni<strong>ch</strong>t zurückgeben konnten, s<strong>ch</strong>enkte er es beiden.<br />

Wel<strong>ch</strong>er von ihnen wird ihn nun mehr lieben? Simon antwortet <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>:<br />

I<strong>ch</strong> nehme an, der, dem er mehr ges<strong>ch</strong>enkt hat. Er aber spra<strong>ch</strong>: Du hast ri<strong>ch</strong>tig<br />

geurteilt. Jesu Frage lenkt seinen Blick auf den Segen, der den Erlaß der S<strong>ch</strong>uld<br />

begleitet; daß er die liebe erweckt, daran hat der Pharisäer no<strong>ch</strong> nie geda<strong>ch</strong>t;<br />

er antwortet aber ri<strong>ch</strong>tig, daß der Erlaß der großen S<strong>ch</strong>uld die große liebe<br />

s<strong>ch</strong>affen werde. Dadur<strong>ch</strong> hat ihm Jesus gezeigt, warum er diese Frau ni<strong>ch</strong>t verstoßen<br />

kann, sondern ihre Gabe si<strong>ch</strong> Wohlgefallen läßt, warum er au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

nur an ihr, sondern an allen, au<strong>ch</strong> an seinem pharisäis<strong>ch</strong>en "Wirt so handelt<br />

<strong>und</strong> ihnen vergibt. Dazu vergibt er, damit wir lieben lernen, vergibt dazu au<strong>ch</strong><br />

große S<strong>ch</strong>ulden, damit wir viel lieben lernen, vergibt dazu alle unsere S<strong>ch</strong>ulden,<br />

damit wir ganz lieben lernen. Deshalb ist sein Vergeben eine heilige Sa<strong>ch</strong>e,


<strong>Lukas</strong> 7,39—47<br />

frei von jeder Verdä<strong>ch</strong>tigung. So ma<strong>ch</strong>t er au<strong>ch</strong> aus dem Fall einen Segen <strong>und</strong><br />

zieht au<strong>ch</strong> aus der Sünde eine Kraft zum Guten. Wie soll si<strong>ch</strong> die Sünde in<br />

Segen verwandeln anders als so, daß er sie vergibt? Ri<strong>ch</strong>tet er sie, so wird sie<br />

dem Mens<strong>ch</strong>en zur "Wurzel des Verderbens <strong>und</strong> des Todes; vergibt er sie, so<br />

ri<strong>ch</strong>tet ihn sein Vergeben auf <strong>und</strong> treibt in ihm die liebe hervor, <strong>und</strong> das ist<br />

es, was Gottes Gnade su<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Jesus von uns begehrt.<br />

Au<strong>ch</strong> mit seinem "Wirt kann Jesus nur dadur<strong>ch</strong> in Verkehr <strong>und</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

treten, daß er ihm vergibt. Er hat ni<strong>ch</strong>t eine so große S<strong>ch</strong>uld auf si<strong>ch</strong> wie diese<br />

Frau; aber au<strong>ch</strong> er hat seine S<strong>ch</strong>ulden, die nur dur<strong>ch</strong> Jesu Vergebung bedeckt<br />

sind. Daß seine S<strong>ch</strong>uld ni<strong>ch</strong>t so groß ist, das gibt ihm kein Re<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> über<br />

diese Gefallene zu erhöhen; vielmehr steht er mit seiner kleinen, armseligen<br />

Liebe tief unter ihr. 7,44—46: Und er wandte si<strong>ch</strong> zur Frau <strong>und</strong> sagte zu Simon:<br />

Du siebst diese Frau. I<strong>ch</strong> trat ein in dein Haus; du gössest kein Wasser<br />

auf meine Füße. Sie aber hat meine Füße mit ihren Tränen benetzt <strong>und</strong> mit<br />

ihren Haaren abgerieben. Einen Kuß gabst du mir ni<strong>ch</strong>t. Sie aber hat, seit i<strong>ch</strong><br />

eintrat, unaufhörli<strong>ch</strong> meine Füße geküßt. Du hast mein Haupt ni<strong>ch</strong>t mit öl<br />

gesalbt; sie aber salbte mit Salböl meine Füße. Au<strong>ch</strong> der Pharisäer hat ihn geehrt,<br />

aber mit Maß, <strong>und</strong> hat ihn zu Gast geladen, aber mit vornehmer Zurückhaltung,<br />

die si<strong>ch</strong> Jesus gegenüber ni<strong>ch</strong>ts vergab. Ihm die Füße zu was<strong>ch</strong>en,<br />

dessen hätte er si<strong>ch</strong> geweigert; einen Kuß hatte er für ihn ni<strong>ch</strong>t, au<strong>ch</strong> kein öl<br />

als Salbe auf sein Haupt. Derglei<strong>ch</strong>en ließ sein kalter Stolz ni<strong>ch</strong>t zu. Wie tief<br />

stand seine Liebe unter der dieser Frau! Ihr war der Stolz gebro<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> die<br />

eigensü<strong>ch</strong>tige Kälte zers<strong>ch</strong>molzen. Sie gab ihm alles, was sie hatte, <strong>und</strong> weil sie<br />

sein Haar ni<strong>ch</strong>t zu salben wagte, salbte sie seinen Fuß. Woher kam dieser Unters<strong>ch</strong>ied?<br />

Der Pharisäer weiß ni<strong>ch</strong>ts von öffentli<strong>ch</strong>em Fall, sondern hat Gottes<br />

Gebot von Jugend an vor Augen gehabt. Seine S<strong>ch</strong>uld ist somit klein. Er<br />

kommt mit Lei<strong>ch</strong>tigkeit über sie hinweg <strong>und</strong> bew<strong>und</strong>ert si<strong>ch</strong> deshalb, weil er<br />

si<strong>ch</strong> nur so wenig versündigt habe! So bleibt aber seine liebe klein, <strong>und</strong> er<br />

fällt an seiner Gere<strong>ch</strong>tigkeit tiefer als diese Frau. Sie weiß, daß sie Vergebung<br />

brau<strong>ch</strong>t, weiß es zu s<strong>ch</strong>ätzen, daß ihr Jesus sie gibt <strong>und</strong> gewinnt dadur<strong>ch</strong> die<br />

große Liebe.<br />

7,47: Deswegen sage i<strong>ch</strong> dir: Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben, weil sie<br />

viel liebte; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. Vergeben ward<br />

ihr, ehe sie liebte, als sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t lieben konnte, sondern nur über si<strong>ch</strong> selbst<br />

zu weinen vermo<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> unter ihrer Last zerbra<strong>ch</strong>. Vergeben ward ihr, weil<br />

Jesus Vollma<strong>ch</strong>t hat, auf Erden Sünden zu vergeben, weil ihn die Gnade gesandt<br />

hat, damit er ihr Bote an die sei, die aus ihrer S<strong>ch</strong>uld si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t lösen können.<br />

Sie hat aber Jesu Vergeben mit verlangendem Herzen empfangen <strong>und</strong> ihre<br />

2O1


2.OZ Jesu Arbeit in Galiläa<br />

Liebe daran entzündet. So gilt es aufs neue: es ist ihr verziehen <strong>und</strong> dies deshalb,<br />

weil sie liebt, <strong>und</strong> ihre große S<strong>ch</strong>uld bleibt begraben <strong>und</strong> getilgt, weil sie große<br />

liebe hat. Eben jetzt handelte es si<strong>ch</strong> darum, ob ihr verziehen werden dürfe<br />

oder ni<strong>ch</strong>t. Der Pharisäer wurde ihr Verkläger, verwehrte ihr den Zugang zu<br />

Jesus <strong>und</strong> verbot ihm die Gnade. Wird ihm re<strong>ch</strong>t gegeben, so wird ihr ni<strong>ch</strong>t<br />

verziehen. Aber es wird ihr verziehen, <strong>und</strong> Jesus wird ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> ihr Verkläger,<br />

sondern ihr Anwalt, ni<strong>ch</strong>t ihr Verä<strong>ch</strong>ter, sondern der, der sie ehrt <strong>und</strong><br />

s<strong>ch</strong>ützt <strong>und</strong> ihre Gabe si<strong>ch</strong> gefallen läßt, <strong>und</strong> wie könnte er anders handeln,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>dem sie viel geliebt hat <strong>und</strong> sein Vergeben seine heilige Fru<strong>ch</strong>t in ihr s<strong>ch</strong>uf<br />

<strong>und</strong> ihr zur Aufri<strong>ch</strong>tung geworden ist! Soll er wieder zertreten, was seine<br />

Gnade wirkt, <strong>und</strong> diese widerrufen, indem er ihre Liebe wertlos heißt <strong>und</strong> von<br />

si<strong>ch</strong> stößt? Wem aber wenig vergeben ist, der wird es ihr freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong><br />

tun <strong>und</strong> bleibt da stehen, wo Simon steht, <strong>und</strong> erlebt es, wie aussErsten Letzte<br />

werden. Ein Erster war er; denn seine S<strong>ch</strong>uld blieb klein; <strong>und</strong> ein Letzter wird<br />

er; denn seine Liebe bleibt klein.<br />

W<strong>und</strong>erbar zart in heiliger Weisheit hat hier Jesus beides getan, über das<br />

gefallene Weib seine s<strong>ch</strong>ützende Hand gehalten <strong>und</strong> zuglei<strong>ch</strong> dem Gewissen des<br />

Pharisäers re<strong>ch</strong>t gegeben, soweit es re<strong>ch</strong>t hatte, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ihm den Sta<strong>ch</strong>el<br />

eingesenkt, der ihn vorwärts trieb. Er war gere<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> die Frau eine Sünderin;<br />

darin hatte er re<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> Jesus bestätigte dies; aber war das, was ihm verziehen<br />

ist, wirkli<strong>ch</strong> so gering, daß er notwendig nur eine arme, kranke Liebe haben<br />

muß? War ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> seine S<strong>ch</strong>uld groß genug, daß sie ihn von Herzen zum<br />

Danken treiben konnte, daß au<strong>ch</strong> ihm vergeben sei?<br />

Nun kam derselbe Anstoß wieder wie damals, als Jesu dem Gi<strong>ch</strong>tbrü<strong>ch</strong>igen<br />

verziehen hat. 7,48. 49: Er aber spra<strong>ch</strong> zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben.<br />

Und die, die mit am Tis<strong>ch</strong>e lagen, begannen untereinander zu sagen:<br />

Wer ist dieser, daß er sogar Sünden vergibt? Sie merkten das Geheimnis Jesu,<br />

wie er in einer w<strong>und</strong>erbaren Einigkeit mit dem Vater stand <strong>und</strong> daraus ein<br />

Re<strong>ch</strong>t zur Gnade s<strong>ch</strong>öpfte über das hinaus, was im Maße des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Lebens liegt. Do<strong>ch</strong> dieses Geheimnis blieb ihnen verdeckt, <strong>und</strong> sie ärgerten<br />

si<strong>ch</strong>. Der Frau aber hat Jesus seine Gnade besiegeltl 7,50: Er spra<strong>ch</strong> aber zur<br />

Frau: Dein Glaube hat di<strong>ch</strong> gerettet. Geh im Frieden fort! Auf den Glauben<br />

ri<strong>ch</strong>tet er ihren Blick als auf das, was Gottes Vergeben empfängt <strong>und</strong> ihr die<br />

Hilfe gebra<strong>ch</strong>t hat, die sie von S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong> Geri<strong>ch</strong>t befreit. Sie soll ni<strong>ch</strong>t ihre<br />

Liebe messen, ob sie groß sei <strong>und</strong> stark, so groß, um ihre große Sünde zu bedecken.<br />

Ihre Liebe zu rühmen ist einzig Jesu Sa<strong>ch</strong>e, ni<strong>ch</strong>t die ihrige. Ni<strong>ch</strong>t so<br />

ist ihr vergeben worden, sondern weil sie geglaubt hat, Gottes Gnade an Jesus<br />

erkannte, ergriff, darin die Vergebung hatte <strong>und</strong> daraus in den heißen, vollen


<strong>Lukas</strong> 7,48—50; 8,1—3<br />

Dank der Liebe kam. Im Glauben liegt der feste Gr<strong>und</strong>, der Jesus ihr verb<strong>und</strong>en<br />

ma<strong>ch</strong>t, au<strong>ch</strong> der feste Gr<strong>und</strong>, aus dem ihre liebe wä<strong>ch</strong>st, <strong>und</strong> darum geht<br />

sie im Frieden fort.<br />

8,1—3: Und es ges<strong>ch</strong>ah in der darauffolgenden Zeit, da wanderte er von<br />

Stadt zu Stadt <strong>und</strong> von Dorf zu Dorf, verkündigte <strong>und</strong> sagte die gute Bots<strong>ch</strong>aft<br />

von Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft, <strong>und</strong> die Zwölf waren bei ihm <strong>und</strong> einige Frauen,<br />

die von bösen Geistern <strong>und</strong> Krankheiten geheilt worden waren, Maria mit dem<br />

Beinamen die aus Magdala, aus der sieben s<strong>ch</strong>limme Geister ausgefahren<br />

waren, <strong>und</strong> Johanna, die Frau des Chuzas, des Verwalters des Herodes, <strong>und</strong><br />

Susanna <strong>und</strong> viele andere, die ihnen mit ihrer Habe dienten. Daß bei den "Wanderungen<br />

Jesu dur<strong>ch</strong> Galiläa au<strong>ch</strong> eine größere Anzahl von Frauen in seiner<br />

Begleitung war, das bildete in wi<strong>ch</strong>tiger "Weise die Gestalt der späteren Gemeinde<br />

vor, von der Paulus s<strong>ch</strong>reibt: Hier ist weder Mann no<strong>ch</strong> Frau, sondern<br />

alles in allen Christus. S<strong>ch</strong>on im Jüngerkreis Jesu war die Erniedrigung der<br />

Frau dur<strong>ch</strong>bro<strong>ch</strong>en, die sonst au<strong>ch</strong> in Israel no<strong>ch</strong> auf ihr lag. Jesus hat ihr unter<br />

den Seinen Platz gema<strong>ch</strong>t zu einem freien <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> reinen Verkehr, wo seine<br />

Gegenwart ni<strong>ch</strong>ts Unreines entstehen ließ <strong>und</strong> darum die Fesseln fallen konnten,<br />

mit denen sonst die Sitte die Bewegung der Frauen zu ihrem eigenen<br />

S<strong>ch</strong>utz <strong>und</strong> zu dem der Männer band. Es waren vor allem Frauen, die ein besonderer<br />

Dank zu Jesus zog, weil er ihnen Heilung gebra<strong>ch</strong>t hatte. <strong>Lukas</strong><br />

nennt zuerst die Magdalena genannte Maria, die ihren Namen von Magdala<br />

am See von Tiberias hat. Weil sie besonders s<strong>ch</strong>wer von inneren Verwirrungen<br />

heimgesu<strong>ch</strong>t gewesen war, da sie si<strong>ch</strong> von einer Mehrzahl von Geistern geplagt<br />

fühlte, viellei<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedene Stimmen getrieben war, die sie in si<strong>ch</strong><br />

vernahm, war sie au<strong>ch</strong> mit besonderer Dankbarkeit Jesus verb<strong>und</strong>en. "Während<br />

sie in allen <strong>Evangelien</strong> genannt ist, weil ihr Jesus am Ostertag die sonderli<strong>ch</strong>e<br />

"Wohltat erwies, nennt uns nur <strong>Lukas</strong> die Johanna, die mit einem Verwalter<br />

des Herodes, wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> des Antipas, verheiratet war <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> als eine<br />

vornehme Frau bezei<strong>ch</strong>net ist. Der Fürst besaß großen Gr<strong>und</strong>besitz, der dur<strong>ch</strong><br />

seine Verwalter regiert wurde. Einer dieser Männer wird ihr Gemahl gewesen<br />

sein. Au<strong>ch</strong> diese Johanna zog mit Jesus <strong>und</strong> den Jüngern <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem <strong>und</strong><br />

findet si<strong>ch</strong> im Osterberi<strong>ch</strong>t des <strong>Lukas</strong> wieder, 24,10. Er bereitet deutli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

diese Angabe vor, was er uns später in der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Kreuzigung <strong>und</strong> Auferstehung<br />

Jesu zu erzählen hat. S<strong>ch</strong>on während der "Wanderzeit in Galiläa<br />

haben diese Frauen Jesus bei seinem "Werk gedient, ni<strong>ch</strong>t wie die Jünger, denen<br />

er das Botenamt gegeben hat, sondern so, daß sie für den Unterhalt Jesu <strong>und</strong><br />

seiner Begleiter gesorgt haben.<br />

ZO 3


2O4 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

<strong>Die</strong> spätere Wirksamkeit in Galiläa<br />

(Aus <strong>Markus</strong> 3,31-6,52; 8,27-9,50)<br />

<strong>Die</strong> bei der Einsetzung des Apostolats abgebro<strong>ch</strong>ene Erzählung des <strong>Markus</strong><br />

setzt <strong>Lukas</strong> mit der Predigt Jesu in Glei<strong>ch</strong>nissen über das Himmelrei<strong>ch</strong> wieder<br />

fort. Dazwis<strong>ch</strong>en standen bei <strong>Markus</strong> nur Jesu strafende Worte an die Pharisäer,<br />

die ihn lästerten, <strong>und</strong> an seine Brüder, die ihn holen wollten. Ersteres gibt<br />

<strong>Lukas</strong> später rei<strong>ch</strong>er <strong>na<strong>ch</strong></strong> Matthäus; dieses hat er sofort <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Glei<strong>ch</strong>nis<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>geholt.<br />

8,4—8: Als aber eine große S<strong>ch</strong>ar zusammenkam <strong>und</strong> sie aus allen Städten<br />

zu ihm zogen, sagte er dur<strong>ch</strong> ein Glei<strong>ch</strong>nis: Der Säemann ging aus, um seine<br />

Saat zu säen. Und als er sate, fiel das eine an den Weg <strong>und</strong> wurde zertreten,<br />

<strong>und</strong> die Vögel des Himmels fraßen es. Und anderes fiel auf den Felsen, wu<strong>ch</strong>s<br />

<strong>und</strong> verdorrte, weil es keine Feu<strong>ch</strong>tigkeit hatte. Und anderes fiel mitten in die<br />

Dornen, <strong>und</strong> die Dornen wu<strong>ch</strong>sen glei<strong>ch</strong>zeitig auf <strong>und</strong> erstickten es. Und anderes<br />

fiel in den guten Boden,wu<strong>ch</strong>s auf <strong>und</strong> bra<strong>ch</strong>te h<strong>und</strong>ertfa<strong>ch</strong>e Fru<strong>ch</strong>t. Als er<br />

das sagte, rief er: Wer Ohren hat, so daß er hören kann, der höre! In derselben<br />

Weise wie von <strong>Markus</strong> wird nun gesagt, daß die Jünger <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Deutung des<br />

Bildes verlangen <strong>und</strong> warum Jesus darauf beharrt, daß er Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

ni<strong>ch</strong>t allen so zeigen kann, daß sie sie wahrnehmen. 8,9.10: Seine Jünger fragten<br />

ihn aber, was dieses Glei<strong>ch</strong>nis sei. Er aber sagte: Eu<strong>ch</strong> ist es gegeben, die<br />

Geheimnisse der Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes zu erkennen, den anderen aber dur<strong>ch</strong><br />

Glei<strong>ch</strong>nisse, damit sie zwar sehen <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sehen, hören <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t verstehen.<br />

<strong>Die</strong> Jünger empfangen dagegen Jesu Deutung, die im wesentli<strong>ch</strong>en diejenige<br />

der Evangelisten wiederholt; nur mit kleinen Winken bes<strong>ch</strong>reibt <strong>Lukas</strong><br />

die innerli<strong>ch</strong>en Vorgänge, auf die das Glei<strong>ch</strong>nis sieht, etwas deutli<strong>ch</strong>er.<br />

8,11.12: Das Glei<strong>ch</strong>nis bedeutet aber dies: Der Same ist das Wort Gottes.<br />

<strong>Die</strong>, bei denen der Same an den Weg fiel, sind die, die gehört haben; darauf<br />

kommt der Verkläger <strong>und</strong> nimmt das Wort aus ihrem Herzen weg, damit sie<br />

ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong>, daß sie glauben, errettet werden. Es gibt Hörer, denen der Teufel<br />

das Wort aus dem Herzen nimmt; warum tut er das? <strong>Die</strong> Heilsma<strong>ch</strong>t des<br />

Worts ma<strong>ch</strong>t, daß er ihm widersteht <strong>und</strong> seine Wirkung, soweit ihm Ma<strong>ch</strong>t gegeben<br />

wird, verni<strong>ch</strong>tet. Wird das Wort geglaubt, so s<strong>ch</strong>enkt es die Errettung.<br />

Dur<strong>ch</strong> das geglaubte Wort steht man im S<strong>ch</strong>utz der Gnade. Darum ist der<br />

Teufel der Förderer des Unglaubens <strong>und</strong> Widersa<strong>ch</strong>er des Glaubens, weil er<br />

der Errettung des Mens<strong>ch</strong>en widersteht. 8,13 : <strong>Die</strong> aber, bei denen der Same auf<br />

den Fels fiel, sind die, die das Wort, wenn sie es hören, mit Freuden annehmen,<br />

<strong>und</strong> diese haben keine Wurzel, die bloß für einige Zeit glauben <strong>und</strong> zur Zeit<br />

der Versu<strong>ch</strong>ung abfallen. <strong>Lukas</strong> heißt sie ni<strong>ch</strong>t ungläubig, sagt vielmehr: Sie


<strong>Lukas</strong> 8,4—18 . 205<br />

glauben, aber nur eine Zeitlang. Darum glei<strong>ch</strong>en sie dem Korn, das keimt<br />

<strong>und</strong> wä<strong>ch</strong>st, weil hier das Wort Glauben s<strong>ch</strong>uf <strong>und</strong> als Wahrheit den Hörer<br />

«griff <strong>und</strong> umfing. Denno<strong>ch</strong> kann das Wort no<strong>ch</strong> unfru<strong>ch</strong>tbar werden, wenn<br />

dem Glauben die Bewährung au<strong>ch</strong> unter dem Druck der Versu<strong>ch</strong>ung <strong>und</strong> Verfolgung<br />

fehlt. 8,14: Was aber in die Dornen fiel, das sind die, die gehört haben,<br />

hingehen <strong>und</strong> von den Sorgen <strong>und</strong> dem Rei<strong>ch</strong>tum <strong>und</strong> den Ergötzungen des<br />

Lebens erstickt werden <strong>und</strong> die Fru<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t zur Reife bringen. Für die Dornen,<br />

die das Wort im Mens<strong>ch</strong>en verdrängen, nennt uns <strong>Lukas</strong> wie <strong>Markus</strong> drei<br />

Dinge: die Sorgen <strong>und</strong> den Rei<strong>ch</strong>tum <strong>und</strong> parallel mit den „auf das übrige geri<strong>ch</strong>teten<br />

Begierden" bei <strong>Markus</strong> all das Wohlsein, das si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> dann<br />

bereiten kann, wenn er seinen Lebensunterhalt rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> hat. An dieser erfreuenden<br />

Mannigfaltigkeit von Genüssen erkrankt <strong>und</strong> stirbt der Glaube,<br />

erlahmt <strong>und</strong> erlis<strong>ch</strong>t der auf Gott geri<strong>ch</strong>tete Blick <strong>und</strong> die ihn su<strong>ch</strong>ende Liebe.<br />

8,15: Was aber in die gute Erde fiel, das sind die, die das Wort, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem sie<br />

es gehört haben, in einem feinen <strong>und</strong> guten Herzen bewahren <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> Geduld<br />

Fru<strong>ch</strong>t bringen. Ohne die ausharrende Festigkeit, die im ergriffenen<br />

Worte bleibt <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen Kampf trägt, wird das Wort ni<strong>ch</strong>t<br />

so zu unserem Eigentum, daß es uns selbst <strong>und</strong> andere ins Leben führt.<br />

Auf die Deutung des Glei<strong>ch</strong>nisses folgt dieselbe Spru<strong>ch</strong>reihe wie bei <strong>Markus</strong>,<br />

die uns die Wi<strong>ch</strong>tigkeit des Hörens eins<strong>ch</strong>ärft, damit wir ermessen, was uns<br />

mit dem Wort gegeben, ist. 8,16—18: Niemand, der eine Lampe angezündet<br />

hat, bedeckt sie mit einem Gefäß oder stellt sie unter ein Bett; sondern er stellt<br />

sie auf den Leu<strong>ch</strong>ter, damit die, die hereinkommen, das Liebt sehen. Denn es<br />

gibt ni<strong>ch</strong>ts Verborgenes, was ni<strong>ch</strong>t offenbar werden wird, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts Heimli<strong>ch</strong>es,<br />

was ni<strong>ch</strong>t erkannt würde <strong>und</strong> an die Si<strong>ch</strong>tbarkeit käme. Darum gebt a<strong>ch</strong>t,<br />

wie ihr hört! Denn wer hat, dem wird gegeben werden, <strong>und</strong> wer ni<strong>ch</strong>t hat, von<br />

dem wird au<strong>ch</strong> das genommen werden, was er zu haben meint. Nur das Wort<br />

vom Maß, mit dem uns gemessen wird, weil au<strong>ch</strong> wir selber mit ihm maßen,<br />

fehlt hier, weil <strong>Lukas</strong> dieses s<strong>ch</strong>on 6,38 beim Gebot, das Ri<strong>ch</strong>ten zu lassen, verwendet<br />

hat. Vom Besitz, den uns Gottes gere<strong>ch</strong>tes Walten wieder nehmen<br />

kann, falls er uns ni<strong>ch</strong>t wirkli<strong>ch</strong> zu eigen wird, sagt <strong>Lukas</strong>, wir „meinten" ihn<br />

zu haben, ni<strong>ch</strong>t deshalb, weil Gottes Gaben uns ni<strong>ch</strong>t ernsthaft <strong>und</strong> mit treuem<br />

Sinn gewährt wären, sondern weil die Trägheit <strong>und</strong> Untreue immer mit einer<br />

dünkelhaften Si<strong>ch</strong>erheit verb<strong>und</strong>en ist, die Gottes Gaben als ihren unverlierbaren<br />

Besitz ansieht, au<strong>ch</strong> wenn sie sie ni<strong>ch</strong>t ehrt <strong>und</strong> benützt. <strong>Die</strong>se Einbildung<br />

wird dur<strong>ch</strong> Gottes gere<strong>ch</strong>tes Verfahren zerstört. <strong>Die</strong> beiden bei <strong>Markus</strong> folgenden<br />

Glei<strong>ch</strong>nisse, die uns weiter das Wort in seinem stillen, großen Wirken


2o6 Jesu Arbeifin Galiläa<br />

zeigen, hat <strong>Lukas</strong> dagegen ni<strong>ch</strong>t wiederholt. Dasjenige vom Senfkorn gibt er<br />

13,18 verb<strong>und</strong>en mit dem von Sauerteig.<br />

Wird uns nun erzählt, wie Jesus den Wuns<strong>ch</strong> der Mutter <strong>und</strong> Brüder dur<strong>ch</strong>kreuzt,<br />

so erhalten wir glei<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ein weiteres Zeugnis dafür, daß Jesus ins<br />

Wort das Rei<strong>ch</strong> Gottes setzt <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> zu denen hält, die es hören. 8,19—21: Es<br />

kamen aber seine Mutter <strong>und</strong> seine Brüder zu ihm <strong>und</strong> konnten ni<strong>ch</strong>t mit ihm<br />

zusammenkommen des Volkes wegen. Es wurde ihm aber gemeldet: Deine<br />

Mutter <strong>und</strong> deine Brüder stehen draußen <strong>und</strong> wüns<strong>ch</strong>en di<strong>ch</strong> zu sehen. Er aber<br />

antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Meine Mutter <strong>und</strong> meine Brüder sind die, die<br />

das Wort Gottes hören <strong>und</strong> tun. Bei den anderen Evangelisten lesen wir: <strong>Die</strong>,<br />

die den Willen Gottes tun. Aber der Wille Gottes ist uns ni<strong>ch</strong>t unbekannt <strong>und</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> unsere eigenen Vermutungen erst zu erfors<strong>ch</strong>en. Im Wort Gottes<br />

wird er uns gesagt, <strong>und</strong> weil wir dieses haben, können wir Gottes Willen tun.<br />

Darum ist es au<strong>ch</strong> das erste Stück des Gehorsams gegen Gottes Willen, daß wir<br />

sein Wort hören.<br />

Nun folgt jene Fahrt über den See, bei der Jesus den Sturm abwehrt <strong>und</strong><br />

drüben am anderen Ufer der Legion boshafter Geister in königli<strong>ch</strong>er Vollma<strong>ch</strong>t<br />

gebietet <strong>und</strong> den von ihnen Gequälten befreit. 8,22-25: Es ges<strong>ch</strong>ah<br />

aber an einem dieser Tage, da stiegen er <strong>und</strong> seine Jünger in ein S<strong>ch</strong>iff ein, <strong>und</strong><br />

er sagte zu ihnen: Wir wollen auf die andere Seite des Sees hinüberfahren, <strong>und</strong><br />

sie fuhren ab. Während sie aber fuhren, s<strong>ch</strong>lief er ein. Und ein Sturmwind fuhr<br />

auf den See hinab, <strong>und</strong> das Sdúff wurde voll Wasser, <strong>und</strong> sie waren in Gefahr.<br />

Sie traten aber zu ihm, weckten ihn <strong>und</strong> sagten: Meister, Meister, wir kommen<br />

um. Er aber ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> auf, sdialt den Wind <strong>und</strong> das Gewoge des Wassers,<br />

<strong>und</strong> sie hörten auf, <strong>und</strong> eine Windstille entstand. Er sagte aber zu ihnen: Wo<br />

ist euer Glaube? Sie für<strong>ch</strong>teten si<strong>ch</strong> aber, verw<strong>und</strong>erten si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sagten zueinander:<br />

Wer ist denn der, da er au<strong>ch</strong> den Winden <strong>und</strong> dem Wasser gebietet<br />

<strong>und</strong> sie ihm gehor<strong>ch</strong>en?<br />

8,26—39: Und sie s<strong>ch</strong>ifften in das Land der Gadarener hinüber, das Galiläa<br />

gegenüber liegt. Als er aber ausstieg an das Land, lief ihm ein Mann aus der<br />

Stadt entgegen, der böse Geister hatte, <strong>und</strong> während langer Zeit zog er kein<br />

Kleid an <strong>und</strong> blieb ni<strong>ch</strong>t in einem Haus, sondern in den Gräbern. Als er aber<br />

Jesus sah, s<strong>ch</strong>rie er auf, fiel vor ihm nieder <strong>und</strong> sagte mit lauter Stimme: Was<br />

habe i<strong>ch</strong> mit dir zu tun, Jesus, Sohn Gottes des Hö<strong>ch</strong>sten? I<strong>ch</strong> bitte di<strong>ch</strong>, daß<br />

du mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t quälest. Denn er befahl dem unreinen Geist, von dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

fortzugehen. Denn er hatte ihn während langer Zeit ergriffen, <strong>und</strong> er wurde<br />

mit Ketten <strong>und</strong> Fesseln geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bewa<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> er zerriß die Bande <strong>und</strong><br />

wurde vom Geist in die öden Orte getrieben. Jesus aber fragte ihn: Was hast


<strong>Lukas</strong> 8,ig—s6 207<br />

du für einen Namen? Er aber sagte: Legion, weil viele Geister in ihn eingegangen<br />

waren. Und sie baten ihn, ihnen ni<strong>ch</strong>t zu befehlen, in den Abgr<strong>und</strong><br />

fortzugehen. Dort war aber eine Herde vieler S<strong>ch</strong>weine auf der Weide am<br />

Berg, <strong>und</strong> sie ba'ten ihn, ihnen zu erlauben, in sie einzugehen, <strong>und</strong> er erlaubte<br />

es ihnen. <strong>Die</strong> Geister gingen aber von dem Mens<strong>ch</strong>en fort <strong>und</strong> in die S<strong>ch</strong>weine<br />

hinein, <strong>und</strong> die Herde stürmte über den Abhang in den See <strong>und</strong> ertrank. Als<br />

aber die, die sie hüteten, sahen, was ges<strong>ch</strong>ehen war, flohen sie <strong>und</strong> meldeten<br />

es in der Stadt <strong>und</strong> in den Gehöften. Sie kamen aber heraus, um zu sehen,<br />

was ges<strong>ch</strong>ehen war, <strong>und</strong> kamen zu Jesus <strong>und</strong> fanden den Mens<strong>ch</strong>en, von dem<br />

die Geister weggegangen waren, dasitzen bekleidet <strong>und</strong> vernünftig zu Jestt<br />

Füßen <strong>und</strong> für<strong>ch</strong>teten si<strong>ch</strong>. <strong>Die</strong> aber, die es gesehen hatten, beri<strong>ch</strong>teten ihnen,<br />

wie dem, der besessen war, geholfen worden war. Und die ganze Menge aus der<br />

Umgegend der Gadarener bat ihn, daß er von ihnen fortgehe; denn sie waren<br />

von großer Fur<strong>ch</strong>t bedrückt. Er aber stieg in das S<strong>ch</strong>iff ein <strong>und</strong> kehrte zurück.<br />

Aber der Mann, von dem die Geister fortgegangen waren, bat ihn, daß er bei<br />

ihm sein dürfe. Er entließ ihn aber <strong>und</strong> sagte: Kehre in dein Haus zurück, <strong>und</strong><br />

erzähle, wie Großes dir Gott getan hat. Und er ging weg <strong>und</strong> verkündigte in<br />

der ganzen Stadt, wie Großes Jesus ihm getan hatte.<br />

Heimgekehrt <strong>na<strong>ch</strong></strong> Kapernaum, gibt er dem blutflüssigen Weibe die Genesung<br />

<strong>und</strong> tritt als Geber des Lebens zur toten To<strong>ch</strong>ter des Jairus. 8,40—56:<br />

Als aber Jesus zurückkehrte, nahm ihn das Volk auf; denn alle warteten auf<br />

ihn. Und sieh! es kam ein Mann, der den Namen Jairus hatte, <strong>und</strong> dieser war<br />

ein Vorsteher der Versammlung, <strong>und</strong> er fiel zu Jesu Füßen nieder <strong>und</strong> bat ihn,<br />

in sein Haus zu kommen, weil er eine einzige To<strong>ch</strong>ter etwa von zwölf Jahren<br />

hatte <strong>und</strong> diese starb. Als er aber hinging, drängte ihn die Menge. Und eine<br />

Frau, die den Blutfluß seit zwölf Jahren hatte, die von niemand geheilt werden<br />

konnte, trat von hinten heran, berührte die Quaste seines Mantels, <strong>und</strong> sofort<br />

stand der Fluß ihres Bluts. Und^Jesus sagte: Wer ist der, der mi<strong>ch</strong> anrührte?<br />

Als es aber alle verneinten, sagte Petrus: Meister, die Menge umringt<br />

di<strong>ch</strong> <strong>und</strong> drängt. Jesus aber spra<strong>ch</strong>: Jemand hat mi<strong>ch</strong> angerührt; denn i<strong>ch</strong><br />

erkannte, daß eine Kraft von mir ausgegangen ist. Als aber die Frau sah, daß<br />

sie ni<strong>ch</strong>t verborgen blieb, kam sie zitternd, fiel vor ihm nieder <strong>und</strong> beri<strong>ch</strong>tete<br />

ihm vor dem ganzen Volk, aus wel<strong>ch</strong>em Gr<strong>und</strong> sie ihn berührt hatte <strong>und</strong> wie<br />

sie sofort geheilt worden war. Er aber sagte zu ihr: To<strong>ch</strong>ter, dein Glaube hat<br />

dir geholfen; geh im Frieden! Während er no<strong>ch</strong> redete, kommt jemand vom<br />

Vorsteher der Versammlung <strong>und</strong> sagt: Deine To<strong>ch</strong>ter ist gestorben; belästige<br />

den Lehrer ni<strong>ch</strong>t mehr! Jesus aber, der es hörte, antwortete ihm: Für<strong>ch</strong>te di<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t; nur glaube, so wird sie gerettet werden. Als er aber zum Haus kam, ließ


2o8 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

er niemand mit si<strong>ch</strong> hineintreten als Petrus <strong>und</strong> Johannes <strong>und</strong> Jakobus <strong>und</strong> den<br />

Vater des Kinds <strong>und</strong> die Mutter. Alle aber weinten <strong>und</strong> klagten um sie. Er<br />

aber spra<strong>ch</strong>: Weint ni<strong>ch</strong>t; sie starb ni<strong>ch</strong>t, sondern s<strong>ch</strong>läft. Und sie verla<strong>ch</strong>ten<br />

ihn, da sie wußten, daß sie gestorben war. Er aber ergriff ihre Hand, rief sie<br />

<strong>und</strong> sagte: Mäd<strong>ch</strong>en stehe auf! Und ihr Geist kehrte zurück, <strong>und</strong> sie stand<br />

sofort auf, <strong>und</strong> er befahl, daß ihr zu essen gegeben werde. Und ihre Eltern erstaunten;<br />

er aber befahl ihnen, niemand zu sagen, was ges<strong>ch</strong>ehen war.<br />

Na<strong>ch</strong> Nazareth, dessen Unglaube Jesu Erstaunen erregt, wohin der Beri<strong>ch</strong>t<br />

des <strong>Markus</strong> nun Jesus begleitet, führt uns <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr zurück, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem<br />

er uns s<strong>ch</strong>on zu Beginn gezeigt hat, was Jesus in der S<strong>ch</strong>ule von Nazareth<br />

widerfahren ist. Dagegen gibt er den Beri<strong>ch</strong>t über die Aussendung der Apostel,<br />

wie ihn <strong>Markus</strong> hat. 9,1—3: Er aber rief die Zwölf zusammen <strong>und</strong> gab ihnen<br />

Kraft <strong>und</strong> Vollma<strong>ch</strong>t über alle Geister <strong>und</strong> Krankheiten zu heilen, <strong>und</strong> er<br />

sandte sie aus, die Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes zu verkünden <strong>und</strong> zu heilen, <strong>und</strong> sagte<br />

zu ihnen: Nehmt ni<strong>ch</strong>ts auf den Weg, weder Stab nodo Sack no<strong>ch</strong> Brot no<strong>ch</strong><br />

Geld, no<strong>ch</strong> daß ihr je'zwei Röcke habt! <strong>Die</strong>sem Wort, das die Jünger frei von<br />

jeder irdis<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>werung auf ihren Botengang s<strong>ch</strong>ickt, ließ <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t ganz<br />

die Gestalt, die es bei <strong>Markus</strong> hat, weil er alles, au<strong>ch</strong> die kleinen Dinge, den<br />

Stab <strong>und</strong> die Sandalen, unter Jesu Verbot stellt, wohl damit nicÈt dur<strong>ch</strong> die<br />

kleinen Ausnahmen, die <strong>Markus</strong> ma<strong>ch</strong>t, der S<strong>ch</strong>ein entstehe, als sei Jesu dur<strong>ch</strong>greifende<br />

große Weisung, die den Jünger <strong>na<strong>ch</strong></strong> keinem greifbaren Lohne streben<br />

läßt, do<strong>ch</strong> wenigstens für einige Dinge ni<strong>ch</strong>t ernst gemeint.<br />

9,4—6: Und wenn ihr in ein Haus eintretet, so bleibt dort, <strong>und</strong> von dort<br />

geht fort! Und wenn sie eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aufnehmen, so geht von jener Stadt fort,<br />

<strong>und</strong> s<strong>ch</strong>üttelt den Staub von euren Füßen ab zum Zeugnis gegen sie! Sie aber<br />

gingen fort <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong>wanderten die Dörfer, sagten gute Bots<strong>ch</strong>aft <strong>und</strong> heilten<br />

überall. <strong>Lukas</strong> beri<strong>ch</strong>tet von den Heilungen der Jünger, ohne daß er die Salbung<br />

der Kranken mit öl erwähnt. Es zeigt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> hier wieder die selbständige,<br />

glaubensstarke Haltung unserer Evangelisten: sie haben ni<strong>ch</strong>t in<br />

äußerli<strong>ch</strong>er Na<strong>ch</strong>ahmung aus allem, was die Apostel taten, ein Gesetz für die<br />

Kir<strong>ch</strong>e gema<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> gewußt, daß ni<strong>ch</strong>t nur die äußere Lage, sondern* au<strong>ch</strong> der<br />

innere Glaubensstand den vers<strong>ch</strong>iedenen Zeiten <strong>und</strong> Männern vers<strong>ch</strong>ieden<br />

zugemessen ist. <strong>Lukas</strong> hat unzweifelhaft bei <strong>Markus</strong> gelesen, daß die Apostel<br />

öl bei ihren Heilungen brau<strong>ch</strong>ten, hat es aber ni<strong>ch</strong>t erwähnt, no<strong>ch</strong> viel weniger<br />

für die ganze Kir<strong>ch</strong>e aus der Salbung der Kranken eine Pfli<strong>ch</strong>t gema<strong>ch</strong>t.<br />

9,7—9: Aber der Vier für st Her ode s hörte alles, was ges<strong>ch</strong>ah, <strong>und</strong> war in<br />

Sorge, weil von einigen gesagt wurde: Johannes wurde aus den Toten auferweckt,<br />

von einigen aber: Elias ist ers<strong>ch</strong>ienen, von anderen aber: Einer der


<strong>Lukas</strong> 9,1—i? , 209<br />

alten Propheten auferstand. Herodes aber sagte: Den Johannes habe i<strong>ch</strong> enthauptet.<br />

Wer ist aber der, über den i<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>es höre? Und er wüns<strong>ch</strong>te ihn zu<br />

sehen. Daß Herodes über Jesus in Angst gerät, war <strong>Lukas</strong> au<strong>ch</strong> deshalb<br />

wi<strong>ch</strong>tig, weil er uns die Begegnung zwis<strong>ch</strong>en Jesus <strong>und</strong> Herodes am Tage seiner<br />

Kreuzigung erzählen wird. Er blickt s<strong>ch</strong>on hier auf diese hin, indem er vom<br />

Verlangen des Herodes <strong>na<strong>ch</strong></strong> einer Begegnung mit Jesus spri<strong>ch</strong>t. Weil er später<br />

den gefangenen Jesus mit Hohn behandelte, s<strong>ch</strong>reibt er ihm ni<strong>ch</strong>t so bestimmt<br />

wie <strong>Markus</strong> die Meinung zu, Jesus sei der auferstandene Täufer, sondern hebt<br />

nur hervor, daß er verwirrt ohne Urteil <strong>und</strong> Gewißheit mit angstvollem Staunen<br />

auf Jesus sah. Den Beri<strong>ch</strong>t über den Anteil der Herodias an der Hinri<strong>ch</strong>tung<br />

des Täufers hat <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t wiederholt. Wie es am Hof des Fürsten<br />

stand <strong>und</strong> wohin sein Einfluß das Volk führte, das zeigt das, was er Jesus am<br />

Tage seines Leidens tat, no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>er als der Frevel, den er am Täufer<br />

beging.<br />

Darauf folgt sofort das große Mahl, das Jesus dem Volk auf dem öden Ostufer<br />

des Sees bereitet hat. 9,10: Und als die Apostel zurückkehrten, erzählten<br />

sie ihm, was sie getan hatten. Und er nahm sie mit <strong>und</strong> zog si<strong>ch</strong> für si<strong>ch</strong> allein<br />

zurück <strong>na<strong>ch</strong></strong> einer Stadt mit Namen Bethsaida. Das ist keine neue Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t<br />

über das hinaus, was wir von <strong>Markus</strong>* hören, weil dieser sagt, daß die Jünger<br />

in der Na<strong>ch</strong>t vom Ort des Mahls gegen Bethsaida hinfuhren. Daraus war mit<br />

Re<strong>ch</strong>t zu entnehmen, daß das Zei<strong>ch</strong>en in der Nähe der Stadt ges<strong>ch</strong>ehen war.<br />

Öde war der nördli<strong>ch</strong>e Teil des Ostufers, an das si<strong>ch</strong> ein bewaldetes, wenig<br />

bewohntes Bergland ans<strong>ch</strong>loß, <strong>und</strong> Bethsaida war der nä<strong>ch</strong>ste größere Ort,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem der öde Teil des Ufers zu benennen war.<br />

9,11—17: Aber die Menge erfuhr es <strong>und</strong> zog ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong>, <strong>und</strong> er nahm sie auf<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu ihnen von Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft, <strong>und</strong> die, denen Heilung nötig<br />

war, ma<strong>ch</strong>te er ges<strong>und</strong>. Der Tag aber begann si<strong>ch</strong> zu neigen. Aber die Zwölf<br />

traten herzu <strong>und</strong> sagten zu ihm: Entlaß die Menge, damit sie in die umliegenden<br />

Dörfer <strong>und</strong> Gehöfte gehen <strong>und</strong> Herberge <strong>und</strong> Lebensmittel finden; denn<br />

hier sind wir an einem öden Ort. Er aber spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu<br />

essen! Sie aber sagten: Wir haben ni<strong>ch</strong>t mehr als fünf Brote <strong>und</strong> zwei Fis<strong>ch</strong>e,<br />

es sei denn, wir gehen fort <strong>und</strong> kaufen Nahrung für dieses ganze Volk. Denn<br />

es waren ungefähr fünftausend Männer. Er spra<strong>ch</strong> aber zu seinen Jüngern:<br />

Ma<strong>ch</strong>t, daß sie si<strong>ch</strong> lagern in Gruppen etwa zu je fünfzig! Und sie taten so <strong>und</strong><br />

ma<strong>ch</strong>ten, daß si<strong>ch</strong> alle lagerten. Er aber nahm die fünf Brote <strong>und</strong> die zwei<br />

Fis<strong>ch</strong>e, sah zum Himmel auf, spra<strong>ch</strong> den Segen über sie, bradi sie <strong>und</strong> gab sie<br />

* <strong>Die</strong> Form der Erzählung läßt erkennen, daß <strong>Lukas</strong> au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> andere Beri<strong>ch</strong>te über die Speisung<br />

kannte, z. B. den des Matthaus. .


2io . Jesu Arbeit in Galiläa<br />

den Jüngern, damit sie sie der S<strong>ch</strong>ar vorsetzten, <strong>und</strong> sie aßen <strong>und</strong> wurden alle<br />

satt, <strong>und</strong> was ihnen von Stücken übrig blieb, wurde aufgehoben, zwölf Körbe.<br />

<strong>Die</strong> zweite w<strong>und</strong>erbare Speisung hat <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t erzählt, sondern geht von<br />

der ersten sofort zum Wendepunkt der galiläis<strong>ch</strong>en Arbeit Jesu hinüber, den<br />

er dadur<strong>ch</strong> herbeiführte, daß er den Jüngern seinen Tod <strong>und</strong> seine Auferstehung<br />

sagt, wodur<strong>ch</strong> er sie rüstet, ihn au<strong>ch</strong> auf seinem Todeswege zu begleiten.<br />

Weshalb <strong>Lukas</strong> die dazwis<strong>ch</strong>en liegenden Stücke übergangen hat, dafür<br />

ist nirgends eine andere Veranlassung si<strong>ch</strong>tbar als die, daß er sparsam mit<br />

dem Raum umgeht. Er wüns<strong>ch</strong>te, daß sein Beri<strong>ch</strong>t über Jesus im Gottesdienst<br />

der Gemeinden <strong>na<strong>ch</strong></strong>einander vollständig gelesen werde, wofür es dienli<strong>ch</strong><br />

war, wenn er dem Maß einer einzigen Papyrusrolle, wie sie die Alten für ihre<br />

Bü<strong>ch</strong>er brau<strong>ch</strong>ten, angepaßt blieb. Daß er die Kürzung gerade an dieser Stelle<br />

vorgenommen hat, .kann man ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>elten. Es wurde ni<strong>ch</strong>ts Neues, was unseren<br />

Einblick in Jesu Weg wesentli<strong>ch</strong> gemehrt <strong>und</strong> vertieft hätte, von ihr getroffen.<br />

Der neue S<strong>ch</strong>ritt, der ihn dem Ziele wesentli<strong>ch</strong> näher bra<strong>ch</strong>te, bestand<br />

in der Bereitung der Seinen für seine Kreuzestat.<br />

9,18a: Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er für si<strong>ch</strong> allein betete, da waren die Jünger zugegen.<br />

Wie <strong>Lukas</strong> bei der Wahl der Zwölf auf Jesu Gebet hingezeigt hat, so<br />

tut er es wieder, als Jesus si<strong>ch</strong> von ihnen ihr Bekenntnis geben ließ <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm für alles, was kommen wird, festma<strong>ch</strong>te. Es war<br />

wieder eine der wi<strong>ch</strong>tigsten St<strong>und</strong>en in seiner ganzen Arbeit; denn nun ents<strong>ch</strong>ied<br />

es si<strong>ch</strong>, ob er die Seinen so gewonnen habe, daß sie au<strong>ch</strong> das Kreuz<br />

ni<strong>ch</strong>t von ihm riß. Er sah bei seinem Verkehr mit den Jüngern nie zuerst auf<br />

sie, sondern auf den Vater <strong>und</strong> dies vor allem dann, als der s<strong>ch</strong>werste Anstoß,<br />

der,die Jünger je ers<strong>ch</strong>ütterte, zu überwinden war. 9,180—22: Und er befragte<br />

sie <strong>und</strong> sagte: Für wen hält mi<strong>ch</strong> das Volk? Sie aber antworteten <strong>und</strong> sagten:<br />

Für Johannes den Täufer, andere aber für Elias; andere aber sagen, daß einer<br />

von den alten Propheten auferstand. Er sagte aber zu ihnen: Aber ihr, für wen<br />

haltet ihr mi<strong>ch</strong>? Petrus aber antwortete <strong>und</strong> sagte: Für den Christus Gottes. Er<br />

aber drohte <strong>und</strong> befahl ihnen, dies niemand zu sagen, indem er sagte: Der Sohn<br />

des Mens<strong>ch</strong>en muß vieles leiden <strong>und</strong> von den Ältesten <strong>und</strong> Hohenpriestern <strong>und</strong><br />

S<strong>ch</strong>riftgelehrten verworfen <strong>und</strong> getötet <strong>und</strong> am dritten Tag auf erweckt werden.<br />

Dem Bekenntnis des Petrus zu Jesu königli<strong>ch</strong>em Namen anwortet er mit<br />

dem Verbot, ihn Israel zu sagen. S<strong>ch</strong>ien dieses den Jüngern rätselhaft, so kam<br />

sein Gr<strong>und</strong> sofort ans Li<strong>ch</strong>t, weil Jesus den Jüngern seine Hinri<strong>ch</strong>tung offenbart.<br />

<strong>Lukas</strong> hat beides in einen einzigen Satz verflo<strong>ch</strong>ten, weil hier das zweite<br />

Wort den Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> die Notwendigkeit des ersten zeigt.<br />

. Wie unerläßli<strong>ch</strong> es ist, daß Jesus den Todesweg geht, ma<strong>ch</strong>t uns <strong>Lukas</strong> nur


<strong>Lukas</strong> 9,i8a—36 2.11<br />

an denjenigen "Worten deutli<strong>ch</strong>, die Jesus allen sagte, während er das besonders<br />

an Petrus geri<strong>ch</strong>tete Wort, das ihm jede Einrede gegen Jesu Kreuzesweg für<br />

immer verbot, beiseite stellt. 9,23 : Er sagte aber zu allen: Wenn jemand mir<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>gehen will, so verleugne er si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> hebe sein Kreuz auf tägli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> folge<br />

mir. „Tägli<strong>ch</strong>", das ist das Neue, was <strong>Lukas</strong> bei diesem Spru<strong>ch</strong> gibt. Ni<strong>ch</strong>t<br />

mit einem Mal dur<strong>ch</strong> einen einzigen großen S<strong>ch</strong>ritt wird die Lösung gewonnen,<br />

die uns von allem, was die Welt bietet, trennt <strong>und</strong> uns aus ihr hinausführt<br />

wie den, der si<strong>ch</strong> mit dem Kreuz beladen muß, sondern tägli<strong>ch</strong> stellt si<strong>ch</strong> uns<br />

diese Aufgabe neu. Denn die Welt steht tägli<strong>ch</strong> in unserem Blick <strong>und</strong> hört ni<strong>ch</strong>t<br />

auf, uns nahe zu sein, <strong>und</strong> mit den Mens<strong>ch</strong>en leben wir tägli<strong>ch</strong> zusammen <strong>und</strong><br />

stehen unter ihrem Einfluß, <strong>und</strong> unsere eigene irdis<strong>ch</strong>e Natur mit ihrem Trieb<br />

<strong>und</strong> Stoß hängt unzerstörbar an uns. Da muß si<strong>ch</strong> tägli<strong>ch</strong> in uns jener Wille<br />

erneuern, daß wir uns dur<strong>ch</strong> sie ni<strong>ch</strong>t fangen <strong>und</strong> regieren lassen, sondern<br />

ungeteilt den Blick auf den geri<strong>ch</strong>tet halten, unter dessen Führung wir stehen.<br />

Es lag <strong>Lukas</strong> daran, daß wir im Aufheben des Kreuzes, von dem Jesus spri<strong>ch</strong>t,<br />

ni<strong>ch</strong>t ein Leiden sehen, das über uns käme <strong>und</strong> nun für immer an uns haftete,<br />

sondern darin die Christentat erkennen, die so lange als das Christenleben<br />

währt.<br />

9,24—27: Denn wer seine Seele retten will, wird sie verlieren; wer aber seine<br />

Seele um meinetwillen verlieren wird, der wird sie retten. Denn was hilft es<br />

einem Mens<strong>ch</strong>en, wenn er die ganze Welt gewann, aber si<strong>ch</strong> selbst verdarb oder<br />

S<strong>ch</strong>aden litt? Denn wer si<strong>ch</strong> meiner <strong>und</strong> meiner Worte s<strong>ch</strong>ämt, dessen wird si<strong>ch</strong><br />

der Sohn des Menseben s<strong>ch</strong>ämen, wenn er in seiner Herrli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> in der des<br />

Vaters <strong>und</strong> der heiligen Engel kommt. I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong> aber mit Wahrheit: Unter<br />

denen, die hier stehen, gibt es einige, die den Tod niait s<strong>ch</strong>mecken werden, bis<br />

sie die Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes sehen.<br />

Über Jesu Verklärung hat <strong>Lukas</strong> no<strong>ch</strong> einen anderen Beri<strong>ch</strong>t als den des<br />

<strong>Markus</strong> für seine Erzählung benutzt. 9,28—31 : Es vergingen aber <strong>na<strong>ch</strong></strong> diesen<br />

Worten etwa a<strong>ch</strong>t Tage, da nahm er Petrus <strong>und</strong> Johannes <strong>und</strong> Jakobus mit si<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> ging in das Gebirge hinauf, um zu beten, <strong>und</strong> während er betete, wurde<br />

die Gestalt seines Gesi<strong>ch</strong>ts eine andere <strong>und</strong> sein Kleid weiß <strong>und</strong> strahlend. Und<br />

sieh! zwei Männer bespra<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> mit ihm, die Mose <strong>und</strong> Elia waren, die in<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit si<strong>ch</strong>tbar wurden <strong>und</strong> seinen Ausgang ansagten, den er in Jerusalem<br />

erfüllen sollte. Sie bringen ihm die Kreuzesbots<strong>ch</strong>aft. Was er selbst im<br />

Geist als Gottes Willen erkannt hatte, wird ihm dur<strong>ch</strong> die alten Propheten,<br />

die aus der Himmelswelt her zu ihm traten, bestätigt <strong>und</strong> als Gottes guter<br />

Wille verbürgt. 9,32—36: Aber Petrus <strong>und</strong> die, die mit ihm waren, waren vom<br />

S<strong>ch</strong>laf bes<strong>ch</strong>wert. Als sie aber aufwa<strong>ch</strong>ten, sahen sie seine Herrli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> die


212 Jesu Arbeit in Galiläa<br />

beiden Männer, die bei ihm standen. Und es ges<strong>ch</strong>ah, als sie von ihm s<strong>ch</strong>ieden,<br />

da sagte Petrus zu Jesus: Meister, es ist s<strong>ch</strong>ön, daß wir hier sind; so wollen wir<br />

drei Hütten ma<strong>ch</strong>en, für di<strong>ch</strong> eine <strong>und</strong> für Mose eine <strong>und</strong> für Elia eine, ohne daß<br />

er wußte, was er sagte. Als er aber dies sagte, kam eine Wolke <strong>und</strong> bes<strong>ch</strong>attete<br />

sie. Sie für<strong>ch</strong>teten si<strong>ch</strong> aber, als sie in die Wolke hineinkamen. Und eine Stimme<br />

kam aus der Wolke, die sagte: <strong>Die</strong>ser ist mein Sohn, der Erwählte; hört auf<br />

ihn! Und als die Stimme ges<strong>ch</strong>ah, wurde Jesus allein gef<strong>und</strong>en. Und sie s<strong>ch</strong>wiegen<br />

<strong>und</strong> beri<strong>ch</strong>teten in jenen Tagen niemand etwas von dem, was sie gesehen<br />

hatten. Wie die Verklärung an Jesus ges<strong>ch</strong>ah, haben die Jünger ni<strong>ch</strong>t wahrgenommen.<br />

Während er betete, s<strong>ch</strong>liefen sie <strong>und</strong> erwa<strong>ch</strong>ten erst, als er bereits<br />

in Herrli<strong>ch</strong>keit vor ihnen stand <strong>und</strong> die beiden Männer bei ihm waren. Daß sie<br />

wieder s<strong>ch</strong>ieden, treibt Petrus zu der Anerbietung, für Hütten zu sorgen, als<br />

wäre es der Mangel eines Obda<strong>ch</strong>s, der die abges<strong>ch</strong>iedenen Gere<strong>ch</strong>ten hinderte,<br />

als Jesu Begleiter mit ihm zu ziehen. Und do<strong>ch</strong> kam nun erst, als jene gingen,<br />

no<strong>ch</strong> das Hö<strong>ch</strong>ste: das Zei<strong>ch</strong>en der göttli<strong>ch</strong>en Gegenwart <strong>und</strong> die himmlis<strong>ch</strong>e<br />

Stimme. <strong>Die</strong>se ist es, an die <strong>Lukas</strong> wie Matthäus die Angst der Jünger heftet,<br />

weil vor der Gegenwart Gottes das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Herz erbebt.<br />

Wie Jesus wieder unter die Jünger tritt, stehen diese ohnmä<strong>ch</strong>tig vor dem<br />

kranken Knaben, <strong>und</strong> Jesus seufzt über das ungläubige <strong>und</strong> verdrehte Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t.<br />

9,37—42: Es gescJyah aber am folgenden Tag, als sie vom Gebirge<br />

herabkamen, da ging ihm eine große S<strong>ch</strong>ar entgegen. Und sieh! ein Mann aus<br />

der S<strong>ch</strong>ar rief: Lehrer, i<strong>ch</strong> bitte di<strong>ch</strong>, daß du auf meinen Sohn blickest; denn er<br />

ist mein Einziger, <strong>und</strong> sieh! ein Geist faßt ihn, <strong>und</strong> er s<strong>ch</strong>reit plötzli<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> er<br />

reißt ihn mit S<strong>ch</strong>aum, <strong>und</strong> nur s<strong>ch</strong>wer verläßt er ihn <strong>und</strong> reibt ihn auf. Und i<strong>ch</strong><br />

bat deine Jünger, ihn zu vertreiben, <strong>und</strong> sie konnten es ni<strong>ch</strong>t. Jesus aber antwortete<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: O ungläubiges <strong>und</strong> verdrehtes Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, bis wann soll<br />

i<strong>ch</strong> bei eu<strong>ch</strong> sein <strong>und</strong> eu<strong>ch</strong> tragen? Bringe deinen Sohn hierher! Während er<br />

aber no<strong>ch</strong> auf ihn zuging, riß ihn der böse Geist <strong>und</strong> zerrte ihn. Jesus aber<br />

s<strong>ch</strong>alt den unreinen Geist <strong>und</strong> heilte den Knaben <strong>und</strong> gab ihn seinem Vater zurück.<br />

Was damals über den Glauben zwis<strong>ch</strong>en Jesus <strong>und</strong> dem Vater <strong>und</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

ihm <strong>und</strong> den Jüngern zur Spra<strong>ch</strong>e kam, hören wir ni<strong>ch</strong>t. Der Evangelist<br />

heißt uns nur die Tat Jesu erwägen, daß. er ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> ward, als die<br />

Jünger s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> waren, sondern gab, was sie ni<strong>ch</strong>t konnten.<br />

9,43.44 : Alle erstaunten aber über Gottes Größe. Während si<strong>ch</strong> aber alle verw<strong>und</strong>erten<br />

über alles, was er tat, sagte er zu seinen Jüngern: Tut diese Worte<br />

in eure Ohren; denn der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en wird in die Hände der Mens<strong>ch</strong>en<br />

überantwortet werden. Daß Gottes Größe immer wieder in Jesu Taten offenbar<br />

wird, darf die Jünger ni<strong>ch</strong>t zu der Hoffnung bewegen, daß ihm der Lei-


<strong>Lukas</strong> 9,37—5o<br />

densweg erspart bleibe. Gottes Ma<strong>ch</strong>t ist ihm ni<strong>ch</strong>t zum eigenen S<strong>ch</strong>utz gegeben,<br />

sondern damit er anderen helfe. Sie werden es erleben, daß er in die<br />

Hände der Mens<strong>ch</strong>en gegeben wird. <strong>Lukas</strong> hat das große Rätsel im Wege Jesu<br />

vor Augen, wie er beständig in die herrli<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t Gottes greift, der Erhörung<br />

gewiß, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> zuglei<strong>ch</strong> ins Leiden geht, ohne Gottes S<strong>ch</strong>utz <strong>und</strong> ohne seine<br />

Ma<strong>ch</strong>t. 9,45: Sie aber verstanden dieses Wort ni<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> es war vor ihnen verhüllt,<br />

damit sie es ni<strong>ch</strong>t wahrnahmen, <strong>und</strong> sie für<strong>ch</strong>teten si<strong>ch</strong>, ihn über dieses<br />

Wort zu fragen. Nirgends sieht der Evangelist nur ein blindes Ges<strong>ch</strong>ick walten<br />

ohne Ziel <strong>und</strong> Wille; überall hält er die alles umfassende Regierung Gottes<br />

fest. Au<strong>ch</strong> im Unvermögen der Jünger, Jesu Wort zu verstehen, ehrt er die<br />

göttli<strong>ch</strong>e Fügung, der ni<strong>ch</strong>ts Großes <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts Kleines, ni<strong>ch</strong>ts Inwendiges <strong>und</strong><br />

ni<strong>ch</strong>ts Auswendiges entzogen ist. Sie sollten ni<strong>ch</strong>t verstehen, was ihnen Jesus<br />

so deutli<strong>ch</strong> verkündigte, <strong>und</strong> erfuhren damit, wie ho<strong>ch</strong> sein Weg ihre Gedanken<br />

überstieg, wie tiefgewurzelt ihr Widerstreben gegen Jesu Kreuz war, wie<br />

gründli<strong>ch</strong> alle ihre Gedanken <strong>und</strong> Meinungen über Gottes Rei<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eiterten<br />

<strong>und</strong> si<strong>ch</strong> als mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t als göttli<strong>ch</strong> erwiesen, wie groß Jesu Geduld <strong>und</strong><br />

Güte war, der sie samt ihrem Unverstand do<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er vorwärts leitete bis zum<br />

Ostertag.<br />

9,46-48a: Es kam aber die Erwägung in sie, wer wohl von ihnen der Größere<br />

sei. Aber Jesus, der die Erwägung ihres Herzens kannte, nahm ein Kind,<br />

stellte es neben si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Wer dieses Kind meines Namens wegen<br />

aufnimmt, nimmt mi<strong>ch</strong> auf, <strong>und</strong> wer mi<strong>ch</strong> aufnimmt, nimmt den auf, der mi<strong>ch</strong><br />

gesandt hat. Der Frage der Jünger, wer von ihnen der Größere sei, hält <strong>Lukas</strong><br />

glei<strong>ch</strong> zuerst den Spru<strong>ch</strong> entgegen, daß die dem Kinde erwiesene Wohltat Jesus<br />

erwiesen sei. Ihre Su<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Große ist gestillt <strong>und</strong> auf die re<strong>ch</strong>te Bahn gebra<strong>ch</strong>t,<br />

wenn sie die Kleinen so s<strong>ch</strong>ätzen, wie Jesus sie s<strong>ch</strong>ätzt, <strong>und</strong> bedenken,<br />

daß Jesus die ihnen erwiesene Liebe als ihm getan aufnimmt. Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> folgt<br />

au<strong>ch</strong> bei <strong>Lukas</strong> Jesu Regel über das, was ehrt <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ändet, erhöht <strong>und</strong> erniedrigt,<br />

in kurzer, aber starker Fassung. 9,48b: Denn wer unter eu<strong>ch</strong> allen<br />

der Kleinere ist, der ist groß. Dazu fügt <strong>Lukas</strong> no<strong>ch</strong> jenes gnädige Wort, mit<br />

dem Jesus den Eifer des Johannes dämpfte <strong>und</strong> das Herz der Jünger weit<br />

ma<strong>ch</strong>te, daß sie alle gewähren lassen <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> an allen freuen dürfen, die si<strong>ch</strong><br />

ihnen ni<strong>ch</strong>t feindselig widersetzen. 9,49. 50: Johannes aber antwortete <strong>und</strong><br />

spra<strong>ch</strong>: Meister, wir sahen jemand, der in deinem Namen böse Geister vertreibt,<br />

<strong>und</strong> wir wehrten es ihm, weil er ni<strong>ch</strong>t mit uns dir <strong>na<strong>ch</strong></strong>folgt. Jesus aber<br />

spra<strong>ch</strong> zu ihm: Wehrt ihm ni<strong>ch</strong>t! Denn wer ni<strong>ch</strong>t wider eu<strong>ch</strong> ist, der ist für<br />

eu<strong>ch</strong>. Er ist für uns, s<strong>ch</strong>rieb wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>* <strong>Markus</strong>; für eu<strong>ch</strong>, <strong>Lukas</strong>. Er sah<br />

• <strong>Die</strong> Texte ma<strong>ch</strong>en dies ni<strong>ch</strong>t völlig si<strong>ch</strong>er.<br />

2I 3


214 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

auf das Werk der Jünger, wie die Mens<strong>ch</strong>en sie teils hindern <strong>und</strong> bekämpfen,<br />

teils ihnen den Weg frei lassen <strong>und</strong> ihrem Wort den Lauf dur<strong>ch</strong> die Welt ni<strong>ch</strong>t<br />

wehren, <strong>und</strong> bezeugt uns, daß uns Jesus mit allen denen, die si<strong>ch</strong> seinem Wort<br />

ni<strong>ch</strong>t feindselig widersetzen, in freudiger Hoffnung verb<strong>und</strong>en hat.<br />

Kapitel 9,51—19,27<br />

<strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Der Aufbru<strong>ch</strong> aus Galiläa<br />

Mit dem vorangehenden Abs<strong>ch</strong>nitt stand <strong>Lukas</strong> da, wo <strong>Markus</strong> seinen Beri<strong>ch</strong>t<br />

über Jesu Arbeit in Galiläa s<strong>ch</strong>loß. An derselben Stelle bes<strong>ch</strong>ließt au<strong>ch</strong> er<br />

denselben <strong>und</strong> erzählt, daß Jesus die Wanderung <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem begann.<br />

9,51: Es ges<strong>ch</strong>ah aber, weil die Tage, an denen er empor genommen wurde,<br />

voll wurden, da ma<strong>ch</strong>te er sein Antlitz stark, um <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem zu gehen.<br />

Man sagte in Israel von der Seele, die vom Körper s<strong>ch</strong>eidet <strong>und</strong> von Gott zu<br />

si<strong>ch</strong> gerufen wird, sie werde „hinaufgenommen". Beim Ende Jesu erhält aber<br />

dieses Wort einen anderen, volleren Sinn, als wenn man es beim Heimgang der<br />

Trommen brau<strong>ch</strong>te, denen man mit der Hoffnung <strong>na<strong>ch</strong></strong>sah, daß si<strong>ch</strong> im Sterben<br />

ihr Weg <strong>na<strong>ch</strong></strong> oben wende. Jesus ward ni<strong>ch</strong>t nur so hinauf genommen, daß seine<br />

Seele vom Körper s<strong>ch</strong>ied, sondern so, daß er auferstand <strong>und</strong> als der Auferstandene<br />

zur Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes erhöht worden ist. Deshalb spri<strong>ch</strong>t <strong>Lukas</strong> au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t nur vom Tage, da er hinauf genommen ward, wie sonst beim Mens<strong>ch</strong>en<br />

sein „Hinaufgeholt-werden" mit seinem Todestag vollendet ist, sondern von<br />

den Tagen seiner Erhebung zu Gott, weil sie in mehreren Stufen ges<strong>ch</strong>ah <strong>und</strong><br />

darum eine Reihe von Tagen umfaßt hat. <strong>Die</strong>se Tage wurden dadur<strong>ch</strong> voll,<br />

daß sie eintrafen <strong>und</strong> die Frist bis zu ihnen hin verstri<strong>ch</strong>en war. Jesus wußte<br />

also, daß der von Gott ihm geordnete Tag des Todes nahte, <strong>und</strong> blieb deshalb<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr in Galiläa, sondern trat die Wanderung <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem an. Au<strong>ch</strong><br />

dessen war er gewiß, daß Jerusalem der Ort seines Todes sei. Da dieser das<br />

gesamte Volk angeht <strong>und</strong> die Tat aller ist, konnte er ni<strong>ch</strong>t anderswo ges<strong>ch</strong>ehen<br />

als in der heiligen Stadt. Um dorthin zu ziehen, mußte er freili<strong>ch</strong> „sein Antlitz<br />

stark ma<strong>ch</strong>en". Er brau<strong>ch</strong>te dazu einen festen Ents<strong>ch</strong>luß, Freiheit von aller<br />

Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Mens<strong>ch</strong>en* eine Gewißheit, die uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong> in ihm gegründet<br />

ist <strong>und</strong> der er mit ganzem Willen gehor<strong>ch</strong>t.<br />

Jesus ging aber ni<strong>ch</strong>t mit einem einzigen, ras<strong>ch</strong>en Zug aus Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem,<br />

so daß si<strong>ch</strong> sein Tod nur dur<strong>ch</strong> die wenigen Wandertage von seiner<br />

Arbeit in Galiläa ges<strong>ch</strong>ieden hätte; vielmehr bes<strong>ch</strong>reibt uns <strong>Lukas</strong> no<strong>ch</strong> eine<br />

längere Zeit der Wanders<strong>ch</strong>aft, in der Jesus ni<strong>ch</strong>t mehr wie früher in Galiläa


<strong>Lukas</strong> g,5i—54<br />

steht <strong>und</strong> dodi no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zur Kreuzestat in Jerusalem anlangt, sondern zwar<br />

diese als sein Ziel im Auge hat, inzwis<strong>ch</strong>en aber seine Arbeit an den Jüngern<br />

<strong>und</strong> am Volk no<strong>ch</strong> fortsetzt wie bisher. Au<strong>ch</strong> Matthäus <strong>und</strong> <strong>Markus</strong> setzten<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Aufbru<strong>ch</strong> Jesu aus Galiläa <strong>und</strong> seine Ankunft in Jerusalem einen<br />

Aufenthalt im jüdis<strong>ch</strong>en Teil des Ostjordanlands <strong>und</strong> in Judäa, <strong>und</strong> Johannes<br />

sagt bestimmter, daß Jesus Galiläa am Laubhüttenfest verließ <strong>und</strong> den letzten<br />

"Winter bis zum Pas<strong>ch</strong>a östli<strong>ch</strong> vom Jordan <strong>und</strong> in Judäa zugebra<strong>ch</strong>t hat. Bei<br />

<strong>Lukas</strong> ist der Beri<strong>ch</strong>t über diesen Zeitraum dadur<strong>ch</strong> umfangrei<strong>ch</strong> geworden,<br />

daß er hier no<strong>ch</strong> eine große Zahl von Worten <strong>und</strong> Taten Jesu zusammenstellt,<br />

àie er bei seinen anderen Zeugen, teils denen, die wir ni<strong>ch</strong>t kennen, teils bei<br />

Matthäus gef<strong>und</strong>en hat. Er wollte dur<strong>ch</strong> sie den zusammenhängenden Beri<strong>ch</strong>t<br />

des <strong>Markus</strong> ni<strong>ch</strong>t unterbre<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> gehörten sie au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in die letzten<br />

Tage des Kampfes mit Israels Führern. Darum gab er ihnen ihren Ort hier, wo<br />

er Jesus mit <strong>Markus</strong> bis zum Aufbru<strong>ch</strong> aus Galiläa begleitet hat, ehe er die<br />

Leidensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te beginnt. <strong>Die</strong> Mehrzahl der Worte Jesu, die in der Erinnerung<br />

der Apostel <strong>und</strong> der Kir<strong>ch</strong>e forterhalten sind, gehörten ohnehin in den<br />

letzten Teil seiner Wirksamkeit <strong>und</strong> zeigten mehr oder weniger deutli<strong>ch</strong> auf<br />

sein nahendes Ende hin. Dur<strong>ch</strong> diese Erweiterung ist freili<strong>ch</strong> der Beri<strong>ch</strong>t <strong>und</strong>eutli<strong>ch</strong><br />

geworden, weil wir wohl hören, wohin Jesus zieht, ni<strong>ch</strong>t aber, wo er<br />

verweilt <strong>und</strong> weshalb er seine Wanderung in die Länge zieht. Im wesentli<strong>ch</strong>en<br />

ergibt aber der Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Lukas</strong> über diese Zwis<strong>ch</strong>enzeit kein anderes Bild<br />

als das, das au<strong>ch</strong> Matthäus oder Johannes vom Verlauf der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Jesu hat.<br />

Zog Jesus von Galiläa südwärts Jerusalem zu, so traf er, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er die<br />

Ebene von Jesreel übers<strong>ch</strong>ritten hatte, auf das von den Samaritern besetzte Gebiet.<br />

9,52. 53: Und er sandte Boten vor si<strong>ch</strong> her, <strong>und</strong> sie gingen <strong>und</strong> kamen in<br />

ein Dorf der Samariter, um ihm die Herberge zu bereiten, <strong>und</strong> sie nahmen ihn<br />

ni<strong>ch</strong>t auf, weil sein Antlitz <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem wanderte. <strong>Die</strong> Samariter sahen in<br />

Jesu Zug <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem am heiligen Berg der Samariter vorbei den vollgültigen<br />

Beweis, daß er ni<strong>ch</strong>ts als ein Jude sei. So trifft au<strong>ch</strong> ihn ihr starker Haß,<br />

mit dem sie den Juden jede Gemeins<strong>ch</strong>aft aufsagten.<br />

9,54: Als es aber die Jünger Jakobus <strong>und</strong> Johannes sahen, sagten sie: Herr,<br />

willst du, daß wir sagen, daß Feuer vom Himmel falle <strong>und</strong> sie verni<strong>ch</strong>te? Sie<br />

wollen den Samaritern dur<strong>ch</strong> Gottes rä<strong>ch</strong>ende Blitze erweisen, daß man Jesus<br />

ni<strong>ch</strong>t ungestraft wie einen Übeltäter aus dem Dorfe treibe. Viellei<strong>ch</strong>t spri<strong>ch</strong>t<br />

er in seinem stillen Dulden ni<strong>ch</strong>t selbst das ri<strong>ch</strong>tende Wort des Zornes; dann ist<br />

es <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Meinung die Sa<strong>ch</strong>e seiner Jünger, si<strong>ch</strong> für ihn zu wehren <strong>und</strong><br />

seinen Beleidigern zu geben, was ihnen gebührt. Den beiden Jüngern s<strong>ch</strong>ien es,<br />

sie könnten ein sol<strong>ch</strong>es Wort mit gewissem Glauben in heiligem Zorn spre<strong>ch</strong>en,<br />

2I 5


216 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

wenn nur — das freili<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ien ihnen au<strong>ch</strong> jetzt erforderli<strong>ch</strong> — Jesus seine Zustimmung<br />

dazu gibt. Au<strong>ch</strong> jetzt, als ihre Seele ni<strong>ch</strong>t in Jesu "Wort blieb, sondern<br />

mit eigenem Feuer glühte, bleibt er ihnen do<strong>ch</strong> der Herr, ohne den sie<br />

ni<strong>ch</strong>ts vermögen. Gott wollen sie gegen die Samariter anrufen, Gottes Strafma<strong>ch</strong>t<br />

w<strong>und</strong>erbar an ihnen offenbaren, wissen aber, daß ihr ganzer Zugang zu<br />

Gott auf ihrer Berufung zu Jesus steht, <strong>und</strong> sehen darum au<strong>ch</strong> jetzt fragend auf<br />

ihn: "Willst du es ni<strong>ch</strong>t? Sie sahen dabei auf die S<strong>ch</strong>rift, auf das, was Elia gegen<br />

die tat, die in ihm die Ehre seines Gottes s<strong>ch</strong>mähten. Ist der Eifer ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong><br />

gesi<strong>ch</strong>ert, daß er das Beispiel des Propheten für si<strong>ch</strong> hat? Dürfen sie ni<strong>ch</strong>t ihrem<br />

Herzen trauen, wenn es ni<strong>ch</strong>ts anderes begehrt, als was jenem von Gott gegeben<br />

ward?<br />

Daß Jesus als der, der das Kreuz tragen will <strong>und</strong> wird, eben jetzt <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

aufgebro<strong>ch</strong>en ist, gibt dieser Erzählung ihre besondere Tiefe. "Was<br />

hier den Jüngern als Verherrli<strong>ch</strong>ung Jesu <strong>und</strong> <strong>Offenbarung</strong> Gottes vor Augen<br />

stand, war das r<strong>und</strong>e Gegenteil zu Jesu Kreuzessinn. Wollen sie no<strong>ch</strong> auf seine<br />

Widersa<strong>ch</strong>er Gottes Feuer herabrufen, so können sie bei ihm auf dem Kreuzesweg<br />

ni<strong>ch</strong>t bleiben. An diesem ho<strong>ch</strong>fahrenden Glauben, der jede Widerrede<br />

gegen ihn zertreten will, <strong>und</strong> an dieser unreinen Liebe, die es ni<strong>ch</strong>t mit ansehen<br />

kann, daß er Unre<strong>ch</strong>t leidet, müßten sie fallen, wenn nun ni<strong>ch</strong>t bloß die<br />

Samariter, sondern Israel ihn verstößt <strong>und</strong> ihm ni<strong>ch</strong>t nur die Herberge für die<br />

Na<strong>ch</strong>t versagt, sondern das Kreuz auflegt.<br />

. Darum hat Jesus den Wuns<strong>ch</strong> der Seinen stark <strong>und</strong> gründli<strong>ch</strong> zertreten.<br />

9,55a: Er aber wandte si<strong>ch</strong> ab <strong>und</strong> sdoalt sie. Für sol<strong>ch</strong>e Wüns<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> Rats<strong>ch</strong>läge<br />

hat er kein Ohr. Sie bedrohten die Samariter; er s<strong>ch</strong>alt sie. <strong>Die</strong> Bosheit<br />

"der Samariter trägt er still; denn sie wissen ni<strong>ch</strong>t, was sie tun. Der Zorn der<br />

Jünger dagegen tut ihm weh; denn sie kennen ihn <strong>und</strong> verstehen do<strong>ch</strong> immer<br />

wieder seine Gnade ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> sträuben si<strong>ch</strong> gegen sein Verzeihen. 9,55b: Und<br />

er sagte: Wisset ihr ni<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>es Geistes ihr seid? Denn der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en<br />

kam ni<strong>ch</strong>t, um Seelen der Mens<strong>ch</strong>en 2u verderben, sondern um sie zu<br />

retten*. In des Geistes Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Leitung stehen die Jünger; sie stehen ja dur<strong>ch</strong><br />

Jesus in Gottes Gnade, in Gottes Gegenwart, <strong>und</strong> wo er ist, ist Geist das, was<br />

uns bewegt <strong>und</strong> regiert. Aber was es für ein Geist ist, in dessen Führung sie<br />

stehen, was Gott inwendig ihnen gibt, wohin er ihren Sinn <strong>und</strong> Willen lenkt,<br />

das wissen die Jünger no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wenn sie meinen, sie seien die Verwalter des<br />

Zornesfeuers <strong>und</strong> ehrten Jesus dadur<strong>ch</strong>, daß sie dieses Dorf verni<strong>ch</strong>ten mit<br />

Mens<strong>ch</strong> <strong>und</strong> Tier. Was Gottes Geist in ihnen s<strong>ch</strong>afft <strong>und</strong> sie als heiliges Ges<strong>ch</strong>enk<br />

von oben bei si<strong>ch</strong> hüten <strong>und</strong> pflegen dürfen, nehmen sie an Jesus wahr.<br />

• Der Text ist hier ni<strong>ch</strong>t gesi<strong>ch</strong>ert; die Worte 9,55b sind wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> eine spätere Erläuterung.


<strong>Lukas</strong> 9,55a—60 217<br />

Er gibt ihnen an si<strong>ch</strong> selbst das Ri<strong>ch</strong>tmaß, womit sie das Unheilige <strong>und</strong> Heilige,<br />

das Fleis<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> Geistli<strong>ch</strong>e an ihrem "Wollen <strong>und</strong> Denken zu s<strong>ch</strong>eiden haben.<br />

Sie haben aber nie gesehen, daß sein Wille darauf ging, Mens<strong>ch</strong>en zu töten,<br />

<strong>und</strong> daß er seine Ehre dadur<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>te, daß viele dahingerafft werden. Sie haben<br />

an ihm nur den einen Willen gesehen, die Mens<strong>ch</strong>en am Leben zu erhalten,<br />

was ihnen Gefahr bra<strong>ch</strong>te, ihnen abzunehmen <strong>und</strong> ihnen die enge Pforte aufzus<strong>ch</strong>ließen,<br />

die sie ins unverlierbare Leben führt. <strong>Die</strong>sen Sinn gibt au<strong>ch</strong> ihnen<br />

Gottes Geist, <strong>und</strong> kein anderer als dieser Wille ist in ihnen des Geistes Werk.<br />

Elia ma<strong>ch</strong>te es so, sagten die Jünger; i<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>e es ni<strong>ch</strong>t so, ist Jesu Antwort.<br />

Er leitete sie dadur<strong>ch</strong> an zum re<strong>ch</strong>ten Gebrau<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>rift, daß sie ni<strong>ch</strong>t Jesu<br />

Amt ins Maß dessen fassen, was den Propheten gegeben war, sondern das, was<br />

die S<strong>ch</strong>rift sagt, dar<strong>na<strong>ch</strong></strong> messen <strong>und</strong> so gebrau<strong>ch</strong>en, wie Jesu Wort <strong>und</strong> Werk<br />

es ihnen zeigt. 9,56: Und sie gingen in ein anderes Dorf <strong>und</strong> fanden dort die<br />

Herberge, die ihnen nötig war. <strong>Die</strong>ser stille, gelassene Gang Jesu ins nä<strong>ch</strong>ste<br />

Dorf hat die Jünger, einen großen S<strong>ch</strong>ritt vorangeführt: sie merkten daran<br />

etwas von der hohen, reinen Majestät seines Kreuzeswegs.<br />

9,57—60: Und als sie auf dem Wege wanderten, sagte einer zu ihm: I<strong>ch</strong><br />

werde dir überall folgen, wo du hingehst. Und Jesus sagte zu ihm: <strong>Die</strong> Fü<strong>ch</strong>se<br />

haben Höhlen <strong>und</strong> die Vögel des Himmels ihre Nester; aber der Sohn des<br />

Mens<strong>ch</strong>en hat keinen Ort, an dem er sein Haupt niederlegen kann.<br />

Er sagte aber zu einem andern: Folge mir! Er aber sagte: Erlaube mir, zuerst<br />

wegzugehen <strong>und</strong> meinen Vater zu bestatten! Er aber sagte zu ihm: Überlaß es<br />

den Toten, ihre Toten zu bestatten! Du aber geh, <strong>und</strong> verkündige Gottes<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft! Es sind dieselben Worte, die Matthäus, 8,19-22, zu Jesu Weggang<br />

aus Kapernaiim stellt, als er auf das andere Ufer des Sees hinüberfuhr.<br />

<strong>Die</strong> Stelle, an der uns <strong>Lukas</strong> diese Worte gibt, ist mit tiefer Erwägung gewählt.<br />

Erst beim Aufbru<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem empfingen sie ihr volles Li<strong>ch</strong>t. Jetzt ist es<br />

vollends deutli<strong>ch</strong>, daß Jesus nirgends rasten kann, si<strong>ch</strong> keine Heimat baut <strong>und</strong><br />

denen, die mit ihm ziehen, gar ni<strong>ch</strong>ts bietet, ni<strong>ch</strong>ts Irdis<strong>ch</strong>es, keinen Vorteil<br />

<strong>und</strong> Gewinn, weil er alles, was die Erde umfaßt, fahren läßt, so daß die Seinen<br />

jede eigensü<strong>ch</strong>tige Hoffnung begraben müssen. Jetzt, da er <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

zieht, hat au<strong>ch</strong> sein Wort an den, den er sogar von der Pfli<strong>ch</strong>t gegen den<br />

Vater entband, seine besondere Kraft, da wir jetzt erst ganz verstehen, warum<br />

er jede Gemeins<strong>ch</strong>aft, in der die Seinen bisher standen, sprengt, weil nur ganzer<br />

Glaube <strong>und</strong> ganzer Gehorsam bei ihm bleiben wird <strong>und</strong> jede Spaltung des<br />

Herzens den Jünger zu Fall bringen muß. Nur der, dem er das Hö<strong>ch</strong>ste <strong>und</strong><br />

Beste geworden ist, der Eine, neben dem ni<strong>ch</strong>ts zweites steht, weil er Gottes<br />

Rei<strong>ch</strong> <strong>und</strong> Gnade in ihm hat, nur der ist ges<strong>ch</strong>ickt, mit ihm den Kreuzesweg zu


218 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

gehen. Bei Matthäus lautet Jesu Befehl an den Zaudernden: Folge mir <strong>na<strong>ch</strong></strong>!,<br />

bei <strong>Lukas</strong>: Ma<strong>ch</strong>e k<strong>und</strong>, wie herrli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> Gott bezeugt; sage allen, daß Gott<br />

König ist! Damit spri<strong>ch</strong>t <strong>Lukas</strong> aus, wel<strong>ch</strong> großen Beruf Jesus den Seinigen<br />

gibt, der jedes andere Anliegen verdrängt.<br />

No<strong>ch</strong> ein dritter kommt, <strong>und</strong> diese dritte Anfrage gab <strong>Lukas</strong> wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong><br />

den Anlaß, au<strong>ch</strong> die beiden anderen mit dem Aufbru<strong>ch</strong> Jesu <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

zusammenzustellen. Au<strong>ch</strong> dieser Mann war, ähnli<strong>ch</strong> wie der zweite, fast ents<strong>ch</strong>lossen,<br />

si<strong>ch</strong> Jesus anzus<strong>ch</strong>ließen, jedo<strong>ch</strong> nur fast. 9,61. 62: Es sagte aber au<strong>ch</strong><br />

ein anderer: I<strong>ch</strong> will dir folgen, Herr. Zuerst aber erlaube mir, Abs<strong>ch</strong>ied von<br />

denen zu nehmen, die zu meinem Haus gehören. Jesus aber sagte zu ihm:<br />

Keiner, der die Hand an den Pflug legt <strong>und</strong> rückwärts sieht, ist für Gottes<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft brau<strong>ch</strong>bar. Jetzt, meinte er, könne er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit Jesus gehen,<br />

weil er von den Seinigen no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Abs<strong>ch</strong>ied genommen hat, <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> von<br />

ihnen ohne ein letztes fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>es Wort trennen zu müssen, ers<strong>ch</strong>eint ihm als<br />

hart. Jesu Antwort hält uns wieder die volle Ents<strong>ch</strong>iedenheit ganzer Hingabe<br />

vor, die er zum Merkmal des Christenstandes ma<strong>ch</strong>t. "Wenn der Pflüger während<br />

der Arbeit rückwärts s<strong>ch</strong>aut, kommt der Pflug aus seiner Bahn, <strong>und</strong> die<br />

Fur<strong>ch</strong>en werden krumm. Er hat jetzt nur auf das eine beda<strong>ch</strong>t zu sein, daß er<br />

seine Arbeit "ri<strong>ch</strong>tig tue. Jesus heißt alle, die mit halbem Herzen seinem Ruf<br />

folgen, für Gottes Gnade, "Werk <strong>und</strong> <strong>Die</strong>nst unbrau<strong>ch</strong>bar. Seine Gnade wird<br />

nur dann empfangen, wenn wir nur sie begehren, ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> andere Güter,<br />

sein Wille nur dann getan, wenn wir nur ihn tun, ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> unseren Willen.<br />

Jesus verlangt das ganze Herz für Gott.<br />

<strong>Die</strong> Aussendung der siebzig Boten<br />

Da Jesus eine größere S<strong>ch</strong>ar von Männern gewonnen hatte, die willig waren,<br />

seinen Auftrag anzunehmen <strong>und</strong> sein Wort unter das Volk zu bringen, hat er<br />

au<strong>ch</strong> diese in seinen <strong>Die</strong>nst gestellt. 10,1: Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> bezei<strong>ch</strong>nete der Herr siebzig<br />

andere <strong>und</strong> sandte sie je zwei <strong>und</strong> zwei vor si<strong>ch</strong> her in jede Stadt <strong>und</strong> jeden<br />

Ort, wohin er selber kommen wollte. Da sein Ende nahte, war sein eigener<br />

Aufenthalt in diesen Dörfern kurz. Deshalb bereitete er sie für sein Wort dadur<strong>ch</strong><br />

vor, daß er s<strong>ch</strong>on vorher zwei der Seinen dorthin stellte. Dadur<strong>ch</strong> wurde<br />

der Blick aller auf ihn gelenkt, man<strong>ch</strong>er Argwohn bereits überw<strong>und</strong>en, Glei<strong>ch</strong>gültigkeit<br />

gebro<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Verständnis für das geweckt, was Jesu Wort ihnen<br />

geben wollte. Wo seine Jünger Eingang fanden, konnte er in Kürze vollenden,<br />

was sie s<strong>ch</strong>on begonnen hatten; wo sie verstoßen wurden, zog au<strong>ch</strong> er vorbei.<br />

In der Zahl dieser neuen Boten ließ si<strong>ch</strong> Jesus ähnli<strong>ch</strong> wie bei der Zwölfzahl<br />

der Apostel dur<strong>ch</strong> das leiten, was in Israel von jeher als heilige Ordnung übli<strong>ch</strong>


<strong>Lukas</strong> 9,6i. 62; 10,1—4a 219<br />

war. "Wegen der Zwölfzahl der Stämme waren 70 (72) Männer von jeher eine<br />

zu Rat <strong>und</strong> Geri<strong>ch</strong>t vollbere<strong>ch</strong>tigte Versammlung, ein „großer Rat", die ordnungsgemäße<br />

Vertretung des Volks, wie s<strong>ch</strong>on um Mose her die 70 Ältesten<br />

standen, denen mit ihm zur Führung der Gemeinde der prophetis<strong>ch</strong>e Geist gegeben<br />

war. Jesus prägte wieder in der Zahl seiner Boten aus, daß seine Gemeinde<br />

an die Stelle der alten trete <strong>und</strong> seine Jünger re<strong>ch</strong>tmäßig <strong>na<strong>ch</strong></strong> göttli<strong>ch</strong>er<br />

Ordnung zur Unterweisung <strong>und</strong> Führung Israels berufen seien.<br />

10,2: Er sagte aber zu ihnen: <strong>Die</strong> Ernte ist groß; der Arbeiter sind aber<br />

wenige. Darum bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte<br />

stelle! Was Jesus diesen Jüngern sagte, zeigt uns <strong>Lukas</strong> zuerst dur<strong>ch</strong> den<br />

Spru<strong>ch</strong>, den Matthäus 9,37—38 mit der Aussendung der Zwölf verband. Daß<br />

er diese große Botens<strong>ch</strong>ar in seinen <strong>Die</strong>nst gezogen hat, ma<strong>ch</strong>t ja besonders<br />

deutli<strong>ch</strong>, wie groß ihm die Arbeit ers<strong>ch</strong>ien, die in Israel zu vollbringen war.<br />

Deshalb läßt er niemand müßig, sondern sendet alle, die er senden kann. Und<br />

do<strong>ch</strong> bleibt die Zahl derer, die zum <strong>Die</strong>nste Gottes willig sind, immer no<strong>ch</strong><br />

klein, vergli<strong>ch</strong>en mit dem drängenden Ernst der Zeit, der Höhe ihres Berufs<br />

<strong>und</strong> der Segensfülle, die auf dem <strong>Die</strong>nst Gottes liegt.<br />

Sodann erhalten au<strong>ch</strong> diese Boten dieselbe Regel, die s<strong>ch</strong>on bei der Aussendung<br />

der Zwölf steht. Beide Gruppen seiner Boten haben denselben Beruf,<br />

beide deshalb au<strong>ch</strong> dieselbe Pfli<strong>ch</strong>t. 10,3: Zieht hin! Seht! i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>icke eu<strong>ch</strong> aus<br />

wie Lämmer mitten unter Wölfen. Er sendet sie zu einem feindseligen Volk,<br />

ni<strong>ch</strong>t um mit Gewalt seine Feinds<strong>ch</strong>aft zu zerbre<strong>ch</strong>en, sondern wehrlos, zum<br />

Leiden willig, zum Sterben bereit. Do<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reibt dies <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t weiter, wie<br />

es Matthäus in der Aussendungsrede tut, weil si<strong>ch</strong> der <strong>Die</strong>nst der Siebzig ni<strong>ch</strong>t<br />

über ihr ganzes Leben erstreckt, so daß sie den langen, s<strong>ch</strong>weren Kampf in<br />

Israel dur<strong>ch</strong>zukämpfen hätten, sondern zur Unterstützung der letzten Wanderungen<br />

Jesu dient <strong>und</strong> seinen Zweck nur darin hat, sein letztes Wort an<br />

Israel zu verstärken. Dagegen verweilt <strong>Lukas</strong> bei den Regeln, die ihnen Jesus<br />

darüber gab, wie sie ihren Verkehr mit den Leuten einzuri<strong>ch</strong>ten haben.<br />

Ni<strong>ch</strong>t mit Vorräten ausgerüstet, mit keinem irdis<strong>ch</strong>en Besitz beladen, s<strong>ch</strong>ickt<br />

er sie aus. 10,4a: Nehmt keinen Beutel, keinen Sack, keine Sandalen mit!<br />

<strong>Die</strong>ser Regel ist dadur<strong>ch</strong>, daß sie au<strong>ch</strong> hier wieder obenan steht, ein besonderes<br />

Gewi<strong>ch</strong>t zuerkannt, <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> ist uns bezeugt, daß die völlige, offenk<strong>und</strong>ige<br />

Ablösung des Werks seiner Boten von allen irdis<strong>ch</strong>en Sorgen <strong>und</strong> Begierden<br />

Jesus besonders am Herzen lag. Er wollte, daß jedermann sehe, Geld sei<br />

weder das Ziel no<strong>ch</strong> das Mittel, um das si<strong>ch</strong> seine Boten bemühen. Sie bringen<br />

dem, der sie aufnimmt, ni<strong>ch</strong>ts von dieser Art, nehmen ihm au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts, haben


22O <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

sol<strong>ch</strong>es ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> begehren sol<strong>ch</strong>es ni<strong>ch</strong>t, sondern verkündigen Gottes Gnadentat.<br />

10,4b—6: Und niemand grüßt unterwegs. Wenn ihr aber in ein Haus eintretet,<br />

so sagt zuerst: Friede sei diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des<br />

Friedens ist, wird euer Friede auf ihm ruhen; wenn ni<strong>ch</strong>t, wird er auf eu<strong>ch</strong><br />

zurückkehren. Jesus verleiht ihrem Segenswort Ma<strong>ch</strong>t, damit er dem Frieden:<br />

bringe, der des Friedens würdig ist, wie es bei Matthäus heißt, oder, wie wir<br />

bei <strong>Lukas</strong> lesen, dem, der ein Sohn des Friedens ist. <strong>Die</strong> Segensworte, die die<br />

Jünger spre<strong>ch</strong>en, sollen ihnen als eine ernste Sa<strong>ch</strong>e gelten, worüber Gottes<br />

Verheißung steht. Darum sollen sie kein ni<strong>ch</strong>tiges Ges<strong>ch</strong>wätz aus ihnen ma<strong>ch</strong>en,<br />

wie dies notwendig ges<strong>ch</strong>ieht, wenn sie au<strong>ch</strong> für die flü<strong>ch</strong>tigen Begegnungen<br />

der Straße gebrau<strong>ch</strong>t werden. Treten sie in ein Haus zu innerli<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> ernster<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm ein, dann dürfen sie ihm Gottes Frieden anbieten i<br />

bei Mens<strong>ch</strong>en, zu denen sie in keine Gemeins<strong>ch</strong>aft treten, fehlt dem Segenswort<br />

der Gr<strong>und</strong>.<br />

Es folgt die Regel für den Fall, daß die Jünger aufgenommen werden.<br />

10,7—9: Bleibt aber im selben Haus, <strong>und</strong> eßt <strong>und</strong> trinkt, was sie eu<strong>ch</strong> geben.<br />

Denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Zieht ni<strong>ch</strong>t um von einem Haus in<br />

das andere. Und wenn ihr in eine Stadt eintretet <strong>und</strong> sie eu<strong>ch</strong> aufnehmen, so<br />

eßt, was sie eu<strong>ch</strong> vorsetzen, <strong>und</strong> heilt die Kranken in ihr, <strong>und</strong> sagt zu ihnen:<br />

<strong>Die</strong> Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes ist für eu<strong>ch</strong> nah! Ni<strong>ch</strong>t nur auf den Weltlauf oder auf<br />

Israels Ges<strong>ch</strong>ick im Großen hat Jesus bei der Verkündigung des göttli<strong>ch</strong>en<br />

Rei<strong>ch</strong>s den Blick der Jünger geri<strong>ch</strong>tet, sondern auf die einzelnen Mens<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> aus der Nähe des Rei<strong>ch</strong>s für jeden eine Verheißung gema<strong>ch</strong>t, die ihm persönli<strong>ch</strong><br />

gilt <strong>und</strong> ihm an Gottes Gnade <strong>und</strong> Gabe Anteil gibt. Freili<strong>ch</strong> umspannt<br />

Gottes Regierung die ganze S<strong>ch</strong>öpfung <strong>und</strong> führt die "Weltges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te an sein<br />

Ziel, do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so, daß hier das Kleine unter dem Großen vers<strong>ch</strong>wände <strong>und</strong><br />

der Mens<strong>ch</strong> Jesus glei<strong>ch</strong>gültig würde, weil sein Werk der Mens<strong>ch</strong>heit gilt, sondern<br />

so, daß er Gottes Liebe mit dem Ganzen au<strong>ch</strong> jedem einzelnen bringt,<br />

da ja Gott jeden su<strong>ch</strong>t, weil er alle ruft, <strong>und</strong> jeden begnadet, indem er si<strong>ch</strong>allen<br />

offenbart. Darum, weil Jesus jedem die Hoffnung auf Gottes <strong>Offenbarung</strong><br />

geben wollte, hat er au<strong>ch</strong> seine Boten, so viel er konnte, gemehrt.<br />

Wird ihr Wort abgewiesen, so erfolgt über diese Orte die Verkündigung<br />

des Geri<strong>ch</strong>ts. 10,10—12: Wenn ihr aber in eine Stadt kommt <strong>und</strong> sie eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

aufnehmen, so geht auf ihre Straßen hinaus <strong>und</strong> sagt: Sogar den Staub, der<br />

si<strong>ch</strong> uns aus eurer Stadt an die Füße gehängt hat, wis<strong>ch</strong>en wir eu<strong>ch</strong> ab. <strong>Die</strong>s sollt<br />

ihr aber wissen, daß Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft nahe ist. I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Sodom wird es<br />

an jenem Tag erträgli<strong>ch</strong>er gehen als jener Stadt.


<strong>Lukas</strong> 10,4b—18 2.ZÏ<br />

Zur Anzeige des göttli<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>ts, die Jesus seinen Jüngern aufträgt,<br />

stellt <strong>Lukas</strong> Jesu eigene Verurteilung der Städte, in denen bisher der größte<br />

Teil seiner Arbeit ges<strong>ch</strong>ehen war. 10,13—15: Weh dir, Chorazin! weh dir,<br />

Bethsaida! Denn wenn die W<strong>und</strong>er in Tyrus <strong>und</strong> Stdon gesdiehen wären, die<br />

bei eu<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ehen sind, säßen sie längst im Sack <strong>und</strong> in der As<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> hätten<br />

Buße getan. Allein es wird Tyrus <strong>und</strong> Sidon beim Geri<strong>ch</strong>t erträgli<strong>ch</strong>er gehen<br />

als eu<strong>ch</strong>. Und du, Kapernaum! wirst du wohl zum Himmel erhöht werden?<br />

Zur Totenwelt wirst du hinabfahren. <strong>Die</strong>ses Urteil Jesu zeigt allen, wie ernst<br />

er die S<strong>ch</strong>uld derer ri<strong>ch</strong>tet, denen das Evangelium vergebli<strong>ch</strong> angeboten wird,<br />

<strong>und</strong> erläutert deshalb au<strong>ch</strong> seine Weisung an die Jünger, daß sie gegen die<br />

Orte, zu denen sie vergebli<strong>ch</strong> redeten, das Geri<strong>ch</strong>t Gottes anzurufen haben.<br />

Denn in seinen Jüngern wird Jesus selbst, in ihm Gott aufgenommen oder<br />

verworfen, weshalb das letzte Wort dieser Rede lautet: 10,16: Wer eu<strong>ch</strong><br />

hört, hört mi<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> wer eu<strong>ch</strong> verwirft, verwirft mi<strong>ch</strong>; wer aber mi<strong>ch</strong> verwirft,<br />

verwirft den, der mi<strong>ch</strong> sandte.<br />

Was die Jünger erlebten, als sie im Auftrag Jesu auszogen, hat sie ho<strong>ch</strong> ermutigt.<br />

io,iy:Es kamen aber dieSiebzig vollFreude zurück <strong>und</strong> sagten: Herr,<br />

au<strong>ch</strong> die bösen Geister unterwerfen si<strong>ch</strong> uns dur<strong>ch</strong> deinen Namen. Es hat ihre<br />

Zuversi<strong>ch</strong>t besonders aufgeri<strong>ch</strong>tet, daß sie es selbst erlebten, Jesu Ma<strong>ch</strong>t rei<strong>ch</strong>e<br />

in alle Tiefen des Geisterrei<strong>ch</strong>s hinab <strong>und</strong> sein Name sei au<strong>ch</strong> dann, wenn sie<br />

ihn anriefen, für die Mens<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utz <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>irm. Beugen si<strong>ch</strong> die Geister vor<br />

ihm, was können ihnen die Mens<strong>ch</strong>en tun?<br />

Jesu Antwort spri<strong>ch</strong>t aus, wo sie den Gr<strong>und</strong> ihrer Ma<strong>ch</strong>t zu su<strong>ch</strong>en haben.<br />

10,18: Er sagte ihnen aber: I<strong>ch</strong> sah den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel<br />

fallen. In den Himmel tritt der Satan als der Verkläger der Mens<strong>ch</strong>en <strong>und</strong><br />

holt si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> vor Gottes Thron die ihm eingeräumte Gewalt. Jesus gestand<br />

ihm kein selbständiges Vermögen zu, als könnte er mit eigenem Willen Gott<br />

widerstreben <strong>und</strong> sein Werk stören. Was er vermag, wird ihm vor dem Thron<br />

der göttli<strong>ch</strong>en Gere<strong>ch</strong>tigkeit zugeteilt, <strong>und</strong> nur so weit, als Gottes Zorn <strong>und</strong><br />

Strafe waltet, hat er Raum zu seinem Leben zerstörenden Werk. Jesus sah ihn<br />

aber aus dem Himmel stürzen mit einem jähen Fall, wie es der des Blitzes ist.<br />

Der Zugang zum Throne Gottes war ihm also vers<strong>ch</strong>lossen <strong>und</strong> ihm dadur<strong>ch</strong><br />

das Verklagen abges<strong>ch</strong>nitten. Damit ist er seiner Ma<strong>ch</strong>t beraubt. Ni<strong>ch</strong>t der<br />

Verkläger der Mens<strong>ch</strong>en, sondern Jesus, der ihre Sa<strong>ch</strong>e vor der göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gnade führt, sieht jetzt Gottes Angesi<strong>ch</strong>t. Darum vermag er die Seinen als die<br />

Befreier von aller teuf liehen Not unter die Mens<strong>ch</strong>en zu senden; ihre Ma<strong>ch</strong>t<br />

steht auf seinem Versöhneramt. •<br />

Es s<strong>ch</strong>eint ein unglei<strong>ch</strong>er Streit zu sein, in den er die Seinen s<strong>ch</strong>ickt. Ihr


2ZZ <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

"Widersa<strong>ch</strong>er ist unsi<strong>ch</strong>tbar, für sie unangreifbar <strong>und</strong> hat geheimnisvolle Ma<strong>ch</strong>t.<br />

Jesus nimmt ihnen aber jede Unruhe <strong>und</strong> Angst vor ihm aus dem Herzen. Er<br />

hat ihnen ni<strong>ch</strong>t deshalb diesen ernsten Blick in die Tiefen des bösen Geisterrei<strong>ch</strong>s<br />

ers<strong>ch</strong>lossen, damit sie ratlose Verwirrung erfasse <strong>und</strong> der Glaube ihnen<br />

s<strong>ch</strong>wankend werde. Je heller ihr Blick in die Tiefe wird, um so gewisser <strong>und</strong><br />

klarer ri<strong>ch</strong>tet er ihr Auge in die Höhe <strong>und</strong> hält es bei seiner Gabe fest. Er hat<br />

sie für alle diese Widersa<strong>ch</strong>er unangreifbar gema<strong>ch</strong>t. 10,19: Seht! i<strong>ch</strong> habe eu<strong>ch</strong><br />

die Ma<strong>ch</strong>t gegeben, auf S<strong>ch</strong>langen <strong>und</strong> Skorpionen zu treten, <strong>und</strong> über das<br />

ganze Heer des Feindes, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts wird eudj s<strong>ch</strong>aden. "Weder was in der Natur<br />

mit giftigem Biß den Mens<strong>ch</strong>en bedroht, no<strong>ch</strong> was im Verborgenen das Heer<br />

des "Widersa<strong>ch</strong>ers bildet <strong>und</strong> mit geistigen Waffen von innen her sie anfi<strong>ch</strong>t,<br />

vermag die, die in seinem <strong>Die</strong>nst stehen^u verni<strong>ch</strong>ten. Er s<strong>ch</strong>ickt sie in alle Gefährli<strong>ch</strong>keiten<br />

getrost, ja mit der Freudigkeit der Uberwinder hinein; denn sie<br />

sind dur<strong>ch</strong> seinen Auf trag ges<strong>ch</strong>irmt, an dessen Ausri<strong>ch</strong>tung sie ni<strong>ch</strong>ts hindern<br />

kann.<br />

Na<strong>ch</strong>dem er ihnen die Freude an der Ma<strong>ch</strong>t seines Namens bestätigt, ja gemehrt<br />

<strong>und</strong> vertieft hat, s<strong>ch</strong>ützt er sie dagegen, daß ihr Blick bei ihrem Werk<br />

<strong>und</strong> ihrer Ma<strong>ch</strong>t verweile, indem er über die Freude der Liebe, die die Geb<strong>und</strong>enen<br />

befreit <strong>und</strong> den Gequälten hilft, die Freude des Glaubens stellt, der si<strong>ch</strong><br />

der Gnade Gottes gegeben weiß. 10,20: Allein ni<strong>ch</strong>t daran freut eu<strong>ch</strong>, daß si<strong>ch</strong><br />

eu<strong>ch</strong> die Geister unterwerfen, sondern freut eu<strong>ch</strong>, daß eure Namen in den Himmeln<br />

einges<strong>ch</strong>rieben sind. Ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> unten sollen sie sehen, sondern <strong>na<strong>ch</strong></strong> oben,<br />

ni<strong>ch</strong>t darauf, daß sie der Welt <strong>und</strong> dem Teufel überlegen sind, sondern darauf,<br />

daß ihr Name in Gottes Bu<strong>ch</strong> steht. Daß Gott sie zu si<strong>ch</strong> gezogen hat <strong>und</strong> er<br />

ihnen seine Liebe, seine Erwählung, seine ewige Gabe gab, das ist der Gr<strong>und</strong><br />

ihres Sieges über die Welt, die Wurzel aller Ma<strong>ch</strong>t, die ihnen <strong>na<strong>ch</strong></strong> außen hin<br />

gegeben ist, ihr großer Besitz, an dem alles hängt, was sie sind, ihre reine, unbefleckte<br />

Freude, aus der ihnen ihre ganze Seligkeit strömt. Das war Jesu<br />

Hauptanliegen, worauf er stets beda<strong>ch</strong>t war, daß die Jünger ermessen, was sie<br />

an Gott haben, <strong>und</strong> darin ihre Seligkeit finden, daß Gottes Gnade ihnen gehört.<br />

Wenn si<strong>ch</strong> ihr Blick auf das ri<strong>ch</strong>tet, was sie für die andern bedeuten <strong>und</strong><br />

ihnen zu geben vermögen, dann ist die St<strong>und</strong>e da, in der der Glaube hervortritt<br />

<strong>und</strong> si<strong>ch</strong> von allem frei ma<strong>ch</strong>t, was der Jünger wirkt. Geltung <strong>und</strong> Unvergängli<strong>ch</strong>keit<br />

bekommt sein Name ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> das, was er im <strong>Die</strong>nst des<br />

Christus s<strong>ch</strong>afft, sondern dur<strong>ch</strong> das, was Gottes Gnade seinem Glauben gab.<br />

Wie <strong>Lukas</strong> zum verdammenden Wort, mit dem die Jünger aus den feindseligen<br />

Dörfern ziehen, das Wehe stellt, mit dem Jesus selber von den galiläis<strong>ch</strong>en<br />

Orten Abs<strong>ch</strong>ied nahm, so stellt er zur Freude, mit der die Jünger von


<strong>Lukas</strong> 10,19—24 2.2.}<br />

ihrer Wanderung heimkehren, <strong>na<strong>ch</strong></strong> Matthäus 11,25—27 Jesu eigene freudige<br />

Anbetung des Vaters, dur<strong>ch</strong> die er ihn dafür preist, daß er ihm die Unmündigen<br />

gab, <strong>und</strong> dafür, daß niemand den Sohn kennt als der Vater, niemand den<br />

Vater als der Sohn. 10,21.22 : In derselben St<strong>und</strong>e jubelte er dur<strong>ch</strong> den heiligen<br />

Geist <strong>und</strong> sagte: I<strong>ch</strong> preise di<strong>ch</strong>, Vater, Herr des Himmels <strong>und</strong> der Erde, daß du<br />

dies vor den Weisen <strong>und</strong> Verständigen verbargst <strong>und</strong> es Unmündigen offenbartest.<br />

Ja, Vater! denn so war es wohlgefällig vor dir. Alles ist mir von<br />

meinem Vater übergeben worden, <strong>und</strong> keiner erkennt, wer der Sohn ist, als<br />

der Vater, <strong>und</strong> wer der Vater ist, als der Sohn <strong>und</strong> der, dem es der Sohn offenbaren<br />

will. Im heiligen Geist war Jesu Freude begründet, weil sie ni<strong>ch</strong>t aus<br />

dem natürli<strong>ch</strong>en "Wbhlgefühl floß, sondern aus seinem Blick auf Gott entsprang<br />

als Gottes Gabe von oben her. Nur weil er dur<strong>ch</strong> den Geist bewegt war,<br />

konnte es ihm zur Freude werden, daß es gerade die an Geist <strong>und</strong> Wissen<br />

kleinen <strong>und</strong> armen Männer waren, ni<strong>ch</strong>t die Weisen <strong>und</strong> Verständigen, die ihm<br />

der Vater zuführte, <strong>und</strong> nur dur<strong>ch</strong> den Geist stand der Vater so nah <strong>und</strong> groß<br />

vor ihm, daß er darin sein volles Genüge hatte, ihn zu kennen, <strong>und</strong> es mit<br />

Freuden trug, daß er für alle ein Geheimnis blieb, niemand ihn verstand <strong>und</strong><br />

er nur den Vater hatte als seinen einzigen Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Zeugen, der wußte, was<br />

in seinem Herzen war. Einzig dur<strong>ch</strong> den Geist stellte er si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit dieser<br />

hohen, königli<strong>ch</strong>en Gewißheit über die ganze Mens<strong>ch</strong>heit als über sein Rei<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> Eigentum, weil ihm der Vater alles übergeben hat, obglei<strong>ch</strong> er auf dem<br />

Kreuzesweg war.<br />

Matthäus enthält no<strong>ch</strong> ein anderes Wort, das mit vollem Ton Jesu Freude<br />

darüber ausspri<strong>ch</strong>t, daß er den Jüngern ohne Hinderung Gottes königli<strong>ch</strong>es<br />

Werk zeigen kann, Matthäus 13,16.17. Au<strong>ch</strong> dieses gibt uns <strong>Lukas</strong> hier <strong>und</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t uns damit vollends deutli<strong>ch</strong>, wie rein <strong>und</strong> voll die Freude von Jesus auf<br />

die Jünger überströmt. 10,23. 24: Und er wandte si<strong>ch</strong> besonders zu den Jüngern<br />

<strong>und</strong> sagte: Selig sind die Augen, die sehen, was ihr seht. Denn i<strong>ch</strong> sage<br />

eu<strong>ch</strong>: Viele Propheten <strong>und</strong> Könige begehrten zu sehen, was ihr seht, <strong>und</strong> sahen<br />

es ni<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> zu hören, was ihr hört, <strong>und</strong> hörten es ni<strong>ch</strong>t. Was die Propheten<br />

<strong>und</strong> Könige des alten Israel zu erleben begehrten, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erlebt haben,<br />

das ist nun den Jüngern Jesu zuteil geworden, da sie die Tat Gottes sehen <strong>und</strong><br />

das Wort Gottes hören, auf das die alten, großen <strong>Die</strong>ner Gottes mit langem<br />

Hoffen warteten.<br />

Der Lehrer, der sagt, er kenne Gottes Gebot ni<strong>ch</strong>t<br />

Jedermann in der Gemeinde stand beständig unter der Aufsi<strong>ch</strong>t der Lehrer,<br />

Jesus in besonderem Maß, da er bereits einen großen Jüngerkreis mit si<strong>ch</strong> ver-


224 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

b<strong>und</strong>en hatte, das Volk dur<strong>ch</strong> seine Predigt weithin bewegte <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> den<br />

S<strong>ch</strong>riftgelehrten dur<strong>ch</strong> sie viel zu denken gab. Darum legte ihm ein Lehrer, um<br />

prüfend in sein Inneres zu dringen <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> ein Urteil über ihn zu bilden, eine<br />

Frage vor. 10,25: Und sieh! ein Lehrer des Gesetzes stand auf, versu<strong>ch</strong>te ihn<br />

<strong>und</strong> sagte: Lehrer, was soll idi tun, um ewiges Leben zu ererben? Es ist dieselbe<br />

Frage, mit der jener Rei<strong>ch</strong>e, den wir dur<strong>ch</strong> Matthäus kennen, vor Jesus trat,<br />

<strong>und</strong> wir haben s<strong>ch</strong>on dort von ihm gehört, daß er dieser Frage jedes Re<strong>ch</strong>t abspra<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> es nie geduldet hat, daß wir Gottes Willen dunkel, rätselhaft <strong>und</strong><br />

zweideutig s<strong>ch</strong>eiten <strong>und</strong> murren, er lasse uns im Dunkeln unseren Weg su<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> zeige uns ni<strong>ch</strong>t, was ihm wohlgefällig sei, so daß wir klagend ausrufen<br />

dürften: Was soll i<strong>ch</strong> denn tun? Das hat Jesus immer Heu<strong>ch</strong>elei geheißen, im-<br />

__mer als den Selbstbetrug erkannt, hinter den si<strong>ch</strong> der böse Wille versteckt. Weil<br />

wir das Gute ni<strong>ch</strong>t wollen, su<strong>ch</strong>en wir unsere Re<strong>ch</strong>tfertigung darin, daß wir es<br />

ni<strong>ch</strong>t kennen; denn wüßten wir, was gut sei, so täten wir es gewiß. Darum hat<br />

Jesus dieser Frage nie eine andere Antwort gegeben als die, die jener Rei<strong>ch</strong>e<br />

empfing: Halte die Gebote! Au<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>riftgelehrten hatte er ni<strong>ch</strong>ts anderes<br />

zu sagen, als was das klare, helle S<strong>ch</strong>riftwort jedermann sagt. Wozu hat denn<br />

Gott sein Gesetz gegeben <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>rift in jedermanns Hände gelegt als dazu,<br />

damit jedermann wisse, wie er Gottes Willen tut? 10,26: Er aber sagte zu ihm:<br />

Was ist im Gesetz ges<strong>ch</strong>rieben? Wie liesest du?<br />

Der Lehrer war also vergebli<strong>ch</strong> auf Jesu Antwort gespannt gewesen, als ob<br />

darin ni<strong>ch</strong>ts Fals<strong>ch</strong>es stecke, weil Jesus s<strong>ch</strong>on die Fals<strong>ch</strong>heit <strong>und</strong> Tücke angriff,<br />


<strong>Lukas</strong> 10,23—30 225<br />

darin, daß er ihn mit ganzem Herzen lieb gehabt hat, Jesu Gottesdienst bestand<br />

nidit in Worten, sondern in der Tat.<br />

Von den Theologen der Judens<strong>ch</strong>aft wurde freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> viel Krummes <strong>und</strong><br />

Trübes gelehrt in fals<strong>ch</strong>er Verb<strong>und</strong>enheit an die Alten als unwahre Maske,<br />

die das Böse mit frommem S<strong>ch</strong>ein verdeckte, <strong>und</strong> mit töri<strong>ch</strong>tem Eifer für Kleinigkeiten,<br />

die für die ernsten Anliegen <strong>und</strong> großen Nöte des Mens<strong>ch</strong>en do<strong>ch</strong><br />

ratlos ließen. Trotzdem saßen sie immer wieder vor der S<strong>ch</strong>rift mit starkem<br />

Eifer <strong>und</strong> aufmerksamer Fors<strong>ch</strong>ung, so daß Gottes Wahrheit immer wieder<br />

hell in ihre Seele drang. Darum ward Jesus, wenn er <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gebot fragte, die ri<strong>ch</strong>tige, s<strong>ch</strong>riftgemäße Antwort ni<strong>ch</strong>t versagt. Dabei dürfen<br />

wir au<strong>ch</strong> daran denken, daß die <strong>Evangelien</strong> sol<strong>ch</strong>e Gesprä<strong>ch</strong>e nur in knapper,<br />

zusammengedrängter Fassung geben, wobei es ihnen einzig an der Hauptsa<strong>ch</strong>e,<br />

einzig am Resultat liegt <strong>und</strong> alles, was dasselbe anbahnte <strong>und</strong> vorbereitete,<br />

beiseite bJieb.<br />

' Zur Antwort des Lehrers hatte Jesus ni<strong>ch</strong>ts beizufügen. 10,28: Er spra<strong>ch</strong><br />

aber zu ihm: Du hast ri<strong>ch</strong>tig geantwortet. Tue das, so wirst du leben! Gott<br />

läßt keinen verderben, der ihn mit ganzem Herzen liebt <strong>und</strong> seinem Nä<strong>ch</strong>sten<br />

seine Liebe gibt. <strong>Die</strong> Frage, die der Lehrer stellte, ist also beantwortet. Der<br />

Weg ins ewige Leben liegt klar vor ihm. Glei<strong>ch</strong>wohl war das Gesprä<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t zu Ende.<br />

10,29: Er aber wollte si<strong>ch</strong> selber re<strong>ch</strong>tfertigen <strong>und</strong> sagte zu Jesus: Wer ist<br />

denn mein Nä<strong>ch</strong>ster? Er sah, daß anders, als er erwartet hatte, eine Anklage<br />

auf ihn gefallen war. Er hatte si<strong>ch</strong> unwissend über Gottes Weg gestellt <strong>und</strong><br />

wußte ihn do<strong>ch</strong>. Tue das, was du weißt, sagte ihm Jesus <strong>und</strong> hielt ihm dadur<strong>ch</strong><br />

vor, woran es ihm gebri<strong>ch</strong>t, was ihm das ewige Leben zu einer Ungewissen, entlegenen<br />

Sa<strong>ch</strong>e ma<strong>ch</strong>t. Ni<strong>ch</strong>t darin lag für ihn die S<strong>ch</strong>wierigkeit, daß er den<br />

Weg ni<strong>ch</strong>t kannte, sondern darin, daß er ihn ni<strong>ch</strong>t ging. Das zu gestehen, war<br />

ihm s<strong>ch</strong>wer. Er verteidigt si<strong>ch</strong>, es lägen do<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>wierigkeiten, Unklarheiten,<br />

Anstöße im göttli<strong>ch</strong>en Gebot; wieviel Gr<strong>und</strong> zum Zweifel biete es dar! Sogar<br />

im zweiten Gebot, das unser Verhalten zu den Mens<strong>ch</strong>en ordnet, entdeckt er<br />

die S<strong>ch</strong>wierigkeiten, ni<strong>ch</strong>t bloß im ersten, das uns Gott mit ganzem Herzen<br />

lieben heißt. Sogar das ist oft unklar, was wir einander s<strong>ch</strong>uldig sind. Wer ist<br />

zum Beispiel mein Nä<strong>ch</strong>ster? So läge es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur an unserer Lieblosigkeit,<br />

wenn wir das ewige Leben verlieren, sondern daran, daß wir ni<strong>ch</strong>t wissen, was<br />

gut <strong>und</strong> was Sünde ist.<br />

Den Mens<strong>ch</strong>en wollte der S<strong>ch</strong>riftgelehrte re<strong>ch</strong>tfertigen; Jesus re<strong>ch</strong>tfertigte<br />

Gott <strong>und</strong> verteidigte die si<strong>ch</strong>ere Klarheit seines Gebots. Um ihm diese zu zeigen,<br />

hat er ihm die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te vom Samariter erzählt. 10,30: Jesus nahm das


22Ó <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Wort <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Ein Mens<strong>ch</strong> zog von Jérusalem <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jeri<strong>ch</strong>o hinab <strong>und</strong> fiel<br />

unter die Räuber, die ihn auszogen, ihm W<strong>und</strong>en beibra<strong>ch</strong>ten, weggingen <strong>und</strong><br />

ihn halbtot liegenließen. Von Jerusalem zieht si<strong>ch</strong> die unbewohnte, nur von<br />

Hirten dur<strong>ch</strong>wanderte Wüste zum Jordan <strong>und</strong> Toten Meer hinab, so daß si<strong>ch</strong><br />

die Straße von Jerusalem <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jeri<strong>ch</strong>o etwa vier St<strong>und</strong>en dur<strong>ch</strong> wilde, einsame<br />

S<strong>ch</strong>lu<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> Hügel zieht. Räuber ma<strong>ch</strong>ten sie deswegen gefährli<strong>ch</strong>. Dorthin<br />

legt Jesus den Mann, den die Räuber ausgeplündert <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>et zurücklassen,<br />

weil er den Priester <strong>und</strong> den Leviten zu ihm bringen will. Jeri<strong>ch</strong>o war<br />

Priester- <strong>und</strong> Levitenstadt. Wurden diese von ihrem priesterli<strong>ch</strong>en <strong>Die</strong>nst im<br />

Heiligtum entlassen, so zogen sie auf dieser Straße ihrer Heimat zu. Man traf<br />

deshalb ni<strong>ch</strong>t selten Priester <strong>und</strong> Leviten auf ihr. 10,31. 32: Es traf si<strong>ch</strong> aber,<br />

daß ein Priester auf jener Straße hinabging, <strong>und</strong> er sah ihn <strong>und</strong> ging vorbei.<br />

Ebenso kam ein Levit an den Ort <strong>und</strong> sah ihn <strong>und</strong> ging vorbei. Lag es nun an<br />

der Dunkelheit des göttli<strong>ch</strong>en Gebots, daß sie vorübergingen, daran, daß sie<br />

ni<strong>ch</strong>t wußten, sie seien für diesen hilflosen Mann die Nä<strong>ch</strong>sten? Wer war es<br />

denn sonst hier in der Wüste, wo weit <strong>und</strong> breit niemand war? Beider Männer<br />

Lebensberuf war der Gottesdienst; beide kamen aus dem Heiligtum. Denno<strong>ch</strong><br />

gingen sie vorbei.<br />

10,33—35: Aber ein Samariter, der auf der Reise war, kam zu ihm, sah<br />

ihn <strong>und</strong> erbarmte si<strong>ch</strong>, trat herzu, goß öl <strong>und</strong> Wein auf seine W<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

verband sie, setzte ihn auf sein Reittier <strong>und</strong> führte ihn zur Herberge <strong>und</strong><br />

sorgte für ihn. Und am Morgen nahm er zwei Denare heraus, gab sie dem Wirt<br />

<strong>und</strong> sagte: Sorge für ihn, <strong>und</strong> was du außerdem no<strong>ch</strong> aufwendest, werde i<strong>ch</strong><br />

dir ersetzen, wenn i<strong>ch</strong> zurückkomme. Der Samariter ist hier ein Fremder <strong>und</strong><br />

vom Juden dur<strong>ch</strong> den bitteren Haß ges<strong>ch</strong>ieden, der beide Gemeinden auseinanderriß.<br />

Hat ni<strong>ch</strong>t denno<strong>ch</strong>, was er tut, klare Selbstverständli<strong>ch</strong>keit? Konnte<br />

er darüber zweifeln, was hier nötig sei? etwa deshalb, weil er ein Samariter<br />

war. Das änderte ni<strong>ch</strong>ts daran, daß der Mann, der hier lag, hilflos verdarb,<br />

wenn er ihm ni<strong>ch</strong>t half. Der Mann war in Not; warum soll er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erbarmen?<br />

Er hat W<strong>und</strong>en; warum soll er sie ni<strong>ch</strong>t verbinden? Wein <strong>und</strong> öl hat er<br />

au<strong>ch</strong> bei si<strong>ch</strong>, die er, wie es übli<strong>ch</strong> war, zur Was<strong>ch</strong>ung der W<strong>und</strong>en brau<strong>ch</strong>en<br />

kann. Sein Reittier kann ihn tragen. Unterwegs steht die Herberge, in die er<br />

ihn bringen kann. Bis zum Morgen, an dem er weiterzieht, kann er ihn pflegen.<br />

Wendet er zwei Denare daran, das ma<strong>ch</strong>t ihn ni<strong>ch</strong>t arm; dafür nährt <strong>und</strong> pflegt<br />

ihn der Wirt no<strong>ch</strong> einige Zeit, bis erweiterzuziehen imstande ist, <strong>und</strong> wenn mehr<br />

erforderli<strong>ch</strong> ist, so kann es ihm der Wirt darrei<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> er es ihm erstatten,<br />

wenn er wiederkehrt. Absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> hat Jesus keine sonderli<strong>ch</strong>e Aufopferung <strong>und</strong><br />

ausnahmsweise Selbstverleugnung in die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te hineingelegt. Der Sama-


<strong>Lukas</strong> 10,31—37b 227<br />

riter unterbri<strong>ch</strong>t seine Reise ni<strong>ch</strong>t, bere<strong>ch</strong>net haushälteris<strong>ch</strong>, als er weiterzieht,<br />

was etwa no<strong>ch</strong> nötig sei, <strong>und</strong> läßt es vorerst bei dem bewenden, was das nä<strong>ch</strong>ste<br />

Bedürfnis deckt. Ni<strong>ch</strong>ts ges<strong>ch</strong>ieht, als was die Lage unmittelbar erfordert, dies<br />

aber verständig <strong>und</strong> re<strong>ch</strong>t. Das ist freili<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t diejenige liebe, die Jesus<br />

seinen Jüngern gibt, die alles, was sie sind <strong>und</strong> haben, in seinem <strong>Die</strong>nst aufbrau<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> darum für den Bruder au<strong>ch</strong> sterben können. Jesus gibt aber in<br />

seiner rei<strong>ch</strong>en Güte seine Verheißung ni<strong>ch</strong>t nur jener Liebe, die Vollkommenheit<br />

hat, weil Gottes vollkommene Liebe uns offenbar geworden ist, sondern<br />

au<strong>ch</strong> dem Samariter, der dem guten "Willen Gottes so gehor<strong>ch</strong>t hat, wie er es<br />

in seiner Lage konnte.<br />

10,36: Von wel<strong>ch</strong>em unter diesen dreien meinst du,daß er dem,der unter die<br />

Räuber fiel, der Nä<strong>ch</strong>ste geworden seif Der Lehrer zweifelte ni<strong>ch</strong>t, wer hier<br />

getan habe, was Gottes Gebot verlangt. 10,37a: Er aber spra<strong>ch</strong>: Der, der an<br />

ihm das Erbarmen tat. Wo bleiben denn die S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die er im göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gebot finden will? Es gibt freili<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die uns den Gehorsam<br />

s<strong>ch</strong>wer ma<strong>ch</strong>en. Jesus hat sie uns ja am Priester <strong>und</strong> Leviten gezeigt. Sie rühren<br />

aber ni<strong>ch</strong>t daher, daß Gottes Wille unklar wäre. Kannte ihn der Priester ni<strong>ch</strong>t,<br />

während ihn do<strong>ch</strong> der Samariter kannte? Konnte ihn der Priester ni<strong>ch</strong>t erfüllen,<br />

während ihn der Samariter tat?<br />

"Wer ist mein Nä<strong>ch</strong>ster? sagte der Lehrer, <strong>und</strong> Jesus sagt: Wem bist du<br />

Nä<strong>ch</strong>ster? <strong>Die</strong> eine Frage fällt mît der anderen notwendig zusammen, da niemand<br />

mir Nä<strong>ch</strong>ster sein kann, dem i<strong>ch</strong> es ni<strong>ch</strong>t bin. Jesus gab aber absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

der Frage die andere Form. Fragt der Lehrer: Wer ist mein Nä<strong>ch</strong>ster? so gibt<br />

er damit bereits seiner Lieblosigkeit Raum; er will ni<strong>ch</strong>t lieben, wenn er ni<strong>ch</strong>t<br />

muß. Verpfli<strong>ch</strong>tet will er sein, genötigt zum Lieben, sonst tut er es ni<strong>ch</strong>t, will<br />

warten, bis das Anre<strong>ch</strong>t des anderen an seine Liebe sonnenklar erwiesen ist.<br />

So wird er si<strong>ch</strong> freili<strong>ch</strong> dem Priester zugesellen. Obglei<strong>ch</strong> das Elend dessen,<br />

der am Wege lag, sonnenklar war, sah er do<strong>ch</strong> eine Nötigung zur Liebe darin<br />

ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> sah ni<strong>ch</strong>t, wie er diesem Manne verpfli<strong>ch</strong>tet sein sollte. Wer aber<br />

Gottes Liebesgebot ernstli<strong>ch</strong> im Herzen trägt, der fragt: Für wen werde i<strong>ch</strong><br />

dadur<strong>ch</strong> zum Nä<strong>ch</strong>sten, daß er die Güte <strong>und</strong> Treue von mir empfängt? Na<strong>ch</strong><br />

Jesu Meinung ist die Liebe ein freies, tätiges Ding <strong>und</strong> brau<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t Zwang<br />

<strong>und</strong> Gebot, sondern hilft, wo zu helfen ist, <strong>und</strong> gibt mit eigener Lust.<br />

An Jesu Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te fand der S<strong>ch</strong>riftgelehrte alles klar; nur eins bleibt ihm<br />

somit übrig. 10,37b: Jesus sagte ihm aber: Geh, <strong>und</strong> tue au<strong>ch</strong> du ebenso 1 . Vom<br />

Samariter heißt Jesus den Lehrer lernen, wie hell <strong>und</strong> gerade die Wege sind,<br />

die Gott uns gehen heißt, <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> seiner S<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> Ränke s<strong>ch</strong>ämen, mit


228 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

denen er si<strong>ch</strong> diese verwirrt, sein böses Begehren s<strong>ch</strong>ützt, si<strong>ch</strong> selbst re<strong>ch</strong>tfertigt<br />

<strong>und</strong> Gott bes<strong>ch</strong>uldigt, als läge die S<strong>ch</strong>uld an Gottes "Wort <strong>und</strong> Gebot.<br />

Jesu Wirtin <strong>und</strong> Jesu Zuhörerin<br />

10,38—40a'.Als sie aber wanderten, ging er in ein Dorf hinein; aber eine Frau<br />

mit Namen Martha nahm ihn in ihr Haus auf. Und diese hatte eine S<strong>ch</strong>wester<br />

mit Namen Maria, die si<strong>ch</strong> zu den Füßen des Herrn setzte <strong>und</strong> sein Wort<br />

hörte. Martha aber wurde vom großen <strong>Die</strong>nst abgezogen. Maria hielt die Einkehr<br />

Jesu im Hause ihrer S<strong>ch</strong>wester für einen großen Gewinn; sie sitzt bei ihm<br />

<strong>und</strong> hört ihm zu. Der Hausfrau lag dagegen die Pfli<strong>ch</strong>t der Bewirtung ob, <strong>und</strong><br />

sie nahm sie ernst. Sie wollte Jesus geben, was sie konnte, ihn ehren, wie sie<br />

es vermo<strong>ch</strong>te; zudem waren wohl au<strong>ch</strong> Jesu Begleiter bei ihm. So konnte sie<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> zu Jesus setzen, sondern rüstete das Mahl <strong>und</strong> die Herberge.<br />

Marias Benehmen verdroß sie; war das die re<strong>ch</strong>te Weise, jetzt Jesus zu ehren<br />

<strong>und</strong> ihm zu dienen? Müßig saß sie bei ihm, begehrte sein "Wort <strong>und</strong> ließ es si<strong>ch</strong><br />

rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> geben, als wäre jetzt ni<strong>ch</strong>t andere Arbeit zu tun. Und au<strong>ch</strong> Jesu Benehmen<br />

verdroß sie. Er widmete si<strong>ch</strong> ihr <strong>und</strong> freute si<strong>ch</strong> an ihrem offenen Ohr;<br />

so wird er, s<strong>ch</strong>eint es Martha, ungere<strong>ch</strong>t gegen sie, die si<strong>ch</strong> um ihn müht <strong>und</strong><br />

allein für das besorgt ist, was er bedarf. 10,40b: Sie trat aber hinzu <strong>und</strong> sagte:<br />

Herr, kümmert es di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, daß mi<strong>ch</strong> meine S<strong>ch</strong>wester allein die Bedienung<br />

besorgen ließ? Sage ihr nun, daß sie mit mir angreife.<br />

Da ma<strong>ch</strong>t ihr Jesus deutli<strong>ch</strong>, womit ihm gedient ist <strong>und</strong> was ihn erfreut.<br />

10,41.42: Aber der Herr antwortete <strong>und</strong> sagte ihr: Martha, Martha, vieler<br />

Dinge wegen sorgst du <strong>und</strong> bist unruhig; eines ist nötig. <strong>Die</strong>s ist ni<strong>ch</strong>t das,<br />

was Martha mit ihrem Aufwand von Sorge <strong>und</strong> Arbeit ihm vers<strong>ch</strong>affen will.<br />

Jesus s<strong>ch</strong>ilt das ni<strong>ch</strong>t, verlangt es aber au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t; denn es ist ni<strong>ch</strong>t das, wofür<br />

er lebt <strong>und</strong> woran si<strong>ch</strong> seine Seele erquickt. Nötig ist nur eins, das was Maria<br />

hat: das offene Ohr für sein "Wort. Für Jesus ist dies nötig, weil er ohne dieses<br />

sein "Werk auf Erden ni<strong>ch</strong>t ausri<strong>ch</strong>ten kann. Keine Ehrung, die ihm widerführe,<br />

keine Gabe, die ihm gewährt würde, kann das ersetzen, daß sein "Wort<br />

mit Glauben <strong>und</strong> Gehorsam aufgenommen wird. Aber au<strong>ch</strong> für Martha ist nur<br />

dies eine das Nötige. Ni<strong>ch</strong>t, daß sie ihn mit ihrer Bemühung ehre <strong>und</strong> mit ihrer<br />

Arbeit ihm diene, bringt ihr, was sie bedarf; daß er ihr dient <strong>und</strong> sie sein Wort<br />

von ihm empfängt <strong>und</strong> bewahrt, dadur<strong>ch</strong> kommt sie zu Gott. 10,42b: Denn<br />

Maria hat das gute Teil gewählt, das ihr ni<strong>ch</strong>t genommen werden wird. Sie hat<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem "Wort begehrt; es wird ihr bleiben als ewiger Rei<strong>ch</strong>tum; es hat ihr<br />

für immer den Zugang zu Gott aufgetan <strong>und</strong> wird sie mit treuer Ma<strong>ch</strong>t in<br />

seiner Gnade <strong>und</strong> Gabe erhalten.


<strong>Lukas</strong> 10,38—42b; 11,1<br />

Davon, daß der natürli<strong>ch</strong>e Lauf des Lebens stets man<strong>ch</strong>erlei Arbeit nötig<br />

ma<strong>ch</strong>t, spra<strong>ch</strong> Jesu Wort an Maria ni<strong>ch</strong>t, sonderen davon, was die re<strong>ch</strong>te Verehrung<br />

Jesu sei, wodur<strong>ch</strong> wir ihm danken <strong>und</strong> ihn verherrli<strong>ch</strong>en. <strong>Die</strong> Wi<strong>ch</strong>tigkeit<br />

dieses Worts liegt darin, daß es uns aus allem fals<strong>ch</strong>en <strong>Die</strong>nst Christi<br />

wegtreibt, bei dem wir ihn mit unseren Gaben bes<strong>ch</strong>enken <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> unsere<br />

Unternehmungen erhöhen, <strong>und</strong> uns sein Wort als das vorhält, woran wir ihm<br />

dadur<strong>ch</strong> dienen, daß wir es hören <strong>und</strong> glauben. Sein Wort ma<strong>ch</strong>t uns aber, wie<br />

wir dies soeben an der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te vom Samariter sahen, ni<strong>ch</strong>t müßig, sondern<br />

lehrt uns den Willen Gottes tun. Ohne Zweifel läßt <strong>Lukas</strong> die beiden Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />

mit vollem Beda<strong>ch</strong>t einander unmittelbar folgen; dem Lehrer zeigte Jesus,<br />

wie wir einander dienen, <strong>und</strong> hielt ihm dazu die erste, nä<strong>ch</strong>ste Wohltat vor,<br />

die wir einander geben können, daß wir für den Leib <strong>und</strong> das, was ihn erhält,<br />

sorgen. Mit Martha spra<strong>ch</strong> er darüber, wie wir ihm dienen, wodur<strong>ch</strong> zur Sorge<br />

für den Leib das kommt, womit wir Gott unsere liebe erzeigen, die Bewahrung<br />

seines Worts. Ni<strong>ch</strong>t <strong>Lukas</strong>, aber Johannes hat uns das Dorf der beiden<br />

S<strong>ch</strong>western genannt: es war Bethanien auf dem ölberg. Jesus war somit damals<br />

in Jerusalem,* da er ni<strong>ch</strong>t auf dem ölberg herbergte, ohne daß er ins<br />

Heiligtum ging. Wir erfahren au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Johannes, daß Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Aufbru<strong>ch</strong><br />

aus Galiläa sofort <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem ging, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> längere Zeit hin<br />

<strong>und</strong> her wanderte, bis der Einzug in die Stadt zum Leiden erfolgte. Der Name<br />

Bethanien fehlt bei <strong>Lukas</strong>, weil in den älteren <strong>Evangelien</strong> einzig jener Gang<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem, dur<strong>ch</strong> den er die Kreuzestat vollbra<strong>ch</strong>t hat, hervorgehoben ist.<br />

<strong>Die</strong> Anleitung zum Gebet<br />

Zu dem, was Maria tat, zum gläubigen Hören des Worts, fügt <strong>Lukas</strong> mit<br />

dur<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>tiger Ordnung das Gebet <strong>und</strong> legt uns dadur<strong>ch</strong> weiter aus, was das<br />

erste, größte Gebot Gottes in si<strong>ch</strong> hat. Unsere Liebe Gottes besteht darin, daß<br />

wir sein Wort hören, <strong>und</strong> weiter darin, daß wir betend zu ihm treten. Wir<br />

erhalten Jesu Unterri<strong>ch</strong>t über die Hauptstücke des Christenstandes: Liebesdienst<br />

am Nä<strong>ch</strong>sten, wie ihn der Samariter übt, Aufnahme des Worts, wie<br />

Maria sie übt, <strong>und</strong> Gebet, das am Gebete Jesu seine Ri<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>nur hat.<br />

11,1: Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er an einem Orte betete, sagte, wie er endete, einer<br />

seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie au<strong>ch</strong> Johannes seine Jünger<br />

gelehrt hat. Weil die Jünger Jesus beten hörten, wurde ihnen deutli<strong>ch</strong>, wie arm<br />

<strong>und</strong>unges<strong>ch</strong>ickt ihr eigenes Gebet gewesen ist. Sie erinnerten si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> daran,<br />

daß der Täufer den Männern, die si<strong>ch</strong> ihm zu bleibender Gemeins<strong>ch</strong>aft verb<strong>und</strong>en<br />

hatten, ein Gebet aufgegeben hatte, das sie mit ihrem Meister <strong>und</strong> mit-<br />

• Au<strong>ch</strong> die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te vom Samariter erinnert an Jerusalem, weil ihr Jesus den Ort am Wege von<br />

Jerusalem <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jeri<strong>ch</strong>o gegeben hat.<br />

ZZ 9


230 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

einander vor Gott im selben Anliegen eins ma<strong>ch</strong>te. Wir sehen wieder, wie Jesu<br />

Verkehr mit den Seinen lauter Freiheit <strong>und</strong> "Wahrheit gewesen ist. Er legte<br />

ihnen ni<strong>ch</strong>t von außen her Formen auf, als hinge an diesen ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit ihm. Sogar das Unser Vater bekamen sie erst, als sie ihn darum baten <strong>und</strong><br />

es wie eine Zurücksetzung empfanden, daß er ihnen kein Gebet gegeben habe,<br />

während do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> der Täufer seinen Jüngern ein sol<strong>ch</strong>es gab. Wie man au<strong>ch</strong><br />

in der Gemeinde der Apostel zwar Jesu Gebet treu bewahrt hat <strong>und</strong> wohl<br />

wußte, was für einen S<strong>ch</strong>atz man an ihm hatte, aber ni<strong>ch</strong>t mit Ängstli<strong>ch</strong>keit,<br />

als käme es vor allem auf die bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>e Form des Gebets an, sehen<br />

wir daran, daß <strong>Lukas</strong> eine andere Form des Unser Vater als Matthäus hat.<br />

11,2—4: Er sagte aber zu ihnen: Wenn ihr betet, so spre<strong>ch</strong>t: Vater, dein<br />

Name werde geheiligt! Deine Herrs<strong>ch</strong>aft komme! Unser Brot, das wir für den<br />

morgenden Tag brau<strong>ch</strong>en, gib uns Tag um Tag! <strong>und</strong> vergib uns unsere Sünden;<br />

denn au<strong>ch</strong> wir vergeben jedem, der uns s<strong>ch</strong>uldig ist; <strong>und</strong> führe uns ni<strong>ch</strong>t in eine<br />

Versu<strong>ch</strong>ung! Es fehlt der Lobpreis Gottes am S<strong>ch</strong>luß der Bitten, worin aber<br />

die älteste Form des Gebets bei Matthäus von der des <strong>Lukas</strong> viellei<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t<br />

vers<strong>ch</strong>ieden war. Sodann beginnt es nur mit dem Vaternamen, wie Jesus au<strong>ch</strong><br />

sonst z. B. in Gethsemane <strong>und</strong> am Kreuz Gott angerufen hat <strong>und</strong> wie das Gebet<br />

der Apostel mit dem Vaternamen: Abba Vater! unser Kindesre<strong>ch</strong>t vor<br />

Gott bezeugt. Au<strong>ch</strong> die dritte Bitte stand wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> bei <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />

"Wer die zweite lebendig im Herzen trägt, hat die dritte darin s<strong>ch</strong>on mitgebetet.<br />

Kommt Gottes königli<strong>ch</strong>e <strong>Offenbarung</strong>, so ges<strong>ch</strong>ieht sein Wille au<strong>ch</strong> auf der<br />

Erde, wie er im Himmel ges<strong>ch</strong>ieht. <strong>Die</strong> Bitte um das Brot hält Matthäus bei<br />

dem fest, was wir jetzt bedürfen: Gib uns unser Brot heute! Na<strong>ch</strong> der Form<br />

des <strong>Lukas</strong> ermessen wir, daß dieses Bedürfnis immer wiederkehrt <strong>und</strong> immer<br />

wieder dur<strong>ch</strong> Gottes fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>e Gabe gestillt werden muß. Der Ruf: Rette<br />

uns vor dem Bösen! fehlt. Behütet uns die Gnade vor der Versu<strong>ch</strong>ung, so ist<br />

au<strong>ch</strong> alle Ma<strong>ch</strong>t des Bösen von uns abgewehrt, unter dessen Gewalt wir nur<br />

dadur<strong>ch</strong> geraten, daß wir in der Versu<strong>ch</strong>ung fallen. Na<strong>ch</strong>drückli<strong>ch</strong> bezeugt<br />

der Bittende in dieser Form des Gebets, daß sein Vergeben ein völliges sei:<br />

allen, die uns ni<strong>ch</strong>t erstatten, was uns zustand, verzeihen wir.<br />

Auf die Anleitung zum ri<strong>ch</strong>tigen Bitten, das mit Jesu Sinn eins bleibt <strong>und</strong><br />

darum mit Glauben <strong>und</strong> Zuversi<strong>ch</strong>t an Gott geri<strong>ch</strong>tet werden darf, folgt seine<br />

Verheißung, die unseren zaghaften Sinn ermutigt, damit wir wagen, Gott anzurufen<br />

<strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> die Hilfe zu gewinnen, die uns als Erhörung unseres<br />

Bittens widerfährt. 11,5-8: Und er sagte zu ihnen: Wer von eu<strong>ch</strong> wird einen<br />

Fre<strong>und</strong> haben <strong>und</strong> um Mitter<strong>na<strong>ch</strong></strong>t zu ihm gehen <strong>und</strong> ihm sagen: Fre<strong>und</strong>, leihe<br />

mir drei Brote, da mein Fre<strong>und</strong> von der Wanderung zu mir kam <strong>und</strong> i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts


<strong>Lukas</strong> 11,2—13 231<br />

habe, was i<strong>ch</strong> ihm vorsetzen kann, <strong>und</strong> jener wird von innen her antworten<br />

<strong>und</strong> sagen: Ma<strong>ch</strong>e mir keine Mühe; die Türe ist vers<strong>ch</strong>lossen, <strong>und</strong> die Kinder<br />

sind bei mir im Bett; i<strong>ch</strong> kann ni<strong>ch</strong>t aufstehen <strong>und</strong> sie dir geben? I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>:<br />

Au<strong>ch</strong> wenn er ni<strong>ch</strong>t deshalb aufstehen <strong>und</strong> sie ihm geben wird, weil er sein<br />

Fre<strong>und</strong> ist, so wird er do<strong>ch</strong> deshalb, weil er ohne S<strong>ch</strong>eu bittet, aufstehen <strong>und</strong><br />

ihm geben, was er bedarf. An dem, was unser Bitten bei den Mens<strong>ch</strong>en ausri<strong>ch</strong>tet,<br />

heißt uns Jesus erkennen, was es bei Gott vermag. Er erzählt absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

einen re<strong>ch</strong>t ungünstigen Fall, in dem der Gewährung der Bitte vieles widersteht.<br />

Der Bittende weckt den anderen mitten in der Na<strong>ch</strong>t; die vers<strong>ch</strong>lossene<br />

Tür muß mühsam entriegelt werden; die Kinder s<strong>ch</strong>lafen im selben Raum,<br />

so daß er ni<strong>ch</strong>t aufstehen kann, ohne sie zu wecken. Denno<strong>ch</strong> wird seine Bitte<br />

ni<strong>ch</strong>t vergebli<strong>ch</strong> sein. Viellei<strong>ch</strong>t gewährt er ihm das Erbetene ni<strong>ch</strong>t deshalb, weil<br />

er sein Fre<strong>und</strong> ist; deshalb aber, weil er ohne S<strong>ch</strong>eu <strong>und</strong> Rücksi<strong>ch</strong>t bittet, wird<br />

er si<strong>ch</strong>er empfangen, was er bedarf, weil der Angerufene Ruhe haben will<br />

<strong>und</strong> den Bittenden am besten so zur Ruhe bringt, daß er ihm die Gabe gibt. Ist<br />

die Bitte bei uns s<strong>ch</strong>on so mä<strong>ch</strong>tig, so ist sie es, das ist Jesu Meinung, bei Gott<br />

no<strong>ch</strong> viel mehr <strong>und</strong> darf si<strong>ch</strong> hier vollends mit fröhli<strong>ch</strong>er Zuversi<strong>ch</strong>t entfalten,<br />

weil ihn ni<strong>ch</strong>ts von dem stört <strong>und</strong> bindet, was bei uns die Erfüllung der Bitte<br />

ers<strong>ch</strong>wert, da wir bei ihm vor dem S<strong>ch</strong>atz der vollkommenen Gnade stehen.<br />

<strong>Die</strong> volle Verheißung, die Jesus unseren Bitten gewährt, gibt uns <strong>Lukas</strong><br />

nun mit den Worten aus der Bergpredigt, Matthäus 7,7, nur mit dem Unters<strong>ch</strong>ied,<br />

daß er unser Bitten im S<strong>ch</strong>lußwort glei<strong>ch</strong> zur hö<strong>ch</strong>sten Gabe emporhebt,<br />

um die wir bitten können <strong>und</strong> vor allem bitten sollen. 11,9a: Au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong><br />

sage eu<strong>ch</strong>. In unserem Verkehr miteinander zählen wir beständig darauf, daß<br />

unsere Bitte ihre Erfüllung findet. Au<strong>ch</strong> Jesus denkt so, ni<strong>ch</strong>t bloß von den<br />

Bitten, die wir aneinander, sondern erst re<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> vollends von denen, die wir<br />

an Gottes Güte ri<strong>ch</strong>ten. 11,90-13: Bittet, <strong>und</strong> es wird eu<strong>ch</strong> gegeben werden.<br />

Su<strong>ch</strong>et, <strong>und</strong> ihr werdet finden. Klopft an, <strong>und</strong> es wird eu<strong>ch</strong> geöffnet werden.<br />

Denn, jeder, der bittet, erhält, <strong>und</strong> wer su<strong>ch</strong>t, findet, <strong>und</strong> wer anklopft, dem<br />

wird geöffnet werden. Wen von eu<strong>ch</strong>, der Vater ist, wird der Sohn um einen<br />

Fis<strong>ch</strong> bitten — wird er ihm wohl statt eines Fis<strong>ch</strong>es eine S<strong>ch</strong>lange rei<strong>ch</strong>en? Oder<br />

wenn er ihn um ein Ei bittet, wird er ihm wohl einen Skorpion rei<strong>ch</strong>en? Wenn<br />

nun ihr, die ihr böse seid, eueren Kindern gute Gaben zu geben wißt, wieviel<br />

mehr wird der Vater, der vom Himmel her regiert, heiligen Geist denen geben,<br />

die ihn bitten! „Gutes", heißt es bei Matthäus, wird der Vater denen, die ihn<br />

bitten, geben; „heiligen Geist", sagt <strong>Lukas</strong>, wird er den Bittenden geben. Bei<br />

Matthäus stehen vorher <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>her die Worte Jesu, die uns unseren Beruf<br />

an den Mens<strong>ch</strong>en bes<strong>ch</strong>reiben, wie wir ihrer Sünde die re<strong>ch</strong>te Hilfe bringen, ge-


232 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

gen ihre Unempfänglidikeit keinen Zwang üben <strong>und</strong> ihnen aus eigenem Antrieb<br />

geben, was wir für uns selber wüns<strong>ch</strong>en. Da brau<strong>ch</strong>en wir ni<strong>ch</strong>t erst zu<br />

fragen, um was wir bitten sollen; denn wir sind mitten in die Nöte <strong>und</strong> Bedürfnisse<br />

hineingesetzt, die uns das Leben beständig zuträgt <strong>und</strong> vor denen wir<br />

ohnmä<strong>ch</strong>tig wären, könnten wir ni<strong>ch</strong>t bitten. Nur als die, die bitten <strong>und</strong> empfangen,<br />

ri<strong>ch</strong>ten wir den Beruf, den uns Jesus gibt, aus. In den Worten des <strong>Lukas</strong><br />

wird uns bes<strong>ch</strong>rieben, wie wir uns zu Gott halten dürfen, daß wir abtun dürfen,<br />

was unseren Glauben drückt <strong>und</strong> lähmt, <strong>und</strong> mit Zuversi<strong>ch</strong>t aus seiner<br />

Fülle s<strong>ch</strong>öpfen dürfen. Wie ho<strong>ch</strong> unsere Zuversi<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> heben darf, hält er uns<br />

dadur<strong>ch</strong> vor, daß er uns um den heiligen Geist bitten heißt. Wir dürfen bei<br />

Gott ni<strong>ch</strong>t nur die kleinen Dinge su<strong>ch</strong>en, die wir zum Gedeihen unseres natürli<strong>ch</strong>en<br />

Lebens brau<strong>ch</strong>en, sondern vor allem <strong>und</strong> mit besonders freudigem Glauben<br />

das, was wir für unsere inwendige Lebensgestalt bedürfen, daß unser Auge<br />

sehe, was Gottes ist, <strong>und</strong> unsere Liebe begehre, was Gottes ist. Das ist Geist,<br />

heiliger Geist, in dem Gott inwendig bei uns ist <strong>und</strong> uns denken ma<strong>ch</strong>t, was<br />

wahr vor ihm ist, <strong>und</strong> uns wollen ma<strong>ch</strong>t, was gut vor ihm ist. Das ist das Gute<br />

für uns im ersten <strong>und</strong> eigentli<strong>ch</strong>sten Sinn.<br />

Der Kampf mit den Pharisäern<br />

Wie Matthäus stellt au<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong> die beiden Angriffe der Pharisäer auf Jesus<br />

zusammen: ihr Lästerwort, als er den Stummen heilte, er treibe dur<strong>ch</strong> den<br />

Beherrs<strong>ch</strong>er der Geister die Geister aus, <strong>und</strong> ihre Forderung, daß er ihnen vom<br />

Himmel her ein Zei<strong>ch</strong>en gebe. 11,14—16: Und er vertrieb einen bösen Geist,<br />

<strong>und</strong> dieser war stumm. Es ges<strong>ch</strong>ah aber, als der Geist wegging, da redete<br />

der Stumme, <strong>und</strong> die Menge verw<strong>und</strong>erte sieb. Einige aber von ihnen sagten:<br />

Er vertreibt die Geister dur<strong>ch</strong> Belzebul, den Beherrs<strong>ch</strong>er der Geister. Andere<br />

aber begehrten von ihm ein Zei<strong>ch</strong>en vom Himmel, um ihn zu versu<strong>ch</strong>en. <strong>Die</strong><br />

Widerlegung jener Lästerung ges<strong>ch</strong>ieht dur<strong>ch</strong> die Worte, die bei Matthäus<br />

12,25—30 stehen. 11,17—20: Er aber wußte ihre Gedanken <strong>und</strong> sagte zu ihnen:<br />

Jedes Rei<strong>ch</strong>, das si<strong>ch</strong> mit si<strong>ch</strong> selbst entzweit, wird verwüstet, <strong>und</strong> ein Haus<br />

stürzt auf das andere. Wenn aber au<strong>ch</strong> der Satan mit si<strong>ch</strong> selbst entzweit ist,<br />

wie soll seine Herrs<strong>ch</strong>aft bestehen? Denn ihr sagt, i<strong>ch</strong> vertreibe dur<strong>ch</strong> Belzebul<br />

die Geister. Wenn aber i<strong>ch</strong> die Geister dur<strong>ch</strong> Belzebul vertreibe, dur<strong>ch</strong> wen vertreiben<br />

sie eure Söhne? Deshalb werden sie eure Ri<strong>ch</strong>ter sein. Wenn i<strong>ch</strong> aber<br />

dur<strong>ch</strong> Gottes Finger die Geister vertreibe, dann ist also Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft über<br />

eu<strong>ch</strong> gekommen. Darin, daß Jesus die von den Geistern Geplagten von ihnen<br />

befreit, erweist si<strong>ch</strong> Gott als der Erlöser, Bes<strong>ch</strong>irmer <strong>und</strong> König seines Volks.<br />

„Mit Gottes Geist", sagt Matthäus, treibe i<strong>ch</strong> sie aus, „mit Gottes Finger"


<strong>Lukas</strong> ii,i4—2y<br />

<strong>Lukas</strong>. Indem er darauf sieht, daß Jesus hier mit Ma<strong>ch</strong>t als der königli<strong>ch</strong> Gebietende<br />

handelt, nennt er Gottes Finger als Jesu Mittel, wodur<strong>ch</strong> er sol<strong>ch</strong>e<br />

Taten wirkt. Matthäus dagegen sieht auf ihre verborgene Wurzel inwendig<br />

in Jesu Person. Während ihm seine Feinde eine geheime Abhängigkeit vom<br />

Teufel <strong>na<strong>ch</strong></strong>sagen, ist es vielmehr Gottes Geist, der ihn inwendig bewegt <strong>und</strong><br />

führt <strong>und</strong> ihm jene gebietenden "Worte gibt, vor denen au<strong>ch</strong> die Geister beben.<br />

Um den Starken zu berauben, muß man ihn besiegt haben. <strong>Die</strong>ses Glei<strong>ch</strong>nis<br />

hat <strong>Lukas</strong> etwas farbiger ausgeführt, do<strong>ch</strong> ohne daß si<strong>ch</strong> sein Sinn veränderte.<br />

11,21. 22: Wenn der Starke bewaffnet sein S<strong>ch</strong>loß bewa<strong>ch</strong>t, ist sein<br />

Eigentum im Frieden. Wenn aber ein Stärkerer als er über ihn kommt <strong>und</strong> ihn<br />

besiegt, nimmt er, seine Waffenrüstung weg, auf die er si<strong>ch</strong> verließ, <strong>und</strong> teilt<br />

seine Beute aus. Dazu kommt no<strong>ch</strong> der Aufruf Jesu zur Ents<strong>ch</strong>eidung in diesem<br />

Kampf, in dem es keine laue Mittelstellung geben kann. 11,23: Wer ni<strong>ch</strong>t mit<br />

mir ist, ist wider mi<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> wer ni<strong>ch</strong>t mit mir sammelt, zerstreut.<br />

<strong>Die</strong> Warnung, den heiligen Geist ni<strong>ch</strong>t zu lästern <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> vor der S<strong>ch</strong>uld<br />

zu hüten, die ni<strong>ch</strong>t verziehen wird, hat <strong>Lukas</strong> no<strong>ch</strong> zurückgestellt <strong>und</strong> dafür<br />

das andere Wort Jesu, Matthäus 12,43—45, hier anges<strong>ch</strong>lossen. 11,24—26:<br />

Wenn der unreine Geist vom Mens<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>ied, zieht er dur<strong>ch</strong> dürre Orte, su<strong>ch</strong>t<br />

Ruhe <strong>und</strong> findet sie ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> sagt: I<strong>ch</strong> will in mein Haus zurückkehren, von<br />

dem i<strong>ch</strong> fortging, <strong>und</strong> er kommt <strong>und</strong> findet es gefegt <strong>und</strong> ges<strong>ch</strong>mückt. Dann<br />

geht er <strong>und</strong> nimmt sieben andere Geister mit sido, die s<strong>ch</strong>limmer sind als er,<br />

<strong>und</strong> geht hinein <strong>und</strong> wohnt dort, <strong>und</strong> das Ende jenes Mens<strong>ch</strong>en wird sdjlimmer<br />

als sein Anfang. Au<strong>ch</strong> der ausgetriebene Geist kann wiederkehren, bösartiger<br />

als früher, verstärkt dur<strong>ch</strong> Genossen, so daß aus der zeitweiligen Befreiung<br />

größeres Elend wird. Das ist mit gutem Beda<strong>ch</strong>t zu Jesu Forderung ents<strong>ch</strong>lossener<br />

Ents<strong>ch</strong>iedenheit gestellt, zu seiner Mahnung, ganz für ihn zu sein, weil<br />

sonst Feinds<strong>ch</strong>aft gegen ihn daraus wird. Wer so geheilt wird, daß er wieder<br />

in die Ma<strong>ch</strong>t der Geister fällt, ist s<strong>ch</strong>limmer daran als früher. Eine halbe Bekehrung,<br />

eine Abwendung vom Gehorsam gegen den Satan, die ni<strong>ch</strong>t für<br />

immer von ihm befreit, eine Erfahrung der göttli<strong>ch</strong>en Hilfe, die ni<strong>ch</strong>t zu<br />

dauernder Erlösung festgehalten wird, endet mit s<strong>ch</strong>limmem Fall.<br />

11,27: Es ges<strong>ch</strong>ah aber, als er dies sagte, da erhob eine Frau aus der Menge<br />

die Stimme <strong>und</strong> sagte zu ihm: Selig ist der Leib, der di<strong>ch</strong> getragen hat, <strong>und</strong><br />

die Brust, an der du sogst! Sie blickte mit Bew<strong>und</strong>erung auf ihn, der sol<strong>ch</strong>e<br />

Taten tut <strong>und</strong> sol<strong>ch</strong>e Worte spri<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ätzt die Mutter selig, die einen<br />

sol<strong>ch</strong>en Sohn hat. Was für ein Mutterglück ward ihr bes<strong>ch</strong>ieden, <strong>und</strong> wie ho<strong>ch</strong><br />

muß sie das Bewußtsein erheben, daß sie ihn in ihrem Leib getragen, ihm ihre<br />

Brust gerei<strong>ch</strong>t hat! Dort stehen die Lästernden: Aus dem Teufel holt er seine<br />

2 35


234 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Madit! hier die Bew<strong>und</strong>ernde: Wie glückli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>st du deine Mutter! Au<strong>ch</strong><br />

hier hat die Ordnung der Stücke eine tiefe Bedeutsamkeit. Bes<strong>ch</strong>impfung <strong>und</strong><br />

Bew<strong>und</strong>erung kommen Jesus entgegen, <strong>und</strong> beide wehrt er ab. Wo jene Eingang<br />

findet, ist der Glaube an ihn erstickt; er kann aber au<strong>ch</strong> da ni<strong>ch</strong>t wa<strong>ch</strong>sen,<br />

wo er mit dieser abgef<strong>und</strong>en wird. Au<strong>ch</strong> da bleibt sein heiliger Wille unverstanden,<br />

als läge es ihm daran, für si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> seine Mutter Ruhm zu ernten.<br />

11,28: Er aber spra<strong>ch</strong>: O ja, selig sind die, die Gottes Wort hören <strong>und</strong> bewahren.<br />

Als Martha si<strong>ch</strong> eifrig um seine Bedienung mühte, nannte er das Hören auf<br />

sein Wort das gute Teil. Als diese Frau ihn feierte, stieß er diesen Lobpreis von<br />

si<strong>ch</strong> weg <strong>und</strong> gab sein „selig" denen, die Gottes Wort hören. Mit unermüdli<strong>ch</strong>er<br />

Treue zeigt er auf das Wort. Das ist die Heilsgabe. Daran liegt es ihm,<br />

Hörer für Gottes Wort zu s<strong>ch</strong>affen. Nur wenn dieser sein Wille verstanden<br />

ist, ist, was ihn groß ma<strong>ch</strong>t, erkannt. Er verlangte etwas anderes als Bew<strong>und</strong>erung<br />

<strong>und</strong> Verehrung, nämli<strong>ch</strong> Glauben. Jene Frau da<strong>ch</strong>te wie alle in der Gemeinde,<br />

als sie meinte, au<strong>ch</strong> er halte das für das Hö<strong>ch</strong>ste <strong>und</strong> Köstli<strong>ch</strong>ste, allen<br />

Erfolg <strong>und</strong> Ruhm seines Lebens der Mutter zu Füßen zu legen. Aber die<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>iedenheit von Gott, für die Gott fortwährend in der Ferne<br />

steht, zeigte si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> hier. Jesus hat ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> darum au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t für<br />

Maria, sondern für Gott gelebt.<br />

Nun wird die Forderung: Gib uns ein Zei<strong>ch</strong>en! beantwortet. 11,29. 3 0: -Als<br />

si<strong>ch</strong> aber die Menge, ansammelte, begann er zu sagen: <strong>Die</strong>ses Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ist ein<br />

boshaftes Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t. Es begehrt ein Zei<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> kein Zei<strong>ch</strong>en wird ihm gegeben<br />

werden als das Zei<strong>ch</strong>en des Propheten Jona. Denn wie Jona für die.<br />

Niniviten ein Zei<strong>ch</strong>en wurde, so wird es au<strong>ch</strong> der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en für dieses<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t sein. Jona, der rettungslos dem Tode verfallen war, wurde denno<strong>ch</strong><br />

am Leben erhalten <strong>und</strong> so zu den Niniviten ges<strong>ch</strong>ickt. So war er selbst ein<br />

Zei<strong>ch</strong>en geworden, ein W<strong>und</strong>er Gottes vor jedermanns Augen, ein beredtes<br />

Dokument seines Geri<strong>ch</strong>ts <strong>und</strong> seiner Erbarmung. Ähnli<strong>ch</strong> wird Jesus für<br />

Israel zum Zei<strong>ch</strong>en sein als der in den Tod Gegebene <strong>und</strong> im Leben Erhaltene.<br />

Er wird versinken, wie Jona versank, <strong>und</strong> erstehen, wie Jona erstand. <strong>Die</strong>s<br />

ist die große Gottestat, die vom Himmel her erfolgen wird, mit der ihn Gott<br />

beweist <strong>und</strong> beglaubigt. Ein anderes Zei<strong>ch</strong>en aber, das ihren Unglauben überwinde<br />

<strong>und</strong> Jesus das Kreuz ersparte, erhält Israel ni<strong>ch</strong>t.<br />

Israels Begehren <strong>na<strong>ch</strong></strong> einem W<strong>und</strong>er zu Jesu Gunsten hat weder Gr<strong>und</strong><br />

no<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>t; denn ihr Unvermögen, Gottes Sendung an ihm zu sehen, ist Bosheit<br />

<strong>und</strong> S<strong>ch</strong>uld. 11,31.32: <strong>Die</strong>Königin desSüdens wird beimGeri<strong>ch</strong>t gegen die<br />

Männer dieses Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts aufstehen <strong>und</strong> sie verdammen. Denn sie kam von


<strong>Lukas</strong> 11,28—34 23 5<br />

den Enden der Erde, um die Weisheit Salomons zu hören, <strong>und</strong> sieht hier ist<br />

Größeres als Salomon. <strong>Die</strong> Männer von Ninive werden beim Geri<strong>ch</strong>t gegen<br />

dieses Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t aufstehen <strong>und</strong> es verdammen. Denn sie taten Buße auf die<br />

Predigt des Jona hin, <strong>und</strong> sieh! hier ist Größeres als Jona. Heiden bes<strong>ch</strong>ämen<br />

Israel, das Größeres als sie empfing <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t da<strong>na<strong>ch</strong></strong> begehrten; siehe Matthäus<br />

12,41.42.<br />

"Weil diese "Worte Israels Verblendung s<strong>ch</strong>elten, hat <strong>Lukas</strong> die Sprü<strong>ch</strong>e über<br />

das Li<strong>ch</strong>t aus der Bergpredigt, sowohl Matthäus 5,15 als 6,22. 23, hier angeführt.<br />

11,33 : Niemand, der eine Lampe anzündet, setzt sie in ein Gewölbe oder<br />

unter einen S<strong>ch</strong>effel, sondern auf den Leu<strong>ch</strong>ter, damit die, die hereinkommen,<br />

die Helle sehen. So ma<strong>ch</strong>t es Gott, der Jesus als Li<strong>ch</strong>t in die "Welt stellt <strong>und</strong> es<br />

ni<strong>ch</strong>t verdeckt, wodur<strong>ch</strong> es niemand nützte, sondern er gibt ihr dur<strong>ch</strong> ihn sein<br />

Wort mit heller Deutli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> beruft sie mit aller Klarheit zu si<strong>ch</strong>. So verdeckt<br />

au<strong>ch</strong> Jesus das Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t, das in die Welt hineinzustrahlen seine heilige<br />

Arbeit ist, ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> vielmehr jedermann verständli<strong>ch</strong>, öffnet den Weg zu si<strong>ch</strong><br />

allen <strong>und</strong> bietet Gottes Rei<strong>ch</strong> in si<strong>ch</strong>erer <strong>Offenbarung</strong> an. So darf es aber au<strong>ch</strong><br />

Israel ni<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>en, darf ni<strong>ch</strong>t den S<strong>ch</strong>effel über die Lampe stellen, die allen<br />

s<strong>ch</strong>einen soll, <strong>und</strong> Gottes Wahrheit ni<strong>ch</strong>t begraben <strong>und</strong> vertreiben, die ihm<br />

zu seinem Heil gegeben ist. Sonst bleibt es freili<strong>ch</strong> im Finsteren, do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

dur<strong>ch</strong> Jesu, sondern dur<strong>ch</strong> seine eigene S<strong>ch</strong>uld.<br />

Wir sahen s<strong>ch</strong>on mehrfa<strong>ch</strong>, wie <strong>Lukas</strong> strafende Worte, die gegen die jüdis<strong>ch</strong>e<br />

Sünde gesagt waren, au<strong>ch</strong> auf die Christenheit anwendete, weil Jesus<br />

derselbe gegen alle ist <strong>und</strong> seinem Willen von den Seinen ebenso ernst gehor<strong>ch</strong>t<br />

werden muß wie von Israel. An dieser Stelle hat er uns umgekehrt an einem<br />

Wort, das zunä<strong>ch</strong>st Jesu Gnade ausspra<strong>ch</strong> <strong>und</strong> seinen Jüngern ihren herrli<strong>ch</strong>en<br />

Beruf vorhielt, das ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>e Handeln Jesu verdeutli<strong>ch</strong>t, warum er Israel<br />

fallen läßt, das Zei<strong>ch</strong>en ihm versagt <strong>und</strong> den Kreuzesweg geht: das Li<strong>ch</strong>t ist<br />

entzündet, <strong>und</strong> Israel bleibt nur darum im Finstern, weil es den S<strong>ch</strong>effel darüber<br />

stellt.<br />

Wie kann es do<strong>ch</strong> finster bleiben, obglei<strong>ch</strong> das Li<strong>ch</strong>t gekommen ist? 11,34:<br />

<strong>Die</strong> Lampe des Leibes ist dein Auge. Wenn dein Auge einfältig ist, ist au<strong>ch</strong><br />

dein ganzer Leib beleu<strong>ch</strong>tet. Wenn es aber boshaft ist, ist au<strong>ch</strong> dein Leib finster.<br />

Wie uns das Auge gegeben ist, um das Li<strong>ch</strong>t zu empfangen, <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> dieses<br />

unser ganzer Leib in das Li<strong>ch</strong>t versetzt ist, so ist uns au<strong>ch</strong> inwendig ein Auge<br />

gegeben zum Empfang des Li<strong>ch</strong>ts, das in unsere Seele s<strong>ch</strong>eint. Ist dieses finster,<br />

so s<strong>ch</strong>eint uns das hellste li<strong>ch</strong>t umsont, <strong>und</strong> wir erleben das Größte, ohne daß<br />

es uns zum Segen wird, <strong>und</strong> das deutli<strong>ch</strong>ste Zei<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>t uns ni<strong>ch</strong>t von unserer<br />

Verblendung frei.


236 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Daraus ergibt si<strong>ch</strong> die "Warnung. 11,35: Siehe darum zu, daß das in dir befindli<strong>ch</strong>e<br />

Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t finster sei. Ist aber das Auge ges<strong>und</strong>, dann setzt es uns<br />

au<strong>ch</strong> in den vollen Besitz des Li<strong>ch</strong>ts <strong>und</strong> vertreibt alle Dunkelheit. 11,36: Wenn<br />

nun dein Leib ganz beleu<strong>ch</strong>tet ist <strong>und</strong> keinen dunklen Teil mehr hat, dann wird<br />

er ganz beleu<strong>ch</strong>tet sein, wie wenn di<strong>ch</strong> die Lampe mit ihrem Strahl bes<strong>ch</strong>eint.<br />

Es gilt ni<strong>ch</strong>t nur für unseren Leib, daß das Auge dem ganzen Leib den Genuß<br />

des Tags vers<strong>ch</strong>afft <strong>und</strong> keinen seiner Teile im Dunkeln läßt, sondern au<strong>ch</strong> für<br />

unseren inwendigen Mens<strong>ch</strong>en, der au<strong>ch</strong> ganz ins Li<strong>ch</strong>t gestellt wird <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

zum Teil im Dunkeln bleiben muß. Jesus preist Gottes Gnade, die ni<strong>ch</strong>t nur<br />

unvollkommen hilft <strong>und</strong> kümmerli<strong>ch</strong> gibt, sondern unseren ganzen Lebenslauf<br />

mit ihrer "Wahrheit erfaßt <strong>und</strong> ihn ganz <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes "Willen führt.<br />

Zu einem anderen Kampf mit den Pharisäern gab ein Gastmahl den Anlaß,<br />

zu dem ein Glied ihrer Gemeins<strong>ch</strong>aft Jesus lud. 11,37.3^: -Als er aber spra<strong>ch</strong>,<br />

bittet ihn ein Pharisäer, bei ihm das Mittagsmahl zu halten. Er ging aber in<br />

sein Haus <strong>und</strong> legte si<strong>ch</strong> am Tis<strong>ch</strong> nieder. Der Pharisäer aber sah es <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>erte<br />

si<strong>ch</strong>, weil er ni<strong>ch</strong>t vor dem Mahl zuerst das Bad genommen hatte.<br />

Sowie er an den Tis<strong>ch</strong> eines Pharisäers kam, ma<strong>ch</strong>ten zwis<strong>ch</strong>en ihnen die verwickelten<br />

Reinigungsregeln sofort den großen Riß, auf die jener den hö<strong>ch</strong>sten<br />

Wert legte, während Jesus sie ni<strong>ch</strong>t a<strong>ch</strong>tete. Der Pharisäer legte si<strong>ch</strong> erst dann<br />

unter seinen Gästen vor den Tis<strong>ch</strong> nieder, wenn er si<strong>ch</strong> zuerst wieder die Reinheit<br />

vers<strong>ch</strong>afft hatte. Jesus lehnte dagegen das Bad ab, weil er ni<strong>ch</strong>t zugab, daß<br />

er unrein sei, <strong>und</strong> ebensowenig zugab, daß das Reinheit sei, was si<strong>ch</strong> der Pharisäer<br />

mit seiner Taufe vers<strong>ch</strong>affte. Damit war aber der Kampf in seiner ganzen<br />

Tiefe da, <strong>und</strong> der Unters<strong>ch</strong>ied in ihrem Blick auf Gott, der Gegensatz in<br />

ihrem Heiligungswege lag offen im Li<strong>ch</strong>t.<br />

<strong>Die</strong> "Worte, dur<strong>ch</strong> die uns der Evangelist nun zeigt, warum Jesus den Gottesdienst<br />

der Pharisäer verworfen <strong>und</strong> ihre Heiligkeit für Sünde gehalten hat,<br />

sind zum Teil dieselben, mit denen Jesus bei Matthäus zum S<strong>ch</strong>luß seiner Lehrarbeit<br />

öffentli<strong>ch</strong> im Tempel sein Urteil über die S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> Pharisäer<br />

verkündigt, vgl. Matthäus 23. Na<strong>ch</strong> dem Beri<strong>ch</strong>t des anderen Zeugen, den<br />

<strong>Lukas</strong> hier wiederholt, hat Jesus ni<strong>ch</strong>t nur in feierli<strong>ch</strong>er Rede im Tempel,<br />

sondern au<strong>ch</strong> im persönli<strong>ch</strong>en Verkehr mit den Pharisäern an ihrem Tis<strong>ch</strong> sein<br />

Bußwort mit seinem ganzen Ernst vertreten.<br />

"Wegen der angebli<strong>ch</strong>en Unreinheit Jesu begann der Kampf; darum sagt er<br />

ihnen zuerst mit einem ähnli<strong>ch</strong>en "Wort wie Matthäus 23,25, was er von ihrer<br />

Reinheit hält. 11,39: Der Herr aber spra<strong>ch</strong> zu ihm: Nun, ihr Pharisäer, die<br />

Außenseite am Be<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> der S<strong>ch</strong>üssel ma<strong>ch</strong>t ihr rein; euer Inwendiges ist<br />

aber von Raub <strong>und</strong> Bosheit voll. Es war ihnen eine große Sorge, daß z. B. an


<strong>Lukas</strong> 11,35—A 2 2 37<br />

der Außenseite eines Be<strong>ch</strong>ers keine Flüssigkeit klebe, wodur<strong>ch</strong> er die, die ihn an<br />

die Lippen setzten, verunreinigt hätte. "Wie sieht es aber inwendig in euren<br />

S<strong>ch</strong>üsseln aus? fragt Jesus bei Matthäus. "Was ihr in sie hineintut, ob das geraubt<br />

sei oder der Unmäßigkeit diene, ma<strong>ch</strong>t eu<strong>ch</strong> keine Sorge, wenn nur das<br />

Ges<strong>ch</strong>irr alle Merkmale der Reinheit hat. Wie sieht es, fragt Jesus bei <strong>Lukas</strong>,<br />

inwendig in eu<strong>ch</strong> aus? Das ist der Ort, wo ihr Reinheit bedürft; inwendig in<br />

eu<strong>ch</strong> hausen aber raubgierige Pläne <strong>und</strong> boshafte Gier. In beiden Fassungen<br />

des Spru<strong>ch</strong>s wird deutli<strong>ch</strong>, worauf Jesu Auge geri<strong>ch</strong>tet ist: reine Mens<strong>ch</strong>en,<br />

ni<strong>ch</strong>t reine S<strong>ch</strong>üsseln, daran liegt es ihm. Er streitet gegen die Pünktli<strong>ch</strong>keit in<br />

der selbsterwählten Heiltgungsregel, unter der si<strong>ch</strong> der Bru<strong>ch</strong> des göttli<strong>ch</strong>en<br />

Gebots verbirgt.<br />

Au<strong>ch</strong> wenn sie den Be<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>üssel reinigten, hatten sie Gott vor<br />

Augen <strong>und</strong> legten si<strong>ch</strong> um seinetwillen diese bes<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong>e, nie endende Arbeit<br />

auf, damit ihr Leib so sei, wie es das Gesetz verlangt, <strong>und</strong> in Gottes Wohlgefallen<br />

stehe. Ihren Gottesdienst s<strong>ch</strong>ilt Jesus ni<strong>ch</strong>t; nie hat er mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Bemühen<br />

um Gottes Wohlgefallen verspottet oder gering ges<strong>ch</strong>ätzt. Aber ihr<br />

Gottesdienst versäumt das Wi<strong>ch</strong>tigste. 11,40: Ihr Toren, hat ni<strong>ch</strong>t der S<strong>ch</strong>öpfer<br />

des Auswendigen au<strong>ch</strong> das Inwendige ges<strong>ch</strong>affen? Deshalb ist es eine Ver-?<br />

sündigung gegen ihn, wenn sie ihr Inwendiges bes<strong>ch</strong>mutzen <strong>und</strong> verderben.<br />

Jesus zeigt ihnen einen besseren Weg, wie sie ihre Mahlzeit heiligen, wodur<strong>ch</strong><br />

alles an ihnen rein werden wird. 11,41 : Gebt vielmehr, was darin ist, als Wohltat,<br />

<strong>und</strong> sieh! es ist eu<strong>ch</strong> alles rein. Das dem Hungrigen gegebene Brot ma<strong>ch</strong>t<br />

au<strong>ch</strong> ihr Brot rein, die dem Armen gegebene S<strong>ch</strong>üssel ihren Tis<strong>ch</strong> Gott wohlgefällig.<br />

Lassen sie die Liebe über das regieren, was ihnen Gott gab, dann sind<br />

sie der tausendfa<strong>ch</strong>en Was<strong>ch</strong>ungen enthoben <strong>und</strong> besitzen <strong>und</strong> genießen ihr<br />

Gut unter Gottes Wohlgefallen. Es gibt für Jesus nur ein Gebot Gottes, das<br />

über unseren ganzen Lebenslauf regiert, das, das uns lieben heißt <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

geben lehrt. Darum heißt er unsire Mahlzeit dann rein, wenn die Liebe damit<br />

ihr Werk ausri<strong>ch</strong>ten darf.<br />

Weil aber die Weise der* Pharisäer eine ganz andere war, spri<strong>ch</strong>t Jesus das<br />

Wehe über sie. 11,42: Aber wehe eu<strong>ch</strong>, den Pharisäern; denn ihr verzehntet<br />

die Minze <strong>und</strong> Raute <strong>und</strong> jedes Gartengewä<strong>ch</strong>s <strong>und</strong> geht am Geri<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> an<br />

der Liebe zu Gott vorbei. Aber dieses solltet ihr tun <strong>und</strong> jenes ni<strong>ch</strong>t übersehen.<br />

Ni<strong>ch</strong>ts, was im Garten gezogen wird au<strong>ch</strong> nur des Wohlgeru<strong>ch</strong>s wegen oder als<br />

Gewürz, lassen sie unverzehntet. Das ist ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on eine Sünde, wird<br />

es aber deswegen, weil sie darüber das Re<strong>ch</strong>t, womit sie dem Bösen wehren,<br />

<strong>und</strong> dîe Liebe versäumen. Das ma<strong>ch</strong>t ihren Eifer in der Erstattung des Zehnten<br />

zur Entehrung Gottes. Den Zehnten soll er erhalten <strong>und</strong> das als ihren Gottes-


23 ^ "<strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

dienst annehmen; worauf aber sein Wille geht, das versagen sie ihm. „Geri<strong>ch</strong>t"<br />

nannte uns Matthäus 23,23 als das erste unter den gewi<strong>ch</strong>tigen Dingen, zu denen<br />

uns Gottes Gesetz beruft, weil wir Böses <strong>und</strong> Gutes ni<strong>ch</strong>t vermengen dürfen,<br />

sondern wider jenes <strong>und</strong> für dieses zu reden <strong>und</strong> zu handeln haben. Dazu setzt<br />

Matthäus das Erbarmen <strong>und</strong> die Treue, was <strong>Lukas</strong> in das eine Wort zusammenfaßt:<br />

Liebe, die er in ihrer Wurzel faßt: Liebe zu Gott. Dur<strong>ch</strong> das Geri<strong>ch</strong>t<br />

widerstehen wir dem Bösen <strong>und</strong> stellen uns gegen das, was Gott haßt; mit der<br />

Liebe Gottes treten wir in seinen <strong>Die</strong>nst <strong>und</strong> tun, was gut ist vor ihm. Beides<br />

zusammen ist Gere<strong>ch</strong>tigkeit, von der si<strong>ch</strong> der Pharisäer loskaufen will, jedo<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t kann, mit seinem zehnten Gemüseblatt. .<br />

Jesu Wehe gilt ihnen weiter deshalb, weil sie si<strong>ch</strong> selber groß <strong>und</strong> herrli<strong>ch</strong><br />

ma<strong>ch</strong>en. 11,43: Wehe eu<strong>ch</strong> y den Pharisäern; denn ihr lieht den ersten Sitz in<br />

den Versammlungen <strong>und</strong> die Begrüßungen auf den Märkten. An ihrem Verlangen<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Ehrungen, die ihrer besonderen Frömmigkeit die Anerkennung<br />

gewähren, wird si<strong>ch</strong>tbar, daß sie das Ihre su<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Gott vergessen haben.<br />

11,44: Wehe eu<strong>ch</strong>, denn ihr seid wie die unkenntli<strong>ch</strong>en Gräber, über die die<br />

Mens<strong>ch</strong>en laufen, ohne es zu wissen. Jeder Jude vermied es sorgsam, ein Grab<br />

zu betreten, weil es ihn unrein ma<strong>ch</strong>te. Darum wurden die Gräber mit Eifer<br />

kenntli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t. Do<strong>ch</strong> bei ihrer Menge kam es immer vor, daß sol<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong><br />

unbezei<strong>ch</strong>net blieben <strong>und</strong> die Leute, ohne daß sie es wußten, unrein ma<strong>ch</strong>ten.<br />

Das dient Jesus zum Glei<strong>ch</strong>nis für den verderbli<strong>ch</strong>en Einfluß der .Pharisäer.<br />

Niemand hält sie für s<strong>ch</strong>limm, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> lernt jedermann an ihnen Gottlosigkeit;<br />

denn er lernt das Gebot Gottes bre<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> ihren Weg bew<strong>und</strong>ern, als<br />

wäre er Gere<strong>ch</strong>tigkeit.<br />

Damit war den Pharisäern das Bußwort mit sol<strong>ch</strong>em Wahrheitsernst gesagt,<br />

daß ihre ganze Frömmigkeit zerbro<strong>ch</strong>en vor ihnen lag. Zu ihrem S<strong>ch</strong>utz<br />

griff ein Gelehrter in den Kampf ein. Weil er dur<strong>ch</strong> Jahre hindur<strong>ch</strong> im Unterri<strong>ch</strong>t<br />

eines Meisters dem Studium der Bibel <strong>und</strong> Überlieferung si<strong>ch</strong> gewidmet<br />

hatte, hatte er no<strong>ch</strong> über den Pharisäern seinen besonderen, ehrenvollen Platz,<br />

war aber im System des Gottesdienstes mit ihnen eins, da die Pharisäer <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

den Regeln wandelten, die ihnen die Lehrer gaben. Darum deckt er die Pharisäer<br />

mit dem Ansehen des Lehrstandes <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t Jesus deutli<strong>ch</strong>, daß seine<br />

S<strong>ch</strong>läge gegen jene au<strong>ch</strong> die Theologen treffen. 11,45: Aber einer von den<br />

Lehrern des Gesetzes antwortete <strong>und</strong> sagt zu ihm: Lehrer, wenn du das sagst,<br />

so bes<strong>ch</strong>impfst du au<strong>ch</strong> uns!<br />

Vor dem Ansehen der Gelehrten wi<strong>ch</strong> Jesus ni<strong>ch</strong>t. 11,46: Er aber spra<strong>ch</strong>:<br />

Au<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>, den Lehrern des Gesetzes, wehe! denn ihr beladet die Mens<strong>ch</strong>en mit<br />

s<strong>ch</strong>wer zu tragenden Lasten <strong>und</strong> rührt die Lasten selber ni<strong>ch</strong>t mit einem ein-


<strong>Lukas</strong> ii,43—51<br />

zigen von euren Fingern an. Sie vertreten das göttli<strong>ch</strong>e Gebot mit Eifer <strong>und</strong><br />

leiten aus jedem "Wort des Gesetzes, aus dem Sabbat, aus der Reinheit, aus dem<br />

Opfer, ja aus dem "Wohltun <strong>und</strong> dem Gebet, so viel Pfli<strong>ch</strong>ten ab, als sie nur ersinnen<br />

können. Darum war es dur<strong>ch</strong> sie eine s<strong>ch</strong>were Kunst geworden, fromm<br />

zu sein, <strong>und</strong> das ganze Leben bei jedem S<strong>ch</strong>ritt in die Fur<strong>ch</strong>t getau<strong>ch</strong>t, ob er<br />

ni<strong>ch</strong>t eine Versündigung sei. Wäre das redli<strong>ch</strong>er Eifer für das Gesetz, so könnte<br />

man ihn ents<strong>ch</strong>uldigen. Sie ma<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> aber glei<strong>ch</strong>zeitig ihr eigenes Leben bequem,<br />

ers<strong>ch</strong>reckeri vor ihrem eigenen verwerfli<strong>ch</strong>en Begehren ni<strong>ch</strong>t, sondern<br />

hegen <strong>und</strong> pflegen das Böse in ihrem Herzen."Weil sie die Gelehrten sind, deren<br />

Pfli<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Verdienst ni<strong>ch</strong>t die Praxis, sondern das Studium ist, erlassen sie die<br />

Verordnungen, damit sie die anderen halten, <strong>und</strong> stellen fest, was Pfli<strong>ch</strong>t sei,<br />

damit das Volk sie tue. Darum fallen sie an ihrer Wissens<strong>ch</strong>aft; denn sie ist<br />

Unwahrheit.<br />

11,47.48 : Wehe eu<strong>ch</strong>; denn ihr baut die Gräber der Propheten; eure Väter<br />

aber töteten sie. Also seid ihr Zeugen <strong>und</strong> stimmt den Werken eurer Väter zu;<br />

denn sie haben sie getötet; ihr aber erri<strong>ch</strong>tet den Bau. Hin <strong>und</strong> her im Lande<br />

standen damals bereits die Denkmäler an den Orten, an denen die Überlieferung<br />

die Gräber der Propheten zeigte, vor allem in Hebron über Abrahams<br />

Grab <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Anordnung <strong>und</strong> zum "Wohlgefallen der S<strong>ch</strong>riftgelehrten. <strong>Die</strong>se<br />

prunkvollen Gräber hält ihnen Jesus vor als Beweis, daß der Fall ihrer Väter<br />

sie ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>üttert <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t zur Buße treibt. "Was die Väter taten, liegt als<br />

S<strong>ch</strong>uld auf dem Volk <strong>und</strong> bestimmt sein Ges<strong>ch</strong>ick im Fortgang der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter,<br />

weil ihre Abstammung von den Vätern sie mit ihnen in starker Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

zu e i n e m Volk vereint. "Würden sie es, wie die "Wahrheit es verlangt,<br />

s<strong>ch</strong>ätzen, daß Gott ihnen sein "Wort dur<strong>ch</strong> seine Boten sandte, so würden sie<br />

vor der S<strong>ch</strong>uld der Väter ers<strong>ch</strong>recken <strong>und</strong> deshalb mit vertieftem Ernst ihr<br />

Ohr für das Wort der Propheten öffnen. Statt dessen stellen sie das Verbre<strong>ch</strong>en<br />

ihrer Väter dur<strong>ch</strong> ihre Bauten mit prunkender Hoffart aus <strong>und</strong> verkünden es<br />

prahlend aller Welt: Hier liegt der, den unsere Väter töteten, weil er mit<br />

Gottes Wort zu ihnen kam. <strong>Die</strong>s ist ni<strong>ch</strong>t die re<strong>ch</strong>te Weise, das göttli<strong>ch</strong>e Wort<br />

zu ehren, zeigt vielmehr an, daß au<strong>ch</strong> sie si<strong>ch</strong> inwendig den Propheten widersetzen<br />

wie die Väter <strong>und</strong> ihr zur Buße berufendes Wort mißa<strong>ch</strong>ten. 11,49—51:<br />

Deshalb hat au<strong>ch</strong> die Weisheit Gottes gesagt: I<strong>ch</strong> werde Propheten <strong>und</strong> Boten<br />

zu ihnen senden, <strong>und</strong> einige von ihnen werden sie töten <strong>und</strong> verfolgen, damit<br />

das Blut aller Propheten, das seit der Gründung der Welt vergossen worden ist,<br />

von diesem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t eingefordert werde, vom Blut Abels bis zum Blut des<br />

la<strong>ch</strong>arías, der zwis<strong>ch</strong>en dem Altar <strong>und</strong> dem Tempelhaus umgebra<strong>ch</strong>t worden<br />

ist. Ja, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>, eingefordert wird es werden von diesem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t.<br />

2 39


24° <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Gottes Weisheit, die sein Werk auf Erden ordnet <strong>und</strong> seinen Boten ihren Weg<br />

anweist, hat bes<strong>ch</strong>lossen, an dieses Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, das si<strong>ch</strong> daran erfreut, daß die<br />

Propheten in den Gräbern liegen, no<strong>ch</strong>mals Boten des göttli<strong>ch</strong>en Worts zu senden,<br />

ni<strong>ch</strong>t in der Erwartung, daß Israel jetzt sein Wort annehme, sondern in<br />

der Voraussi<strong>ch</strong>t, daß sie diese wieder abweisen, verfolgen <strong>und</strong> töten werden,<br />

damit so die S<strong>ch</strong>uld Israels reif, sein Kampf gegen Gottes Wort beendet <strong>und</strong><br />

alles dur<strong>ch</strong> Gottes Geri<strong>ch</strong>t geahndet werde.<br />

11,52: Wehe eu<strong>ch</strong>, den Lehrern des Gesetzes; denn ihr nahmt den S<strong>ch</strong>lüssel<br />

zur Erkenntnis weg. Ihr selbst gingt ni<strong>ch</strong>t hinein, <strong>und</strong> die, die hineingingen,<br />

hindertet ihr. Sie stellen si<strong>ch</strong> über die Gemeinde als die Wissenden. Wer ni<strong>ch</strong>t<br />

von ihnen unterwiesen ist, ist ein Unwissender, <strong>und</strong> niemand darf auf ihn<br />

hören. Auf ihr Urteil laus<strong>ch</strong>te die Gemeinde. Was sie göttli<strong>ch</strong> heißen, gilt; was<br />

sie verwerfen, ist ni<strong>ch</strong>ts. So haben sie den S<strong>ch</strong>lüssel zur Erkenntnis unter ihre<br />

Verwahrung gelegt. Ihr s<strong>ch</strong>ließt aber nur zu, ruft ihnen Jesus zu. Ihr selbst<br />

bleibt die Blinden <strong>und</strong> Toren, <strong>und</strong> wer <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Wahrheit Gottes verlangt<br />

<strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Erkenntnis begehrt, den kne<strong>ch</strong>tet ihr. So ma<strong>ch</strong>en sie aus ihrem<br />

Lehramt das volle Widerspiel zu dem, was es verspri<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> stellen si<strong>ch</strong> als<br />

die Grabeshüter vor das Grab der Wahrheit Gottes, die eifrig Wa<strong>ch</strong>e halten,<br />

daß sie für immer vers<strong>ch</strong>arrt <strong>und</strong> vergessen sei. Ihr vers<strong>ch</strong>ließt die Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

der Himmel, lasen wir bei Matthäus 23,13. Hätten sie Israel die Türe zur Erkenntnis<br />

auf getan, so hätte es seinen Gott gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sein königli<strong>ch</strong>es Werk<br />

gesehen.<br />

Das Bußwort Jesu erweckte in denen, die es traf, den Haß. 11,53. 54 : ^ na<br />

als er von dort fortging, begannen die S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> Pharisäer, ihm<br />

mä<strong>ch</strong>tig aufzupassen <strong>und</strong> ihn in vielen Dingen auszufors<strong>ch</strong>en, da sie darauf<br />

lauerten, etwas aus seinem M<strong>und</strong> zu erjagen. Wie gern hätten sie ein Wort von<br />

ihm erwis<strong>ch</strong>t, mit dem sie ihn verderben könnten !<br />

<strong>Die</strong> Ermahnung zum mutigen Zeugnis<br />

12,1a: Damals, als si<strong>ch</strong> Tausende des Volks versammelten, so daß sie einander<br />

traten, begann er, zuerst zu seinen Jüngern zu sagen. No<strong>ch</strong> immer sammelten<br />

si<strong>ch</strong> große S<strong>ch</strong>aren um Jesus mit sol<strong>ch</strong>em Eifer, daß es darüber zum Gedränge<br />

kam. In eine sol<strong>ch</strong>e Versammlung legt <strong>Lukas</strong> die Sprü<strong>ch</strong>e, die die Jünger<br />

zum fur<strong>ch</strong>tlosen Zeugnis verpfli<strong>ch</strong>teten. Jesus hat diese weite, große Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

ni<strong>ch</strong>t gemieden, seinen Jüngern vielmehr ausdrückli<strong>ch</strong> gesagt, daß<br />

er sie frei öffentli<strong>ch</strong> als seine Boten unter die Mens<strong>ch</strong>en stelle, <strong>und</strong> ihnen jedes<br />

Vers<strong>ch</strong>weigen <strong>und</strong> Verleugnen seines Worts untersagt.<br />

12,1b: Hütet eu<strong>ch</strong> vor dem Sauerteig der Pharisäer, der die Heu<strong>ch</strong>elei ist!


<strong>Lukas</strong> 11,52—54; 12,la—3 241<br />

Zum Glei<strong>ch</strong>nis „Sauerteig der Pharisäer" gibt <strong>Lukas</strong> die Erläuterung, er bestehe<br />

in der Heu<strong>ch</strong>elei. Dadur<strong>ch</strong> wirken sie mit stiller, aber alle ergreifender<br />

Ma<strong>ch</strong>t auf das ganze Volk, au<strong>ch</strong> auf die Jüngers<strong>ch</strong>aft*. Jesus hat beharrli<strong>ch</strong><br />

den Kampf gegen die Unwahrhaftigkeit Israels geführt, die Lügen gehaßt <strong>und</strong><br />

den S<strong>ch</strong>ein zerstört. Das ist au<strong>ch</strong> sein Vermä<strong>ch</strong>tnis an die Seinen. Ihr Weg kann<br />

sie nie zu einer Frömmigkeit führen, die als s<strong>ch</strong>immernde Decke ihre inwendige<br />

Gottlosigkeit verbirgt, nie zu einer Gere<strong>ch</strong>tigkeit verleiten, die den <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem<br />

Unre<strong>ch</strong>t verlangenden Willen bes<strong>ch</strong>ützt, <strong>und</strong> sie ni<strong>ch</strong>t mit bloßem S<strong>ch</strong>ein zufrieden<br />

ma<strong>ch</strong>en, der die Wahrhaftigkeit ihres Herzens ertötet.<br />

12,2: Es gibt aber ni<strong>ch</strong>ts Verborgenes, was ni<strong>ch</strong>t offenbar werden wird, <strong>und</strong><br />

ni<strong>ch</strong>ts Heimli<strong>ch</strong>es, was ni<strong>ch</strong>t erkannt werden wird. Das ma<strong>ch</strong>t alle Heu<strong>ch</strong>elei<br />

zur Torheit. Ihr Vorhaben mißlingt; denn das, was sie verstecken will, bleibt<br />

ni<strong>ch</strong>t geheim, sei es heimli<strong>ch</strong>e Bosheit, — sie wird enthüllt <strong>und</strong> geri<strong>ch</strong>tet, — sei es<br />

Gottes Wahrheit, die sie fur<strong>ch</strong>tsam verbergen mö<strong>ch</strong>ten, — sie dringt ins helle<br />

Li<strong>ch</strong>t hervor.<br />

Das wendet der nä<strong>ch</strong>ste Spru<strong>ch</strong> auf die Jünger an. 12,3 : Deshalb, was ihr im<br />

Dunklen sagtet, das wird im Li<strong>ch</strong>t gehört werden, <strong>und</strong> was ihr in den Kammern<br />

ins Ohr spra<strong>ch</strong>t, wird auf den Dä<strong>ch</strong>ern ausgerufen werden. Darin liegt<br />

sowohl Tröstung als Mahnung. Treibt sie der Haß der Welt in die Verborgenheit,<br />

so dringt ihr Wort denno<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Welt. Aber ebensowenig gibt es<br />

eine Na<strong>ch</strong>t, die dunkel genug wäre, um ihre Sünde zu decken, <strong>und</strong> ein Gewölbe,<br />

das vers<strong>ch</strong>lossen genug wäre, um ihr böses Wort festzuhalten. Alles<br />

wird ins Li<strong>ch</strong>t gestellt, au<strong>ch</strong> die heimli<strong>ch</strong>e Verleugnung, au<strong>ch</strong> das verborgen gehaltene<br />

sündli<strong>ch</strong>e Wort. Man<strong>ch</strong>erlei wirkt dabei mit, daß alle Decken reißen.<br />

Der Haß der Leute wird, was sie heimli<strong>ch</strong> sagen, ans Li<strong>ch</strong>t ziehen; Gottes Geri<strong>ch</strong>t<br />

wird offenbar ma<strong>ch</strong>en, was sie gern mit Verborgenheit bedeckten; aber<br />

au<strong>ch</strong> Gottes gnädige Regierung wird dafür sorgen, daß jedes Wort der Wahrheit<br />

seine Fru<strong>ch</strong>t bringt <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> ihr stilles Zeugnis unverloren bleibt. In der<br />

Aussendungsrede an die Jünger, Matthäus 10,27, sind diese als das Werkzeug<br />

bezei<strong>ch</strong>net, dur<strong>ch</strong> das das heimli<strong>ch</strong>e Wort Jesu in die helle Öffentli<strong>ch</strong>keit gebra<strong>ch</strong>t<br />

werden soll. Was dort von Jesus gesagt ist, wird hier au<strong>ch</strong> auf die Jünger<br />

angewandt. Wie sein leises Wort dur<strong>ch</strong> die Welt s<strong>ch</strong>allt, so können au<strong>ch</strong> sie<br />

ni<strong>ch</strong>ts sagen, was ungehört bliebe; sie reden ja au<strong>ch</strong> im Verborgenen vor<br />

Gottes Ohr.<br />

. <strong>Die</strong> Fessel, die sie hindern würde, die Fur<strong>ch</strong>t vor den Mens<strong>ch</strong>en, nimmt<br />

ihnen Jesus ab, indem er die Fur<strong>ch</strong>t vor Gottes Geri<strong>ch</strong>t in ihnen erweckt <strong>und</strong><br />

* Der Satz ist au<strong>ch</strong> so überliefert: Hütet eu<strong>ch</strong> vor dem Sauerteig, der die Heu<strong>ch</strong>elei der Pharisäer<br />

«st! Ein Sauerteig ist vorhanden, der alle berührt <strong>und</strong> verdirbt, <strong>und</strong> dieser besteht in der von der pharisäis<strong>ch</strong>en<br />

Genossens<strong>ch</strong>aft gepflegten Heu<strong>ch</strong>elei.


242 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

zuglei<strong>ch</strong> das Vertrauen auf ihn, in dessen allmä<strong>ch</strong>tigem S<strong>ch</strong>utz sie stehen, mit<br />

denselben nur in der Form etwas abwei<strong>ch</strong>enden "Worten, die au<strong>ch</strong> Matthäus<br />

10,28—33 stehen. 12,4a: I<strong>ch</strong> sage aber zu eu<strong>ch</strong>, meinen Fre<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong>se Mahnung<br />

ri<strong>ch</strong>tet Jesus deshalb an sie, weil sie seine Fre<strong>und</strong>e sind. Denn die Pfli<strong>ch</strong>t,<br />

von der er redet, fließt daraus, daß sie ihn kennen <strong>und</strong> ihm verb<strong>und</strong>en sind;<br />

aber au<strong>ch</strong> seine Zusage des göttli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utzes gründet si<strong>ch</strong> darauf, daß sie ab<br />

die Seinen dem Vater teuer sind.<br />

12,40-9: Für<strong>ch</strong>tet eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vor denen, die den Leib töten <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>her<br />

ni<strong>ch</strong>ts weiter zu tun vermögen. I<strong>ch</strong> will eu<strong>ch</strong> aber zeigen, wen ihr für<strong>ch</strong>ten<br />

sollt. Für<strong>ch</strong>tet den, der die Ma<strong>ch</strong>t hat, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er getötet hat, in die Hölle zu<br />

werfen. Ja, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: <strong>Die</strong>sen für<strong>ch</strong>tet! Werden ni<strong>ch</strong>t fünf Vöglein um zwei<br />

Kupferstücke verkauft? Und ni<strong>ch</strong>t eines von ihnen ist vor Gott vergessen. Vielmehr<br />

sind au<strong>ch</strong> die Haare eures Kopfes alle gezählt. Für<strong>ch</strong>tet eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t; ihr seid<br />

mehr wert als viele Voglein. I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong> aber: Zu jedem, der si<strong>ch</strong> zu mir vor<br />

den Mens<strong>ch</strong>en bekennen wird, wird si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en vor den<br />

Engeln Gottes bekennen. Wer aber mi<strong>ch</strong> vor den Mens<strong>ch</strong>en verleugnet, wird<br />

vor den Engeln Gottes verleugnet werden. "Wer si<strong>ch</strong> zu mir vor den Mens<strong>ch</strong>en<br />

bekennt, zu dem werde i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> bekennen „vor meinem Vater", sagtMatthäus;<br />

„vor den Engeln Gottes", <strong>Lukas</strong>. Im Spru<strong>ch</strong> des Matthäus ma<strong>ch</strong>t es uns Jesus<br />

zu seiner hö<strong>ch</strong>sten Verheißung, daß er unser Anwalt vor dem Vater werde,<br />

<strong>und</strong> zur hö<strong>ch</strong>sten Drohung, daß er unser Verkläger vor dem Vater werde. Das<br />

liegt au<strong>ch</strong> im Spru<strong>ch</strong> des <strong>Lukas</strong>, wird aber ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> hervorgehoben,<br />

weil man in der Gemeinde der Apostel nie anders auf Jesus sah als so, daß man<br />

in seiner Gnade Gottes Gnade ergriff <strong>und</strong> in seinem Geri<strong>ch</strong>t Gottes Geri<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>lossen<br />

sah. "Was es sagen will, daß si<strong>ch</strong> Jesus zu uns hält, ma<strong>ch</strong>t uns <strong>Lukas</strong><br />

daran erkennbar, daß Jesus sein Urteil in der Mitte der Engel spri<strong>ch</strong>t. "Während<br />

wir seinen Namen vor den Mens<strong>ch</strong>en bekennen oder verleugnen, hält er si<strong>ch</strong> in<br />

der Himmelswelt vor Gottes hohen Geistern zu uns oder s<strong>ch</strong>eidet uns dort von<br />

seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft ab.<br />

Mit der Verleugnung Christi würden wir uns verderben, ebenso mit der<br />

Lästerung des heiligen Geistes. "Weil diese beiden "Worte das nennen, was uns<br />

das Leben raubt, hat <strong>Lukas</strong> sie zusammengestellt. 12,10: Und jedem, der ein<br />

Wort gegen den Sohn des Mens<strong>ch</strong>en sagen wird, wird vergeben werden. Wer<br />

aber gegen den heiligen Geist lästert, dem wird ni<strong>ch</strong>t vergeben werden. <strong>Lukas</strong><br />

hält au<strong>ch</strong> hier das, was Jesus seinen "Widersa<strong>ch</strong>ern sagte, damit sie zur Fur<strong>ch</strong>t<br />

erwa<strong>ch</strong>en, der Gemeinde vor. Sie hat das Werk des Geistes ni<strong>ch</strong>t nur an Jesus<br />

vor Augen, sondern erlebt es au<strong>ch</strong> an si<strong>ch</strong> selbst <strong>und</strong> soll darum bedenken, daß<br />

diese hö<strong>ch</strong>ste Gabe Gottes ihr zum tiefsten Falle würde, wenn sie si<strong>ch</strong> gegen


<strong>Lukas</strong> 12,4a—14 245<br />

den Geist Gottes erbitterte <strong>und</strong> mit lästernden Worten ihn bestritte. Denn da,<br />

wo der Geist inwendig im Mens<strong>ch</strong>enleben sein Gotteswerk treibt mit offenk<strong>und</strong>iger<br />

Wahrheit <strong>und</strong> Gnade <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> dafür nur gelästert wird, hat Jesus für<br />

den Mens<strong>ch</strong>en keine Gnade mehr. ... _<br />

Wie aber Jesus die Jünger ni<strong>ch</strong>t nur dadur<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>reckt, daß er die verleugne,<br />

die ihn verleugnen, sondern au<strong>ch</strong> damit tröstet, daß er denen, die ihn bekennen,<br />

Treue halte, so soll au<strong>ch</strong> die Gegenwart des Geistes die Jünger ni<strong>ch</strong>t nur<br />

zur Fur<strong>ch</strong>t bewegen, daß sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an ihm versündigen, sondern au<strong>ch</strong> ihr<br />

Trost sein. 12,11.12: Wenn sie eu<strong>ch</strong> aber vor die Versammlungen <strong>und</strong> die<br />

Herrs<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> die Ma<strong>ch</strong>thaber bringen, so sorget ni<strong>ch</strong>t, wie oder womit ihr<br />

eu<strong>ch</strong> verteidigen oder was ihr sagen sollt. Denn der heilige Geist wird eu<strong>ch</strong> in<br />

derselben St<strong>und</strong>e lehren, was ihr sagen sollt. Gottes Geist wird si<strong>ch</strong> dann offenbaren,<br />

wenn sie des Christus wegen geri<strong>ch</strong>tet werden, <strong>und</strong> ihnen das Wort<br />

s<strong>ch</strong>enken, dur<strong>ch</strong> das sie au<strong>ch</strong> in diesen s<strong>ch</strong>weren St<strong>und</strong>en ihr Zeugnis <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes<br />

Willen ausri<strong>ch</strong>ten.<br />

<strong>Die</strong> Freiheit von den irdis<strong>ch</strong>en Anliegen<br />

12,13: Es spra<strong>ch</strong> aber einer aus der Menge zu ihm: Lehrer, sage meinem<br />

Bruder, daß er das Erbe mit mir teile! Dem, der hier Jesu Hilfe anrief, hatte<br />

sein Bruder <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Tod seines Vaters Unre<strong>ch</strong>t getan <strong>und</strong> ihm seinen Anteil<br />

am väterli<strong>ch</strong>en Vermögen verweigert. Leiden wir Unre<strong>ch</strong>t, so empört si<strong>ch</strong> unser<br />

Herz; enterbt zu sein, <strong>und</strong> dies erst no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den eigenen Bruder, wird<br />

uns zum ste<strong>ch</strong>enden S<strong>ch</strong>merz <strong>und</strong> ers<strong>ch</strong>eint uns unerträgli<strong>ch</strong>. Darum zweifelte<br />

der Enterbte keinen Augenblick, Jesus müsse seine Empörung teilen, gegen<br />

dieses Unre<strong>ch</strong>t eins<strong>ch</strong>reiten <strong>und</strong> es ebenso unerträgli<strong>ch</strong> finden wie er, daß ihm<br />

sein Erbe entgehen soll. Deshalb bat er ihn um seine Unterstützung <strong>und</strong> hoffte,<br />

au<strong>ch</strong> der Bruder werde si<strong>ch</strong> vor Jesu Urteil beugen <strong>und</strong> das, was er ihm vorenthielt,<br />

nun herausgeben.<br />

Er hat si<strong>ch</strong> über Jesu Sinn getäus<strong>ch</strong>t. 12,14: Er aber sagte zu ihm: Mens<strong>ch</strong>,<br />

wer hat mi<strong>ch</strong> zum Ri<strong>ch</strong>ter oder Teiler über eu<strong>ch</strong> bestellt? „Unre<strong>ch</strong>t ist mir ges<strong>ch</strong>ehen",<br />

sagte der Bittende; <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Meinung dürfen wir Unre<strong>ch</strong>t leiden.<br />

„Geld habe i<strong>ch</strong> verloren", sagte jener; <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Meinung ist dies kein unersetzli<strong>ch</strong>er<br />

S<strong>ch</strong>aden. Woher nimmt er die Erwartung, Jesus sei berufen, ihm zu seinem<br />

Geld zu helfen? Meint er, Gott habe ihn dazu ges<strong>ch</strong>ickt, damit jeder seinen<br />

ri<strong>ch</strong>tigen Anteil an Geld <strong>und</strong> Gut erhalte? Jesus war darüber völlig gewiß, daß<br />

ihn seine Sendung ni<strong>ch</strong>t in den Hader um Mein <strong>und</strong> Dein verwickelte, daß es<br />

umgekehrt seine hohe, herrli<strong>ch</strong>e Aufgabe sei, uns aus diesem Hader, Neiden<br />

<strong>und</strong> Geizen völlig herauszuheben, damit das Geld aufhöre, unser Tyrann zu


244 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

sein, <strong>und</strong> unser Eigentum werde, das in unserer Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Hand liegt, ni<strong>ch</strong>t<br />

wir in der seinigen, ein Segen für uns <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t ein Unsegen.<br />

Er spra<strong>ch</strong> aus, warum er diesen Bittenden bes<strong>ch</strong>ämt weggehen ließ <strong>und</strong> keine<br />

Vermengung seiner Sa<strong>ch</strong>e mit der Begier <strong>na<strong>ch</strong></strong> Geld zuließ, einerlei, ob sie bere<strong>ch</strong>tigt<br />

oder Unre<strong>ch</strong>t sei. 12,15a: Er sagte aber zu ihnen: Seht zu, <strong>und</strong> hütet<br />

eu<strong>ch</strong> vor jeder Habgier! Mehr, immer mehr! das wird der unstillbare S<strong>ch</strong>rei des<br />

Herzens, sowie es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in Gott gegen den Zauber des Besitzes verwahrt.<br />

Es wird mit allem, was es anhäuft, nie zufrieden. Gegen jede Regung dieser<br />

Su<strong>ch</strong>t, die immer weiter <strong>na<strong>ch</strong></strong> no<strong>ch</strong> mehr Eigentum greift, verpfli<strong>ch</strong>tet uns Jesus<br />

zu sorgsamer Wa<strong>ch</strong>samkeit. Darum hat er au<strong>ch</strong> jenem Bittenden ni<strong>ch</strong>t zu einem<br />

größeren Erbe geholfen. Hätte er dieses, er begehrte do<strong>ch</strong> immer no<strong>ch</strong> mehr.<br />

Es Hegt eine Täus<strong>ch</strong>ung in dieser Begier. 12,1 jb: Denn für niemand entsteht<br />

deshalb, weil er Überfluß hat, aus seinem Besitz das Leben. "Wir meinen, was<br />

wir erwerben, zum Leben zu brau<strong>ch</strong>en; aber unser Leben hängt ni<strong>ch</strong>t daran,<br />

daß wir mehr haben <strong>und</strong> no<strong>ch</strong> mehr haben, mehr als uns nötig ist, weil uns unser<br />

Leben ni<strong>ch</strong>t von unserem Eigentum verliehen wird. Seine Wurzeln rei<strong>ch</strong>en<br />

tiefer hinab; denn es wird uns dur<strong>ch</strong> Gottes "Willen zuteil. Darum verlieren<br />

wir es dann, wenn wir Gott vergessen <strong>und</strong> unter sein Geri<strong>ch</strong>t fallen. Dadur<strong>ch</strong><br />

wird uns das, womit wir unser Leben si<strong>ch</strong>ern wollen, zur Ursa<strong>ch</strong>e des Todes.<br />

Das zeigt uns Jesus am Beispiel eines rei<strong>ch</strong>en Mannes, dem seine große Ernte<br />

das Todesurteil eintrug. 12,16—19: Er sagte aber ein Glei<strong>ch</strong>nis zu ihnen <strong>und</strong><br />

spra<strong>ch</strong>: Das Feld eines rei<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en trug viel. Und er überlegte bei si<strong>ch</strong> <strong>und</strong><br />

sagte: Was soll i<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en? Denn es fehlt mir der Raum, wohin i<strong>ch</strong> meine<br />

Fru<strong>ch</strong>t bringen kann. Und er sagte: <strong>Die</strong>s will i<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en: i<strong>ch</strong> werde meine<br />

S<strong>ch</strong>eunen abreißen <strong>und</strong> größere bauen <strong>und</strong> dorthin allen Weizen <strong>und</strong> meine<br />

Vorräte bringen, <strong>und</strong> i<strong>ch</strong> werde zu meiner Seele sagen: Seele, du hast rei<strong>ch</strong>en<br />

Vorrat bereit für viele Jahre; ruhe di<strong>ch</strong> aus; iß, trink, freue di<strong>ch</strong>! Dur<strong>ch</strong> seine<br />

rei<strong>ch</strong>e Ernte kommt dieser Mann in Verlegenheit, weil er sie ni<strong>ch</strong>t mehr unterbringen<br />

kann. Er weiß aber Rat; die alten S<strong>ch</strong>eunen werden eingerissen, neue<br />

gebaut, alles eingesammelt, alles aufgehäuft. An eine andere Verwendung seines<br />

Besitzes denkt er ni<strong>ch</strong>t, nur daran, wie er si<strong>ch</strong> alles auf lange Jahre hinaus<br />

erhalten kann. Denn er brau<strong>ch</strong>t es ja <strong>und</strong> sieht nun mit Vergnügen auf das, was<br />

er gewonnen hat. Nun hat er alles, was er wüns<strong>ch</strong>t.<br />

Vers<strong>ch</strong>ieden von dem, was er zu si<strong>ch</strong> selber sagte, lautete Gottes Spru<strong>ch</strong> über<br />

ihn. 12,20: Aber Gott spra<strong>ch</strong> zu ihm: Tor, in dieser Na<strong>ch</strong>t fordert man dir<br />

deine Seele ab. Wem wird das gehören, was du bereitgema<strong>ch</strong>t hast? Er wollte<br />

seine Seele auf Jahre hinaus pflegen; deshalb bestimmt ihm Gottes Urteil den<br />

Tod in dieser Na<strong>ch</strong>t. Er. hielt si<strong>ch</strong> für einen klugen Mann, der den größten


<strong>Lukas</strong> 12,15a—31 245<br />

Nutzen aus seinem Vermögen zog; Gott heißt ihn einen Toren, der ni<strong>ch</strong>ts mit<br />

dem anzufangen wußte, was er ihm gab, <strong>und</strong> völlig umsonst gespart <strong>und</strong> gesammelt<br />

hat. Denn für wen hat er sein Gut zusammengehäuft? Ni<strong>ch</strong>t für si<strong>ch</strong>.<br />

12,21: So ist jeder, der für si<strong>ch</strong> selbst den S<strong>ch</strong>atz sammelt <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t bei Gott<br />

rei<strong>ch</strong> ist. Er arbeitet nutzlos, besitzt umsonst, verwandelt si<strong>ch</strong> sein Glück in<br />

Unglück <strong>und</strong> bereitet si<strong>ch</strong> mit dem, was er erwirbt, den Tod. Jesus ma<strong>ch</strong>t uns<br />

au<strong>ch</strong> mit diesem ernsten "Wort seine ganze Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit si<strong>ch</strong>tbar. Er hat es<br />

tausendfa<strong>ch</strong> mit herzli<strong>ch</strong>em Mitleid angesehen, wie völlig zwecklos wir^Vermögen<br />

sammeln ohne jeden Gewinn für uns, ja ni<strong>ch</strong>t nur ohne Gewinn, sondern<br />

uns selbst zum Verderben. Und do<strong>ch</strong>, wie rei<strong>ch</strong> könnten wir sein, <strong>und</strong> wie<br />

kostbar <strong>und</strong> fru<strong>ch</strong>tbar könnte au<strong>ch</strong> unser Geld <strong>und</strong> Gut für uns werden! Nie<br />

wird es uns dies, wenn wir wie der Mann im Glei<strong>ch</strong>nis auf unseren Gewinn<br />

nur mit dem Gedanken sehen: wie kann i<strong>ch</strong> alles, alles in meine S<strong>ch</strong>eunen sammeln?<br />

sondern nur dann, wenn unser Verlangen darauf geri<strong>ch</strong>tet ist, bei Gott<br />

rei<strong>ch</strong> zu sein. Daß wir au<strong>ch</strong> im Geld <strong>und</strong> Gut ein Mittel haben, um unseren<br />

<strong>Die</strong>nst Gottes auszuri<strong>ch</strong>ten, darauf <strong>und</strong> nur darauf gründet Jesus den hohen<br />

Wert des Geldes.<br />

<strong>Die</strong> Su<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem beständig vermehrten Besitz hat ihre starke Stütze in<br />

der Sorge. Wenn wir von ihr ni<strong>ch</strong>t frei werden <strong>und</strong> in die si<strong>ch</strong>ere Sorglosigkeit<br />

treten, die uns die gläubige Gewißheit der göttli<strong>ch</strong>en Hiìf e gibt, wird uns der<br />

Zauber des Geldes übermä<strong>ch</strong>tig sein. Darum gibt uns <strong>Lukas</strong> im wesentli<strong>ch</strong>en<br />

übereinstimmend mit Matthäus 6,25—33 die Worte Jesu, dur<strong>ch</strong> die er die Seinen<br />

aus der Sorge zum Glauben (aufgeri<strong>ch</strong>tet hat. 12,22—3 x : ^ r s P r aber zu<br />

seinen Jüngern: Deshalb sage i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>: Sorget ni<strong>ch</strong>t für die Seele, was ihr essen<br />

werdet, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t für den Leib, was ihr anziehen werdet. Denn die Seele ist<br />

mehr als die Nahrung <strong>und</strong> der Leib mehr als das Gewand. A<strong>ch</strong>tet auf die Raben;<br />

sie säen ni<strong>ch</strong>t, ernten au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, haben weder eine Vorratskammer no<strong>ch</strong><br />

S<strong>ch</strong>eune, <strong>und</strong> Gott nährt sie. Wieviel mehr seid ihr wert als die Vögel? Wer<br />

aus eu<strong>ch</strong> ist aber imstande, dur<strong>ch</strong> Sorgen zu seiner Lebenszeit eine Elle hinzuzutun?<br />

Wenn ihr nun au<strong>ch</strong> zum Geringsten unvermögend seid, warum sorgt<br />

ihr für das Übrige? A<strong>ch</strong>tet auf die Lilien, wie sie weder spinnen no<strong>ch</strong> weben.<br />

I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong> aber, au<strong>ch</strong> Salomon in aller seiner Pra<strong>ch</strong>t kleidete si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so wie<br />

eine von diesen. Wenn aber Gott auf dem Feld das Gras, das heute steht <strong>und</strong><br />

morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wieviel mehr wird er eu<strong>ch</strong><br />

kleiden, ihr Kleingläubigen? Und ihr, sorgt ni<strong>ch</strong>t, was ihr essen <strong>und</strong> was ihr<br />

trinken werdet, <strong>und</strong> tut ni<strong>ch</strong>t groß. Denn <strong>na<strong>ch</strong></strong> diesem allem verlangen die Völker<br />

der Welt. Aber euer Vater weiß, daß ihr dies bedürft. Su<strong>ch</strong>t aber seine<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft; so wird eu<strong>ch</strong> dies dazu gegeben werden.


2 4^ <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Weil Jesus dur<strong>ch</strong> diese "Worte das Verlangen seiner Jünger zu Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

hinwendet, fährt <strong>Lukas</strong> mit sol<strong>ch</strong>en Worten fort, die ihr Streben <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Gottes <strong>Offenbarung</strong> <strong>und</strong> Gabe kräftig erwecken <strong>und</strong> sie von der fals<strong>ch</strong>en Sorge<br />

no<strong>ch</strong> völliger befreien. 12,32: Für<strong>ch</strong>te di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, kleine Herde, weil euer Vater<br />

bes<strong>ch</strong>lossen hat, eu<strong>ch</strong> das Königtum zu geben. Zählen sie ihre kleine S<strong>ch</strong>ar, so<br />

können sie verzagt werden. "Weit <strong>und</strong> groß baut si<strong>ch</strong> Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft auf;<br />

sie ist ja die <strong>Offenbarung</strong> der göttli<strong>ch</strong>en Herrli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> die Ers<strong>ch</strong>einung<br />

seiner Gnade über alle. Und do<strong>ch</strong> sind ihrer so wenige, <strong>und</strong> um sie her stehen<br />

die vielen, denen Gottes Name glei<strong>ch</strong>gültig ist, Jesus ni<strong>ch</strong>ts bedeutet <strong>und</strong> seine<br />

Bots<strong>ch</strong>aft unbekannt <strong>und</strong> unverstanden blieb. Sind sie denn auf dem re<strong>ch</strong>ten<br />

Weg, <strong>und</strong> dürfen sie des Rei<strong>ch</strong>es gewiß sein? Jesus spri<strong>ch</strong>t zu ihnen als der,<br />

der Gottes "Willen auszuspre<strong>ch</strong>en vermag. Es war des Vaters Wille <strong>und</strong> Bes<strong>ch</strong>luß,<br />

es ihnen zu geben. Das s<strong>ch</strong>lägt alle Fragen nieder: Warum so wenige?<br />

Warum wir? Wie wird es si<strong>ch</strong> vollenden? Eins ma<strong>ch</strong>t ihnen Jesus gewiß: Der<br />

Vater hat es eu<strong>ch</strong> gegeben. Das ma<strong>ch</strong>t ihr Tra<strong>ch</strong>ten rege, ni<strong>ch</strong>t zu einem glaubenslosen<br />

Lauf ins Ungewisse, als ob sie Gottes ewige Gabe dur<strong>ch</strong> die Stärke<br />

ihrer Bemühung an si<strong>ch</strong> bringen könnten, sondern zu jenem Verlangen, das si<strong>ch</strong><br />

auf das gründet, was Gott ihnen gab, <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem begehrt, was seine Berufung<br />

ihnen als Ziel vorhält.<br />

Um deswillen, was Gott ihnen verleihen wird, ma<strong>ch</strong>t sie Jesus von der Last<br />

des irdis<strong>ch</strong>en Besitzes frei. 12,33a: Verkauft eure Habe <strong>und</strong> seid wohltätig! Sie<br />

haben das Re<strong>ch</strong>t zur s<strong>ch</strong>rankenlosen Liebe; denn ihre Kraft <strong>und</strong> ihr Gut ist<br />

Gottes vollkommene Gabe, ni<strong>ch</strong>t ihr Geld. Sie haben den Glauben, der zu sol<strong>ch</strong>er<br />

Liebe fähig ist; denn sie wissen, daß ihnen Gottes königli<strong>ch</strong>es Walten zur<br />

Seite steht. Sie haben den Gewinn <strong>und</strong> Segen vom Opfer ihrer Liebe; denn sie<br />

bringen es Gott mit reinem Herzen dar, ni<strong>ch</strong>t zu ihrem Ruhm, sondern im Gehorsam<br />

gegen ihn. Das hat Jesus ni<strong>ch</strong>t wie ein Gesetzgeber gespro<strong>ch</strong>en, der<br />

einer Mön<strong>ch</strong>sgemeinde seine Gebote <strong>und</strong> Verbote aufs<strong>ch</strong>reibt, damit sie an seiner<br />

Regel ihren unfreien Gehorsam übe. Gottes Werk sind freie, starke Mens<strong>ch</strong>en,<br />

von denen jeder unter seiner Regierung steht <strong>und</strong> in seiner Gnade lebt.<br />

So ist au<strong>ch</strong> jeder in Kraft des Evangeliums seines Besitzes Herr, daß er ihn<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem Ermessen verwalte <strong>und</strong> gebrau<strong>ch</strong>e. Aber jedem zerreißt dieses<br />

Wort Jesu die Fesseln, die ihn an seine Habe kne<strong>ch</strong>ten, <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t uns allen<br />

deutli<strong>ch</strong>, daß wir unser Gut <strong>und</strong> Ziel darin haben, daß wir Gottes eigen sind<br />

<strong>und</strong> seine Gnadentat an uns ges<strong>ch</strong>ieht, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t anderswo.<br />

12,33b. 34: Vers<strong>ch</strong>afft eu<strong>ch</strong> Beutel, die ni<strong>ch</strong>t veralten, einen S<strong>ch</strong>atz, der ni<strong>ch</strong>t<br />

zu Ende geht, in den Himmeln, wo der <strong>Die</strong>b ni<strong>ch</strong>t hineinkommt <strong>und</strong> die Motte<br />

ni<strong>ch</strong>ts verdirbt. Denn wo euer S<strong>ch</strong>atz ist, da wird au<strong>ch</strong> euer Herz sein. Jesus


<strong>Lukas</strong>12,32—41 247<br />

gönnt uns eine bleibende, unverlierbare Fru<strong>ch</strong>t unserer Arbeit, jenen e<strong>ch</strong>ten<br />

Rei<strong>ch</strong>tum, der in Gottes Gnade <strong>und</strong> Hilfe besteht. Dann ist au<strong>ch</strong> unser Herz<br />

bei Gott, weil dieses seinen S<strong>ch</strong>atz ni<strong>ch</strong>t verläßt.<br />

Mit einer lebendigen Hoffnung wendet Jesus seine Jünger der Zukunft zu<br />

als sol<strong>ch</strong>e, die mit gewisser Erwartung <strong>und</strong> freudigem Verlangen auf das sehen,<br />

was ihnen kommt. 12,3 y.Eure Lenden seien umgürtet <strong>und</strong> eure Lampen brennend.<br />

Das dur<strong>ch</strong> den Gurt um die Hüften festgeb<strong>und</strong>ene Gewand <strong>und</strong> die<br />

brennenden Lampen erweisen den Mann als zum Aufbru<strong>ch</strong> bereit zu jeder<br />

St<strong>und</strong>e, au<strong>ch</strong> in der Na<strong>ch</strong>t. Worauf sollen sie warten? Auf ihn! darauf, daß er<br />

zu ihnen kommt. Mit einem ähnli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>nis wie das, womit <strong>Markus</strong> Jesu<br />

Abs<strong>ch</strong>iedsrede s<strong>ch</strong>loß, 13,34, bes<strong>ch</strong>reibt uns <strong>Lukas</strong>, was bereit <strong>und</strong> wa<strong>ch</strong> sein<br />

heißt. 12,36—38: Und ihr seid Mens<strong>ch</strong>en verglei<strong>ch</strong>bar, die ihren Herrn erwarten,<br />

wann er von der Ho<strong>ch</strong>zeit aufbre<strong>ch</strong>e, damit sie, wenn er kommt <strong>und</strong> anklopft,<br />

ihm sofort öffnen. Selig sind jene Kne<strong>ch</strong>te, die der Herr, wann er<br />

kommt, wa<strong>ch</strong>end findet. Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Er wird si<strong>ch</strong> gürten, ihnen<br />

sagen, si<strong>ch</strong> am Tis<strong>ch</strong> niederzulassen, herumgehen <strong>und</strong> sie bedienen. Und wenn<br />

er in der zweiten oder in der dritten Na<strong>ch</strong>twa<strong>ch</strong>e kommt <strong>und</strong> sie so findet, sind<br />

sie selig. Damit, daß die Kne<strong>ch</strong>te, ohne zu ermüden, wa<strong>ch</strong> bleiben, erweisen sie<br />

ihm die Treue <strong>und</strong> ihren <strong>Die</strong>nst. Er wird sie dafür ni<strong>ch</strong>t wie Kne<strong>ch</strong>te, sondern<br />

wie Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Genossen behandeln, wenn er kommt, <strong>und</strong> ihnen das Mahl<br />

bereiten, bei dem er selbst sie bewirten wird. Au<strong>ch</strong> wenn Jesus an seine Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

denkt, kommt seine Freude ans Li<strong>ch</strong>t, die Seinen zu begaben <strong>und</strong> zu<br />

erhöhen. Dann, wenn er si<strong>ch</strong> aufs neue mit ihnen vereinigt, wird es seine Lust<br />

sein, sie neben si<strong>ch</strong> zu stellen, daß sie an allem, was er hat, Anteil haben <strong>und</strong><br />

mit ihm in seiner Herrli<strong>ch</strong>keit stehen. Daran s<strong>ch</strong>ließen si<strong>ch</strong> nun die Worte aus<br />

Matthäus 24,43. 44 m i c engem Zusammenhang. 12,39.40: <strong>Die</strong>s aber versteht<br />

ihr, daß der Hausherr, falls er gewußt hätte, in wel<strong>ch</strong>er St<strong>und</strong>e der <strong>Die</strong>b<br />

kommt, ni<strong>ch</strong>t zugelassen hätte, daß die Mauer seines Hauses dur<strong>ch</strong>bro<strong>ch</strong>en<br />

werde. Werdet au<strong>ch</strong> ihr bereit, weil der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en in der St<strong>und</strong>e kommen<br />

wird, von der ihr es ni<strong>ch</strong>t denkt. Der Hausherr, der die Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t erhielte,<br />

ein <strong>Die</strong>b komme, würde sein Haus s<strong>ch</strong>ützen; wieviel mehr muß es den Jüngern<br />

daran Hegen, das ni<strong>ch</strong>t zu verlieren, was ihnen Jesus bringt, <strong>und</strong> daran<br />

alle "Wa<strong>ch</strong>samkeit zu wenden, da sie ja ni<strong>ch</strong>t wissen, wann er kommt.<br />

12,41: Aber Petrus sagte: Herr, sagst du dieses Glei<strong>ch</strong>nis zu uns oder zu<br />

allen? Er fragt, ob Jesus diese Hoffnung nur seinen Boten gebe, die ihm besonders<br />

verb<strong>und</strong>en sind, au<strong>ch</strong> an seinem Werk besonders mitarbeiten, oder ob er<br />

das allen sage, allen, die zum Rei<strong>ch</strong> berufen sind <strong>und</strong> das ewige Leben su<strong>ch</strong>en.<br />

<strong>Die</strong>se Frage bekommt ihre Antwort dur<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>nis, das au<strong>ch</strong> Matthäus


2 4-8 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

24,45—54 steht. 12,42: Und der Herr sagte: Wer ist also der treue Verwalter,<br />

der kluge, den der Herr über sein Gesinde setzt, damit er ihm zur re<strong>ch</strong>ten Zeit<br />

das ihm bestimmte Maß von Weizen gebe? Jeder hat selbst bei si<strong>ch</strong> die Antwort<br />

zu finden, ob Jesus das au<strong>ch</strong> ihm sage, <strong>und</strong> hat selbst darüber Klarheit<br />

zu gewinnen, ob er mit ihm so fest <strong>und</strong> innig verb<strong>und</strong>en sei, daß er auf ihn<br />

warten muß <strong>und</strong> seine Hoffnung nur auf ihn stellen kann. Au<strong>ch</strong> hier legt Jesus<br />

niemand von außen her ein Gesetz auf: diesem gilt, was i<strong>ch</strong> sage, <strong>und</strong> jenem<br />

gilt es ni<strong>ch</strong>t. Wo die Hoffnung ihren inwendigen, lebendigen Gr<strong>und</strong> hat, da<br />

wird sie wa<strong>ch</strong>sen. Wo treue Verb<strong>und</strong>enheit mit ihm entstanden ist, wird man<br />

ihn ni<strong>ch</strong>t vergessen können. Alle stellt sein Weggang auf die Probe, ob sie treu,<br />

ob sie klug seien.<br />

12,43—46: Selig ist jener Kne<strong>ch</strong>t, den sein Herr, wenn er kommt, so tun<br />

findet. Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Er wird ihn über seine ganze Habe setzen.<br />

Wenn aber jener Kne<strong>ch</strong>t in seinem Herzen sagt: Mein Herr verzieht zu kommen,<br />

<strong>und</strong> die Kne<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> die Mägde zu s<strong>ch</strong>lagen beginnt <strong>und</strong> zu essen <strong>und</strong> zu<br />

trinken <strong>und</strong> trunken zu sein, so wird der Herr jenes Kne<strong>ch</strong>tes an dem Tag<br />

kommen, da er ihn ni<strong>ch</strong>t erwartet, <strong>und</strong> zu der St<strong>und</strong>e, die er ni<strong>ch</strong>t weiß, <strong>und</strong><br />

wird ihn entzweihauen <strong>und</strong> seinen Anteil zu den Ungläubigen stellen. Zwei<br />

Wege können seine Jünger in seiner Abwesenheit gehen, seinen Auftrag erfüllen<br />

oder ihren eigenen Willen tun. Mit jenem sind die Treuen, aber au<strong>ch</strong> die<br />

Klugen; denn so bringt ihnen Jesu Rückkehr den rei<strong>ch</strong>en Gewinn; mit diesem<br />

sind sie die Untreuen, aber au<strong>ch</strong> die Töri<strong>ch</strong>ten; denn sie bereiten si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

selbst den Sturz. „Seinen Teil wird er zu den Heu<strong>ch</strong>lern stellen", lesen wir bei<br />

Matthäus, „zu den Ungläubigen", sagt <strong>Lukas</strong> <strong>und</strong> nennt uns damit das, wovon<br />

die ganze Christenheit weiß, daß der Verlust des Lebens daraus folgt.<br />

12,47. 48a: Aber jener Kne<strong>ch</strong>t, der den Willen seines Herrn erkannt <strong>und</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t vorbereitet oder nidit nado seinem Willen getan hat, wird viele S<strong>ch</strong>läge<br />

erhalten. Der aber, der ihn ni<strong>ch</strong>t gekannt hat, sonst aber tat, was S<strong>ch</strong>läge verdient,<br />

wird wenige erhalten. <strong>Die</strong> S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong> Strafe des Kne<strong>ch</strong>ts wird größer,<br />

wenn er den Willen des Herrn mit Wissen <strong>und</strong> Willen ungetan ließ, als wenn<br />

er si<strong>ch</strong> ohne ausdrückli<strong>ch</strong>e Auflehnung gegen seinen Befehl verging. Damit,<br />

daß Jesus seinen Jüngern das Evangelium gab <strong>und</strong> die große Hoffnung ins<br />

Herz pflanzte, hat er ihnen au<strong>ch</strong> ein starkes Band angelegt, das sie in seinem<br />

Gehorsam erhalten muß. Sie würden, wenn sie es zerreißen wollten, tiefer fallen<br />

als andere <strong>und</strong> ihre Versündigung würde ihnen im besonderen Maß zum<br />

Unheil. Denn das, was vom Mens<strong>ch</strong>en gefordert werden wird, steht zu dem<br />

im Verhältnis, was ihm gegeben ward. 12,48b: Von jedem, dem viel gegeben<br />

wurde, wird viel verlangt werden, <strong>und</strong> wem viel anvertraut ist, von dem wird


<strong>Lukas</strong> 12,42—51 249<br />

man besonders viel zurückfordern. <strong>Die</strong> große Gabe gewährt nie bloß Genuß<br />

<strong>und</strong> Ruhe, sondern wird nur dann ri<strong>ch</strong>tig benutzt, wenn sie au<strong>ch</strong> den starken<br />

Willen s<strong>ch</strong>afft, der zur großen Gabe au<strong>ch</strong> die große Treue setzt. Damit, daß<br />

sie ihre neue Vereinigung mit Jesus froh <strong>und</strong> gewiß vor si<strong>ch</strong> sehen, ist den Jüngern<br />

etwas Großes gegeben; darum wird aber au<strong>ch</strong> von ihnen das Große gefordert,<br />

daß ihr Auge ohne S<strong>ch</strong>wankung klar <strong>und</strong> fest auf ihn geri<strong>ch</strong>tet sei.<br />

Mit ras<strong>ch</strong>em Übergang zeigt uns <strong>Lukas</strong> an zwei Worten, wie Jesus selbst mit<br />

dringender Sehnsu<strong>ch</strong>t auf seine eigene Vollendung sah. Heißt er die Jünger<br />

warten, hoffen <strong>und</strong> mit dem Auge <strong>und</strong> Herzen <strong>na<strong>ch</strong></strong> vorn geri<strong>ch</strong>tet sein, so<br />

streckt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> sein Verlangen mit ganzer Kraft <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem, was vor ihm ist.<br />

12,49: I<strong>ch</strong> kam, um Feuer auf die Erde zu werfen, <strong>und</strong> wie sehr wüns<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong>,<br />

daß es s<strong>ch</strong>on entzündet wäre! Feuer läßt immer zunä<strong>ch</strong>st an Gottes Geri<strong>ch</strong>tstat<br />

denken, die wegrafft, was der Zerstörung bedarf. Von vielem in Israel, von<br />

vielem im ganzen Weltbestand sah Jesu Auge, daß es auf das Feuer warte,<br />

damit es abgetan werde. Er sehnt si<strong>ch</strong>, daß es brenne, weil er au<strong>ch</strong> das geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Wirken Gottes mit zu seinem hohen Amte zählt <strong>und</strong> seinen ganzen Willen<br />

in dasselbe legt. Her<strong>na<strong>ch</strong></strong>, wenn dieser Brand verzehrt hat, was beseitigt<br />

werden muß, dann tut die Gnade ihr ganzes Werk <strong>und</strong> erstrahlt Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit.<br />

Weshalb das Feuer no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t angezündet werden kann, deutet das zweite<br />

Wort an. Erst muß Jesus in Geduld <strong>und</strong> Leiden seinen Weg vollenden. 12,50:<br />

I<strong>ch</strong> muß aber mit einer Taufe getauft werden, <strong>und</strong> wie treibt es mi<strong>ch</strong>, bis sie<br />

vollendet sei! Hier ist in ähnli<strong>ch</strong>er Weise von der Taufe, die Jesus no<strong>ch</strong> empfangen<br />

muß, die Rede wie im Wort an seine beiden Jünger, <strong>Markus</strong> 10,38. Am<br />

Kreuze heiligt er si<strong>ch</strong> Gott <strong>und</strong> empfängt dadur<strong>ch</strong>,die Gestalt, dur<strong>ch</strong> die er der<br />

Welt entnommen <strong>und</strong> zum Eingang in Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit bereitet ist. Darum<br />

erhält er am Kreuz seine Taufe, <strong>und</strong> deshalb flieht er ni<strong>ch</strong>t vor ihm, sondern<br />

geht ihm mit festem S<strong>ch</strong>ritt entgegen. Daß er den Kampf mit Israel no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

beendet <strong>und</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t eilig das Ende s<strong>ch</strong>afft, kommt ni<strong>ch</strong>t daher, daß er ni<strong>ch</strong>t<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Sterben begehrte, sondern daher, daß er au<strong>ch</strong> in seinem Warten gehorsam<br />

ist <strong>und</strong> dem Vater au<strong>ch</strong> sein Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Vollendung zum<br />

Opfer bringt.<br />

Zum Feuer, das Jesus bringt, <strong>und</strong> zur Taufe, die ihm erst no<strong>ch</strong> die Vollendung<br />

gibt, stellt <strong>Lukas</strong> dasjenige Wort, das den Jüngern die Erwartung<br />

nimmt, mit Jesus sei der Friede da. 12,51: Meint ihr, daß i<strong>ch</strong> kam, um Frieden<br />

auf die Erde zu bringen? Nein, sage i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>, sondern Entzweiung. Au<strong>ch</strong> die<br />

beiden vorangehenden Worte deuten auf Kampf, Tod <strong>und</strong> Geri<strong>ch</strong>t als auf das,<br />

was seiner Rückkehr zu seiner Gemeinde vorangehen muß, <strong>und</strong> darum hat der


250 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Vorblick Jesu auf den Streit, der nun um seinetwillen auf Erden beginnen<br />

wird, dazu innere Beziehungen. „I<strong>ch</strong> kam ni<strong>ch</strong>t, um Frieden auf die Erde zu<br />

bringen, sondern ein S<strong>ch</strong>wert", gibt die Aussendungsrede Matthäus 10,24. <strong>Lukas</strong><br />

vermied das starke, ers<strong>ch</strong>ütternde Bild: ein S<strong>ch</strong>wert! <strong>und</strong> erläutert es uns:<br />

ni<strong>ch</strong>t Frieden, sondern Streit <strong>und</strong> Hader; aber au<strong>ch</strong> er hält uns den tiefen Ernst<br />

des Kampfes vor, den Jesus unter den Mens<strong>ch</strong>en erregt. 12,52. 53: Denn "von<br />

jetzt an werden fünf im selben Hause entzweit sein; drei werden gegen zwei<br />

<strong>und</strong> zwei gegen drei entzweit sein, der Vater gegen den Sohn <strong>und</strong> der Sohn<br />

gegen den Vater, die Mutter gegen die To<strong>ch</strong>ter <strong>und</strong> die To<strong>ch</strong>ter gegen die<br />

Mutter, die S<strong>ch</strong>wiegermutter gegen die S<strong>ch</strong>wiegerto<strong>ch</strong>ter <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>wiegerto<strong>ch</strong>ter<br />

gegen die S<strong>ch</strong>wiegermutter. Zwis<strong>ch</strong>en die eng verb<strong>und</strong>enen Glieder desselben<br />

Hauses bringt Jesu Name die Entzweiung, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> die Nä<strong>ch</strong>sten werden<br />

einander fremd um seinetwillen.<br />

<strong>Die</strong> erste Anleitung zur Hoffnung, die uns <strong>Lukas</strong> hier mit Jesu Worten gibt,<br />

hält ihre freudige Kraft den Jüngern vor. Sie gründet si<strong>ch</strong> auf seine große Verheißung,<br />

daß er sie zu ewiger Gemeins<strong>ch</strong>aft mit si<strong>ch</strong> verb<strong>und</strong>en hat <strong>und</strong> si<strong>ch</strong><br />

darum ihnen einst in Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit offenbaren wird. Dahin wendet er<br />

ihr ganzes Sinnen <strong>und</strong> Tra<strong>ch</strong>ten als auf das eine hohe Ziel, das ihren ganzen<br />

Lebenslauf regieren soll. Indem aber diese Rede mit den ernsten Worten<br />

s<strong>ch</strong>ließt, die den Kampf der Seinen mit der Welt bes<strong>ch</strong>reiben, bleibt der Hoffnung<br />

ihre Nü<strong>ch</strong>ternheit gewahrt. Sie haben ihren seligen Ausblick auf Jesu<br />

<strong>Offenbarung</strong> mitten in einem herben Streit zu bewahren, bei dem viel Bitteres<br />

von ihnen getragen werden muß. Dadur<strong>ch</strong> wird um so deutli<strong>ch</strong>er, wie Großes<br />

ihnen damit gegeben ist, daß sie auf ihn warten dürfen.<br />

Bußworte an Israel<br />

Was Jesus über sein Kommen sagte, war nur den Jüngern gegeben, da es auf<br />

der Weissagung seines Todes beruhte, der dem Volke verborgen war. Er konnte<br />

ihm deshalb au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen, daß er seinem Werk dur<strong>ch</strong> ein neues Kommen<br />

die Vollendung geben wird. Er gab aber au<strong>ch</strong> dem Volk Worte, die ihm die<br />

Bedeutung dessen, was ges<strong>ch</strong>ah, nahe bra<strong>ch</strong>ten <strong>und</strong> den Blick erwartungsvoll<br />

auf das ri<strong>ch</strong>teten, was daraus kommen wird.<br />

12,54—56: Er sagte aber au<strong>ch</strong> zur Menge: Wenn ihr eine Wolke im Westen<br />

aufsteigen seht, sagt ihr glei<strong>ch</strong>: Es kommt Regen, <strong>und</strong> es ges<strong>ch</strong>ieht so; <strong>und</strong> wenn<br />

ihr den Südwind wehen seht, sagt ihr: Der Glutwind wird kommen, <strong>und</strong> es<br />

ges<strong>ch</strong>ieht so. Heu<strong>ch</strong>ler, das Gesi<strong>ch</strong>t der Erde <strong>und</strong> des Himmels versteht ihr zu<br />

s<strong>ch</strong>ätzen; warum s<strong>ch</strong>ätzt ihr aber diese Zeit ni<strong>ch</strong>t? Das Volk versteht die<br />

Wetterzei<strong>ch</strong>en re<strong>ch</strong>t gut zu deuten. <strong>Die</strong> Wolke, die vom Mittelmeer her auf-


<strong>Lukas</strong> 12,52—59<br />

steigt, sagt jedermann, daß Regen kommt, <strong>und</strong> wenn der Südwind einsetzt,<br />

erwarten alle die Erhitzung der Luft, die die heißen, s<strong>ch</strong>wülen Tage gibt. Klug<br />

<strong>und</strong> verständig messen sie den Lauf der Natur <strong>und</strong> sind do<strong>ch</strong> so unverständig<br />

gegenüber dieser Zeit, sehen ni<strong>ch</strong>t, was kommt, führen Israels Untergang herbei<br />

<strong>und</strong> ahnen es ni<strong>ch</strong>t, stoßen Gottes Rei<strong>ch</strong> von si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> wissen ni<strong>ch</strong>t, was sie<br />

tun. „Heu<strong>ch</strong>ler" heißt sie Jesus deshalb, weil die Ges<strong>ch</strong>ickli<strong>ch</strong>keit, mit der sie<br />

si<strong>ch</strong> im natürli<strong>ch</strong>en Leben bewegen, beweist, daß ihr Unverstand in Gottes<br />

Sa<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t bloß aus ihrem Unvermögen, sondern aus ihrem verkehrten "Willen<br />

kommt, weil sie das ni<strong>ch</strong>t sehen wollen, was ihnen mißfällt. <strong>Die</strong>ser Vorwurf<br />

ist in der glei<strong>ch</strong>artigen Stelle, Matthäus 16,2. 3, deutli<strong>ch</strong>er als hier enthalten,<br />

weil-dort dieser Spru<strong>ch</strong> denen antwortet, die von Jesus ein Zei<strong>ch</strong>en vom<br />

Himmel begehren <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> stellen, als könnten sie über Jesus zu keiner<br />

Überzeugung kommen, wenn ni<strong>ch</strong>t Gott ein besonderes "W<strong>und</strong>er tue, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong><br />

wissen dieselben Männer so verständig zu beurteilen, was zum natürli<strong>ch</strong>en<br />

Lauf des Lebens gehört.<br />

Weil ihnen Jesus mit diesem "Wort aufgab, selbst zu ermessen, was ihnen die<br />

Zei<strong>ch</strong>en der Zeit sagen, hat uns <strong>Lukas</strong> hier den Spru<strong>ch</strong> aus der Bergpredigt gegeben,<br />

Matthäus 5,26, der den S<strong>ch</strong>uldner anweist, seinen Gläubiger zu begütigen,<br />

ehe er ihn vor den Ri<strong>ch</strong>ter zieht. Au<strong>ch</strong> hier fordert Jesus vom Beklagten,<br />

daß er selbst die Sa<strong>ch</strong>e zu Ende bringe <strong>und</strong> sie ni<strong>ch</strong>t bis zum Ri<strong>ch</strong>ter kommen<br />

lasse. 12,57: Warum stellt ihr ni<strong>ch</strong>t aus eigenem Antrieb dur<strong>ch</strong> euer eigenes<br />

Urteil her, was gere<strong>ch</strong>t ist? Sie erkennen bei si<strong>ch</strong> selbst, was Unre<strong>ch</strong>t ist, <strong>und</strong><br />

wissen, was Gott will. Wenn sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihrer Erkenntnis handelten, selbst ihre<br />

Bosheit ri<strong>ch</strong>teten <strong>und</strong> dafür sorgten, daß das, was gere<strong>ch</strong>t ist, ges<strong>ch</strong>ieht, würden<br />

sie si<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Geri<strong>ch</strong>t ersparen. Nun aber glei<strong>ch</strong>en sie in ihrer glei<strong>ch</strong>gültigen<br />

Lässigkeit dem, der si<strong>ch</strong> mit seinem "Widersa<strong>ch</strong>er ni<strong>ch</strong>t versöhnt, sondern<br />

mit ihm vor den Ri<strong>ch</strong>ter tritt. 12,58. 59: Denn wenn du mit deinem Widersa<strong>ch</strong>er<br />

zum Amtmann gehst, dann gib dir auf dem Weg Mühe, von ihm frei zu<br />

werden, damit er di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vor den Ri<strong>ch</strong>ter s<strong>ch</strong>leppe, Und der Ri<strong>ch</strong>ter wird<br />

di<strong>ch</strong> dem Geri<strong>ch</strong>tsdiener übergeben <strong>und</strong> der Geri<strong>ch</strong>tsdiener di<strong>ch</strong> in das Gefängnis<br />

legen. I<strong>ch</strong> sage dir: Du wirst von dort ni<strong>ch</strong>t herauskommen, bis du au<strong>ch</strong> den<br />

letzten Pfennig zurückgegeben hast. Matthäus heißt uns unsere Beziehungen<br />

zueinander <strong>na<strong>ch</strong></strong> diesem "Wort ordnen, indem wir Unre<strong>ch</strong>t, das zwis<strong>ch</strong>en uns<br />

vorkam, abstellen <strong>und</strong> untereinander Frieden s<strong>ch</strong>affen <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t die Sa<strong>ch</strong>e<br />

Gott überlassen, der sie mit seinem s<strong>ch</strong>arfen Geri<strong>ch</strong>t zure<strong>ch</strong>t bringen wird.<br />

<strong>Lukas</strong> s<strong>ch</strong>aut dagegen auf die "Weise, wie Israel blindlings in das Geri<strong>ch</strong>t hineintaumelt,<br />

Jesus vergebli<strong>ch</strong> bitten <strong>und</strong> mahnen läßt <strong>und</strong> so dur<strong>ch</strong> seinen eige-<br />

2 5 r


2 5 2 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

nen, hartnäckigen Unverstand bewirkt, daß si<strong>ch</strong> das Gefängnis hinter ihm<br />

s<strong>ch</strong>ließt.<br />

Man bra<strong>ch</strong>te Jesus Beri<strong>ch</strong>t über eine Bluttat des Pilatus. 13,1 : Es kamen aber<br />

in derselben Zeit einige herzu <strong>und</strong> beri<strong>ch</strong>teten ihm von den Galiläern, deren<br />

Blut Pilatus mit ihren Opfern vermis<strong>ch</strong>t hatte. Eine S<strong>ch</strong>ar von Galiläern muß<br />

irgendwie den Zorn des Pilatus erregt haben, so daß er sie dur<strong>ch</strong> Truppen niederhauen<br />

ließ, wie es s<strong>ch</strong>eint, als sie im Tempelhof standen, so daß die Männer<br />

<strong>und</strong> die Opfertiere miteinander getötet wurden <strong>und</strong> ihr Blut zusammenfloß.<br />

Eben dies hat man in der Judens<strong>ch</strong>aft für besonders s<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong> gehalten. Während<br />

sie dem Herrn ihr Opfer bxingen wollten, wurde ihnen dasselbe so fur<strong>ch</strong>tbar<br />

vereitelt <strong>und</strong> entweiht.<br />

13,2. 3: Und er antwortete <strong>und</strong> sagte ihnen: Meint ihr, daß diese Galilaer<br />

vor allen Galiläern Sünder waren, weil sie dies gelitten haben? Nein, sage i<strong>ch</strong><br />

eu<strong>ch</strong>, sondern wenn ihr ni<strong>ch</strong>t Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen. Ein<br />

s<strong>ch</strong>weres Geri<strong>ch</strong>t Gottes war dies, denken die, die es Jesus melden. Das hieß<br />

Jesus ni<strong>ch</strong>t einen verkehrten Gedanken <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ilt Israel ni<strong>ch</strong>t deshalb, weil es<br />

bei allem, was ihm widerfährt, Gottes gedenkt. Nehmen will er ihnen nur die<br />

Kurzsi<strong>ch</strong>tigkeit, mit der sie si<strong>ch</strong> sofort wieder beruhigen, als hätte Gott dadur<strong>ch</strong><br />

die sonderli<strong>ch</strong>e Sünde dieser Galilaer bestraft, ihnen selber aber damit<br />

ni<strong>ch</strong>ts gezeigt. So verdecken sie si<strong>ch</strong>, was ihnen ein sol<strong>ch</strong>es Erlebnis bezeugt.<br />

Das S<strong>ch</strong>wert der Römer s<strong>ch</strong>webt über dem ganzen Israel, <strong>und</strong> was Pilatus diesen<br />

Galiläern tat, werden die Legionen bald dem ganzen Volk tun. No<strong>ch</strong> ist es<br />

aber Zeit zur Umkehr,* sie können no<strong>ch</strong> auf Jesu Stimme hören. Dazu müssen<br />

sie si<strong>ch</strong> freili<strong>ch</strong> vor Gott s<strong>ch</strong>uldig geben <strong>und</strong> dürfen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t stolz über die<br />

Umgekommenen erheben <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen: Jene traf Gottes Geri<strong>ch</strong>t; uns berührt<br />

es ni<strong>ch</strong>t.<br />

13,4. 5: Oder meint ihr, daß jene a<strong>ch</strong>tzehn, auf die der Turm am Siloa fiel<br />

<strong>und</strong> die er tötete, vor allen Mens<strong>ch</strong>en, die Jerusalem bewohnen, s<strong>ch</strong>uldig gewesen<br />

sind? Nein, sage i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>, sondern wenn ihr ni<strong>ch</strong>t Buße tut, werdet ihr<br />

alle ebenso umkommen. Neben das Geri<strong>ch</strong>t, das eine S<strong>ch</strong>ar von Galiläern wegraffte,<br />

stellt er ein Unglück, das si<strong>ch</strong> in Jerusalem zugetragen hat. Dort war ein<br />

Turm eingestürzt, der bei dem Tei<strong>ch</strong>e Siloa am westli<strong>ch</strong>en Fuß des Tempelberges<br />

stand. <strong>Die</strong>, die damals umkamen,, sind aber ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>uldiger als alle<br />

übrigen Einwohner Jerusalems, sondern alle werden ebenso umkommen, Jerusalems<br />

Mauern über ihnen allen einstürzen <strong>und</strong> die heilige Stadt ihnen allen<br />

zum Grabe werden, es sei denn, sie kehren no<strong>ch</strong> um.<br />

Wie es aber mit Israel steht, zeigt Jesus am Feigenbaum. 13,6—9: Er sagte<br />

aber dieses Glei<strong>ch</strong>nis: Jemand hatte einen Feigenbaum, der in seinem Wein-


<strong>Lukas</strong> 13,1—16 253<br />

berg gepflanzt war, <strong>und</strong> kam, su<strong>ch</strong>te an ihm Fru<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> fand sie ni<strong>ch</strong>t. Er sagte<br />

aber zum Weingärtner: Sieh! es sind drei Jahre, daß i<strong>ch</strong> komme, an diesem Feigenbaum<br />

Fru<strong>ch</strong>t su<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> sie ni<strong>ch</strong>t finde. Haue ihn um! Wozu ma<strong>ch</strong>t er den<br />

Boden unfru<strong>ch</strong>tbar? Er aber anwortete <strong>und</strong> sagte zu ihm: Herr, laß ihn au<strong>ch</strong><br />

dieses Jahr no<strong>ch</strong>, bis i<strong>ch</strong> rings um ihn grabe <strong>und</strong> ihn dünge. Und wenn er dann<br />

für die Zukunft Fru<strong>ch</strong>t bringt, ist es gut; wenn ni<strong>ch</strong>t, so laß ihn umhauen. Israel<br />

ist eine letzte Frist gegeben um der Fürbitte Jesu willen, weil er no<strong>ch</strong> seine<br />

Arbeit an das Volk wendet. <strong>Die</strong>s ist aber der letzte Erweis der göttli<strong>ch</strong>en Geduld,<br />

auf den das Ende kommt. So ernst <strong>und</strong> dringli<strong>ch</strong> war Jesu Bußruf an das<br />

Volk. Er steht ähnli<strong>ch</strong> vor ihm wie der Täufer: s<strong>ch</strong>on ist die Axt dem Baum an<br />

die "Wurzel gelegt. Sein drohender Ernst ist aber völlig eins mit seiner rei<strong>ch</strong>en<br />

Gnade, die ihn unermüdli<strong>ch</strong> treibt, si<strong>ch</strong> um Israels Rettung zu bemühen, <strong>und</strong> er<br />

tut dies in der Gewißheit, daß der Feigenbaum die Fru<strong>ch</strong>tbarkeit empfinge zur<br />

Verherrli<strong>ch</strong>ung Gottes, wenn Israel bei si<strong>ch</strong> für sein Wort Raum s<strong>ch</strong>üfe <strong>und</strong><br />

ihm im Glauben gehorsam würde.<br />

Das Wohltun am Sabbat<br />

13,10. 11 : Er lehrte aber in einer der Versammlungen am Sabbat. Und sieh!<br />

eine Frau war da, die seit a<strong>ch</strong>tzehn Jahren einen Geist der S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e hatte, <strong>und</strong><br />

sie war gebückt <strong>und</strong> unfähig, si<strong>ch</strong> ganz aufzuri<strong>ch</strong>ten. Sie wagte ni<strong>ch</strong>t, ihn um<br />

ihre Heilung zu bitten; er aber erbarmte si<strong>ch</strong> ihrer. 13,12. 13: Als aber Jesus<br />

sie sah, rief er sie herbei <strong>und</strong> sagte zu ihr: Frau, du bist von deiner S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e<br />

befreit, <strong>und</strong> er legte ihr die Hände auf, <strong>und</strong> sie ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> sofort auf <strong>und</strong><br />

pries Gott. Das wurde Jesus wieder als Bru<strong>ch</strong> des Sabbats angere<strong>ch</strong>net. 13,14:<br />

Aber der Vorsteher der Gemeinde war erzürnt, weil Jesus am Sabbat heilte,<br />

antwortete <strong>und</strong> sagte zur Menge:. Es sind se<strong>ch</strong>s Tage, an denen man arbeiten<br />

soll. Darum kommt in diesen <strong>und</strong>'laßt eu<strong>ch</strong> heilen <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t am Tag des Sabbats.<br />

Er hatte zwar ni<strong>ch</strong>t den Mut, Jesus ins Gesi<strong>ch</strong>t zu sagen, seine Tat sei eine<br />

Sünde, da ja die Heilung offenk<strong>und</strong>ig für ihn spra<strong>ch</strong>; er wandte si<strong>ch</strong> aber an<br />

die Gemeinde <strong>und</strong> befahl ihr, ni<strong>ch</strong>t am Sabbat die Heilung zu begehren. So<br />

mußte das "Wohltun am Sabbat wieder Sünde sein. 13,15. 16: Aber der Herr<br />

antwortete ihm <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Ihr Heu<strong>ch</strong>ler! Löst ni<strong>ch</strong>t ein jeder von eu<strong>ch</strong> am<br />

Sabbat sein Rind oder seinen Esel von der Krippe, führt sie weg <strong>und</strong> tränkt<br />

sie? Aber diese, die eine To<strong>ch</strong>ter Abrahams ist, die der Satan, seht! s<strong>ch</strong>on a<strong>ch</strong>tzehn<br />

Jahre geb<strong>und</strong>en hat, sie durfte von diesem Band am Tag des Sabbats ni<strong>ch</strong>t<br />

gelöst werden? Wenn sie für ihr Vieh ohne Sünde am Sabbat sorgen, so darf<br />

er es au<strong>ch</strong> für die Mens<strong>ch</strong>en, für diese To<strong>ch</strong>ter Abrahams, die mit zur berufenen<br />

Gemeinde gehört, der Gottes erlösende Hilfe zugesagt ist.


2 5 4 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

<strong>Die</strong> Kinds<strong>ch</strong>aft Abrahams zu rühmen waren sonst die Juden bereit; diesmal<br />

tat es Jesus allein. Sie beriefen si<strong>ch</strong> auf Abraham, um ihre Ansprü<strong>ch</strong>e an<br />

Gott zu begründen <strong>und</strong> gegen Fur<strong>ch</strong>t, Reue <strong>und</strong> Not si<strong>ch</strong> selbst die Zuversi<strong>ch</strong>t<br />

zu stärken; er berief si<strong>ch</strong> auf ihn, um diese Frau gegen ihre Härte zu verteidigen,<br />

damit ihr ni<strong>ch</strong>t versagt sei, was jedem Tier gewährt wurde. Sie wollten<br />

bloß selbst von Gott <strong>und</strong> Mens<strong>ch</strong>en als Abrahams Söhne behandelt sein <strong>und</strong><br />

die Re<strong>ch</strong>te genießen, die daran hingen. Jesus heißt sie au<strong>ch</strong> an den anderen so<br />

handeln, daß diese das empfangen, was einem Abrahamssohne gebührt. Geb<strong>und</strong>en<br />

war bisher die Frau, wobei Jesus au<strong>ch</strong> hier über den Berei<strong>ch</strong> der Natur<br />

hinauss<strong>ch</strong>aut: der Satan hat sie in diese Kette gelegt, weshalb es au<strong>ch</strong> im Eingang<br />

der Erzählung hieß: Einen „Geist der S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e" hatte sie. Zu Gott sah<br />

Jesus auf als zum S<strong>ch</strong>öpfer <strong>und</strong> Erhalter des Lebens; wo dieses zertreten <strong>und</strong><br />

verdorben ist, sieht er des Satans "Werk, ohne den sol<strong>ch</strong>e Not ni<strong>ch</strong>t auf der<br />

Mens<strong>ch</strong>heit läge <strong>und</strong> das Zerstört- <strong>und</strong> Getötetwerden sie ni<strong>ch</strong>t heimsu<strong>ch</strong>te.<br />

Bleibt au<strong>ch</strong> das "Werk desselben stets von Gottes "Walten umfaßt <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong><br />

seine Gere<strong>ch</strong>tigkeit regiert, so war es do<strong>ch</strong> Jesu Freude <strong>und</strong> für ihn eine re<strong>ch</strong>te<br />

Sabbatfeier, das vom Satan entstellte Mens<strong>ch</strong>enbild wieder so herzustellen, wie<br />

es der göttli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>öpfung entspri<strong>ch</strong>t. 13,17: Und als er dies sagte, s<strong>ch</strong>ämten<br />

si<strong>ch</strong> alle, die ihm widerstanden, <strong>und</strong> die ganze Menge freute si<strong>ch</strong> über alle<br />

die herrli<strong>ch</strong>en Taten, die dur<strong>ch</strong> ihn ges<strong>ch</strong>ahen.<br />

Das Senfkorn <strong>und</strong> der Sauerteig<br />

13,18—21: Damm sagte er: Wem ist die Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes glei<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> wem<br />

soll i<strong>ch</strong> sie verglei<strong>ch</strong>en? Sie glei<strong>ch</strong>t dem Korn des Senfs, das ein Mens<strong>ch</strong> nahm<br />

<strong>und</strong> in seinen Garten legte, <strong>und</strong> es wu<strong>ch</strong>s <strong>und</strong> wurde zu einem Baum, <strong>und</strong> die<br />

Vögel des Himmels wohnten in seinen Zweigen. Und er sagte no<strong>ch</strong>mals: Wem<br />

soll i<strong>ch</strong> die Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes verglei<strong>ch</strong>en? Sie glei<strong>ch</strong>t dem Sauerteig, den eine<br />

Frau nahm <strong>und</strong> in drei Maß Weizenmehl verbarg, bis es ganz dur<strong>ch</strong>säuert<br />

ward. Als ein selbständiges Stück, ohne es mit anderen "Worten Jesu in Verbindung<br />

zu bringen, hat <strong>Lukas</strong> hier die beiden Glei<strong>ch</strong>nisse eingefügt, die mit<br />

dem kleinen, verborgenen Anfang des göttli<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>s dessen herrli<strong>ch</strong>es Ende<br />

verknüpfen. Viellei<strong>ch</strong>t tat er dies vor allem im Blick auf die folgenden "Worte,<br />

die uns wieder den Fall Israels zeigen <strong>und</strong> im Anblick der s<strong>ch</strong>weren Geri<strong>ch</strong>te<br />

Gottes das Herz erbeben ma<strong>ch</strong>en. "Wir sollen aber ni<strong>ch</strong>t vergessen, daß das<br />

Evangelium ein freudiges "Wort ist <strong>und</strong> Jesus im Auftrag der Gnade kam.<br />

Glei<strong>ch</strong>t er au<strong>ch</strong> dem, der ni<strong>ch</strong>ts als ein Senfkorn in den Garten, ni<strong>ch</strong>ts als den<br />

Sauerteig ins Mehl legte, daraus wird do<strong>ch</strong> das große Gewä<strong>ch</strong>s <strong>und</strong> der völlig<br />

dur<strong>ch</strong>säuerte Teig.


<strong>Lukas</strong> 13,17—24b<br />

Israel verliert das Rei<strong>ch</strong><br />

Zunä<strong>ch</strong>st werden wir wieder an das erinnert, was uns 9,51 über Jesu Absi<strong>ch</strong>ten<br />

gesagt war. 13,22: Und er wanderte dur<strong>ch</strong> die Städte <strong>und</strong> Dörfer,<br />

lehrte <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te die Wanderung <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem. Wenn er in ihre großen<br />

<strong>und</strong> kleinen Orte kam <strong>und</strong> einige Zeit dort blieb, so haue er dabei ein doppeltes<br />

im Auge: er gab ihnen sein Wort <strong>und</strong> sorgte dafür, daß er si<strong>ch</strong> Jerusalem<br />

näherte, weil es beständig sein Wille blieb, <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem zu ziehen zur<br />

Kreuzestat. Da wurde er <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Zahl derer gefragt, die beim kommenden<br />

Geri<strong>ch</strong>t errettet <strong>und</strong> des ewigen Lebens teilhaft werden. 13,23a: Es sagte aber<br />

jemand zu ihm: Herr, sind die, die gerettet werden, wenigef<br />

Das war eine derjenigen Fragen, die Jesus immer abges<strong>ch</strong>nitten hat, weil sie<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit dem befassen, was uns Mens<strong>ch</strong>en aufgegeben ist, sondern mit<br />

dem, was einzig Gottes Sa<strong>ch</strong>e ist. Wenn unser Fragen unseren Beruf übers<strong>ch</strong>reitet,<br />

führt es uns immer au<strong>ch</strong> zu dem, was wir ni<strong>ch</strong>t verstehen können.<br />

Wobei wir ni<strong>ch</strong>ts zu tun haben, davon wissen wir au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts, da alles, was<br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Gottes Werk ist, für uns im Geheimnis steht. Au<strong>ch</strong> diesen Frager<br />

hat Jesus auf das zurückgebeugt, was ihn selbst angeht. 13,23b. 24a: Er<br />

aber sagte zu ihnen: Ringet, dur<strong>ch</strong> die enge Türe einzugehen! Statt daß der<br />

Blick ins Weite s<strong>ch</strong>weift <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> den anderen sieht <strong>und</strong> auf den S<strong>ch</strong>luß, den<br />

Gottes Regierung endli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>affen wird, hält Jesus unsere Sorge bei unserem<br />

eigenen Lebenslauf fest, ob wir in Gottes Rei<strong>ch</strong> eingehen. Darauf heißt er uns<br />

mit ganzem Ernst beda<strong>ch</strong>t sein; denn die Tür ist eng, kein großes, weites Tor,<br />

das auf den Zulauf von jedermann re<strong>ch</strong>nete. So gibt si<strong>ch</strong> Gott der Welt ni<strong>ch</strong>t<br />

hin. Dur<strong>ch</strong> einen Kampf wird dieser Preis erworben <strong>und</strong> nur von dem erlangt,<br />

der ihn ernstli<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>t. 13,24b: Denn viele, das sage i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>, werden wüns<strong>ch</strong>en<br />

hineinzukommen <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t dazu imstande sein. <strong>Die</strong> Dringli<strong>ch</strong>keit seiner<br />

Mahnung wird dadur<strong>ch</strong> stark, daß au<strong>ch</strong> unter denen, die <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Rei<strong>ch</strong>e begehren,<br />

viele es ni<strong>ch</strong>t empfangen. Zum Anteil an ihm rei<strong>ch</strong>t es no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm zu verlangen, als würden es nur die verfehlen, die si<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>gültig<br />

von ihm abwenden <strong>und</strong> an seiner Tür vorübergehen. Es will ni<strong>ch</strong>t nur begehrt,<br />

sondern in der ri<strong>ch</strong>tigen Weise begehrt <strong>und</strong> mit den re<strong>ch</strong>ten Mitteln errungen<br />

sein. Dabei hat Jesus ni<strong>ch</strong>t nur an Israel geda<strong>ch</strong>t, in dem ja ein heißes Verlangen<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Rei<strong>ch</strong> lebte. Immer wieder traf die Frage Jesu Ohr: Wann<br />

endli<strong>ch</strong> empfangen wir Gottes große Gaben? Glei<strong>ch</strong>wohl blieben sie ihm fern;<br />

denn sie s<strong>ch</strong>rieben Gott vor, wie er si<strong>ch</strong> offenbaren v<strong>und</strong> worin seine Gnade<br />

bestehen müsse, beharrten auf ihrer Meinung <strong>und</strong> wollten deshalb diejenige<br />

Gnade ni<strong>ch</strong>t, die ihnen erwiesen ward, den Gott ni<strong>ch</strong>t, der sein Werk in ihrer<br />

Mitte tat. So verlangten sie zwar <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Rei<strong>ch</strong> <strong>und</strong> fanden es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />

2 55


2 5 6 .<strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Aber au<strong>ch</strong> im eigenen Jüngerkreise sah Jesus ein Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit,<br />

das er ni<strong>ch</strong>t erfüllen will. Es gibt au<strong>ch</strong> bei ihnen eine fals<strong>ch</strong>e Hoffnung,<br />

die er zerstören wird.<br />

Wel<strong>ch</strong>es Hoffen trügli<strong>ch</strong> ist, sagt er mit einem Glei<strong>ch</strong>nis, das er sofort in die<br />

unmittelbare Anspra<strong>ch</strong>e an die Hörer überführt. Zuerst stand das Haus offen,<br />

<strong>und</strong> der Eintritt war den Gästen frei; dann erhob si<strong>ch</strong> der Hausherr <strong>und</strong><br />

s<strong>ch</strong>loß es zu. <strong>Die</strong> Zeit der Berufung endet. Jesus ri<strong>ch</strong>tet seinen Blick auf die<br />

St<strong>und</strong>e, in der seine Arbeit getan ist <strong>und</strong> er geht, viellei<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> weiter auf die<br />

St<strong>und</strong>e, in der er als Ri<strong>ch</strong>ter <strong>und</strong> Vollender wiederkommt. 13,25: Von dann<br />

an, wann der Hausherr aufstehen <strong>und</strong> die Tür vers<strong>ch</strong>ließen wird <strong>und</strong> ihr heginnen<br />

werdet, draußen zu stehen <strong>und</strong> an die Tür zu klopfen <strong>und</strong> zu sagen:<br />

Herr, öffne uns! wird er antworten <strong>und</strong> eu<strong>ch</strong> sagen: I<strong>ch</strong> weiß ni<strong>ch</strong>t, woher ihr<br />

seid. Au<strong>ch</strong> dann, wenn das Haus vers<strong>ch</strong>lossen ist, kommen no<strong>ch</strong> Besu<strong>ch</strong>er, die<br />

den Eintritt begehren, <strong>und</strong> Jesus sagt seinen Hörern: Ihr seid die, die zu spät<br />

kommen. Er beharrt aber dabei: Dann ist es zu spät. Da der Hausherr die<br />

Verspäteten als fremde Mens<strong>ch</strong>en abweist, die er ni<strong>ch</strong>t kennt, so berufen sie<br />

si<strong>ch</strong> auf ihre Bekannts<strong>ch</strong>aft mit ihm. 13,26: Dann werdet ihr heginnen zu<br />

sagen: wir aßen <strong>und</strong> tranken vor dir, <strong>und</strong> auf unseren Straßen lehrtest du.<br />

Jetzt zwar steht Jesus mit jedermann in fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>em Verkehr, hat allerlei<br />

Volk an seinem Tis<strong>ch</strong>, kehrt in Israels Häuser ein <strong>und</strong> benutzt den freien<br />

Raum vor diesen für seine Lehrarbeit. In seiner irdis<strong>ch</strong>en Gestalt war er für<br />

jedermann errei<strong>ch</strong>bar, <strong>und</strong> viele aus der Judens<strong>ch</strong>aft genossen mit allen seinen<br />

Jüngern seinen Umgang. Aber damit ist die bleibende <strong>und</strong> ewige Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit ihm no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gewonnen. So nah wie jetzt bleibt er ihnen ni<strong>ch</strong>t immer.<br />

Er tritt in die Ferne, steht in Gottes Herrli<strong>ch</strong>keit ho<strong>ch</strong> über ihnen, <strong>und</strong> wenn<br />

sie ni<strong>ch</strong>ts anderes haben, was sie mit ihm verbände, als diese natürli<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft,<br />

bleiben sie von ihm getrennt. 13,27: Und er wird eu<strong>ch</strong> sagen: I<strong>ch</strong><br />

weiß ni<strong>ch</strong>t, woher ihr seid. Wei<strong>ch</strong>t von mir alle, die ihr Ungere<strong>ch</strong>tigkeit tut!<br />

Obwohl sie Jesus bei si<strong>ch</strong> haben <strong>und</strong> mit ihm zusammenleben, blieben sie beim<br />

Unre<strong>ch</strong>ttun <strong>und</strong> ließen si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong>, daß sie ihn kannten, ni<strong>ch</strong>t zur Buße<br />

führen. Ohne die Buße gibt es aber keinen Eingang in sein Rei<strong>ch</strong>. Für die, die<br />

zwar <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Rei<strong>ch</strong> begehren, ja von Jesus dieses begehren, aber an der<br />

Sünde ihre Lust haben, vers<strong>ch</strong>ließt er sein Haus. Darum mahnt er, <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem<br />

Anteil an Gottes Werk zu ringen, weil nur der es empfangen wird, der vom<br />

Unre<strong>ch</strong>ttun losgekommen ist <strong>und</strong> Gottes Willen tut.<br />

<strong>Die</strong>ses Wort hat Verwandts<strong>ch</strong>aft mit dem Spru<strong>ch</strong>, dur<strong>ch</strong> den Jesus am S<strong>ch</strong>luß<br />

der Bergpredigt, Matthäus 7,23, die unreine Zuversi<strong>ch</strong>t zu ihm geri<strong>ch</strong>tet hat.<br />

Do<strong>ch</strong> trifft der von Matthäus gegebene Spru<strong>ch</strong> den mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Irrweg no<strong>ch</strong>


<strong>Lukas</strong> 13,25—32a 257<br />

gewaltiger, weil er ni<strong>ch</strong>t nur von der natürli<strong>ch</strong>en Bekannts<strong>ch</strong>aft mit Jesus, sondern<br />

vom Empfang der mä<strong>ch</strong>tigen Erweisungen der göttli<strong>ch</strong>en Gnade in Jesu<br />

Namen spri<strong>ch</strong>t. Denno<strong>ch</strong> kann es dazu kommen, daß der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Gottes<br />

"Willen, sondern das Unre<strong>ch</strong>t tut. No<strong>ch</strong> viel mehr gilt dies von denen, die s<strong>ch</strong>on<br />

damit zufrieden sind, daß au<strong>ch</strong> sie im Kreis der Jünger stehen <strong>und</strong> den Umgang<br />

Jesu genießen <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>on daraufhin sein Rei<strong>ch</strong> mit allen seinen Gnaden<br />

<strong>und</strong> Gaben begehren <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t darauf a<strong>ch</strong>ten, ob sie mit ihm au<strong>ch</strong> im Gehorsam<br />

gegen den Vater eins seien oder denno<strong>ch</strong> inwendig seine Widersa<strong>ch</strong>er<br />

blieben, weil sie Widersa<strong>ch</strong>er des göttli<strong>ch</strong>en Gebots geblieben sind.<br />

Darauf verkündigt Jesus ähnli<strong>ch</strong> wie Matthäus 8,11.12 den Auss<strong>ch</strong>luß Israels<br />

aus Gottes Rei<strong>ch</strong>. 13,28. 29: Dort wird das Weinen <strong>und</strong> das Klirren der<br />

Zähne sein, wenn ihr Abraham, Isaak <strong>und</strong> Jakob <strong>und</strong> alle Propheten in Gottes<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft, eu


2 5 8 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

daß er nur ein kleines, s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>es Raubtier ist. Viel Ma<strong>ch</strong>t hat Herodes ni<strong>ch</strong>t,<br />

glei<strong>ch</strong>t aber immerhin einem Raubtier, das beißt, raubt <strong>und</strong> tötet, wo es kann;<br />

kann er es ni<strong>ch</strong>t mit Gewalt, dann mit List. Jesus kennt ihn, erwartet ni<strong>ch</strong>ts<br />

Gutes von ihm, hat aber au<strong>ch</strong> vor ihm keine Angst. 13,32b, 33 : Sieh! i<strong>ch</strong> treibe<br />

die Geister weg <strong>und</strong> vollende Heilungen heut <strong>und</strong> morgen, <strong>und</strong> am dritten Tag<br />

werde i<strong>ch</strong> vollendet; i<strong>ch</strong> muß jedo<strong>ch</strong> heut <strong>und</strong> morgen <strong>und</strong> übermorgen wandern,<br />

weil es ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist, daß ein Prophet außerhalb Jerusalems umkomme.<br />

"Wohltat übt er, ni<strong>ch</strong>ts als "Wohltat. Er gewährt den Geplagten den<br />

S<strong>ch</strong>utz gegen s<strong>ch</strong>limme Geister <strong>und</strong> rei<strong>ch</strong>t Leidenden die Heilung dar. "Was liegt<br />

darin für ein Gr<strong>und</strong>, ihn zu hassen <strong>und</strong> zu töten? Und dies tut er nur kurze<br />

Zeit, heut <strong>und</strong> morgen; übermorgen s<strong>ch</strong>on ist seine Zeit abgelaufen. Er nennt<br />

den dritten Tag als andeutende Bes<strong>ch</strong>reibung der ras<strong>ch</strong> zum Ziele eilenden<br />

Frist. Herodes hat ni<strong>ch</strong>t nötig, Mordgedanken zu hegen <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> mit bösem<br />

Haß an ihm zu vergreifen. Er wird bald gehen, <strong>und</strong> die Zeit, in der er als der<br />

Heilende unter dem Volke steht, ist glei<strong>ch</strong> vorüber. Freili<strong>ch</strong>, zuerst muß er<br />

no<strong>ch</strong> wandern; denn anderswo als in Jerusalem kann er ni<strong>ch</strong>t sterben. Sie ist<br />

die Stadt, in der die Propheten umkommen.<br />

Herodes will di<strong>ch</strong> töten! sagten die Pharisäer; nein! antwortete Jesus, euer<br />

Jerusalem tut dies. Davor flieht er aber ni<strong>ch</strong>t; dorthin wandert er. Bald hat er<br />

dieses Ziel errei<strong>ch</strong>t; dann ist Herodes beruhigt, die Pharisäer au<strong>ch</strong>; aber dann<br />

ist au<strong>ch</strong> offenbar geworden, daß Jerusalem umsonst berufen ist. Deshalb<br />

s<strong>ch</strong>ließt hier <strong>Lukas</strong> Jesu s<strong>ch</strong>merzerfüllte Klage um Jerusalem an, mit der<br />

Matthäus Jesö letzte Büß- <strong>und</strong> Geri<strong>ch</strong>tsrede im Tempel ges<strong>ch</strong>lossen hat. 13,34.<br />

35: Jerusalem, Jerusalem, die die Propheten tötet <strong>und</strong> die zu ihr Gesandten<br />

steinigt, wie oft wollte i<strong>ch</strong> deine Kinder sammeln, wie ein Vogel seine Jungen<br />

unter die Flügel sammelt, <strong>und</strong> ihr habt ni<strong>ch</strong>t gewollt. Seht! euer Haus wird<br />

für eu<strong>ch</strong> zum verlassenen werden. I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong> aber: Ihr werdet mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

sehen, bis der Tag kommen wird, an dem ihr spre<strong>ch</strong>t: Gesegnet ist der, der im<br />

Namen des Herrn kommt!<br />

Das Gastmahl beim Pharisäer<br />

Immer wieder entstand am Sabbat der Streit, weil Jesus au<strong>ch</strong> dann das<br />

Lieben <strong>und</strong> Helfen ni<strong>ch</strong>t ließ, so sehr er si<strong>ch</strong> sonst mit williger Geduld in die<br />

Weise Israels hineinließ <strong>und</strong> ihm Ärgernis ersparte. Aber hier war das, worum<br />

gekämpft wurde, zu wi<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>loß s<strong>ch</strong>weigende Na<strong>ch</strong>giebigkeit aus. Es<br />

handelte si<strong>ch</strong> ja um Gottes Gebot <strong>und</strong> "Willen, um den Sinn des Gesetzes, um<br />

das, was der re<strong>ch</strong>te <strong>Die</strong>nst Gottes sei.<br />

14,1: Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er in das Haus eines der Obersten der Pharisäer


<strong>Lukas</strong> 13,32b—35; 14,1—10 259<br />

kam, um am Sabbat zu essen, da paßten sie ihm auf. Der Sabbat wurde gern<br />

von den Juden zum Gastmahl benutzt, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem alles, was auf den Tis<strong>ch</strong> kam,<br />

am Tag vorher gerüstet war. <strong>Die</strong>smal war Jesus ni<strong>ch</strong>t nur bei einem gewöhnli<strong>ch</strong>en<br />

Glied der pharisäis<strong>ch</strong>en Genossens<strong>ch</strong>aft zu Gast, sondern bei einem<br />

Mann, der in ihr wegen seiner besonders pünktli<strong>ch</strong>en Gesetzeserfüllung Ansehen<br />

besaß. 14,2.3: Und sieh! ein wassersü<strong>ch</strong>tiger Mens<strong>ch</strong> war vor ihm. Und<br />

Jesus antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu den Lehrern des Gesetzes <strong>und</strong> den Pharisäern:<br />

Darf man am Sabbat heilen oder ni<strong>ch</strong>t? Sie aber s<strong>ch</strong>wiegen. Dur<strong>ch</strong> die Gegenwart<br />

des "Wassersü<strong>ch</strong>tigen war ihm der Antrieb zum Helfen gegeben, ohne daß<br />

er selbst ihn gesu<strong>ch</strong>t hatte. Er bekam aber au<strong>ch</strong> in diesem Kreis, in dem die<br />

hö<strong>ch</strong>ste Kenntnis <strong>und</strong> Übung der pharisäis<strong>ch</strong>en Weisheit beisammen war, auf<br />

seine Frage, ob der Sabbat das Heilen zur Sünde ma<strong>ch</strong>e, keine Antwort. Bei<br />

der Überlieferung war darüber kein Rat zu holen, weil ja no<strong>ch</strong> niemand in<br />

sol<strong>ch</strong>er "Weise mit Gottes Ma<strong>ch</strong>t die Heilung gegeben hatte, <strong>und</strong> auf ihr eigenes<br />

Gewissen wagten sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu verlassen. Jesus heilte den Kranken <strong>und</strong><br />

ma<strong>ch</strong>te es ihnen dann in derselben "Weise, wie wir es Matthäus 12,11.12 lasen,<br />

zum Vorwurf, daß sie zwar ihren Angehörigen helfen, nur anderen ni<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong><br />

ihren Tieren, nur Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t. 14,4—6: Und er faßte ihn an, heilte ihn <strong>und</strong><br />

ließ ihn gehen. Und zu ihnen sagte er: Wem von eu<strong>ch</strong> wird ein Sohn oder ein<br />

Rind am Tag des Sabbats in den Brunnen fallen, die er ni<strong>ch</strong>t sofort herauszöge?<br />

Und sie vermo<strong>ch</strong>ten ihm darauf ni<strong>ch</strong>t zu erwidern.<br />

"Waren Fromme <strong>und</strong> Lehrer zu gemeinsamem Mahle vereinigt, dann galt<br />

die Abmessung der Ehre, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der die Sitzordnung für jeden bestimmt wurde,<br />

für ein gewi<strong>ch</strong>tiges Ges<strong>ch</strong>äft. "Wer den ersten Sitz erhielt, dem war dadur<strong>ch</strong><br />

das Zeugnis besonderer Ehrwürdigkeit <strong>und</strong> Heiligkeit erteilt. 14,7—10: Er<br />

sagte aber zu den Geladenen ein Glei<strong>ch</strong>nis, indem er darauf a<strong>ch</strong>tete, wie sie für<br />

si<strong>ch</strong> die ersten Sitze wählten, <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Wenn du von jemand zum<br />

Fest geladen bist, lege di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf den ersten Sitz nieder, damit ni<strong>ch</strong>t ein<br />

Würdigerer als du von ihm geladen sei <strong>und</strong> der, der di<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ihn geladen hat,<br />

komme <strong>und</strong> dir sage: Gib diesem den Platz, <strong>und</strong> dann wirst du beginnen, mit<br />

S<strong>ch</strong>ande den letzten Platz zu haben. Sondern wenn du geladen bist, geh, laß<br />

di<strong>ch</strong> auf dem letzten Platz nieder, damit der, der di<strong>ch</strong> geladen hat, wenn er<br />

kommt, dir sage: Fre<strong>und</strong>, rücke höher hinauf! Dann wird dir Ehre zuteil werden<br />

vor allen, die mit dir am Tis<strong>ch</strong> liegen. Jesus sagt den eifrig um ihre Ehre<br />

Besorgten: Ihr ma<strong>ch</strong>t es verkehrt. Ihr begehrt <strong>na<strong>ch</strong></strong> Ehre <strong>und</strong> bringt eu<strong>ch</strong> selber<br />

um sie. Ihr setzt eu<strong>ch</strong> zu oberst hin; dann müßt ihr heruntersteigen eu<strong>ch</strong> zur<br />

Bes<strong>ch</strong>ämung. Setzt eu<strong>ch</strong> auf den letzten Platz; dann mag es eu<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t begegnen,<br />

daß man eu<strong>ch</strong> hinaufrücken heißt eu<strong>ch</strong> zur Ehre. Glei<strong>ch</strong>zeitig erhebt


2 6o <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Jesus ihren Blick von den kleinen Dingen des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verkehrs zur großen<br />

Ordnung Gottes hinauf, die für alles gilt. 14,11 : Denn jeder, der si<strong>ch</strong> selbst<br />

erhöht, wird erniedrigt werden, <strong>und</strong> twer si<strong>ch</strong> selbst erniedrigt, wird erhöht<br />

werden. Größe, Bedeutung, Ehre, die der Mens<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selber gibt, zerfällt<br />

immer <strong>und</strong> ist ni<strong>ch</strong>t nur kein Gewinn, sondern ma<strong>ch</strong>t sinken. Wenn der, der<br />

beim Gastmahl ni<strong>ch</strong>t warten kann, sondern si<strong>ch</strong> selbst an den Ehrenplatz setzt,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>her bes<strong>ch</strong>ämt <strong>na<strong>ch</strong></strong> unten geht, so spiegelt si<strong>ch</strong> im kleinen Vorgang ab, was<br />

überall im Mens<strong>ch</strong>enleben ges<strong>ch</strong>ieht <strong>und</strong> Gottes Regierung überall wirkt.<br />

Immer zerbri<strong>ch</strong>t an ihr jede Höhe, die der Mens<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selbst vers<strong>ch</strong>afft. Wer<br />

si<strong>ch</strong> aber unten hält, los von der Su<strong>ch</strong>t, etwas aus si<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> für si<strong>ch</strong> zu<br />

begehren, <strong>und</strong> ins Geringe seine Treue legt dem Zug der Liebe gehorsam, die<br />

den S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Armen trägt <strong>und</strong> hebt, der ist auf dem Weg zur wahren<br />

Größe <strong>und</strong> Ehre, zu der, die Gott gibt. Ohne den gewissen <strong>und</strong> beharrli<strong>ch</strong>en<br />

Blick auf Gott wird freili<strong>ch</strong> niemand diesen Weg gehen, niemand Jesu Wort<br />

für ri<strong>ch</strong>tig halten. Auf die eigene Erhöhung verzi<strong>ch</strong>tet einzig der, der nur begehrt,<br />

was Gott ihm gibt.<br />

Seinem Gastgeber gab Jesus no<strong>ch</strong> einen anderen Rat. 14,12—14: Er sagte<br />

aber au<strong>ch</strong> zu dem, der ihn geladen hatte: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl<br />

hältst, rufe ni<strong>ch</strong>t deine Fre<strong>und</strong>e, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t deine Brüder, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t deine<br />

Verwandten, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t rei<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>barn, damit ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> sie zum Dank di<strong>ch</strong><br />

einladen <strong>und</strong> dir Vergeltung zuteil werde, sondern wenn du eine Einladung<br />

veranstaltest, so lade Arme, Krüppel, Lahme, Blinde, <strong>und</strong> du wirst selig sein,<br />

weil sie dir ni<strong>ch</strong>t vergelten können; denn es wird dir in der Auferstehung der<br />

Gere<strong>ch</strong>ten vergolten werden. Jesus sieht, daß die Gäste alle unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt<br />

eingeladen wurden, ob sie die Einladung au<strong>ch</strong> zurückgeben können.<br />

Wie s<strong>ch</strong>ade! sagt Jesus. So hast du ni<strong>ch</strong>ts davon. Er zählt ihm andere Gäste<br />

auf, die der Freude bedürftig <strong>und</strong> für sie dankbar sind. <strong>Die</strong>, die ihm Jesus<br />

nennt, laden ihn ni<strong>ch</strong>t wieder ein, <strong>und</strong> nun hat er selbst wirkli<strong>ch</strong>en Gewinn:<br />

bei der Auferstehung der Gere<strong>ch</strong>ten. Das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Auge sieht nur die<br />

Spanne des irdis<strong>ch</strong>en Lebens, su<strong>ch</strong>t hier seinen Vorteil, für<strong>ch</strong>tet hier den Na<strong>ch</strong>teil<br />

<strong>und</strong> denkt ni<strong>ch</strong>t weiter. Jesus sieht auf das bleibende Leben, in das wir als<br />

die Auferstandenen treten, mö<strong>ch</strong>te, daß wir dieses empfangen <strong>und</strong> dort eine<br />

rei<strong>ch</strong>e Ernte finden au<strong>ch</strong> aus dem, was wir hier auf Erden tun. Er heißt die<br />

Fru<strong>ch</strong>t der liebe unvergängli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ihren Segen so rei<strong>ch</strong>, daß er si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dorthin<br />

erstreckt, wo die Gere<strong>ch</strong>ten zur vollendeten Gemeinde vereinigt sind.<br />

14,1 j: Als aber einer derer, die mit am Tis<strong>ch</strong> lagen, das hörte, sagte er zu<br />

ihm: Selig ist, wer in Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft speisen wird. Vom Mahl, das sie jetzt<br />

halten, sah er mit lebhaftem Verlangen zu dem Mahl hinüber, von dem au<strong>ch</strong>


<strong>Lukas</strong> I4,ii—24 261<br />

Jesus 13,28 gespro<strong>ch</strong>en hat, wo Patriar<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Propheten <strong>und</strong> alle, die zur<br />

ewigen Gemeinde gehören, an Gottes Tis<strong>ch</strong> vereinigt sind. Das war aber diejenige<br />

Hoffnung auf Gottes Rei<strong>ch</strong>, der Jesus zugerufen hat: Viele werden begehren<br />

hineinzukommen <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t dazu imstande sein! Mit wonnigem Ergötzen<br />

genießt sie seine Seligkeit s<strong>ch</strong>on jetzt <strong>und</strong> vera<strong>ch</strong>tet denno<strong>ch</strong> die Einladung<br />

zu ihm <strong>und</strong> vers<strong>ch</strong>erzt es um ni<strong>ch</strong>tiger Dinge willen. Für diese Männer<br />

erhielt Jesu Büß wort besondere Kraft, das ihnen vorhielt, wie gerade sie, die<br />

si<strong>ch</strong> jetzt s<strong>ch</strong>on auf das herrli<strong>ch</strong>e Fest Gottes freuen, es preisgeben. 14,16—21a:<br />

Er aber sagte zu ihm: Ein Mens<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>te ein großes Mahl <strong>und</strong> lud viele ein<br />

<strong>und</strong> sandte zur St<strong>und</strong>e des Mahls seinen Kne<strong>ch</strong>t, um den Geladenen zu sagen:<br />

Kommt; denn es ist s<strong>ch</strong>on bereit. Und sie begannen alle ohne Ausnahme, si<strong>ch</strong><br />

zu ents<strong>ch</strong>uldigen. Der erste sagte zu ihm: I<strong>ch</strong> habe einen Acker gekauft, <strong>und</strong> es<br />

ist notwendig, daß i<strong>ch</strong> hinausgehe <strong>und</strong> ihn ansehe. I<strong>ch</strong> bitte di<strong>ch</strong>, halte mi<strong>ch</strong> für<br />

ents<strong>ch</strong>uldigt! Und ein anderer sagte: Fünf Paar O<strong>ch</strong>sen habe i<strong>ch</strong> gekauft, <strong>und</strong><br />

i<strong>ch</strong> gehe, um sie zu erproben. I<strong>ch</strong> bitte di<strong>ch</strong>, halte mi<strong>ch</strong> für ents<strong>ch</strong>uldigt! Und<br />

ein anderer sagte: I<strong>ch</strong> habe eine Frau geheiratet <strong>und</strong> kann deshalb ni<strong>ch</strong>t kommen.<br />

Und der Kne<strong>ch</strong>t kam zurück <strong>und</strong> meldete dies seinem Herrn. So zog jeder<br />

sein eigenes Gut <strong>und</strong> Glück dem vor, was ihm der Gastgeber geben wollte, <strong>und</strong><br />

sah in der Teilnahme an seinem Mahl nur eine Last, der er si<strong>ch</strong> entzieht. Sie<br />

sind das Bild derer, denen Jesus dieses Glei<strong>ch</strong>nis sagte. Israel ist längst zum<br />

Rei<strong>ch</strong> geladen dur<strong>ch</strong> das prophetis<strong>ch</strong>e Wort <strong>und</strong> wird jetzt zu ihm berufen<br />

dur<strong>ch</strong> Jesu <strong>Die</strong>nst; aber sie s<strong>ch</strong>lagen es aus.<br />

Denno<strong>ch</strong> wird das Mahl gehalten. 14,210—24: Da wurde der Hausherr<br />

zornig <strong>und</strong> sagte zu seinem Kne<strong>ch</strong>t: Geh ras<strong>ch</strong> hinaus auf die Straßen <strong>und</strong><br />

Gassen der Stadt, <strong>und</strong> führe die Armen <strong>und</strong> Krüppel <strong>und</strong> Blinden <strong>und</strong> Lahmen<br />

hierher. Und der Kne<strong>ch</strong>t sagte: Herr, es ist ges<strong>ch</strong>ehen, was du befahlst, <strong>und</strong> es<br />

ist no<strong>ch</strong> Raum. Und der Herr sagte zu dem Kne<strong>ch</strong>t: Geh hinaus auf die Wege<br />

<strong>und</strong> an die Zäune, <strong>und</strong> nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll<br />

werde. Denn i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Keiner jener Männer, die geladen waren, wird von<br />

meinem Mahl kosten. Der zuerst Berufene war Israel, dem die Verheißung<br />

gegeben ist, dem au<strong>ch</strong> Jesus sein ganzes irdis<strong>ch</strong>es Leben widmete. So sind die<br />

Krüppel <strong>und</strong> Obda<strong>ch</strong>losen, die ni<strong>ch</strong>t zu den geladenen Gästen gehören, die, die<br />

si<strong>ch</strong> von Ost <strong>und</strong> "West mit den Vätern an Gottes Tis<strong>ch</strong> setzen werden. Jesus<br />

spri<strong>ch</strong>t die Berufung der Heiden in Gottes Rei<strong>ch</strong> aus, <strong>und</strong> zwar dur<strong>ch</strong> seinen<br />

<strong>Die</strong>nst. Obwohl er auf dem Kreuzesweg ist, wird denno<strong>ch</strong> dies der Lohn seiner<br />

Arbeit sein, daß die Heiden zu Gottes Rei<strong>ch</strong> gelangen. Dasselbe Glei<strong>ch</strong>nis, nur<br />

in dem einen Zug hier, im anderen dort etwas stärker ausgeführt, steht bei<br />

Matthäus unter den letzten "Worten Jesu im Tempel, 22,iff., ähnli<strong>ch</strong> wie au<strong>ch</strong>


2O2 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem x<br />

Jesu Weheruf über die Pharisäer bei Matthäus den Abs<strong>ch</strong>ied Jesu vom Tempel<br />

kennzei<strong>ch</strong>net. <strong>Lukas</strong> war es si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> von Wi<strong>ch</strong>tigkeit, daß Jesus den Pharisäern<br />

au<strong>ch</strong> im persönli<strong>ch</strong>en Umgang <strong>und</strong> geselligen Verkehr die Augen für den<br />

Ernst der Zeit geöffnet hat. Der zweite Teil des Glei<strong>ch</strong>nisses, der bes<strong>ch</strong>reibt,<br />

wie Gott au<strong>ch</strong> an der neu <strong>und</strong> frei berufenen Gemeinde seine Gnade heiligen<br />

wird, ist bei Matthäus vortreffli<strong>ch</strong> begründet, da er die Übersi<strong>ch</strong>t über die<br />

große Wendung in der Anbietung des göttli<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>s vollständig ma<strong>ch</strong>t,<br />

ginge aber bei <strong>Lukas</strong> über das hinaus, was Jesu Hörer jetzt unmittelbar berührt.<br />

Jesu Anspru<strong>ch</strong> an die Jünger<br />

14,25.26: Es zogen aber große S<strong>ch</strong>aren mit ihm, <strong>und</strong> er wandte si<strong>ch</strong> <strong>und</strong><br />

sagte zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t seinen Vater <strong>und</strong> seine<br />

Mutter <strong>und</strong> seine Frau <strong>und</strong> seine Kinder <strong>und</strong> seine Brüder <strong>und</strong> seine S<strong>ch</strong>western<br />

haßt <strong>und</strong> dazu seine eigene Seele, so kann er ni<strong>ch</strong>t mein Jünger sein. Da<br />

immer wieder große S<strong>ch</strong>aren Jesus <strong>na<strong>ch</strong></strong>zogen, stritt er gegen ihre Selbsttäus<strong>ch</strong>ungen<br />

<strong>und</strong> Einbildungen, mit denen sie si<strong>ch</strong> seine Jüngers<strong>ch</strong>aft als lei<strong>ch</strong>t <strong>und</strong><br />

vorteilhaft vorstellten. Er zählt ihnen auf, was der alles hassen müsse, der zu<br />

ihm komme, um sein Jünger zu sein: alle Glieder des eigenen Hauses ohne<br />

Ausnahme, alle, die ihm lieb <strong>und</strong> teuer sind, <strong>und</strong> sogar die eigene Seele! Wer<br />

jemand haßt, handelt ihm zuwider, s<strong>ch</strong>lägt ihm seine Wüns<strong>ch</strong>e ab, dur<strong>ch</strong>kreuzt<br />

seinen Willen, tut ihm weh <strong>und</strong> ist bereit, ihm zu s<strong>ch</strong>aden. Kein Mens<strong>ch</strong>, sagt<br />

uns Jesus, darf eu<strong>ch</strong> so lieb sein, daß ihr ihm das ni<strong>ch</strong>t antun könntet, au<strong>ch</strong> ihr<br />

eu<strong>ch</strong> selber ni<strong>ch</strong>t. Alle Fesseln zerreißt er, die, die uns an unsere Lieben binden,<br />

ni<strong>ch</strong>t weniger vollständig als die, die uns an unsere Habe ketten; denn ein geteiltes<br />

Herz bleibt ni<strong>ch</strong>t bei ihm. Der Wille unseres Vaters ist uns heilig; wer<br />

ihn ni<strong>ch</strong>t übertreten kann, wird dahin kommen, daß er dem Vater, ni<strong>ch</strong>t Jesus<br />

gehor<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> Bitte der Frau ergreift uns das Herz; wer ni<strong>ch</strong>t die Kraft hat, sie<br />

ihr zu versagen, wird ihr treu, Jesus untreu werden. Das Wohl der Kinder ist<br />

unser inniges Anliegen; wer darauf ni<strong>ch</strong>t zu verzi<strong>ch</strong>ten vermag, wird si<strong>ch</strong> beugen,<br />

wo er wagen muß. Unser Leben zu s<strong>ch</strong>onen <strong>und</strong> zu pflegen ist unser Bemühen;<br />

wer es ni<strong>ch</strong>t opfern kann, wird si<strong>ch</strong> dem Ruf Jesu entziehen.<br />

Alles bleibt den Unsrigen gewahrt, was ihnen gebührt: die zarteste Rücksi<strong>ch</strong>t,<br />

der treueste <strong>Die</strong>nst. Mit Gift <strong>und</strong> Bosheit hat dasjenige Hassen, das der<br />

Jünger Jesu nötig hat, ni<strong>ch</strong>ts gemein. Er hat so rein <strong>und</strong> so herrli<strong>ch</strong> aus Gottes<br />

Liebe heraus geredet, daß au<strong>ch</strong> dieses Wort vom Verda<strong>ch</strong>t völlig unberührt<br />

bleibt, als könnten wir Selbstsu<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Bitterkeit damit decken. Glei<strong>ch</strong>wohl ist<br />

das Wort „Hassen" hier mit gutem Beda<strong>ch</strong>t gewählt, weil es uns ein deutli<strong>ch</strong>es<br />

Maß für die Selbständigkeit <strong>und</strong> Freiheit gibt, in die uns Jesus gegen alle, au<strong>ch</strong>


<strong>Lukas</strong> 14,25—32 263<br />

die uns teuersten Mens<strong>ch</strong>en, stellt, wodur<strong>ch</strong> wir Mut <strong>und</strong> Kraft besitzen, au<strong>ch</strong><br />

das im Gehorsam Jesu zu tun, was sie tief betrübt <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>wer verletzt. <strong>Die</strong>, die<br />

keinen anderen Herrn haben, die hat er zu si<strong>ch</strong> gerufen, damit er Herr über sie<br />

sei. Unsere Feinde heißt uns Jesus lieben; unsere Angehörigen heißt er uns<br />

hassen. Beide Worte drücken zusammen die Vollständigkeit <strong>und</strong> Reinheit derjenigen<br />

Liebe aus, die Jesus verlangt. Er ma<strong>ch</strong>t diese von allen Begrenzungen "<br />

frei, sowohl von denen, die der Haß unserer Feinde ihr bringt, als von denen,<br />

die die Liebe der Unsrigen ihr auferlegen will. Weder die Bosheit no<strong>ch</strong> die<br />

Zärtli<strong>ch</strong>keit überwältigt sie. Gegen jene bewahrt sie ihre Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit, gegen<br />

diese ihre Freiheit <strong>und</strong> ihren Ernst. Man darf ni<strong>ch</strong>t sagen, dieses Wort habe<br />

bloß für die ersten Zeiten oder nur für besondere Fälle Wi<strong>ch</strong>tigkeit. Es leu<strong>ch</strong>tet<br />

wie alle Worte Jesu in unseren ganzen Lebenslauf hinein <strong>und</strong> ordnet alle unsere<br />

Verhältnisse. Es läßt uns gegen keinen Mens<strong>ch</strong>en eine sol<strong>ch</strong>e Liebe zu, die<br />

nur Ergebenheit, nur Willfährigkeit, nur <strong>Die</strong>nstfertigkeit wäre, sondern gibt<br />

all unserem Lieben dasjenige Maß, wodur<strong>ch</strong> uns Kraft zum Widerstand au<strong>ch</strong><br />

gegen unsere Liebsten bleibt. Im letzten Gr<strong>und</strong>e fließt diese Pfli<strong>ch</strong>t aus der alle<br />

umfassenden Sündhaftigkeit. Wäre der Wille des Vaters ganz eins mit Gottes<br />

Willen <strong>und</strong> der Sinn der Frau ganz eins mit Gottes Sinn, so müßte vom<br />

Hassen hier ni<strong>ch</strong>t die Rede sein. Als ganz eins mit Gottes Sinn <strong>und</strong> Willen tritt<br />

aber nur Jesus vor uns hin, <strong>und</strong> darum fordert er unsere ganze Liebe nur<br />

für si<strong>ch</strong>.<br />

14,27: Wer ni<strong>ch</strong>t sein Kreuz aufnimmt <strong>und</strong> mir <strong>na<strong>ch</strong></strong>geht, kann ni<strong>ch</strong>t mein.<br />

Jünger sein. Wie der, der das Kreuz auf der S<strong>ch</strong>ulter hat, befreit von der ganzen<br />

Welt, befreit <strong>und</strong> abges<strong>ch</strong>ieden au<strong>ch</strong> von si<strong>ch</strong> selbst soll der Jünger mit<br />

Jesus gehen. Darum ermahnt Jesus die, die si<strong>ch</strong> zu ihm drängten, si<strong>ch</strong> wohl zu<br />

überlegen, ob sie in seine Jüngers<strong>ch</strong>aft zu treten vermögen. Es ist eine große<br />

Sa<strong>ch</strong>e, mit ihm zu gehen <strong>und</strong> bei ihm zu bleiben. Besser ist es, ni<strong>ch</strong>t anzufangen,<br />

als ni<strong>ch</strong>t zu vollenden. 14,28—32: Denn wer unter eu<strong>ch</strong> sitzt ni<strong>ch</strong>t zuerst hin,<br />

wenn er einen Turm bauen will, <strong>und</strong> bere<strong>ch</strong>net die Kosten, ob er genug zu<br />

seiner Vollendung habe, damit ni<strong>ch</strong>t etwa, wenn er den- Gr<strong>und</strong> gelegt hat <strong>und</strong><br />

ihn ni<strong>ch</strong>t fertig ma<strong>ch</strong>en kann, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten<br />

<strong>und</strong> zu sagen: <strong>Die</strong>ser Mens<strong>ch</strong> begann zu bauen <strong>und</strong> vermo<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t, es fertig<br />

zu ma<strong>ch</strong>en? Oder wel<strong>ch</strong>er König, der auszieht, um mit einem anderen König<br />

zum Kampf zusammenzutreffen, wird si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zuerst hinsetzen <strong>und</strong> beraten,<br />

ob er imstande sei, mit zehntausend dem entgegenzutreten, der mit zwanzigtausend<br />

gegen ihn zieht? Sonst wird er, wenn er no<strong>ch</strong> ferne ist, eine Gesandts<strong>ch</strong>aft<br />

s<strong>ch</strong>icken <strong>und</strong> um Frieden bitten. Obwohl dieses Wort von Jesu Jüngers<strong>ch</strong>aft<br />

abmahnt, ja abs<strong>ch</strong>reckt, offenbart au<strong>ch</strong> dieses seinen Heilandssinn. Es


264 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

lag Jesus am Herzen, niemand in die Sünde zu stoßen, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong>, daß<br />

er in seine Jüngers<strong>ch</strong>aft tritt, ohne daß er dazu die Kraft <strong>und</strong> den Glauben hat.<br />

Darum rät er dem S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en: Sei s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>! dem Geb<strong>und</strong>enen: Stelle di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

stark; wie er zu den Fastenden sagte: Trinkt den alten, milden Wein! Aus der<br />

Überhebung <strong>und</strong>.der si<strong>ch</strong> selbst täus<strong>ch</strong>enden Unwahrhaftigkeit fließen lei<strong>ch</strong>t<br />

die großen Sünden, s<strong>ch</strong>werer, ja unheilbarer Fall.<br />

So nämli<strong>ch</strong>, wie jener Erbauer des Turms, der zuerst seine Mittel bere<strong>ch</strong>net<br />

<strong>und</strong> nur dann den Bau unternimmt, oder wie jener König, der zuerst seine<br />

Kriegsrüstung prüft <strong>und</strong> nur so den Kampf wagt, haben es alle zu ma<strong>ch</strong>en, die<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Jüngers<strong>ch</strong>aft verlangen. 14,33: Ebenso kann nur der aus eu<strong>ch</strong>, der<br />

si<strong>ch</strong> von allem, was er hat, lossagt, mein Jünger sein. Damit ist uns genannt,<br />

wie wir die Mittel zum Bau besitzen <strong>und</strong> zum Sieg gerüstet sind: dadur<strong>ch</strong>, daß<br />

wir los von allem sind. <strong>Die</strong> Ausrüstung zum si<strong>ch</strong>eren, bleibenden Jüngerdienst<br />

besteht darin, daß wir als -die frei Gewordenen zu ihm treten, die auf ihn sehen<br />

<strong>und</strong> sonst auf niemand <strong>und</strong> auf ni<strong>ch</strong>ts.<br />

Warum man si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t lei<strong>ch</strong>tfertig mit geb<strong>und</strong>enem Herzen <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>wankender<br />

liebe in Jesu Jüngers<strong>ch</strong>aft drängen kann, warum er nur den kommen<br />

heißt, der gegen alles frei geworden ist, zeigt uns <strong>Lukas</strong> mit tiefem Einblick in<br />

Jesu Wort dadur<strong>ch</strong>, daß er hier den Spru<strong>ch</strong> vom Salz einsetzt. 14,34.35: ^ ut<br />

ist das Salz; wenn aber das Salz fade wird, womit soll es gewürzt werden?<br />

Weder für den Boden no<strong>ch</strong> für den Mist ist es brau<strong>ch</strong>bar. Man s<strong>ch</strong>üttet es hinaus.<br />

Wer Ohren hat, damit er höre, höre! Daß der Beruf der Jünger heilig<br />

<strong>und</strong> ihr Werk groß <strong>und</strong> herrli<strong>ch</strong> ist, eben dies ma<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> den Sturz desjenigen<br />

Jüngers s<strong>ch</strong>wer, der es versäumt <strong>und</strong> flieht.<br />

Jesus re<strong>ch</strong>tfertigt seine Arbeit an den Sündern<br />

15,1 : Alle Zöllner <strong>und</strong> Sünder kamen aber zu ihm heran, um ihn zu hören.<br />

Ni<strong>ch</strong>t, daß in ihnen allen die Ma<strong>ch</strong>t der Sünde gebro<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> allen Glauben<br />

gegeben ward, sagt <strong>Lukas</strong>; aber das sagt er zu Jesu Ruhm, daß alle die Geä<strong>ch</strong>teten,<br />

Ehrlosen, unter S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ande Geknickten, für die niemand in<br />

Israel Rat wußte, weil es für sie mit einer eigenen Gere<strong>ch</strong>tigkeit für immer<br />

vorbei war, herzukamen, um den zu hören, von dem man si<strong>ch</strong> von M<strong>und</strong> zu<br />

M<strong>und</strong> sagte, ef habe für jedermann, au<strong>ch</strong> für sol<strong>ch</strong>e Leute Hilfe <strong>und</strong> Rat. <strong>Lukas</strong><br />

hat uns au<strong>ch</strong> hier die Höhe <strong>und</strong> Tiefe der Liebe Jesu dadur<strong>ch</strong> zur Erkenntnis<br />

gebra<strong>ch</strong>t, daß er unmittelbar nebeneinanderrückt, was wie ein Gegensatz<br />

widereinander steht. Soeben lasen wir Worte, die den Zugang zu Jesus eng<br />

ma<strong>ch</strong>ten; hier hören wir, wie weit er ihn ers<strong>ch</strong>ließt. Dort hielt er Wa<strong>ch</strong>t über<br />

seine Gemeinde, daß niemand hineinkomme, der si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ganz ihm ergebe.


<strong>Lukas</strong> 14,33-35; i5,i-7<br />

Hier wirbt er au<strong>ch</strong> um die Verkommenen <strong>und</strong> streckt seine Hand <strong>na<strong>ch</strong></strong> den in<br />

Sünde <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ande Verderbenden aus. Das sind ni<strong>ch</strong>t S<strong>ch</strong>wankungen oder<br />

vers<strong>ch</strong>iedene Stimmungen, sondern ist dieselbe klare, volle Liebe des Christus,<br />

die alle su<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> jeden ganz ergreift.<br />

15,2—6: Und die Pharisäer <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>riftgelehrten murrten <strong>und</strong> sagten: <strong>Die</strong>ser<br />

nimmt Sünder an <strong>und</strong> ißt mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dieses Glei<strong>ch</strong>nis<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Wel<strong>ch</strong>er Mens<strong>ch</strong> von eu<strong>ch</strong>, der h<strong>und</strong>ert S<strong>ch</strong>afe hat <strong>und</strong> eines aus<br />

ihnen verliert, läßt ni<strong>ch</strong>t die neun<strong>und</strong>neunzig in der Wüste <strong>und</strong> geht dem verlorenen<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong>, bis er es findet? Und wenn er es gef<strong>und</strong>en hat, legt er es auf seine<br />

A<strong>ch</strong>seln, freut si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ruft, wenn er in sein Haus gekommen ist, die Fre<strong>und</strong>e<br />

<strong>und</strong> Na<strong>ch</strong>barn zusammen <strong>und</strong> sagt zu ihnen: Freut eu<strong>ch</strong> mit mir; denn i<strong>ch</strong> fand<br />

man S<strong>ch</strong>af, das verloren war. Was tut der Hirte, wenn ihm von seinen h<strong>und</strong>ert<br />

S<strong>ch</strong>afen eines entlief? Eines von h<strong>und</strong>ert! Verzi<strong>ch</strong>tet er deshalb auf das eine?<br />

Alle anderen läßt er, obwohl sie nun allein in der Wüste ihr Futter su<strong>ch</strong>en<br />

müssen, <strong>und</strong> eilt dem einen <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Ehe er es gef<strong>und</strong>en hat, müht er si<strong>ch</strong> um dasselbe<br />

<strong>und</strong>, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er es gef<strong>und</strong>en hat, ebenso <strong>und</strong> lädt es auf die eigenen<br />

S<strong>ch</strong>ultern <strong>und</strong> trägt es selber heim. Er a<strong>ch</strong>tet aber auf seine Mühe ni<strong>ch</strong>t; das<br />

S<strong>ch</strong>af gef<strong>und</strong>en zu haben ist ihm Freude <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t nur ihm, sondern er erwartet<br />

von seinen Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Na<strong>ch</strong>barn, daß sie si<strong>ch</strong> mit ihm freuen. Das<br />

mutet Jesus seinen unwilligen Widersa<strong>ch</strong>ern zu, die si<strong>ch</strong> gegen ihn ereifern,<br />

weil sie ihn unter der S<strong>ch</strong>ar der Verlorenen sehen: freuen sollen sie si<strong>ch</strong> mit<br />

ihm, selbst wenn es nur ein einziger wäre, den er fand. Dazu läßt er seine<br />

Freude vor ihrem Blick aufglänzen <strong>und</strong> zeigt ihnen, woher er sie hat, daß ihn die<br />

himmlis<strong>ch</strong>e Freude erfüllt, sol<strong>ch</strong>e Freude, wie sie vor Gottes Thron aufflammt.<br />

15,7: I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: So wird Freude im Himmel über einen einzigen Sünder<br />

sein, der Buße tut, mehr als über neun<strong>und</strong>neunzig Gere<strong>ch</strong>te, die die Buße ni<strong>ch</strong>t<br />

nötig haben. Wer Jesu Freude ni<strong>ch</strong>t teilt, denkt ni<strong>ch</strong>t, wie man im Himmel<br />

denkt, ni<strong>ch</strong>t wie Gott <strong>und</strong> die hohen Heiligen bei seinem Thron. Dort hat man<br />

für den Reuigen ni<strong>ch</strong>t Hohn, ni<strong>ch</strong>t die erbarmungslose Vorhaltung seiner<br />

S<strong>ch</strong>uld, sondern volle Vergebung, ganze Liebe, <strong>und</strong> weil die Gnade, die ihm<br />

erwiesen ist, größer als die ist, die der Gere<strong>ch</strong>te bedarf, der niemals fiel, so ist<br />

au<strong>ch</strong> die Freude dort größer als hier. So denkt die Liebe, deren Freude um so<br />

größer wird, je größer ihre Arbeit, je s<strong>ch</strong>werer ihre Sorge, je tiefer ihr Opfer<br />

wird.<br />

Jesus hat .den Gere<strong>ch</strong>ten ohne S<strong>ch</strong>mälerung <strong>und</strong> Abzug alles zugestanden,<br />

was sie vor den Gefallenen voraushaben, <strong>und</strong> das, was am guten Gewissen der<br />

Pharisäer Wahrheit war, in keiner Weise verletzt. Sie haben die Umkehr ni<strong>ch</strong>t<br />

nötig; das ist ihr hoher Vorzug vor den Verirrten; denn sie blieben in Gottes<br />

2Ó 5


2 66 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Wegen. <strong>Die</strong> Pharisäer teilten die Gemeinde gerne ein in Gere<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> Bekehrte,<br />

in sol<strong>ch</strong>e, die <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Geboten stets wandelten, <strong>und</strong> in sol<strong>ch</strong>e, die sie bra<strong>ch</strong>en,<br />

aber wieder zu ihnen zurückkehrten. <strong>Die</strong>ser Unters<strong>ch</strong>eidung tritt au<strong>ch</strong><br />

Jesus bei <strong>und</strong> brau<strong>ch</strong>t sie seinerseits; denn sie hat in der Vers<strong>ch</strong>iedenheit der<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Lebensläufe Gr<strong>und</strong>. Es gibt S<strong>ch</strong>afe, die beim Hirten bleiben, <strong>und</strong><br />

andere, die ihm entliefen. "Was er den Gere<strong>ch</strong>ten aus dem Herzen nehmen<br />

mö<strong>ch</strong>te, daß ist ihr Anspru<strong>ch</strong> an Gott, daß er si<strong>ch</strong> nur an ihnen freuen dürfe<br />

oder do<strong>ch</strong> an ihnen sonderli<strong>ch</strong>. Dadur<strong>ch</strong> trennen si<strong>ch</strong> die Gere<strong>ch</strong>ten von Gott<br />

<strong>und</strong> widersetzen si<strong>ch</strong> seinem Willen. Denn die Gnade denkt anders <strong>und</strong> gibt<br />

si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> denen mit ihrer ganzen Fülle, die aus der Sünde zurückkehren. Sie<br />

dagegen ma<strong>ch</strong>en dadur<strong>ch</strong>s daß sie die Bekehrten bleibend unter si<strong>ch</strong> erniedrigen,<br />

aus der Vergebung eine halbe Sa<strong>ch</strong>e, rauben ihr ihre Vollständigkeit <strong>und</strong><br />

lehnen si<strong>ch</strong> gegen sie auf, als verkürzte sie ihr eigenes Verdienst <strong>und</strong> Re<strong>ch</strong>t.<br />

"Wollen sie es Jesus ni<strong>ch</strong>t gestatten, daß er den Verirrten vollständig <strong>und</strong><br />

wahrhaft Gottes Vergebung s<strong>ch</strong>enkt, so bereiten sie si<strong>ch</strong> mit ihrer Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

den Sturz.<br />

Was ihnen Jesus am Hirten zeigte, bestätigt er ihnen an einem zweiten Beispiel.<br />

15,8.9: Oder wel<strong>ch</strong>e Frau, die zehn Silberstücke hat <strong>und</strong> eines verliert,<br />

zündet ni<strong>ch</strong>t die Lampe an, kehrt das Haus <strong>und</strong> su<strong>ch</strong>t es eifrig, bis sie es gef<strong>und</strong>en<br />

hat? Und wenn sie es gef<strong>und</strong>en hat, ruft sie die Fre<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> Na<strong>ch</strong>barinnen<br />

zusammen <strong>und</strong> sagt: Freut eu<strong>ch</strong> mit mir; denn i<strong>ch</strong> fand das Silberstück,<br />

das i<strong>ch</strong> verloren hatte. Sie läßt ihr Geldstück deshalb ni<strong>ch</strong>t fahren, weil<br />

es ni<strong>ch</strong>t ihr einziges ist, sondern müht si<strong>ch</strong> darum, freut si<strong>ch</strong>, wenn es gef<strong>und</strong>en<br />

ist, <strong>und</strong> erwartet von ihren Fre<strong>und</strong>innen, daß sie si<strong>ch</strong> mit ihr freuen. Und wieder<br />

bezeugt Jesus, daß sein Glei<strong>ch</strong>nis "für den Himmel Wahrheit hat. 15,10:<br />

So, sage i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong>, entsteht Freude vor den Engeln Gottes über einen einzigen<br />

Sünder, der Buße tut. Was kann ihn dann das Murren der Mens<strong>ch</strong>en anfe<strong>ch</strong>ten,<br />

mögen es au<strong>ch</strong> Lehrer <strong>und</strong> Pharisäer sein? Er gibt seine Heilandsf reude deshalb<br />

ni<strong>ch</strong>t her, weil sie mit Gott <strong>und</strong> den Mens<strong>ch</strong>en in bitterem Hader leben <strong>und</strong><br />

fried- <strong>und</strong> freudlos sind.<br />

Er ma<strong>ch</strong>t mit diesen Worten seine königli<strong>ch</strong>e Gewißheit offenbar. Weil dem<br />

Hirten das S<strong>ch</strong>af <strong>und</strong> der Frau das Geldstück gehörte, s<strong>ch</strong>merzt sie ihr Verlust<br />

<strong>und</strong> freut sie ihr Gewinn. Sie mühen si<strong>ch</strong> um ihr Eigentum, an das si<strong>ch</strong> ihre<br />

Liebe um so heftiger hängt, weil es ihnen entrissen zu werden droht. So sieht<br />

au<strong>ch</strong> Jesus auf die Mens<strong>ch</strong>en als auf sein Eigentum <strong>und</strong> su<strong>ch</strong>t sie, weil sie sein<br />

sind, <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t seine Liebe um so stärker, je mehr sein Eigentum in Gefahr<br />

ist, ihm verloren zu gehen. Au<strong>ch</strong> die Gefallenen gehören zu dem, was ihm vom<br />

Vater übergeben ist. So versteht er sein Königsre<strong>ch</strong>t, daß ihm daraus die Fülle


<strong>Lukas</strong> 15,8—20a 267<br />

<strong>und</strong> Stärke der Liebe erwä<strong>ch</strong>st. Sein sind sie alle, damit er sie alle liebe <strong>und</strong><br />

weil er sie alle liebt. Sein sind au<strong>ch</strong> die Sünder, weil er, ohne seine S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> seine Mühsal zu bea<strong>ch</strong>ten, sie su<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> seine Seligkeit daran hat, daß das<br />

Verlorene wiedergef<strong>und</strong>en wird.<br />

Zu dem Wort, mit dem er die ihn salbende Sünderin gegen den Pharisäer<br />

ges<strong>ch</strong>ützt hat, gibt diese Verteidigung seiner Arbeit an den Gefallenen die genau<br />

zusammenpassende Ergänzung. Dort zeigt er, wie in diesen aus der großen<br />

S<strong>ch</strong>uld dur<strong>ch</strong> sein großes Vergeben die große Liebe wird. Hier stellt er dar,<br />

wie in seinem eigenen Herzen aus der großen S<strong>ch</strong>uld des Mens<strong>ch</strong>en die große<br />

Liebe wird, die viel verzeiht <strong>und</strong> darum au<strong>ch</strong> die große Freude gewinnt, die<br />

si<strong>ch</strong> immer dann zur Liebe gesellt, wenn sie ihr Ziel errei<strong>ch</strong>t.<br />

Mit einem dritten no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>eren Beispiel hat Jesus seinen Verklägern<br />

dieselbe Wahrheit vorgestellt. Es ist das rei<strong>ch</strong>ste unter den dreien, weil er es<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr aus dem Berei<strong>ch</strong> derjenigen Liebe holt, mit der xler Mens<strong>ch</strong> sein<br />

Eigentum liebt, sondern uns bes<strong>ch</strong>reibt, wie ein Vater seinen Sohn verlor <strong>und</strong><br />

wiederfand. Darum vers<strong>ch</strong>affte ihm erst dieses Glei<strong>ch</strong>nis den Raum, den murrenden<br />

Gere<strong>ch</strong>ten ihr eigenes Bild zu zeigen .im Bruder, der si<strong>ch</strong> über den<br />

Heimgekehrten ni<strong>ch</strong>t freuen mag.<br />

15,11—20a: Er sagt aber: Ein Mens<strong>ch</strong> hatte zwei Söhne, <strong>und</strong> der jüngere von<br />

ihnen sagte zum Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt!<br />

Er aber verteilte ihnen das Gut. Und <strong>na<strong>ch</strong></strong> kurzer Zeit nahm der jüngere<br />

Sohn alles zusammen <strong>und</strong> zog <strong>na<strong>ch</strong></strong> einem fernen Land fort, <strong>und</strong> dort lebte er<br />

in S<strong>ch</strong>welgerei <strong>und</strong> vergeudete sein Vermögen. Als er aber alles aufgebrau<strong>ch</strong>t<br />

hatte, entstand in jenem Land eine große Hungersnot, <strong>und</strong> er begann Mangel<br />

zu leiden. Und er ging <strong>und</strong> hängte si<strong>ch</strong> an einen der Bürger jenes Lands, <strong>und</strong> er<br />

s<strong>ch</strong>ickte ihn auf seine Äcker, daß er S<strong>ch</strong>weine hüte. Und er begehrte, seinen<br />

Bau<strong>ch</strong> mit den S<strong>ch</strong>oten zu füllen, die die S<strong>ch</strong>weine fraßen, <strong>und</strong> niemand gab<br />

sie ihm. Er kam aber zu si<strong>ch</strong> selbst <strong>und</strong> sagte: Wie viele Tagelöhner meines<br />

Vaters haben rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> Brot; i<strong>ch</strong> aber komme hier vor Hunger um. I<strong>ch</strong> will aufstehen<br />

<strong>und</strong> zu meinem Vater gehen <strong>und</strong> ihm sagen: Vater, i<strong>ch</strong> habe gesündigt<br />

gegen den Himmel <strong>und</strong> vor dir; i<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t mehr wert, dein Sohn zu heißen.<br />

Halte mi<strong>ch</strong> wie einen deiner Tagelöhner! Und er stand auf <strong>und</strong> ging zu seinem<br />

Vater. Der jüngere Sohn zerriß die Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Vater. Sein Erbe<br />

bekam er <strong>und</strong> zog mit ihm fort. Dadur<strong>ch</strong> war er für den Vater verloren. Er<br />

kam au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wieder, solange sein Erbe rei<strong>ch</strong>te. Erst als er am Verhungern<br />

war, ents<strong>ch</strong>loß er si<strong>ch</strong> zur Rückkehr. Nun aber kam er reuig, mit dem Geständnis,<br />

er habe gegen den, der im Himmel wohnt, <strong>und</strong> gegen den Vater gesündigt,


2o 8 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

ohne Anspru<strong>ch</strong> auf den Sohnesnamen nur mit der Bitte, daß ihn der Vater als<br />

Tagelöhner annehme.<br />

Damit bes<strong>ch</strong>rieb Jesus den jüdis<strong>ch</strong>en Freisinn, denjenigen Teil des Volks, der<br />

sein Leben mit dem Erwerb <strong>und</strong> Genuß der natürli<strong>ch</strong>en Güter füllte <strong>und</strong> si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t ernsthaft um Gott kümmerte. Jesus mißt seine Sünde mit derselben<br />

Norm, unter die er das Verhalten des Mens<strong>ch</strong>en immer stellt. Der Mens<strong>ch</strong> rafft<br />

an si<strong>ch</strong>, was Gott gehört, <strong>und</strong> mißbrau<strong>ch</strong>t seine Gaben. Jesus sah au<strong>ch</strong> in dem,<br />

was uns die Natur darbietet, Gottes Gabe. Das gottlos gewordene Leben<br />

nannte Jesus Elend, wobei er keineswegs nur an si<strong>ch</strong>tbaren Zusammenbru<strong>ch</strong><br />

da<strong>ch</strong>te. Im Haus der Zöllner, die si<strong>ch</strong> bei ihm einfanden, war von Mangel<br />

keine Rede. Denno<strong>ch</strong> sind sie Darbende; denn <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Urteil Jesu verdorrt<br />

das Leben den Mens<strong>ch</strong>en, wenn er den Zusammenhang mit Gott verlor. Wird<br />

ihm das Leben zur Pein, muß er si<strong>ch</strong> selbst vera<strong>ch</strong>ten, steht er vor der S<strong>ch</strong>uld<br />

ratlos <strong>und</strong> vor dem Tod mit Angst, so empfängt er .dadur<strong>ch</strong> den Antrieb, der<br />

ihn zur Umkehr beruft.<br />

15,200-24: Als er aber no<strong>ch</strong> fern war, sah ihn sein Vater, erbarmte si<strong>ch</strong>, lief<br />

herzu, fiel ihm um den Hals <strong>und</strong> küßte ihn. Aber der Sohn sagte zu ihm: Vater,<br />

i<strong>ch</strong> sündigte gegen den Himmel <strong>und</strong> vor dir. I<strong>ch</strong> bin ni<strong>ch</strong>t mehr wert, dein Sohn<br />

zu heißen. Aber der Vater spra<strong>ch</strong> zu seinen Kne<strong>ch</strong>ten: Bringt ras<strong>ch</strong> das beste<br />

Gewand heraus, <strong>und</strong> zieht es ihm an, <strong>und</strong> legt einen Ring an seine Hand <strong>und</strong><br />

S<strong>ch</strong>uhe an seine Füße, <strong>und</strong> bringt das gemästete Kalb, <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tet es, <strong>und</strong><br />

wir wollen essen <strong>und</strong> uns freuen.Denn dieser mein Sohn war tot <strong>und</strong> ist wieder<br />

lebendig geworden; er war verloren <strong>und</strong> ist gef<strong>und</strong>en worden. Und sie begannen<br />

si<strong>ch</strong> zu freuen. Der Vater sah, sobald er wiederkam, nur seinen Sohn in<br />

ihm, deckt alles, was ges<strong>ch</strong>ehen ist, mit vollständigem Vergeben, freut si<strong>ch</strong>, daß<br />

er ihn als seinen Sohn wiederhat, s<strong>ch</strong>mückt ihn mit allen seinen Ehrenzei<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> läßt si<strong>ch</strong> das beste Tier, das im Stall für die festli<strong>ch</strong>en Gelegenheiten bereitgehalten<br />

wird, ni<strong>ch</strong>t reuen, um seine Heimkehr mit dem fröhli<strong>ch</strong>en Mahle<br />

zu feiern. Dadur<strong>ch</strong> hat Jesus den Murrenden sein Herz vollends ers<strong>ch</strong>lossen:<br />

mit sol<strong>ch</strong>er Freude sieht er die Sünder zu si<strong>ch</strong> kommen, <strong>und</strong> mit sol<strong>ch</strong>em Vergeben<br />

nimmt er sie auf <strong>und</strong> ist darin mit dem Vater eins. Sein Auftrag ist es,<br />

die zu Gott zurückzurufen, die von ihm gewi<strong>ch</strong>en sind, <strong>und</strong> er darf denen, die<br />

den Sohnesnamen, soviel an ihnen liegt, verloren haben, sagen, daß sie wieder<br />

Söhne sind.<br />

Man hat oft gefragt, wo bei dieser Verkündigung der göttli<strong>ch</strong>en Gnade Jesu<br />

Blick auf sein Kreuz bleibe; aber nur Unaufmerksamkeit kann dieses übersehen.<br />

Zu Jesus kamen die Sünder, deren Heimkehr er in diesem Bild bes<strong>ch</strong>reibt.<br />

Dadur<strong>ch</strong>, daß sie zu ihm kamen, traten sie ins Vaterhaus zurück. Dadur<strong>ch</strong>, daß


<strong>Lukas</strong> 15,20b—30 269<br />

er sie annahm, nahm sie der Vater an; dadur<strong>ch</strong>, daß er ihnen seine liebe gab,<br />

bereitete ihnen der Vater das festli<strong>ch</strong>e Mahl. Seinen <strong>Die</strong>nst an den Verlorenen<br />

preist er hier, daß er vergeben <strong>und</strong> Gottes volle Liebe den Gefallenen bringen<br />

darf. Gerade deshalb, weil dies sein Amt war, befand er si<strong>ch</strong> auf dem Kreuzesweg,<br />

<strong>und</strong> weil er auf dem Kreuzesweg war, darum hatte er diese Vollma<strong>ch</strong>t<br />

<strong>und</strong> dieses Amt. <strong>Die</strong> göttli<strong>ch</strong>e Tiefe <strong>und</strong> Kraft seiner Vergebung beruht darauf,<br />

daß er sie in der vollen Einheit mit dem Vater spendet als der, der ihm<br />

ganz gehorsam ist, sein Leben für die Sünder läßt <strong>und</strong> sein Heilandsamt vollbringt,<br />

obglei<strong>ch</strong> es ihn ins Sterben führt. Lebend <strong>und</strong> sterbend war dies sein<br />

Wille <strong>und</strong> Werk, daß die wieder Gott gehören, die für ihn verloren sind.<br />

Der anderen Gruppe des Volks, die aus ihrem Leben den stetig geübten<br />

Gottesdienst ma<strong>ch</strong>te, zeigte er ihr Bild im Bruder, der beim Vater blieb. 15,25<br />

bis 28: Aber sein älterer Sohn war auf dem Felde, <strong>und</strong> wie er kam <strong>und</strong> be'wi^<br />

Hause war, hörte er die Musik <strong>und</strong> die Reigen. Und er rief einen der Kne<strong>ch</strong>te<br />

herzu <strong>und</strong> fragte, was dies sei. Er aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen,<br />

<strong>und</strong> dein Vater hat das gemästete Kalb ges<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tet, weil er ihn ges<strong>und</strong> wieder<br />

erhielt. Er aber wurde zornig <strong>und</strong> wollte ni<strong>ch</strong>t hineingehen. Sein Vater aber<br />

kam heraus <strong>und</strong> bat ihn. Den s<strong>ch</strong>uldigen Sohn gewann der Vater; den gere<strong>ch</strong>ten<br />

verlor er. Der eine kehrte zu ihm zurück; der andere s<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> von ihm.<br />

Jesus kann das ni<strong>ch</strong>t hindern. Es erfüllt si<strong>ch</strong> das weissagende Wort, er sei<br />

vielen zum Fall <strong>und</strong> zum Aufstehen gesetzt.<br />

Jesus läßt den älteren Bruder reden. Wie das Wort des jüngeren das ausspri<strong>ch</strong>t,<br />

was Jesus im Herzen der Sünder s<strong>ch</strong>afft, so bes<strong>ch</strong>reibt er mit dem Wort<br />

des älteren den Pharisäern, was in ihren Herzen war. 15,29. 30: Er aber antwortete<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zum Vater: Sieh! so viele Jahre diene i<strong>ch</strong> dir <strong>und</strong> habe nie<br />

dein Gebot übertreten, <strong>und</strong> du hast mir nie einen Bock gegeben, daß i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong><br />

mit meinen Fre<strong>und</strong>en freuen könnte. Aber als dieser dein Sohn gekommen ist,<br />

der dein Gut mit Dirnen verzehrt hat, da hast du ihm das gemästete Kalb ges<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tet.<br />

Der Sohn sieht auf die langen <strong>Die</strong>nstjahre zurück, àie er im Hause<br />

des Vaters verlebt hat, <strong>und</strong> auf seinen pünktli<strong>ch</strong>en Gehorsam, der keinen Auftrag<br />

des Vaters ungetan ließ. <strong>Die</strong>ser <strong>Die</strong>nst ers<strong>ch</strong>eint ihm aber als s<strong>ch</strong>wer, hart<br />

<strong>und</strong> freudlos. Er hat Gr<strong>und</strong>, si<strong>ch</strong> über den Vater zu beklagen; denn er hat ihm<br />

nie so viel Gutes erzeigt wie dem Verlorenen, nie ein sol<strong>ch</strong>es Mahl bereitet, wie<br />

er es jetzt diesem gab. Kärgli<strong>ch</strong> hat ihn der Vater gehalten <strong>und</strong> ihm nie au<strong>ch</strong><br />

nur einen Ziegenbock gegönnt zum Mahl mit seinen Genossen. Neben seine<br />

eigenen Ansprü<strong>ch</strong>e stellt er die Unwürdigkeit des Bruders <strong>und</strong> hebt seine Sünde<br />

<strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ande ohne S<strong>ch</strong>onung ans Li<strong>ch</strong>t. Als der Verkläger seines Bruders redet<br />

er vor dem Vater, wird dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zum Ankläger des Vaters <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ilt seine


2 7 O <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Gnade als Ungere<strong>ch</strong>tigkeit. So dient der Pharisäer Gott: beharrli<strong>ch</strong>, fleißig,<br />

aber freudlos,murrend,anspru<strong>ch</strong>svoll. Es ist kein sol<strong>ch</strong>er <strong>Die</strong>nst, wie er aus der<br />

Liebe fließt. Darum ist er voll von der Größe dessen, was er selber tut, hängt<br />

deshalb an das, was die Gnade gibt, seinen Neid <strong>und</strong> ist unfähig zu verzeihen.<br />

<strong>Die</strong> Antwort des Vaters enthält Jesu Antwort an seine Verkläger. Jener<br />

hält dem Murrenden vor, was dem Sohn im Hause des Vaters gegeben ist.<br />

15,31.32: Er aber spra<strong>ch</strong> zu ihm: Sohn, du bist immer bei mir, <strong>und</strong> alles, was<br />

mein ist, ist dein. Du solltest aber feiern <strong>und</strong> di<strong>ch</strong> freuen, weil dieser dein Bruder<br />

tot war <strong>und</strong> lebendig ward <strong>und</strong> verloren <strong>und</strong> gef<strong>und</strong>en ward. Der Gere<strong>ch</strong>te<br />

war immer in der Verb<strong>und</strong>enheit mit Gott, während ihn der Verlorene verlassen<br />

<strong>und</strong> erlebt hat, wie bitter es ist, vom Vater ges<strong>ch</strong>ieden zu sein. Vom<br />

Elend des Hungers, den dieser litt, weiß jener, der daheim biieb, ni<strong>ch</strong>ts, sondern<br />

steht immer im S<strong>ch</strong>utz <strong>und</strong> Segen, den ihm die Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem<br />

Vater bringt. Dur<strong>ch</strong> sie ist alles, was des Vaters ist, au<strong>ch</strong> sein Eigentum. Wie<br />

können denn die, die Gott dienen, ihr Los hart <strong>und</strong> ihren Anteil verkürzt<br />

heißen? Wie kann die Gnade in ihnen Neid erregen? So spri<strong>ch</strong>t nur der <strong>und</strong>ankbare,<br />

glaubenslose Sinn, der ni<strong>ch</strong>t ermißt, was der an Gott hat, der bei<br />

ihm bleibt, wie treu er an ihm handelt; er ist ja mit dem ganzen Rei<strong>ch</strong>tum<br />

seiner Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit, Regierung <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit bei ihm. Danken sie dem<br />

Vater, so wissen sie au<strong>ch</strong>, was sie dem Bruder s<strong>ch</strong>ulden. Jener freut si<strong>ch</strong> an seinem<br />

Sohn; so muß si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dieser an seinem Bruder freuen, der au<strong>ch</strong> ihm aus<br />

Tod <strong>und</strong> Verlust zu neuem Leben zurückgegeben ist. Er kann den Bruder ni<strong>ch</strong>t<br />

\ erleugnen, ohne daß damit au<strong>ch</strong> der Vater verleugnet ist.<br />

Dur<strong>ch</strong> das Bemühen des Vaters, den Zürnenden zu versöhnen, hat uns Jesus<br />

Gottes Gnade ni<strong>ch</strong>t weniger heil <strong>und</strong> herrli<strong>ch</strong> bezeugt als dur<strong>ch</strong> die Weise, wie<br />

er für den Verlorenen ganz <strong>und</strong> gar der Vater war. Es lag darin für die Pharisäer<br />

ein starker Zug zu Jesus hin. Au<strong>ch</strong> ihnen hat er damit das Evangelium gesagt,<br />

au<strong>ch</strong> ihnen die Heilandsdienste getan. Hören sie auf ihn, so empfangen<br />

sie von ihm den vollen Blick in die Größe der Gabe, die ihnen dadur<strong>ch</strong> gegeben<br />

ist, daß sie Gott gehorsam blieben, <strong>und</strong> lassen si<strong>ch</strong> dafür dankbar ma<strong>ch</strong>en, daß<br />

sie Gottes Kinder sind. Dadur<strong>ch</strong> würden sie Jesu Genossen in seiner Freude an<br />

denen, die umkehren, <strong>und</strong> seine Mitarbeiter bei seinem Beruf, „Mens<strong>ch</strong>en zu<br />

fis<strong>ch</strong>en" <strong>und</strong> ihnen aus dem Verderben ins Leben zu helfen. Statt dessen bleiben<br />

sie draußen, gewinnen an Jesu Heilandstat nur die düstere Glut des Neids,<br />

feiern darum sein Fest ni<strong>ch</strong>t mit, verklagen die Brüder <strong>und</strong> verklagen Gott.<br />

So wird aus ihrer Gere<strong>ch</strong>tigkeit ihre S<strong>ch</strong>uld. Mit keinem anderen Wort ist so<br />

deutli<strong>ch</strong> begründet, warum Jesus „ni<strong>ch</strong>t gekommen ist, die Gere<strong>ch</strong>ten zu berufen",<br />

obwohl es den Vorzug ihrer Gere<strong>ch</strong>tigkeit ohne jede S<strong>ch</strong>mälerung


<strong>Lukas</strong> 15,31. 32; x6yia—b. 2 271<br />

ho<strong>ch</strong>hält <strong>und</strong> obwohl es au<strong>ch</strong> ihnen Jesu Vergebung <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>keit ohne<br />

ein hartes Wort darbietet. Er tut ihnen ja damit, was der Vater seinem älteren<br />

Sohn tut. Und do<strong>ch</strong> bleibt die S<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en ihnen unaufhebbar. Denn<br />

ihre eigensü<strong>ch</strong>tige Frömmigkeit bringt sie mit Gott <strong>und</strong> mit den Brüdern in<br />

Streit.<br />

Segen <strong>und</strong> Unsegen des Rei<strong>ch</strong>tums<br />

Jesu Unterweisung über den Gebrau<strong>ch</strong> des Geldes hat hier ihre Stelle, weil<br />

wir ihn soeben mit seinem vollen Verzeihen den Sündern verb<strong>und</strong>en sahen.<br />

Darum hören wir au<strong>ch</strong> sofort, was er ihnen für ihren neuen Wandel befohlen<br />

hat. 16,1a: Er sagte aber au<strong>ch</strong> zu den Jüngern. Er hatte ni<strong>ch</strong>t nur den Pharisäern<br />

etwas zu sagen, sondern au<strong>ch</strong> den Seinen. Jenen pries er die Gnade, die<br />

alle Sünde deckt; diesen gab er die Regel, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der die handeln, die von ihrer<br />

Bosheit frei geworden sind. Darüber, wie sie ihr Geld zu s<strong>ch</strong>ätzen <strong>und</strong> zu<br />

brau<strong>ch</strong>en haben, spra<strong>ch</strong> er zu ihnen, weil am Geld ein großer Teil ihrer alten<br />

Sünde hing <strong>und</strong> die Versu<strong>ch</strong>ung si<strong>ch</strong> von dort her immer wieder naht. Zuglei<strong>ch</strong><br />

setzte si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> an dieser Stelle Jesu Kampf mit dem Pharisäismus fort, weil<br />

dieser ni<strong>ch</strong>t nur seine Gnade s<strong>ch</strong>alt, sondern ebensosehr au<strong>ch</strong> seinen Unterri<strong>ch</strong>t<br />

über das, was unseren Gottesdienst ausma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> worin unsere Liebe si<strong>ch</strong><br />

bewährt.<br />

16,ib. 2: Es war ein rei<strong>ch</strong>er Mann, der einen Verwalter hatte, <strong>und</strong> dieser<br />

wurde bei ihm verklagt, er vergeude sein Vermögen. Und er rief ihn <strong>und</strong> sagte<br />

zu ihm: Wieso höre i<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>es über di<strong>ch</strong>? Erstatte die Re<strong>ch</strong>nung für deine Verwaltung;<br />

denn du kannst ni<strong>ch</strong>t mehr Verwalter sein. Ein Rei<strong>ch</strong>er, dem ein<br />

großer Gr<strong>und</strong>besitz gehört, hat über diesen einen Verwalter bestellt, der wieder<br />

unter si<strong>ch</strong> die Bauern hat, s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> Tagelöhner, sondern wohl seßhafte<br />

Leute, die in einem dauernden Vertragsverhältnis zum Gr<strong>und</strong>herrn stehen <strong>und</strong><br />

jährli<strong>ch</strong> eine bestimmte Leistung aus der Ernte an ihn entri<strong>ch</strong>ten, während der<br />

übrige Ertrag als Lohn ihrer Arbeit ihr Eigentum wird. Von seinem Verwalter<br />

hat nun der Rei<strong>ch</strong>e gehört, daß er seinen Vorteil verkürze <strong>und</strong> seinen Besitz<br />

s<strong>ch</strong>mälere. Er kündigte ihm deshalb an, daß er ihm die Abre<strong>ch</strong>nung vorlegen<br />

müsse, weil er ihn entlassen werde. No<strong>ch</strong> ist er Verwalter, no<strong>ch</strong> im Besitz seiner<br />

Volk<strong>na<strong>ch</strong></strong>t bere<strong>ch</strong>tigt, im Namen seines Herrn zu handeln; aber er ist es ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr lange, sondern weiß, daß er seine Stellung nä<strong>ch</strong>stens verliert. Damit ver-*<br />

glei<strong>ch</strong>t Jesus die Lage dessen, der mit seinem Besitz eigensü<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> lieblos<br />

verfahren ist, wie es die zu ihm kommenden Zöllner <strong>und</strong> Sünder bisher getan<br />

hatten. Sie haben si<strong>ch</strong> des Geldes wegen vers<strong>ch</strong>uldet, <strong>und</strong> das bleibt ni<strong>ch</strong>t ungeahndet.<br />

Der untreue Verwalter wird abgesetzt. No<strong>ch</strong> ist es ihnen ni<strong>ch</strong>t er-


2 7 2 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

gangen wie jenem rei<strong>ch</strong>en Gr<strong>und</strong>besitzer, der aus seiner Ernte keinen anderen<br />

Gewinn zu ziehen wußte, als daß ihn das Todesurteil traf, 12,20; aber Gottes<br />

Geri<strong>ch</strong>t droht au<strong>ch</strong> ihnen, <strong>und</strong> Jesus zeigt ihnen, wie sie si<strong>ch</strong> vor ihm retten*.<br />

16,3—7: Aber der Verwalter sagte bei sido: Was soll i<strong>ch</strong> tun, da mir mein<br />

Herr die Verwaltung nimmt? Zu graben habe ido ni<strong>ch</strong>t die Kraft; zu betteln<br />

s<strong>ch</strong>äme i<strong>ch</strong> midi. Ido habe entdeckt, was i<strong>ch</strong> tun will, damit sie mi<strong>ch</strong> in ihre<br />

Häuser aufnehmen, wenn i<strong>ch</strong> von der Verwaltung abgesetzt werde. Und er<br />

rief einen jeden der S<strong>ch</strong>uldner seines Herrn zu si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sagte zum ersten: Wieviel<br />

s<strong>ch</strong>uldest du meinem Herrn? Er aber sagte: H<strong>und</strong>ert Maß öl. Er aber sagte<br />

zu ihm: Nimm deinen S<strong>ch</strong>uldbrief; setze di<strong>ch</strong> <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>reibe glei<strong>ch</strong> fünfzig!<br />

Darauf sagte er zu einem anderen: Du aber, wieviel s<strong>ch</strong>uldest du? Er aber<br />

sagte: H<strong>und</strong>ert S<strong>ch</strong>effel Weizen. Er sagte ihm: Nimm deinen S<strong>ch</strong>uldbrief <strong>und</strong><br />

s<strong>ch</strong>reibe a<strong>ch</strong>tzig! Da dem Verwalter weder der Bettel no<strong>ch</strong> die harte Arbeit des<br />

Handarbeiters gefällt, so bes<strong>ch</strong>ließt er, sidi die Dankbarkeit seiner Bauern dadur<strong>ch</strong><br />

zu si<strong>ch</strong>ern, daß er ihre Lasten erlei<strong>ch</strong>tert, ihre Abgaben an den Gr<strong>und</strong>herrn<br />

mindert <strong>und</strong> so ihr Los um vieles günstiger ordnet als bisher. Der, dessen<br />

Vertrag ihn bisher zu h<strong>und</strong>ert Maß Öl verpfli<strong>ch</strong>tet hat, erhält einen neuen<br />

Vertrag, <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem er vom selben Lande nur nodi fünfzig zu leisten hat. Der,<br />

der bisher h<strong>und</strong>ert Maß Weizen einzuliefern hatte, muß nur nodi a<strong>ch</strong>tzig liefern.<br />

Dafür nehmen sie gern den abgesetzten Verwalter bei si<strong>ch</strong> auf <strong>und</strong> erstatten<br />

ihm als ihrem Wohltäter idadur<strong>ch</strong> den Dank, daß er von ihnen das Obda<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> den Tis<strong>ch</strong> empfängt.<br />

16,8a: Und der Herr lobte den ungere<strong>ch</strong>ten Verwalter, weil er klug gehandelt<br />

hatte. Er war ein ungere<strong>ch</strong>ter Verwalter, der abgesetzt werden mußte,<br />

weil er seinen Herrn ges<strong>ch</strong>ädigt hatte <strong>und</strong> keine Re<strong>ch</strong>nung abzulegen vermo<strong>ch</strong>te.<br />

Jetzt aber hatte er si<strong>ch</strong> klug benommen; denn er hat dadur<strong>ch</strong>, daß er<br />

seine Ma<strong>ch</strong>t, obwohl er sie von seinem Herrn empfangen hatte, unbedenkli<strong>ch</strong><br />

gegen ihn brau<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> zum Wohltäter der Bauern ma<strong>ch</strong>te, in der Tat für<br />

si<strong>ch</strong> gesorgt. Da er von seinem Herrn ni<strong>ch</strong>ts mehr zu hoffen hatte, war es klug,<br />

daß er si<strong>ch</strong> auf die Seite der Bauern s<strong>ch</strong>lug <strong>und</strong> für sie sorgte <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

für si<strong>ch</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Weise, wie wir mit dem Gelde gewöhnli<strong>ch</strong> umgehen, ma<strong>ch</strong>t uns ni<strong>ch</strong>t<br />

dem klugen Verwalter ähnli<strong>ch</strong>. Hätte er ni<strong>ch</strong>ts von si<strong>ch</strong> gegeben, alles zusammengehalten<br />

<strong>und</strong> unvermindert gelassen, so daß er von seinem Amt gekommen<br />

wäre, ohne daß ihm irgend ein Mens<strong>ch</strong> gedankt hätte, weil er niemand etwas<br />

gab, dann gli<strong>ch</strong>en wir ihm. Wir halten Geld <strong>und</strong> Gut beisammen, bis wir es<br />

• S<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> da<strong>ch</strong>te Jesus bei der Bes<strong>ch</strong>reibung der gefährdeten Lage des Verwalters nur an die natürli<strong>ch</strong>e<br />

Gebre<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit unseres Lebens, die es immer unsi<strong>ch</strong>er ma<strong>ch</strong>t, wie lange unser Besitz uns bleibt.


<strong>Lukas</strong> 16,2—9<br />

lassen müssen. Dann ist es für uns dahin, <strong>und</strong> niemand dankt uns. Es hat so<br />

niemand genützt, niemand eine Wohltat gebra<strong>ch</strong>t, weder anderen no<strong>ch</strong> uns.<br />

Wir haben es umsonst gehabt. Benutzt es, solange ihr es habt, sagt uns Jesus;<br />

das ist klug. Ihr brau<strong>ch</strong>t es ni<strong>ch</strong>t, wenn ihr es zusammenhäuft <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts davon<br />

weggehen darf, sondern dann, wenn ihr gebt, anderen helft, ihre Last erlei<strong>ch</strong>tert<br />

<strong>und</strong> ihnen die Wohltat gewährt. So seid ihr klug.<br />

Als Jesus an die Klugheit des Haushalters da<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> erzählte, wie sogar<br />

sein eigener Herr, den er do<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ädigt hat, diese lobte, fügt er bei: 16,8b:<br />

Denn die Söhne dieser Zeit sind klüger als die Söhne des Li<strong>ch</strong>ts gegen ihr eigenes<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t. Als so klug dürfte er den Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>reiben, wenn von<br />

Gottes Sa<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> den ewigen Gütern die Rede wäre. Nur in den Anliegen,<br />

die auf das Greifbare <strong>und</strong> Zeitli<strong>ch</strong>e gehen, urteilen wir so vernünftig, sehen<br />

wir so klar, was vorteilhaft ist, s<strong>ch</strong>ätzen wir au<strong>ch</strong>, was die anderen tun, mit<br />

ri<strong>ch</strong>tigem Blick <strong>und</strong> geben einander guten Rat. In Gottes Sa<strong>ch</strong>en haben sogar<br />

die Kinder des Li<strong>ch</strong>ts ein stumpfes Auge, begreifen nur kümmerli<strong>ch</strong>, was ihnen<br />

not tut, <strong>und</strong> treiben einander vielmehr zur Torheit, als daß sie, was klug ist,<br />

verständen <strong>und</strong> lobten. Tritt einer ents<strong>ch</strong>lossen <strong>und</strong> gläubig auf Gottes Weg,<br />

so hat er tausend Bedenken gegen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur bei den Kindern dieser Zeit,<br />

sondern au<strong>ch</strong> bei den Kindern des Li<strong>ch</strong>ts <strong>und</strong> findet lei<strong>ch</strong>ter bei ihnen verkehrten<br />

Rat, lei<strong>ch</strong>ter, was seinen Unglauben stärkt, als was ihm den Glauben<br />

mehrt, lei<strong>ch</strong>ter, was ihm die Liebe erkältet, als was sie entzündet. Selten tun<br />

sie, was der Herr jenes Verwalters tat, daß sie ihren Beifall dem gäben, was<br />

ri<strong>ch</strong>tig gehandelt ist.<br />

„Söhne dieser Zeit" heißt Jesus die, die ni<strong>ch</strong>ts haben <strong>und</strong> su<strong>ch</strong>en, als was in<br />

dieser Zeit enthalten ist. Was die Natur <strong>und</strong> das Mens<strong>ch</strong>enleben uns bringt,<br />

gibt ihrem Leben den Gr<strong>und</strong>, den Inhalt <strong>und</strong> das Ziel. Von dort her empfangen<br />

sie ihre Art <strong>und</strong> ihr Bild. Söhne der künftigen Zeit sind die, deren Sinn<br />

<strong>und</strong> Wille auf Gottes <strong>Offenbarung</strong> geri<strong>ch</strong>tet ist, die, was Gottes ist, erkannt<br />

<strong>und</strong> erlangt haben <strong>und</strong> vor ihm ihr Leben führen <strong>und</strong> für ihn. Weil Gottes Art<br />

<strong>und</strong> Gabe Li<strong>ch</strong>t ist, heißt sie Jesus die Söhne des Li<strong>ch</strong>ts. Nur gegen ihr eigenes<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t sind die Söhne dieser Zeit klug, ni<strong>ch</strong>t gegen die Kinder des Li<strong>ch</strong>ts.<br />

An ihnen handeln sie töri<strong>ch</strong>t, reden blind über sie <strong>und</strong> versündigen si<strong>ch</strong> an<br />

ihnen. Weil ihnen der, an den sie glauben, verdeckt ist, dünkt sie alles w<strong>und</strong>erli<strong>ch</strong>,<br />

was im Glauben an ihn ges<strong>ch</strong>ieht. Seinetwegen die greifbaren Güter hintanzustellen<br />

müssen sie für Verkehrtheit halten. Aber unter ihresglei<strong>ch</strong>en bei<br />

dem, was sie sehen <strong>und</strong> verstehen, handeln sie klug.<br />

Darauf folgt no<strong>ch</strong> ein erläuterndes Wort über das, was uns die kluge Tat<br />

des Verwalters lehren soll. 16,9: Au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Ma<strong>ch</strong>t eu<strong>ch</strong> Fre<strong>und</strong>e mit<br />

2 73


^74 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

dem ungere<strong>ch</strong>ten Mammon, damit sie, wenn er eu<strong>ch</strong> ausgeht, eu<strong>ch</strong> in die ewigen<br />

Hütten aufnehmen. Fre<strong>und</strong>e erwarb si<strong>ch</strong> jener mit dem Gelde seines Herrn;<br />

ma<strong>ch</strong>t es mit dem Geld, das Gott eu<strong>ch</strong> gibt, ebenso, das ist Jesu Rat. Daß wir<br />

uns Fre<strong>und</strong>e erwerben, Liebe pflanzen, Mens<strong>ch</strong>en wohltun <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> zu<br />

herzli<strong>ch</strong>er Gemeins<strong>ch</strong>aft uns verbinden können, dazu nützt Geld <strong>und</strong> Gut <strong>und</strong><br />

ist uns der Rei<strong>ch</strong>tum gegeben. Das sagt Jesus mit reinem Sinn, ni<strong>ch</strong>t so, wie<br />

unser selbstsü<strong>ch</strong>tiges Herz um Fre<strong>und</strong>e wirbt, die es an si<strong>ch</strong> kettet, für si<strong>ch</strong> nutzbar<br />

ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> niemals wirkli<strong>ch</strong> gewinnt. Er da<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t an jenen<br />

ni<strong>ch</strong>tigen S<strong>ch</strong>ein von Liebe, die dur<strong>ch</strong> Sünde <strong>und</strong> Selbstsu<strong>ch</strong>t verfäls<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> so<br />

vergängli<strong>ch</strong> ist wie der Mammon selbst, mit dem sie erkauft wird. <strong>Die</strong> Fre<strong>und</strong>e,<br />

von denen er redet, sind so gewonnen, daß sie diesen überdauern <strong>und</strong> uns dann<br />

no<strong>ch</strong>, wenn uns ni<strong>ch</strong>ts Irdis<strong>ch</strong>es mehr helfen kann, Liebe <strong>und</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

erweisen.<br />

Der <strong>Die</strong>nst, den der Verwalter von seinen Bauern su<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> erlangte, bestand<br />

darin, daß sie ihn in ihre Hütten aufnahmen, als ihm Gut <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t<br />

genommen war. Ihr könnt eu<strong>ch</strong>, sagt Jesus, mit eurem Vermögen dasselbe bereiten,<br />

nur no<strong>ch</strong> in viel höherem Sinn, Aufnahme ni<strong>ch</strong>t in eine vergängli<strong>ch</strong>e<br />

Hütte, die eu<strong>ch</strong> hier auf Erden für eine kurze Frist ein kümmerli<strong>ch</strong>es Obda<strong>ch</strong><br />

gibt, sondern in ewige Hütten. Ewigen Dank könnt ihr erwerben <strong>und</strong> aus<br />

eurem Besitz eu<strong>ch</strong> eine Ernte der Liebe, der Wohltat, der Gemeins<strong>ch</strong>aft <strong>und</strong> des<br />

Segens bereiten, die eu<strong>ch</strong> dann zugute kommt, wenn ihr Geld <strong>und</strong> Gut ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr habt, weil sie ewig bleibt. Ni<strong>ch</strong>t so redet er vom ewigen Dank der Mens<strong>ch</strong>en,<br />

die hier auf Erden unsere "Wohltat <strong>und</strong> Hilfe empfingen, daß er dabei<br />

unseren Blick von Gott abzöge <strong>und</strong> uns auf die Liebe der Mens<strong>ch</strong>en hoffen<br />

lehrte statt auf Gottes Gnade. Ewige Hütten baut ni<strong>ch</strong>t Mens<strong>ch</strong>enhand, sondern<br />

Gott allein. In seinem Rei<strong>ch</strong> leben alle aus seiner Gnade. So hat freili<strong>ch</strong><br />

für uns ni<strong>ch</strong>ts Bedeutung als das eine, daß wir Gott zum Fre<strong>und</strong>e haben, der<br />

allein ewiges Leben gibt. Jesus hat aber ni<strong>ch</strong>t nur hier, sondern in man<strong>ch</strong>em<br />

Wort Gottes Liebe unserer Liebe verheißen, Gottes Barmherzigkeit unserer<br />

Barmherzigkeit zugesagt <strong>und</strong> uns erklärt, daß wir, was wir den Geringen tun,<br />

ihm tun, ihn speisen, wenn wir die Hungernden speisen, somit ihn zum Fre<strong>und</strong><br />

gewinnen, wenn wir klug mit unserem Geld umgehen. Das sind Fre<strong>und</strong>e, die<br />

-ewiges Obda<strong>ch</strong> gewähren. <strong>Die</strong>selbe Regel, die der Liebe mit Liebe <strong>und</strong> der<br />

empfangenen Gabe mit neuer Gabe dankt, bekommt in der vollendeten Gemeinde<br />

die alle bewegende Geltung. S<strong>ch</strong>on hier auf Erden hat Jesus uns<br />

Mens<strong>ch</strong>en das hohe Amt übertragen, für einander Boten <strong>und</strong> Werkzeuge der<br />

göttli<strong>ch</strong>en Gnade zu sein. Das ges<strong>ch</strong>ieht in der vollendeten Gemeinde no<strong>ch</strong> viel


<strong>Lukas</strong> i6,Q—12 .„,, 275<br />

mehr. Mit Gottes Gnade ist uns au<strong>ch</strong> die Gemeins<strong>ch</strong>aft aller seiner Kinder ges<strong>ch</strong>enkt.<br />

So Großes können wir uns mit dem „Mammon der Ungere<strong>ch</strong>tigkeit" vers<strong>ch</strong>affen.<br />

Jesus redet ni<strong>ch</strong>t bloß davon, daß wir unser Geld anderen entwendeten<br />

<strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> Betrug erwarben. Denn au<strong>ch</strong> ohne daß wir einander bestehlen,<br />

hängt si<strong>ch</strong> an unseren Besitz <strong>und</strong> Rei<strong>ch</strong>tum eine Menge von Bosheit, Eigennutz<br />

<strong>und</strong> Gottlosigkeit aller Art. Dasselbe Geld, das so oft als Mittel zur<br />

Sünde dient, heißt er uns zum guten Ziel verwenden. Viellei<strong>ch</strong>t nannte er aber<br />

das Geld deshalb einen Mammon der Ungere<strong>ch</strong>tigkeit, weil es gegen uns, die<br />

wir es haben, ehren <strong>und</strong> ihm vertrauen, ungere<strong>ch</strong>t ist, unsere Hoffnung immer<br />

täus<strong>ch</strong>t, unser Vertrauen nie erfüllt <strong>und</strong> unser Herz wohl an si<strong>ch</strong> kettet, aber<br />

leer läßt <strong>und</strong> verdirbt. Ein Mammon der Ungere<strong>ch</strong>tigkeit ist er, weil sein herris<strong>ch</strong>er<br />

Anspru<strong>ch</strong> an uns gr<strong>und</strong>los ist, weil er si<strong>ch</strong> fäls<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> für unser Glück ausgibt,<br />

weil er uns blendet, seinetwegen Gott zu verlassen, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> selber ein<br />

totes, leeres Ding ist, das uns vom Tod <strong>und</strong> Geri<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t erlösen kann. Es<br />

ma<strong>ch</strong>t uns ja immer Bedenken, wenn wir etwas von unserem Eigentum abbre<strong>ch</strong>en<br />

sollen. Darum heißt es Jesus ein Ding, das uns Unre<strong>ch</strong>t tut. Gib es<br />

fröhli<strong>ch</strong> weg, ruft er uns zu. Traue seinen Verheißungen ni<strong>ch</strong>t; es hält sie nie.<br />

"Was es dir von Glück vorspiegelt, sind lauter Lügen. Nur dann, wenn wir Geld<br />

<strong>und</strong> Gut <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jesu Regel brau<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> mit ihm Fre<strong>und</strong>e gewinnen, wenn es<br />

der Liebe gehor<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> dienen muß, verwandelt es si<strong>ch</strong> aus einem Betrüger<br />

in einen treuen Kne<strong>ch</strong>t, der uns bleibenden Gewinn vers<strong>ch</strong>afft.<br />

So groß hat Jesus vom Gelde geredet, so ho<strong>ch</strong> seinen Wert ges<strong>ch</strong>ätzt. Man<br />

könnte für die Armen besorgt werden; sind die, die keinen Mammon haben<br />

<strong>und</strong> das zur "Wohltat unentbehrli<strong>ch</strong>e "Werkzeug entbehren, ni<strong>ch</strong>t verkürzt?<br />

Daß der Lebenslauf des Armen in engere Grenzen gefaßt ist als der des<br />

Rei<strong>ch</strong>en, liegt unaufhebbar in der Natur der Dinge; er ist der S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ere, der<br />

Rei<strong>ch</strong>e der Stärkere. Aber zum Neiden gibt Jesu "Wort niemand Anlaß <strong>und</strong><br />

Re<strong>ch</strong>t. Wem die großen Mittel fehlen, der steht au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in der großen Versu<strong>ch</strong>ung<br />

<strong>und</strong> großen Gefahr, hat das "Wort ni<strong>ch</strong>t auf si<strong>ch</strong>, daß ein Kamel lei<strong>ch</strong>ter<br />

dur<strong>ch</strong> ein Nadello<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>gehe als ein Rei<strong>ch</strong>er ins Himmelrei<strong>ch</strong> <strong>und</strong> steht<br />

dafür unter der Gnade dessen, jier si<strong>ch</strong> zum Geringen mit zweifa<strong>ch</strong>er Liebe<br />

niederbeugte <strong>und</strong> die beiden Heller der "Witwe für die größte Gabe erklärte,<br />

die je im Tempel gegeben worden sei.<br />

16,10—iz:Wer mit dem Geringsten treu ist, ist au<strong>ch</strong> mit dem Großen treu,<br />

<strong>und</strong> wer mit dem Geringsten ungere<strong>ch</strong>t ist, ist audj mit dem Großen ungere<strong>ch</strong>t.<br />

Wenn ihr dar um.mit dem ungere<strong>ch</strong>ten Mammon ni<strong>ch</strong>t treu wurdet, wer wird<br />

eu<strong>ch</strong> das Wahrhaftige anvertrauen? Und wenn ihr mit dem Fremden ni<strong>ch</strong>t treu


2 7" <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

wurdet, wer wird eu<strong>ch</strong> das Eurige geben? Ni<strong>ch</strong>t deshalb heißt uns Jesus so<br />

ernstli<strong>ch</strong> unser Vermögen ri<strong>ch</strong>tig brau<strong>ch</strong>en, weil dieses etwas Wi<strong>ch</strong>tiges wäre,<br />

wie es unserem Aberglauben an dasselbe ers<strong>ch</strong>eint, sondern gerade deshalb,<br />

weil es das Geringste unter dem ist, was uns gegeben wird. In seiner Gewährung<br />

liegt ni<strong>ch</strong>t Gottes große Gnade <strong>und</strong> darin, daß es uns versagt ist, kein<br />

s<strong>ch</strong>weres Los. Es ist ni<strong>ch</strong>t das Wahrhaftige, sondern etwas Totes <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>tloses,<br />

dessen Wert zum guten Teil auf Einbildung beruht, etwas uns Fremdes,<br />

ni<strong>ch</strong>t das Unsrige, ni<strong>ch</strong>t das, was wirkli<strong>ch</strong> uns eigen, in unser Wesen gelegt <strong>und</strong><br />

darum uns unverlierbar gegeben ist, so daß es immer, wo wir seien, im Leben<br />

<strong>und</strong> Sterben unsere Kraft ausma<strong>ch</strong>t. Allein gerade deshalb kommt dem, was<br />

wir mit dem Geld beginnen, große Wi<strong>ch</strong>tigkeit zu. Denn am Geringen zeigt<br />

<strong>und</strong> übt si<strong>ch</strong> die Treue, die si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> am Großen bewähren kann, während<br />

dann, wenn das Kleine uns sogar zur Untreue verführt <strong>und</strong> von uns zum Unre<strong>ch</strong>ttun<br />

verwendet wird, das Große uns vollends zum Fall dient. Treue haben<br />

wir an unserem Erwerb <strong>und</strong> Besitz zu üben, weil er wie alles, was wir haben,<br />

Gabe ist <strong>und</strong> darum im Blick auf den, der ihn gab, mit Dankbarkeit <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem<br />

Willen gebrau<strong>ch</strong>t werden muß. Strau<strong>ch</strong>eln wir s<strong>ch</strong>on hier, können wir<br />

ni<strong>ch</strong>t einmal diese geringen Gaben <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Sinn brau<strong>ch</strong>en, werden s<strong>ch</strong>on<br />

sie uns zur Verdunkelung Gottes in hoff artiger Blähung <strong>und</strong> Eigensu<strong>ch</strong>t, wie<br />

sollten wir das e<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> ewige Gut, das Gott uns geben will, erlangen?<br />

Darum setzte <strong>Lukas</strong> hier den Spru<strong>ch</strong> aus Matthäus 6,24 ein, der uns die Unmögli<strong>ch</strong>keit<br />

bezeugt, zuglei<strong>ch</strong> Gott <strong>und</strong> dem Mammon mit <strong>Die</strong>nst <strong>und</strong> Gehorsam<br />

verb<strong>und</strong>en zu sein. 16,13: Kein <strong>Die</strong>ner kann zweier Herren Kne<strong>ch</strong>t sein.<br />

Denn er wird entweder den einen hassen <strong>und</strong> den anderen lieben oder si<strong>ch</strong> an<br />

den einen halten <strong>und</strong> den anderen vera<strong>ch</strong>ten. Ihr könnt ni<strong>ch</strong>t Kne<strong>ch</strong>te Gottes<br />

<strong>und</strong> des Mammons sein. Haben wir unser Geld <strong>und</strong> Gut zu unserem Herrn erwählt<br />

<strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> die Treue gebro<strong>ch</strong>en, so wird uns das Wahrhaftige <strong>und</strong> uns<br />

Eigene ni<strong>ch</strong>t anvertraut, das nur dem gegeben wird, der Gottes Kne<strong>ch</strong>t geworden<br />

ist.<br />

16,14: Aber die Pharisäer, die geldgierig waren, hörten dies alles <strong>und</strong> verhöhnten<br />

ihn. Sie hielten Rei<strong>ch</strong>tum für einen großen, wohl für den größtenSegen<br />

Gottes <strong>und</strong> verbanden ihr gieriges Tra<strong>ch</strong>ten <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm au<strong>ch</strong> mit ihrem Gottesdienst.<br />

Um die Sünder sahen sie Jesus si<strong>ch</strong> bemühen. Wie töri<strong>ch</strong>t! sagten sie;<br />

sol<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>en vera<strong>ch</strong>teten sie. Wiederum sahen sie, daß er si<strong>ch</strong> um das Geld<br />

ni<strong>ch</strong>t bemühte. Wie töri<strong>ch</strong>t! sagten sie wieder; das Geld vera<strong>ch</strong>teten sie ni<strong>ch</strong>t.<br />

Von den Mens<strong>ch</strong>en, mo<strong>ch</strong>ten sie au<strong>ch</strong> jetzt no<strong>ch</strong> in Sünde <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ande stehen,<br />

sagte er: Mein sind sie; i<strong>ch</strong> lasse sie ni<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> Pharisäer dagegen warfen sie<br />

weg: Verderben tolleri sie! <strong>und</strong> sagten dafür vom Geld: Unser ist es; wir lassen


<strong>Lukas</strong> 16,13—16 277<br />

es ni<strong>ch</strong>t, während ihnen Jesus von diesem riet: Gebt es hin! Ihre Liebe war von<br />

Gr<strong>und</strong> aus eine andere. <strong>Die</strong>ser doppelte Streit entstand aus derselben Ursa<strong>ch</strong>e;<br />

Jesus war auf das beda<strong>ch</strong>t, was Gottes ist, <strong>und</strong> sie auf das, was ihnen selbst gehören<br />

soll.<br />

16,15a: Und er sagte zu ihnen: Ihr seid die, die si<strong>ch</strong> selbst vor den Mens<strong>ch</strong>en<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen. Beides, daß sie selber es tun <strong>und</strong> daß sie es vor den Mens<strong>ch</strong>en tun,<br />

ist ein töri<strong>ch</strong>tes <strong>und</strong> sündli<strong>ch</strong>es Bemühen. Bei Gott haben sie ihre Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />

zu su<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> auf seinen Willen zu a<strong>ch</strong>ten; statt dessen setzen sie selber<br />

fest, was Gere<strong>ch</strong>tigkeit sei, fällen ihr Urteil, als säßen sie auf Gottes Thron,<br />

<strong>und</strong> spenden si<strong>ch</strong> für ihr "Werk selber Lob <strong>und</strong> Ruhm. Dazu sammeln sie si<strong>ch</strong><br />

die Zeugnisse der Mens<strong>ch</strong>en, geben si<strong>ch</strong> deshalb eine fromme Figur, die ihre<br />

Augen blenden soll, <strong>und</strong> sind befriedigt, wenn ihre Gere<strong>ch</strong>tigkeit ihnen dur<strong>ch</strong><br />

vieler Mens<strong>ch</strong>en M<strong>und</strong> bestätigt .wird. So errei<strong>ch</strong>en sie genau das Gegenteil von<br />

dem, was sie zu gewinnen meinen. 16,15b: Gott aber kennt eure Herzen. Denn<br />

was bei den Mens<strong>ch</strong>en ho<strong>ch</strong> ist, ist vor Gott ein Greuel. Deshalb, weil sie si<strong>ch</strong><br />

selbst Gere<strong>ch</strong>tigkeit beilegen, haben sie Gott wider si<strong>ch</strong>, dem ihr Herz offenbar<br />

ist <strong>und</strong> der das haßt, was ho<strong>ch</strong> unter den Mens<strong>ch</strong>en ist. "Wegen ihrer Heiligkeit<br />

<strong>und</strong> "Würde, die sie vor si<strong>ch</strong> selbst haben, fällt Gottes Abs<strong>ch</strong>eu, ni<strong>ch</strong>t Re<strong>ch</strong>tfertigung,<br />

auf sie.<br />

Mit kurz aneinandergereihten "Worten, die <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t weiter verb<strong>und</strong>en<br />

hat, werden ihnen ihre Sünden vorgehalten. 16,16: Das Gesetz <strong>und</strong> die Propheten<br />

rei<strong>ch</strong>en bis auf Johannes. Von da an wird die gute Bots<strong>ch</strong>aft von Gottes<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft gesagt, <strong>und</strong> jeder übt gegen sie Gewalt. Bis auf Johannes stand Israel<br />

unter dem Alten Testament; Gesetz <strong>und</strong> Propheten sagten ihm bis dorthin<br />

Gottes Willen, <strong>und</strong> das Volk war ihrem Wort untergeben. Dann kam das<br />

Neue: Gottes königli<strong>ch</strong>es Werk wird angesagt. Johannes sagte ihnen diese gute<br />

Bots<strong>ch</strong>aft zuerst; Jesus setzte sie fort, <strong>und</strong> der Erfolg war, daß Gott wie ein<br />

Feind <strong>und</strong> Räuber behandelt wird. Jedermann setzt si<strong>ch</strong> gegen seine Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

zur Wehr, tut alles zu ihrer Verhinderung, zertritt das Wort des Täufers<br />

<strong>und</strong> dasjenige Jesu au<strong>ch</strong>, ma<strong>ch</strong>t die Arbeit des Täufers vergebli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> diejenige<br />

Jesu au<strong>ch</strong>, als wäre es das größte Unglück für Israel, wenn Gottes Gabe<br />

zu ihm käme, <strong>und</strong> das Allemötigste, daß sie von ihm ferngehalten sei. Sie, die<br />

dem Evangelium von Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft mit Gewalt widerstehen, was sind sie?<br />

Ein Greuel vor Gott! Ein dem Sinne <strong>na<strong>ch</strong></strong> glei<strong>ch</strong>es Wort steht bei Matthäus in<br />

der Klage Jesu über Israels Unbußfertigkeit, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem die Boten des Täufers<br />

weggegangen waren, 11,12.13. Matthäus hat ihm diesen Platz gegeben, weil<br />

es das Regiment der alten S<strong>ch</strong>rift bis auf Johannes erstreckt, mit dem Gottes<br />

neue <strong>Offenbarung</strong> begonnen hat. <strong>Lukas</strong> stellt es in die Rede gegen die Phari-


2 7^ <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

säer, weil der Kampf gegen Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft vor allem ihre S<strong>ch</strong>uld gewesen<br />

ist.<br />

16,17: Lei<strong>ch</strong>ter aber ist es, daß der Himmel <strong>und</strong> die Erde vergehen,.als daß<br />

ein einziger Stri<strong>ch</strong> des Gesetzes falle. Das zeigt, wie vergebli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> töri<strong>ch</strong>t ein<br />

sol<strong>ch</strong>er Kampf mit Gott ist. Sein Gesetz ist sein "Wille, zu dem er si<strong>ch</strong> bekennt<br />

<strong>und</strong> der so wenig dahinf ällt wie Gott selbst. <strong>Die</strong>ses mä<strong>ch</strong>tige "Wort stammt aus<br />

der Bergpredigt Matthäus j,i8. Jesus verteidigt dort mit ihm die S<strong>ch</strong>rift gegen<br />

die herrs<strong>ch</strong>ende Sitte, die sie zwar dem Namen <strong>na<strong>ch</strong></strong> ho<strong>ch</strong>hält <strong>und</strong> denno<strong>ch</strong><br />

entkräftet, zertritt <strong>und</strong> beiseite s<strong>ch</strong>iebt. <strong>Lukas</strong> setzt das Wort wohl deshalb •<br />

hierher, weil er an den Kampf der Pharisäer gegen die Bibel denkt. Wird Jesus<br />

verworfen <strong>und</strong> Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft abgewehrt, so ist au<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>rift zerrissen, •<br />

ihre Verheißung geleugnet <strong>und</strong> ihr Gebot zertreten. Aber Himmel <strong>und</strong> Erde<br />

fallen eher, als daß Gott sein Wort verleugnete. Was sind die, die gegen Gottes<br />

Gesetz kämpfen? Ein Greuel vor Gott!<br />

16,18: Jeder, der sein Weib entläßt <strong>und</strong> eine andere heiratet, treibt Ehebru<strong>ch</strong>,<br />

<strong>und</strong> wer die vom Mann Entlassene heiratet, treibt Ehebru<strong>ch</strong>. Von beiden<br />

sagten die Pharisäer: Sie sündigen ni<strong>ch</strong>t. Es ist ein einzelner, aber wi<strong>ch</strong>tiger<br />

Punkt genannt, an dem die Auflehnung der Pharisäer gegen das Gesetz deutli<strong>ch</strong><br />

wird. Jesus hält ihnen ihre Eheordnung vor, die eine Menge von Versündigung<br />

für re<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> rein erklärte, <strong>und</strong> denno<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tfertigen sie si<strong>ch</strong> selbst.<br />

An Jesu Maß gemessen waren unter diesen Heiligen Ehebre<strong>ch</strong>er in großer<br />

Zahl; denn sie brau<strong>ch</strong>ten ihr Re<strong>ch</strong>t, die Frau zu entlassen, gern, sowie es ihnen<br />

vorteilhaft s<strong>ch</strong>ien. Was ist dieses ehebre<strong>ch</strong>eris<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t vor Gott? Ein<br />

Greuel vor ihm!<br />

Aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Art, wie sie ihr Geld gebraudien, sind sie ein Greuel vor<br />

Gott. Damit bekommt nun ihr Spott über Jesus, mit dem sie ihren geldgierigen<br />

Sinn verteidigten, seine Antwort. Er zeigt ihnen, wie bitter si<strong>ch</strong> der fals<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong><br />

des Geldes straft. Das neue Glei<strong>ch</strong>nis blickt deutli<strong>ch</strong> auf das vom klugen<br />

Verwalter zurück <strong>und</strong> bildet mit ihm ein Paar. Der kluge Verwalter benutzte<br />

das Geld ri<strong>ch</strong>tig; der Rei<strong>ch</strong>e brau<strong>ch</strong>te es fals<strong>ch</strong>. Den Bauern, die jener bes<strong>ch</strong>enkt,<br />

steht hier Lazarus gegenüber, den der Rei<strong>ch</strong>e im Elend sterben läßt.<br />

Der Verwalter wird in die Hütten derer aufgenonimen, denen er wohlgetan<br />

hat; der Rei<strong>ch</strong>e fleht Lazarus vergebli<strong>ch</strong> um einen Tropfen Wassers an <strong>und</strong><br />

bleibt von ihm dur<strong>ch</strong> eine Kluft ges<strong>ch</strong>ieden, die niemand übers<strong>ch</strong>reiten kann.<br />

16,19: Es war aber ein rei<strong>ch</strong>er Mann, <strong>und</strong> er kleidete si<strong>ch</strong> in Purpur <strong>und</strong><br />

feine Leinwand, <strong>und</strong> er freute si<strong>ch</strong> herrli<strong>ch</strong> jeden Tag. In dem, was Gott ihm<br />

gab, sah der Rei<strong>ch</strong>e die Bere<strong>ch</strong>tigung, die kostbarsten Gewänder zu tragen <strong>und</strong><br />

si<strong>ch</strong> Tag um Tag ein herrli<strong>ch</strong>es Fest zu bereiten. Dazu haben die Mens<strong>ch</strong>en <strong>na<strong>ch</strong></strong>


<strong>Lukas</strong> i6,iy—24 279<br />

seiner Meinung ihr Geld. "Wer rei<strong>ch</strong> ist, kleidet si<strong>ch</strong> vornehm <strong>und</strong> lebt vergnügt.<br />

Aber ni<strong>ch</strong>t auf das, was er si<strong>ch</strong> selber gönnt, hat Jesus das Urteil gegründet,<br />

das über ihn ergeht, sondern darauf, wie er si<strong>ch</strong> zu den Mens<strong>ch</strong>en<br />

stellt. 16,20. 21a: Aber ein Armer mit Namen Lazarus lag an seinem Torweg<br />

mit Ges<strong>ch</strong>würen bedeckt <strong>und</strong> wüns<strong>ch</strong>te, deh mit dem zu sättigen, was vom<br />

Tis<strong>ch</strong> des Rei<strong>ch</strong>en fiel. Der Rei<strong>ch</strong>e mußte den Bedürftigen ni<strong>ch</strong>t weit su<strong>ch</strong>en;<br />

das Elend lag di<strong>ch</strong>t an seinem Tor. Und was für ein Elend! Ein vollendetes<br />

Jammerbild, obda<strong>ch</strong>los auf der Straße hausend, krank, voll von Ges<strong>ch</strong>würen<br />

<strong>und</strong> W<strong>und</strong>en, hungrig, auf die Brocken angewiesen, die ihm zugeworfen werden.<br />

Er begehrte vom Rei<strong>ch</strong>en keine Wohltat, die ihn irgendwie bes<strong>ch</strong>wert<br />

hätte. Wenn er nur die Brocken erhielte, die unbea<strong>ch</strong>tet von seinem Tis<strong>ch</strong> fielen,<br />

so hätte er si<strong>ch</strong> daran sättigen können. Aber er lag da, vom Rei<strong>ch</strong>en vera<strong>ch</strong>tet,<br />

der nie verstand, daß ihm hier Gott die Gelegenheit gegeben hatte,<br />

seinen Willen zu tun. 16,21b: Es kamen vielmehr au<strong>ch</strong> die H<strong>und</strong>e <strong>und</strong> beleckten<br />

seine W<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong>se Worte kamen aus Jesu flammendem Zorn über die<br />

Härte der Mens<strong>ch</strong>en. Unter den H<strong>und</strong>en der Gasse verkam der Arme; die<br />

H<strong>und</strong>e kamen, der Rei<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t.<br />

Das ist der unselige Gebrau<strong>ch</strong> des Geldes. Er brau<strong>ch</strong>t es für si<strong>ch</strong>, für seine<br />

Kleider <strong>und</strong> für seine Festli<strong>ch</strong>keiten, <strong>und</strong> sah das Elend ni<strong>ch</strong>t, mo<strong>ch</strong>te es no<strong>ch</strong><br />

so offenk<strong>und</strong>ig sein, <strong>und</strong> half ni<strong>ch</strong>t, au<strong>ch</strong> wenn die Hilfe no<strong>ch</strong> so notwendig<br />

war. Das Bild ist no<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong>er, als wenn der Priester <strong>und</strong> Levit am Halbtoten<br />

in der Wüste vorübergehen, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t übertrieben, sondern Zug für<br />

Zug dem angepaßt, was Jesus oft in den Gassen der Städte sah.<br />

Jesus erzählte weiter, was <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Sterben beider ges<strong>ch</strong>ah. 16,22a: Es ges<strong>ch</strong>ah<br />

aber, daß der Arme starb <strong>und</strong> von den Engeln an die Brust Abrahams getragen<br />

wurde. Jetzt kommt es au<strong>ch</strong> ihm zugut, daß er ein Sohn Abrahams war.<br />

<strong>Die</strong>ser vera<strong>ch</strong>tet ihn ni<strong>ch</strong>t, ja gibt ihm den Ehrenplatz bei si<strong>ch</strong>, ihm, der unter<br />

den Söhnen Abrahams auf Erden ni<strong>ch</strong>ts galt <strong>und</strong> den H<strong>und</strong>en überlassen blieb.<br />

Wie Lazarus von der Gasse vers<strong>ch</strong>wand, so der Rei<strong>ch</strong>e aus seinem Palast.<br />

16,22b: Es starb aber au<strong>ch</strong> der Rei<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> ward begraben. Daß ihm ein Begräbnis<br />

gesi<strong>ch</strong>ert ist, ist der letzte Gewinn, den ihm sein Rei<strong>ch</strong>tum bringt. Von nun<br />

an zeigt es si<strong>ch</strong>, daß er ihn zum Unsegen besessen hat. Mit großer Zartheit der<br />

Darstellung hat Jesus alles vermieden, was uns vom einen Hauptpunkt der Erzählung<br />

ablenkte <strong>und</strong> mit den vielerlei Fragen, die uns über das Ges<strong>ch</strong>ick der<br />

abges<strong>ch</strong>iedenen Seelen bewegen mögen, bes<strong>ch</strong>äftigen könnte. Er hat uns das<br />

Glei<strong>ch</strong>nis nur dazu erzählt, um uns zu zeigen, wann wir uns mit unserem<br />

Rei<strong>ch</strong>tum den Tod bereiten.<br />

16,23. 2 4 : Und in der Totenwelt erhob er seine Augen, da er in der Qual


28o <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

war, sieht Abraham von ferne <strong>und</strong> Lazarus an seiner Brust, <strong>und</strong> er rief sie an<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Vater Abraham, erbarme di<strong>ch</strong> meiner <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>icke Lazarus, daß er<br />

die Spitze seines Fingers in Wasser tau<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> meine Zunge kühle; denn i<strong>ch</strong><br />

leide Pein in dieser Flamme. <strong>Die</strong> Qualen des Rei<strong>ch</strong>en werden als ein glühender,<br />

verzehrender Durst bes<strong>ch</strong>rieben, der dur<strong>ch</strong> eine Flamme hervorgerufen ist,<br />

die ni<strong>ch</strong>t zerstört, aber vers<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>ten ma<strong>ch</strong>t. Er sieht Abraham <strong>und</strong> Lazarus,<br />

<strong>und</strong> nun bittet er. Früher bat ihn Lazarus; nun ist der Rei<strong>ch</strong>e der Arme geworden,<br />

der bitten muß. Er wagt nur um die kleinste Erquickung zu bitten, nur<br />

darum, daß er ihm mit seiner Fingerspitze einen Tropfen Wasser, ein wenig<br />

Kühlung auf die heiße Zunge lege. "Wie er früher si<strong>ch</strong> vergebens bitten ließ, so<br />

bittet nun er vergebens. Lazarus blieb dur<strong>ch</strong> ihn unerquickt, nun er. Lazarus<br />

bekam ni<strong>ch</strong>t einmal die Brocken; nun bekommt er ni<strong>ch</strong>t einmal den Tropfen.<br />

Das ist die Gere<strong>ch</strong>tigkeit in seinem Los. 16,25a: Abraham aber spra<strong>ch</strong>: Sohn,<br />

gedenke, daß du dein Gutes in deinem Leben erhalten hast <strong>und</strong> Lazarus ebenso<br />

das S<strong>ch</strong>limme. Er darf ni<strong>ch</strong>t vergessen, was auf Erden ges<strong>ch</strong>ah; denn dort liegt<br />

der Gr<strong>und</strong>, aus dem ihm sein jetziger Zustand erwu<strong>ch</strong>s. Damals bekam er<br />

Gutes <strong>und</strong> Lazarus S<strong>ch</strong>limmes, <strong>und</strong> so s<strong>ch</strong>ien es damals dem Rei<strong>ch</strong>en ri<strong>ch</strong>tig;<br />

damals war er mit seinem Lose ganz zufrieden. Daß er von seinem Gute au<strong>ch</strong><br />

Lazarus etwas gönnen könnte, kam ni<strong>ch</strong>t in seinen Sinn. Er behielt es für si<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> ließ Lazarus das Bittere ohne Linderung <strong>und</strong> Abzug leiden. 16,25b: Jetzt<br />

aber wird er hier getröstet; dir aber ist weh. Das ist jetzt ebenso gere<strong>ch</strong>t wie<br />

früher das Gegenteil.<br />

Ni<strong>ch</strong>t das lehrt Jesus, daß auf irdis<strong>ch</strong>es Glück notwendig Unseligkeit, auf<br />

Leiden hier notwendig Seligkeit folge. Ni<strong>ch</strong>t auf das, was wir haben, sondern<br />

auf das, was wir den Mens<strong>ch</strong>en tun, ri<strong>ch</strong>tet Jesus unseren Blick. Daß der Härte<br />

hier dort die Härte widerfährt, daß der, der vergebens gebeten ward, dort<br />

vergebens bittet <strong>und</strong> dem, der hier ni<strong>ch</strong>t half, dort ni<strong>ch</strong>t geholfen wird, das hat<br />

Jesus hier wie au<strong>ch</strong> sonst als Gottes festen Willen bezeugt. <strong>Die</strong> Barmherzigen<br />

werden Barmherzigkeit empfangen.<br />

Dem Rei<strong>ch</strong>en wird weiter gesagt, daß die Erfüllung seiner Bitte s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong><br />

die Bes<strong>ch</strong>affenheit des Orts unmögli<strong>ch</strong> sei. 16,26: Und zu allem dem ist zwis<strong>ch</strong>en<br />

uns <strong>und</strong> eu<strong>ch</strong> eine große Kluft befestigt, damit die, die von hier zu eu<strong>ch</strong><br />

hinübergehen wollen, es ni<strong>ch</strong>t können <strong>und</strong> damit sie au<strong>ch</strong> von dort ni<strong>ch</strong>t zu uns<br />

herüber gelangen. Es liegt nun ni<strong>ch</strong>t mehr im Vermögen des Mens<strong>ch</strong>en, das Los<br />

des anderen zu lindern. Jesus hat die beiden Orte ni<strong>ch</strong>t als Höhe <strong>und</strong> Tiefe<br />

übereinandergesetzt, sondern sie als in derselben Ebene nebeneinanderliegend<br />

bes<strong>ch</strong>rieben, damit das Auge <strong>und</strong> das Wort des Rei<strong>ch</strong>en zu Abraham hinüber-


<strong>Lukas</strong> i6,25a—31 281<br />

dringen kann. Zwis<strong>ch</strong>en den beiden Orten öffnet si<strong>ch</strong> aber ein Abgr<strong>und</strong>, der<br />

unübers<strong>ch</strong>reitbar ist. Damit ri<strong>ch</strong>tet Jesus unseren Blick auf ein endgültiges Urteil,<br />

auf eine Verlorenheit, für die es keine Hilfe gibt.<br />

Da das Mens<strong>ch</strong>enherz davor erbebt, geht Jesus mit Beda<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t an der<br />

Frage vorbei, ob der Mens<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> genügend gewarnt sei oder, ohne es zu wissen,<br />

in sein Verderben gehe. 16,27—29: Er sagte aber: So bitte i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong>, Vater,<br />

daß du ihn in das Haus meines Vaters s<strong>ch</strong>ickest. Denn i<strong>ch</strong> habe fünf Brüder,<br />

damit er ihnen bezeuge, damit ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> sie an diesen Ort der Qual kommen.<br />

Abraham aber sagt: Sie haben Mose <strong>und</strong> die Propheten; sie sollen auf sie<br />

hören. <strong>Die</strong> S<strong>ch</strong>rift bezeugt dem Mens<strong>ch</strong>en Gottes Willen hell. Er weiß, was gut<br />

ist, weiß, woran er verdirbt. Au<strong>ch</strong> hier redet Jesus als der, der die Bibel gegen<br />

jede Anklage s<strong>ch</strong>irmt. Sie rei<strong>ch</strong>t völlig zu, um jeden Rei<strong>ch</strong>en vor dem Verderben<br />

zu behüten, wenn er nur auf sie hört.<br />

Aber wäre es ni<strong>ch</strong>t wirksamer, wenn Gott aus dem Totenrei<strong>ch</strong> die Boten<br />

sendete? Jesus läßt dies den Rei<strong>ch</strong>en ausspre<strong>ch</strong>en. 16,30.31: Er aber sagte:<br />

Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen geht, werden<br />

sie Buße tun. Er sagte ihm aber: Wenn sie auf Mose <strong>und</strong> die Propheten<br />

ni<strong>ch</strong>t hören, werden sie si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t überzeugen lassen, wenn einer aus den<br />

Toten aufersteht. <strong>Die</strong> Begier des Mens<strong>ch</strong>en wehrt si<strong>ch</strong> gegen jeden Bußruf,<br />

gegen die plötzli<strong>ch</strong>e, überras<strong>ch</strong>ende Mahnung, wie sie ihm ein Auferstandener<br />

brä<strong>ch</strong>te, ebenso heftig <strong>und</strong> ebenso erfolgrei<strong>ch</strong> wie gegen das helle, klare S<strong>ch</strong>riftwort,<br />

das ihn dur<strong>ch</strong> das ganze Leben begleitet hat. Jesus leugnet, daß unser<br />

S<strong>ch</strong>aden darin bestehe, daß wir über das, was uns heilsam ist, ni<strong>ch</strong>t genügend<br />

unterwiesen seien. Gottes Wille ist offenbar <strong>und</strong> klar. Auf das uns gegebene<br />

"Wort zeigt er hin; dieses hat die Ma<strong>ch</strong>t, jeden zu bewahren <strong>und</strong> zu erretten,<br />

der darauf hört.<br />

Viellei<strong>ch</strong>t ruhte Jesu Blick bei diesem S<strong>ch</strong>luß des Glei<strong>ch</strong>nisses au<strong>ch</strong> auf seinem<br />

eigenen Ausgang. Wenn er den Todesgang vollbra<strong>ch</strong>t hat, wird ihn dann<br />

Gott etwa no<strong>ch</strong>mals senden? no<strong>ch</strong>mals zu diesen Rei<strong>ch</strong>en in ihren Purpurmänteln,<br />

die jetzt ni<strong>ch</strong>t hören, no<strong>ch</strong>mals zu diesen Heiligen, vor deren Türe Lazarus<br />

in Hunger <strong>und</strong> Elend stirbt <strong>und</strong> die si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> selber re<strong>ch</strong>tfertigen <strong>und</strong> au<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> Jesu Bußwort ni<strong>ch</strong>t erwa<strong>ch</strong>en, sondern in die Verlorenheit hinabsinken?<br />

Nein! Das göttli<strong>ch</strong>e Wort, das Israel gegeben ist, unterweist jeden <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t<br />

allen ihre harte Lieblosigkeit mit voller Klarheit zur S<strong>ch</strong>uld. Seine Auferstehung<br />

beruft ihn ni<strong>ch</strong>t dazu, no<strong>ch</strong>mals dem Volk denselben <strong>Die</strong>nst zu tun,<br />

den er ihm jetzt erwies. Jetzt muß er gehört, jetzt ihm geglaubt werden. Wo<br />

sein Bußruf jetzt vergebli<strong>ch</strong> ist, wäre er es <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Auferstehung au<strong>ch</strong>.


2 &2 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Worte an die Jünger<br />

<strong>Lukas</strong> hat uns Jesu unerbittli<strong>ch</strong>es Zeugnis gegen die Bosheit vorgelegt <strong>und</strong><br />

unseren Blick auf die Verlorenheit geri<strong>ch</strong>tet, in der sie fendet. Darum fährt er<br />

hier mit denjenigen Sprü<strong>ch</strong>en fort, dur<strong>ch</strong> die Jesus die Jünger zum Kampf<br />

gegen das Böse in ihrer eigenen Mitte verpfli<strong>ch</strong>tet hat. 17,1: Er sagte aber zu<br />

seinen Jüngern: Es ist unmögli<strong>ch</strong>, daß die Ärgernisse ni<strong>ch</strong>t kommen; aber wehe<br />

dem, dur<strong>ch</strong> den sie kommen! Das Böse läßt si<strong>ch</strong> aus dem Mens<strong>ch</strong>enleben ni<strong>ch</strong>t<br />

entfernen, da es mit dem ganzen Bestand desselben verwa<strong>ch</strong>sen ist. Ärgernisse<br />

müssen deshalb kommen <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> in der Gemeinde Jesu Dinge ges<strong>ch</strong>ehen, an<br />

denen sie si<strong>ch</strong> vergiften kann. <strong>Die</strong>ser Kampf kann ihr ni<strong>ch</strong>t abgenommen werden,<br />

sondern gehört zu ihrem Beruf. Aber den, der dem Bösen über si<strong>ch</strong> Ma<strong>ch</strong>t<br />

gibt <strong>und</strong> es an die anderen mit versu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Lockung heranbringt, daß sie<br />

seinetwegen fallen, den stellt Jesus unter sein Wehe <strong>und</strong> rä<strong>ch</strong>t an ihm die, die<br />

er verdarb. 17,2. 3a: Es wäre für ihn ein Vorteil, wenn ein Mühlstein um seinen<br />

Nacken hinge <strong>und</strong> er in das Meer geworfen würde, statt daß er für einen<br />

dieser Kleinen zum Anstoß würde. Gebt auf eu<strong>ch</strong> a<strong>ch</strong>t! <strong>Lukas</strong> gibt uns hier das -<br />

selbe "Wort wie Matthäus 18,6. 7; nur zeigte Matthäus <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong>er darauf<br />

hin, daß Jesus in besonderem Maß gerade den Kleinen seine Fürsorge zuwendet,<br />

über deren Fall wir uns lei<strong>ch</strong>t hinwegsetzen.<br />

17,3b. 4: Wenn dein Bruder gesündigt hat, so strafe ihn, <strong>und</strong> wenn et es bereut,<br />

so vergib ihm! Und wenn er siebenmal des Tages gegen di<strong>ch</strong> gesündigt<br />

hat <strong>und</strong> siebenmal zu dir zurückkommt <strong>und</strong> sagt: I<strong>ch</strong> bereue es, so sollst du ihm<br />

vergeben. <strong>Die</strong> zweite Mahnung sagt, was wir der Sünde der anderen s<strong>ch</strong>uldig<br />

sind. Bis sie erkannt <strong>und</strong> gestanden ist, s<strong>ch</strong>ulden wir ihr die Zure<strong>ch</strong>tweisung;<br />

wird sie bereut, die Vergebung. Wie uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong> unsere Bereitwilligkeit sein<br />

darf, die Sünde des anderen mit völligem Vergeben zu decken, wird uns dadur<strong>ch</strong><br />

dargestellt, daß siebenmal am selben Tage demselben Bruder Verzeihung<br />

gewährt werden muß. An diesen Spru<strong>ch</strong> lehnte si<strong>ch</strong> die Frage des Petrus an:<br />

"Wie oft muß i<strong>ch</strong> vergeben? siebenmal? (Matthäus 18,21), worauf ihm Jesus<br />

zeigte, daß er diese Zahl ni<strong>ch</strong>t wie ein gesetzegebender S<strong>ch</strong>riftgelehrter dazu<br />

nannte, um unser Vergeben mit einer S<strong>ch</strong>ranke zu umgeben, sondern von unserem<br />

Verzeihen alle Begrenzungen <strong>und</strong> Bere<strong>ch</strong>nungen entfernt.<br />

So ist uns gezeigt, wie Jesu Gemeinde die Buße in gemeinsamer Abwehr des<br />

Bösen bei si<strong>ch</strong> bewahrt <strong>und</strong> übt. Darum s<strong>ch</strong>ließt <strong>Lukas</strong>, weil die Buße <strong>und</strong> der<br />

Glaube zusammengehören, dasjenige Wort Jesu an, dur<strong>ch</strong> das er die Jünger<br />

ins volle Glauben emporgeführt hat. Er hat es ni<strong>ch</strong>t nur in etwas anderer Gestalt<br />

als Matthäus <strong>und</strong> <strong>Markus</strong>, sondern vers<strong>ch</strong>afft ihm au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> eine tiefe<br />

Erläuterung, daß er es mit der Bitte der Jünger in Verbindung bringt. 17,5:


<strong>Lukas</strong> i7,i—6 283<br />

Und die Apostel sagten zum Herrn: Gib uns größeren Glauben! Sie empfinden<br />

seine S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit <strong>und</strong> spüren, wie ihr Herz s<strong>ch</strong>wankt <strong>und</strong> ihr Aufblick zu<br />

Gott mit Dunkelheiten ringt. Wenn ihnen do<strong>ch</strong> Jesus, das ist ihr Verlangen,<br />

ihren Glauben größer ma<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> mit Kraft <strong>und</strong> Festigkeit erfüllte! Sie zweifeln<br />

ni<strong>ch</strong>t, ihre Bitte sei ri<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> eins mit Jesu Sinn.<br />

Sie gehor<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> mit dieser Bitte einem fals<strong>ch</strong>en, glaubenslosen Gedanken,<br />

weil sie angstvoll auf die S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit ihres Glaubens sehen <strong>und</strong><br />

dessen Stärke messen, ob er wohl groß genug sei, ihnen Gottes Gabe zu vers<strong>ch</strong>affen<br />

<strong>und</strong> sie bei Jesus zu erhalten. Damit bleiben sie bereits ni<strong>ch</strong>t mehr in<br />

der Leitung des Glaubens <strong>und</strong> sehen ni<strong>ch</strong>t auf das, worauf der Glaube sieht,<br />

<strong>und</strong> gründen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr auf das, worauf si<strong>ch</strong> der Glaube stellt. Denn so<br />

bes<strong>ch</strong>auen sie si<strong>ch</strong> selbst, su<strong>ch</strong>en in der Stärke ihres Glaubens ihren Halt <strong>und</strong><br />

glauben an ihren Glauben, an dessen Größe, an seine Gottes Güte erweckende<br />

Mä<strong>ch</strong>tigkeit. Der Glaubende sieht auf Gott, hält si<strong>ch</strong> an Gottes Gnade, verläßt<br />

si<strong>ch</strong> auf das, was Gott tut, <strong>und</strong> hat in ihm seine Ruhe, seinen Ruhm, seine<br />

Zuversi<strong>ch</strong>t.<br />

Jesus zog ihr Auge von ihrer eigenen Person weg <strong>und</strong> wendete es hin zu<br />

Gottes Gnade <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t. 17,6: Aber der Herr sagte: Wenn ihr Glauben wie<br />

ein Senfkorn hättet, würdet ihr diesem wilden Teigenbaum sagen: Sei entwurzelt<br />

<strong>und</strong> ins Meer verpflanzt! <strong>und</strong> er würde eu<strong>ch</strong> gehor<strong>ch</strong>en. Ni<strong>ch</strong>t erst<br />

der große Glaube hat Jesu Verheißung; jeder Glaube hat sie, s<strong>ch</strong>on der, der<br />

no<strong>ch</strong> dem Senfkorn glei<strong>ch</strong>t, ohne Eins<strong>ch</strong>ränkung, ohne daß hier no<strong>ch</strong> eine<br />

höhere Zusage mögli<strong>ch</strong> wäre. Damit, daß sie den Baum aus der Erde hinüber<br />

ins Meer verpflanzen, so daß er jetzt auf dem Meeresspiegel steht <strong>und</strong> wä<strong>ch</strong>st,<br />

nennt ihnen Jesus absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> wieder etwas völlig Unglaubli<strong>ch</strong>es <strong>und</strong> ganz Unmögli<strong>ch</strong>es,<br />

ni<strong>ch</strong>t als sollten sie sol<strong>ch</strong>e "W<strong>und</strong>erli<strong>ch</strong>keiten begehren <strong>und</strong> Bäume<br />

aus dem Land aufs Meer verpflanzen, sondern um ihnen jeden Blick auf das abzus<strong>ch</strong>neiden,<br />

was ihnen von Natur <strong>und</strong> in eigener Kraft mögli<strong>ch</strong> ist, <strong>und</strong> es<br />

ihnen klar zu sagen, daß Gottes Gabe ni<strong>ch</strong>t da aufhört, wo ihr eigenes Vermögen<br />

endet, <strong>und</strong> Gottes Hilfe ni<strong>ch</strong>t nur so weit rei<strong>ch</strong>t, als sie sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem<br />

Maß der Natur bere<strong>ch</strong>nen können, sondern daß der uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>atz<br />

der Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes bei ihnen ist <strong>und</strong> für sie handelt, sowie sie<br />

Glauben haben, ni<strong>ch</strong>t wegen der Größe desselben, sondern deshalb, weil sie<br />

Gott anrufen, auf seine Güte hoffen <strong>und</strong> ihm in ihrem Herzen die Ehre geben,<br />

daß er Gott sei.<br />

f<br />

Damit hat ihnen Jesus ihre Bitte erfüllt <strong>und</strong> ihren Glauben gemehrt. Denn<br />

er nahm ihnen dur<strong>ch</strong> seine Verheißung das aus dem Herzen, was ihn hinderte.<br />

Er kann nie in ihnen zur Vollständigkeit erwa<strong>ch</strong>sen, wenn sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von


2 84 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Jesus zeigen lassen, daß sie erst dann glauben, wenn sie ihr Auge weg von<br />

allem, was sie selber sind, au<strong>ch</strong> weg vom Grad <strong>und</strong> Maß ihres Glaubens auf<br />

Gottes ganze Güte wenden. Dann rühmen sie ni<strong>ch</strong>t mehr si<strong>ch</strong> selbst, su<strong>ch</strong>en<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr in der Größe <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit ihres Glaubens ihre Kraft, verzagen<br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr wegen seiner S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>heit <strong>und</strong> Uns<strong>ch</strong>einbarkeit, sondern<br />

halten si<strong>ch</strong> an den, der bei ihnen ist <strong>und</strong>; für sie wirkt <strong>und</strong> sie mit seiner vollkommenen<br />

Verheißung umfaßt.<br />

Es gibt in unserem Leben no<strong>ch</strong> etwas zweites, was unseren Blick auf uns<br />

selber wendet, weshalb wir uns selbst groß <strong>und</strong> gut ers<strong>ch</strong>einen <strong>und</strong> in uns<br />

selbst den Gr<strong>und</strong> für unsere Zuversi<strong>ch</strong>t entdecken; das ist unsere in Gottes<br />

<strong>Die</strong>nst getane Tat. Darum hat die Verheißung an den dem Senfkorn glei<strong>ch</strong>enden<br />

Glauben ihre Ergänzung <strong>und</strong> Fortsetzung in Jesu Verbot, uns wegen unseres<br />

Werks Bew<strong>und</strong>erung zu spenden, seinetwegen Dank von Gott zu fordern<br />

<strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> beides zu verderben, sowohl den Glauben, der auf ihn<br />

blickt, als die Liebe, die ihm zu dienen begehrt. Israel war damals völlig vom<br />

Bestreben beherrs<strong>ch</strong>t, aus seinem Leben ein Verdienst zu ma<strong>ch</strong>en, dur<strong>ch</strong> das<br />

ihm Gottes Wohltat gesi<strong>ch</strong>ert sei. Zuerst hing si<strong>ch</strong> der Verdienstgedanke an<br />

das Werk als an das kräftigste Mittel, wodur<strong>ch</strong> ein Anre<strong>ch</strong>t an Gottes Liebe zu<br />

gewinnen sei. Wenn es aber Israel deutli<strong>ch</strong> ward, daß sein Werk unzulängli<strong>ch</strong><br />

sei, weil es unsere Sündhaftigkeit an si<strong>ch</strong> hat, dann flü<strong>ch</strong>tete es si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zum<br />

Glauben <strong>und</strong> hielt Gott die Verdienste vor, die es si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> um ihn erwerbe,<br />

daß es.allein unter allen Völkern an ihn glaube. Jesus hebt dur<strong>ch</strong> diese<br />

Worte seine Jünger aus Israels Bahn völlig heraus, heißt einen Glauben, der<br />

si<strong>ch</strong> als Verdienst ers<strong>ch</strong>eint, no<strong>ch</strong> keinen Glauben <strong>und</strong> einen Gehorsam, der<br />

s<strong>ch</strong>on fertig sein will <strong>und</strong> am Ziel zu stehen meint <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>on den Dank begehrt,<br />

Ungehorsam.<br />

<strong>Die</strong> Jünger sollen erwägen, wie sie si<strong>ch</strong> selbst zum Kne<strong>ch</strong>t stellen, der ihnen<br />

dient. 17,7—9: Wò ist unter eu<strong>ch</strong> einer, der einen Kne<strong>ch</strong>t hat, der pflügt oder<br />

hütet, der ihm, wenn er vom Acker heimkommt, sagte: Glei<strong>ch</strong> komm herbei,<br />

<strong>und</strong> leg di<strong>ch</strong> an den Tis<strong>ch</strong>? Wird er ihm ni<strong>ch</strong>t vielmehr sagen: Ma<strong>ch</strong>e zure<strong>ch</strong>t,<br />

was i<strong>ch</strong> speisen kann, <strong>und</strong> gürte di<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> bediene mi<strong>ch</strong>, bis i<strong>ch</strong> gegessen <strong>und</strong><br />

getrunken habe, <strong>und</strong> darauf kannst du essen <strong>und</strong> trinken? Dankt er dem<br />

Kne<strong>ch</strong>t, weil er tat, was ihm befohlen war? Der Kne<strong>ch</strong>t hat sein Tagewerk auf<br />

dem Feld am Pflug oder auf der Flur bei den Herden getan <strong>und</strong> kommt nun<br />

heim. Sofort wartet neue Arbeit auf ihn. Nun muß er das Essen rüsten <strong>und</strong><br />

bei der Mahlzeit aufwarten. Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> erst kommt die Reihe zum Essen au<strong>ch</strong><br />

an ihn. So muten sie ihrem Kne<strong>ch</strong>t <strong>Die</strong>nst auf <strong>Die</strong>nst zu <strong>und</strong> entbinden ihn<br />

deshalb, weil er die frühere Arbeit tat, ni<strong>ch</strong>t vom neuen Werk. Ein re<strong>ch</strong>ter


Ltikasi7,7—io 285<br />

Kne<strong>ch</strong>t begehrt au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts anderes, greift <strong>Die</strong>nst um <strong>Die</strong>nst mit freudiger<br />

Willigkeit an, besorgt, was auf dem Feld zu tun ist <strong>und</strong> was im Hause nötig<br />

ist, <strong>und</strong> verlangt ni<strong>ch</strong>t, daß der Herr ihm dafür danke, sondern treibt seine<br />

Arbeit, solange sie erforderli<strong>ch</strong> ist. So hält es die Treue; so handelt der<br />

Kne<strong>ch</strong>t, bei dem sein <strong>Die</strong>nst aus der Liebe fließt. In dieser Weise hat der Jünger<br />

Jesu seine Arbeit anzusehen, ni<strong>ch</strong>t mit dem Auge, das mißt, wie groß sie<br />

s<strong>ch</strong>on sei, unwillig, ob sie ni<strong>ch</strong>t endli<strong>ch</strong> fertig werde, mit dem anspru<strong>ch</strong>svollen<br />

Begehren: Entlaß mi<strong>ch</strong> nun aus deinem <strong>Die</strong>nst; danke mir; lohne mi<strong>ch</strong>! es ist<br />

genug! Der re<strong>ch</strong>te Jüngersinn s<strong>ch</strong>aut ni<strong>ch</strong>t rückwärts auf das, was ges<strong>ch</strong>ehen<br />

ist, sondern vorwärts auf das, was jetzt <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Willen ges<strong>ch</strong>ehen kann,<br />

<strong>und</strong> greift sein Werk unermüdli<strong>ch</strong> an, immer willig, immer froh, daß er für<br />

Jesu Werk <strong>und</strong> Willen seines Lebens ganze Kraft verwenden darf.<br />

Warum dankt der Herr dem Kne<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t dafür, daß er tat, was ihm befohlen<br />

war? Täte der Kne<strong>ch</strong>t es ni<strong>ch</strong>t, so ma<strong>ch</strong>te er si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uldig <strong>und</strong> brä<strong>ch</strong>e die<br />

Treue <strong>und</strong> verwirkte sein Leben. Er muß gehor<strong>ch</strong>en; seines Herrn Befehl bindet<br />

ihn. 17,10: Also au<strong>ch</strong> ihr, wenn ihr alles, was eu<strong>ch</strong> befohlen ist, getan habt,<br />

spre<strong>ch</strong>t: Wir sind unnütze Kne<strong>ch</strong>te; was wir zu tun s<strong>ch</strong>uldig waren, taten wir.<br />

Damit hat Jesus in den Seinen die Selbstlosigkeit der e<strong>ch</strong>ten, reinen Liebe gepflanzt.<br />

Er ma<strong>ch</strong>t sie ni<strong>ch</strong>t nur dadur<strong>ch</strong> los von si<strong>ch</strong> selbst, daß er sie unter das<br />

Bußwort stellt <strong>und</strong> ihnen ihre Bosheit <strong>und</strong> Untreue si<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong>se<br />

ma<strong>ch</strong>t sie freili<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>amrot <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ließt ihnen den M<strong>und</strong>. Aber ni<strong>ch</strong>t dieser<br />

bittere Weg allein führt sie weg von der Bew<strong>und</strong>erung, mit der sie si<strong>ch</strong> selbst<br />

preisen, <strong>und</strong> vom Vertrauen, das sie auf si<strong>ch</strong> selber gründen. Au<strong>ch</strong> die Liebe<br />

ma<strong>ch</strong>t sie selbstlos <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t sie gerade dann so, wenn sie den Willen Jesu<br />

erfüllen, tun, was ihnen aufgetragen ist, sein Wort sagen <strong>und</strong> sein Wefk ausri<strong>ch</strong>ten.<br />

Dann spre<strong>ch</strong>en sie: Unnütze Kne<strong>ch</strong>te sind wir! denn etwas anderes<br />

haben sie ni<strong>ch</strong>t für ihn getan, als was ihnen befohlen war. Was sie tun, müssen<br />

sie tun. Sünde, Untreue wäre es für sie, S<strong>ch</strong>ande <strong>und</strong> Fall, hätten sie si<strong>ch</strong> geweigert,<br />

sein Gebot zu halten. Dazu hat er sie si<strong>ch</strong> verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> dazu seine<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft ihnen ges<strong>ch</strong>enkt, damit sie ihm dienen. Über das, was sie für ihn<br />

zu tun vermo<strong>ch</strong>ten, geht aber der Wille der Liebe immer hinaus. Immer s<strong>ch</strong>ätzt<br />

sie das, was sie vollbringt, als unzulängli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> dürftig. Ihre Gabe <strong>und</strong> Arbeit<br />

bleibt weit hinter dem zurück, was sie dem Herrn gern gäbe <strong>und</strong> worin sie<br />

einen seiner würdigen <strong>Die</strong>nst erkennt. <strong>Die</strong>ser S<strong>ch</strong>merz bleibt der e<strong>ch</strong>ten Liebe<br />

immer eingepflanzt <strong>und</strong> gibt ihr ihre Unermüdli<strong>ch</strong>keit. Ni<strong>ch</strong>t dazu sagte Jesus<br />

dieses Wort, damit sie etwas anderes zu tun begehrten, als was er ihnen befahl,<br />

<strong>und</strong> ihnen etwas Höheres mögli<strong>ch</strong> als die Bewahrung seines Gebots. Vielmehr<br />

gerade dazu sagte er ihnen dieses Wort, damit sie rüstig bei seinem Gebot


2 86 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

bleiben <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t selbstzufrieden davon abtreten, als wäre es nun des <strong>Die</strong>nstes<br />

genug, sondern an ihn ihre volle Liebe setzen, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wegen dessen, was<br />

sie vollbringt, bew<strong>und</strong>ert, sondern alles, was sie leistet <strong>und</strong> gibt, als viel zu<br />

gering empfindet <strong>und</strong> darum mit immer neuer Willigkeit an Jesu Auftrag<br />

geht.<br />

Nur der Samariter bringt Jesus Dank<br />

Daß das Ziel Jesu damals Jerusalem war, betont <strong>Lukas</strong> wieder, weil der<br />

Ort der Erzählung, die er hier einlegt, Jesus weit weg von Jerusalem zeigt.<br />

Glei<strong>ch</strong>wohl gilt, daß sein Weg <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem geri<strong>ch</strong>tet war. 17,11: Und es<br />

ges<strong>ch</strong>ab, als er nado Jerusalem zog, da dur<strong>ch</strong>wanderte er die Gegend zwis<strong>ch</strong>en<br />

Samaria <strong>und</strong> Galiläa. Deshalb waren in dem Dorf, das Jesus besu<strong>ch</strong>te, jüdis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>und</strong> samaritanis<strong>ch</strong>e Aussätzige beisammen. <strong>Die</strong> Gegend, die auf der einen<br />

Seite an Galiläa, auf der anderen an Samaria stieß, war zunä<strong>ch</strong>st die Ebene<br />

Jesreel, sodann die Hügel an ihrem Südrand, z. B. die Dörfer von Dothan<br />

westwärts dem Karmel zu. 17,12—18: Und als er in ein Dorf hineinging,<br />

kamen ihm zehn aussätzige Männer entgegen, die von fern standen, <strong>und</strong> sie<br />

erhoben die Stimme <strong>und</strong> sagten: Jesus, Meister, erbarme, di<strong>ch</strong> unser! Und er<br />

sah sie <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Geht, zeigt eu<strong>ch</strong> den Priestern! Und es ges<strong>ch</strong>ah,<br />

als sie weggingen, da wurden sie rein. Einer aber von ihnen, der sah, daß er<br />

ges<strong>und</strong> geworden war, kehrte um, pries mit lauter Stimme Gott, fiel auf sein<br />

Gesi<strong>ch</strong>t zu seinen Füßen <strong>und</strong> dankte ihm, <strong>und</strong> dieser war ein Samariter. Jesus<br />

aber antwortete <strong>und</strong> sagte: Wurden ni<strong>ch</strong>t die Zehn rein? Wo sind die Neun?<br />

Fand si<strong>ch</strong> keiner, der umkehrte <strong>und</strong> Gott Ehre gäbe als dieser Fremdling? Alle<br />

diese Aussätzigen, die si<strong>ch</strong> zusammengetan <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> ihr Los erlei<strong>ch</strong>tert<br />

hatten, sandte er zum Priester. Aber nur der Samariter kam zu Jesus zurück<br />

<strong>und</strong> bra<strong>ch</strong>te ihm seinen Dank. Jesus war es ein S<strong>ch</strong>merz, daß die Juden alle<br />

nur darauf beda<strong>ch</strong>t waren, ges<strong>und</strong> zu werden <strong>und</strong> seine Gabe an si<strong>ch</strong> zu<br />

ziehen, ohne daß seine Hilfe sie zu ihm zog <strong>und</strong> ihm verband. Es trat wieder<br />

Israels selbstsü<strong>ch</strong>tige Art ans Li<strong>ch</strong>t, die es immer nur an si<strong>ch</strong> denken ließ. Begierig<br />

griff es <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Gaben, do<strong>ch</strong> nur um von si<strong>ch</strong> selbst Not <strong>und</strong><br />

S<strong>ch</strong>merz abzuwehren <strong>und</strong> Leben <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit für si<strong>ch</strong> zu gewinnen: es<br />

ließ si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die Gabe zum Geber rufen <strong>und</strong> trat ni<strong>ch</strong>t zu Gott herzu<br />

mit Dank <strong>und</strong> Anbetung. So wurde die inwendige Fru<strong>ch</strong>t, die Jesu Zei<strong>ch</strong>en in<br />

ihm wirken wollten, vereitelt. Es verlor ihren bleibenden Segen <strong>und</strong> behielt<br />

ni<strong>ch</strong>ts übrig als den augenblickli<strong>ch</strong>en, kleinen Gewinn. Dem Samariter dagegen<br />

war es no<strong>ch</strong> eindrückli<strong>ch</strong>, daß eine Hilfe, wie sie ihm Jesus vers<strong>ch</strong>afft<br />

hatte, eine große Sa<strong>ch</strong>e sei. "Weil er Jesus fernstand, nahm er sie ni<strong>ch</strong>t hin als


<strong>Lukas</strong> 17,11—21 287<br />

sein gutes Redit, sondern blickte auf Jesu gnädigen Willen <strong>und</strong> bra<strong>ch</strong>te ihm<br />

seinen Dank.<br />

17,19: Und er sagte zu ihm: Steh auf <strong>und</strong> geh; dein Glaube hat dir geholfen.<br />

Das wird au<strong>ch</strong> dem Samariter gesagt wie der Kananäerin <strong>und</strong> dem heidnis<strong>ch</strong>en<br />

Hauptmann <strong>und</strong> der s<strong>ch</strong>uldbeladenen Frau, der Jesus ihrer Liebe wegen verzieh.<br />

Jedesmal, wenn zwis<strong>ch</strong>en dem Mens<strong>ch</strong>in <strong>und</strong> Jesus eine Trennung steht,<br />

wenn jenem zunä<strong>ch</strong>st der Zugang zu ihm vers<strong>ch</strong>lossen <strong>und</strong> die Bitte versagt ist<br />

<strong>und</strong> es.zur Überwindung dieser S<strong>ch</strong>eidung kommt <strong>und</strong> die Gnade si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

dorthin erstreckt, wo kein Anre<strong>ch</strong>t an sie ist <strong>und</strong> es keine Würdigkeit für sie<br />

gibt, dann wird der Glaube genannt als das, was so Großes bewirkt <strong>und</strong> diese<br />

S<strong>ch</strong>eidungen dur<strong>ch</strong>bri<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> zu denen Jesu Wohltat bringt, die zunä<strong>ch</strong>st<br />

ni<strong>ch</strong>t unter den Berufenen stehen. Au<strong>ch</strong> beim Samariter ist es dur<strong>ch</strong> seinen<br />

Glauben ges<strong>ch</strong>ehen, daß er ebenso wie die Juden Jesu Hilfe' erhielt, ja no<strong>ch</strong><br />

viel mehr als die Juden empfangen hat, weil er dur<strong>ch</strong> Jesu Wohltat ihn selbst<br />

gef<strong>und</strong>en hat.<br />

Der Anbru<strong>ch</strong> der göttli<strong>ch</strong>en Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

17,20a: Als er von den Pharisäern befragt wurde: Wann kommt die Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

Gottes? antwortete er ihnen <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>. Bei ihrer Frage denken si<strong>ch</strong> die<br />

Pharisäer, Gottes Königtum werde plötzli<strong>ch</strong> von außen her auf die Mens<strong>ch</strong>heit<br />

gelegt dur<strong>ch</strong> eine Veränderung der Natur mit einer Ma<strong>ch</strong>ttat Gottes, die<br />

alles si<strong>ch</strong>tbar neu ma<strong>ch</strong>e, als ein Stoß, von dem der Weltbestand zerbro<strong>ch</strong>en<br />

werde. Das heißt Jesus ein fals<strong>ch</strong>es Bild von Gottes Wirken <strong>und</strong> Gegenwart.<br />

17,20b. 21: Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft kommt ni<strong>ch</strong>t so, daß man ihr zus<strong>ch</strong>auen kann,<br />

<strong>und</strong> man wird si<strong>ch</strong> sagen: Seht! hier ist sie oder dort. Denn seht! Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

ist mitten unter eu<strong>ch</strong>. Sie fragen sehnsü<strong>ch</strong>tig: Wann kommt sie wohl,<br />

Gottes herrli<strong>ch</strong>e <strong>Offenbarung</strong> <strong>und</strong> große Gnadentat? spähen, ob sie si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t zeige, <strong>und</strong> verpassen sie bei all diesem Spähen, Re<strong>ch</strong>nen <strong>und</strong> Sehnen.<br />

Sie ges<strong>ch</strong>ieht ni<strong>ch</strong>t so wie der prunkvolle Einzug eines irdis<strong>ch</strong>en Königs als ein<br />

S<strong>ch</strong>auspiel, dem man zus<strong>ch</strong>auen kann. Das erleben die Fragenden eben jetzt,<br />

weil mitten unter ihnen vor ihren Augen Gottes allmä<strong>ch</strong>tige Gnade ihr königli<strong>ch</strong>es<br />

Werk vollbringt. Sein Rei<strong>ch</strong> ist da, wo der Christus ist. Sie aber nehmen<br />

ni<strong>ch</strong>ts wahr, starren in die Zukunft hinaus <strong>und</strong> fragen, wann wohl Gottes<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft beginne*.<br />

Etwas Ähnli<strong>ch</strong>es wie den Pharisäern hatte Jesus au<strong>ch</strong> den Jüngern zu sagen.<br />

Ihre Hoffnung war zwar deshalb von der der Pharisäer gründli<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ieden,<br />

• Ein anderer Gedanke liegt au<strong>ch</strong> in der Nähe, der si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit den Worten Jesu verbinden ließe,<br />

daß Gottes Herrs<strong>ch</strong>en den Mens<strong>ch</strong>en inwendig erfasse <strong>und</strong> seine Gnade si<strong>ch</strong> in unserem inneren Leben<br />

offenbare, weil sie dur<strong>ch</strong> das Wort zu uns kommt im Glauben an den Mens<strong>ch</strong>ensohn.


2 8 8 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

weil sie völlig an Jesus angeheftet war. Daß er komme, aller Welt si<strong>ch</strong> offenbare<br />

<strong>und</strong> über alle regiere, ist das Eine geworden, was alle ihre "Wüns<strong>ch</strong>e <strong>und</strong><br />

Erwartungen umfaßt. Eben darum werden für sie no<strong>ch</strong> Tage kommen, wo sie<br />

sehnli<strong>ch</strong>, aber vergebli<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Hervorbre<strong>ch</strong>en seiner Herrli<strong>ch</strong>keit verlangen<br />

werden. 17,22: Er sagte aber zu den Jüngern: Es werden Tage kommen,<br />

da ihr verlangen werdet, einen der Tage des Sohns des Mens<strong>ch</strong>en zu<br />

sehen, <strong>und</strong> ihr werdet ihn ni<strong>ch</strong>t sehen.<br />

<strong>Die</strong> Tage des Mens<strong>ch</strong>ensohnes, die von Gott ihm zugeteilte Zeit, sind dann<br />

da, wenn er mit königli<strong>ch</strong>em Walten sein Werk zur Vollendung bringt. Nur<br />

einen dieser Tage, ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong> seine ganze herrli<strong>ch</strong>e <strong>Offenbarung</strong>, nur etwas<br />

von ihr, einen si<strong>ch</strong>tbaren Anfang, ein offenes Eingreifen des Christus mö<strong>ch</strong>ten<br />

sie sehen, müssen es aber tragen, daß er verborgen bleibt, <strong>und</strong> in Geduld<br />

weiter warten. Sehnli<strong>ch</strong> wird das Verlangen <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm dann, wenn es dunkel<br />

um sie her wird, Sünde <strong>und</strong> Not die Erde erfüllen <strong>und</strong> Jesu Sa<strong>ch</strong>e verloren<br />

s<strong>ch</strong>eint.<br />

Mit dem ersten Wort über Jesu Verheißung, i2,32ff., hat uns <strong>Lukas</strong> bes<strong>ch</strong>rieben,<br />

wie Jesus den Jüngern die Hoffnung als einen Quell der Freudigkeit<br />

<strong>und</strong> Kraft gegeben hat. Sie ma<strong>ch</strong>t sie gerüstet <strong>und</strong> wa<strong>ch</strong>; dur<strong>ch</strong> sie sind<br />

ihre Lenden gegürtet <strong>und</strong> ihre Lampe brennt. Mit diesem zweiten Wort hält<br />

«r ihnen vor, daß es ihnen s<strong>ch</strong>wer werden wird, die Hoffnung auf ihn festzuhalten.<br />

Au<strong>ch</strong> sie beruft sie zu einem Kampf, der seinen tiefen Ernst bei si<strong>ch</strong> hat.<br />

17,23: Und sie werden zu eu<strong>ch</strong> sagen: Sieh dort! sieh hier! Geht ni<strong>ch</strong>t hin,<br />

<strong>und</strong> lauft ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong>! Wenn ni<strong>ch</strong>ts von den Tagen des Christus zu sehen ist,<br />

werden aus dem fals<strong>ch</strong>en, unreinen Hoffen eigenmä<strong>ch</strong>tige Weissagungen <strong>und</strong><br />

«igenwillige Taten hervorbre<strong>ch</strong>en. Was vom Himmel her ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ieht,<br />

werden die Mens<strong>ch</strong>en selber ma<strong>ch</strong>en wollen. Man wird ihnen bald von diesem,<br />

bald von jenem rühmen, daß er die Heilszeit s<strong>ch</strong>affe, so daß die Versu<strong>ch</strong>ung<br />

von den Jüngern überw<strong>und</strong>en werden muß, ihre Hoffnung auf Jesus fahren<br />

7.U lassen <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> einen anderen Heiland zu. su<strong>ch</strong>en. Alle diese hin <strong>und</strong> her<br />

flackernden Hoffnungen <strong>und</strong> Verheißungen heißt Jesus trügli<strong>ch</strong>. Wenn sein<br />

Tag kommt, wird er keine rätselhafte, zweideutige, in Verborgenheit verfteckte<br />

Gestalt mehr sein. 17,24: Dßnn wie der Blitz, der von dieser Seite des<br />

Himmels bis zur anderen leu<strong>ch</strong>tet, so wird der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en an seinem<br />

Tage sein. Wenn die Jünger lange von seiner himmlis<strong>ch</strong>en Hoheit ni<strong>ch</strong>ts<br />

wahrnehmen, obglei<strong>ch</strong> sie sehnli<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihr verlangen, widerlegt das ihre<br />

Hoffnung ni<strong>ch</strong>t. Plötzli<strong>ch</strong> bri<strong>ch</strong>t aus dem dunklen Himmel der Blitz hervor,<br />

-dann aber mit offenk<strong>und</strong>iger Klarheit, die jedes Auge ergreift.<br />

Zuerst kommt aber Jesu Verwerfung, die ihnen zeigt, wie Gottes Regie-


<strong>Lukas</strong> 17,22—31 289<br />

rung der Mens<strong>ch</strong>en Gedanken dur<strong>ch</strong>kreuzt <strong>und</strong> ihren Irrweg ni<strong>ch</strong>t verhindert,<br />

sondern dur<strong>ch</strong> ihn hindur<strong>ch</strong> Gottes Willen vollführt. 17,25: Zuerst muß er<br />

aber vieles leiden <strong>und</strong> von diesem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t verworfen werden. Her<strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

läuft das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Leben in seiner gewohnten Bahn weiter, als wäre ni<strong>ch</strong>ts<br />

ges<strong>ch</strong>ehen <strong>und</strong> als würde ni<strong>ch</strong>ts ges<strong>ch</strong>ehen. Jesu Jünger stehen mit ihrer Hoffnung<br />

allein mitten in einer Welt, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> diese ni<strong>ch</strong>t stören läßt. 17,26<br />

bis 30: Und wie es.zuging in den Tagen Noahs, so wird es au<strong>ch</strong> in den Tagen<br />

des Sohns des Mens<strong>ch</strong>en sein. Sie aßen, tranken, heirateten, wurden geheiratet<br />

his zu dem Tag, da Noah in die Ar<strong>ch</strong>e ging <strong>und</strong> die Flut kam <strong>und</strong> alle umbra<strong>ch</strong>te.<br />

Ebenso wie es in den Tagen Lots zuging: sie aßen, tranken, kauften,<br />

verkauften, pflanzten, bauten; aber an dem Tag, da Lot aus Sodom ausging,<br />

ließ er Feuer <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>wefel vom Himmel her regnen <strong>und</strong> bra<strong>ch</strong>te alle um;<br />

ebenso wird es an dem Tag sein, an dem der Sohnßes Mens<strong>ch</strong>en geoffenbart<br />

wird. Au<strong>ch</strong> die früheren Erweisungen des göttli<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>ts bra<strong>ch</strong>en über ein<br />

ahnungsloses Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t herein, das si<strong>ch</strong> mit dem abgab, was ihm der natürli<strong>ch</strong>e<br />

Lauf des Lebens zutrug, <strong>und</strong> von Gottes Geri<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>ts ahnte.<br />

Wann kam dasselbe? Als die Gere<strong>ch</strong>ten, die unter diesen Sündern lebten,<br />

geborgen wurden. Als Noah in die Ar<strong>ch</strong>e, Lot aus Sodom fortging, da kam<br />

das Geri<strong>ch</strong>t. Sind die Gere<strong>ch</strong>ten geborgen, dann ist die St<strong>und</strong>e da, in der die<br />

Strafe die Sünder trifft. Darum hat uns <strong>Lukas</strong> hier Jesu Wort über die eilige<br />

Flu<strong>ch</strong>t gegeben, mit dem bei Matthäus'24,17.18 die große Not, die über Israel<br />

kommt, bes<strong>ch</strong>rieben ist. 17,31: Wer an jenem Tag auf dem Da<strong>ch</strong> sein wird,<br />

während seine Geräte im Hause sind, der steige ni<strong>ch</strong>t herab, um sie zu holen,<br />

<strong>und</strong> wer auf dem Felde ist, kehre glei<strong>ch</strong>erweise ni<strong>ch</strong>t zurück. <strong>Die</strong> Christenheit<br />

würde dieses Wort damit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t völlig verstehen <strong>und</strong> benutzen, wenn sie<br />

si<strong>ch</strong> daran nur die S<strong>ch</strong>were der Not verdeutli<strong>ch</strong>te, mit der Israel heimgesu<strong>ch</strong>t<br />

wird. Sie besitzt daran eine Verheißung, die über den Untergang Jerusalems<br />

hinüberrei<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> Seinen werden ni<strong>ch</strong>t mit dur<strong>ch</strong> Gottes Geri<strong>ch</strong>t getroffen,<br />

sondern dürfen entfliehen <strong>und</strong> werden geborgen, ehe sie das S<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong>e trifft.<br />

Sie gehen wie Noah in die Ar<strong>ch</strong>e, wie Lot aus Sodom heraus. Darum hat aber<br />

jenes Wort Jesu au<strong>ch</strong> eine mahnende Kraft bei si<strong>ch</strong>, die zur Bereits<strong>ch</strong>aft treibt.<br />

Es verpfli<strong>ch</strong>tet die Seinen, si<strong>ch</strong> ernst <strong>und</strong> ents<strong>ch</strong>lossen vor Gottes Geri<strong>ch</strong>t zu<br />

hüten <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> in keine Gemeins<strong>ch</strong>aft mit denen zu verwickeln, die ohne<br />

Fur<strong>ch</strong>t vor Gott ihr Leben treiben, als müßte es immer so sein. Weil die sorglose<br />

Si<strong>ch</strong>erheit sie lockt, si<strong>ch</strong> ihnen anzus<strong>ch</strong>ließen <strong>und</strong> Jesu Weissagung zu vergessen,<br />

ri<strong>ch</strong>tet er ihren Blick auf die plötzli<strong>ch</strong> hereinbre<strong>ch</strong>ende Majestät des<br />

göttli<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>ts <strong>und</strong> läßt sie erkennen, daß ihr Leben darauf beruht, daß<br />

sie von der Welt ges<strong>ch</strong>ieden sind <strong>und</strong> ihr Ges<strong>ch</strong>ick ni<strong>ch</strong>t teilen müssen.


2 9° <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

17,32: Gedenkt an Lots Ir au, die in Sodoms Untergang hineingerissen<br />

ward, weil sie si<strong>ch</strong> von der Stadt ni<strong>ch</strong>t trennen mo<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> den Befehl zur<br />

Flu<strong>ch</strong>t mißa<strong>ch</strong>tete. Das soll ni<strong>ch</strong>t nur in jenen s<strong>ch</strong>weren St<strong>und</strong>en, die no<strong>ch</strong><br />

kommen werden, sondern s<strong>ch</strong>on jetzt die Christenheit inwendig von dem<br />

lösen, was sie in die S<strong>ch</strong>uld <strong>und</strong> damit au<strong>ch</strong> das Geri<strong>ch</strong>t der "Welt verwickelte.<br />

Deshalb lesen wir an dieser Stelle no<strong>ch</strong>mals den Spru<strong>ch</strong>, daß wir dur<strong>ch</strong> das<br />

Bemühen, uns das Leben zu si<strong>ch</strong>ern, es verlieren <strong>und</strong> mit der Preisgabe desselben<br />

es gewinnen. 17,33: Wer tra<strong>ch</strong>ten wird, seine Seele zu retten, wird sie<br />

verlieren, <strong>und</strong> wer sie verlieren wird, wird sie lebendig ma<strong>ch</strong>en. <strong>Lukas</strong> hat uns<br />

diesen Spru<strong>ch</strong> zuerst 9,24 gegeben, a4s Jesus die Seinen dazu berief, seinen<br />

Kreuzesweg mit ihm zu teilen, <strong>und</strong> wiederholt ihn hier, da er von den unerwarteten,<br />

zerstörenden S<strong>ch</strong>lägen redet, dur<strong>ch</strong> die Gott die sündige Mens<strong>ch</strong>heit<br />

zerbre<strong>ch</strong>en wird. Dann gilt es no<strong>ch</strong>mals in besonderem Sinn, daß jede<br />

Sorge, au<strong>ch</strong> die für unser Leben, hinter dem einen Ziel zurücktreten muß, ni<strong>ch</strong>t<br />

vom Geri<strong>ch</strong>t über die Sünderwelt mitbetroffen zu sein.<br />

Plötzli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> überras<strong>ch</strong>end kommt die Errettung au<strong>ch</strong> deshalb über die Jünger,<br />

weil ihre äußere Stellung in der Welt dieselbe ni<strong>ch</strong>t zum voraus erkennen<br />

läßt. Das sagt <strong>Lukas</strong> mit den Sprü<strong>ch</strong>en Matthäus 24,40. 41, die bes<strong>ch</strong>reiben,<br />

wie Gottes Geri<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eidend dur<strong>ch</strong> die natürli<strong>ch</strong>en Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en<br />

den Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong>fährt <strong>und</strong> die einander Nahestehenden trennt. 17,34. 35:<br />

I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: ¡n dieser Na<strong>ch</strong>t werden zwei auf demselben Bette sein; der eine<br />

wird mitgenommen <strong>und</strong> der andere zurückgelassen werden. Zwei werden miteinander<br />

mahlen; die eine wird mitgenommen, die andere aber zurückgelassen<br />

werden. So enden Lebensläufe, die einander äußerli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>en, denno<strong>ch</strong> beim<br />

entgegengesetzten Ziel. Au<strong>ch</strong> das treibt aus der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Sorglosigkeit<br />

heraus in die Fur<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> in die* Bereits<strong>ch</strong>aft, die das kommende Geri<strong>ch</strong>t wohl<br />

erwägt <strong>und</strong> darauf beda<strong>ch</strong>t ist, daß es ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> uns zum Verderben wird.<br />

17,37a: Und sie antworteten <strong>und</strong> sagten zu ihm: Wo, Herr? Damit ri<strong>ch</strong>ten<br />

die Jünger an Jesus eine ähnli<strong>ch</strong>e Frage wie die Pharisäer: Wann kommt das<br />

Rei<strong>ch</strong>? Wo ges<strong>ch</strong>ieht diese S<strong>ch</strong>eidung, die die einen bewahrt, die anderen dem<br />

Walten des Geri<strong>ch</strong>ts überläßt? Sie mö<strong>ch</strong>ten wieder, daß Jesus ihnen ein auswendiges<br />

Merkzei<strong>ch</strong>en gebe, an das sie si<strong>ch</strong> halten könnten: dort ist Si<strong>ch</strong>erheit,<br />

hier Verderben. Sol<strong>ch</strong>e Stützen hat Jesus ihnen ni<strong>ch</strong>t gegeben <strong>und</strong> ihnen ni<strong>ch</strong>t<br />

einen Ort gezeigt, als hinge die Errettung an diesem Ort. Eine Antwort Jesu<br />

auf ein sol<strong>ch</strong>es Wo? oder Wann? hätte die Christenheit inwendig gelähmt,<br />

während sie jetzt zwar ni<strong>ch</strong>t sagen kann: Da <strong>und</strong> dann! dafür aber wa<strong>ch</strong> bleiben,<br />

glauben <strong>und</strong> auf Gott warten muß, weil sie ohne äußere Verbürgung<br />

ihres Heils allein auf Gott verwiesen ist.


<strong>Lukas</strong> 17,32—37b; 18,1—5<br />

Darum zeigt Jesu Antwort auf das Begehren der Jünger, ihnen den Ort zu<br />

zeigen, wo Gottes Errettung empfangen wird <strong>und</strong> Gottes Geri<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ieht,<br />

auf die Geier hin. 17,37b: Er aber sagte zu ihnen: Wo die Lei<strong>ch</strong>e ist, da werden<br />

si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Geier sammeln, vgl.Matthäus 24,28. So gewiß das Auge des Geiers<br />

jedes gefallene Tier erspäht, so gewiß wird Gottes Urteil jeden treffen, der<br />

weggetan werden muß, wie au<strong>ch</strong> seine Gnade jeden finden wird, den sie in sein<br />

Rei<strong>ch</strong> versetzt.<br />

Freuen sollen si<strong>ch</strong> die Jünger an ihrer ewigen Errettung, die ihnen verheißen<br />

ist, <strong>und</strong> erbeben vor der Gewalt des göttli<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>ts, das über die Sünderwelt<br />

gehen wird. Dazu fügt Jesus als drittes no<strong>ch</strong> das Gebet. 18,1: Er sagte<br />

ihnen aber ein Glei<strong>ch</strong>nis, daß sie immer beten <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t müde werden sollten.<br />

Sowohl die Freude ihrer Hoffnung wie den Ernst ihrer Fur<strong>ch</strong>t hebt er in das<br />

Gebet hinauf <strong>und</strong> heiligt sie dadur<strong>ch</strong>. "Weil aber das große Bitten sind, die ins<br />

weite, hohe Werk Gottes greifen <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> darum ni<strong>ch</strong>t sofort erfüllen, muß<br />

ihr Gebet standhaft werden. Darum s<strong>ch</strong>ließt die Rede mit einer Ermahnung<br />

zum Gebet <strong>und</strong> mit einer Verheißung für dieses, für dasjenige Gebet, das um<br />

die hö<strong>ch</strong>ste Tat Gottes bittet, um sein ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>es Werk, dur<strong>ch</strong> das er seine<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft offenbart.<br />

Ähnli<strong>ch</strong> wie dur<strong>ch</strong> das frühere Glei<strong>ch</strong>nis 11,5 stellt uns Jesus die Ma<strong>ch</strong>t dar,<br />

die die Bitte über die Mens<strong>ch</strong>en hat <strong>und</strong> läßt uns daraus s<strong>ch</strong>ließen, wie viel<br />

mä<strong>ch</strong>tiger sie no<strong>ch</strong> vor Gott ist. Nur mit seinen Bitten greift der Jünger sogar<br />

in Gottes hohe Regierung wirksam ein. Er hat keine anderen Mittel, um den<br />

Weltlauf zu seinem Ziele hinzuwenden, der Sünde der Welt ein Ende zu<br />

ma<strong>ch</strong>en, der Herrli<strong>ch</strong>keit Gottes die <strong>Offenbarung</strong> zu bereiten <strong>und</strong> Christus<br />

seinen Thron zu geben, um den Gottes ganze Gemeinde gesammelt ist. Unendli<strong>ch</strong><br />

ho<strong>ch</strong> liegen alle diese Ziele über unserem Tun. Wir können nur eins:<br />

bitten. Do<strong>ch</strong> die Bitte ist, sagt Jesus, eine große, starke Sa<strong>ch</strong>e. Sie ist auf Erden<br />

eine Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> no<strong>ch</strong> unendli<strong>ch</strong> mehr bei Gott.<br />

Er beweist uns dies wieder dadur<strong>ch</strong>, daß er einen Fall ansetzt, in dem vieles<br />

der Erhörung der Bitte widerstrebt. 18,2-5: Und er sagte: Ein Ri<strong>ch</strong>ter war in<br />

einer Stadt, der Gott ni<strong>ch</strong>t für<strong>ch</strong>tete <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> vor dem Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eute.<br />

Es war aber eine Witwe in jener Stadt, <strong>und</strong> sie kam zu ihm <strong>und</strong> sagte: S<strong>ch</strong>affe<br />

mir gegen meinen Widersa<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>t! Und er wollte lange ni<strong>ch</strong>t. Her<strong>na<strong>ch</strong></strong> aber<br />

sagte er bei si<strong>ch</strong>: Wenn i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Gott ni<strong>ch</strong>t für<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> vor dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eue, so will i<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> deshalb, weil mir diese Witwe Mühe ma<strong>ch</strong>t,<br />

ihr Re<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>affen, damit sie ni<strong>ch</strong>t zuletzt komme <strong>und</strong> mi<strong>ch</strong> ins Gesi<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>lage.<br />

Eine Witwe wird dur<strong>ch</strong> jemand um ihre Habe gebra<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> muß zu ihrem<br />

S<strong>ch</strong>utz den Ri<strong>ch</strong>ter der Stadt anrufen. <strong>Die</strong>sen bindet aber kein innerli<strong>ch</strong>es<br />

v<br />

Z 9 l


2 9 2 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Band an das Re<strong>ch</strong>t, weder der Blick auf Gott no<strong>ch</strong> die Rücksi<strong>ch</strong>t auf irgendeinen<br />

Mens<strong>ch</strong>en. Er tut mit stolzem Ma<strong>ch</strong>tgefühl ledigli<strong>ch</strong>, was er will. Es ist<br />

also ni<strong>ch</strong>t das Re<strong>ch</strong>t der Witwe, das ihn bewegt, si<strong>ch</strong> ihrer anzunehmen. Und<br />

was hat sie sonst, was auf ihn Eindruck ma<strong>ch</strong>en könnte? Ni<strong>ch</strong>ts als ihr Bitten.<br />

Aber mit ihrem Bitten errei<strong>ch</strong>t sie es, daß sogar dieser Ri<strong>ch</strong>ter sie s<strong>ch</strong>irmt. Er<br />

tut es ni<strong>ch</strong>t Gott <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t den Mens<strong>ch</strong>en zulieb, sondern einzig deshalb, weil<br />

ihm das Bitten der Frau lästig ist <strong>und</strong> weil er sieht, daß die Not die Frau bis<br />

zur Verzweiflung treibt, wenn er ni<strong>ch</strong>t hilft, weshalb si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen läßt, was<br />

sie s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> in ihrer Verzweiflung no<strong>ch</strong> tun werde. An ihn klammert sie<br />

si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> hat keine Hilfe als ihn; verläßt au<strong>ch</strong> er sie, so wird sie ihm die S<strong>ch</strong>uld<br />

geben, ihn anklagen als ihren Verderber, <strong>und</strong> wer weiß, in der Bitterkeit ihres<br />

Herzens, wenn ihr alles verloren s<strong>ch</strong>eint, s<strong>ch</strong>lägt sie ihn am Ende no<strong>ch</strong>! Denn<br />

daran kann er ni<strong>ch</strong>t zweifeln, daß sie mit vollem Ernst in ihre Bitte ihre ganze<br />

Seele legt.<br />

18,6—8a: Aber der Herr spra<strong>ch</strong>: Hörty was der ungere<strong>ch</strong>te Ri<strong>ch</strong>ter sagt.<br />

Sollte aber Gott seinen Auserwählten ni<strong>ch</strong>t Re<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>affen, die zu ihm bei Tag<br />

<strong>und</strong> Na<strong>ch</strong>t rufen, au<strong>ch</strong> wenn er über ihnen langmütig bleibt? I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>:<br />

Ras<strong>ch</strong> wird er ihnen Re<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>affen. Überwindet der dringli<strong>ch</strong>e, anhaltende<br />

Ernst der Bitte sogar einen ungere<strong>ch</strong>ten Ri<strong>ch</strong>ter auf Erden, so wird Gott<br />

vollends das Re<strong>ch</strong>t der Seinen s<strong>ch</strong>irmen <strong>und</strong> erweisen, die als seine Erwählten<br />

in seiner liebe stehen <strong>und</strong> sein eigen sind. Ni<strong>ch</strong>t Fremden zur Hilfe offenbart<br />

er seine Gottesmajestät, sondern für die Seinigen. Ihnen hilft er zum<br />

Re<strong>ch</strong>t gegen die, àie Gewalt an ihnen üben, ihr Wort verspotten, ihren Glauben<br />

verhöhnen, sie ins Böse stoßen <strong>und</strong> verführen <strong>und</strong> ihr Leben antasten. In<br />

diesem Streit ums Re<strong>ch</strong>t wird er die Ents<strong>ch</strong>eidung si<strong>ch</strong>tbar geben <strong>und</strong> offenbar<br />

ma<strong>ch</strong>en, wer seine Erwählten sind, wessen Wort von ihm ist <strong>und</strong> wessen Werk<br />

seinen Willen tut. Rufen sie ihn Tag <strong>und</strong> Na<strong>ch</strong>t an, während er Langmut übt<br />

<strong>und</strong> des Geri<strong>ch</strong>ts si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> enthält <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> der Sünderwelt Raum <strong>und</strong> Frist<br />

gibt, daß sie dahinleben kann wie in Noahs Tagen, so entsteht allerdings der<br />

S<strong>ch</strong>ein, als riefen au<strong>ch</strong> sie wie jene Witwe den zum Ri<strong>ch</strong>ter an, der si<strong>ch</strong> ihrer<br />

ni<strong>ch</strong>t annehmen will. Jesus aber sagt: Gott wird ni<strong>ch</strong>t umsonst angerufen;<br />

ras<strong>ch</strong> greift er ein <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t das Re<strong>ch</strong>t derer offenbar, die auf ihn warten.<br />

i8,8b: Allein wird der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en, wenn er kommt, auf Erden den<br />

Glauben finden? Droben im Himmel ist der Ri<strong>ch</strong>ter bereit, denen, die ihn<br />

anrufen, beizustehen <strong>und</strong> das Re<strong>ch</strong>t derer zu s<strong>ch</strong>irmen, die si<strong>ch</strong> zu Jesus bekennen.<br />

Sieht er aber auf die Erde, dann entsteht die Frage, die er seiner Gemeinde<br />

vorlegt, damit sie sie bewege. <strong>Die</strong> Bitte findet droben Erhörung; aber<br />

werden si<strong>ch</strong> auf Erden die Beter finden? Das Bitten erwä<strong>ch</strong>st aus dem Glau-


<strong>Lukas</strong> 18,6—14 293<br />

ben <strong>und</strong> kommt ni<strong>ch</strong>t zustande, kann au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Erhörung finden, wenn es<br />

ni<strong>ch</strong>t aus dem Glauben fließt. Als der Mens<strong>ch</strong>ensohn zu seinem <strong>Die</strong>nst auf<br />

Erden kam, fand ex den Glauben ni<strong>ch</strong>t, den er su<strong>ch</strong>te. Es ist eine kleine S<strong>ch</strong>ar,<br />

die bei ihm steht. Nun geht er zum Vater zurück. Wird der Glaube bleiben,<br />

au<strong>ch</strong> am Unsi<strong>ch</strong>tbaren hängen, au<strong>ch</strong> dann, wenn man von seinen Tagen ni<strong>ch</strong>ts<br />

sieht <strong>und</strong> jedermann ißt <strong>und</strong> trinkt, freit <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> freien läßt ohne Sorge, da<br />

ja der Mens<strong>ch</strong>ensohn längst begraben ist? Jesus sagt ni<strong>ch</strong>t, er werde auf Erden<br />

den Glauben ni<strong>ch</strong>t mehr finden, sondern läßt die Frage ohne Antwort, damit<br />

sie das Gewissen der Seinen bewege; denn sie sind es, dur<strong>ch</strong> die dieser Frage<br />

die Antwort gegeben werden muß.<br />

Seine Sorge ist wieder völlig derjenigen entgegengesetzt, die uns Mens<strong>ch</strong>en<br />

bedrückt. Wir für<strong>ch</strong>ten glei<strong>ch</strong>, Gott versäume sein Amt, lasse si<strong>ch</strong> anrufen ohne<br />

Erhörung <strong>und</strong> werde an uns zum ungere<strong>ch</strong>ten Ri<strong>ch</strong>ter, der unsere Sa<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t<br />

zur seinen ma<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong>se Sorge hat Jesus ni<strong>ch</strong>t bewegt. Auf Gott fällt kein<br />

Makel; denn er s<strong>ch</strong>afft ras<strong>ch</strong> allen, die ihn bitten, Re<strong>ch</strong>t. Aber auf das, was die<br />

Mens<strong>ch</strong>en aus seinem "Wort ma<strong>ch</strong>en, sah Jesus mit tiefem Ernst. Sie können<br />

es freili<strong>ch</strong> dahin bringen, daß dieses umsonst auf die Erde kam, <strong>und</strong> ein glaubensloses<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t bleiben, das ni<strong>ch</strong>t um Gottes Hilfe bittet, weil es seine<br />

Sa<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t in Gottes Hände legen mag, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kann.<br />

Daß der Mens<strong>ch</strong>ensohn komme, sagt au<strong>ch</strong> hier Jesus als ein gewisses Wort.<br />

Ni<strong>ch</strong>t ob ihn Gott no<strong>ch</strong>mals sende, ob er sein begonnenes Werk vollenden <strong>und</strong><br />

seine Gemeinde zu si<strong>ch</strong> holen dürfe, ni<strong>ch</strong>t das ma<strong>ch</strong>t er zur Frage, nur das eine,<br />

was als die Fru<strong>ch</strong>t seines irdis<strong>ch</strong>en <strong>Die</strong>nstes <strong>und</strong> seiner Kreuzestat den Mens<strong>ch</strong>en<br />

verbleibe, ob si<strong>ch</strong> der Glaube, den er dur<strong>ch</strong> diese pflanzt, auf Erden erhalten<br />

werde bis zum Tag, an dem er kommt. Seine Sendung steht unabhängig<br />

über dem, was der Mens<strong>ch</strong> will <strong>und</strong> glaubt, da er sie aus der Hand des Vaters<br />

empfängt. Was der Mens<strong>ch</strong> will <strong>und</strong> glaubt, bedingt freili<strong>ch</strong> sein eigenes Ges<strong>ch</strong>ick,<br />

s<strong>ch</strong>eidet ihn von Gottes Rei<strong>ch</strong> oder gibt ihm daran teil. Do<strong>ch</strong> Gottes<br />

Werk wird er ni<strong>ch</strong>t hindern <strong>und</strong> der Mens<strong>ch</strong>ensohn sein Rei<strong>ch</strong> offenbaren; für<br />

wen <strong>und</strong> wie, das liegt in Gottes Rat.<br />

Wen Gott re<strong>ch</strong>tfertigt<br />

18,9—14: Er sagte aber au<strong>ch</strong> dieses Glei<strong>ch</strong>nis zu einigen, die sia) auf si<strong>ch</strong><br />

selbst verließen, daß sie gere<strong>ch</strong>t seien, <strong>und</strong> die anderen vera<strong>ch</strong>teten: Zwei Mens<strong>ch</strong>en<br />

gingen in den Tempel hinauf, um zu beten, der eine ein Pharisäer <strong>und</strong><br />

der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte si<strong>ch</strong> hin <strong>und</strong> betete das bei si<strong>ch</strong>:<br />

O Gott! i<strong>ch</strong> danke dir, daß i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wie die anderen Mens<strong>ch</strong>en bin, Räuber,<br />

Ungere<strong>ch</strong>te, Ehebre<strong>ch</strong>er oder au<strong>ch</strong> wie dieser Zöllner. I<strong>ch</strong> faste zweimal in der


2 94 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

Wo<strong>ch</strong>e; i<strong>ch</strong> gebe von allem, was i<strong>ch</strong> erwerbe, den Zehnten. Aber der Zöllner<br />

stand von ferne <strong>und</strong> mo<strong>ch</strong>te au<strong>ch</strong> seine Augen ni<strong>ch</strong>t zum Himmel erheben, sondern<br />

s<strong>ch</strong>lug an seine Brust <strong>und</strong> sagte: O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!<br />

I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: <strong>Die</strong>ser ging gere<strong>ch</strong>tfertigt in sein Haus hinab, ni<strong>ch</strong>t jener; denn<br />

jeder, der si<strong>ch</strong> erhöht, wird erniedrigt werden; wer si<strong>ch</strong> aber erniedrigt, wird<br />

erhöht werden. Das vorangehende Glei<strong>ch</strong>nis verspra<strong>ch</strong>, daß Gott als Ri<strong>ch</strong>ter<br />

si<strong>ch</strong> derer annehme, deren Re<strong>ch</strong>t die "Welt zertritt. Wie er ri<strong>ch</strong>tend für die<br />

eintritt, die ihn anrufen <strong>und</strong> sie gegen die Stolzen bes<strong>ch</strong>irmt, führt uns au<strong>ch</strong><br />

das neue Glei<strong>ch</strong>nis vor. Der Mens<strong>ch</strong> täus<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t über Gottes Urteil <strong>und</strong><br />

hält für groß vor ihm, was er verwirft, für vera<strong>ch</strong>tet vor ihm, was er s<strong>ch</strong>ätzt.<br />

Darum bes<strong>ch</strong>reibt uns das neue Glei<strong>ch</strong>nis, wie es mit Gottes Urteil steht, wen<br />

er re<strong>ch</strong>tfertigt <strong>und</strong> wen er verwirft. Im Heiligtum stand dort einer von denen,<br />

die einzig mit der Verehrung Gottes <strong>und</strong> der Erfüllung des Gesetzes bes<strong>ch</strong>äftigt<br />

waren, hier einer von denen, die um des Geldes willen alles taten, was<br />

ihnen vorteilhaft s<strong>ch</strong>ien, dort der,, der in der Gemeinde Gottes obenan steht,<br />

hier der Abgefallene, der kaum no<strong>ch</strong> zu ihr zählte, dort der, der im Heiligtum<br />

si<strong>ch</strong> heimis<strong>ch</strong> fühlt, hier der, der wohl weiß, daß er dur<strong>ch</strong> seine S<strong>ch</strong>uld<br />

von Gott ges<strong>ch</strong>ieden ist, weshalb er fern vom Tempel stehen bleibt <strong>und</strong> den<br />

Blick ni<strong>ch</strong>t aufwärts ri<strong>ch</strong>ten darf. Beide stehen im Heiligtum, in dem das Opfer<br />

für Israel dargebra<strong>ch</strong>t wird, seine Sünden versöhnt werden <strong>und</strong> Gottes Vergebung<br />

zu holen ist. "Wel<strong>ch</strong>er von beiden wird sie empfangen <strong>und</strong> von Gott<br />

gere<strong>ch</strong>tfertigt aus dem Tempel gehen? Den Zöllner spri<strong>ch</strong>t Jesus gere<strong>ch</strong>t jedermann<br />

zur Überras<strong>ch</strong>ung, während er dem Pharisäer die Re<strong>ch</strong>tfertigung versagt.<br />

Beide beten. Das Gebet des ersten ist voller Zuversi<strong>ch</strong>t; er dankt. Der andere<br />

hat den S<strong>ch</strong>merz im Herzen, den ein verlorenes, bes<strong>ch</strong>mutztes Leben erzeugt;<br />

er kann ni<strong>ch</strong>ts als bitten. Jener dankt, daß er ni<strong>ch</strong>t wie die Sünder ist,<br />

s<strong>ch</strong>ätzt es au<strong>ch</strong> als Gottes große "Wohltat, daß er ni<strong>ch</strong>t diesem Zöllner glei<strong>ch</strong>t,<br />

<strong>und</strong> s<strong>ch</strong>aut mit "Wohlgefallen auf seinen Gottesdienst, daß keine Wo<strong>ch</strong>e verstrei<strong>ch</strong>t,<br />

ohne daß er die beiden Fasttage hält <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts von ihm erworben<br />

wird, wovon er ni<strong>ch</strong>t den Zehnten heiligte. <strong>Die</strong>ser hat nur das eine, die Bitte,<br />

die Gottes Verzeihen anruft, <strong>und</strong> dieser wird gere<strong>ch</strong>tfertigt <strong>und</strong> hat Gottes<br />

Urteil für si<strong>ch</strong>. Zu ihm hält si<strong>ch</strong> Gott <strong>und</strong> heißt ihn gere<strong>ch</strong>t,; nur zu ihm, zum<br />

anderen ni<strong>ch</strong>t.<br />

Den Gr<strong>und</strong> dieses Urteils hat Jesus dur<strong>ch</strong> ihr Gebet hell ans Li<strong>ch</strong>t gehoben.<br />

Das erste Gebet spri<strong>ch</strong>t aus, was der Betende ist <strong>und</strong> leistet, wie gut er ist, wie<br />

viel er tut. Er erhöht si<strong>ch</strong> selbst; darum wird er erniedrigt. Es ist keine Anbetung<br />

Gottes in seinem Gebet, kein dankender Aufblick zu Gottes Güte.


<strong>Lukas</strong> 18,15—27 295<br />

Wohl sagt er: I<strong>ch</strong> danke dir! aber sein Blick verfängt si<strong>ch</strong> bei ihm selbst <strong>und</strong><br />

bes<strong>ch</strong>aut nur das, wie groß er dur<strong>ch</strong> Gottes Güte geworden ist <strong>und</strong> wie ho<strong>ch</strong> er<br />

über den anderen steht. Indem er an diesen seine Größe mißt, erniedrigt er sie<br />

tief unter si<strong>ch</strong>. Sol<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> vor Gott erheben, muß er beugen,<br />

damit er Gott bleibe <strong>und</strong> der Mens<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf Gottes Thron setze<br />

<strong>und</strong> si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t anmaße, sein eigener Gott zu sein. Er muß sie au<strong>ch</strong> deshalb beugen,<br />

damit die anderen Raum haben vor ihm, weil sie die anderen erniedrigen,<br />

s<strong>ch</strong>änden <strong>und</strong> von ihm wegstoßen. Er kann die ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>tfertigen, die in ihrer<br />

Größe die zertreten, denen seine Gnade helfen will. Der Zöllner bittet, <strong>und</strong><br />

Bitten werden erhört. Er ist ni<strong>ch</strong>ts, wenn ihn ni<strong>ch</strong>t Gott aufri<strong>ch</strong>tet, <strong>und</strong> hat<br />

keine Hilfe als allein bei Gott. Wer si<strong>ch</strong> niedrig ma<strong>ch</strong>t, den erhöht er. "Wer<br />

seine Hilfe bei ihm su<strong>ch</strong>t, der empfängt sie. Ihn re<strong>ch</strong>tfertigt er; denn au<strong>ch</strong> den,<br />

der selbst ni<strong>ch</strong>ts hat als S<strong>ch</strong>uld, re<strong>ch</strong>tfertigt er deshalb, weil er verzeiht.<br />

<strong>Die</strong> Stücke aus <strong>Markus</strong> 10, 13—52<br />

Den Beri<strong>ch</strong>t über Jesu Wanderzeit, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er aus Galiläa fortgezogen<br />

war, bis er zum letzten Pas<strong>ch</strong>a <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem ging, beendet <strong>Lukas</strong> mit den<br />

Stücken, die <strong>Markus</strong> aus dieser Zeit gegeben hat. Nur die Bespre<strong>ch</strong>ung über<br />

das, was die Ehe <strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Willen sei, fällt aus, weil Jesu Regel, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der<br />

si<strong>ch</strong> seine Gemeinde zu re<strong>ch</strong>ten hat, s<strong>ch</strong>on unter den Klagepunkten gegen die<br />

Pharisäer steht, 16,18. Dagegen hören wir bei <strong>Markus</strong>, daß Jesus die Kinder<br />

aufnahm, daß er den Rei<strong>ch</strong>en vergebli<strong>ch</strong> ins Himmelrei<strong>ch</strong> zu bringen versu<strong>ch</strong>te,<br />

daß er den Jüngern, die ihr Eigentum verlassen haben, rei<strong>ch</strong>en Ersatz<br />

verhieß <strong>und</strong> daß er ihnen sein Ende in Jerusalem zum drittenmal weissagte.<br />

18,15—17: Sie trugen ihm aber die Kinder zu, damit er sie berühre. Als<br />

es aber die Jünger sahen, s<strong>ch</strong>alten sie sie. Jesus aber rief sie herzu <strong>und</strong> sagte:<br />

Laßt die Kinder zu mir kommen, <strong>und</strong> wehrt ihnen ni<strong>ch</strong>t. Denn für sol<strong>ch</strong>e ist<br />

Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft da. Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Wer die Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes<br />

ni<strong>ch</strong>t wie ein Kind annimmt, geht ni<strong>ch</strong>t in sie ein.<br />

18,18—27: Und ein Oberster fragte ihn <strong>und</strong> sagte: Guter Lehrer, was muß<br />

i<strong>ch</strong> tun, um ewiges Leben zu erben? Jesus aber sagte zu ihm: Warum heißest du<br />

mi<strong>ch</strong> gut? Keiner ist gut außer einer, Gott. Du kennst die Gebote: Du sollst<br />

ni<strong>ch</strong>t ehebre<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t töten, ni<strong>ch</strong>t stehlen, ni<strong>ch</strong>t fals<strong>ch</strong>es Zeugnis geben; ehre<br />

deinen Vater <strong>und</strong> deine Mutter! Er aber sagte: <strong>Die</strong>s alles habe i<strong>ch</strong> von meiner<br />

Jugend an gehalten. Als dies Jesus hörte, sagte er zu ihm: No<strong>ch</strong>, eines fehlt<br />

dir. Verkaufe alles, was du hast, <strong>und</strong> verteile es den Armen, <strong>und</strong> du wirst einen<br />

S<strong>ch</strong>atz in den Himmeln haben, <strong>und</strong> komm, folge mir! Er aber wurde, als er<br />

dies hörte, sehr betrübt; denn er war sehr rei<strong>ch</strong>. Jesus aber sah auf ihn <strong>und</strong>


2 9° <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

sagte: Wie s<strong>ch</strong>wierig wird es für die sein, die den Besitz haben, in die Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

Gottes einzugehen. Denn es ist lei<strong>ch</strong>ter, daß ein Kamel dur<strong>ch</strong> das Lo<strong>ch</strong><br />

einer Nadel gehe, als daß ein Rei<strong>ch</strong>er in die Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes eingehe. <strong>Die</strong><br />

aber, die es hörten, sagten: Wer kann denn errettet werden? Er aber sagte:<br />

Was bei Mens<strong>ch</strong>en unmögli<strong>ch</strong> ist, ist bei Gott mögli<strong>ch</strong>.<br />

18,28—30: Petrus aber sagte: Sieh! wir haben verlassen, was uns gehörte,<br />

<strong>und</strong> sind dir <strong>na<strong>ch</strong></strong>gefolgt. Er aber sagte ihnen: Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Es gibt<br />

keinen, der ein Haus oder eine Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder um<br />

der Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes willen verlassen hat, der sie ni<strong>ch</strong>t vielfa<strong>ch</strong> empfinge in<br />

dieser Zeit <strong>und</strong> ewiges Leben in der kommenden Zeit.<br />

18,31—34: Er nahm aber die Zwölf zu si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Seht! wir<br />

ziehen <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem hinauf, <strong>und</strong> es wird alles vollendet werden, was dur<strong>ch</strong><br />

die Propheten für den Sohn des Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>rieben ist. Denn er wird den<br />

Heiden überantwortet <strong>und</strong> verspottet <strong>und</strong> mißhandelt <strong>und</strong> angespuckt werden,<br />

<strong>und</strong> sie werden ihn geißeln <strong>und</strong> töten, <strong>und</strong> am dritten Tag wird er auferstehen.<br />

Und sie begriffen ni<strong>ch</strong>ts von dem, <strong>und</strong> dieses Wort war ihnen verborgen,<br />

<strong>und</strong> sie verstanden das Gesagte ni<strong>ch</strong>t. <strong>Lukas</strong> ma<strong>ch</strong>t also im Leben der<br />

Junger einen s<strong>ch</strong>arfen Eins<strong>ch</strong>nitt: vor dem Kreuze hatten sie für dieses kein<br />

Verständnis; erst <strong>na<strong>ch</strong></strong> demselben erkannten sie im Kreuz die göttli<strong>ch</strong>e Gnade<br />

<strong>und</strong> verkündigten nun den Gekreuzigten. rf<br />

<strong>Die</strong> Bitte des Jakobus <strong>und</strong> Johannes um die Throne neben Jesu Thron übergeht<br />

<strong>Lukas</strong>, weil das Hauptstück dieses Abs<strong>ch</strong>nitts, Jesu Unterri<strong>ch</strong>t über den<br />

"Weg zur wahren Größe, mit denjenigen Worten zusammentrifft, die ihm vom<br />

letzten Mahle Jesu überliefert waren <strong>und</strong> die er uns dort vorlegen will. So<br />

geht er glei<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jeri<strong>ch</strong>o <strong>und</strong> erzählt die Heilung des Blinden. 18,35—43:<br />

Es ges<strong>ch</strong>ah, als er in die Nähe von Jeri<strong>ch</strong>o kam, da saß ein Blinder am Weg<br />

<strong>und</strong> bettelte. Da er aber hörte, daß eine S<strong>ch</strong>ar vorbeiging, fragte er, was dies<br />

sei. Sie beri<strong>ch</strong>teten ihm aber: Jesus von Nazareth geht vorbei. Und er rief:<br />

Jesus, Sohn Davids, erbarme di<strong>ch</strong> meiner! Und die Vorangehenden s<strong>ch</strong>alten<br />

ihn, daß er s<strong>ch</strong>weige; er aber rief no<strong>ch</strong> viel mehr: Sohn Davids, erbarme di<strong>ch</strong><br />

meiner! Jesus aber stand still <strong>und</strong> befahl, daß er zu ihm geführt werde. Als er<br />

aber nahe bei ihm war, fragte er ihn: Was willst du, daß i<strong>ch</strong> dir tun soll? Er<br />

aber sagte: Herr, daß i<strong>ch</strong> sehend werde. Und Jesus sagte zu ihm: Werde sehend!<br />

Dein Glaube hat dir geholfen. Und sofort wurde er sehend, <strong>und</strong> er folgte ihm<br />

<strong>und</strong> pries Gott. Und das ganze Volk sah es; <strong>und</strong> gab Gott das Lob. <strong>Lukas</strong> hat<br />

diese Tat Jesu ni<strong>ch</strong>t wie <strong>Markus</strong> mit dem Aufbru<strong>ch</strong> aus der Stadt, sondern mit<br />

dem Einzug in sie zusammengestellt. Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> hängt dies damit zusammen,<br />

daß er dur<strong>ch</strong> seinen anderen Zeugen einen weiteren Beri<strong>ch</strong>t über Jesu


<strong>Lukas</strong> 18,28—43; 19,1—8 297<br />

Aufenthalt in Jeridio <strong>und</strong> den Aufbru<strong>ch</strong> aus der Stadt besaß. Er ma<strong>ch</strong>te dadur<strong>ch</strong><br />

beiden Stücken nebeneinander Platz.<br />

<strong>Die</strong> Einkehr beim Oberzöllner<br />

<strong>Die</strong> letzte Station vor dem letzten Gang Jesu <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem war Jeri<strong>ch</strong>o.<br />

Bis zum Ende blieb er der Mens<strong>ch</strong>enfis<strong>ch</strong>er, der Mens<strong>ch</strong>en su<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> au<strong>ch</strong><br />

fand, die er in den Besitz der göttli<strong>ch</strong>en Gnade stellt. Seine Erwerbungen sind<br />

freili<strong>ch</strong> w<strong>und</strong>erbarer Art, streiten gegen die Gedanken der Mens<strong>ch</strong>en, ma<strong>ch</strong>en<br />

jedo<strong>ch</strong> dafür die Fülle der göttli<strong>ch</strong>en Gnade offenbar. In Jeri<strong>ch</strong>o gewann er<br />

den Oberzöllner, am Kreuz den neben ihm Gekreuzigten. Er blieb bis zum<br />

Ende dem Hirten glei<strong>ch</strong>, der si<strong>ch</strong> um das eine verlorene S<strong>ch</strong>af bemüht.<br />

19,1—6: Und er ging <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jeri<strong>ch</strong>o hinein <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> dieses hindur<strong>ch</strong>. Und<br />

sieh! es war ein Mann mit Namen Zak<strong>ch</strong>äus, <strong>und</strong> er war ein Oberzöllner <strong>und</strong><br />

rei<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> er wüns<strong>ch</strong>te, Jesus zu sehen, wer er sei, <strong>und</strong> konnte es wegen der<br />

Menge ni<strong>ch</strong>t, weil er der Gestalt <strong>na<strong>ch</strong></strong> klein war. Und er lief <strong>na<strong>ch</strong></strong> vorn heraus<br />

<strong>und</strong> stieg auf eine Sykomore, um ihn zu sehen, weil er dort vorbeigehen mußte.<br />

Und wie er an den Ort kam, sah Jesus auf <strong>und</strong> sagte zu ihm: Zak<strong>ch</strong>äus, komm<br />

eilig herab; denn heute muß i<strong>ch</strong> in deinem Hause bleiben. Und er kam eilig<br />

herab <strong>und</strong> nahm ihn mit Freuden auf. Den Anlaß, ihn zu si<strong>ch</strong> zu ziehen, fand<br />

Jesus darin, daß Zak<strong>ch</strong>äus sein Verlangen, ihn zu sehen, auffällig si<strong>ch</strong>tbar<br />

ma<strong>ch</strong>te. Er hatte zuerst vergebli<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>t, Jesus zu sehen, weil ihm seiner<br />

Kleinheit wegen die Leute Jesu Gestalt verbargen. Da bere<strong>ch</strong>net er, wo Jesus<br />

dur<strong>ch</strong>gehe, <strong>und</strong> geht auf eine Sykomore hinauf, deren gekrümmte Stämme oft<br />

lei<strong>ch</strong>t zu ersteigen sind. Au<strong>ch</strong> seinem Verlangen hat Jesus mehr gewährt,<br />

als er selbst zu hoffen wagte. Er wollte ihn nur sehen, da er ja keinen weiteren<br />

Anspru<strong>ch</strong> an Jesu Fre<strong>und</strong>s<strong>ch</strong>aft hatte. Jesus aber sagte si<strong>ch</strong> bei ihm an als sein<br />

Gast. Mit Freuden nahm der Zöllner diese Gabe Jesu an <strong>und</strong> verstand, wel<strong>ch</strong>e<br />

Fülle des Verzeihens <strong>und</strong> wel<strong>ch</strong> ein Rei<strong>ch</strong>tum der Güte darin lag. 19,7. 8: Und<br />

alle sahen es, murrten <strong>und</strong> sagten: Er ist bei einem sündigen Mann eingekehrt,<br />

um bei ihm zu herbergen. Zak<strong>ch</strong>äus aber stand hin <strong>und</strong> sagte zum Herrn: Sieh!<br />

die Hälfte meines Vermögens, Herr, gebe i<strong>ch</strong> den Armen, <strong>und</strong> wenn i<strong>ch</strong> jemand<br />

in etwas übervorteilt habe, so gebe i<strong>ch</strong> es vierfa<strong>ch</strong> zurück! Der Anstoß daran,<br />

daß Jesus seine Herberge so wählte, blieb ni<strong>ch</strong>t aus, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> Zak<strong>ch</strong>äus wußte,<br />

daß seinetwegen S<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong> auf Jesus fiel. Er trat vor ihn, um ihm den Beweis<br />

zu leisten, daß er ni<strong>ch</strong>t vergebens bei ihm einkehre. Er kennt den Bußruf Jesu<br />

<strong>und</strong> weiß, was er vom Mammonsdienst der Zöllner denkt, <strong>und</strong> hat an seiner<br />

Güte den Willen gef<strong>und</strong>en, sein altes Tra<strong>ch</strong>ten zu zerbre<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> ein Neues<br />

zu beginnen. Gott ist ihm mit seiner fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>en Berufung nahegekommen;


298 <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

daß er ihm dafür dankt, beweist er dadur<strong>ch</strong>, daß er dem entsagt, woran er<br />

bisher geb<strong>und</strong>en war. Sein halbes Vermögen gehört den Armen, <strong>und</strong> allen<br />

Raub, den er an anderen begangen hat, erstattet er vierfa<strong>ch</strong> zurück.<br />

19,9. 10: Jesus aber spra<strong>ch</strong> zu ihm: Heute ist diesem Hause Errettung geworden,<br />

weil au<strong>ch</strong> er ein Sohn Abrahams ist. Denn der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en<br />

kam, um das Verlorene zu su<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> zu retten. Er freut si<strong>ch</strong> an seiner Umkehr<br />

<strong>und</strong> freut si<strong>ch</strong>, daß sie ihn zu einer wackeren, mutigen Tat geführt hat.<br />

Do<strong>ch</strong> geht sein Blick, immer über den Mens<strong>ch</strong>en hinauf zu Gottes Gnadentat<br />

hin. <strong>Die</strong>se bezeugt er dem Zöllner als heute ihm ges<strong>ch</strong>ehen. Ein Tag göttli<strong>ch</strong>er<br />

Hilfe, an dem erlösende Gnade ihr "Werk tat, ist ihm angebro<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t für<br />

Zak<strong>ch</strong>äus allein, sondern für sein Haus, das mit unter seiner Sünde verdarb<br />

<strong>und</strong> mit ihm <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> ihn au<strong>ch</strong> die göttli<strong>ch</strong>e Hilfe erlebt. Jesus stellt den<br />

Mann mitten in den Kreis hinein, mit dem ihn Gott dur<strong>ch</strong> die starken Bande<br />

der Natur vereinigt hat. Seine Gnade löst ihn ni<strong>ch</strong>t aus diesem heraus, hat ihn<br />

vielmehr eben als Haupt seines Hauses, als Mann seiner Frau, als Vater seiner<br />

Kinder, als Herrn seines Gesindes im Auge, wenn sie si<strong>ch</strong> ihm s<strong>ch</strong>enkt. <strong>Die</strong> ihm<br />

gegebene Gabe ist au<strong>ch</strong> für die Seinen bestimmt <strong>und</strong> breitet dur<strong>ch</strong> ihn ihren<br />

Segen über sie aus.<br />

An sol<strong>ch</strong>en Tagen <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Gottestaten bewährt es si<strong>ch</strong>, daß die<br />

Abraham gegebene Verheißung vor Gott gilt <strong>und</strong> Israeb Berufung eine hohe<br />

Sa<strong>ch</strong>e ist. Au<strong>ch</strong> Zak<strong>ch</strong>äus ist ein Sohni Abrahams <strong>und</strong> darum unter die göttli<strong>ch</strong>e<br />

Gnade gestellt. Deshalb war ihm ein sol<strong>ch</strong>er Heilstag bes<strong>ch</strong>ert. Er selbst<br />

hat zwar seine Kinds<strong>ch</strong>aft Abrahams bisher vera<strong>ch</strong>tet, <strong>und</strong> das Volk meint<br />

ebenfalls, für ihn bedeute sie ni<strong>ch</strong>ts mehr, da ihr Segen für ihn verloren sei.<br />

Allein was der Mens<strong>ch</strong> vera<strong>ch</strong>tet, ist deshalb ni<strong>ch</strong>t vor Gott entwertet; er<br />

bleibt der Treue, der seiner Verheißung au<strong>ch</strong> für die gedenkt, die ihn verlassen<br />

haben. Inwiefern aber hier eine Heilstat Gottes ges<strong>ch</strong>ehen ist, sagt uns das<br />

letzte Wort, das Jesu Sendung bes<strong>ch</strong>reibt. Weil er Verlorenes su<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> rettet<br />

<strong>und</strong> darin sein Auftrag von Gott besteht, darum kehrte, ab Zak<strong>ch</strong>äus Jesus bei<br />

si<strong>ch</strong> aufnahm, die Errettung bei ihm ein. Er ist nun Jesu Eigentum, von ihm<br />

gesu<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> zu ihm gezogen, <strong>und</strong> steht deshalb unter dem S<strong>ch</strong>utz seiner Heilandsma<strong>ch</strong>t.<br />

Der Weg zur <strong>Offenbarung</strong> des göttli<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>s<br />

Mit dem Aufbru<strong>ch</strong> Jesu aus Jeri<strong>ch</strong>o ist das Glei<strong>ch</strong>nis von den Kne<strong>ch</strong>ten verb<strong>und</strong>en,<br />

denen ihr Herr sein Vermögen zur Verwaltung übergab. Bei Matthäus<br />

25,14 gehört es zu den Abs<strong>ch</strong>iedsworten Jesu an die Jünger <strong>und</strong> ist einzig<br />

darauf geri<strong>ch</strong>tet, ihnen einzuprägen, wie sie dur<strong>ch</strong> die Ausri<strong>ch</strong>tung ihres <strong>Die</strong>n-


<strong>Lukas</strong> 19,9—13 299<br />

stes si<strong>ch</strong> den Eingang in sein Rei<strong>ch</strong> eröffnen oder vers<strong>ch</strong>ließen. Bei <strong>Lukas</strong> zeigt<br />

Jesus mit diesem Glei<strong>ch</strong>nis Israel, wie es zur Begründung der göttli<strong>ch</strong>en Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

in Israel kommt. 19,11: Als sie aber dies hörten, fuhr er fort <strong>und</strong> sagte<br />

ein Glei<strong>ch</strong>nis, weil er nahe bei Jerusalem war <strong>und</strong> sie meinten, daß si<strong>ch</strong> die<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes sofort zeigen werde. <strong>Die</strong>se träumeris<strong>ch</strong>en, eilfertigen Erwartungen<br />

zerstört Jesu Glei<strong>ch</strong>nis <strong>und</strong> zeigt Israel, daß das Rei<strong>ch</strong> in anderer<br />

"Weise kommt, als es denkt, <strong>und</strong> wie es verloren werden kann. Das hat au<strong>ch</strong> die<br />

einzelnen Züge des Bildes teilweise anders gema<strong>ch</strong>t, als sie bei Matthäus<br />

stehen, vor allem dadur<strong>ch</strong>, daß der Herr auszieht, um si<strong>ch</strong> die königli<strong>ch</strong>e<br />

Würde zu holen, weshalb ni<strong>ch</strong>t nur erzählt wird, was zwis<strong>ch</strong>en ihm <strong>und</strong> seinen<br />

Kne<strong>ch</strong>ten, sondern au<strong>ch</strong>, was zwis<strong>ch</strong>en ihm <strong>und</strong> den Bürgern ges<strong>ch</strong>ieht.<br />

Da Jesus nun glei<strong>ch</strong> die heilige Stadt betritt, so kommt die Ents<strong>ch</strong>eidung,<br />

<strong>und</strong> Gott greift ein mit seiner herrli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t! so da<strong>ch</strong>ten die, die mit Jesus<br />

zogen. Au<strong>ch</strong> Jesus sagt, daß er dem königli<strong>ch</strong>en Thron entgegenziehe. 19,12:<br />

Darum sagte er: Ein vornehmer Mann zog in ein fernes Land, um für si<strong>ch</strong> das<br />

Königtum zu empfangen <strong>und</strong> zurückzukehren. So war es in Jerusalem zugegangen,<br />

seit das Land unter der Herrs<strong>ch</strong>aft der Römer stand. Seither hatten<br />

seine Fürsten si<strong>ch</strong> nie dur<strong>ch</strong> ihre eigene Ma<strong>ch</strong>t den Thron erworben, sondern<br />

waren jedesmal in die Ferne <strong>na<strong>ch</strong></strong> Rom gegangen, um si<strong>ch</strong> dort den Königsnamen<br />

s<strong>ch</strong>enken zu lassen, weil er ihnen allein dur<strong>ch</strong> den Willen des Kaisers<br />

übertragen war. Etwas Ähnli<strong>ch</strong>es liegt in Jesu Beruf. Sein Kaiser, der ihn zur<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft erhebt, ist der Vater; zu ihm geht er jetzt dur<strong>ch</strong> seinen Gang <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

Jerusalem. Er wird als König wiederkehren; do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sofort beginnt Gottes<br />

herrli<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft. Zuerst ges<strong>ch</strong>ieht Jesu Weggang, <strong>und</strong> das gibt dem Weg<br />

in Gottes Rei<strong>ch</strong> eine andere Gestalt, als die Hoffnungen des Volks si<strong>ch</strong> vorstellten.<br />

19,13: Er rief aber seine zehn Kne<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> gab ihnen zehn Minen <strong>und</strong> sagte<br />

zu ihnen: Treibt Handel, bis i<strong>ch</strong> komme. Für den, der an der S<strong>ch</strong>welle des<br />

Königtums steht, ist die Mine eine geringfügige Summe. Es liegt aber dem<br />

Herrn ni<strong>ch</strong>t an der Größe des Gewinns, sondern an der Erprobung der<br />

Kne<strong>ch</strong>te. Er vers<strong>ch</strong>afft ihnen darum die Gelegenheit <strong>und</strong> die Pfli<strong>ch</strong>t, während<br />

seiner Abwesenheit für ihn zu arbeiten. Das ist das Nä<strong>ch</strong>ste, was auf Jesu<br />

Gang <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem folgen wird. <strong>Die</strong> Jünger stehen allein auf Erden, <strong>und</strong><br />

nun fragt es si<strong>ch</strong>: Wer ist unter ihnen der treue, wer der kluge Kne<strong>ch</strong>t? Ob<br />

sie Treue in der Bewahrung dessen üben, was ihnen von Jesus übergeben ist, ob<br />

sie das Empfangene mehren <strong>und</strong> in seiner Gabe das Werkzeug haben, wodur<strong>ch</strong><br />

sie au<strong>ch</strong> anderen helfen <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> dem dienen, der sie berufen hat, das ents<strong>ch</strong>eidet,<br />

ob seine Rückkehr ihnen Leben bringt oder Geri<strong>ch</strong>t. Bei Matthäus


3°° <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem<br />

sind es große Summen, Talente, die der Herr den Kne<strong>ch</strong>ten gibt; denn es ist<br />

den Jüngern Jesu viel anvertraut. Bei <strong>Lukas</strong> ist es ein kleiner Betrag, für<br />

jeden derselbe, weil dieser kleinen Gabe bei der Rückkehr Jesu die große Erhöhung<br />

gegenübersteht. Statt des kleinen Geldbetrages, an dem sie jetzt ihre<br />

Treue üben, werden sie dann über Städte gesetzt. Der Blick geht hier darauf,<br />

daß das, was den Jüngern jetzt als himmlis<strong>ch</strong>e Gabe <strong>und</strong> göttli<strong>ch</strong>e Kraft gegeben<br />

ist, als etwas Kleines ers<strong>ch</strong>eint neben der Herrli<strong>ch</strong>keit, die ihnen dadur<strong>ch</strong><br />

zufällt, daß sie ihren bes<strong>ch</strong>eidenen <strong>Die</strong>nst mit Treue tun.<br />

19,14: Aber seine Bürger haßten ihn <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ickten ihm eine Gesandts<strong>ch</strong>aft<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>und</strong> sagten: Wir wollen ni<strong>ch</strong>t, daß dieser über uns König werde. Ähnli<strong>ch</strong>es<br />

ist in der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Fürsten aus dem Hause des Herodes mehrfa<strong>ch</strong><br />

ges<strong>ch</strong>ehen. Da kamen aus Jerusalem die großen Gesandts<strong>ch</strong>aften, die die römis<strong>ch</strong>en<br />

Ma<strong>ch</strong>thaber anflehten, sie von Herodes <strong>und</strong> seinen Söhnen zu befreien.<br />

Ähnli<strong>ch</strong> handelt Israel an Jesus <strong>und</strong> lehnt seine Herrs<strong>ch</strong>aft ab. Dazu haben sie<br />

Raum <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t, weil er zum Vater geht. Für die, die hofften, sofort strahle<br />

Gottes hohe Majestät hervor, war dies ein s<strong>ch</strong>weres Wort. Erst kommt der<br />

Aufruhr Israels gegen ihn; erst gilt es, an ihn zu glauben unter einem Volk,<br />

das ihn verworfen hat.<br />

Zuerst wird nun erzählt, wie si<strong>ch</strong> die Kne<strong>ch</strong>te erprobt haben <strong>und</strong> was ihnen<br />

dafür wird. Hier ist die Erzählung derjenigen bei Matthäus glei<strong>ch</strong>förmig gema<strong>ch</strong>t.<br />

19,15—z6: Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er zurückkam, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er das Königtum<br />

erhalten hatte, da sagte er, es sollten jene Kne<strong>ch</strong>te zu ihm gerufen werden,<br />

denen er das Geld gegeben hatte, damit er erführe, was jeder erworben habe.<br />

Es kam aber der erste herbei <strong>und</strong> sagte: Herr, deine Mine hat zehn Minen dazu<br />

erworben. Und er sagte ihm: Brav, guter Kne<strong>ch</strong>t! Weil du mit dem Geringsten<br />

treu geworden bist, sei dir die Ma<strong>ch</strong>t über zehn Städte gegeben. Und es kam<br />

der zweite <strong>und</strong> sagte: Deine Mine, Herr, hat fünf Minen gebra<strong>ch</strong>t. Er sagte<br />

aber au<strong>ch</strong> zu diesem: Au<strong>ch</strong> du sollst über fünf Städte gesetzt sein. Und der andere<br />

kam <strong>und</strong> sagte: Herr, sieh, hier ist deine Mine, die i<strong>ch</strong> im S<strong>ch</strong>weißtu<strong>ch</strong> verborgen<br />

hielt; denn i<strong>ch</strong> für<strong>ch</strong>tete mi<strong>ch</strong> vor dir, weil du ein strenger Mens<strong>ch</strong> bist.<br />

Du nimmst, was du ni<strong>ch</strong>t hingelegt hast, <strong>und</strong> erntest, was du ni<strong>ch</strong>t gesät hast.<br />

Er sagte zu ihm: Aus deinem M<strong>und</strong> werde i<strong>ch</strong> dir das Urteil spre<strong>ch</strong>en, böser<br />

Kne<strong>ch</strong>t. Du wußtest, daß i<strong>ch</strong> ein strenger Mens<strong>ch</strong> bin, nehme, was i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

hingelegt habe, <strong>und</strong> ernte, was i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gesät habe. Warum hast du denn mein<br />

Geld ni<strong>ch</strong>t in die Bank gebra<strong>ch</strong>t? So hätte i<strong>ch</strong> es, als i<strong>ch</strong> kam, mit Zins wieder<br />

erhalten. Und er sagte zu denen, die dabeistanden: Nehmt ihm die Mine weg,<br />

<strong>und</strong> gebt sie dem, der die zehn Minen hat. Und sie sagten zu ihm: Herr, er<br />

hat zehn Minen! I<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: Jedem, der hat, wird gegeben werden; dem


<strong>Lukas</strong> ig,14—38 ~ 301<br />

aber, der ni<strong>ch</strong>t hat, wird au<strong>ch</strong> das genommen werden, was er hat. Wer für den<br />

Herrn das Empfangene fru<strong>ch</strong>tbar ma<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> ihm ni<strong>ch</strong>t nur die Mine, sondern<br />

neuen Erwerb, wenn au<strong>ch</strong> in vers<strong>ch</strong>iedenem Betrag, zu bringen vermag, der<br />

empfängt das Lob der Treue <strong>und</strong> wird aus seinem kleinen <strong>Die</strong>nst zur Teilnahme<br />

an seiner königli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t erhöht. Daneben steht der Kne<strong>ch</strong>t, der deshalb<br />

ni<strong>ch</strong>t dienen mag, weil er es für den Herrn tun müßte, <strong>und</strong> ihn hart s<strong>ch</strong>ilt<br />

<strong>und</strong> ihm darum nur das Empfangene wiedergibt. Br empfängt ni<strong>ch</strong>t nur keine<br />

neue Gabe, sondern verliert, was ihm gegeben ist.<br />

Den S<strong>ch</strong>luß ma<strong>ch</strong>t das Urteil über die Aufrührer. 19,27: Aber jene meine<br />

Feinde, die ni<strong>ch</strong>t wollten, daß i<strong>ch</strong> über sie König werde, führt hierher, <strong>und</strong><br />

ma<strong>ch</strong>t sie vor mir nieder. Darin Hegt für Israel die Anzeige seines Untergangs.<br />

Denen, die Jesus jetzt verwerfen, bringt sein herrli<strong>ch</strong>es Kommen ni<strong>ch</strong>t die<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit des Rei<strong>ch</strong>s, sondern seinen Verlust. Deshalb handelt es si<strong>ch</strong> jetzt<br />

ni<strong>ch</strong>t nur darum, den Aufgang desselben herbeizuwüns<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> an süßen<br />

Hoffnungen zu erlaben, sondern den 1 ents<strong>ch</strong>eidungsvollen Ernst der Zeit zu<br />

begreifen <strong>und</strong> in die Zahl derer zu treten, die als Kne<strong>ch</strong>te Jesu treu an dem<br />

handeln, was er ihnen hinterläßt.<br />

Kapitel 19,28—21,38<br />

Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

Über den Einzug beri<strong>ch</strong>tet uns^ <strong>Lukas</strong> zunä<strong>ch</strong>st aus <strong>Markus</strong>, wie die Jünger<br />

in Jesu Auftrag den jungen Esel herbeiholen, worauf das Tier <strong>und</strong> der Weg<br />

für ihn ges<strong>ch</strong>mückt werden. 19,28—36: Und <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem er dies gesagt hatte, zog<br />

er vorwärts <strong>und</strong> ging <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem hinauf. Und es-ges<strong>ch</strong>ah, als sie nahe bei<br />

Bethphage <strong>und</strong> Bethanien waren an dem Berg, den man den ölberg nennt, da<br />

s<strong>ch</strong>ickte er zwei der Jünger aus <strong>und</strong> sagte: Geht in das vor eu<strong>ch</strong> liegende Dorf;<br />

dort werdet ihr, wenn ihr hineinkommt, ein Füllen angeb<strong>und</strong>en finden, auf<br />

dem no<strong>ch</strong> nie ein Mens<strong>ch</strong> saß. Löst es <strong>und</strong> führt es her! Und wenn eu<strong>ch</strong> jemand<br />

fragt: Weshalb löst ihr es? sollt ihr so sagen: Der Herr bedarf seiner. Aber die<br />

Abgesandten gingen weg <strong>und</strong> fanden es, wie er es ihnen gesagt hatte. Als sie<br />

aber das Füllen lösten, sagten seine Herren zu ihnen: Warum löst ihr das<br />

Füllen? Sie aber sagten: Der Herr bedarf seiner, <strong>und</strong> führten es zu Jesus, warfen<br />

ihre Mäntel auf das Füllen <strong>und</strong> setzten Jesus darauf. Als er aber weiterging,<br />

breiteten sie ihre Mäntel auf den Weg. Über die "Worte der Jünger <strong>und</strong><br />

Jesu während des Einzugs hat <strong>Lukas</strong> dagegen den zweiten, rei<strong>ch</strong>eren Beri<strong>ch</strong>t<br />

benutzt. 19,37. 38: Als er aber s<strong>ch</strong>on an den Abstieg vom ölberg herankam,<br />

begann die ganze Menge der Jünger, mit Freuden Gott zu loben mit lauter


3 o2 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

Stimme aller der W<strong>und</strong>er wegen, die sie gesehen hatten, <strong>und</strong> sie sagten: Gesegnet<br />

ist der, der kommt, der König im Namen des Herrn. Im Himmel ist<br />

Friede <strong>und</strong> Ehre in den Höhen. Sie spre<strong>ch</strong>en über Jesus die Segnung als über<br />

den Verheißenen, der nun gegenwärtig ist, <strong>und</strong> über den König, dessen Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

in Gott begründet ist. Nun ist im Himmel Friede, ni<strong>ch</strong>t Zorn <strong>und</strong> Unwille,<br />

so daß Gottes Hand s<strong>ch</strong>wer auf den Mens<strong>ch</strong>en lastete <strong>und</strong> seine Gnade<br />

ihnen entzogen bliebe. Über dem, der in seinem Namen kommt, steht Gottes<br />

"Wohlgefallen. Er handelt für ihn, ni<strong>ch</strong>t wider ihn, verklärt ihn <strong>und</strong> ist um<br />

seinetwillen au<strong>ch</strong> der Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> "Wohltäter der Mens<strong>ch</strong>en, läßt sie seine Hilfe<br />

<strong>und</strong> Gabe genießen <strong>und</strong> beendet die Zeit, in der sie mit Fur<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Angst zu<br />

Gott aufsahen. Nun sind sie Gottes <strong>und</strong> seiner Gnade froh.<br />

Alles, wodur<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> Gott verherrli<strong>ch</strong>t, erweckt in der Höhe unter seinen<br />

heiligen <strong>Die</strong>nern die Anbetung. Daß der verheißene König kommt, ist eine so<br />

große Gottestat, daß ihn dafür au<strong>ch</strong> die Engel loben. <strong>Die</strong>, die auf Erden ihr<br />

Loblied singen, tun es in der Gewißheit, daß no<strong>ch</strong> viel herrli<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> gewaltiger,<br />

als sie es können, droben dieselbe Gottestat, die sie erfreut, das Lob<br />

Gottes s<strong>ch</strong>afft.<br />

19,39: Und einige der Pharisäer sagten aus de f Menge zu ihm: Lehrer, s<strong>ch</strong>ilt<br />

deine Jünger! Sie wollen die Verherrli<strong>ch</strong>ung Jesu als des verheißenen Königs<br />

hindern. Sie waren es bisher ni<strong>ch</strong>t an ¿hm gewohnt, daß er si<strong>ch</strong> laut als den<br />

Christus feiern ließ, <strong>und</strong> können es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t denken, daß er ernsthaft dieses<br />

Lob für si<strong>ch</strong> annehme; nur die erregte Begeisterung der Jünger preise ihn so.<br />

Sie fanden es aber sträfli<strong>ch</strong>, daß Jesus si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sofort dagegen verwahre, <strong>und</strong><br />

verlangten von ihm, daß er die Jünger zum S<strong>ch</strong>weigen bringe, da das, was sie<br />

tun, verwerfli<strong>ch</strong>er Mißbrau<strong>ch</strong> der Verheißung sei. Sie bekamen eine andere<br />

Antwort, als sie erwarteten. 19,40: Und er antwortete <strong>und</strong> sagte: I<strong>ch</strong> sage<br />

eu<strong>ch</strong>: Wenn diese s<strong>ch</strong>wiegen, würden die Steine rufen. Sein Name muß genannt,<br />

Gottes Gnade, die ihn sandte, laut gepriesen sein. "Wäre kein mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />

M<strong>und</strong> dazu bereit, dann würden die Steine das tun, wozu die Mens<strong>ch</strong>en<br />

unwillig wären. Au<strong>ch</strong> dann bliebe ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>wiegen, daß jetzt sein König zu<br />

Jerusalem kommt, jetzt der bei ihm ist, auf den es wartet <strong>und</strong> den ihm Gott<br />

gibt, <strong>und</strong> mit ihm sein Rei<strong>ch</strong>.<br />

'Wie er si<strong>ch</strong> den Esel bringen ließ in der Gewißheit, jetzt müsse er ni<strong>ch</strong>t still,<br />

sondern mit der lauten Bezeugung seines königli<strong>ch</strong>en Amts in die Stadt hineintreten,<br />

so s<strong>ch</strong>ützte er mit derselben Gewißheit die jubelnden "Worte der Seinigen<br />

gegen jede Einrede. Ihr Bekenntnis zu ihm ist wahr <strong>und</strong> re<strong>ch</strong>t; er will es<br />

jetzt ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>wiegen haben, sondern drückt selbst sein Siegel auf ihr "Wort.<br />

Denno<strong>ch</strong> weinte er, als er die Stadt vor si<strong>ch</strong> sah. 19,41: Und als er herankam,


<strong>Lukas</strong> ig,3g—48 303<br />

sah er auf die Stadt <strong>und</strong> weinte über sie. „Friede ist im Himmel." Das entbindet<br />

ihn aber nidit vom Kreuz, beruft ihn vielmehr zu ihm. „Ehre ist in den<br />

Höhen"; au<strong>ch</strong> für Jesu Ohr beten die heiligen Geister Gott an für das, was er<br />

dur<strong>ch</strong> ihn tut. Das wendet aber ni<strong>ch</strong>t ab, daß Israel in Verblendung si<strong>ch</strong> selbst<br />

zerstört. Gottes Regierung geht ihren hohen Gang über Israels Sturz hinweg.<br />

Er ist der verheißene König <strong>und</strong> bekennt si<strong>ch</strong> zu diesem Namen <strong>und</strong> trägt das<br />

Kreuz dafür. Deshalb kann er Jerusalem ni<strong>ch</strong>t retten; vielmehr fällt jetzt die<br />

Stadt, weil der Verheißene umsonst zu ihr kommt.<br />

19,42: Und er sagte: Wenn do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> du wenigstens an diesem deinem Tag<br />

erkennen würdest, was dir den Frieden bringt! Jetzt aber wurde es vor deinen<br />

Augen verborgen. Jetzt ist Jerusalems Tag, der von Gott ihm gegebene Tag.<br />

Jetzt wird ihm Christus gezeigt, <strong>und</strong> er ist mit seiner Gnade bei ihm, bereit,<br />

es zu si<strong>ch</strong> zu ziehen. Das wäre Jerusalems Friede, seine Bewahrung vor dem<br />

Untergang, in den es sein Streit mit Gott hinunterreißt, seine Erhaltung im<br />

si<strong>ch</strong>eren S<strong>ch</strong>utz der göttli<strong>ch</strong>en Gnade. Allein Jerusalem sieht ni<strong>ch</strong>t, was Gott<br />

ihm tut. Was ges<strong>ch</strong>ieht, ist für das Volk umsonst ges<strong>ch</strong>ehen. Darum sieht Jesu<br />

Blick die Stadt belagert <strong>und</strong> zerstört. 19,43. 44: Denn es werden Tage über<br />

di<strong>ch</strong> kommen, da werden deine Feinde um di<strong>ch</strong> den Wall auf werf en <strong>und</strong> di<strong>ch</strong><br />

eins<strong>ch</strong>ließen <strong>und</strong> di<strong>ch</strong> von allen Seiten bedrängen <strong>und</strong> di<strong>ch</strong> zu Boden stürzen<br />

<strong>und</strong> deine Kinder in dir <strong>und</strong> keinen Stein in dir auf dem anderen lassen, weil<br />

du die Zeit deiner Heimsu<strong>ch</strong>ung ni<strong>ch</strong>t erkannt hast, die Zeit, als Gott si<strong>ch</strong> deiner<br />

annahm, dir seine Hilfe darbot <strong>und</strong> alle seine Gaben vor dir lagen. Ist sie<br />

ni<strong>ch</strong>t erkannt, so kommt sie ni<strong>ch</strong>t wieder. <strong>Die</strong> vergebli<strong>ch</strong>e Berufung bewirkt<br />

den Fall.<br />

Darauf zeigt er Israel am Markt im Tempel, was er an seinem Gottesdienst<br />

verwarf. 19,45.46: Und er ging in den Tempel hinein <strong>und</strong> begann die Verkäufer<br />

auszutreiben <strong>und</strong> sagte ihnen: Es ist ges<strong>ch</strong>rieben: Mein Haus soll ein<br />

Haus des Gebets sein. Ihr aber habt es zu einer Höhle für Räuber gema<strong>ch</strong>t (Jesaias<br />

j6,7. Jeremía 7,11). Der Beri<strong>ch</strong>t ist zwar gekürzt, hebt aber das "Wesentli<strong>ch</strong>e<br />

an Jesu Tat in derselben "Weise hervor, wie es die beiden anderen Evangelisten<br />

tun.<br />

Auf den Einzug folgte das Ende Jesu ni<strong>ch</strong>t sofort, sondern er hatte no<strong>ch</strong><br />

die Gelegenheit, au<strong>ch</strong> an Jerusalem das "Wort zu ri<strong>ch</strong>ten, das das Volk vom<br />

Bösen wegzog <strong>und</strong> zu Gott berief. 19,47.48: Und er lehrte Tag um Tag im<br />

Tempel. Aber die Hohenpriester <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> die Ersten des<br />

Volks wollten ihn umbringen <strong>und</strong> fanden ni<strong>ch</strong>t, was sie tun konnten. Denn<br />

das ganze Volk hörte auf ihn <strong>und</strong> hing ihm an. Dadur<strong>ch</strong>, daß die regierenden<br />

Männer zwar <strong>na<strong>ch</strong></strong> Mitteln <strong>und</strong> Wegen su<strong>ch</strong>ten, um Jesus umzubringen, aber


3°4 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

no<strong>ch</strong> gehindert waren, weil sein Wort das Volk mä<strong>ch</strong>tig ergriff, wird deutli<strong>ch</strong>,<br />

wie es erst dur<strong>ch</strong> den Verrat des Jüngers zur Tötung Jesu kam.<br />

Das Zei<strong>ch</strong>en am Feigenbaum hat uns <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t erzählt, weil wir bereits<br />

dur<strong>ch</strong> das Glei<strong>ch</strong>nis Jesu über den Feigenbaum hörten, was an Israel ges<strong>ch</strong>ieht,<br />

wenn es Jesus umsonst <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Fru<strong>ch</strong>t su<strong>ch</strong>en läßt. Daß hier eine Tat, dort<br />

nur ein "Wort Jesu Urteil k<strong>und</strong>ma<strong>ch</strong>te, das ergab für <strong>Lukas</strong> keinen wesentli<strong>ch</strong>en<br />

Unters<strong>ch</strong>ied, weil Jesu Wort völlig ausrei<strong>ch</strong>t, um uns den Ernst seines Geri<strong>ch</strong>ts<br />

zu zeigen. Sein Wort ges<strong>ch</strong>ieht.<br />

<strong>Die</strong>, die ihn <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Vollma<strong>ch</strong>t fragten, heißt er gestehen, daß ihnen die<br />

Taufe des Johannes im Auftrag Gottes angeboten war, <strong>und</strong> erzählt ihnen<br />

dann, wie die Weingärtner ihren Untergang vers<strong>ch</strong>uldeten. 20,1—8: Und es<br />

ges<strong>ch</strong>ah an einem der Tage, als er das Volk im Tempel lehrte <strong>und</strong> ihm die<br />

gute Bots<strong>ch</strong>aft sagte, traten die Hohenpriester <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>rift gelehrten mit<br />

den Ältesten hinzu <strong>und</strong> sagten zu ihm: Sage uns: Mit was für einer Vollma<strong>ch</strong>t<br />

tust du dies, oder wer ist es, der dir diese Vollma<strong>ch</strong>t gab? Er antwortete aber<br />

<strong>und</strong> sagte zu ihnen: Au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> will eu<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> einer Sa<strong>ch</strong>e fragen. Sagt mir: War<br />

die Taufe des Johannes aus dem Himmel oder von den Mens<strong>ch</strong>en? Sie aber erwogen<br />

bei si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sagten: Wenn wir sagen: Aus dem Himmel, wird er sagen:<br />

Warum habt ihr ihm ni<strong>ch</strong>t geglaubt? Wenn wir aber sagen: Von den Mens<strong>ch</strong>en,<br />

so wird uns das ganze Volk steinigen. Denn es ist überzeugt, Johannes<br />

sei ein Prophet. Und sie antworteten, sie wüßten ni<strong>ch</strong>t, woher sie sei. Und<br />

Jesus sagte ihnen: Au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, mit wel<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t i<strong>ch</strong> dies tue.<br />

20,9—18: Er begann aber, dieses Glei<strong>ch</strong>nis zum Volk zu sagen. Ein Menso)<br />

pflanzte einen Weinberg <strong>und</strong> verpa<strong>ch</strong>tete ihn Weingärtnern <strong>und</strong> reiste fort für<br />

lange Zeit. Und als die Zeit kam, sandte er zu den Weingärtnern einen Kne<strong>ch</strong>t,<br />

damit sie ihm von der Fru<strong>ch</strong>t des Weinbergs gäben. Aber die Weingärtner<br />

s<strong>ch</strong>lugen ihn <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ickten ihn leer weg. Und er fuhr fort <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ickte einen<br />

anderen Kne<strong>ch</strong>t. Sie aber s<strong>ch</strong>lugen au<strong>ch</strong> ihn, s<strong>ch</strong>ändeten ihn <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ickten<br />

ihn leer weg. Und er fuhr fort <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ickte den dritten. Sie aber verw<strong>und</strong>eten<br />

au<strong>ch</strong> diesen <strong>und</strong> trieben ihn fort. Aber der Herr des Weinbergs spra<strong>ch</strong>: Was<br />

soll i<strong>ch</strong> tun? I<strong>ch</strong> werde meinen geliebten Sohn s<strong>ch</strong>icken; viellei<strong>ch</strong>t werden sie<br />

si<strong>ch</strong> vor diesem s<strong>ch</strong>euen. Als ihn aber die Weingärtners sahen, bespra<strong>ch</strong>en sie<br />

si<strong>ch</strong> miteinander <strong>und</strong> sagten: <strong>Die</strong>ser ist der Erbe; wir wollen ihn töten, damit<br />

das Erbe uns zufalle. Und sie stießen ihn zum Weinberg hinaus <strong>und</strong> töteten<br />

ihn. Was wird ihnen nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen <strong>und</strong><br />

diese Weingärtner umbringen <strong>und</strong> den Weinberg anderen geben. Als sie aber<br />

das hörten, sagten sie: Das ges<strong>ch</strong>ehe ni<strong>ch</strong>t! Er aber blickte sie an <strong>und</strong> sagte:<br />

Was heißt denn diese S<strong>ch</strong>riftstelle: Der Stein, den die Bauenden verwarfen,


<strong>Lukas</strong> 20,1—40 3 o 5<br />

der wurde zum Eckstein (Psalm 118,22)? Jeder, der auf jenen Stein fällt, wird<br />

zers<strong>ch</strong>mettert werden; den aber, auf den er fällt, wird er zermalmen. Dur<strong>ch</strong><br />

die Art, wie <strong>Lukas</strong> den S<strong>ch</strong>luß des Glei<strong>ch</strong>nisses formt, hat er dargestellt, wie<br />

tief diese Worte in das Gewissen seiner Hörer hineins<strong>ch</strong>lugen. Sie wußfen,<br />

daß dadur<strong>ch</strong> über sie selbst das Urteil erging, <strong>und</strong> wehrten es von si<strong>ch</strong> ab.<br />

Do<strong>ch</strong> Jesus hält ihnen die S<strong>ch</strong>riftworte vor vom Eckstein, den die Bauleute<br />

verwarfen <strong>und</strong> der do<strong>ch</strong> Eckstein bleibt, <strong>und</strong> vom Stein, der jeden zermalmt,<br />

auf den er fällt. Mögen sie sein Wort vera<strong>ch</strong>ten, das S<strong>ch</strong>riftwort wird ges<strong>ch</strong>ehen,<br />

ohne daß ihre Einspra<strong>ch</strong>e gegen Jesu Wort das hindern wird. 20,19:<br />

Und die S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> Hohenpriester wüns<strong>ch</strong>ten, in derselben St<strong>und</strong>e<br />

die Hände an ihn zu legen, <strong>und</strong> für<strong>ch</strong>teten si<strong>ch</strong> vor dem Volk. Denn sie erkannten,<br />

daß er dieses Glei<strong>ch</strong>nis gegen sie gespro<strong>ch</strong>en hatte.<br />

20,20: Und sie lauerten ihm auf <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>ickten Späher, die si<strong>ch</strong> stellten, sie<br />

seien gere<strong>ch</strong>t, um ihn an einem Wort zu fassen, so daß sie ihn der Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

<strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t des Statthalters überantworten könnten. <strong>Lukas</strong> ma<strong>ch</strong>t die List deutli<strong>ch</strong>,<br />

die si<strong>ch</strong> darin verbarg, daß Jesus die Frage über die Zulässigkeit der Steuer<br />

vorgelegt wurde. Sie stellten si<strong>ch</strong>, sie seien gere<strong>ch</strong>t, weil sie tun, als ob sie aus<br />

dem ernsten Verlangen fragten, si<strong>ch</strong> vor jeder Untreue gegen Gott zu hüten,<br />

selbst wenn sie dur<strong>ch</strong> die Verweigerung der Steuer in den Kampf mit der<br />

römis<strong>ch</strong>en Obrigkeit hineingerissen würden. Ihre Absi<strong>ch</strong>t ging aber nur darauf,<br />

Jesus ein Wort abzulocken, das ni<strong>ch</strong>t nur seine jüdis<strong>ch</strong>en Gegner erbittere,<br />

sondern den Statthalter gegen ihn aufreize. Sie zweifelten ni<strong>ch</strong>t, daß es dann<br />

um Jesus ges<strong>ch</strong>ehen sei, sowie si<strong>ch</strong> der Statthalter seiner bemä<strong>ch</strong>tigt habe.<br />

20,21—26: Und sie befragten ihn <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>en: Lehrer, wir wissen, daß du<br />

aufri<strong>ch</strong>tig spri<strong>ch</strong>st <strong>und</strong> lehrst <strong>und</strong> keine Gunst übst, sondern mit Wahrheit<br />

den Weg Gottes lehrst. Ist es erlaubt, daß wir dem Kaiser die Steuer geben,<br />

oder ist es ni<strong>ch</strong>t erlaubt? Er nahm aber ihre List wahr <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Zeigt<br />

mir einen Denar; wessen Bild <strong>und</strong> Aufs<strong>ch</strong>rift hat er? Sie aber sagten: Des<br />

Kaisers. Er aber sagte zu ihnen: Also gebt, was dem Kaiser gehört, dem Kaiser<br />

<strong>und</strong>, was Gott gehört, Gotti Und sie vermo<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t, ihn an einem Wort<br />

vor dem Volk zu fassen, verw<strong>und</strong>erten si<strong>ch</strong> über seine Antwort <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>wiegen.<br />

20,27—40: Es traten aber einige der Sadduzäer hinzu, die die Einrede erheben,<br />

es gebe keine Auferstehung, befragten ihn <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>en: Lehrer, Mose<br />

s<strong>ch</strong>rieb für uns: Wenn der verheiratete Bruder eines Mannes stirbt <strong>und</strong> er<br />

kinderlos ist, dann soll sein Bruder die Frau nehmen <strong>und</strong> für seinen Bruder<br />

das Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t fortsetzen (5. Mose 25,5). Nun waren sieben Brüder, <strong>und</strong> der<br />

erste nahm eine Frau <strong>und</strong> starb kinderlos, <strong>und</strong> der zweite <strong>und</strong> der dritte nahm<br />

sie; in derselben Weise hinterließen die Sieben keine Söhne <strong>und</strong> starben. Später


3o6 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

starb au<strong>ch</strong> die Frau, Wem von ihnen wird nun bei der Auferstehung die Frau<br />

gehören? Denn die Sieben haben sie zur Frau gehabt. Und Jesus sagte ihnen:<br />

<strong>Die</strong> Söhne dieser Welt heiraten <strong>und</strong> werden geheiratet; die aber, die gewürdigt<br />

sind, jene Welt <strong>und</strong> die Auferstehung aus den Toten zu erlangen, heiraten<br />

ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> werden ni<strong>ch</strong>t geheiratet. Denn sie können au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr sterben.<br />

Denn sie sind den Engeln glei<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sind als Söhne der Auferstehung Söhne<br />

Gottes. Daß aber die Toten erweckt werden, hat au<strong>ch</strong> Mose beim Dornbus<strong>ch</strong><br />

k<strong>und</strong>getan, da er den Herrn den Gott Abrahams <strong>und</strong> den Gott Isaaks <strong>und</strong> den<br />

Gott Jakobs nennt (2. Mose 3,6). Gott ist aber.ni<strong>ch</strong>t für Tote, sondern für<br />

Lebende Gott; denn alle leben für ihn. Aber einige der S<strong>ch</strong>rift gelehrten antworteten<br />

<strong>und</strong> sagten: Lehrer, du spra<strong>ch</strong>st gut. Denn sie wagten ihn über ni<strong>ch</strong>ts<br />

mehr zu befragen. <strong>Lukas</strong> hat etwas ausführli<strong>ch</strong>er als <strong>Markus</strong> ausgespro<strong>ch</strong>en,<br />

was die Verheißung Jesu, die uns die Auferstehung zusagt, bedeutet. Den<br />

Söhnen dieser Zeit stellt er die Söhne der zukünftigen Welt gegenüber. Von<br />

denen, deren Lebenslauf ni<strong>ch</strong>ts in si<strong>ch</strong> hat, als was dieser Zeit angehört, s<strong>ch</strong>eiden<br />

si<strong>ch</strong> die als ein anderes Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ab, die aus dem Sterben heraus ins<br />

Leben kommen <strong>und</strong> der ewigen Mens<strong>ch</strong>heit zugeteilt sind. Dann liegt mit dem<br />

Sterben au<strong>ch</strong> die Ehe hinter ihnen. Beides gehört derjenigen Lebensstufe an,<br />

die für diese "Welt besteht, <strong>und</strong> kehrt ni<strong>ch</strong>t wieder im vollendeten Leben, das<br />

uns bleiben wird. Was uns die Auferstehung gibt, das ist Sohns<strong>ch</strong>aft Gottes,<br />

ein Leben, das Gott uns gibt, <strong>und</strong> dies ist mehr <strong>und</strong> etwas anderes als das, das<br />

uns jetzt die Natur vers<strong>ch</strong>afft. <strong>Die</strong> S<strong>ch</strong>rift gibt uns die Verheißung des bleibenden<br />

Lebens dadur<strong>ch</strong>, daß si<strong>ch</strong> Gott als Gott Abrahams, Isaaks <strong>und</strong> Jakobs<br />

offenbart, ni<strong>ch</strong>t als der, der einst ihr Gott war, sondern als der, der es ist. Er<br />

tritt aber ni<strong>ch</strong>t mit Toten in Verbindung; sondern die, denen er seine Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

gibt, empfangen dur<strong>ch</strong> sie das Leben. Daher sind sie zwar uns <strong>und</strong> der<br />

"Welt abgestorben; weil aber Gott der ihrige bleibt, so stehen sie vor ihm als<br />

die Lebenden. Das gilt von allen, die Gottes sind.<br />

Was ihn der S<strong>ch</strong>riftgelehrte über Gottes Gebot fragte, wiederholt <strong>Lukas</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t, weil er ein ähnli<strong>ch</strong>es Gesprä<strong>ch</strong> eines Lehrers über das, was uns dur<strong>ch</strong><br />

die S<strong>ch</strong>rift befohlen sei, s<strong>ch</strong>on früher gab (io,2jff.). Jesu Frage über die Herkunft<br />

des Christus aus David, während ihn die S<strong>ch</strong>rift do<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> über David<br />

stellt, seine Strafworte gegen die S<strong>ch</strong>riftgelehrten <strong>und</strong> sein Lob, das er der<br />

armen Witwe gab, folgen dagegen in derselben Gestalt, wie sie bei <strong>Markus</strong><br />

stehen. 20,41—44: Er sagte aber zu ihnen: Wie sagen sie, der Christus sei der<br />

Sohn Davids? Denn David selbst sagt im Psalmbu<strong>ch</strong>: Der Herr spra<strong>ch</strong> zu<br />

meinem Herrn: Setze di<strong>ch</strong> zu meiner Re<strong>ch</strong>ten, bis i<strong>ch</strong> deine Feinde zum


<strong>Lukas</strong> 20,41—47; 21;i—ii 307<br />

S<strong>ch</strong>emel deiner Füße madie (Psalm 110,1). Also heißt ihn David Herr. Wie ist<br />

er denn sein Sohn?<br />

20,45—47: Als aber das ganze Volk zuhörte, sagte er zu den Jüngern: Hütet<br />

eu<strong>ch</strong> vor den S<strong>ch</strong>riftgelehrten, die ihre Lust daran haben, in langen Gewändern<br />

umherzugehen, <strong>und</strong> ihre Freude haben an den Begrüßungen auf den<br />

Märkten <strong>und</strong> an den ersten Sitzen in den Versammlungen <strong>und</strong> an den ersten<br />

Plätzen bei den Mahlzeiten, die die Häuser der Witwen aufessen <strong>und</strong> angebli<strong>ch</strong><br />

lange beten. <strong>Die</strong>se werden ein besonderes Urteil erhalten.<br />

21,1—4: Als er aber den Blick erhob, sah er die Rei<strong>ch</strong>en, die ihre Gaben in<br />

das S<strong>ch</strong>atzhaus legten. Er sah aber eine arme Witwe, die dort zwei Kupferstücke<br />

einlegte, <strong>und</strong> er sagte: Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: <strong>Die</strong>se arme Witwe hat<br />

mehr als alle eingelegt. Denn alle diese legten aus ihrem Überfluß zu den<br />

Opfer gaben; diese aber legte aus ihrem Mangel den ganzen Unterhalt ein, den<br />

sie hatte.<br />

Damit geht au<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong> zu Jesu Weissagung über, jedo<strong>ch</strong> ohne hervorzuheben,<br />

daß Jesus den Tempel verließ, <strong>und</strong> das Wort, das seine Zerstörung ausspra<strong>ch</strong>,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Abs<strong>ch</strong>luß seines Lehramts im Tempel nur seinen Jüngern<br />

gab. Was Jesus im besonderen seinen Jüngern als ihre Hoffnung ins Herz<br />

legte, haben wir in doppelter Form s<strong>ch</strong>on in Kapitel 12 <strong>und</strong> 17 gehört. Hier<br />

spri<strong>ch</strong>t die Weissagung für jedermann aus, was das Ziel des Weltlaufs sei <strong>und</strong><br />

wie das, was dur<strong>ch</strong> Jesu Werk vollbra<strong>ch</strong>t ist, si<strong>ch</strong> weiter fortsetze bis zum Ende<br />

hin. 21,5: Und als einige vom Tempel sagten, daß er mit s<strong>ch</strong>önen Steinen <strong>und</strong><br />

mit Weihges<strong>ch</strong>enken ges<strong>ch</strong>mückt sei, sagte er. Bei diesem Ruhm des Tempels<br />

ist weniger an seine uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>e Festigkeit als an seine Pra<strong>ch</strong>t geda<strong>ch</strong>t, an<br />

die vielen Kostbarkeiten, die hier als Gabe Israek an seinen Herrn aufgehäuft<br />

gewesen sind. All das s<strong>ch</strong>ützt den Tempel ni<strong>ch</strong>t vor seinem Untergang. 21,6:<br />

Für das, was ihr seht, werden Tage kommen, an denen kein Stein auf dem anderen<br />

gelassen wird, der ni<strong>ch</strong>t herabgestürzt würde.<br />

Für die weiteren Worte hat <strong>Lukas</strong> zwar den Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Markus</strong> zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt, aber an mehreren Stellen bedeutsam aus dem anderen Zeugen ergänzt.<br />

21,7—11: Sie befragten ihn aber <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>en: Lehrer, wann wird dies denn<br />

sein, <strong>und</strong> wel<strong>ch</strong>es ist das Zei<strong>ch</strong>en, wann dies ges<strong>ch</strong>ehen soll? Er aber sagte: Seht<br />

eu<strong>ch</strong> vor, daß ihr ni<strong>ch</strong>t verführt werdet! Denn viele werden mit meinem Namen<br />

kommen <strong>und</strong> sagen: I<strong>ch</strong> bin es, <strong>und</strong>: <strong>Die</strong> Zeit ist da. Geht ihnen ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong>!<br />

Wenn ihr aber von Kriegen <strong>und</strong> Aufruhr hört, werdet ni<strong>ch</strong>t fur<strong>ch</strong>tsam. Denn<br />

dies muß zuerst ges<strong>ch</strong>ehen; aber ni<strong>ch</strong>t sofort ist das Ende da. Dann sagte er<br />

zu ihnen: Volk wird si<strong>ch</strong> gegen Volk <strong>und</strong> Rei<strong>ch</strong> gegen Rei<strong>ch</strong> erheben, <strong>und</strong> es<br />

werden starke Erdbeben <strong>und</strong> von Ort zu Ort Seu<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Hungersnöte sein,


3 C 8 Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

<strong>und</strong> es werden ers<strong>ch</strong>reckende Ers<strong>ch</strong>einungen <strong>und</strong> vom Himmel her große Zei<strong>ch</strong>en<br />

sein. Zu den fals<strong>ch</strong>en messianis<strong>ch</strong>en Hoffnungen <strong>und</strong> Weissagungen,<br />

gegen die si<strong>ch</strong> die Jünger zu s<strong>ch</strong>ützen haben, <strong>und</strong> den "Wirren <strong>und</strong> Nöten im<br />

Völkerleben <strong>und</strong> in der Natur fügt <strong>Lukas</strong> no<strong>ch</strong> besondere Zei<strong>ch</strong>en, die die<br />

Fur<strong>ch</strong>t erwecken, hinzu. Vorzei<strong>ch</strong>en vom Himmel, wie sie damals bei allen<br />

großen "Wendungen im "Weltlauf erwartet <strong>und</strong> erzählt wurden, werden bewirken,<br />

daß das Geri<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t unerwartet kommt.<br />

"Weiter fallen, wie es die Rede bei <strong>Markus</strong> sagt, vor das Ende die Leiden<br />

der Gemeinde dur<strong>ch</strong> ihre Verfolger. 21,12—15: Aber vor diesem allem werden<br />

sie ihre Hände an eu<strong>ch</strong> legen <strong>und</strong> eu<strong>ch</strong> verfolgen, eu<strong>ch</strong> in die Bethäuser <strong>und</strong> Gefängnisse<br />

überantworten <strong>und</strong> eu<strong>ch</strong> vor Könige <strong>und</strong> Statthalter abführen um<br />

meines Namens willen. Für eu<strong>ch</strong> wird das Zeugnis daraus entstehen. Legt es<br />

darum in eure Herzen, daß ihr ni<strong>ch</strong>t zum voraus eu<strong>ch</strong> bekümmert, eu<strong>ch</strong> zu verteidigen.<br />

Denn i<strong>ch</strong> werde eu<strong>ch</strong> einen M<strong>und</strong> <strong>und</strong> eine Weisheit geben, der alle<br />

eure Widersa<strong>ch</strong>er ni<strong>ch</strong>t zu widerstehen oder zu widerspre<strong>ch</strong>en imstande sein<br />

werden. Hier ers<strong>ch</strong>eint die Verheißung, die den Jüngern für die Ausri<strong>ch</strong>tung<br />

ihres Zeugnisses vor ihren Ri<strong>ch</strong>tern gegeben ist, in einer neuen Gestalt, da<br />

ihnen der Geist als ihr Anwalt vor ihren Ri<strong>ch</strong>tern s<strong>ch</strong>on 12,11 verheißen war.<br />

Der Blick geht hier mehr auf das Streitgesprä<strong>ch</strong>, in das die Jüngers<strong>ch</strong>ar mit der<br />

"Welt hineingezogen wird. Sie hat mit ihr um die "Wahrheit dessen zu ringen,<br />

was Jesu "Wort ihr bezeugt. Aber der Herr selbst wird sie au<strong>ch</strong> in diesem Streit<br />

leiten <strong>und</strong> aus dem S<strong>ch</strong>atz seiner "Weisheit sie mit dem versehen, was immer<br />

wieder in der Erkenntnis <strong>und</strong> im Gewissen ihrer Gegner der Wahrheit zum<br />

Siege hilft.<br />

21,16—19: Ihr werdet aber au<strong>ch</strong> von Eltern <strong>und</strong> Brüdern <strong>und</strong> Verwandten<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en überantwortet werden, <strong>und</strong> sie werden man<strong>ch</strong>e aus eu<strong>ch</strong> töten,<br />

<strong>und</strong> ihr werdet von allen gehaßt sein um meines Namens willen. Und kein<br />

Haar geht von eurem Haupt verloren. Dur<strong>ch</strong> eure Geduld werdet ihr eure<br />

Seelen gewinnen. Zur "Weissagung des Hasses, den die Jünger tragen, kommt<br />

die Zusi<strong>ch</strong>erung des vollen S<strong>ch</strong>utzes, in dem sie mit allem, was sie sind <strong>und</strong><br />

haben, geborgen sind. Trotz des Leidens <strong>und</strong> Sterbens, das ihnen bevorsteht,<br />

ist der Weg, auf dem Jesus sie führt, ein Weg ins Leben. Freili<strong>ch</strong> fordert er<br />

von ihnen den starken Willen, der zu leiden vermag. Aber dadur<strong>ch</strong>, daß sie<br />

Geduld beweisen <strong>und</strong> uners<strong>ch</strong>üttert ausharren, wird ihnen ihr Leiden <strong>und</strong><br />

Sterben zum Mittel, dur<strong>ch</strong> das sie ihre Seele erhalten zur Herrli<strong>ch</strong>keit des<br />

göttli<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>s.<br />

Nun folgte im Abs<strong>ch</strong>iedswort der älteren Evangelisten der Vorblick Jesu<br />

auf den Jammer Israels. Bei ihnen blieb die. Weissagung bei geheimnisvollen


<strong>Lukas</strong> 21,12—27 309<br />

Andeutungen stehen; <strong>Lukas</strong> hat darum hier ein anderes weissagendes Wort<br />

eingelegt, mit dem Jesus bestimmter vom Fall der heiligen Stadt gespro<strong>ch</strong>en<br />

hat, ähnli<strong>ch</strong> wie er es beim Einzug tat. 21,20: Wenn ihr aber seht, daß<br />

Jerusalem von Heeren umringt ist, dann erkennt, daß ihre Verwüstung<br />

herangenaht ist. Der Jüngerkreis soll si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit der Hoffnung tragen, die<br />

Stadt stehe unter Gottes S<strong>ch</strong>irm <strong>und</strong> werde für alle ihre Feinde unüberwindli<strong>ch</strong><br />

gema<strong>ch</strong>t. Sie hat ni<strong>ch</strong>t mehr die Wi<strong>ch</strong>tigkeit, die sie einst hatte, als Gottes<br />

Name mit dem ihrigen verb<strong>und</strong>en war <strong>und</strong> Gottes Verheißung auf sie hinzeigte.<br />

Ihre Zeit ist nun vorbei, <strong>und</strong> sie dient dem Werke Gottes auf Erden<br />

nur no<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong>, daß sie dur<strong>ch</strong> ihren Untergang offenk<strong>und</strong>ig ma<strong>ch</strong>t, daß Gott<br />

seiner ni<strong>ch</strong>t spotten läßt. <strong>Die</strong> Mahnung zur Flu<strong>ch</strong>t gewinnt darum jetzt den<br />

bestimmten, enger begrenzten Sinn: Verlaßt die heilige Stadt, <strong>und</strong> verwebt<br />

ni<strong>ch</strong>t mit ihrem Untergang euer eigenes Ges<strong>ch</strong>ick! 21,21—24: Darum sollen die,<br />

die in Judäa sind, in die Berge fliehen <strong>und</strong> die, die in ihrer Mitte sind, wegziehen<br />

<strong>und</strong> die, die in den Ländern sind, sie ni<strong>ch</strong>t betreten. Denn das sind die<br />

Tage der Ahndung, damit alles, was ges<strong>ch</strong>rieben ist, erfüllt werde. Wehe den<br />

S<strong>ch</strong>wangeren <strong>und</strong> Säugenden in jenen Tagen! Denn es wird eine große Not<br />

auf der Erde sein <strong>und</strong> Zorn über dieses Volk <strong>und</strong> sie werden dur<strong>ch</strong> das S<strong>ch</strong>wert<br />

fallen <strong>und</strong> gefangen zu allen Völkern geführt werden, <strong>und</strong> Jerusalem wird von<br />

Heiden zertreten werden, bis die Zeiten der Heiden voll geworden sind. Au<strong>ch</strong><br />

der Ma<strong>ch</strong>t der Heiden über Jerusalem hat Gott das Maß <strong>und</strong> Ziel gesetzt.<br />

Au<strong>ch</strong> sie haben ihre von Gott geordneten Zeiten, mit deren Ablauf das letzte<br />

Ende kommt.<br />

21,25a: Und es werden Zei<strong>ch</strong>en an der Sonne <strong>und</strong> am Mond <strong>und</strong> an den<br />

Sternen sein. Zu diesen Vorzei<strong>ch</strong>en am Himmel fügt <strong>Lukas</strong> ein neues "Wort,<br />

das die angstvolle Spannung der Mens<strong>ch</strong>heit, mit der sie der herannahenden,<br />

ihr aber unverständli<strong>ch</strong>en Umwandlung des Weltbestands entgegenhart, feierli<strong>ch</strong>-bes<strong>ch</strong>reibt.<br />

21,25b. 26a. Und auf Erden sind Völker geängstigt beim Raus<strong>ch</strong>en<br />

des Meeres <strong>und</strong> der Wogen, <strong>und</strong> es sterben die Mens<strong>ch</strong>en dahin vor<br />

Fur<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> vor Erwartung dessen, was über die Welt kommt. Das Meer dient<br />

mit gewaltigem Raus<strong>ch</strong>en dem kommenden Geri<strong>ch</strong>t zum Herold. Do<strong>ch</strong> die<br />

Völker wissen ni<strong>ch</strong>t, was dieses Brausen, das über die Erde s<strong>ch</strong>allt, verkündigt.<br />

Sie empfinden nur die Majestät <strong>und</strong> Fur<strong>ch</strong>tbarkeit dessen, was nun naht, kennen<br />

aber den ni<strong>ch</strong>t, der da kommt. <strong>Die</strong> Wiederkunft des Mens<strong>ch</strong>ensohnes wird<br />

mit dem Wort Jesu aus <strong>Markus</strong> verheißen. 21,26b. 27: Denn die Kräfte der<br />

Himmel werden ers<strong>ch</strong>üttert werden. Und dann werden sie den Sohn des Mens<strong>ch</strong>en<br />

in einer Wolke kommen sehen mit großer Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> Herrli<strong>ch</strong>keit. Darauf<br />

folgt wieder ein neues Wort, das im Gegensatz zu den verzagenden Hei-


3 Io Jesu Zeugnis in Jerusalem<br />

den die Jünger zur freudigen Hoffnung aufri<strong>ch</strong>tet. 21,28: Wann dies aber zu<br />

ges<strong>ch</strong>ehen beginnt, ri<strong>ch</strong>tet eu<strong>ch</strong> auf, <strong>und</strong> erhebt eure Häupter, weil eure Erlösung<br />

naht.<br />

Es folgen der Hinweis auf den Feigenbaum, an dem die Jünger 'Aufmerksamkeit<br />

auf das, was im Weltlauf ges<strong>ch</strong>ieht, zu lernen haben, <strong>und</strong> die Worte,<br />

dur<strong>ch</strong> die Jesus den Jüngern die Gewißheit seiner Zusage verbürgt. 21,29—33:<br />

Und er sagte ihnen ein Glei<strong>ch</strong>nis: Seht auf den Feigenbaum <strong>und</strong> alle Bäume.<br />

Wenn sie s<strong>ch</strong>on auss<strong>ch</strong>lagen, so erkennt ihr von eu<strong>ch</strong> selbst, sowie ihr es seht,<br />

daß der Sommer s<strong>ch</strong>on nahe ist. So erkennt au<strong>ch</strong> ihr, wenn ihr seht, daß dies<br />

ges<strong>ch</strong>ieht, daß Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft nahe ist. Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: <strong>Die</strong>ses Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

geht ni<strong>ch</strong>t dahin, bis alles ges<strong>ch</strong>ieht. Der Himmel <strong>und</strong> die Erde werden<br />

vergehen; aber meine Worte werden ni<strong>ch</strong>t vergehen.<br />

<strong>Die</strong> mahnenden Sprü<strong>ch</strong>e, die die Hoffnung zur Wurzel des wa<strong>ch</strong>en Blicks<br />

<strong>und</strong> treuen "Willens ma<strong>ch</strong>en, bildeten s<strong>ch</strong>on den Hauptteil der beiden an die<br />

Jünger geri<strong>ch</strong>teten Weissagungen. Es fehlt aber au<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t an einem kurzen<br />

"Wort, das ausspri<strong>ch</strong>t, was si<strong>ch</strong> als Pfli<strong>ch</strong>t aus der Weissagung für uns ergibt.<br />

21,34—36: Habt aber a<strong>ch</strong>t auf eu<strong>ch</strong> selbst, damit ni<strong>ch</strong>t eure Herzen dur<strong>ch</strong><br />

S<strong>ch</strong>lemmerei <strong>und</strong> Trunkenheit <strong>und</strong> Sorgen um den Lebensunterhalt bes<strong>ch</strong>wert<br />

werden <strong>und</strong> plötzli<strong>ch</strong> jener Tag wie eine S<strong>ch</strong>linge vor eu<strong>ch</strong> stehe. Denn er wird<br />

über alle kommen, die auf der ganzen Erde wohnen. Wa<strong>ch</strong>t aber zu jederZeit,<br />

<strong>und</strong> bittet, daß ihr die Kraft erlangen möget, dem allem, was ges<strong>ch</strong>ehen wird,<br />

zu entfliehen <strong>und</strong> vor dem Sohn des Mens<strong>ch</strong>en zu stehen! Der in Gnade <strong>und</strong><br />

Geri<strong>ch</strong>t hohe Gang der göttli<strong>ch</strong>en Regierung fordert von uns, daß wir ein<br />

helles Auge <strong>und</strong> einen besonnenen, klaren Geist haben, der zu ermessen vermag,<br />

wohin das zielt, was vor unseren Augen ges<strong>ch</strong>ieht. Statt dessen belasten<br />

die Mens<strong>ch</strong>en mit wildem Genuß <strong>und</strong> zehrenden Sorgen ihr Herz, so daß es<br />

ni<strong>ch</strong>ts von Gottes Werk bemerkt, sondern stumpf <strong>und</strong> unempfindli<strong>ch</strong> wird. So<br />

werden sie von Gottes Taten überras<strong>ch</strong>t, ohne daß sie gerüstet sind, wie wenn<br />

sie eine S<strong>ch</strong>linge plötzli<strong>ch</strong> packt. Wer auf Jesu Wort hört, hält si<strong>ch</strong> wa<strong>ch</strong> <strong>und</strong><br />

hat, wie immer der Zeitlauf si<strong>ch</strong> wende <strong>und</strong> die Lage si<strong>ch</strong> gestalte, sein Gebet<br />

darin, daß er die Kraft empfange, der Not <strong>und</strong> dem Geri<strong>ch</strong>t entnommen vor<br />

dem Mens<strong>ch</strong>ensohn zu stehen.<br />

Das ist au<strong>ch</strong> hier das letzte Wort der Weissagung: in die Gegenwart des<br />

Christus zu gelangen, bei ihm zu sein, ist das Ziel, das alle Gnade Gottes <strong>und</strong><br />

den Anteil am ewigen Leben für die Gemeinde Jesu in si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließt.<br />

21,37. 38: Er lehrte aber an den Tagen im Tempel; in den Nä<strong>ch</strong>ten ging er<br />

dagegen hinaus <strong>und</strong> über<strong>na<strong>ch</strong></strong>tete am Berg, der ölberg heißt. Und das ganze<br />

Volk kam frühmorgens zu ihm <strong>und</strong> hörte ihm im Tempel zu.


<strong>Lukas</strong> 21,28—38; 22,i—6 311<br />

Kapitel 22 <strong>und</strong> 23<br />

Jesu Sterben<br />

22,1—6: Es war aber nahe das Fest der ungesäuerten Brote, das Pas<strong>ch</strong>a genannt<br />

wird. Und die Hohenpriester <strong>und</strong> die S<strong>ch</strong>rift gelehrten su<strong>ch</strong>ten, wie sie<br />

ihn umbrä<strong>ch</strong>ten; denn sie für<strong>ch</strong>teten das Volk. Es ging aber Satan in Judas<br />

ein, den man Iskariotes nennt, der aus der Zahl der Zwölf war, <strong>und</strong> er ging<br />

fort <strong>und</strong> bespra<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> mit den Hohenpriestern <strong>und</strong> den Hauptleuten, wie er<br />

ihn ihnen ausliefern könne. Und sie freuten si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> verspra<strong>ch</strong>en ihm Geld zu<br />

geben, <strong>und</strong> er sagte es ihnen zu <strong>und</strong> su<strong>ch</strong>te eine gute Gelegenheit, um ihn abseits<br />

vom Volk ihnen zu überantworten. <strong>Die</strong> Priester <strong>und</strong> Lehrer kamen ni<strong>ch</strong>t<br />

zur Tat, weil sie immer no<strong>ch</strong> die angstvolle Rücksi<strong>ch</strong>t auf das Volk hinderte.<br />

Da wurde dieser letzte Halt, der ihrer Sünde widerstand, dur<strong>ch</strong> den Satan<br />

dadur<strong>ch</strong> weggeräumt, daß er Judas zum Verräter ma<strong>ch</strong>te. Damit war den Führern<br />

Israels die Gelegenheit gegeben, Jesus heimli<strong>ch</strong> zu überwältigen, ohne daß<br />

jemand den Versu<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en konnte, ihn zu s<strong>ch</strong>ützen. Nun hatten sie den Mut<br />

zur Tat.<br />

Als "Werk des Satans bes<strong>ch</strong>reibt uns <strong>Lukas</strong> die Tötung Jesu. Sie war jene<br />

Versu<strong>ch</strong>ung, von der er am S<strong>ch</strong>luß des Kampfes auf der Tempelmauer sagte,<br />

der Satan habe ihn verlassen bis auf die gelegene Zeit. <strong>Die</strong>se war jetzt da, als<br />

er ihm das Kreuz bereiten konnte. Mit ihm war Jesus der hö<strong>ch</strong>ste Erweis seiner<br />

Geb<strong>und</strong>enheit an den Vater auferlegt, daß ihn keine Ma<strong>ch</strong>t der Sünde <strong>und</strong><br />

keine Gewalt des Teufels von ihm loszureißen vermag.<br />

Ni<strong>ch</strong>t einen Juden oder Heiden ma<strong>ch</strong>te er zu seinem "Werkzeug, dur<strong>ch</strong> das<br />

er die letzte Verhinderung des Kreuzes beseitigte, sondern einen Jünger Jesu.<br />

Dur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts traf er ihn so tief als dadur<strong>ch</strong>, daß er ihm sogar den verdarb, den<br />

er erwählt <strong>und</strong> wie die anderen in Gottes Rei<strong>ch</strong> versetzt hatte. Nun riß er ihm<br />

diesen wieder aus der Liebe heraus. "Was hatte Jesus mit seinem ganzen <strong>Die</strong>nst<br />

auf Erden gewonnen, wenn selbst im Kreise seiner Boten ein Haß aufflammen<br />

konnte, der ihm den Tod gönnte, ja selbst ents<strong>ch</strong>lossen dazu mitwirkte, ihm<br />

diesen zu bereiten? Damit, daß <strong>Lukas</strong> auf den Satan hinzeigt, der in Judas<br />

wirksam war, hat er ihn ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>uldigt <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t von der eigenen Verantwortli<strong>ch</strong>keit<br />

befreit. Er spra<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t von einer Einwirkung des Satans auf<br />

den Mens<strong>ch</strong>en, die diesen zerstört <strong>und</strong> "Wahnsinn <strong>und</strong> Krankheit in Leib <strong>und</strong><br />

Seele s<strong>ch</strong>afft. "Wie Gottes Geist von oben hinein in den Mens<strong>ch</strong>en geht, ni<strong>ch</strong>t<br />

dadur<strong>ch</strong>, daß er selbst Bewußtsein <strong>und</strong> Wille verliert, sondern dadur<strong>ch</strong>, daß<br />

er ein heiliges "Wissen <strong>und</strong> "Wollen erhält, so geht au<strong>ch</strong> der Teufel dadur<strong>ch</strong> in<br />

den Mens<strong>ch</strong>en ein, daß er ihm sein Wissen <strong>und</strong> Wollen ni<strong>ch</strong>t nur läßt, sondern


31 2 Jesu Sterben<br />

gibt, es erweckt <strong>und</strong> regiert, aber so, daß er Gott haßt <strong>und</strong> seiner Gnade si<strong>ch</strong><br />

widersetzt. Was sein Auge nun sieht, ist Bosheit, <strong>und</strong> was sein Wille nun will,<br />

ist Widerstreben gegen Gott <strong>und</strong> Bekämpfung seines Werks. Ist der Satan des<br />

Mens<strong>ch</strong>en Herr, dann ist er so in ihm, daß er ihn zu einem gemeinsamen Werk<br />

an si<strong>ch</strong> geb<strong>und</strong>en hält.<br />

Wie Jesus jene Salbung, die er als Zurüstung seines Leibes zum Grab bezei<strong>ch</strong>net<br />

hat, dur<strong>ch</strong> eine Frau empfing, erzählt <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t, da er uns beri<strong>ch</strong>tet<br />

hat, wie ihm die Sünderin dur<strong>ch</strong> ihre Salbe ihren Dank erwies. Daraus ist ni<strong>ch</strong>t<br />

zu s<strong>ch</strong>ließen, daß er beide Beri<strong>ch</strong>te für identis<strong>ch</strong> hielt; denn er hat zu seinem<br />

Beri<strong>ch</strong>t den des <strong>Markus</strong> mit keinem Wort benutzt. Dagegen erzählt er, wie das<br />

Pas<strong>ch</strong>a von den Jüngern Jesu vorbereitet <strong>und</strong> der Saal dafür erlangt wurde,<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Markus</strong>. 22,7—13: Aber der Tag der ungesäuerten Brote kam, an dem<br />

das Pas<strong>ch</strong>a ges<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tet werden mußte. Und er s<strong>ch</strong>ickte Petrus <strong>und</strong> Johannes<br />

<strong>und</strong> sagte: Geht, rüstet uns das Pas<strong>ch</strong>a, damit wir es essen. Sie aber sagten ihm:<br />

Wo willst du, daß wir es rüsten sollen? Er aber sagte ihnen: Seht! wenn ihr in<br />

die Stadt hineinkommt, wird eu<strong>ch</strong> ein Mens<strong>ch</strong> begegnen, der einen Wasserkrug<br />

trägt. Geht ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong> in das Haus, in das er hineingeht. Und ihr sollt dem<br />

Hausherrn sagen: Der Lehrer sagt dir: Wo ist das Gema<strong>ch</strong>, in dem i<strong>ch</strong> das<br />

Pas<strong>ch</strong>a mit meinen Jüngern essen kann? Und er wird eu<strong>ch</strong> ein großes Obergema<strong>ch</strong><br />

zeigen, das mit Teppi<strong>ch</strong>en belegt ist. Dort rüstet zu! Sie gingen aber<br />

weg <strong>und</strong> fanden es, wie er es ihnen gesagt hatte, <strong>und</strong> rüsteten das Pas<strong>ch</strong>a.<br />

Von nun an zieht <strong>Lukas</strong> die rei<strong>ch</strong>en Angaben seines dritten Zeugen über<br />

Jesu Abs<strong>ch</strong>ied von den Seinen heran <strong>und</strong> läßt den Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Markus</strong> in der<br />

Leidens- <strong>und</strong> Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te zunehmend zurücktreten, so daß uns die Angaben<br />

des anderen Erzählers über Jesu Ende wohl nahezu vollständig erhalten sind.<br />

22,14—16: Und als die St<strong>und</strong>e kam, legte er si<strong>ch</strong> am Tis<strong>ch</strong> nieder <strong>und</strong> die<br />

Apostel mit ihm, <strong>und</strong> er sagte zu ihnen: Dringend habe i<strong>ch</strong> gewüns<strong>ch</strong>t, dieses<br />

Pas<strong>ch</strong>a mit eu<strong>ch</strong> zu essen, ehe i<strong>ch</strong> leide. Denn i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> werde es ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr essen, bis es dann vollendet wird, wenn Gott herrs<strong>ch</strong>t. Es ist das letzte<br />

Pasd&,jdasjer ihnenhält, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> wieder ni<strong>ch</strong>t das letzte. Denn mit cTer Vollendung<br />

der Gemeinde zu ihrem ewigen Anteil an Gottes Gnade erhält au<strong>ch</strong><br />

das Mahl, mit dem sie ihre Erlösung feiert, die vollendete Gestalt. Wasjlsrael<br />

im Andenken_aji^dieJHülfe_Gottes in Ägypjgn^tut^jst no<strong>ch</strong> etwas Unfertiges.,<br />

"urfd fiat eine Verheißung in si<strong>ch</strong>. <strong>Die</strong>ser wird die Erfüllung kommen. Dann<br />

wird Jesus wieder mit den Seinen das Mahl halten <strong>und</strong> wieder bei ihnen <strong>und</strong> •<br />

sie wieder, seine _Gäste_ sein_beim neuen B<strong>und</strong>es- uncl^ Erlösungsmahl, wenn<br />

Gottes königli<strong>ch</strong>es Werk seine offenbare Herrli<strong>ch</strong>keit erlangt.<br />

Aber au<strong>ch</strong> an diesem irdis<strong>ch</strong>en Pas<strong>ch</strong>a, das er als sein letztes mit ihngafeiert,


<strong>Lukas</strong> 22,7—20 3 J 3<br />

freut er si<strong>ch</strong> von Herzen. Denn er hat sehnli<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihm verlangt. Er hat sein<br />

S<strong>ch</strong>eiden ni<strong>ch</strong>t gefür<strong>ch</strong>tet, sondern herbeigewüns<strong>ch</strong>t. "Wir wissen ja, wie sehr<br />

es ihn <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Taufe verlangte, dur<strong>ch</strong> die er für den Eingang zu Gottes Thron<br />

bereitet wird. Nun steht er am erwüns<strong>ch</strong>ten Ziel <strong>und</strong> hat au<strong>ch</strong> dies no<strong>ch</strong> vom<br />

Vater empfangen, daß das letzte, was er mit den Seinen tut, die Feier dieses<br />

j<br />

seiner Kreuzestat zu zeigen <strong>und</strong> es_ helljvor ihr Augejzu stellen, was er dur<strong>ch</strong><br />

s * e s ^í!?L3L I ííLS-2"^ Gnadentat ges<strong>ch</strong>iehtj .no<strong>ch</strong><br />

größer als die, der die Pas<strong>ch</strong>afeier gilt, eine erlösende Tat des Gottes, der die<br />

Seinen vom Verderben befreit <strong>und</strong> zu seinem Eigentum ma<strong>ch</strong>t.<br />

Na<strong>ch</strong> der bei einem festli<strong>ch</strong>en^Mahl. übli<strong>ch</strong>en^ Sitte[..stand,der Be<strong>ch</strong>er vor<br />

ihm, damitjer Jüber ihm_die JLobpreisung Gottes. spre<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> ihn dann der<br />

Tis<strong>ch</strong>genossens<strong>ch</strong>aft rei<strong>ch</strong>e. Damit begann das Mahl <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>loß wieder in derselben<br />

Weise, <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem au<strong>ch</strong> in seinem Verlauf der Be<strong>ch</strong>er im Kreise herumgegangen<br />

war. 22,17.18: Und er nahm einen Be<strong>ch</strong>er, sagte Dank <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>:<br />

Nehmt diesen, <strong>und</strong> verteilt ihn unter eu<strong>ch</strong>! Denn i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> werde von<br />

jetzt an ni<strong>ch</strong>t mehr von der Fru<strong>ch</strong>t des Weinstocks trinken, bis Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

kommt. Au<strong>ch</strong> damit spra<strong>ch</strong> er aus, daß es Abs<strong>ch</strong>iedsst<strong>und</strong>e sei; denn er<br />

trinkt zum letztenmal mit ihnen "Wein. Aber die Trennung wird wieder aufgehoben.<br />

Gottes hö<strong>ch</strong>ste <strong>und</strong> ewige <strong>Offenbarung</strong> vereinigt ihn wieder mit<br />

ihnen. Dann rei<strong>ch</strong>t er ihnen den Be<strong>ch</strong>er neu <strong>und</strong> hält mit ihnen jenes vollkommene<br />

Mahl, zu dem das, was er jetzt tut, die "Weissagung <strong>und</strong> Vorbereitung ist.<br />

Dann erzählt uns <strong>Lukas</strong> sofort, wie Jesus dur<strong>ch</strong> das, was er als der Hausvater<br />

beim Mahle tat, seinen Heilandswillen ausspra<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ihnen seinen Leib<br />

<strong>und</strong> sein Blut übergab als sein Ges<strong>ch</strong>enk an sie, das ihnen dadur<strong>ch</strong> zu eigen<br />

wird, daß sie Bas von ihm ihnen gerei<strong>ch</strong>te Brot essen <strong>und</strong> den von ihm ihnen<br />

dargebotenen Be<strong>ch</strong>er trinken. 22,19. 2O: Und er nahm ein Brot, sagte Dank,<br />

bra<strong>ch</strong> es, gab es ihnen <strong>und</strong> sagte: <strong>Die</strong>s ist mein Leib*, der für eu<strong>ch</strong> gegeben<br />

wird. <strong>Die</strong>s tut zur Erinnerung an mi<strong>ch</strong>! Und ebenso tat er mit dem Be<strong>ch</strong>er <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

dem Essen <strong>und</strong> sagte: <strong>Die</strong>ser Be<strong>ch</strong>er ist der neue B<strong>und</strong> in meinem Blut, das für<br />

eu<strong>ch</strong> vergossen wird. <strong>Die</strong> "Worte, dur<strong>ch</strong> die Jesus den Jüngern offenbart, was<br />

sein gnädiger, gebender "Wille dur<strong>ch</strong> sein Sterben für sie su<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>uf,<br />

stehen bei <strong>Lukas</strong> in derselben Form, wie sie Paulus 1. Korinther 11,24.25<br />

wiederholt. Er hat, wenn wir vom längeren Beri<strong>ch</strong>t ausgehen, die Erzählung<br />

des <strong>Markus</strong> mit den "Worten verb<strong>und</strong>en, die wir bei Paulus lesen. "Wahrs<strong>ch</strong>ein-<br />

• Bis hierher geben die alten Bibeln den Text einstimmig. <strong>Die</strong> mit i. Korinther 11,24.25 zusammentreffenden<br />

Worte fehlen in ihnen teilweise. Viellei<strong>ch</strong>t hat <strong>Lukas</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem ersten Be<strong>ch</strong>er, mit dem das<br />

Mahl begann, nur no<strong>ch</strong> erzählt, daß Jesus den Jüngern das Brot als seinen Leib darbot.


3*4 Jesu Sterben<br />

lieh entspra<strong>ch</strong> dies au<strong>ch</strong> der Weise, wie in der Christenheit, unter der er stand<br />

<strong>und</strong> für die er s<strong>ch</strong>rieb, das Mahl des Herrn gefeiert worden ist.<br />

<strong>Die</strong>s ist mein Leib, lautet bei <strong>Markus</strong> Jesu erklärendes Wort zum Brot, das<br />

er den Jüngern rei<strong>ch</strong>t. <strong>Lukas</strong> erläutert dies: denjenigen Leib ma<strong>ch</strong>t er ihnen zur<br />

Gabe, der dahingegeben wird <strong>und</strong> glei<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>her am Kreuze hängt. Darum,<br />

weil er für sie dahingegeben wird, gibt er ihn jetzt seinen Jüngern <strong>und</strong> läßt es<br />

sie dur<strong>ch</strong> seine Tat in Jieller Deutli<strong>ch</strong>keit^erleben, daß für sie sein Leib dahingegeben,<br />

für_sie der Tod von ihm^erlitten_wird. Als den, der für sie stirbt,<br />

offenbart er si<strong>ch</strong> ínnatT^íurcn das, was er. ihnen sagt <strong>und</strong> gibt.<br />

Sodann wird von den früheren Evangelisten ni<strong>ch</strong>t gesagt, daß Jesus die<br />

Jünger angewiesen habe, was er ihnen tat, in ihrem Kreise zu wiederholen <strong>und</strong><br />

si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> seine Gabe immer neu vorzuhalten <strong>und</strong> immer neu anzueignen.<br />

Sie bes<strong>ch</strong>reiben, was Jesus seinen Jüngern tat, <strong>und</strong> verkünden, daß er seinen<br />

Leib <strong>und</strong> sein Blut ihnen übergeben habe, damit sie das Leben darin haben.<br />

Dadur<strong>ch</strong> wußte die Gemeinde, was_ihr_zum.Erbe<strong>und</strong>.Besitztum.jverliehen^ist,<br />

wenn sie das Mafil efes Herrn Feiert, daß sie es deshalb tut, weil er für sie gestorben<br />

ist <strong>und</strong> die Gnade seines Kreuzes ihr gehört. Es hatte aber für die Christenheit<br />

großen Wert, daß ihr bestimmt mit ausdrückli<strong>ch</strong>em Befehl Jesu Wille<br />

bezeugt wurde, au<strong>ch</strong> sie habe zu tun, was er damals tat, <strong>und</strong> das Brot zu nehmen<br />

<strong>und</strong> zu essen, weil er für sie seinen Leib dahingegeben hat <strong>und</strong> für sie gestorben<br />

ist. So war ihr die Unvergängli<strong>ch</strong>keit seiner; Gabe vor das Auge gestellt,<br />

daß sie ni<strong>ch</strong>t nur den ersten Jüngern galt, sondern allen, die an ihn<br />

glauben, <strong>und</strong> jeder, der zu ihm kommt, au<strong>ch</strong> seine Kreuzestat mit genießt <strong>und</strong><br />

in den Segen der Liebe einges<strong>ch</strong>lossen ist, die für ihn gestorben ist. Damit ihr<br />

an mi<strong>ch</strong> denkt, tut dies! Auf si<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tet er ihr inwendiges Auge <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t<br />

seine Person ihnen unvergeßli<strong>ch</strong>. Daß sie ihm verb<strong>und</strong>en sind, das ist ihr<br />

Leben, <strong>und</strong> dazu tut er au<strong>ch</strong> seine Kreuzestat, damit sein Name unzerstörbar<br />

in sie eingegraben sei. Ihr ganzer Segen ist das Eigentum der Jünger, sowie ihr<br />

Blick gläubig auf ihn geri<strong>ch</strong>tet ist.<br />

Jesus hat den Jüngern dasselbe no<strong>ch</strong> einmal am S<strong>ch</strong>luß des Mahles getan,<br />

indem er ihnen mit dem letzten Be<strong>ch</strong>er sein Blut zu eigen gab, wodur<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong><br />

wiederum als der für sie Sterbende mit ihnen verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> das, was er am<br />

Kreuze s<strong>ch</strong>afft, ihnen verliehen hat. Dur<strong>ch</strong> sein Blut ist dieser Be<strong>ch</strong>er für sie<br />

der neue B<strong>und</strong>, mit dem übers<strong>ch</strong>ritten <strong>und</strong> vollendet ist, was ihnen der alte<br />

B<strong>und</strong> als Berufung zu Gott <strong>und</strong> als Anteil an seiner Gnade gewährt hat. Gott<br />

hat si<strong>ch</strong> ihnen mit neuer <strong>und</strong> ewiger Gnade verb<strong>und</strong>en, deshalb, weil Jesu<br />

Blut ihnen gehört als das für sie vers<strong>ch</strong>üttete.<br />

Indem jedo<strong>ch</strong> Jesus ausspri<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> preist,,was er den Seinen dur<strong>ch</strong> seinen


<strong>Lukas</strong> 22,21—24 3*5<br />

Tod vers<strong>ch</strong>afft, verweilt sein Blick au<strong>ch</strong> an der Stelle, die seiner Gnade die<br />

Grenze setzt. Er verbindet si<strong>ch</strong> völlig mit den Seinen dur<strong>ch</strong> sein Kreuz, jedo<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t mit allen, wird ihr Leben, do<strong>ch</strong> so, daß einer unter ihnen verloren ist,<br />

wird ihr kräftiges Band mit Gott, do<strong>ch</strong> so, daß der eine von Gott ges<strong>ch</strong>ieden<br />

bleibt. "Was er ihnen gab, gehört einem unter ihnen ni<strong>ch</strong>t, <strong>und</strong> der Segen seines<br />

Todes, den er ihnen jetzt verkündigt, ist für ihn umsonst erworben. 22,21:<br />

Jedo<strong>ch</strong> seht! die Hand dessen, der mi<strong>ch</strong> überantwortet, ist mit mir auf dem<br />

Tis<strong>ch</strong>! Es ist deutli<strong>ch</strong> ein innerer, in die Sa<strong>ch</strong>e greifender Gr<strong>und</strong>, der die Ordnung<br />

der Sprü<strong>ch</strong>e bei <strong>Lukas</strong> gestaltet. Zuerst preist Jesus die Gabe Gojttes; erst<br />

her<strong>na<strong>ch</strong></strong> spri<strong>ch</strong>t er aus,_wem sie ni<strong>ch</strong>t gehört. Zuerst bezeugt^^wasjeine Heilandsliebe<br />

am Kreuze s<strong>ch</strong>afft; dann erst folgt die Begrenzung <strong>na<strong>ch</strong></strong>, die den<br />

aussHfèidét, Ifer sie verloren hat. Darum läßt si<strong>ch</strong> dieser Anordnung der<br />

Sprü<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t entnehmen, in wel<strong>ch</strong>en Zeitpunkt des Mahles die Enthüllung<br />

des Verrates fiel, ehe oder <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem Jesus den Seinen seinen Leib darbot. <strong>Die</strong><br />

Angabe der anderen Beri<strong>ch</strong>te führt darauf, daß die Ausstoßung des Verräters<br />

zuerst ges<strong>ch</strong>ah. Daß seine Hand mit Jesus auf dem Tis<strong>ch</strong> ist <strong>und</strong> mit ihm in<br />

dieselbe S<strong>ch</strong>üssel, <strong>na<strong>ch</strong></strong> demselben Be<strong>ch</strong>er greift, ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar, wie eng <strong>und</strong><br />

vertraut Jesu Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihm bis zum Ende war.. Er hat ihm^ni<strong>ch</strong>ts verv_sagjr<strong>und</strong>jhn<br />

ni<strong>ch</strong>t yon^si<strong>ch</strong> getrieben, sondern ihm alles gegeben, was ein Jüngerj>ei<br />

ihm JindenJkann. No<strong>ch</strong> jetzt stand er mit ihm in Tis<strong>ch</strong>gemeins<strong>ch</strong>aft.<br />

Und denno<strong>ch</strong> begehrt dieser Jünger, daß ihm der Tod bereitet sei.<br />

Nun folgt dasselbe Wort, das wir bei <strong>Markus</strong> lesen, 14,21, das zwar den<br />

Hingang Jesu auf Gottes festen, eigenen Willen stellt, darum aber den Verräter<br />

ni<strong>ch</strong>t entlastet, sondern auf ihn die ganze S<strong>ch</strong>were der Verdammung legt.<br />

22,22. 23 : Denn der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en geht zwar weg, wie es bestimmt ist;<br />

do<strong>ch</strong> wehe jenem Mens<strong>ch</strong>en, dur<strong>ch</strong> den er überantwortet wird! Und. sie begannen<br />

bei si<strong>ch</strong> zu fors<strong>ch</strong>en, wer von ihnen wohl der sei, der dies tun werde.<br />

Nun gibt <strong>Lukas</strong> no<strong>ch</strong> andere Abs<strong>ch</strong>iedsworte Jesu an die Seinen. Sie zeigen<br />

zunä<strong>ch</strong>st, wie der Jünger die ihm gegebene Größe si<strong>ch</strong>tbar <strong>und</strong> wirksam<br />

ma<strong>ch</strong>en soll <strong>und</strong> berühren si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> mit dem Beri<strong>ch</strong>t des Johannes, da au<strong>ch</strong><br />

bei Johannes Jesu Unterweisung über das <strong>Die</strong>nen seine letzten Worte an die<br />

Seinen beginnt. 22,24: Es entstand aber au<strong>ch</strong> ein Streit unter ihnen, wer von<br />

ihnen als der Größere zu gelten habe. An Anlaß zu Verglei<strong>ch</strong>ungen, was Jesus<br />

jedem von ihnen gewähre, wie er sie s<strong>ch</strong>ätze, ob der eine oder der andere als<br />

der innerli<strong>ch</strong> stärkere, verständigere, begnadigtere ers<strong>ch</strong>eine, fehlte es nie,<br />

wenn der Jüngerkreis mit Jesus beisammen war, <strong>und</strong> daß sie jetzt zum letztenmal<br />

mit ihm vereinigt waren, konnte sie darauf no<strong>ch</strong> besonders a<strong>ch</strong>tsam<br />

ma<strong>ch</strong>en, wen er als den Größeren bevorzuge <strong>und</strong> über die anderen erhebe.


3i6 Jesu Sterben<br />

Später konnten sie ni<strong>ch</strong>t mehr feststellen, wem er den Vorrang bestimmt habe,<br />

wenn es jetzt ni<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong> ward. Als er z. B. ni<strong>ch</strong>t Petrus, sondern Johannes<br />

den Platz neben si<strong>ch</strong> anwies, konnte si<strong>ch</strong> daran lei<strong>ch</strong>t eine Erörterung im Jüngerkreis<br />

ans<strong>ch</strong>ließen, wen er denn nun als den Größeren bezei<strong>ch</strong>nen wolle.<br />

Jesus ma<strong>ch</strong>t ihnen deutli<strong>ch</strong>, daß er sie auf einen anderen "Weg stellt als den,<br />

den .der Mens<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st eins<strong>ch</strong>lägt, wie er an dem, was überall bei den Heiden<br />

ges<strong>ch</strong>ieht, grell si<strong>ch</strong>tbar ist. 22,25: Er aber spra<strong>ch</strong> zu ihnen: <strong>Die</strong> Könige der<br />

Völker beherrs<strong>ch</strong>en sie, <strong>und</strong> wer die Ma<strong>ch</strong>t über sie hat, erhält den Beinamen<br />

Wohltäter. Dort ist Herrs<strong>ch</strong>aft das Merkmal der Größe, <strong>und</strong> die Ma<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>afft<br />

dem, der sie hat, den prunkenden Titel, der seine Würde <strong>und</strong> Größe<br />

feiert. Das ist ni<strong>ch</strong>t die "Weise der Jünger Jesu. Für sie besteht die Größe ni<strong>ch</strong>t<br />

darin, daß sie si<strong>ch</strong> als die Herren über die anderen erheben, aus ihnen ihre<br />

Unterworfenen ma<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> von ihnen Ruhm <strong>und</strong> Titel spenden lassen.<br />

22,26: Ihr aber ma<strong>ch</strong>t es ni<strong>ch</strong>t so, sondern wer unter eu<strong>ch</strong> der Größere istt<br />

werde wie der Jüngere, <strong>und</strong> wer regiert, wie der Aufwartende. Unters<strong>ch</strong>iede<br />

der Größe gibt es au<strong>ch</strong> im Jüngerkreise. Starke <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e, Regierende <strong>und</strong><br />

<strong>Die</strong>nende sind in ihm vereinigt. "Was Jesus den Großen untersagt, ist dies, daß<br />

sie ihre Größe selbstsü<strong>ch</strong>tig ausnützen, zur S<strong>ch</strong>au stellen <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> die anderen<br />

erniedrigen. Viehnehr stellt si<strong>ch</strong> da, wo man Jesu Sinn hat, der Große<br />

immer wieder neben den S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en, hält si<strong>ch</strong> ihm glei<strong>ch</strong>, verdeckt den Unters<strong>ch</strong>ied<br />

<strong>und</strong> bringt eine volle, ganze Gemeins<strong>ch</strong>aft zustande, die den Kleinen in<br />

derselben Weise wie den Großen ehrt.<br />

Zu diesem Verzi<strong>ch</strong>t auf den wollüstigen Genuß der Größe bewegt Jesus die<br />

Seinen dur<strong>ch</strong> die Erinnerung an sein eigenes Verhalten in ihrem Kreis. 22,27:<br />

Denn wer ist der Größere, wer am Tis<strong>ch</strong> liegt oder wer aufwartet? Ist es ni<strong>ch</strong>t<br />

der, der am Tis<strong>ch</strong> liegt? I<strong>ch</strong> aber bin in eurer Mitte wie der Aufwartende. Er<br />

hat sein königli<strong>ch</strong>es Amt, das ihn ho<strong>ch</strong> über die Jünger setzt, ni<strong>ch</strong>t dazu benutzt,<br />

daß er si<strong>ch</strong> an den Tis<strong>ch</strong> legte <strong>und</strong> die Jünger ihn bedienen ließ. Er war<br />

viehnehr der, der für die Jünger sorgte, ni<strong>ch</strong>t sie für ihn, <strong>und</strong> mit Rat <strong>und</strong> Tat<br />

darauf beda<strong>ch</strong>t war, daß jeder von ihnen das Seine bekam. Er hat dadur<strong>ch</strong><br />

ihren Verkehr mit ihm von Zwang <strong>und</strong> kne<strong>ch</strong>tis<strong>ch</strong>em Bangen frei gema<strong>ch</strong>t <strong>und</strong><br />

sie neben si<strong>ch</strong>, ja über si<strong>ch</strong> emporgehoben, daß sie mit ihm umgehen durften,<br />

als wäre er ihnen glei<strong>ch</strong>. Daran sehen sie, wie man die Größe in seiner Gemeinde<br />

ri<strong>ch</strong>tig versteht <strong>und</strong> benutzt, ni<strong>ch</strong>t so, daß sie in heller Beleu<strong>ch</strong>tung<br />

erstrahlt <strong>und</strong> die anderen in den S<strong>ch</strong>atten setzt, sondern so, daß die zarte,<br />

gebende <strong>und</strong> hebende Art der Liebe sie im Verborgenen hält. Dadur<strong>ch</strong> wird<br />

aus der Größe kein Gegenstand des eifersü<strong>ch</strong>tigen Zanks. "Wird sie ni<strong>ch</strong>t selbstsü<strong>ch</strong>tig<br />

zum eigenen Vorteil ausgenutzt, so ist au<strong>ch</strong> dem neidis<strong>ch</strong>en Verlan-


<strong>Lukas</strong> 22,25—30 3 X 7<br />

gen <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihr die Wurzel zers<strong>ch</strong>nitten <strong>und</strong> der Raum versperrt. Mit denjenigen<br />

"Worten, die bei Matthäus <strong>und</strong> <strong>Markus</strong> auf den Weg zur re<strong>ch</strong>ten Größe<br />

weisen, sind zwar diese Sprü<strong>ch</strong>e verwandt als aus einer Wurzel erwa<strong>ch</strong>sen,<br />

bleiben aber ihrer Bedeutung <strong>na<strong>ch</strong></strong> von jenen do<strong>ch</strong> wieder vers<strong>ch</strong>ieden. Dort<br />

wird der Weg in die Größe bes<strong>ch</strong>rieben, hier dem, der als Großer in der Gemeinde<br />

steht, gezeigt, was er ihr s<strong>ch</strong>uldig ist. Nur dur<strong>ch</strong> <strong>Die</strong>nen, heißt es dort,<br />

wird Größe erworben, <strong>und</strong> zur Erhöhung führt die Erniedrigung. Nur zum<br />

<strong>Die</strong>nen, heißt es hier, ist die Größe zu benutzen, <strong>und</strong> aus der Erhöhung erwä<strong>ch</strong>st<br />

die Pfli<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> zu erniedrigen. Beides sind die zwei Zweige derselben<br />

Wahrheit, <strong>und</strong> die Sprü<strong>ch</strong>e ergänzen si<strong>ch</strong>.<br />

Jesus hat aber den Seinen ni<strong>ch</strong>t nur sein mahnendes Vorbild, sondern seine<br />

Verheißung hinterlassen. 22,28: Ihr aber seid die, die in meinen Versu<strong>ch</strong>ungen<br />

bei mir geblieben sind. Das ist das Große, wozu er sie gebra<strong>ch</strong>t hat <strong>und</strong> was sie<br />

in seiner Leitung errei<strong>ch</strong>t haben. Sie haben ihn ni<strong>ch</strong>t verlassen, haben ausgeharrt<br />

bei ihm <strong>und</strong> stehen jetzt, da er dur<strong>ch</strong> die Ausstoßung des Judas bereits den<br />

S<strong>ch</strong>ritt getan hat, der ihn zum Kreuze führt,- als die neben ihm, die ihm verb<strong>und</strong>en<br />

sind. Was als Versu<strong>ch</strong>ung, in der er si<strong>ch</strong> als unbesiegbar zu bewähren<br />

hatte, über ihn kam, hätte sie von ihm wegtreiben können. Denn die Versu<strong>ch</strong>ungen<br />

gaben ihm die Kne<strong>ch</strong>tsgestalt, hielten ihn zum Gehorsam an <strong>und</strong><br />

ma<strong>ch</strong>ten sein Sohnesre<strong>ch</strong>t verborgen <strong>und</strong> zukünftig. Aber die Jünger haben si<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> all das, woran er seinen Gehorsam in stiller Entsagung vollendet hat,<br />

ni<strong>ch</strong>t von ihm s<strong>ch</strong>eiden lassen <strong>und</strong> haben es getragen, wenn ihn die Mens<strong>ch</strong>en<br />

s<strong>ch</strong>mähten, ohne daß er antwortete, <strong>und</strong> sein Erfolg zers<strong>ch</strong>molz bis zur Kreuzesnot,<br />

ohne daß seine Ma<strong>ch</strong>t offenbar ward. Nun ist mit seiner Aufgabe au<strong>ch</strong><br />

die ihre erfüllt <strong>und</strong> ihre Gemeins<strong>ch</strong>aft für immer besiegelt. 22,29. 3 O: Und i<strong>ch</strong><br />

verordne eu<strong>ch</strong>, wie mein Vater mir das Königtum verordnet hat, daß ihr an<br />

meinem Tis<strong>ch</strong> in meinem Königtum eßt <strong>und</strong> trinkt, <strong>und</strong> ihr werdet auf Thronen<br />

sitzen <strong>und</strong> die zwölf Stämme Israels ri<strong>ch</strong>ten. Er dankt ihnen dafür, daß sie<br />

bei ihm blieben, dadur<strong>ch</strong>, daß er ihnen tut, was ihm der Vater tut. Ihm hat für<br />

den Sieg in seinen Versu<strong>ch</strong>ungen der Vater das königli<strong>ch</strong>e Amt verliehen; er<br />

verordnet ihnen die Gemeins<strong>ch</strong>aft mit si<strong>ch</strong> im himmlis<strong>ch</strong>en Mahl <strong>und</strong> die Teilnahme<br />

an seinem Gere<strong>ch</strong>tigkeit s<strong>ch</strong>affenden Geri<strong>ch</strong>t. Wie er den Sitz des Ri<strong>ch</strong>ters<br />

dur<strong>ch</strong> den Vater empfängt, so empfangen ihn die Jünger von ihm. Sie werden<br />

einst Israel, das sie ä<strong>ch</strong>tet <strong>und</strong> mit Gewalt auszurotten versu<strong>ch</strong>t, mit Jesus<br />

das göttli<strong>ch</strong>e Urteil verkünden <strong>und</strong> dies so, daß Gottes Kraft ihr Urteil wirksam<br />

ma<strong>ch</strong>t. Es ist dieselbe Verheißung, die Matthäus 19,28 steht.<br />

Wie aber auf den Preis der Kreuzesgnade die Ausstoßung des Verräters<br />

folgt, so s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> an ihre Berufung zum Thron <strong>und</strong> zur Herrli<strong>ch</strong>keit die


318 Jesu Sterben<br />

Enthüllung der Verleugnung, in die Petrus fällt. Vor jener Herrli<strong>ch</strong>keit liegt<br />

zunä<strong>ch</strong>st für den Jünger no<strong>ch</strong> ein tiefes Dunkel, der Sturz in die Sünde <strong>und</strong><br />

der S<strong>ch</strong>merz der Reue, der auf jenen folgt. 22,31. 32a: Simon, Simon, sieh! der<br />

Satan hat eu<strong>ch</strong> herausbegehrt, um" eu<strong>ch</strong> zu sieben wie den Weizen; ido aber<br />

bat für di


<strong>Lukas</strong> 22,31—34 3*9<br />

behält do<strong>ch</strong> den Blick auf ihn, vermag do<strong>ch</strong> wieder sein Verzeihen zu ergreifen,<br />

seine Treue zu fassen, flieht ni<strong>ch</strong>t fort von ihm, sondern zu ihm hin, nun vollends<br />

dessen gewiß, daß niemand vor Gott seine Gere<strong>ch</strong>tigkeit <strong>und</strong> sein Leben<br />

ist als Jesus allein.<br />

Eben deshalb, weil ihm der Glaube bleibt, weissagt ihm au<strong>ch</strong> Jesus seinen<br />

Fall <strong>und</strong> gewährt ihm dadur<strong>ch</strong> seine starke Hilfe, die ihm den Glauben her<strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

ermögli<strong>ch</strong>en wird, weil er es s<strong>ch</strong>on vor seinem Fall mit Augen sah, daß ihn<br />

Jesus ni<strong>ch</strong>t verstößt, sondern au<strong>ch</strong> sein Verleugnen ihm verzeiht. "Weshalb si<strong>ch</strong><br />

Jesus zu diesem Erweis seiner Gnade gegen Petrus ermä<strong>ch</strong>tigt wußte, darüber<br />

gibt uns dieses "Wort Aufs<strong>ch</strong>luß. Er wußte, daß sein Gebet für Petrus erhört<br />

war, wußte, daß ihm der Vater den Jünger erhält <strong>und</strong> dem Satan ni<strong>ch</strong>t gestattet,<br />

daß verzweifelnder <strong>und</strong> grollender Unglaube das Ende seines Sturzes<br />

sei. Darum ist er ermä<strong>ch</strong>tigt, ihm die Heilandshand zu bieten <strong>und</strong> ihn dur<strong>ch</strong><br />

sein Verzeihen s<strong>ch</strong>on jetzt zu stärken, no<strong>ch</strong> ehe sein Fall ges<strong>ch</strong>ehen ist. So endet<br />

au<strong>ch</strong> die Ma<strong>ch</strong>t, die zeitweilig dem Versu<strong>ch</strong>er gegeben ist, mit der Verherrli<strong>ch</strong>ung<br />

Gottes <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t Jesu Gnade in ihrer ganzen Herrli<strong>ch</strong>keit offenbar.<br />

Er sah bei dieser ni<strong>ch</strong>t einzig auf Petrus, sondern auf seine ganze Gemeinde.<br />

<strong>Die</strong> Gnade, die er Petrus erweist, muß für das "Werk fru<strong>ch</strong>tbar werden, das er<br />

später tut, <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Regel Jesu, daß er dazu viel verzeiht, damit aus dem<br />

großen Vergeben die große Liebe erwa<strong>ch</strong>se. 22,32b: Und du, wenn du di<strong>ch</strong> bekehrt<br />

hast, stütze einst deine Brüder! Das ist der Dank, den Jesus von ihm begehrt.<br />

Er hat ihn gestützt, als er fiel, damit er lerne, andere zu stützen. "Weil<br />

er selber umkehren muß, hat er die Pfli<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> das Vermögen, den S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />

<strong>und</strong> S<strong>ch</strong>wankenden zure<strong>ch</strong>tzuhelfen. Alle unbarmherzige Größe, die si<strong>ch</strong> über<br />

die Fallenden erhebt <strong>und</strong> den S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en die Hilfe versagt, ist ihm für immer<br />

verwehrt. Damals nannte ihn Jesus ni<strong>ch</strong>t mehr mit dem Petrusnamen; „Simon,<br />

Simon!" ruft er ihm zu. Denn nun kommt ans Li<strong>ch</strong>t, was er <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner natürli<strong>ch</strong>en<br />

Art <strong>und</strong> eigenen Kraft vermag. Denno<strong>ch</strong> bleibt ihm all das, was ihm der<br />

Petrusname verheißt, ohne Abzug zugespro<strong>ch</strong>en. "Wenn er die Brüder stärkt,<br />

ist er der „Fels", der si<strong>ch</strong>er zu tragen vermag, was auf ihm steht. Er wird es<br />

ni<strong>ch</strong>t bloß trotz seines Falls, sondern au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> ihn, weil er es dadur<strong>ch</strong> wird,<br />

daß er hell erkennt, daß seine Kraft ni<strong>ch</strong>t aus ihm kommt, sondern darin besteht,<br />

daß ihn Jesus im Glauben bewahrt.<br />

Petrus begriff ni<strong>ch</strong>t, weshalb er in besonderer "Weise Jesu Sorge errege <strong>und</strong><br />

seines Gebetes bedürfe. Er war <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Meinung bereit, Gefängnis <strong>und</strong><br />

Tod mit ihm zu teilen. Da spri<strong>ch</strong>t ihm Jesus aus, daß diese Na<strong>ch</strong>t ihm die Verleugnung<br />

bringen wird. 22,33. 34 : ^ r a ^ er sa S te zt * l ^ m: Herr, i<strong>ch</strong> bin bereit,<br />

mit dir au<strong>ch</strong> in das Gefängnis <strong>und</strong> in den Tod zu gehen. Er aber sagte: I<strong>ch</strong> sage


3 2O . Jesu Sterben<br />

dir, Petrus, heute wird der Hahn ni<strong>ch</strong>t rufen, bis du dreimal geleugnet hast,<br />

daß du mi<strong>ch</strong> kennst.<br />

Au<strong>ch</strong> für die Arbeit der Jünger führt sein Kreuz eine große Veränderung<br />

herbei. 22,35: Und er sagte zu ihnen: Als i<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> ohne Beutel <strong>und</strong> Sack <strong>und</strong><br />

Sandalen aussandte, habt ihr an etwas Mangel gehabt? Sie aber sagten: An<br />

ni<strong>ch</strong>ts. Jesus sieht auf ihre frühere Wanderung zurück, als sie mit seinem "Wort<br />

dur<strong>ch</strong> die jüdis<strong>ch</strong>en Dörfer zogen. Damals gab er ihnen ni<strong>ch</strong>ts-mit <strong>und</strong> ließ sie<br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts erwerben; <strong>und</strong> denno<strong>ch</strong> hatten sie keinen Mangel. An der fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Hand, die ihnen half, fehlte es damals no<strong>ch</strong> nirgends; denn damals war<br />

Israel für ihr Wort no<strong>ch</strong> empfängli<strong>ch</strong>, horte Jesu Bots<strong>ch</strong>aft gern, war au<strong>ch</strong> seinen<br />

Boten fre<strong>und</strong>li<strong>ch</strong> gesinnt, hat sie gern gespeist <strong>und</strong> willig gepflegt. Das<br />

ändert si<strong>ch</strong> nun. Ihre Arbeit wird viel s<strong>ch</strong>werer, härter, wenn sie nun den Gekreuzigten<br />

als den Christus verkünden. 22,36: Aber er sagte zu ihnen: Aber<br />

jetzt, wer einen Beutel hat, nehme ihn mit, ebenso au<strong>ch</strong> den Sack, <strong>und</strong> wer<br />

keinen hat, verkaufe seinen Mantel <strong>und</strong> kaufe ein S<strong>ch</strong>wert. Denn die Häuser,<br />

die ihnen offen waren, sind ihnen nun vers<strong>ch</strong>lossen, <strong>und</strong> die Hände, die ihnen<br />

bisher gern die Gaben rei<strong>ch</strong>ten, sind nun zu keiner Wohltat mehr willig. Wer<br />

Israel den Gekreuzigten predigt, gilt ihm als sein Widersa<strong>ch</strong>er, <strong>und</strong> das Evangelium<br />

ers<strong>ch</strong>eint ihm nun als bittere S<strong>ch</strong>mähung, gegen die es si<strong>ch</strong> mit seinem<br />

ganzen Hasse sträuben wird. Darum muß nun der Jünger selber für si<strong>ch</strong> sorgen<br />

<strong>und</strong> seinen eigenen Beutel bei si<strong>ch</strong> haben, ja, er brau<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> mehr als einen<br />

Beutel, er brau<strong>ch</strong>t ein S<strong>ch</strong>wert; denn nun gönnt ihnen jedermann den Tod, <strong>und</strong><br />

das erste, worauf sie beständig Beda<strong>ch</strong>t zu nehmen haben, ist der S<strong>ch</strong>utz vor<br />

dem Haß, der sie verni<strong>ch</strong>ten will. Nur dann können sie die Leidens<strong>ch</strong>aft des<br />

Volkes, das ihren Abfall dur<strong>ch</strong> heimli<strong>ch</strong>en Mord rä<strong>ch</strong>en will, eingermaßen zügeln,<br />

wenn au<strong>ch</strong> sie bewaffnet sind. Wenn freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Obrigkeit sie verfolgt,<br />

dann hilft ihnen au<strong>ch</strong> der Besitz eines S<strong>ch</strong>wertes ni<strong>ch</strong>ts mehr; dann besteht<br />

ihre Pfli<strong>ch</strong>t nur no<strong>ch</strong> darin, daß sie mutig leiden <strong>und</strong> willig sterben. Mit<br />

diesem Spru<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließt <strong>Lukas</strong> den Beri<strong>ch</strong>t über die Abs<strong>ch</strong>iedsworte Jesu deshalb,<br />

weil er zeigt, daß Jesus mit herzli<strong>ch</strong>em Anteil an das s<strong>ch</strong>were Los seiner<br />

Jünger da<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> sie für das verborgene, aber s<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong>e Blutopfer rüstete,<br />

das der jüdis<strong>ch</strong>e Fanatismus später von ihnen forderte, wie au<strong>ch</strong> in den Abs<strong>ch</strong>iedsworten<br />

bei Johannes die Jünger darauf vorbereitet werden, daß die Ju •<br />

dens<strong>ch</strong>aft ihre Tötung als einen Gott wohlgefälligen <strong>Die</strong>nst betreiben wird,<br />

16,2. <strong>Die</strong> Anleitung zum geduldigen Leiden <strong>und</strong> willigen Sterben wird dur<strong>ch</strong><br />

den Befehl, der au<strong>ch</strong> den Ärmsten zum S<strong>ch</strong>utz seines Lebens alles tun heißt,<br />

was er kann, indem er si<strong>ch</strong> ein S<strong>ch</strong>wert ans<strong>ch</strong>afft, ni<strong>ch</strong>t widerrufen. Er ma<strong>ch</strong>t<br />

im Gegenteil den Jüngern den Ernst jenes Wortes aufs neue klar, daß nur der


<strong>Lukas</strong> 22,35—A 2 3 21<br />

die Seele erhalte, der sie verliere, <strong>und</strong> daß Jesus sie wie Lämmer unter "Wölfe<br />

sende. Indem er ihnen dur<strong>ch</strong> dieses Wort mä<strong>ch</strong>tig einprägt, daß von nun an<br />

um seines Kreuzes willen aus ihrem Leben ein unablässiger Kampf werde, hat<br />

er sie gegen ihr Verzagen ges<strong>ch</strong>ützt <strong>und</strong> sie zu einem heldenhaften Sinn berufen,<br />

damit sie als eine gewappnete <strong>und</strong> zu allem ents<strong>ch</strong>lossene S<strong>ch</strong>ar von seineiri<br />

Kreuz her in die Welt hinaustreten.<br />

22,37a: Denn i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>, daß dieser Spru<strong>ch</strong> an mir erfüllt werden muß:<br />

Und er wurde unter die Gottlosen gere<strong>ch</strong>net (Jesaja 53,12). Deshalb brau<strong>ch</strong>t<br />

jeder Jünger ein S<strong>ch</strong>wert, weil man Jesus selbst zu den Gottlosen zählt <strong>und</strong><br />

darum au<strong>ch</strong> dieSeinen als die Jünger eines Gottlosen zu vertilgen su<strong>ch</strong>t. 22,37b:<br />

Denn au<strong>ch</strong> mit mir ist es zu Ende. Jetzt kann er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr s<strong>ch</strong>ützen; nun<br />

kommt der Tod, <strong>und</strong> der bittere Kel<strong>ch</strong> muß getrunken sein. Darum wird au<strong>ch</strong><br />

den Jüngern der Unglaube Israels <strong>und</strong> der "Welt Not <strong>und</strong> Tod bereiten. Wie<br />

er selbst den Sterbensweg ging, so kommt er au<strong>ch</strong> über sie.<br />

22,38a: Sie aber sagten: Herr, sieh! es sind zwei S<strong>ch</strong>werter hier. Ihr Blick<br />

fuhr wieder <strong>na<strong>ch</strong></strong> der fals<strong>ch</strong>en Seite ähnli<strong>ch</strong> wie damals, als er vom Sauerteig<br />

spra<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sie ihre Brote zählten. So sehen sie si<strong>ch</strong> jetzt <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Eisen um als<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> dem, womit sie die Gefahr bezwingen <strong>und</strong> den Tod vertreiben wollen.<br />

Zwei hatten sie zur Stelle; das mag für Jesus wenigstens eine Beruhigung sein.<br />

22,38b: Er aber sagte ihnen: Es ist genug! Sie können ihren Kampf ni<strong>ch</strong>t mit<br />

S<strong>ch</strong>wertern vollführen, sondern bedürfen einen anderen S<strong>ch</strong>utz, haben ihn<br />

aber au<strong>ch</strong>, dur<strong>ch</strong> den die Welt von ihnen überw<strong>und</strong>en wird. Einer von den<br />

Männern, die damals um Jesus her standen, als ihm die beiden S<strong>ch</strong>werter gezeigt<br />

wurden, hat <strong>na<strong>ch</strong></strong>her ges<strong>ch</strong>rieben: „Unser Glaube ist der Sieg, der die<br />

Welt überw<strong>und</strong>en hat."<br />

22,39—42: Und er ging weg <strong>und</strong> ging <strong>na<strong>ch</strong></strong> seiner Gewohnheit an den Ölberg;<br />

es folgten ihm aber au<strong>ch</strong> die Jünger <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Als er aber an dem Platze war,<br />

sagte er zu ihnen: Betet darum, daß ihr ni<strong>ch</strong>t in eine Versu<strong>ch</strong>ung kommt! Und<br />

er riß si<strong>ch</strong> von ihnen weg ungefähr einen Steinwurf weit, kniete nieder, betete<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Vater, wenn du willst, laß diesen Kel<strong>ch</strong> an mir vorbeigehen! Aber<br />

ni<strong>ch</strong>t mein, sondern dein Wille ges<strong>ch</strong>ehe. An der St<strong>und</strong>e des Gebets, als Jesus<br />

auf den Verräter wartete, hat <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t hervorgehoben, daß er die ihm<br />

nä<strong>ch</strong>sten drei Jünger von den anderen trennte <strong>und</strong> sie bat, mit ihm zu wa<strong>ch</strong>en,<br />

sondern den Na<strong>ch</strong>druck auf Jesu Sorge für die Seinen gelegt, daß er sie dringend<br />

zum Gebet antrieb, weil die Gefahr böser Versündigung ihnen nahe war.<br />

S<strong>ch</strong>on ehe er von ihnen weggeht, mahnt er sie, um den S<strong>ch</strong>utz vor der Versu<strong>ch</strong>ung<br />

zu bitten, <strong>und</strong> als er wieder zu ihnen kommt, ermuntert er sie aufs<br />

neue, zum Gebet aufzustehen.


322 Jesu Sterben<br />

22,43.44: Aber ein Engel vom Himmel her wurde ihm si<strong>ch</strong>tbar, der ihn<br />

stärkte, <strong>und</strong> da er in Angst war, betete er dringender, <strong>und</strong> sein S<strong>ch</strong>weiß wurde<br />

wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen. <strong>Die</strong>se Angabe über den Kampf Jesu<br />

fand si<strong>ch</strong> in vielen <strong>Evangelien</strong>bü<strong>ch</strong>ern der alten Kir<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t, während sie in<br />

anderen vom zweiten Jahrh<strong>und</strong>ert her <strong>na<strong>ch</strong></strong>weisli<strong>ch</strong> ist. Sie ist darum viellei<strong>ch</strong>t<br />

ein Zusatz eines anderen Christen, der der Kir<strong>ch</strong>e eindringli<strong>ch</strong> vorhalten<br />

wollte, wie s<strong>ch</strong>wer der Kampf war, den Jesus damals bestand.<br />

22,45—48: Und als er vom Gebet aufstand <strong>und</strong> zu den Jüngern kam, fand<br />

er sie vor Traurigkeit s<strong>ch</strong>lafend, <strong>und</strong> er sagte zu ihnen: Warum s<strong>ch</strong>laft ihr?<br />

Steht auf, betet, daß ihr ni<strong>ch</strong>t in eine Versu<strong>ch</strong>ung kommt! Während er no<strong>ch</strong><br />

redete, sieh! da kam eine S<strong>ch</strong>ar, <strong>und</strong> der, der den Namen Judas hat, einer der<br />

Zwölf, ging vor ihnen her <strong>und</strong> trat zu Jesus heran, um ihn zu küssen. Jesus<br />

aber sagte ihm: Judas, überantwortest du den Sohn des Mens<strong>ch</strong>en mit einem<br />

Kuß? Jesus zerriß ihm ni<strong>ch</strong>t bloß die Heu<strong>ch</strong>elei, sondern ma<strong>ch</strong>te ihm die vertiefte<br />

S<strong>ch</strong>uld derselben deutli<strong>ch</strong>. Mit einem Kuß den Mens<strong>ch</strong>ensohn zu verraten<br />

ist s<strong>ch</strong>limmster Verrat. Mit seiner Heu<strong>ch</strong>elei bewies Judas, daß er wußte,<br />

was er tat. Obglei<strong>ch</strong> er Jesus haßt <strong>und</strong> verni<strong>ch</strong>ten will, war er denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

von ihm los, sieht do<strong>ch</strong> immer no<strong>ch</strong> mit innerem Bangen auf ihn als auf den<br />

Träger der Gottesma<strong>ch</strong>t, vor dem er si<strong>ch</strong> sorgfältig deckt, <strong>und</strong> mag es trotzdem<br />

ni<strong>ch</strong>t lassen, selbst mit Hand anzulegen, daß ihm der Tod bereitet sei.<br />

22,49: Als aber die, die um ihn waren, sahen, was ges<strong>ch</strong>ehen sollte, sagten<br />

sie: Herr, sollen wir sie mit dem S<strong>ch</strong>wert nieders<strong>ch</strong>lagen? "Wenn sie sein Befehl<br />

zum Kampf beruft, sind sie dazu bereit. 22,50. 51: Und einer von ihnen s<strong>ch</strong>lug<br />

den Kne<strong>ch</strong>t des Hohenpriesters <strong>und</strong> hieb sein re<strong>ch</strong>tes Ohr ab. Jesus aber antwortete<br />

<strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Laßt es genug sein mit dem, rührte das Ohr an <strong>und</strong> heilte<br />

ihn. So hatten es die Jünger mit heller Deutli<strong>ch</strong>keit vor Augen, daß Jesus sie<br />

ni<strong>ch</strong>t in den Streit mit Israel führte, sondern bei seinem Auftrag blieb, Leben<br />

zu erhalten, ni<strong>ch</strong>t zu verderben, <strong>und</strong> zum eigenen Sterben willig war.<br />

22,52. 53: Jesus aber spra<strong>ch</strong> zu den Hohenpriestern <strong>und</strong> den Hauptleuten<br />

des Tempels <strong>und</strong> den Ältesten, die gegen ihn hergekommen waren: Wie gegen<br />

einen Räuber seid ihr mit S<strong>ch</strong>wertern <strong>und</strong> Knütteln ausgezogen. Als i<strong>ch</strong> Tag<br />

für Tag bei eu<strong>ch</strong> im Tempel war, habt ihr die Hände ni<strong>ch</strong>t gegen mi<strong>ch</strong> ausgestreckt.<br />

Aber dies ist eure St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> die der Finsternis gegebene Ma<strong>ch</strong>t. Unter<br />

denen, die die S<strong>ch</strong>ar zu seiner Verhaftung anführten, nennt <strong>Lukas</strong> neben den<br />

Hohenpriestern <strong>und</strong> Ältesten au<strong>ch</strong> die Befehlshaber der priesterli<strong>ch</strong>en "Wa<strong>ch</strong>e,<br />

die bei Tag <strong>und</strong> Na<strong>ch</strong>t die weiten Räume des Heiligtums besetzt hielt <strong>und</strong> für<br />

die Ordnung in ihnen sorgte. Jesu bes<strong>ch</strong>ämendes Wort an sie, das wir au<strong>ch</strong> bei<br />

<strong>Markus</strong> lesen, ist ergänzt. Oft saß er vor ihnen im Tempel, <strong>und</strong> sie brau<strong>ch</strong>ten


<strong>Lukas</strong> 22,43—62 3 2 Î<br />

nur die Hand auszustrecken, um ihn zu greifen, <strong>und</strong> taten es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Es war<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ihre St<strong>und</strong>e, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die dur<strong>ch</strong> Gottes Regierung ihnen bestimmte<br />

Zeit. Jetzt ist sie da, <strong>und</strong> darum haben sie den Mut <strong>und</strong> das Vermögen, ihn zu<br />

überwältigen. Au<strong>ch</strong> jetzt tun sie es aber ni<strong>ch</strong>t in ihrer eigenen Ma<strong>ch</strong>t, sondern<br />

können es nur deshab, weil ihnen dazu Raum <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t gegeben ist. Warum<br />

ihnen Gottes Regierung diese gewährt, sagt das letzte "Wort: au<strong>ch</strong> der Finsternis<br />

ist Vollma<strong>ch</strong>t eingeräumt, daß sie si<strong>ch</strong> wehre, dem Li<strong>ch</strong>t widerstrebe <strong>und</strong><br />

si<strong>ch</strong> als Finsternis dadur<strong>ch</strong> erweise, daß sie das li<strong>ch</strong>t zerstört. Als die Werkzeuge<br />

des Teufels handeln sie <strong>und</strong> vollbringen seinen Willen im Kampf mit<br />

Gott. Das muß so sein <strong>und</strong> ist in Gottes hoher Regierung begründet, weil sie<br />

au<strong>ch</strong> der Finsternis in der Mens<strong>ch</strong>enwelt ihren Spielraum läßt <strong>und</strong> sie ni<strong>ch</strong>t mit<br />

Gewalt von außen her zertritt.<br />

<strong>Die</strong> Geri<strong>ch</strong>tsverhandlung, in der über Jesus das Urteil gespro<strong>ch</strong>en wurde,<br />

setzt <strong>Lukas</strong> auf den Morgen. Während desjenigen Teils der Na<strong>ch</strong>t, der no<strong>ch</strong><br />

übrig war, wurde Jesus im Hause des Hohenpriesters bewa<strong>ch</strong>t. So kommt bei<br />

<strong>Lukas</strong> die Verleugnung des Petrus <strong>und</strong> die Verhöhnung Jesu vor seine Verurteilung<br />

dur<strong>ch</strong> den hohen Rat zu stehen. 22,54—62: Sie nahmen ihn aber gefangen,<br />

fährten ihn ab <strong>und</strong> bra<strong>ch</strong>ten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus<br />

aber ging von ferne <strong>na<strong>ch</strong></strong>. Na<strong>ch</strong>dem sie aber mitten im Hof ein Feuer angezündet<br />

<strong>und</strong> si<strong>ch</strong> zusammengesetzt hatten, saß Petrus mitten unter ihnen. Aber eine<br />

Magd sah ihn am Feuer sitzen, betra<strong>ch</strong>tete ihn <strong>und</strong> sagte: Au<strong>ch</strong> dieser war mit<br />

ihm. Er aber leugnete <strong>und</strong> sagte: I<strong>ch</strong> kenne ihn ni<strong>ch</strong>t, Frau. Und <strong>na<strong>ch</strong></strong> kurzer<br />

Zeit sah ihn ein anderer an <strong>und</strong> sagte: Au<strong>ch</strong> du gehörst zu ihnen. Petrus aber<br />

sagte: Mens<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> bin es ni<strong>ch</strong>t. Und als ungefähr eine St<strong>und</strong>e vergangen war,<br />

versi<strong>ch</strong>erte ein anderer <strong>und</strong> sagte: In Wahrheit! au<strong>ch</strong> der war mit ihm; denn er<br />

ist au<strong>ch</strong> ein Galiläer. Petrus aber sagte: Mens<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> weiß ni<strong>ch</strong>t, was du sagst.<br />

Und sofort, während er no<strong>ch</strong> redete, rief ein Hahn. Und der Herr wandte si<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> sah Petrus an, <strong>und</strong> Petrus geda<strong>ch</strong>te an das Wort des Herrn, als er ihm gesagt<br />

hatte: Ehe der Hahn heute ruft, wirst du mi<strong>ch</strong> dreimal verleugnen. Und<br />

er ging hinaus <strong>und</strong> weinte bitterli<strong>ch</strong>. Na<strong>ch</strong> allen Beri<strong>ch</strong>ten über die Verleugnung<br />

des Petrus fiel er zum erstenmal dadur<strong>ch</strong>, daß ihn eine Magd als Jesu<br />

Jünger anredete. Bei <strong>Lukas</strong>, ebenso bei Johannes, nahmen her<strong>na<strong>ch</strong></strong> die Männer<br />

das Wort <strong>und</strong> hießen ihn einen Jünger, während bei Matthäus <strong>und</strong> <strong>Markus</strong><br />

au<strong>ch</strong> die zweite Verleugnung no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> eineMagd herbeigeführt ist, da Petrus<br />

inzwis<strong>ch</strong>en seinen Platz we<strong>ch</strong>selte <strong>und</strong> aus dem inneren Hof herausgegangen<br />

war. Neu ist bei <strong>Lukas</strong> die Angabe, daß die letzte Verleugnung in der Nähe<br />

Jesu ges<strong>ch</strong>ah, als au<strong>ch</strong> er im Hofe bewa<strong>ch</strong>t wurde. In die Worte des Petrus fällt<br />

der Hahnens<strong>ch</strong>rei, <strong>und</strong> darauf erweckte Jesus selbst dur<strong>ch</strong> seinen Blick in ihm


324 Jesu.Sterben<br />

das Gedä<strong>ch</strong>tnis an seine Weissagung <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te seinem Versu<strong>ch</strong>, si<strong>ch</strong> zu verstecken,<br />

ein Ende. Er kannte ihn au<strong>ch</strong> jetzt als seinen Jünger, während ihn<br />

Petrus ni<strong>ch</strong>t mehr kennen wollte, <strong>und</strong> gab ihm dur<strong>ch</strong> seinen Blick mit dem Antrieb<br />

zur Buße zuglei<strong>ch</strong> sein Verzeihen.<br />

22,63—68: Und die Männer, die ihn bewa<strong>ch</strong>ten, verhöhnten ihn, s<strong>ch</strong>lugen<br />

ihn, verdeckten sein Gesi<strong>ch</strong>t, befragten ihn <strong>und</strong> sagten: Weissage, wer der ist,<br />

der di<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>lagen hat! Und vieles andere sagten sie lästernd gegen ihn. Und<br />

als es Tag wurde, versammelte si<strong>ch</strong> der Rat der Ältesten des Volks, die Hohenpriester<br />

<strong>und</strong> S<strong>ch</strong>riftgelehrten, <strong>und</strong> sie führten ihn vor ihren Geri<strong>ch</strong>tshof <strong>und</strong><br />

sagten: Wenn du der Christus bist, so sage es uns. Aber er sagte ihnen: Wenn<br />

i<strong>ch</strong> es eu<strong>ch</strong> sagte, so würdet ihr ni<strong>ch</strong>t glauben; würde i<strong>ch</strong> aber fragen, so würdet<br />

ihr ni<strong>ch</strong>t anworten. Aus der Verhandlung vor dem hohen Rat übergeht <strong>Lukas</strong><br />

das Zeugenverhör, dur<strong>ch</strong> das die Gottlosigkeit Jesu erwiesen werden sollte. Es<br />

kommt ihm einzig auf diejenige Verhandlung an, die darauf geri<strong>ch</strong>tet war, ob<br />

er der Christus sei. Jesus hält dem Rate vor, daß es nutzlos sei, wenn er si<strong>ch</strong> zu<br />

seinem königli<strong>ch</strong>en Amt vor ihnen bekenne. Sagt er es ihnen, so glauben sie<br />

ni<strong>ch</strong>t; <strong>und</strong> was hilft das Zeugnis dem, der es ni<strong>ch</strong>t glaubt? Wenn er aber seinerseits<br />

Fragen stellt <strong>und</strong> ihnen dadur<strong>ch</strong> zeigen will, worauf si<strong>ch</strong> seine, Sendung<br />

gründet <strong>und</strong> was sie bewährt, so antworten sie ni<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> beweisen damit, daß<br />

sie ni<strong>ch</strong>t hören <strong>und</strong> lernen wollen <strong>und</strong> mit Willen ni<strong>ch</strong>t glauben. Ihren Widerwillen<br />

kann er ni<strong>ch</strong>t mit dem Wort überwinden. Darum ist sein irdis<strong>ch</strong>er<br />

<strong>Die</strong>nst jetzt beendigt. 22,69: Von nun an wird aber der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en<br />

zur Re<strong>ch</strong>ten der, Ma<strong>ch</strong>t Gottes sitzen. Nun erfüllt si<strong>ch</strong> für ihn das, was ihm<br />

Psalm 110,1 verheißen ist. <strong>Die</strong> Verbindung dieses Worts mit demjenigen Daniels,<br />

das das Kommen des Mens<strong>ch</strong>ensohnes auf den Wolken des Himmels bes<strong>ch</strong>reibt,<br />

ist hier gelöst, damit der Blick bei dem bleibe, was si<strong>ch</strong> unmittelbar<br />

an Jesu Erniedrigung <strong>und</strong> Kreuzesweg anges<strong>ch</strong>lossen hat.<br />

In diesem Bekenntnis vernehmen die Ri<strong>ch</strong>ter den Anspru<strong>ch</strong>, daß er der Sohn<br />

Gottes sei. 22,70: Alle aber sagten: Also bist du der Sohn Gottes? Er aber sagte<br />

zu ihnen: Ihr selbst sagt, daß i<strong>ch</strong> es bin. Jesus bejaht ihre Frage so, daß er ihnen<br />

vorhält, ni<strong>ch</strong>t er habe mit eigensü<strong>ch</strong>tiger Selbstverherrli<strong>ch</strong>ung seine Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

mit dem Vater ans Li<strong>ch</strong>t gestellt, sondern sie selber hätten ausgespro<strong>ch</strong>en,<br />

daß sein königli<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t nur darauf begründet sein kann, daß er mit Gott als<br />

sein Sohn verb<strong>und</strong>en ist.<br />

22,71—23,2: Sie aber sagten: Wozu brau<strong>ch</strong>en wir no<strong>ch</strong> Zeugnis? Denn wir<br />

selber haben es aus seinem M<strong>und</strong> gehört. Und ihre ganze S<strong>ch</strong>ar stand auf <strong>und</strong><br />

führte ihn zu Pilatus. Sie begannen aber, ihn zu verklagen, <strong>und</strong> sagten: Wir<br />

fanden, daß dieser unser Volk verwirrt <strong>und</strong> verwehrt, dem Kaiser die Steuern


<strong>Lukas</strong> 22,63—7_r; 23,2—8 ' 3 2 5<br />

zu geben, <strong>und</strong> sagt, er sei der gesalbte König. Vor Pilatus wird Jesus wegen<br />

seines königli<strong>ch</strong>en "Willens verklagt, worin seine Verkläger Aufruhr gegen den<br />

Kaiser <strong>und</strong> Bestreitung seines Steuerre<strong>ch</strong>ts finden- Sie unters<strong>ch</strong>ieben ihm das,<br />

was der jüdis<strong>ch</strong>e Fanatismus von Christus erwartet hat. 23,3.4: Pilatus aber<br />

befragte ihn <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Bist du der König der Juden? Er aber anwortete <strong>und</strong><br />

spra<strong>ch</strong> zu ihm: Du spri<strong>ch</strong>st es aus. Pilatus aber sagte zu den Hohenpriestern<br />

<strong>und</strong> der Menge: I<strong>ch</strong> finde an diesem Mens<strong>ch</strong>en keine S<strong>ch</strong>uld. Über die Verhandlung<br />

des Pilatus mit Jesus hat <strong>Lukas</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr zu sagen, als was bei <strong>Markus</strong><br />

stand: Jesus bejaht die Frage, ob er der König der Juden sei, <strong>und</strong> verleugnet<br />

sein königli<strong>ch</strong>es Amt ni<strong>ch</strong>t. Ausführli<strong>ch</strong>er wird nur der Beri<strong>ch</strong>t über die<br />

Weigerung des Statthalters, das Todesurteil über ihn zu bestätigen.<br />

23,5—7: Sie aber blieben dabei <strong>und</strong> sagten: Er treibt das Volk zum Aufruhr,<br />

da er dur<strong>ch</strong> ganz Judäa dur<strong>ch</strong> lehrt <strong>und</strong> von Galiläa angefangen hat bis hieher.<br />

Als es Pilatus hörte, fragte er, ob der Mens<strong>ch</strong> Galila'er sei, <strong>und</strong> als er erfuhr,<br />

daß er aus der Herrs<strong>ch</strong>aft des Herodes sei, sandte er ihn zu Herodes, der in<br />

diesen Tagen au<strong>ch</strong> in Jerusalem war. Das Pas<strong>ch</strong>afest vereinigte alle Ma<strong>ch</strong>thaber<br />

in der heiligen Stadt, so daß Jesus vor allen Regenten der Judens<strong>ch</strong>aft<br />

stand. 23,8: Als aber Herodes Jesus sah, freute er si<strong>ch</strong> sehr. Denn er hatte seit<br />

langer Zeit gewüns<strong>ch</strong>t, ihn zu sehen, weil er von ihm hörte, <strong>und</strong> er hoffte, ein<br />

Zei<strong>ch</strong>en zu sehen, das dur<strong>ch</strong> ihn ges<strong>ch</strong>ähe. Pilatus wollte si<strong>ch</strong> der Verurteilung<br />

Jesu entziehen; Herodes dagegen war es ho<strong>ch</strong>erwüns<strong>ch</strong>t, daß Jesus ihm zugeführt<br />

wurde. Einmal sah der Vierfürst darin eine Ehre, dur<strong>ch</strong> die si<strong>ch</strong> Pilatus<br />

gegen ihn rücksi<strong>ch</strong>tsvoll erwies. Zwis<strong>ch</strong>en den römis<strong>ch</strong>en Beamten <strong>und</strong> den<br />

herodeis<strong>ch</strong>en Fürsten entstand lei<strong>ch</strong>t feindselige Spannung <strong>und</strong> Erbitterung.<br />

Jeder beoba<strong>ch</strong>tete argwöhnis<strong>ch</strong> den anderen. <strong>Die</strong> Römer führten im Stillen<br />

eine Art Aufsi<strong>ch</strong>t über den Vierfürsten <strong>und</strong> waren darauf beda<strong>ch</strong>t, seine Ma<strong>ch</strong>t<br />

mögli<strong>ch</strong>st zu dämpfen <strong>und</strong> ihn ni<strong>ch</strong>ts weiter erwerben zu lassen, als was die<br />

Verfügung des Kaisers ihm zugestanden hatte. Aber au<strong>ch</strong> die Herodier hatten<br />

ihre Beziehungen am römis<strong>ch</strong>en Hofe <strong>und</strong> konnten für die Beamten zu gefährli<strong>ch</strong>en<br />

Verklägern werden. <strong>Die</strong>smal hatte der Statthalter in einer wi<strong>ch</strong>tigen<br />

Sa<strong>ch</strong>e das Re<strong>ch</strong>t des Herodes öffentli<strong>ch</strong> anerkannt <strong>und</strong> ihm dadur<strong>ch</strong> eine ihm<br />

ungewohnte Ehrung erwiesen. Herodes unterließ es ni<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> ihm dafür<br />

dankbar zu erweisen, <strong>und</strong> beide, sagt <strong>Lukas</strong>, wurden von nun an einander<br />

Fre<strong>und</strong>. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Jesu wegen war Herodes die Überführung desselben in<br />

seinen Palast sehr angenehm. Nun hatte er den, von dem sooft in seiner Umgebung<br />

gespro<strong>ch</strong>en wurde, endli<strong>ch</strong> vor si<strong>ch</strong>. "Wie große W<strong>und</strong>er hatte man von<br />

ihm erzählt! Selber ein sol<strong>ch</strong>es mitanzusehen, war sein Wuns<strong>ch</strong>. In diesem<br />

Kreise war jede Empfindung dafür völlig erstorben, was ein heiliger Aufblick


3 2.6 Jesu Sterben<br />

zu Gott <strong>und</strong> ein gehorsames <strong>und</strong> gläubiges Su<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Empfangen seiner Hilfe<br />

sei. Es galt als selbstverständli<strong>ch</strong>, daß Jesus seine W<strong>und</strong>er <strong>na<strong>ch</strong></strong> der selbstsü<strong>ch</strong>tigen<br />

Art des Mens<strong>ch</strong>en tue, wenn es ihm beliebe <strong>und</strong> Vorteil bringe. Daß im<br />

"W<strong>und</strong>er eine Tat Gottes ges<strong>ch</strong>ieht ni<strong>ch</strong>t <strong>na<strong>ch</strong></strong> des Mens<strong>ch</strong>en Belieben, sondern<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Gottes Willen, ni<strong>ch</strong>t zu des Mens<strong>ch</strong>en Lust, sondern zu Gottes Verherrli<strong>ch</strong>ung,<br />

war für dieses geblendete Auge zur völlig verborgenen "Wahrheit geworden.<br />

Und do<strong>ch</strong> blieb die halb bange, halb lüsterne Su<strong>ch</strong>t, etwas Geheimnisvolles<br />

zu erleben <strong>und</strong> ein "W<strong>und</strong>er mit eigenen Augen zu s<strong>ch</strong>auen, au<strong>ch</strong> in<br />

diesem gottlosen Geist rege. So weit stand er no<strong>ch</strong> unter der Ma<strong>ch</strong>t des göttli<strong>ch</strong>en<br />

Namens, daß es ihn reizte, merkwürdige Erweisungen einer geheimnisvollen<br />

Ma<strong>ch</strong>t aus dem Jenseits hervorbre<strong>ch</strong>en zu sehen.<br />

Jesus trat ins uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>weigen. 23,9—12: Er verhörte ihn aber<br />

mit vielen Worten. Er aber anwortete ihm ni<strong>ch</strong>ts. Aber die Hohenpriester <strong>und</strong><br />

die S<strong>ch</strong>riftgelehrten standen da <strong>und</strong> verklagten ihn <strong>na<strong>ch</strong></strong>drückli<strong>ch</strong>. Herodes<br />

aber vera<strong>ch</strong>tete ihn samt seinen Soldaten, verhöhnte ihn, kleidete ihn in ein<br />

glänzendes Kleid <strong>und</strong> sandte ihn zu Pilatus. Herodes <strong>und</strong> Pilatus wurden aber<br />

an jenem Tag miteinander befre<strong>und</strong>et; denn vorher lebten sie in Feinds<strong>ch</strong>aft<br />

gegeneinander. Herodes <strong>und</strong> sein Hof eiferten ni<strong>ch</strong>t wie die Priester <strong>und</strong> Lehrer<br />

gegen ihn, da sie an dem Kampf, der in die Tiefe des inneren Lebens rei<strong>ch</strong>te,<br />

keinen Anteil hatten. Gefahr für ihr Regiment für<strong>ch</strong>teten sie nun ni<strong>ch</strong>t mehr;<br />

ihm fehle, spotteten sie, zur Herrs<strong>ch</strong>aft nur no<strong>ch</strong> das Pra<strong>ch</strong>tgewand, mit dem<br />

sie ihn bes<strong>ch</strong>enkten. So wurde er als ein Tor, von dem ni<strong>ch</strong>ts zu für<strong>ch</strong>ten sei,<br />

zu Pilatus zurückgesandt. Selbst das Urteil über ihn zu spre<strong>ch</strong>en hielt Herodes<br />

ni<strong>ch</strong>t für ratsam. Er war klug genug, um si<strong>ch</strong> dem "Willen der Priester ni<strong>ch</strong>t zu<br />

widersetzen, die mit leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>em Eifer begehrten, daß Jesus dur<strong>ch</strong> den<br />

Römer, also am Kreuze ende. Darin sahen die Priester die öffentli<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> endgültige<br />

Verni<strong>ch</strong>tung des "Wahns, daß Jesus der Christus sein könnte. Wenn<br />

Herodes tat, was die Priester wollten, so hatte er zuglei<strong>ch</strong> den Vorteil, daß er<br />

Pilatus dieselbe Ehrung erwies, die er ihm dargebra<strong>ch</strong>t hatte. Somit stand der<br />

Statthalter wieder vor der Notwendigkeit, selbst über Jesus die Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

zu geben.<br />

Er ma<strong>ch</strong>te den Versu<strong>ch</strong>, ihn von seinen Verklägern freizubitten, gab aber<br />

diesen vor dem stürmis<strong>ch</strong>en Begehren des Volks, daß er Jesus verurteile, auf.<br />

23,13—25: Pilatus aber rief die Hohenpriester <strong>und</strong> die Obersten <strong>und</strong> das Volk<br />

zusammen <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Ihr habt mir diesen Mens<strong>ch</strong>en zugeführt mit<br />

dem Vorgeben, er verführe das Volk zum Aufstand, <strong>und</strong> seht! als i<strong>ch</strong> ihn vor<br />

eu<strong>ch</strong> verhörte, fand i<strong>ch</strong> an diesem Mens<strong>ch</strong>en in dem, womit ihr ihn verklagt,<br />

keine S<strong>ch</strong>uld, au<strong>ch</strong> Herodes ni<strong>ch</strong>t. Denn er hat ihn zu uns zurückges<strong>ch</strong>ickt! Und


<strong>Lukas</strong> 23,9—34 a 3 2 7<br />

seht/ ni<strong>ch</strong>ts, was den Tod verdient, ist von ihm getan worden. Darum will i<strong>ch</strong><br />

ihn zü<strong>ch</strong>tigen <strong>und</strong> freilassen. Aber die ganze S<strong>ch</strong>ar s<strong>ch</strong>rie auf <strong>und</strong> sagte: S<strong>ch</strong>affe<br />

diesen fort; gib uns aber den Barabbas frei, der wegen eines Aufruhrs, der in<br />

der Stadt ges<strong>ch</strong>ehen war, <strong>und</strong> wegen eines Mordes in das Gefängnis gelegt war.<br />

Aber Pilatus spra<strong>ch</strong> sie no<strong>ch</strong>mals an, da er Jesus freilassen wollte. Sie aber riefen<br />

ihm zu: Kreuzige, kreuzige ihn! Er aber sagte zum drittenmal zu ihnen:<br />

Was hat denn dieser Böses getan? Ni<strong>ch</strong>ts, was des Todes s<strong>ch</strong>uldig ma<strong>ch</strong>t, fand<br />

i<strong>ch</strong> an ihm. Darum will i<strong>ch</strong> ihn zü<strong>ch</strong>tigen <strong>und</strong> freilassen. Sie aber bestürmten<br />

ihn mit lautem Rufen <strong>und</strong> begehrten, daß er gekreuzigt werde, <strong>und</strong> ihr Rufen<br />

wurde stark. Und Pilatus ents<strong>ch</strong>ied, daß ihre Bitte ges<strong>ch</strong>ehen solle. Er gab aber<br />

den frei, der wegen eines Aufruhrs <strong>und</strong> Mordes in das Gefängnis gelegt war,<br />

um den sie baten; Jesus aber übergab er ihrem Willen.<br />

23,26-31: Und wie sie ihn wegführten, ergriffen sie einen Simon von Kyrene,<br />

der vom Feld herkam, <strong>und</strong> legten ihm das Kreuz auf, daß er es hinter Jesus<br />

hertrage. Aber eine große S<strong>ch</strong>ar aus dem Volk folgte ihm <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>und</strong> von<br />

Frauen, die jammerten <strong>und</strong> ihn betrauerten. Jesus aber wandte si<strong>ch</strong> zu ihnen<br />

<strong>und</strong> sagte: Tö<strong>ch</strong>ter Jerusalems, weint ni<strong>ch</strong>t über mi<strong>ch</strong>; aber über eu<strong>ch</strong> selber<br />

weint <strong>und</strong> über eure Kinder; denn seht! es kommen Tage, an denen man sagen<br />

wird: Selig sind die Unfru<strong>ch</strong>tbaren <strong>und</strong> der Mutters<strong>ch</strong>oß, der nie gebar, <strong>und</strong><br />

die Brust, die ni<strong>ch</strong>t säugte. Dann werden sie beginnen, zu den Bergen zu sagen:<br />

Fallet auf uns! <strong>und</strong> zu den Hügeln: Bedecket uns! Denn wenn man dies am<br />

feu<strong>ch</strong>ten Holze tut, was wird am trockenen ges<strong>ch</strong>ehen? <strong>Die</strong> jammernde S<strong>ch</strong>ar,<br />

aus der die Frauen mit ihrem Weinen <strong>und</strong> Klagen besonders hervortraten, hat<br />

Jesus nidit getröstet, sondern hat ihren S<strong>ch</strong>merz nodi vers<strong>ch</strong>ärft. Ni<strong>ch</strong>t ihn,<br />

sondern sie samt ihren Kindern zers<strong>ch</strong>mettert das, was jetzt ges<strong>ch</strong>ieht. Mit dem<br />

Blick auf Jerusalems Fall verläßt er die Stadt, wie er sie mit demselben betrat.<br />

Wenn die große Not über das Volk kommt, sind die, die ni<strong>ch</strong>t Mütter wurden,<br />

glückli<strong>ch</strong>er als die, die ihre Kinder mit si<strong>ch</strong> untergehen sehen. Im Ans<strong>ch</strong>luß an<br />

das Prophetenwort Hosea 10,8 weissagt er Jerusalem den Jammer der Verzweiflung,<br />

für den es keine Rettung gibt. Sein eigenes Ges<strong>ch</strong>ick dient ihm zum<br />

Maß für den Ernst des göttli<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>ts über Israel. Ihn hat Gott ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>ont;<br />

no<strong>ch</strong> viel weniger wird er ihrer s<strong>ch</strong>onen. Er gli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dürrem Holz,<br />

das sofort vom Feuer ergriffen wird, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> hat ihn Gott ni<strong>ch</strong>t mit seinem<br />

S<strong>ch</strong>irm <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>utz gedeckt. So ma<strong>ch</strong>t sein Kreuzesweg alle eitlen Hoffnungen<br />

Israels zuni<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> zerstört ihren Traum, daß sie als Gottes erwähltes Volk<br />

ni<strong>ch</strong>t fallen können. Stirbt Gottes Sohn, dann stirbt au<strong>ch</strong> Israel.<br />

23,32—34a: Es wurden aber au<strong>ch</strong> zwei andere Übeltäter weggeführt, um mit<br />

ihm hingeri<strong>ch</strong>tet zu werden. Als sie an den Ort, der „S<strong>ch</strong>ädel" genannt wird,


3 28 Jesu Sterben<br />

kamen, kreuzigten sie ihn dort <strong>und</strong> die Übeltäter, den einen zur Re<strong>ch</strong>ten, den<br />

anderen zur Linken. Jesus aber sagte: Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen<br />

ni<strong>ch</strong>t, was sie tun. Aus den letzten St<strong>und</strong>en hat <strong>Lukas</strong> dur<strong>ch</strong> seinen besonderen<br />

Zeugen einige "Worte Jesu erhalten. <strong>Die</strong>ses erste hängt wohl no<strong>ch</strong> mit der Annagelung<br />

an das Kreuz zusammen. Zu denen, die ihn begleitet hatten, hat er<br />

als Zeuge des göttli<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>ts gespro<strong>ch</strong>en. Vor dem Vater steht er als der,<br />

der für sie um Vergebung bittet. Es ist ni<strong>ch</strong>t der Zorn allein, sondern au<strong>ch</strong> jetzt<br />

die Gnade Gottes, aus der er seinen "Willen nimmt <strong>und</strong> an die er si<strong>ch</strong> bittend<br />

wendet. Ihn s<strong>ch</strong>ont Gott ni<strong>ch</strong>t; das weiß er. Er bittet ni<strong>ch</strong>t mehr wie in Gethsemane<br />

um die Befreiung vom Kel<strong>ch</strong>. Aber für Israel bat er <strong>und</strong> darf es deshalb<br />

tun, weil die S<strong>ch</strong>uld dur<strong>ch</strong> ihre Verblendung gemindert ist. Daß Israel den<br />

Christus kreuzigt, weiß es do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit jener Klarheit, die jeden Zweifel<br />

hinter si<strong>ch</strong> hat <strong>und</strong> der Verblendung enthoben ist. Sie eifern au<strong>ch</strong> jetzt no<strong>ch</strong> für<br />

Gott in ihrem Unverstand <strong>und</strong> meinen au<strong>ch</strong> jetzt no<strong>ch</strong>, ihn dadur<strong>ch</strong> zu ehren,<br />

daß sie Jesus hinri<strong>ch</strong>ten. Auf die Merkmale des Christus, wie sie si<strong>ch</strong> ihn da<strong>ch</strong>ten,<br />

warteten sie bei ihm vergebens. Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft haben sie an ihm ni<strong>ch</strong>t<br />

gesehen <strong>und</strong> für die Gnade Gottes kein Auge gehabt. Der Vater hat ihn selbst<br />

fort <strong>und</strong> fort in die Stille gesetzt, so daß er über sein "Wort <strong>und</strong> seine Tat die<br />

Decke legen mußte <strong>und</strong> durfte. Er darf darum au<strong>ch</strong> für die, die ihn kreuzigen,<br />

no<strong>ch</strong> bitten <strong>und</strong> darf au<strong>ch</strong> diese S<strong>ch</strong>uld decken mit dem göttli<strong>ch</strong>en Vergeben,<br />

das allen Tiefen der Bosheit überlegen ist <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> aus dieser S<strong>ch</strong>uld einen<br />

Segen zu bereiten weiß.<br />

23,34b—39: Sie verteilten aber seine Kleider <strong>und</strong> warfen um sie das Los.<br />

Und das Volk stand da <strong>und</strong> sah zu. Aber au<strong>ch</strong> die Obersten verhöhnten ihn<br />

<strong>und</strong> sagten: Anderen half er; er rette si<strong>ch</strong> selber, wenn dieser der auserwählte<br />

Christus Gottes ist. Aber au<strong>ch</strong> die Soldaten traten an ihn heran, verspotteten<br />

ihn, bra<strong>ch</strong>ten ihm Essig <strong>und</strong> sagten: Wenn du der König der Juden bist, rette<br />

di<strong>ch</strong> selbst! Es befand si<strong>ch</strong> über ihm au<strong>ch</strong> eine Ins<strong>ch</strong>rift: <strong>Die</strong>ser ist der König<br />

der Juden. Einer aber von den aufgehängten Übeltätern lästerte ihn: Bist du<br />

ni<strong>ch</strong>t der Christus? Rette di<strong>ch</strong> <strong>und</strong> uns! "Wie lä<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>ien Israel ein Christus,<br />

der si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t rettet! <strong>Die</strong> Qualen des Kreuzes, die der Spottende an<br />

si<strong>ch</strong> selber spürt, sollten es ihn ja gründli<strong>ch</strong> lehren, wozu man den königli<strong>ch</strong>en<br />

Beruf von oben hat. "Was wollte er lieber, als daß er si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> ihn von diesen<br />

befreite. Statt dessen bleibt er hier in S<strong>ch</strong>merzen sterbend hängen, <strong>und</strong> sein<br />

Christusname zergeht in ni<strong>ch</strong>ts.<br />

23,40: Aber der andere s<strong>ch</strong>alt ihn, antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong>: Ni<strong>ch</strong>t einmal du<br />

für<strong>ch</strong>test Gott! Denn du bist im selben Urteil. Der Hohn, der über den Christusnamen<br />

ausgegossen wird, ist gegen die Fur<strong>ch</strong>t Gottes. So treibt man mit


<strong>Lukas</strong> 23,34b—43 3 2 9<br />

den hö<strong>ch</strong>sten, heiligsten Dingen einen bösen S<strong>ch</strong>erz. <strong>Die</strong> Lehrer <strong>und</strong> Frommen<br />

Israels empfanden es ni<strong>ch</strong>t mehr, wie unfromm ihr Hohn selbst dann war,<br />

wenn sie gegen Jesus re<strong>ch</strong>t gehabt hätten. Der aber, der mit S<strong>ch</strong>ande <strong>und</strong><br />

S<strong>ch</strong>merz in den Tod gestoßen war, erbebte vor Gott <strong>und</strong> fühlte darum, wie die<br />

Fur<strong>ch</strong>t Gottes von den Häuptern Israels zertreten ward. Sie tun es im Übermut,<br />

wie ihn der ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> mä<strong>ch</strong>tige Mens<strong>ch</strong> besitzt. Aber du, den Gottes<br />

starke Hand gefaßt <strong>und</strong> für seine Bosheit gestraft hat, du, dem das Leben verloren<br />

ist <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>ts mehr bleibt als der Gang hinüber zu dem Gott, vor dem<br />

der Sünder si<strong>ch</strong> für<strong>ch</strong>ten muß, du erlebst an dir selbst, wie ernst Gott mit dem<br />

Mens<strong>ch</strong>en handelt, <strong>und</strong> kannst denno<strong>ch</strong> spotten! Er hebt aber seinen Blick sofort<br />

über das empor, was er zuerst ausspra<strong>ch</strong>. Sie leiden dasselbe wie Jesus <strong>und</strong><br />

do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dasselbe. 23,41: Und wir zwar mit Re<strong>ch</strong>t; denn wir erhalten, was<br />

unsere Taten verdienen. Aber dieser hat ni<strong>ch</strong>ts Ungebührli<strong>ch</strong>es getan. Er heißt<br />

das über ihn selbst ergangene Urteil gere<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> S<strong>ch</strong>uld ist da, die Strafe verwirkt;<br />

das Leben muß geopfert sein. Mit Jesus steht es anders. Anderen hat er<br />

geholfen ! Das ist der Na<strong>ch</strong>ruf, mit dem ihn Israel ziehen ließ, <strong>und</strong> die Art, wie<br />

er litt <strong>und</strong> bat, gab ihrem Zeugnis die Bestätigung. Und no<strong>ch</strong> einmal hebt si<strong>ch</strong><br />

sein Blick empor. Uns<strong>ch</strong>uldig ist er; so ist au<strong>ch</strong> sein Name wahr <strong>und</strong> ihm von<br />

Gott gegeben, <strong>und</strong> aus der Abwehr der Lästerung, die auf ihn fiel, wird die<br />

Bitte, die si<strong>ch</strong> glaubend an ihn hält. 23,42: Und er sagte: Jesus, denke an mi<strong>ch</strong>,<br />

wenn du kommst, um zu herrs<strong>ch</strong>en. Er kommt als König; denn er hat den<br />

königli<strong>ch</strong>en Namen von Gott empfangen. So empfängt er au<strong>ch</strong> die Ma<strong>ch</strong>t <strong>und</strong><br />

Herrli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> endet ni<strong>ch</strong>t am Kreuz, sondern kommt no<strong>ch</strong>mals zur Vollendung<br />

seines Amts. Und dann, vergiß mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t!<br />

Au<strong>ch</strong> der andere s<strong>ch</strong>rie ihm zu: Rette mi<strong>ch</strong>! <strong>Die</strong>se glaubenslose Bitte blieb<br />

unerhört. Der Bitte dagegen, die gläubig zu seinem Königtum aufsah, ward<br />

die volle Erhörung zuteil wieder weit über das hinaus, was sie zu bitten wagte.<br />

Ni<strong>ch</strong>t erst einst wird Jesus an ihn denken, ni<strong>ch</strong>t erst dann, wenn er wieder<br />

kommt. 23,43: Und er sagte ihm: Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage dir: Heute wirst du mit<br />

mir im Paradiese sein. Er ist dur<strong>ch</strong> seinen Glauben <strong>und</strong> seine Bitten ihm so verb<strong>und</strong>en,<br />

daß er ihn heute am Ort der Gere<strong>ch</strong>ten, wohin die gehen, die in<br />

Gottes Gnade stehen, in seine Gemeins<strong>ch</strong>aft stellt. Mit einem tiefen, sinnigen<br />

Namen hatte man in Israel den Ort der Frommen, wohin sie Gottes Ruf <strong>na<strong>ch</strong></strong><br />

dem irdis<strong>ch</strong>en Leben führt, das Paradies genannt <strong>und</strong> damit den Anfang <strong>und</strong><br />

das Ende des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Laufs miteinander vergli<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> verknüpft. Mit<br />

dem Garten Gottes, in den seine S<strong>ch</strong>öpferhand den Mens<strong>ch</strong>en stellte, wo er die<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft Gottes genoß, ehe er fiel, wo er mit der Sünde au<strong>ch</strong> das Sterben<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kannte, wurde der Ort vergli<strong>ch</strong>en, wohin Gott die führt, die ihm


33° Jesu Sterben<br />

dienten <strong>und</strong> die er bei si<strong>ch</strong> im Leben erhält. Paradies! der Gekreuzigte hatte in<br />

diesem einen'Wort eine genügsame, für ihn helle Verheißung: alle Gnade<br />

Gottes lag darin. Jesus bringt ihn dorthin. Dadur<strong>ch</strong> gab er ihm in seinem Todeskampf<br />

den tiefen Frieden; denn an dieser Zusage Jesu konnte er den Glauben<br />

behalten in der letzten Dunkelheit.<br />

23,44—46: Und es war s<strong>ch</strong>on etwa die se<strong>ch</strong>ste St<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> es kam eine Finsternis<br />

über das ganze Land bis zur neunten St<strong>und</strong>e, da die Sonne den S<strong>ch</strong>ein<br />

verlor. Aber der Vorhang des Tempels wurde in der Mitte zerrissen. Und Jesus<br />

rief mit lauter Stimme <strong>und</strong> sagte: Vater, in deine Hände übergebe i<strong>ch</strong><br />

meinen Geist. Als er dies gesagt hatte, gab er den Geist auf. Vom Ende Jesu<br />

sagen die beiden anderen Evangelisten nur, daß er mit einem lauten S<strong>ch</strong>rei vers<strong>ch</strong>ied.<br />

<strong>Lukas</strong> gibt das Psalmwort 31,6 als sein letztes Gebet. Zum Bittenden<br />

wandte er si<strong>ch</strong> mit seiner vollen königli<strong>ch</strong>en Majestät als der, der Sünden vergibt,<br />

ewiges Leben gibt <strong>und</strong> des Vaters gewiß ist, so daß der, den er zu si<strong>ch</strong><br />

zieht, in des Vaters Gnade steht. Für si<strong>ch</strong> selber spri<strong>ch</strong>t er mit dem einfa<strong>ch</strong>sten,<br />

s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>testen Gebetswort das ganze Verlangen seines Herzens aus, redet ni<strong>ch</strong>t<br />

vom Paradies, sondern von des Vaters Hand, in die er seinen Geist nun legt,<br />

weil er in dieser wohl geborgen ist, <strong>und</strong> redet ni<strong>ch</strong>t von seiner Majestät <strong>und</strong><br />

Herrli<strong>ch</strong>keit, sondern nur davon, daß der Vater mit seinem S<strong>ch</strong>irm <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>utz<br />

auf seinen Geist a<strong>ch</strong>t habe. <strong>Die</strong>ser wei<strong>ch</strong>t jetzt von ihm, <strong>und</strong> das Bewußtsein<br />

versinkt; aber Gottes Hand umfängt ihn; das ist genug.<br />

Man darf mit ruhiger Gewißheit sagen: die letzten Worte Jesu, wie wir sie<br />

bei <strong>Lukas</strong> lesen, haben in unerfindli<strong>ch</strong>er Deutli<strong>ch</strong>keit Jesu Art an si<strong>ch</strong>. So war<br />

er gerade in der Vereinigung dessen, was für unser Auge unvereinbar ist. Er<br />

steht mit ers<strong>ch</strong>ütterndem Ernst vor Jerusalem als der Ri<strong>ch</strong>ter, der ihm seinen<br />

s<strong>ch</strong>auerli<strong>ch</strong>en Untergang ansagt, <strong>und</strong> erbittet für dasselbe Jerusalem ohne<br />

Zweifel <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>wankung Gottes Vergeben. Er spri<strong>ch</strong>t zum S<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>er in der<br />

Majestät des Versöhners, dur<strong>ch</strong> den au<strong>ch</strong> der gere<strong>ch</strong>tfertigt ist, der in Sünde<br />

<strong>und</strong> S<strong>ch</strong>ande stirbt, weil er den Glauben erhört, <strong>und</strong> spri<strong>ch</strong>t zum Vater mit der<br />

Einfalt des Kindes, das ni<strong>ch</strong>ts begehrt, als daß er seinen Geist behüte, weil in<br />

seinem S<strong>ch</strong>utz alles besteht, was er besitzt <strong>und</strong> bedarf. Matthäus hat uns kein<br />

"Wort der Gnade aus dem M<strong>und</strong> des Sterbenden erzählt, nur das aus dem Leiden<br />

geborene Gebet, das bezeugt, wie dur<strong>ch</strong>bohrend seine Verlassenheit von<br />

Gott von ihm empf<strong>und</strong>en ward. Er hat damit ernst <strong>und</strong> treu das Amt eines<br />

Apostels ausgeri<strong>ch</strong>tet, dessen Pfli<strong>ch</strong>t es ist, aller Welt zu bezeugen, daß Jesus<br />

gelitten hat. Es ist jedo<strong>ch</strong> der Kir<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> <strong>Lukas</strong> ein großer <strong>Die</strong>nst dadur<strong>ch</strong><br />

erzeigt worden, daß er sie sehen ließ, wie Jesus den rei<strong>ch</strong>en, vollen S<strong>ch</strong>atz sei-


<strong>Lukas</strong> 23,44—56; 24,1—11 33ï<br />

ner vergebenden Gnade <strong>und</strong> seine si<strong>ch</strong>ere Ruhe in Gott unvermindert au<strong>ch</strong><br />

am Kreuze in si<strong>ch</strong> trug.<br />

23,47—49: Als aber der Hauptmann sah, was ges<strong>ch</strong>ehen war, pries er Gott<br />

<strong>und</strong> sagte: <strong>Die</strong>ser Mens<strong>ch</strong> war in der Tat gere<strong>ch</strong>t. Und als die ganze S<strong>ch</strong>ar, die<br />

zu diesem Anblick mit herausgekommen war, sah, was ges<strong>ch</strong>ah, s<strong>ch</strong>lugen sie an<br />

ihre Brust <strong>und</strong> kehrten um. Alle aber, die mit ihm bekannt waren, standen in<br />

der Ferne <strong>und</strong> Frauen, die ihm aus Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong>gegangen waren, <strong>und</strong> sahen<br />

dies. Wie eine klagende S<strong>ch</strong>ar Jesus hinaus zum Ort der Kreuzigung begleitet<br />

hatte, so zog au<strong>ch</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong> seinem Sterben man<strong>ch</strong>er ers<strong>ch</strong>üttert <strong>und</strong> betrübt mit<br />

lauter Trauergebärde, mit dem S<strong>ch</strong>lag auf die Brust, in die Stadt zurück. Au<strong>ch</strong><br />

die, die Jesus nahestanden, waren in der Umgebung des Kreuzes, ni<strong>ch</strong>t nur die<br />

Frauen, wie im Blick auf die Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te die beiden anderen Evangelisten<br />

hervorheben, sondern alle seine Bekannten. Do<strong>ch</strong> wird au<strong>ch</strong> bei <strong>Lukas</strong> besonders<br />

von den Frauen gespro<strong>ch</strong>en, weil si<strong>ch</strong> an ihre Gegenwart beim Kreuz <strong>und</strong><br />

bei der Bestattung Jesu ihr Gang zum Grab amOstermorgen s<strong>ch</strong>ließt. 23,50—56:<br />

Und sieh! ein Mann mit Namen Joseph, der ein Ratsherr war, ein guter <strong>und</strong><br />

gere<strong>ch</strong>ter Mann, der ihrem Bes<strong>ch</strong>luß <strong>und</strong> ihrer Tat ni<strong>ch</strong>t zugestimmt hatte, aus<br />

Arimathia, einer Stadt der Juden, der auf die Herrs<strong>ch</strong>aft Gottes wartete, ging<br />

zu Pilatus <strong>und</strong> bat um den Leib Jesu, <strong>und</strong> er nahm ihn herab, umwickelte ihn<br />

mit Leinwand <strong>und</strong> legte ihn in ein Grab, das aus dem Felsen gehauen war, wohin<br />

no<strong>ch</strong> niemand gelegt worden war. Und es war der Rüsttag, <strong>und</strong> der Sabbat<br />

bra<strong>ch</strong> an. <strong>Die</strong> Frauen aber, die mit ihm aus Galiläa gekommen waren, gingen<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>und</strong> besahen das Grab <strong>und</strong> wie sein Leib bestattet wurde. Sie kehrten aber<br />

um <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>ten wohlrie<strong>ch</strong>ende Stoffe <strong>und</strong> Salböle bereit. Und während des<br />

Sabbats waren sie still <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Gebot.<br />

Kapitel 24 .<br />

<strong>Die</strong> Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

24,1—n : Am ersten Tag aber <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Sabbat kamen sie ganz früh am<br />

Morgen zum Grab <strong>und</strong> hatten wohlrie<strong>ch</strong>ende Salben bei si<strong>ch</strong>, die sie bereit gema<strong>ch</strong>t<br />

hatten. Sie fanden aber den Stein vom Grab weggewalzt; als sie aber<br />

hineintraten, fanden sie den Leib des Herrn Jesus ni<strong>ch</strong>t. Und es ges<strong>ch</strong>ah, als sie<br />

darüber staunten, sieh! da standen zwei Männer bei ihnen in einem glänzenden<br />

Gewand. Da sie aber voll Fur<strong>ch</strong>t waren <strong>und</strong> die Gesi<strong>ch</strong>ter zur Erde neigten,<br />

sagten sie zu ihnen: Warum su<strong>ch</strong>t ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist ni<strong>ch</strong>t<br />

hier, sondern auferstanden. Gedenkt daran, wie er mit eu<strong>ch</strong> geredet hat, als er<br />

no<strong>ch</strong> in Galiläa war, <strong>und</strong> sagte: Der Sohn des Mens<strong>ch</strong>en muß in die Hände sün-


33 2 <strong>Die</strong> Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

diger Mens<strong>ch</strong>en überantwortet <strong>und</strong> gekreuzigt werden <strong>und</strong> am dritten Tag<br />

auferstehen. Und sie geda<strong>ch</strong>ten an seine Worte, kehrten vom Grab um <strong>und</strong><br />

meldeten dies alles den Elf <strong>und</strong> allen anderen. Es war aber Maria aus Magdala<br />

<strong>und</strong> Johanna <strong>und</strong> Maria, die Mutter des Jakobus, <strong>und</strong> die anderen mit ihnen<br />

sagten dies den Aposteln. Und diese Worte s<strong>ch</strong>ienen ihnen wie Ges<strong>ch</strong>wätz, <strong>und</strong><br />

sie glaubten ihnen ni<strong>ch</strong>t. <strong>Lukas</strong> hat hier deutlidi no<strong>ch</strong> den Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Markus</strong><br />

vor Augen, verbindet aber s<strong>ch</strong>on hier seinen zweiten Osterberi<strong>ch</strong>t mit ihm. Er<br />

redet deshalb ni<strong>ch</strong>t allein von den beiden Marien, sondern von einer größeren<br />

Zahl von Frauen, unter denen er no<strong>ch</strong> die Johanna nennt, womit deutli<strong>ch</strong> auf<br />

8,1—3 zurückgewiesen ist. Der Blick dieses anderen Beri<strong>ch</strong>ts war darauf geri<strong>ch</strong>tet,<br />

wie Jesus dur<strong>ch</strong> das, was er am Ostertag den Jüngern tat, allmähli<strong>ch</strong><br />

S<strong>ch</strong>ritt um S<strong>ch</strong>ritt ihr ungläubiges Verzagen überwand, bis er sie dahin bra<strong>ch</strong>te,<br />

daß sie wieder mit seliger Freude <strong>und</strong> vollem Dank um ihn versammelt gewesen<br />

sind. <strong>Die</strong> Frauen finden das Grab offen <strong>und</strong> leer <strong>und</strong> staunen über dieses<br />

Rätsel. Dann stehen in plötzli<strong>ch</strong>er Ers<strong>ch</strong>einung zwei Männer bei ihnen, deren<br />

himmlis<strong>ch</strong>e Art ihnen mit unmittelbarer Gewißheit deutli<strong>ch</strong> ist. Sie weisen ihr<br />

Bemühen um den Lei<strong>ch</strong>nam Jesu zure<strong>ch</strong>t. Es ist töri<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> verkehrt von ihnen,<br />

daß sie den Lebenden unter den Toten su<strong>ch</strong>en. So vergessen sie sein Wort, das<br />

er ihnen s<strong>ch</strong>on damals gab, als er sie in Galiläa zur Teilnahme an seinem Kreuzesweg<br />

berief, wobei er ihnen ni<strong>ch</strong>t nur sein Sterben, sondern au<strong>ch</strong> sein Auferstehen<br />

ansagte. Na<strong>ch</strong>dem jene Weissagung erfüllt ist, sind sie au<strong>ch</strong> dieser Glauben<br />

s<strong>ch</strong>uldig, <strong>und</strong> das leere Grab tut ihnen k<strong>und</strong>, daß sein Wort zur Wahrheit<br />

geworden ist. Mit dieser Bots<strong>ch</strong>aft kommen die Frauen zu den elf Jüngern<br />

<strong>und</strong> dem weiteren Kreis, der si<strong>ch</strong> zu Jesus hielt, zurück. Aber ihr Beri<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>eint<br />

ihnen unglaubli<strong>ch</strong>. Es sind ja nur Frauen, lei<strong>ch</strong>t erregt, lei<strong>ch</strong>t getäus<strong>ch</strong>t.<br />

Zu einer so gewaltigen Überzeugung, daß der auferstanden sei, dessen Sterben<br />

am Kreuz sie miterlebt haben, rei<strong>ch</strong>t Frauenwort ni<strong>ch</strong>t aus.<br />

Ein neuer Antrieb zum Glauben wa<strong>ch</strong>st ihnen dadur<strong>ch</strong> zu, daß Petrus zum<br />

Grabe geht <strong>und</strong> dieses leer findet; nur die Tü<strong>ch</strong>er waren darin. Do<strong>ch</strong> Jesus<br />

selbst bleibt au<strong>ch</strong> ihm no<strong>ch</strong> unsi<strong>ch</strong>tbar. 24,12: Aber Petrus stand auf, lief zum<br />

Grab, bückte si<strong>ch</strong> hinein <strong>und</strong> sieht bloß die Binden, ging heim <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>erte<br />

si<strong>ch</strong> über das, was ges<strong>ch</strong>ehen war*.<br />

Wie die trauernde Liebe der Frauen, die mit ihren Salben Jesu Lei<strong>ch</strong>e ehren<br />

wollten, zure<strong>ch</strong>tgewiesen <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> die Gewißheit seiner Auferstehung vollendet<br />

ward, ähnli<strong>ch</strong> wird au<strong>ch</strong> die Betrübnis zweier Jünger, die si<strong>ch</strong> von den<br />

anderen trennten <strong>und</strong> Jerusalem verließen, von ihrem ungläubigen Zusatz ge-<br />

• Der Vers finde t si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t überall in den alten Bibeln <strong>und</strong> is t viellei<strong>ch</strong>t ein Zusatz aus Johannes, 20,3—1 o<br />

Do<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> in V. 24 vom Gange der Jünger ans Grab die Rede.


<strong>Lukas</strong> 24,12—24 335<br />

reinigt <strong>und</strong> zum Glauben gebra<strong>ch</strong>t. Ihnen tat ni<strong>ch</strong>t mehr ein Engel, sondern<br />

Jesus selbst diesen <strong>Die</strong>nst. 24,13: Und sieh! zwei aus ihnen gingen am selben<br />

Tag in ein Dorf, das se<strong>ch</strong>zig Stadien von Jerusalem entfernt ist, mit Namen<br />

Emmaus. Das Stadium betrug 600 grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Fuß; somit lag Emmaus etwa<br />

zwei <strong>und</strong> eine halbe St<strong>und</strong>e von Jerusalem entfernt. Wo der Ort lag, darüber<br />

läßt si<strong>ch</strong> kein si<strong>ch</strong>eres Urteil mehr gewinnen. Freili<strong>ch</strong> gab es damals ein großes<br />

Emmaus, das stadtähnli<strong>ch</strong> geworden war, am Fuß des judäis<strong>ch</strong>en Berglands,<br />

wo die zur Ebene si<strong>ch</strong> ziehenden Hügel beginnen, dessen Name heute no<strong>ch</strong> an<br />

der alten Lage der Stadt haftet: Amwas. Allein für dieses au<strong>ch</strong> sonst in der<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Palästinas oft genannte Emmaus wäre die Entfernung von Jerusalem<br />

viel zu gering ges<strong>ch</strong>ätzt, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> der Fortgang der Erzählung ma<strong>ch</strong>t<br />

unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, daß die Jünger am Abend no<strong>ch</strong> so weite Wege zurücklegten.<br />

Es s<strong>ch</strong>eint darum damals no<strong>ch</strong> ein zweites, kleineres Emmaus näher bei Jerusalem<br />

gegeben zu haben, über das si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts Si<strong>ch</strong>eres sagen läßt. Der eine<br />

der beiden Jünger war Kleopas. Dur<strong>ch</strong> alten, der Bea<strong>ch</strong>tung wohl würdigen<br />

Beri<strong>ch</strong>t wird von ihm gemeldet, er sei Josephs Bruder, also Jesu Oheim, gewesen.<br />

Sein Sohn Simeon hat bis ins hohe Alter die Gemeinde, die in Jerusalem<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> der Verwüstung der Stadt si<strong>ch</strong> wieder sammelte, als Bis<strong>ch</strong>of geleitet. Das<br />

erklärt, warum gerade diese Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te in besonderer Weise ein Glied der<br />

<strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Osterbots<strong>ch</strong>aft geworden ist.<br />

24,14—16: Und sie bespra<strong>ch</strong>en miteinander all das, was ges<strong>ch</strong>ehen war, <strong>und</strong><br />

es ges<strong>ch</strong>ah, als sie beim Gesprä<strong>ch</strong> <strong>und</strong> Fragen waren, da nahte si<strong>ch</strong> ihnen Jesus<br />

selbst <strong>und</strong> wanderte mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, so daß sie<br />

ihn ni<strong>ch</strong>t erkannten. Ni<strong>ch</strong>t sofort ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> ihnen Jesus erkennbar, sondern<br />

überwand zuerst mit dem S<strong>ch</strong>riftwort ihren Unglauben, ähnli<strong>ch</strong> wie den<br />

Frauen Jesu Verheißung vorgehalten worden ist. S<strong>ch</strong>on das, was sie als Gottes<br />

Verheißung in ihrer Bibel lasen, widerlegt ihr Verzagen <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>t ihnen<br />

seine ungläubige Art klar. Na<strong>ch</strong>dem sie diese erkannt haben, dann erst fällt<br />

der S<strong>ch</strong>leier, <strong>und</strong> die vollbra<strong>ch</strong>te Gottestat besiegelt das geglaubte Gotteswort.<br />

24,17: Er sagte aber zu ihnen: Was sind diese Worte, die ihr miteinander während<br />

des Wanderns bespre<strong>ch</strong>t? Und sie standen traurig still. Verw<strong>und</strong>erung<br />

läßt sie stillstehen, daß jemand, der aus Jerusalem kommt, von diesen Dingen<br />

ni<strong>ch</strong>ts weiß, <strong>und</strong> betrübt sind sie dabei, weil sie ihm nun all das S<strong>ch</strong>were melden<br />

müssen, was sie ni<strong>ch</strong>t sagen können, ohne daß die W<strong>und</strong>e ihres Herzens<br />

brennt. 24,18—24: Einer aber mit Namen Kleopas antwortete <strong>und</strong> spra<strong>ch</strong> zu<br />

ihm: Bist du der einzige, der si<strong>ch</strong> in Jerusalem aufhält <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t erfahren hat,<br />

was in diesen Tagen in ihr ges<strong>ch</strong>ehen ist? Und er sagte zu ihnen: Was denn?<br />

Sie aber sagten ihm: Das, was mit Jesus von Nazareth ges<strong>ch</strong>ah, der ein Pro-


334 <strong>Die</strong> Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

phet war, dur<strong>ch</strong> Werk <strong>und</strong> Wort mä<strong>ch</strong>tig vor Gott <strong>und</strong> dem ganzen Volk, wie<br />

ihn die Hohenpriester <strong>und</strong> unsre Obersten zur Verurteilung zum Tod überantwortet<br />

haben <strong>und</strong> wie sie ihn gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei<br />

der, der Israel erlösen werde. Allein bei dem allem ist dies der dritte Tag, seit<br />

dies ges<strong>ch</strong>ah. Aber au<strong>ch</strong> einige Frauen haben uns verwirrt, die frühmorgens<br />

beim Grab gewesen sind, <strong>und</strong> <strong>na<strong>ch</strong></strong>dem sie seinen Leib ni<strong>ch</strong>t gef<strong>und</strong>en hatten,<br />

kamen sie <strong>und</strong> sagten, sie haben eine Ers<strong>ch</strong>einung von Engeln gesehen, die sagten,<br />

er lebe. Und einige von denen, die bei uns sind, gingen fort zum Grab <strong>und</strong><br />

fanden es so, wie die Frauen sagten. Ihn selbst aber sahen sie ni<strong>ch</strong>t. Ein Prophet<br />

war er; das bleibt ihnen gewiß <strong>und</strong> ist au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> sein Kreuz ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>üttert.<br />

Er hat aus Gottes Auftrag geredet <strong>und</strong> gehandelt; deshalb ist es so<br />

s<strong>ch</strong>wer <strong>und</strong> s<strong>ch</strong>merzli<strong>ch</strong>, daß ihm denno<strong>ch</strong> Israel den Tod bereitet hat. Ungebro<strong>ch</strong>en<br />

bleibt ihnen au<strong>ch</strong> die Hoffnung, soweit sie die S<strong>ch</strong>rift bezeugt. Daß<br />

der kommen wird, der Israel erlöse, ist gewiß. Aber sie müssen jetzt auf einen<br />

anderen warten, wie einst s<strong>ch</strong>on der Täufer zweifelnd erwog, <strong>und</strong> sie hatten<br />

do<strong>ch</strong> gemeint, in ihm den gef<strong>und</strong>en zu haben, der in Gottes Ma<strong>ch</strong>t alles von<br />

Israel nehme, was es bedrückt. Mit dieser Hoffnung hatten ihn die empfangen,<br />

die an seiner Geburt si<strong>ch</strong> freuten, <strong>und</strong> mit ihr waren alle zu ihm herzugetreten,<br />

die si<strong>ch</strong> ihm ans<strong>ch</strong>lössen. Nun war sie zerstört; statt daß er Israel erlöste, vergriff<br />

si<strong>ch</strong> dieses an ihm, <strong>und</strong> er nahm ihm Not <strong>und</strong> Tod ni<strong>ch</strong>t ab, sondern litt<br />

ihn selbst. Das ges<strong>ch</strong>ah s<strong>ch</strong>on vorgestern, <strong>und</strong> alles blieb im alten Stand, als<br />

wäre ni<strong>ch</strong>ts ges<strong>ch</strong>ehen. Gott s<strong>ch</strong>wieg, <strong>und</strong> Jesu Sterben ward zur vollbra<strong>ch</strong>ten,<br />

offenk<strong>und</strong>igen Wirkli<strong>ch</strong>keit, in die sie si<strong>ch</strong> nun finden müssen <strong>und</strong> do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

anders finden können als so, daß ihr Hoffen begraben wird. Au<strong>ch</strong> was seither<br />

ges<strong>ch</strong>ah, hat sie geängstigt. Daß die Frauen Engel sahen <strong>und</strong> ihr Zeugnis überbringen,<br />

er lebe, <strong>und</strong> das Grab von den Jüngern leer gef<strong>und</strong>en wird, ma<strong>ch</strong>t das<br />

Geheimnis nur größer. Wie soll si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> das Dunkel des Kreuzes wenden<br />

<strong>und</strong> er do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> als der si<strong>ch</strong> offenbaren, der Israel erlöst?<br />

Ihre Verwirrung s<strong>ch</strong>ien ihnen begründet genug <strong>und</strong> ihre Klage bere<strong>ch</strong>tigt.<br />

24,25: Und er sagte zu ihnen: O ihr Unverständigen, deren Herz langsam ist,<br />

zu glauben wegen alles dessen, was die Propheten geredet haben. Über Jesu<br />

Lebenslauf liegt volle Klarheit <strong>und</strong> ganze Übereinstimmung mit der S<strong>ch</strong>rift.<br />

Sie verkündigt den Christus, der Gott bis zum Tod gehorsam ist, den, der in<br />

die himmlis<strong>ch</strong>e Herrli<strong>ch</strong>keit erhöht wird, ni<strong>ch</strong>t einen Christus <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem Herzen<br />

Israels, weshalb er von ihm verworfen wird, <strong>und</strong> do<strong>ch</strong>, weil er der Bote<br />

der Gnade ist, der bleibt, der es erlöst. Es gab für die Jünger keinen Glauben,<br />

solange ihnen Jesu Ende als ein Widerspru<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bloß gegen Israels Erwartung,<br />

sondern au<strong>ch</strong> gegen die S<strong>ch</strong>rift ers<strong>ch</strong>ien. Freili<strong>ch</strong> durften sie, wenn sie


<strong>Lukas</strong> 24,25—35 335<br />

mit dem S<strong>ch</strong>riftwort Gottes Willen in Jesu Ausgang erkennen sollen, ni<strong>ch</strong>t<br />

nur einzelne Worte aus ihr herauslesen, die sie <strong>na<strong>ch</strong></strong> ihren Wüns<strong>ch</strong>en auswählten,<br />

sondern mußten alles hören <strong>und</strong> alles nützen, was die Propheten gesagt<br />

hatten. Statt dessen hatten sie ein verdunkeltes Auge, das ni<strong>ch</strong>ts sieht, <strong>und</strong><br />

ein mattes, geb<strong>und</strong>enes Herz, das si<strong>ch</strong> mühsam zum Glauben dur<strong>ch</strong>ringen muß,<br />

weshalb es ihnen nun als eine neue, ihnen bisher verborgene Bots<strong>ch</strong>aft gesagt<br />

werden muß. 24,26: Mußte ni<strong>ch</strong>t der Christus dieses leiden <strong>und</strong> in seine Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

eingehen?<br />

<strong>Die</strong>ses, was sie soeben von Jesus erzählten, mußte Christus leiden, weil es<br />

ihm die S<strong>ch</strong>rift zum voraus geordnet hat, ni<strong>ch</strong>t damit er darin versinke, sondern<br />

damit er so in seine Herrli<strong>ch</strong>keit eintrete, die er ni<strong>ch</strong>t im Maß des irdis<strong>ch</strong>en<br />

Lebens, sondern vor Gottes Thron empfängt. So standen die Jünger zu<br />

ihrer Überras<strong>ch</strong>ung vor einer Gewißheit, für die Jesus eben deshalb der Christus<br />

war, weil er gekreuzigt ward, <strong>und</strong> nun kam Spru<strong>ch</strong> um Spru<strong>ch</strong> an die<br />

Reihe, <strong>und</strong> jeder empfing neues Li<strong>ch</strong>t aus der vollbra<strong>ch</strong>ten Gottestat. 24,27—29:<br />

Und er fing bei Mose <strong>und</strong> allen Propheten an <strong>und</strong> legte in allen Sprü<strong>ch</strong>en aus,<br />

was über ihn gesagt ist. Und sie kamen zum Dorf, wohin sie wanderten, <strong>und</strong><br />

er stellte si<strong>ch</strong>, er ziehe weiter, <strong>und</strong> sie drangen in ihn <strong>und</strong> sagten: Bleibe bei<br />

uns; denn es ist gegen den Abend hin, <strong>und</strong> der Tag hat si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on geneigt. Und<br />

er trat ein, um bei ihnen zu bleiben. Er erprobte sie, ob sie ihn ziehen lassen<br />

oder ihm für seinen <strong>Die</strong>nst so dankbar seien, daß sie ihn bei si<strong>ch</strong> behalten<br />

mö<strong>ch</strong>ten. <strong>Die</strong> Jünger haben si<strong>ch</strong> bewährt.<br />

24,30. 31 : Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er si<strong>ch</strong> mit ihnen am Tis<strong>ch</strong> niedergelegt hatte,<br />

nahm er das Brot, spra<strong>ch</strong> den Segen, bra<strong>ch</strong> es <strong>und</strong> gab es ihnen hin. Ihnen aber<br />

wurden die Augen geöffnet, <strong>und</strong> sie erkannten ihn. Und er wurde für sie unsi<strong>ch</strong>tbar.<br />

Au<strong>ch</strong> hier ma<strong>ch</strong>t er ihnen seine Verb<strong>und</strong>enheit mit ihnen dadur<strong>ch</strong><br />

k<strong>und</strong>, daß er Tis<strong>ch</strong>gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen hält. Und damit, daß sie ihn erkennen,<br />

als sie aus seinen Händen das Brot nahmen, ist sein Ziel errei<strong>ch</strong>t.<br />

24,32: Und sie sagten zueinander: Brannte ni<strong>ch</strong>t unser Herz in uns, als er<br />

auf dem Wege mit uns redete <strong>und</strong> die Sprü<strong>ch</strong>e eröffnete? Sie staunen darüber,<br />

daß sie ihn ni<strong>ch</strong>t erkannten. Nun erst ist ihnen verständli<strong>ch</strong>, warum si<strong>ch</strong> ihr<br />

Inneres so völlig wandelte <strong>und</strong> das Li<strong>ch</strong>t darin aufstrahlte, als wären ihre<br />

Herzen angezündet. So konnte nur der Helligkeit <strong>und</strong> Verständnis in ihre<br />

dunkle Seele gießen, der vom Amt des Christus spre<strong>ch</strong>en konnte als von seinem<br />

eigenen Amt <strong>und</strong> Werk. 24,33—35: Und sie standen in derselben St<strong>und</strong>e<br />

auf, kehrten <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem zurück <strong>und</strong> fanden die Elf <strong>und</strong> die, die mit ihnen<br />

waren, versammelt, die ihnen sagten: Der Herr ist in der Tat auf erweckt <strong>und</strong>


3 3 6 <strong>Die</strong> Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

dem Simon si<strong>ch</strong>tbar geworden. Und sie erzählten, was auf dem Wege ges<strong>ch</strong>ehen<br />

•war <strong>und</strong> wie er von ihnen beim Bre<strong>ch</strong>en des Brots erkannt worden war.<br />

Nidit die Begegnung Jesu mit dem einen unter seinen Jüngern, sondern wie<br />

er si<strong>ch</strong> allen zeigte <strong>und</strong> was er allen gab, bildet das Ziel des Evangeliums. Was<br />

bisher ges<strong>ch</strong>ehen war, um ihr Verzagen zu dur<strong>ch</strong>bre<strong>ch</strong>en, den lähmenden Druck<br />

des Todes von ihnen zu nehmen <strong>und</strong> ihnen die Gewißheit zu geben, daß er<br />

lebe, das hatte alles erst vorbereitende Bedeutung <strong>und</strong> rüstete sie, daß sie alle<br />

ihn mit Freuden empfangen <strong>und</strong> mit Glauben si<strong>ch</strong> wieder um ihn s<strong>ch</strong>aren<br />

könnten als die, die si<strong>ch</strong> nun in die Welt von ihm senden lassen. Zu den Mitteln,<br />

wodur<strong>ch</strong> Jesus den Jüngerkreis allmähli<strong>ch</strong> aufri<strong>ch</strong>tete, gehörte au<strong>ch</strong>, daß<br />

er Petrus, dem am tiefsten gebeugten, eine besondere Ers<strong>ch</strong>einung gab. So<br />

ma<strong>ch</strong>te er ihn au<strong>ch</strong> am Ostertag <strong>und</strong> späterhin zu dem, was ihm sein Name<br />

verhieß, zum Felsen, der mit festem Halt die anderen trug.<br />

24,36. 37: Als sie aber dies bespra<strong>ch</strong>en, stand er selbst in ihrer Mitte <strong>und</strong><br />

jagte zu ihnen: Friede sei mit eu<strong>ch</strong>! Sie aber ers<strong>ch</strong>raken, waren voll Fur<strong>ch</strong>t <strong>und</strong><br />

meinten, sie sähen einen Geist. Als Jesus unter die vereinigte S<strong>ch</strong>ar der Jünger<br />

trat, war ihr erster Eindruck der, sie hätten eine Ers<strong>ch</strong>einung vor si<strong>ch</strong>, ein Geist<br />

zeige si<strong>ch</strong>. Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das war das Ereignis des Ostertags, daß aus einem verborgenen<br />

Jenseits dunkle Bilder <strong>und</strong> Stimmen hervorbra<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> etwa ein<br />

geheimnisvoller Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en der entrückten Seele Jesu <strong>und</strong> derjenigen<br />

der Apostel si<strong>ch</strong> herstellte. <strong>Lukas</strong> sagt, das wäre für die Jünger glaubli<strong>ch</strong>er<br />

gewesen, weist es aber völlig ab. Ges<strong>ch</strong>ehen war vielmehr dies, daß der<br />

Mens<strong>ch</strong> Jesus aus dem Tod ins Leben erneuert war mit allem, was des Mens<strong>ch</strong>en<br />

Wesen ist, au<strong>ch</strong> in dem, was er als seinen Leib an si<strong>ch</strong> hat. Daraus ist<br />

das Evangelium gekommen; denn damit war es offenk<strong>und</strong>ig, daß dieser<br />

Mens<strong>ch</strong> Jesus in der vollkommenen Liebe Gottes steht, in einer Liebe, die ewiges<br />

Leben gibt, die den Tod überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> abgetan hat, in einer Sendung,<br />

die nimmer aufhört, in einem Heilandsamt, das ihn unauflösli<strong>ch</strong> mit der<br />

Mens<strong>ch</strong>heit verb<strong>und</strong>en hält. Nun war dieser ihr Haupt <strong>und</strong> Herr gegeben, in<br />

dem sie alle Gnade <strong>und</strong> Hilfe Gottes hat.<br />

Darum hat der Auferstandene den Jüngern die Fur<strong>ch</strong>t genommen, sie nähmen<br />

nur eine Ers<strong>ch</strong>einung wahr, wie sie si<strong>ch</strong> etwa in einer erregten Seele bilden<br />

mag. 24,38—43: Und er sagte zu ihnen: Warum seid ihr verwirrt, <strong>und</strong> warum<br />

steigen Bedenken in eurem Herzen auf? Sehet meine Hände <strong>und</strong> meine Füße<br />

an, daß i<strong>ch</strong> es selber bin. Greift mi<strong>ch</strong> an, <strong>und</strong> seht, daß ein Geist ni<strong>ch</strong>t Fleis<strong>ch</strong><br />

<strong>und</strong> Kno<strong>ch</strong>en hat, wie ihr seht, daß i<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e habe. Und als er das sagte, zeigte<br />

er ihnen die Hände <strong>und</strong> Füße. Da sie aber vor Freude no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t glauben


<strong>Lukas</strong> 24,3 6—47a 337<br />

konnten <strong>und</strong> si<strong>ch</strong> verw<strong>und</strong>erten, sagte er ihnen: Habt ihr hier etwas, was man<br />

essen kann? Sie aber rei<strong>ch</strong>ten ihm ein Stück eines gebratenen Fis<strong>ch</strong>es. Und er<br />

nahm es <strong>und</strong> aß es vor ihnen.<br />

Nun ist es uns f reilidi völlig unmögli<strong>ch</strong>, ein Bild von dem zu gewinnen, was<br />

Jesu Auferstehung ihm gegeben hat. Er bleibt derselbe <strong>und</strong> kehrt do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

in die alte Lebensstufe zurück, sondern ist ein Neuer geworden. Er beherrs<strong>ch</strong>t<br />

den Raum, wie wir ihn ni<strong>ch</strong>t beherrs<strong>ch</strong>en, ist hier <strong>und</strong> dort mit seinem Willen,<br />

dringt dur<strong>ch</strong> das, was uns <strong>und</strong>ur<strong>ch</strong>dringli<strong>ch</strong> ist, <strong>und</strong> steht somit zu unserer<br />

Natur in einem völlig anderen Verhältnis als wir. Und do<strong>ch</strong> bleibt er eine<br />

leibli<strong>ch</strong>e Gestalt, <strong>und</strong> es lebt an ihm das fort, was er vor seinem Sterben an<br />

si<strong>ch</strong> trug. Da stehen wir vor einem W<strong>und</strong>er, das uns no<strong>ch</strong> völlig <strong>und</strong>ur<strong>ch</strong>dringli<strong>ch</strong><br />

ist.<br />

24,44: Er sagte aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die i<strong>ch</strong> zu eu<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en<br />

habe, als i<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> bei eu<strong>ch</strong> war, daß alles erfüllt werden muß, was<br />

im Gesetz Moses <strong>und</strong> den Propheten <strong>und</strong> Psalmen über mi<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>rieben ist.<br />

Seine Sorge geht wieder darauf, daß das, was die Jünger jetzt erleben, mit<br />

seinem Wort <strong>und</strong> mit der Bibel für sie in eine helle Übereinstimmung trete.<br />

Sie haben darin die Erfüllung seiner Worte vor Augen, die er ihnen über sein<br />

Ende gesagt hat, <strong>und</strong> damit au<strong>ch</strong> die Erfüllung dessen, was die S<strong>ch</strong>rift über<br />

ihn spra<strong>ch</strong>. 24,45: Da öffnete er ihnen den Verstand, daß sie die Sprü<strong>ch</strong>e verstanden.<br />

Sie kannten sie längst, erfassen sie aber jetzt mit einem neuen Blick.<br />

Als Jesus früher zu ihnen von seinem Ende spra<strong>ch</strong>, hatten sie, wie <strong>Lukas</strong> stark<br />

betonte, kein Verständnis für sein Wort. Nun war es da. Nun stand es hell in<br />

ihrem Blick: daß der Christus gelitten hat, war kein S<strong>ch</strong>aden, ni<strong>ch</strong>t nur der<br />

Mens<strong>ch</strong>en Tat, die aus ihrer Bosheit kam, sondern Gottes Wille <strong>und</strong> Gottes<br />

eigenes Werk <strong>und</strong> trug seine volle Gnade in si<strong>ch</strong>? Weil er litt, erstand er aus<br />

den Toten <strong>und</strong> ma<strong>ch</strong>te dadur<strong>ch</strong> alles Verheißene wahr <strong>und</strong> stand nun vor<br />

ihnen als der, der ihnen für immer mit allen Gaben des göttli<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>s<br />

gegeben war.<br />

Nun sagt er ihnen, was no<strong>ch</strong> weiter zu ges<strong>ch</strong>ehen hat, damit die S<strong>ch</strong>rift erfüllt<br />

werde <strong>und</strong> sein Tod <strong>und</strong> Auferstehen ihre Fru<strong>ch</strong>t finde. 24,46.47a: Und<br />

er sagte zu ihnen: So ist ges<strong>ch</strong>rieben, daß der Christus leide <strong>und</strong> aus den Toten<br />

am dritten Tag auferstehe <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> seines Namens Buße zur Vergebung<br />

der Sünden bei allen Völkern verkündigt werde. So s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> das Ende des<br />

Evangeliums mit seinem Anfang^zusammen. Buße zur Vergebung der Sünden<br />

verkündigte der Täufer; aber er bra<strong>ch</strong>te diese Bots<strong>ch</strong>aft nur zu Israel. Nun<br />

ergeht sie an alle Völker; denn sie ist nun auf Jesu Namen gestellt. Seiner


33 8 <strong>Die</strong> Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

Kreuzestat wegen <strong>und</strong> weil er der Auferstandene ist, ruft er jedermann von<br />

seinem bösen "Wege ab, nimmt die S<strong>ch</strong>uld desselben allen ab <strong>und</strong> hat eine Gnade<br />

für alle bereit, dur<strong>ch</strong> die alles umgewandelt <strong>und</strong> aufgehoben ist, was sie mit<br />

ihren Sünden si<strong>ch</strong> bereiteten. Au<strong>ch</strong> Matthäus wies mit dem letzten Wort auf<br />

den Anfang des Werkes Jesu zurück, da dieser die Seinen mit der Taufe zu<br />

allen Völkern sendet, glei<strong>ch</strong>wie Johannes mit der Taufe zu Israel ges<strong>ch</strong>ickt<br />

worden ist. <strong>Lukas</strong> spri<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t von der Taufe, sondern von dem Wort, das<br />

der Täufer einst <strong>und</strong> die Jünger jetzt ausri<strong>ch</strong>ten, dur<strong>ch</strong> das verkündigt <strong>und</strong><br />

aufges<strong>ch</strong>lossen wird, was uns Gottes Gnade mit der Taufe s<strong>ch</strong>enkt. In beiden<br />

Beri<strong>ch</strong>ten wird der Unters<strong>ch</strong>ied der neuen Anbietung der Gnade von der alten<br />

ni<strong>ch</strong>t nur darein gesetzt, daß sie jetzt an alle Welt geri<strong>ch</strong>tet ist, sondern darein,<br />

daß sie nun im Namen des Christus begründet ist. Auf den Namen des Vaters,<br />

des Sohnes <strong>und</strong> des Geistes gründet si<strong>ch</strong> die Taufe der Apostel, auf den Namen<br />

Jesu ihre Verkündigung der Buße zur Vergebung der Sünden. Das ist kein ins<br />

Wesen greifender Unters<strong>ch</strong>ied. Weil der Vater in Christus ist <strong>und</strong> er dur<strong>ch</strong><br />

den Geist sein Werk an uns vollbringt, darum ist er der, der uns vom bösen<br />

Weg hilft <strong>und</strong> mit seiner Vergebung alle S<strong>ch</strong>uld begräbt.<br />

24,47b. 48: Fangt von Jerusalem an, ihr, die Zeugen dieser Dinge,Wál sie<br />

mit Jesus gelebt haben, ihn am Kreuze sahen <strong>und</strong> wieder im Leben sehen, wisr<br />

sen sie, was sein Name bedeutet <strong>und</strong> wem er gehört, <strong>und</strong> haben deshalb allen<br />

Völkern das zu sagen, was ihnen in seinem Namen verkündigt werden muß.<br />

Sie hatten no<strong>ch</strong> eine besondere Weisung Jesu darüber nötig, wie sie si<strong>ch</strong> zu<br />

Jerusalem zu stellen hätten. Wird der Stadt, die Jesus gekreuzigt hat, no<strong>ch</strong>mals<br />

Buße, no<strong>ch</strong>mals die Vergebung der Sünden verkündigt? Sie sollen so zu<br />

allen Völkern seine Bots<strong>ch</strong>aft bringen, daß sie den Anfang mit Jerusalem<br />

ma<strong>ch</strong>en. An dieses ergeht das Evangelium zuerst. Indem Jesus den Seinen diesen<br />

Auftrag geben kann, ist seine Bitte am Kreuz „Vergib ihnen!" erhört.<br />

Zu dem, was die Jünger daran haben, daß sie die Zeugen der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

Jesu sind, erhalten sie no<strong>ch</strong> eine neue Ausrüstung. 24,49a: Und sehtí ido sende<br />

die Verheißung meines Vaters auf eu<strong>ch</strong>. Das uns von Gott Verspro<strong>ch</strong>ene ist<br />

sein Geist, seine inwendige Gegenwart bei uns, dur<strong>ch</strong> die er unser inwendiges<br />

Leben in seine s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en Hände nimmt <strong>und</strong> aus seiner heiligen Wahrheit<br />

<strong>und</strong> liebe speist. Das ist die neue Tat, die Jesus vor si<strong>ch</strong> hat, dur<strong>ch</strong> die er seine<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit den Jüngern vollenden wird. Er selbst sendet ihnen den<br />

Geist. Sie genießen im Besitz desselben wie die Gabe des Vaters so au<strong>ch</strong> die<br />

des Sohnes. .<br />

24,49b: Ihr aber bleibt in der Stadt, bis ihr aus der Höhe Kraft anzieht. <strong>Die</strong>


<strong>Lukas</strong> 24,47b—49b 339<br />

Jünger brau<strong>ch</strong>en Stärke, um Jesu Namen dur<strong>ch</strong> die Welt zu tragen, sie aus<br />

ihrer Gottlosigkeit heraus zur Umkehr zu führen <strong>und</strong> ihr die Vergebung so<br />

zu bezeugen, daß eine Sünderwelt sie glauben kann. <strong>Die</strong>se Ma<strong>ch</strong>t des Worts<br />

<strong>und</strong> Werks wird ihnen aus der Höhe dadur<strong>ch</strong> dargerei<strong>ch</strong>t, daß Gott in seinem<br />

Geiste mit ihnen ist <strong>und</strong> in ihnen wirkt. Bis dahin sollen sie mit dem Beginn<br />

ihres <strong>Die</strong>nstes no<strong>ch</strong> warten. Ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> <strong>und</strong> arm, wie sie bisher waren, mit<br />

dem dürftigen Wort, dem matten Auge, dem kleinen Glauben <strong>und</strong> kleinen<br />

Gebet sollen sie ihren Beruf beginnen; so würden sie ihr Werk s<strong>ch</strong>ädigen. Erst<br />

wenn sie die Ma<strong>ch</strong>t von oben haben, ist die St<strong>und</strong>e ihrer Arbeit da. Darauf<br />

sollen sie fur<strong>ch</strong>tlos in Jerusalem warten <strong>und</strong> die Stadt ni<strong>ch</strong>t fliehen, als wäre<br />

sie für sie bloß ein Ort des S<strong>ch</strong>merzes <strong>und</strong> der Gefahr. Hier werden sie vielmehr<br />

bald ihre Arbeit tun <strong>und</strong> hier au<strong>ch</strong> die Ausrüstung empfangen, die sie<br />

. tü<strong>ch</strong>tig ma<strong>ch</strong>t, die Ernte einzubringen, die Jesu Tod <strong>und</strong> Auferstehung vorbereitet<br />

hat.<br />

Dadur<strong>ch</strong> ist die Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bei <strong>Lukas</strong> anders begrenzt als bei Matthäus<br />

<strong>und</strong> <strong>Markus</strong>. Ihr Blick war darauf geri<strong>ch</strong>tet, wie Jesus die Seinen aus Galiläa<br />

<strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem führte, sie aber au<strong>ch</strong> wieder aus Jerusalem herausführte <strong>und</strong><br />

ihnen ni<strong>ch</strong>t in der heiligen Stadt, sondern in Galiläa seine Gegenwart si<strong>ch</strong>tbar<br />

ma<strong>ch</strong>te <strong>und</strong> seine neue Gemeins<strong>ch</strong>aft mit ihnen zeigte, nun als der ewig Lebendige.<br />

Den S<strong>ch</strong>luß ihrer Erzählung bildet darum das, wie Jesus in seiner Auferstehungsgestalt<br />

die Jünger in Galiläa um si<strong>ch</strong> versammelt hat. Darauf ist<br />

ihre Sendung an die Mens<strong>ch</strong>heit aufgebaut. <strong>Lukas</strong> s<strong>ch</strong>aut darauf, wie si<strong>ch</strong> an<br />

das Kreuz <strong>und</strong> die Auferstehung das Werk der Jünger in Jerusalem ans<strong>ch</strong>loß,<br />

wie er selbst sie als seine Zeugen dorthin stellte <strong>und</strong> dort mit dem versieht,<br />

was ihnen ihr mä<strong>ch</strong>tiges Apostelwort verleiht. Der Darstellung bei Matthäus<br />

Hegt mit tiefem Ernst das verdammende Urteil über Jerusalem zugr<strong>und</strong>e.<br />

<strong>Die</strong>ses kommt im Evangelium nur vor als die Stadt, die Christus das Kreuz<br />

bereitet hat. Bei <strong>Lukas</strong> kommt aus der Ostertat au<strong>ch</strong> für Jerusalem no<strong>ch</strong> eine<br />

Zeit neuer Gnade, wie er uns dies sofort in der Apostelges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te erzählen<br />

wird. Matthäus hat mit seinem S<strong>ch</strong>luß ni<strong>ch</strong>t sagen wollen, daß die Jünger<br />

Jerusalem gemieden haben <strong>und</strong> von Galiläa aus sofort in die Welt hinausgezogen<br />

seien. Der Weg in die Welt hinaus führte die Jünger unzweifelhaft<br />

über Jerusalem. Ebensowenig bedeutet der S<strong>ch</strong>luß des <strong>Lukas</strong>, daß die Jünger<br />

nie mehr <strong>na<strong>ch</strong></strong> Galiläa gingen <strong>und</strong> den Herrn nur in Jerusalem gesehen hätten.<br />

Wir dürfen bei beiden Texten ihr S<strong>ch</strong>weigen ni<strong>ch</strong>t mißbrau<strong>ch</strong>en, sondern<br />

haben auf das zu a<strong>ch</strong>ten, was sie sagen. Matthäus sagt: Jesus hat das Geri<strong>ch</strong>t<br />

über Jerusalem bestätigt, die Jünger von ihm frei gema<strong>ch</strong>t <strong>und</strong> dadur<strong>ch</strong> die


34° <strong>Die</strong> Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

Arbeit, die er auf Erden getan hat, als der Auferstandene zu ihrem Ziel <strong>und</strong><br />

S<strong>ch</strong>luß gebra<strong>ch</strong>t. <strong>Lukas</strong> sagt: Jesus hat als Auferstandener den Gr<strong>und</strong> zum<br />

"Werk der Seinen in Jerusalem gelegt.<br />

S<strong>ch</strong>on in der Bestellung der Apostel zum Botenamt an alle Völker ist enthalten,<br />

daß Jesu Verkehr mit den Seinen nur kurz sein konnte <strong>und</strong> nur den<br />

Zweck gehabt hat, sie seines Lebens gewiß zu ma<strong>ch</strong>en. Er kam ni<strong>ch</strong>t, um selber<br />

auf Erden wieder das Wort an die Mens<strong>ch</strong>en zu ri<strong>ch</strong>ten, sondern ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong><br />

dazu si<strong>ch</strong>tbar, damit die Seinigen sein Wort im Glauben <strong>und</strong> Ma<strong>ch</strong>t in die<br />

Welt hinaustragen. Darum können wir ni<strong>ch</strong>ts anderes erwarten, als daß er<br />

von ihnen wieder Abs<strong>ch</strong>ied nehme. <strong>Die</strong>s ist das letzte Wort des Evangeliums<br />

<strong>und</strong> wieder das erste der Apostelges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />

24,50a: Er führte sie aber bis <strong>na<strong>ch</strong></strong> Bethanien hinaus. Da dafür keine Zeitbestimmung<br />

gegeben ist, so könnte man vermuten, der Abs<strong>ch</strong>ied Jesu habe si<strong>ch</strong><br />

glei<strong>ch</strong> an jenem Abend anges<strong>ch</strong>lossen, an dem er zum erstenmal wieder im<br />

Kreise der Apostel stand. <strong>Lukas</strong> hat uns aber seine Meinung im Eingang zur<br />

Apostelges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, 1,3, deutli<strong>ch</strong> gesagt. Der Abs<strong>ch</strong>ied Jesu war vom Ostertag<br />

dur<strong>ch</strong> vierzig Tage ges<strong>ch</strong>ieden <strong>und</strong> steht hier ni<strong>ch</strong>t deshalb, weil er si<strong>ch</strong> der<br />

Zeit <strong>na<strong>ch</strong></strong> sofort an das Frühere ans<strong>ch</strong>lösse, sondern weil er innerli<strong>ch</strong> <strong>und</strong> sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

das ri<strong>ch</strong>tige, volle Ende des Evangeliums ist.<br />

Auf dem ölberg s<strong>ch</strong>ied er so von den Jüngern, daß sie wußten, sie sehen ihn<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr, bis er in seiner Herrli<strong>ch</strong>keit sie hole. 24,50b. 51: Und er erhob<br />

seine Hände <strong>und</strong> segnete sie. Und es ges<strong>ch</strong>ah, als er sie segnete, da s<strong>ch</strong>ied er von<br />

ihnen <strong>und</strong> ward in den Himmel hinaufgetragen. Als der Spender der Gnade<br />

mit dem vor Gott kräftigen, gültigen Wort stand er no<strong>ch</strong>mals vor ihnen; dann<br />

ging er von ihnen weg. 24,52. 53: Und sie beteten ihn an <strong>und</strong> kehrten nado<br />

Jerusalem mit großer Freude zurück <strong>und</strong> waren beständig im Tempel <strong>und</strong><br />

priesen Gott. Mit der großen Freude <strong>und</strong> dem Lobe Gottes, das ihm wegen der<br />

Geburt des Kindes dargebra<strong>ch</strong>t wurde, begann das Evangelium. Darin war der<br />

Blick auf Jesu Kreuz no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t enthalten. Nun hatte Jesus seinen Weg vollendet,<br />

seinen Gehorsam vollbra<strong>ch</strong>t, sein Kreuz getragen, <strong>und</strong> die Fru<strong>ch</strong>t desselben<br />

ist die Jüngergemeinde mit ihrer großen Freude <strong>und</strong> ihrer lebendigen<br />

Anbetung.<br />

In den Tempel hat uns <strong>Lukas</strong> mit seiner ersten Erzählung geführt. Er bes<strong>ch</strong>rieb<br />

uns den Priester, der <strong>na<strong>ch</strong></strong> der alten Ordnung das Rau<strong>ch</strong>opfer auf den<br />

Altar stellte, <strong>und</strong> die Gemeinde, die unterdessen im Vorhof betete. Dort im<br />

Tempel trat der himmlis<strong>ch</strong>e Bote hervor, der zuerst die Sendung Jesu k<strong>und</strong>ma<strong>ch</strong>te.<br />

Mit dem S<strong>ch</strong>luß des Evangeliums führt uns <strong>Lukas</strong> wieder in den


<strong>Lukas</strong> 24,50a—53 341<br />

Tempel. Nun verkündigt aber ni<strong>ch</strong>t mehr nur ein Engel Gottes Bots<strong>ch</strong>aft;<br />

sondern jetzt sind dort die Mens<strong>ch</strong>en versammelt, die Christus kennen <strong>und</strong><br />

seinetwegen Gott loben, <strong>und</strong> sie sind ni<strong>ch</strong>t mehr nur eine hoffende S<strong>ch</strong>ar, die<br />

sehnsü<strong>ch</strong>tig auf den Kommenden wartet, sondern haben ihn gesehen <strong>und</strong> erkannt<br />

<strong>und</strong> von ihm empfangen, was Gott uns gibt.<br />

Wie die Jünger Jesu her<strong>na<strong>ch</strong></strong> aus dem Tempel heraus unter das Volk gestellt<br />

<strong>und</strong> in den <strong>Die</strong>nst Christi, damit au<strong>ch</strong> in den Kampf <strong>und</strong> in das Leiden hineingeführt<br />

wurden <strong>und</strong> wie denno<strong>ch</strong> daraus ein Siegeslauf ward, erzählt uns <strong>Lukas</strong><br />

in seinem zweiten Bu<strong>ch</strong>.


Inhalt<br />

Das Evangelium <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Markus</strong><br />

Kapitel Seite<br />

. 1,1—20: Wie Jesus sein Werk begann . 5—ü<br />

1,21—45: Jesu Taten in Kapernaum <strong>und</strong> die erste Wanderung<br />

dur<strong>ch</strong> Galiläa . . .~. . .• i . . . 12—17<br />

2 <strong>und</strong> 3 : Der Anstoß der Pharisäer an Jesu Gnade <strong>und</strong> Freiheit 17—32.<br />

4,1—34: Jesus bes<strong>ch</strong>reibt Gottes Herrs<strong>ch</strong>aft 32—42.<br />

4,35—5,43: <strong>Die</strong> Fahrt <strong>na<strong>ch</strong></strong> dem östli<strong>ch</strong>en Ufer des Sees <strong>und</strong> die<br />

Ereignisse <strong>na<strong>ch</strong></strong> der Rückkehr -42—49<br />

6,1—8,26: Jesu weitere Arbeit in Galiläa bis zur Weissagung<br />

seines Todes 50—70<br />

8,27—9,50: Der Abs<strong>ch</strong>luß der Arbeit in Galiläa 71—86-<br />

10: Vom Aufbru<strong>ch</strong> aus Galiläa bis zum Einzug in Jerusalem<br />

86—97<br />

11—13: Jesu Zeugnis in Jerusalem 97—114.<br />

14 <strong>und</strong> 15: Jesu Sterben 115—124.<br />

16,1—8: Der Anfang des Osterberi<strong>ch</strong>ts 124—128<br />

16,9—20: Der Zusatz zum Osterberi<strong>ch</strong>t 128—130<br />

Das Evangelium <strong>na<strong>ch</strong></strong> <strong>Lukas</strong><br />

1,1—4: Der Beri<strong>ch</strong>t des <strong>Lukas</strong> über sein Bu<strong>ch</strong> 131—133<br />

1,5—2,52: Wie Christus geboren ward 134—161<br />

3,1—4,13: <strong>Die</strong> Aussonderung Jesu zu seinem Werk 161—171<br />

4,14—9,50: Jesu Arbeit in Galiläa . . . ~. 171—214<br />

9,51—19,27: <strong>Die</strong> Wanderung von Galiläa <strong>na<strong>ch</strong></strong> Jerusalem . . . . 214—301<br />

19,28—21,38: Jesu Zeugnis in Jerusalem 301—310<br />

22 <strong>und</strong> 23: Jesu Sterben ' 311—331<br />

24: <strong>Die</strong> Osterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te 331—341

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!