28.08.2013 Aufrufe

Johannisburger Heimatbrief 1967 - Familienforschung S c z u k a

Johannisburger Heimatbrief 1967 - Familienforschung S c z u k a

Johannisburger Heimatbrief 1967 - Familienforschung S c z u k a

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

1<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

Seite 1 des <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong>es <strong>1967</strong><br />

(Originalumfang: 10 Seiten)<br />

www.Kreis-Johannisburg.de


2<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

<strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong><br />

der Kreisgemeinschaft Johannisburg in der Landsmannschaft Ostpreußen e.V.<br />

Abschnitt I:<br />

Abschnitt II:<br />

Abschnitt III:<br />

Inhaltsangaben<br />

Grußworte<br />

a) unseres Kreisvertreters, Herrn F. W. Kautz in Altwarmbüchen<br />

b) des Kreischefs des Patenkreises Flensburg-Land, Herrn<br />

Landrat Lausen in Flensburg<br />

c) des Kreischefs unseres Heimatkreises Johannisburg,<br />

Herrn Landrat a. D. Ziemer in Kiel<br />

Allgemeines Interesse der Kreisgemeinschaft<br />

a) Karteiführer Oswald Vogel in Burgdorf (Han)<br />

b) Hinweise<br />

Verschiedenes<br />

a) Erinnerungen an Gehlenburg. Von Gerh. Wippich<br />

b) Generalfeldmarschall v. Hindenburg in Gehlenburg<br />

c) Plauderei über Gehlenburg. Von Dr. Ilse Grünberg und<br />

Anneliese Wiesneth<br />

d) Ein Besuch in Arys. Von Margot Ashwell<br />

e) Erinnerungen an unsere Heimat. Von H. Rattay und Brigitte Bido<br />

f) Kindheit und Schulzeit in Gehlenburg. Von Edith Grigo<br />

g) Wölfe im Revier. Von G. Schubert.<br />

h) Geldverwalter R. Niederhausen<br />

Ia) Grußworte unseres Kreisvertreters<br />

Herrn F. W. Kautz<br />

Liebe Landsleute!<br />

Eineinhalb Jahre sind seit Erscheinen des<br />

letzten <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong>es<br />

vergangen. Möge auch dieser <strong>Heimatbrief</strong><br />

manche Erinnerungen wachrufen.<br />

Unsere Aufgabe ist es jedoch, nach vorne<br />

zu sehen, immer wieder für unsere<br />

Heimat einzutreten, und darauf hinzuweisen,<br />

daß es unser verbrieftes Recht<br />

ist, diese Heimat niemals aufzugeben.<br />

Es grüßt Sie in treuer, heimatlicher Verbundenheit<br />

Ihr<br />

F. W. Kautz, Kreisvertreter<br />

3001 Altwarmbüchen über Hannover<br />

Ib) Zum Geleit<br />

Liebe <strong>Johannisburger</strong>!<br />

Es gehört sicher zu den guten Gewohnheiten<br />

Ihrer Kreisgemeinschaft, einmal<br />

im Jahr einen <strong>Heimatbrief</strong> herauszuge-<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

ben, der über wichtige Ereignisse des<br />

vergangenen Jahres berichtet und auf<br />

zukünftige Planungen hinweist. Darüber<br />

hinaus enthält er Geschichten und Abhandlungen<br />

aus der alten Heimat, so daß<br />

er sicher als Bindeglied in Ihrer Kreisgemeinschaft<br />

nicht mehr zu missen ist.<br />

Es ist ein ebenso guter wie langgeübter<br />

Brauch, daß der Landrat Ihres Patenkreises<br />

für den <strong>Heimatbrief</strong> ein Grußwort<br />

schreibt. Ich tue das immer gerne, um<br />

auch auf diese Weise die engen und persönlichen<br />

Bindungen zwischen Ihrer<br />

Kreisgemeinschaft und dem Kreis Flensburg-Land<br />

zu dokumentieren.<br />

Wieder geht ein Jahr — es ist das zwölfte<br />

unserer Patenschaft — dem Ende entgegen,<br />

ohne daß es uns in den Fragen, die<br />

besonders Ihnen aus verständlichen<br />

Gründen so am Herzen liegen, erkennbar<br />

vorangebracht hat. Wir wollen uns nichts<br />

vormachen: Auch beim Jahreswechsel<br />

1966/67 sieht es nicht so aus, als wenn<br />

unser sehnlichster Wunsch in absehbarer<br />

Zeit in Erfüllung gehen wird. Dennoch


3<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

dürfen wir unsere berechtigten Forderungen<br />

niemals zurückstellen und die<br />

Hoffnung nicht aufgeben, daß in einem<br />

Friedensvertrag auch die Probleme, die<br />

mit dem Verlust der deutschen Ostgebiete<br />

in Zusammenhang stehen, eines Tages<br />

für alle zufriedenstellend gelöst werden.<br />

Im Kreishaus in Flensburg hängt jetzt ein<br />

Wandteppich mit dem Motiv der Kreiskarte<br />

des Kreises Johannisburg/Ostpreußen,<br />

ein weiteres äußeres und jedermann<br />

sichtbares Zeichen der Patenschaft.<br />

Als Pendant zu dem Wandteppich<br />

mit der Karte unseres Kreises, von<br />

Künstlerhand gestaltet, zeugen typische<br />

Motive Ihres Kreises von der herben und<br />

dennoch reizvollen Schönheit Ihrer<br />

überwiegend landwirtschaftlich strukturierten<br />

ostpreußischen Heimat. Wie<br />

schön ist es doch, daß gerade unser<br />

Kreis, der dem Ihren in so vieler Hinsicht<br />

ähnelt, Ihr Pate sein darf.<br />

Ich möchte dieses Grußwort nicht schließen,<br />

ohne der Kreisgemeinschaft als solcher,<br />

aber auch jedem einzelnen von<br />

Ihnen für die kommenden Wochen und<br />

Monate aufrichtig alles Gute zu wünschen.<br />

Ich gebe mit diesen Wünschen<br />

der Hoffnung für eine weitere -<br />

gedeihliche Zusammenarbeit zwischen<br />

der Kreisgemeinschaft Johannishurg/Ostpreußen<br />

und dem Kreise Flensburg-Land<br />

Ausdruck.<br />

Lausen, Landrat des Patenkreises<br />

Flensburg-Land in Flensburg<br />

Ic) Grußwort unseres heimatlichen<br />

Landrats Herrn Ziemer-Johannisburg<br />

Liebe Landsleute!<br />

Wiederum ist über ein Jahr vergangen,<br />

seit ich Ihnen Grüße im <strong>Heimatbrief</strong><br />

1965/66 senden konnte. Die Zeit fliegt!<br />

Ich weiß nicht, ob nicht nur wir Älteren<br />

dies Gefühl haben oder durch die im<br />

heutigen Zeitgeschehen sich überschlagenden<br />

Ereignisse auch die jüngere Generation.<br />

Für uns Ältere hat dies jedenfalls<br />

das Gute, daß wir kaum zum Grübeln<br />

über die Vergangenheit, über verlorene<br />

liebe Menschen, Hab und Gut, mithin<br />

über die verlorene Heimat kommen,<br />

sondern daß wir, gezwungen durch den<br />

in rasendem Tempo sich abspielenden<br />

Lebenskampf, in der Hauptsache nach<br />

vorwärts sehen müssen, und das gibt<br />

Kraft, Energie, Erfolg und Frohsinn!<br />

In diesem Sinne, meine lieben <strong>Johannisburger</strong>,<br />

mit heimatlichen Grüßen stets<br />

Ihr<br />

Ziemer, Landrat a. D.<br />

23 Kiel, Eichendorffstraße 62<br />

IIa) Die Karteistelle der Kreisgemeinschaft<br />

bittet, jede Adressenänderung und jeden<br />

Todesfall unverzüglich der Karteistelle<br />

mitzuteilen. Bevorstehende goldene,<br />

diamantene, eiserne und Gnadenhochzeiten<br />

und die 75., 80. und älteren Geburtstage<br />

bitte ich ebenfalls mitzuteilen.<br />

Auf die Suchanzeigen im Ostpreußenblatt<br />

wird wenig reagiert. Oftmals scheitern<br />

hierdurch für die Landsleute Rentenansprüche,<br />

Lastenausgleich usw., weil<br />

die gesuchten Zeugen nicht aufzufinden<br />

sind. Bitte, teilen Sie der Karteistelle den<br />

Verbleib der gesuchten Landsleute mit.<br />

Oswald Vogel, Karteiführer<br />

3167 Burgdorf, Im Hagenfeld 5<br />

IIb) Hinweise<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

Dias und Bilder vom Kreis Johannisburg<br />

Die Vorführungen von etwa 100 Dias von<br />

„Arys wie es heute aussieht” bei unseren<br />

Kreistreffen in Hannover und Hamburg<br />

haben bei allen interessierten Teilnehmern<br />

eine große Freude ausgelöst. Wir<br />

wollen daher ähnliche Vorführungen bei<br />

den nächsten Treffen vorbereiten und<br />

bitten alle Landsleute, uns dabei behilflich<br />

zu sein. Wir bitten um Anschriften<br />

von Reisenden in unsere alte Heimat,<br />

auch von Bewohnern Mitteldeutschlands.<br />

Um Vermittlung deren Dias und Fotos<br />

bitten wir. Da wir uns nicht direkt an die<br />

Reisenden wenden können, müßte die<br />

Vermittlung in Bekannten- und Verwandtenkreisen<br />

erfolgen. Die Kreisgemeinschaft<br />

ist bereit, die Dias und Fotos für


4<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

unser Archiv anzukaufen. Also helfen Sie<br />

alle mit, durch eine Vermittlung auch<br />

Ihren anderen Landsleuten mit einem<br />

Blick in die Heimat eine Freude zu machen.<br />

(Unterlagen bitte an Karteiführer<br />

Oswald Vogel in 3167 Burgdorf, Im Hagenfeld<br />

5.)<br />

Treffen im Jahre <strong>1967</strong><br />

Da von unseren etwa 14.000 bei uns registrierten<br />

<strong>Johannisburger</strong> Familien nur<br />

ein Teil das Ostpreußenblatt regelmäßig<br />

hält und unsere Bekanntmachungen über<br />

die Treffen der Kreisgemeinschaft liest,<br />

geben wir schon jetzt nachstehend eine<br />

Aufstellung der geplanten Jahrestreffen<br />

bekannt. Lesen Sie jedoch vor jedem<br />

Termin den Tagungsort und genauen<br />

Zeitpunkt im Ostpreußenblatt nach. Wir<br />

hoffen, daß sich dann noch mehr Landsleute<br />

bei unseren Treffen einfinden und<br />

Gesichter zu sehen sind, die schon lange<br />

gefehlt haben und noch nie gekommen<br />

waren, weil die Termine nicht bekannt<br />

waren.<br />

Kreistreffen am 30.4.<strong>1967</strong> in Düsseldorf,<br />

Schlösserbetriebe, Beginn 11 Uhr.<br />

Kreistreffen am 4.6.<strong>1967</strong> in Hannover,<br />

Limmerbrunnen, Beginn 11 Uhr.<br />

Kreistreffen am 3.9.<strong>1967</strong> in Dortmund,<br />

Reinoldi-Gaststätten, Beginn 11 Uhr.<br />

Hauptkreistreffen am 24.9.<strong>1967</strong> in Hamburg,<br />

Mensagaststätten, Beginn 11 Uhr.<br />

(Bitte, im Terminkalender notieren.)<br />

Die <strong>Johannisburger</strong> Kreischronik eignet<br />

sich als Weihnachtsgeschenk und zu anderen<br />

Familienanlässen. Sie ist bei unserem<br />

Karteiführer Oswald Vogel in 3167<br />

Burgdorf, Im Hagenfeld 5, zu bestellen.<br />

Auf die Lehrgänge in Bad Pyrmont für<br />

Teilnahme jeden Alters wird aufmerksam<br />

gemacht. Für alle Teilnehmer werden die<br />

Reisekosten von der Landsmannschaft<br />

getragen.<br />

Im Jahre <strong>1967</strong> sind im Ostheim in Bad<br />

Pyrmont folgende Lehrgänge vorgesehen:<br />

Jugendlehrgänge vom<br />

07. 1. bis 08. 1. <strong>1967</strong><br />

26. 3. bis 01. 4. <strong>1967</strong><br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

14. 5. bis 20. 5. <strong>1967</strong><br />

23. 7. bis 29. 7. <strong>1967</strong><br />

06. 8. bis 12. 8. <strong>1967</strong><br />

Anmeldungen sind zu richten an die<br />

Landsmannschaft Ostpreußen (HPR oder<br />

Jugend- bzw. Frauenreferat) in 2 Hamburg<br />

13, Parkallee 86.<br />

„Das Ostpreußenblatt” ist die Brücke<br />

zur Heimat, darum lesen alle Landsleute<br />

ihr Heimatblatt.<br />

Es ist zu bestellen bei jedem Postamt<br />

oder beim Verlag des Ostpreußenblattes<br />

in 2 Hamburg 13, Parkallee 86.<br />

IIIa) Erinnerungen an Gehlenburg<br />

Liebe Landsleute!<br />

Die Anrede hätte genauso lauten können:<br />

„Liebe Gehlenburger”, „liebe Biallaer”<br />

oder heimatlicher „liebe Biallenser”.<br />

Nun macht wieder ein <strong>Heimatbrief</strong> seine<br />

Runde. Er soll diesmal vornehmlich an<br />

unser Gehlenburg erinnern. Wenn ich<br />

eingangs den Namen Bialla nannte, so<br />

bitte ich diejenigen um Verzeihung, die<br />

den Namen Gehlenburg in ihr Herz geschlossen<br />

haben. Ich kann mich ihnen<br />

nicht unbedingt anschließen. Ich wurde<br />

in dieser Stadt geboren, als sie noch Bialla<br />

hieß und bin unter diesem Namen in<br />

ihr aufgewachsen. Seit 1938 habe ich sie<br />

nur noch an Urlaubstagen gesehen, denn<br />

seit dieser Zeit trug ich den Soldatenrock.<br />

So wurde mir ihr neuer Name nie<br />

so recht vertraut. Der alte Name bedeutet<br />

mir Heimat. Er hat an meinem Bewußtsein,<br />

aus einer rein deutschen Stadt<br />

zu stammen, nie Zweifel gesetzt. Auch<br />

ist es ein Trugschluß, ihn von ähnlichen<br />

slawischen Wortstämmen abzuleiten.<br />

Nach den Angaben in unserer Chronik<br />

zur 500-Jahr-Feier der Stadt stammt der<br />

Name vom dem prußischen Pil-Pial. Dies<br />

bedeutet soviel wie ein fester Platz, Im<br />

Laufe der Jahre kam das „Bial” und „Bialla”.<br />

Der dem Flecken vom Deutschen<br />

Orden verliehene Name „Auf der Gaylen”,<br />

aus dem dann Gehlenburg wurde,<br />

war nicht sonderlich tief in das Bewußtsein<br />

seiner Einwohner eingedrungen.


5<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

Aber ich wollte nicht von der Geschichte<br />

der Stadt, sondern von dieser selbst erzählen.<br />

Wer kann es mir nicht verdenken, wenn<br />

meine Gedanken so heimwärts wandern,<br />

wie ich es in Wirklichkeit oft genug getan<br />

habe.<br />

Näherte man sich ihr von Allenstein her,<br />

so hatte man nach der Ausfahrt von Ortelsburg<br />

Anlaß, sich auf das Wiedersehen<br />

vorzubereiten. Die weiten Kiefernwälder<br />

des Puppener Forstes ließen die Gedanken<br />

sammeln. Die geraden Feuerschneisen<br />

und Wege zwischen den Jagen waren<br />

heimwärts gerichtete Führungslinien.<br />

Der tiefe Einschnitt über dem Kanal bei<br />

Rudczanny ließ den blauen Niedersee<br />

durchschimmern. Dann nahm uns endlich<br />

heimatlicher Wald, unsere Heide,<br />

auf.<br />

In Johannisburg war man dann fast<br />

schon zu Hause. Dort stieg bestimmt<br />

jemand in den Zug, den man persönlich<br />

kannte. So nahm die Begleitung gesellige<br />

Formen an. Das Wort mit dem Nachbarn<br />

führte uns heim. Und wer war eigentlich<br />

nicht unser Nachbar? Vergleichen<br />

wir damit das unpersönliche Klima<br />

der großen Städte, in die so viele von<br />

uns verschlagen wurden, so merken wir,<br />

was wir auch hierbei verloren haben.<br />

Daheim kannten wir uns alle. Wie gut ist<br />

es noch heute, von diesen Bekanntschaften<br />

zu zehren. Wir wußten vom Wohl<br />

und Wehe des Nachbarn. Es mußte niemand<br />

fürchten, in der Masse verlorenzugehen.<br />

Jedermann hatte bei uns seinen<br />

Platz als Persönlichkeit, unabhängig von<br />

Stand und Rang.<br />

Wenn der Zug zur Brücke des Pisseks<br />

oder der späteren Galinde hochratterte,<br />

trennten uns nur noch Minuten von der<br />

Heimat. Bald zeigte sich der engere Bereich<br />

unserer Welt. Damals war es noch<br />

anders als heute. Nur so weit uns unsere<br />

Füße trugen oder unsere Pferde zogen,<br />

war unsere engere Heimat bemessen.<br />

Dafür kannten wir sie desto gründlicher.<br />

Bald rollte der Zug durch die Hügel hinter<br />

Kallischken (Flockau). Dort konnte<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

uns schon auf seinen Feldern der erste<br />

Bauer aus Bialla begegnen. Kallischker<br />

Berge nannten wir diese Felder. Es waren<br />

nicht die besten Äcker der Stadt,<br />

aber die ersten, die wir daheim zu Gesicht<br />

bekamen. Bald grüßte uns die<br />

Windturbine von Willutzki und ließ links<br />

neben sich den Wasserturm, das Rathaus<br />

und den Turm der Kirche auftauchen.<br />

Viele Orte haben ihr Gesicht nach<br />

den Formen ihrer Türme geprägt. Das<br />

Gesicht Biallas saß tiefer und war lebendiger.<br />

Der Bahnhof war die Empfangshalle<br />

der Stadt. Offen und ohne Sperren<br />

entließ er uns in diese. Sie nahm uns<br />

auf, ehe der Zug noch in dem Einschnitt<br />

unter der „Schwarzen Brücke” entschwunden<br />

war. Ich kann mich nicht<br />

daran erinnern, daß die Stadt ihre Gäste<br />

einmal nicht empfangen hat. Irgend jemand<br />

stand immer am Bahnhof und wartete.<br />

Es mußte nicht gerade der Abend<br />

eines Sommertages sein, der Scharen<br />

aus der Stadt zum Bahnhof lockte. Wer<br />

auf dem Bahnhof war, fühlte sich für den<br />

Empfang der Ankommenden verantwortlich,<br />

um ihm ein Willkommen entgegen<br />

zu rufen. Besorgte dies nicht der Bahnbeamte,<br />

dann bestimmt der Junge, der<br />

den Biallaer Anzeiger vom Zug holte, um<br />

ihn allabendlich auszutragen. Wie arm ist<br />

dagegen heute die Welt, die nur noch<br />

selten solche Freunde kennt.<br />

Gehlenburg, Rathaus<br />

Dann ging es unter den Kastanienbäumen<br />

der Allee in die Stadt. Der Wasserstand<br />

des Flusses an der Molkerei zeigte,<br />

ob die Schrotsteine der Mühle in Betrieb<br />

waren. Dem Mühlenbesitzer selbst würde<br />

man am anderen Ausgang der Stadt begegnen.<br />

Er war dafür bekannt, daß er<br />

immer früher als alle anderen auf den<br />

Beinen war und auch später sein Werk


6<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

verließ. So traf man ihn immer geschäftig<br />

an. Auch würde man den Schmiedemeister<br />

vor seinem Anwesen gegenüber<br />

dem Verschönerungsplatz antreffen. Regelmäßig<br />

nahm er die Parade der vom<br />

Zug Kommenden ab.<br />

Gehlenburg, Marktplatz mit Kirche<br />

Man war vorbeigegangen an der Wegegabel<br />

vor dem neuen Gericht. Dort<br />

mahnte der Findling: „Dies Land bleibt<br />

deutsch!” Wir nahmen seine Aussage<br />

hin, als wenn sie nie in Frage gestellt<br />

werden könnte. Nie hätten wir geglaubt,<br />

daß wir diesen Stein allein-zurücklassen<br />

mußten. Möge man ihn nun gesprengt,<br />

seine Worte ausgelöscht haben, seine<br />

Aussage ist heute noch so gültig wie vor<br />

45 Jahren, als unsere Eltern sich so einmütig<br />

zum Deutschtum bekannten.<br />

Am neuen Standplatz des Jahndenkmals<br />

trennten sich dann die Wege der Heimkehrenden.<br />

Bialla war eine kleine Stadt, die kleinste<br />

Stadt des Kreises. Aber gerade deshalb<br />

war sie für jedermann noch bis zum letzten<br />

Einwohner überschaubar. Rund ein<br />

Quadratkilometer nur groß war sie in<br />

ihrem zusammenhängend bebauten Teil.<br />

So kannten wir jede Straße, jede Gasse<br />

und jedes Haus. Vom Storchennest bis<br />

zur Schulzerei, vom Töpferende bis hinter<br />

der Mühle war uns alles vertraut.<br />

Wer denkt nicht zurück an den Stadtpark<br />

mit seinem Festplatz. Er war umrahmt<br />

von den Familienlauben, dem Tanzpavillon,<br />

den Tischen und Bänken unter freiem<br />

Himmel und den Holzbauten der<br />

Wirtschaft. Er war durchzogen von sauberen<br />

Wegen, die am Tennisplatz und<br />

den Schießständen vorbei zum Sport-<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

platz führten. Wie viele Erinnerungen<br />

sind mit ihm verbunden. Waren es das<br />

jährliche Kinderfest der Schule, das<br />

Schützenfest, andere Sommerfeste oder<br />

waren es Spiele und Wettkämpfe auf<br />

dem Sportplatz oder war es der Abend,<br />

an dem wir das Johannifeuer abbrannten<br />

und über seine Flammen sprangen, die<br />

uns an diesen Teil der Stadt zurückdenken<br />

lassen? Auf der anderen Seite des<br />

Parks, in seinem neuen Teil, hatten sich<br />

die Jungschützen selbständig gemacht.<br />

Wo man hinschaute, zeigte sich rege<br />

schaffender Bürgergeist. Der Saal des<br />

„Königlichen Hofs” diente nicht nur den<br />

Festen, sondern auch den Gastspielen<br />

des Landestheaters, dem Wanderkino<br />

und letztlich den Turnern. Welche Feste<br />

haben wir dort gefeiert! Wer keinen Mut<br />

dazu hatte, seine Angebetete zum Walzer,<br />

der Mazurka oder zum Schieber einzuladen,<br />

hatte reichlich Gelegenheit, sich<br />

diesen an der Theke zu beschaffen. War<br />

es dann Glück oder Unglück, wenn der<br />

eine oder der andere sich so viel Mut<br />

gemacht hatte, daß die Schöne dann<br />

nichts mehr von ihm wissen wollte? Der<br />

Betroffene allein wird es sagen können.<br />

Aber dies waren nicht die einzigen Stätten<br />

versammelten Frohsinns. Welch ein<br />

Ereignis, wenn Jahr- und Krammarkt<br />

war! Es waren Feiertage in der Stadt,<br />

ohne daß es die Obrigkeit ändern konnte.<br />

Welch eine bunte Welt baute sich<br />

dann um Kirche und Rathaus auf. Der<br />

Spitzenjakob stand neben der Pfefferkuchenbude.<br />

Es gab nützliche und unnütze<br />

Dinge. Wer fragte an diesen Tagen schon<br />

danach? Wahrsager und Zauberer, starke<br />

Männer, Feuerfresser und Artisten<br />

zeigten unter dem Dudeln der Drehorgeln<br />

der vielen Karussells ihre Künste.<br />

Man wollte sehen, gesehen werden, sich<br />

vergnügen, auch selbst dann, wenn man<br />

angeführt wurde. Es war ein Fest für<br />

große und kleine Kinder. Abends gab es<br />

dann den Jahrmarktsball. Wer davon mit<br />

blauen Augen heimkehrte, war selbst<br />

schuld daran. Man konnte ja vorher fragen,<br />

ob man eine Marjell anschauen<br />

darf, deren Freier sich 'noch Mut antrank


7<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

und deshalb nur augenblicklich verhindert<br />

war, mit ihr zu tanzen.<br />

Von all den liebenswerten Dingen in unserer<br />

Stadt möchte ich trotz des Platzmangels<br />

nicht unseren Winter vergessen.<br />

War Martini im Land, wurde der im<br />

Sommer nicht gerade einladende Mühlenteich<br />

zum Mittelpunkt der Stadt. In<br />

dieser Zeit lud er nicht zum Baden ein.<br />

Desto regelmäßiger wurde er im Winter<br />

zum Baden auserkoren.<br />

Wer die Dicke des Eises aus dem Wasser<br />

heraus betrachten konnte, erkannte in<br />

der Regel schnell genug, daß es noch<br />

verfrüht war, das Eis zu betreten. Solche<br />

Erkenntnis hielt jedoch kaum die Zuschauer<br />

ab, das Glückt selbst zu versuchen.<br />

Ein Glück, daß in der Nähe der<br />

Zuwege zum Teich Bäckermeister auf<br />

ihren Ofen ausreichend Platz bereit hielten,<br />

um die Unglücksraben vor dem<br />

Stock des Vaters zu bewahren. Die Bereitschaft,<br />

hier stets zu helfen, mag in<br />

eigenen Jugendjahren gewachsen sein.<br />

So gefährlich die Versuche auch waren,<br />

sie gereichten kaum jemand ernsthaft<br />

zum Schaden. War das Eis dann fest,<br />

gab es eine herrliche Zeit. Das Schorren<br />

auf spiegelglatter Fläche war die meistgeübteste<br />

Kunst. So mancher Hinterkopf<br />

wußte davon ein Lied zu singen, daß es<br />

wirkliche Kunst war. Andere übten und<br />

vergnügten sich beim Schlittschuhlaufen,<br />

dem Rennen der Schlitten mit Hilfe der<br />

Piken oder gar beim Eiskarussell. Hier<br />

sauste ein Schlitten an langer Stange um<br />

einen Pfahl. Sonntags sah man oft die<br />

Schlangen der von Pferden gezogenen<br />

Rodelschlitten. Wenn ich an dieses Vergnügen<br />

denke, sehe ich immer einige<br />

Kinder diesen Schlangen nachrennen.<br />

Entweder war ihr Schlitten gerade abgerissen<br />

oder sie hatten noch keinen Anschluß<br />

gefunden.<br />

Diese Gedankensplitter konnten nur einen<br />

Teil unserer Heimat in unser Gedächtnis<br />

zurückrufen. Sie ist uns heute<br />

aus der Ferne näher denn je. Laßt uns<br />

diesen Schatz sorgsam in unseren Erinnerungen<br />

hüten.<br />

Gerhard Wippich, 5 Köln-Ehrenfeld<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

IIIb) Generalfeldmarschall v. Hindenburg<br />

nach der Wiedereroberung<br />

der Stadt Bialla (Gehlenburg) in Bialla.<br />

Am 9. September 1914 besuchte Generalfeldmarschall<br />

v. Hindenburg mit dem<br />

Chef des Generalstabes, Ludendorff, die<br />

Stadt, und von dort besichtigte er auch<br />

die Stätte des Kampfes vom 9. August<br />

1914, wo das 2. Batl. Inf.-Regt. 147, die<br />

4. Batterie Art.-Regt. 82 und die 1.<br />

Schwadron der 11. Dragoner die Russen<br />

vollständig auf den Höhen von Kosken-<br />

Belzonzen vernichteten.<br />

Generalfeldmarschall von Hindenburg<br />

in Bialla (Gehlenburg)<br />

Die erbeuteten Geschütze standen später<br />

vor dem Zeughaus in Berlin. Es waren<br />

die ersten Geschütze, die im Ersten<br />

Weltkrieg erbeutet wurden. Der Besuch<br />

des großen Heerführers war ein großes<br />

Ereignis in der kleinen Stadt.<br />

Carl Bongarts<br />

4054 Korschenbroich, Heldsmühle 62<br />

IIIc) Plauderei über Gehlenburg<br />

In Gedanken sind wir schon oft in Gehlenburg<br />

angekommen, nämlich von Lyck<br />

aus — damals, als wir noch Fahrschüler<br />

waren. Der „Rasende Masur” schnauft<br />

unter der „Schwarzen Brücke” hindurch,<br />

wo wir als Kinder die ersten Weidenkätzchen<br />

klauten, pfeift durchdringend und<br />

hält auf unserm Bahnhof Gehlenburg.<br />

Unser Bahnhof ist nämlich der Treffpunkt<br />

vieler Gehlenburger, erstens, weil er die<br />

Verbindung zur großen Welt herstellt und<br />

man Neues zu sehen bekommt, zwei


8<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

tens, weil die lange, baum-bestandene<br />

Straße, die aus Stadt dahin führt, sich<br />

gut für eine Promenade eignet — nicht<br />

nur für Liebespärchen!<br />

Und schon gehen wir an der Molkerei<br />

vorbei und sehen links das nagelneue<br />

Amtsgerichtsgebäude, schräg gegenüber<br />

den „Königlichen Hof”. Wie oft tanzten<br />

wir dort nach den ein-schmeichelnden<br />

Weisen der bekannten Kapelle Lux!<br />

Freundlich grüßt der Schmiedemeister<br />

Paschereit, und an der nächsten Ecke<br />

winkt uns Meister Strojek zu. Wir eilen<br />

durch die Bahnhofstraße am Friseursalon<br />

Dzewas, Frau Aßmanns Zigaretten- und<br />

Konfitürengeschäft, an Galdas Fleischerladen<br />

vorbei auf die Drogerie Mex zu.<br />

Jetzt haben wir den Marktplatz vor uns:<br />

rechts das stolze Rathaus, links unsere<br />

alte Kirche und im großen Quadrat die<br />

vielen Häuser und Häuschen von Engler<br />

(„Hotel Kronprinz"), Kowalzik, Gesk,<br />

Fischhöder, Joswig, Faltin, Rattay,<br />

Nitschmann („Hotel Deutsches Haus"),<br />

Brosien, Kilimann und Hinz. Eine Verkürzung<br />

des Heimwegs bietet sich an: quer<br />

über den Marktplatz nach Hause — in die<br />

Stadtschule! Hier trat im Jahre 1921 unser<br />

Vater als junger Rektor sein Amt an.<br />

Wie alt wir damals waren, verraten wir<br />

nicht - jedenfalls sind wir im lieben Gehlenburg<br />

aufgewachsen und haben schöne<br />

Zeiten erlebt, von denen wir nun ein bißchen<br />

plaudern wollen.<br />

Zur Dienstwohnung unseres Vaters gehörte<br />

damals ein Morgen Land nebst einem<br />

stattlichen Garten, der aber total<br />

verkrautet war. Ein Bauer erbot sich, da<br />

einmal mit Pferd und Pflug Ordnung zu<br />

schaffen. Das Pferdchen ließ sich zwar<br />

an den Pflug spannen, aber ziehen wollte<br />

es nicht. Achselzuckend meinte sein Besitzer:<br />

„Herr Rektor, jeder Gaul is man<br />

nich zum Ziehen!” Große Heiterkeit erregte<br />

auch im Familienkreise eine Mutter,<br />

die im Amtszimmer unseres Vaters<br />

mit folgenden Worten erschien: „Sehr<br />

jeehrter Herr Oberrektor, wenn Se<br />

vleicht mechten Ihre lieben Augen<br />

schließen und meine Kinder wo noch eine<br />

Woche beurlauben?” Vater: „Aber es<br />

waren doch gerade drei Wochen Herbst-<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

ferien!” Darauf die gute Frau: „Das<br />

macht nuscht, se haben doch alle de Masern!”<br />

Die Mütter zweier Schüler lagen in Streit<br />

und schlugen sich auf dem gemeinsamen<br />

Hof. Der Sohn der Schwächeren eilte<br />

seiner Mutter zu Hilfe, indem er der Angreiferin<br />

seine Holzkorken auf den Kopf<br />

schlug. Vater sollte nun den Jungen bestrafen.<br />

Er ließ sich ausführlich von beiden<br />

Müttern den Sachverhalt schildern.<br />

Die Schwächere gab folgende Darstellung:<br />

„Herr Rektor, se packte mir am<br />

Schnauz, schmiß mir hin, zog mir an de<br />

Haare, und ich schrie: Herr Jesus, mein<br />

Heiland, mein Jungchen, se schlägt mir<br />

dot!”<br />

Zwei Brüder — beide schwach im Deutschen<br />

— verfügten nur über ein gemeinsames<br />

Lesebuch. Während der Ältere<br />

wenigstens einigermaßen lesen konnte,<br />

beherrschte der Kleine keinen Buchstaben.<br />

Auf Vaters Rat, doch mit dem kleineren<br />

Bruder zu üben, bekannte der<br />

Große treuherzig: „Ich will ja mit ihm<br />

ieben, Herr Rekter, aber wenn ich jelesen<br />

hab' und das Buch dem Paul jeben<br />

will, denn schreit er jleich: Willi, jibst,<br />

Willi, jibst, Willi, jibst? 1, 2, 3 — is schon<br />

zu spät!”<br />

Diese Episoden ließen sich natürlich endlos<br />

fortsetzen; aber wir wollen ja noch<br />

anderes von unserm lieben Gehlenburg<br />

berichten.<br />

Da wäre zunächst der Wochenmarkt am<br />

Donnerstag, der die Bauern aus den umliegenden<br />

Dörfern mit ihren Erzeugnissen<br />

in unser Städtchen führt. Er ist iso<br />

reichlich bestellt, daß er sich fast mit<br />

dem Fischmarkt an den Hamburger Landungsbrücken<br />

vergleichen ließe. Herrliche<br />

Zeiten, in denen ein Ei noch drei<br />

Pfennig, ein Pfund goldfrische Landbutter<br />

60 Pfennig und ein Pfund Gelböhrchen<br />

10 Pfennig kosteten! Ein reges Leben<br />

und Treiben entfaltet sich; sind Käufer<br />

und Verkäufer einig geworden, setzt der<br />

Ansturm auf die Geschäfte ein. Zur Vervollständigung<br />

ihrer Haushalte kaufen<br />

die Bäuerinnen bei Max und Walter Bi


9<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

schoff, bei Hinz & Sagorski, bei Gorski<br />

und Pohl; auch in Jankowskis Eisenwarengeschäft<br />

herrscht reger Betrieb. Die<br />

Gastwirtschaften und Kolonialwarenläden<br />

sind überfüllt. Man trinkt einen „gegen<br />

die Würmer” bei Rattay, Nitschmann,<br />

Brama, Rotzoll, Raphael, Grollmus, Podlesch,<br />

Grigo, Wolff und Engler. Am Spätnachmittag<br />

finden die Pferde allein nach<br />

Hause; ihre Besitzer schlummern im Sitzen<br />

auf den Fuhrwerken!<br />

Wer denkt da nicht gleich an die Jahrmärkte,<br />

das Paradies der Kinder! Bunte<br />

Budenstraßen, in denen man vom Pfefferkuchenherz<br />

bis zum Pferdegeschirr<br />

alles kaufen kann, locken uns alle an.<br />

Auf dem Viehmarkt hinter dem Rathaus<br />

haben die Schießbuden- und Karussellbesitzer<br />

ihr Domizil aufgeschlagen. Aus<br />

einer Drehorgel ertönt „Dichter und Bauer”,<br />

während man sich im Kettenkarussell<br />

nach den „Donauwellen” dreht. Unvergeßlich<br />

auch der Spitzenjakob! Ein<br />

Nachttopf, umwunden mit einer „echt<br />

Brüsseler Spitze”, dient ihm als Kasse.<br />

Sein Werbeslogan: „Komm'n Se rein,<br />

komm'n Se ran, hier wer'n Se genauso<br />

besch .... wie nebenan”, klingt und noch<br />

in den Ohren. Hat er ein gutes Geschäft<br />

getätigt, singt er zum Gaudium aller Anwesenden:<br />

„Hab' Sonne im Herzen und<br />

Knoblauch im Bauch ... !” Im Festefeiern<br />

sind wir Gehlenburger ganz groß! Sie<br />

finden alle im „Königlichen Hof” statt, die<br />

Veranstaltungen des Vaterländischen<br />

Frauenvereins, die Kostüm- und Maskenbälle<br />

und Tanzveranstaltungen der<br />

vielen anderen Vereine. Aber nicht nur<br />

hierzu dient der große Saal, sondern zunächst<br />

auch zu Filmvorführungen. Zu<br />

Zeiten des Stummfilms war es üblich,<br />

das Geschehen auf der Leinwand mit<br />

Musik zu untermalen. Unsere Eltern gehen<br />

einmal zu einem Henny-Porten-Film.<br />

Hinter der „Spanischen Wand” geigt ein<br />

ortsfremder Musikus, daß es zum Erbarmen<br />

ist. Als Henny sich nun im Geschehen<br />

des Films über ein Brückengeländer<br />

in die Tiefe stürzen will und noch unschlüssig<br />

die Hände ringt, ertönt eine<br />

Stimme aus dem Dunkel: „Henny, nimm<br />

dem Jeijer mit!”<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

Nicht lange aber, da hat der moderne<br />

Tonfilm auch bi uns seinen Einzug gehalten.<br />

Wir bekommen ein schickes Kino<br />

neben der Apotheke, wo nun Zarah Leander,<br />

Marika Rökk und andere Filmgrößen<br />

uns fiszinieren. Getanzt wird jetzt<br />

auch im nett ein-gerichteten, gemütlichen<br />

Cafe Brink. So manches hübsche<br />

Gehlenburger Mädel hat dort seinen späteren<br />

Mann kennengelernt. Wer könnte<br />

je 011ys Hexenhäuschen im Stadtpark<br />

vergessen! Sobald ein Liebespärchen das<br />

lauschige Lokal betritt, serviert er das<br />

gewünschte Getränk, legt die Platte auf:<br />

„Wenn zwei Herzen in Liebe sich gefunden,<br />

dann ist es Frühling, dann ist es<br />

Mai...” und verzieht sich diskret.<br />

Nicht vergessen werden dürfen die wunderschönen<br />

Schulfeste, die im Stadtpark<br />

gefeiert werden. Belustigen aller Art wie<br />

Wettlaufen, Sackhüpfen, Wurstschnappen,<br />

Vorführungen von Volkstänzen,<br />

Reigen, Turnübungen, Laienspielen und<br />

der Rückweg am Abend mit bunten Lampions<br />

werden allen Beteiligten noch in<br />

freundlicher Erinnerung sein.<br />

Im Schießhaus hinter den Tennisplätzen<br />

wird einmal im Jahr um den Titel des<br />

Schützenkönigs gekämpft. Drei Tage<br />

lang währt dieses schöne Fest, das ganz<br />

Gehlenburg in seinen Bann zieht.<br />

Wer aber glaubt, Gehlenburg läge kulturell<br />

„hinter dem Mond”, der irrt sich. Für<br />

Lesestoff sorgt Fräulein Matzat, später<br />

Fräulein Scesny. Klavierunterricht erteilt,<br />

noch bis ins hohe Alter hinein, Fräulein<br />

Jablonowski. Kirchenkonzerte — bestritten<br />

vom Gehlenburger Kirchenchor und<br />

namhaften Künstlern — finden immer<br />

regen Zuspruch. Der Kulturverein inszeniert<br />

Konzerte, Vortragsreihen, Rezitationen;<br />

das Allensteiner Landestheater<br />

gastiert im Winter mit Operetten und<br />

Schauspielen.<br />

Apropos: Winter! Unser Mühlenteich bietet<br />

allen Sportbegeisterten die Möglichkeit<br />

zu Schlittschuhlaufen und Hockeyspiel.<br />

Herr Henseleit sorgt für eine<br />

schneefreie Eisbahn, auf der sich jung<br />

und alt tummelt. Ganz früher soll ja Va


10<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

ter Kaminski (Wachtmeister) in eigner<br />

Regie folgende Bekanntmachung „ausgeklingelt”<br />

haben: „Das Eis auf dem<br />

Miehlenteich is noch nich fest. Wer es<br />

betritt, bricht ein. Wenn ich euch Bengels<br />

erwische, denn lad' ich meine Pistole<br />

mit Salz und schieß' euch im D-----s!"<br />

Andere Wintersportmöglichkeiten bieten<br />

die nahe gelegenen Teufelsberge. Die<br />

Jugend zieht hinaus, um Schlitten zu<br />

fahren oder Ski zu laufen. Herrlich auch<br />

die Fahrten mit vielen aneinandergekoppelten<br />

Rodelschlitten, vor die ein Pferd<br />

gespannt wird!<br />

Wie sorglos und ruhig lebten wir damals<br />

zu Hause! Und in stillen Stunden, die<br />

heute doch recht rar geworden sind, leben<br />

wir auch heute noch dort.<br />

Wir wollten mit dieser Plauderei Euch,<br />

Ihr lieben Gehlenburger, noch einmal<br />

kurz nach Hause führen. Nehmt sie als<br />

Liebeserklärung an unser schönes Gehlenburg.<br />

Denn so war Gehlenburg, und so ist es<br />

heute noch für alle, die es lieben.<br />

Dr. Ilse Grünberg<br />

205 Hamburg 80, Kirschgarten 51<br />

Anneliese Wiesneth geb. Grünberg<br />

852 Erlangen, Penzoldtstr. 9<br />

IIId) Im Geiste ein Besuch im alten<br />

Soldatenstädtchen „Args”. Von Margot<br />

Ashwell, geb. Lipski<br />

Ein grauer, nebliger Wintertag hängt<br />

über dem Land, in welches mich das<br />

Schicksal nach der Flucht aus unserem<br />

geliebten Masurenland verschlagen hat.<br />

Trostlose Einsamkeit überfällt mich. Ich<br />

greife nach dem Ostpreußenblatt, sehe<br />

die vertrauten, heimatlichen Aufnahmen<br />

und bin im Geiste wieder einmal daheim<br />

in meinem Elternhaus in der Lötzener<br />

Straße in Arys. Diesmal habe ich meinen<br />

Mann und meine jetzt zehnjährige Tochter<br />

Gloria bei mir; endlich sollen sie beide<br />

den Ort meiner Kindheit kennenlernen.<br />

Wir sind gerade am Erwachen, da dringt<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

der Klang des Liedes zu uns: „Frühmorgens<br />

wenn die Hähne krähn.” Wir jagen<br />

aus den Betten und an die bereits geöffneten<br />

Fenster, atmen die taufrische Morgenluft<br />

und sehen den Soldaten nach,<br />

die gerade zur Stadt rausmarschieren.<br />

Zum Frühstück essen wir die knusprigen,<br />

noch warmen Brötchen von der Bäckerei<br />

Sarkowski mit irischer Landbutter und<br />

dem herrlichen Bienenhonig von Lehrer<br />

Friedrich aus Arenswalde (Mykossen). Es<br />

wird ein heißer Tag, und so gehen wir<br />

früh an den See. Ein kurzer Blick auf das<br />

Dach des Magistrates, wo die Störche<br />

lustig klappern, vorbei an den kleinen,<br />

vertrauten Giebelhäuschen von Frl. Golembek<br />

und Tischlerei Purwien, den<br />

Bäckereien Sarkowski und Kutschinski,<br />

der Eisenwarenhandlung Schmidt, der<br />

das Kolonialwarengeschäft mit Restaurant<br />

Czwalinna gegenüberliegt, so kommen<br />

wir an die schöne, alte evangelische<br />

Kirche mit dem schattigen Kirchengarten.<br />

Nun sind wir auf dem Marktplatz, und ich<br />

erzähle meinem Mann und meiner Tochter<br />

von den großen Jahrmärkten, die hier<br />

im Herbst stattfinden. Eine Bude reiht<br />

sich an die andere, von der Drogerie<br />

Krüger, entlang dem „Masurischen Kaufhaus”,<br />

Gaststätte Grigutsch, Bekleidungsgeschäft<br />

Nippa bis zur Apotheke<br />

von Schachtner und der Kreissparkasse.<br />

Auf der anderen Seite von der Ecke „Hotel<br />

Kaiserhof”, entlang der Fleischerei<br />

Sczesny, Hotel „Deutsches Haus”, dem<br />

Gerichtsgebäude, der Raiffeisenbank bis<br />

zum Schuhgeschäft Hoffmann.<br />

Wer nie auf dem Jahrmarkt fehlt, sind<br />

der witzige Spitzenjakob und der Bonbon-Fritze.<br />

Die Bauersfrauen, die mit<br />

Mann, Kind und Kegel von weit und breit<br />

zu diesem Jahrmarkt kommen, sind die<br />

besten Kunden des Spitzenjakobs, denn<br />

der Winter ist lang, und sämtliche Näharbeiten<br />

müssen bis zum Frühjahr geschafft<br />

sein. Im Sommer ist der Marktplatz<br />

Sammelpunkt der geschmückten<br />

Leiterwagen, die die Angehörigen des<br />

Handwerker-Vereins, der Kommandantur,<br />

des Schützenvereins o. ä. zum Jahresausflug<br />

in die herrliche Umgebung


11<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

fahren. Samstags finden hier Platzkonzerte<br />

statt; entweder spielt eine flotte<br />

Militärkapelle oder die „Freiwillige Feuerwehr”.<br />

Nun gehen wir die Lycker Straße entlang,<br />

vorbei an der Mehlhandlung Schilling<br />

bis zum Milchgeschäft Eilf. Dahinter<br />

ist dann die katholische Kapelle und gegenüber<br />

Fleischerei und Restaurant Turrek.<br />

Wir biegen aber rechts ab, gehen<br />

über den Buttermarkt und sind bald am<br />

Kanal. (Um weiter durch die Stadt zu<br />

laufen, dafür ist es heute zu heiß.) Gerade<br />

werden lange Flöße in Richtung Spirdingsee<br />

gesteuert. Wir stehen auf der<br />

Seufzerbrücke und sehen ihnen nach.<br />

Aryssee mit Strandrestaurant<br />

,Weißes Haus"<br />

Wir setzen unseren Weg fort den Kanal<br />

entlang. Das Gehen ist hier recht unangenehm;<br />

über uns wiegen sich die Äste<br />

der alten Bäume im Sommerwind. Nun<br />

erreichen wir die Lycker Chaussee. Auf<br />

der gegenüberliegenden Seite grüßt uns<br />

Brockmanns Knusperhäuschen einladend.<br />

Wir treten ein und verzehren jeder<br />

ein leckeres Speiseeis. Beim Weitergehen<br />

überholt uns ein kleiner Trupp Soldaten,<br />

der auf dem Weg zur Militär-<br />

Badeanstalt ist. Wir hören den Unteroffizier:<br />

„Zweie, dreie!” Nun singen sie das<br />

für diese Stelle so spannende Lied „Im<br />

Wald, im tiefen Walde”. Vor uns liegt der<br />

Stadtwald und noch einmal biegen wir<br />

rechts ab und sind nach wenigen Schritten<br />

am spiegelnden See, umgeben von<br />

hohen Nadelbäumen. Rechts gehen wir<br />

über die alte Holzbrücke an der Fischerbude<br />

und befinden uns auf der Halbinsel<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

„Amerika” mit dem „Weißen Haus”. Dahinter<br />

ist das Bootshaus des Aryser Rudervereins,<br />

wo reger Betrieb ist. Wir gehen<br />

um die Umzäunung herum, ich muß<br />

meiner kleinen Gloria noch die Stelle<br />

zeigen, wo wir gebadet haben, ehe<br />

Waldfrieden zur Badeanstalt wurde. Hier<br />

rechts sind die großen Sandkulen und<br />

ringsherum blühen die Katzenpfötchen.<br />

Wir pflücken eine ganze Tasche voll, um<br />

später Blumenkissen und Kränzchen aus<br />

ihnen zu machen, die uns für mehrere<br />

Jahre eine Erinnerung an Arys sein sollen.<br />

Zur Mittagszeit gehen wir zum „Weißen<br />

Haus”. Herr Hertel begrüßt uns aufs<br />

herzlichste. Am frühen Nachmittag brechen<br />

wir auf, verlassen „Amerika” und<br />

gehen in entgegengesetzter Richtung<br />

nach Budda. Wie großartig wirkt doch<br />

das von Wald umgebene Gebäude, in<br />

welchem zur Winterszeit die Feuerwehr-<br />

und Handwerkerfeste, Weihnachtsfeiern<br />

usw. abgehalten werden, wo das „Landestheater<br />

Südostpreußen von Allenstein”<br />

gastiert und wo im Sommer das<br />

Schützenfest gefeiert wird. Im Vorgrund,<br />

am Ufer des Sees, stehen zwei winzige<br />

Turm-Pavillons. Von hier aus hat man<br />

eine schöne Aussicht auf „Amerika” und<br />

ganz rechts sind einige private Motorbootshäuschen.<br />

Grigos sind gerade im<br />

Begriff, ihr Boot in Betrieb zu setzen.<br />

Wir gehen weiter in Richtung Waldfrieden,<br />

der heutigen Badeanstalt; vorbei<br />

am alten Tennisplatz, wo Herr Spangehl<br />

und Herr Czwalinna vom Kaufhaus Kienitz<br />

bereits am Schlagen der Bälle sind.<br />

Von Waldfrieden ein Blick auf die Verlobungsinsel<br />

und die Landzunge, und weiter<br />

geht es im hohen Tannenwald den<br />

See entlang. Wir atmen tief die Waldesluft,<br />

ergötzen uns am Gesang der tausend<br />

Vögel und erreichen den kleinen<br />

grünen Flecken gegenüber der Roseninsel.<br />

Deutlich sehen wir von hier das einzige<br />

kleine Bauerngehöft der Insel. Ich<br />

brauche nur zu rufen, und schon sehen<br />

wir den guten Alten das Fährboot besteigen.<br />

Er holt uns rüber. In der kleinen<br />

Gastwirtschaft im Bauernhaus verzehren<br />

wir echte bäuerliche Schinkenbrote. Anschließend<br />

vergnügen wir uns auf der


12<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

großen hölzernen Schaukel, auf welcher<br />

eine ganze Familie bequem Platz hat.<br />

Wir bleiben bis zum Sonnenuntergang<br />

auf der Insel und werden von meinem<br />

Vater mit dem Ruderboot abgeholt.<br />

Wir gleiten auf der spiegelblanken Seenfläche<br />

dahin, von bewaldeten Höhen<br />

umgeben. Leichtes Plätschern nur an den<br />

Seiten des Bootes unterbricht die traumhaft<br />

schöne Stille eines warmen Sommerabends!<br />

Gloria ist plötzlich eingeschlafen, doch<br />

dem Lächeln auf dem schlafenden Kindergesicht<br />

sehe ich an, daß auch sie im<br />

Geiste dem Land, der Heimat ihrer Mutter,<br />

Groß- und Urgroßmutter verfallen ist<br />

und träumt wie ein echtes Masurenkind<br />

von dem Tage, an dem sie in Wirklichkeit<br />

ihre Füße auf den geliebten Boden setzen<br />

wird.<br />

„Masurenland, mein Heimatland, Masuren<br />

lebe, mein Vaterland!”<br />

Kirche in Morgen<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

IIIe) Erinnerungen an unsere Heimat<br />

Voller Wehmut denken wir oft an unsere<br />

Heimat, die wir nicht vergessen können<br />

und wollen.<br />

Welch ein sorgloses, glückliches Leben<br />

haben wir damals geführt. Es war so<br />

ganz anders als heute.<br />

Unser kleines Städtchen, still und verträumt,<br />

war umgeben von Feldern und<br />

Wäldern; und nur selten wurde es durch<br />

besondere Festlichkeiten oder den Jahrmarkt<br />

aufgerüttelt aus seiner Stille.<br />

Der Ort Bialla — das [spätere Gehlenburg<br />

— wurde 1428 gegründet. Sicher<br />

wird sich noch manch älterer Biallenser<br />

an die 500-Jahr-Feier 1928 erinnern,<br />

deren Krönung ein großer Festzug war.<br />

Besonders stolz waren die Bürger, als<br />

am 11.7.1920 bei der Abstimmung keine<br />

Stimme für Polen abgegeben wurde. In<br />

diesem Zusammenhang wurde meines<br />

Wissens nach in der Inflationszeit Notgeld<br />

gedruckt mit der Aufschrift: „Bialla,<br />

die einzige Stadt, die keinen Polen hat.”<br />

In den dreißiger Jahren bekam Bialla einen<br />

neuen Ortsnamen. Es hieß fortan<br />

Gehlenburg. Wir alten Biallenser dachten<br />

wehmütig an die Namensänderung, doch<br />

man mußte sich daran gewöhnen.<br />

Unser Städtchen konnte sich rühmen,<br />

einen besonders schönen, großen Marktplatz<br />

zu haben. Einmal wöchentlich kamen<br />

die Bauern der näheren und weiteren<br />

Umgebung zum Markttag und boten<br />

ihre Erzeugnisse an. Da lagen auf langen<br />

Tischen Fische, Obst, Gemüse, Eier, Butter<br />

und nicht zu vergessen das wunderbare<br />

Geflügel. Die Enten- und Gänserümpfe<br />

sahen aus wie aus Marzipan, und<br />

man konnte schon einen Gänserumpf für<br />

6 bis 8 RM nach Hause tragen. Ach, wie<br />

herrlich schmeckte doch ein solcher<br />

Gänsebraten, den man heute in dieser<br />

Güte kaum noch kaufen kann. Auch die<br />

Fische aus unseren Seen waren immer<br />

so frisch und geschmackvoll, und wir


13<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

sehnen uns heute noch oft nach einem<br />

schönen gefüllten Hecht! Hm, und die<br />

geräucherten Maränen waren eine besondere<br />

Kostbarkeit. Ich möchte auch<br />

keineswegs die vielen schönen Blaubeeren<br />

und Pilze vergessen, die oft in großen<br />

Wannen oder Körben zum Markt gebracht<br />

wurden. Da gab es Gelböhrchen,<br />

Steinpilze, Grünlinge, Reizker und Morcheln.<br />

Ach, man darf gar nicht an all die<br />

herrlichen lukullischen Genüsse denken,<br />

die man in der Heimat auf den Tisch<br />

bringen konnte. Als leidenschaftliche<br />

Pilzsammler ist die ganze Familie oft in<br />

die Krussewer Wälder oder in die Rhudner<br />

Gegend zum Pilzesuchen gefahren.<br />

Da wurde morgens gegen 5 Uhr aufgestanden,<br />

denn man fuhr mit den üblichen<br />

zwei Pferdestärken los, um in aller<br />

Frühe Pilze zu suchen. Wie haben wir<br />

uns alle gefreut, wenn wir bald mit vollgefüllten<br />

Körben wieder nach Hause fahren<br />

konnten. Gehlenburg lag leider ein<br />

wenig abseits der schönen, großen masurischen<br />

Seen. Wir hatten nur den Mühlenteich,<br />

der zum Baden ungeeignet war.<br />

Dort schwammen fast das ganze Jahr<br />

unzählige Baumstämme von der Sägemühle<br />

Zander. Für die Kinder waren —<br />

trotz Verbot — die schwimmenden<br />

Baumstämme ein großer Anziehungspunkt,<br />

denn sie konnten herrlich dort<br />

„Bohlchen laufen”, und mancher Hosenboden<br />

wurde dabei naß, aber als Mutter<br />

drückte man schon manchmal ein Auge<br />

zu.<br />

Kaffeepause bei der Ernte<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

Zum Baden wurde oft in schönen Tagen<br />

nach Mühle Kosuchen gefahren. Am<br />

Sonntag, wenn mehr Zeit zur Verfügung<br />

war, ging es bei schönem Wetter an den<br />

Rosch- oder Borowiesee. Da gab es<br />

schöne Badestellen, und es war mit dem<br />

Pferdewagen in 1 bis 11/2 Stunden zu<br />

erreichen. Diese Freude gönnten wir den<br />

Kindern oft, damit sie sich im Wasser<br />

richtig austoben konnten. Meist wurden<br />

zu diesen Fahrten noch Freunde oder<br />

Freundinnen unserer Kinder mitgenommen,<br />

und der Wagen war mit der lustigen<br />

Gesellschaft dann schnell am Ziel.<br />

Oft machten wir unsere Familienausflüge<br />

auch in den nahen Kallischker Wald. Mit<br />

Kaffee und Kuchen im Proviantkorb ging<br />

es gleich am Sonntagnachmittag los. An<br />

einem schönen, stillen, mit blühenden<br />

Lupinen umgebenen Plätzchen wurde<br />

dann „gelagert” und Kaffee getrunken.<br />

Ganz besonders liebten die Kinder das<br />

Ostereiersuchen im Kallischker Wald. Da<br />

waren der Spaß und die Freude viel größer<br />

als beim Eiersuchen daheim im Garten.<br />

Wenn ich in meinen Erinnerungen<br />

krame, möchte ich die Erntezeit nicht<br />

unerwähnt lassen. Trotz unserer kleinen<br />

Landwirtschaft waren zur Erntezeit immer<br />

mehrere fremde Hilfskräfte auf dem<br />

Felde, die mehrmals am Tage mit gutem<br />

Essen und Trinken versorgt wurden. War<br />

alles abgeerntet und die letzten Hocken<br />

aufgestellt, wurde der Erntestrauß — der<br />

Plon — gebunden und mit Blumen und<br />

Bändern geschmückt von den Erntearbeitern<br />

nach Hause gebracht. Auf dem<br />

Hof wurde mit feierlichem Gesang der<br />

Plon dem Hausherrn von dem ältesten<br />

Arbeiter übergeben. Danach wurde mit<br />

gutem Essen und viel Bärenfang und<br />

Weißen die Einbringung des Plons bis<br />

weit in die Nacht hinein gefeiert — nach<br />

altem masurischem Brauch. Ich könnte<br />

noch viele nette Begebenheiten erzählen,<br />

doch fürchte ich, daß diese Plauderei<br />

zuweit führen würde.<br />

Frau H. Rattay<br />

und Frau Brigitte Bido<br />

563 Remscheid, Robbelshan 10


14<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

IIIf) Kindheit und Schulzeit in Gehlenburg<br />

Es gab wohl kaum etwas, daß Gehlenburg<br />

von den anderen Kleinstädten Masurens<br />

wesentlich unterschied. Es war<br />

eine freundliche, stille Stadt — und doch<br />

konnte sie den Interessen und dem Betätigungsdrang<br />

der jungen Menschen,<br />

die in ihr aufwuchsen, auf vielfältigste<br />

Weise entgegenkommen. Sicherlich war<br />

es gerade die abgeschiedene Lage, die<br />

der Jugend die Möglichkeit zu einer ungestörten<br />

Entfaltung bot. Zwischen der<br />

ländlichen Umgebung und dem Leben<br />

der Stadt bestand eine enge Verbindung,<br />

wie sie in unserer heutigen Welt kaum<br />

noch zu finden ist.<br />

Die breiten, teilweise mit Bäumen bestandenen<br />

Straßen luden zu Spaziergängen<br />

ein, und wie alle Stadtkinder bearbeiteten<br />

auch die kleinen Bürger Gehlenburgs<br />

die breiten Bürgersteige mit ihren<br />

Rollschuhen oder ließen ihre Kreises dort<br />

tanzen. Schaute man in die Höfe der<br />

Kaufleute, so konnte man dort die abgestellten<br />

Fuhrwerke der Bauern erblicken.<br />

Sie waren aus den Dörfern der Umgebung<br />

gekommen, um hier einzukaufen,<br />

Getreide mahlen zu lassen oder auch,<br />

um auf dem Marktplatz Vieh anzubieten.<br />

An Markttagen herrschte auf diesem riesigen<br />

Platz, dessen Bild von der so trutzig<br />

aussehenden Kirche und dem<br />

,Rathaus beherrscht wurde, ein lebhaftes<br />

Treiben, das auch Jugendliche anzog.<br />

Man sah hier nicht nur Leute aus der<br />

Stadt, sondern es war vor allem die<br />

Landbevölkerung, die diesem Tage ihr<br />

Gepräge gab. Landwirtschaftliche Erzeugnisse<br />

aller Art wurden angeboten,<br />

und darunter befanden sich in der entsprechenden<br />

Jahreszeit auch die Produkte<br />

aus den Wäldern der Umgebung: Pilze,<br />

Preißel- und Blaubeeren. War man<br />

vom Einkaufen, vom vielen Zuschauen<br />

und Umhergehen müde geworden, so<br />

konnte man sich in einer Konditorei der<br />

Umgebung erholen. An diesen Stätten<br />

ließen sich auch Kinder gern sehen, denn<br />

es sprach sich schnell herum, wo man<br />

die schönsten Liebesknochen bekommen<br />

konnte. Im Sommer wurde in den Stra-<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

ßen selbstverständlich auch Eis angeboten,<br />

und die Schulkinder waren über<br />

Preis und Qualität stets bestens informiert.<br />

Im alten Rathaus neben dem Marktplatz<br />

lag die Stadtbücherei. Hier fanden die<br />

Leseratten aller Altersstufen eine reiche<br />

Auswahl. „Onkel Toms Hütte”, „Robinson<br />

Crusoe” und „Die Abenteuer eines Schienenstranges”<br />

wurden hier ebenso gern<br />

gelesen wie überall in der Welt. Die Mittelschullehrerin<br />

Fräulein Müller leitete<br />

diese Bücherei und stand jedem<br />

Auskunftsuchenden mit Ratschlägen zur<br />

Verfügung.<br />

Ging man vom Markt die Bahnhofstraße<br />

entlang, so kam man am Jahndenkmal<br />

vorbei, das so manchen Jungen zum<br />

Klettern reizen konnte und auch zum<br />

Versteckspielen benutzt wurde. Noch<br />

beliebter war bei Kindern aber der hinter<br />

diesem Denkmal liegende Spielgarten,<br />

denn hier konnte man an den Turngeräten<br />

auf dem Rasen umhertollen und auf<br />

dem abschüssigen Gelände herunterrutschen<br />

oder im Gebüsch Räuber und<br />

Gendarm spielen. Selbst im Winter wurde<br />

der Spielgarten von Kindern aufgesucht,<br />

dann verwandelten sich die Abhänge<br />

nämlich in ideale Rodelbahnen.<br />

Diesem Spielplatz schräg gegenüber lag<br />

das Hotel „Königlicher Hof”, das über<br />

sehr große Räume verfügte, in denen ab<br />

und zu auch Veranstaltungen für Kinder<br />

und Jugendliche stattfanden. So hat wohl<br />

mancher Gehlenburger hier sein erstes<br />

Kasperletheater oder Variete gesehen.<br />

Ein weiterer Anziehungspunkt der Stadt<br />

war das Lichtspielhaus. Wenn es Jugendvorstellungen<br />

gab, standen meistens<br />

meterlange Schlangen vor dem<br />

Eingang.<br />

Wollte man einen längeren Spaziergang<br />

machen, ging man in den etwas abgelegenen<br />

Stadtpark. Kinder fanden in diesem<br />

Mischwald ein ausgezeichnetes Gelände<br />

für Indianer- und Räuberspiele<br />

vor. Hier konnte man auch Heilkräuter<br />

sammeln, was im Kriege zu den wichtigsten<br />

Pflichten aller Schulkinder gehörte.<br />

Diese Heilkräuter, wie Himbeer- und


15<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

Erdbeerblätter, mußten nach dem Pflücken<br />

vorschriftsmäßig an der Luft getrocknet<br />

und dann abgeliefert werden.<br />

Dicht neben dem Stadtpark lag der<br />

Sportplatz, zu dem die Jugend Gehlenburgs<br />

hinauspilgerte, um dort zu trainieren<br />

oder doch wenigstens den Übungen<br />

anderer zuzusehen. Regnete es, so suchte<br />

man Unterschlupf in den Umkleideräumen<br />

oder unter den Blätterdächern<br />

der Bäume, die den Platz an den Seiten<br />

begrenzten.<br />

Leider gab es in Gehlenburg keine Badeanstalt,<br />

doch der See in dem nahe gelegenen<br />

Mühlengrund hob diesen Mangel<br />

auf. Hier badeten die Gehlenburger an<br />

den heißen Sommertagen und ließen<br />

sich im weißen Sand des von Wald umsäumten<br />

Ufers braun brennen.<br />

Um im Winter eislaufen zu können,<br />

brauchte sich aber kein Gehlenburger<br />

Kind aus der Stadt hinauszubegeben,<br />

denn dazu konnte der zum Sägewerk<br />

Zander gehörende Mühlenteich benutzt<br />

werden, dessen Eis oft für Monate der<br />

Tummelplatz aller Schlittschuhläufer des<br />

Ortes war. Viele Kinder fegten sich ihre<br />

Bahnen mit einem eigens dazu mitgebrachten<br />

Besen selbst frei, so daß sie<br />

auch der Wind, der die Bahnen zuzuwehen<br />

drohte, nicht am Schlittschuhlaufen<br />

hindern konnte.<br />

Selbst das Skilaufen brauchte nicht zu<br />

kurz zu kommen. Die Teufelsberge, in<br />

Richtung des Dorfes Morgen gelegen,<br />

wurden von Kindern und Anfängern in<br />

dieser Sportart häufig aufgesucht. Außerdem<br />

konnte man auf den Abhängen<br />

dieser „Berge” gut rodeln.<br />

Was sich bei den Kindern der Stadt im<br />

Winter ebenfalls großer Beliebtheit erfreute,<br />

war das Anhängen von Rodelschlitten<br />

an die Pferdeschlitten der Bauern.<br />

Das Tau des Rodelschlittens wurde<br />

um die untere Querstange des Bauernschlittens<br />

geschlungen, und dann ließ<br />

man sich — oft ohne daß der Kutscher<br />

vorn es merkte — von den Pferden mitziehen.<br />

Da dieses Vergnügen bei lebhaf-<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

tem Verkehr auf den Straßen nicht ganz<br />

ungefährlich war, wurde dieses Anhängen<br />

von Rodelschlitten von den Lehrern<br />

häufig getadelt und sogar verboten.<br />

An diesen Jugendfreuden hatten nicht<br />

nur die Kinder Gehlenburgs teil, sondern<br />

auch alle die jungen Menschen, die aus<br />

den umliegenden Dörfern in die Stadt<br />

gekommen waren, um hier die Mittlere<br />

Reife zu erwerben. Im Sommer fuhren<br />

die meisten von ihnen mit dem Rad zur<br />

Schule, aber im Winter kamen sie nicht<br />

umhin, sich eine Pension zu suchen. Es<br />

gab viele Familien in Gehlenburg, die<br />

diese Landkinder aufnahmen; und wenn<br />

manchmal ein Schüler keine Unterkunft<br />

für den Winter finden konnte, machten<br />

die Lehrer Vorschläge und gaben Empfehlungen<br />

an Familien der Stadt. Die<br />

Pensionsmütter hatten mit der Aufsicht<br />

über diese Kinder eine wichtige Aufgabe<br />

übernommen. Um ihnen diese zu erleichtern<br />

und um der Freiheit der hier elternlos<br />

lebenden Kinder gewisse Grenzen zu<br />

setzen, versuchte Herr Rektor Grünberg,<br />

den Kindern für den Nachmittag eine<br />

bestimmte Zeiteinteilung zu geben. Bis<br />

16 Uhr durfte draußen gespielt werden,<br />

aber danach sollte man Schularbeiten<br />

machen. Diese Regelung wurde von den<br />

meisten Pensionskindern wohl auch eingehalten,<br />

denn Gehlenburg war klein,<br />

und ein Treffen zwischen Schülern und<br />

Lehrern in den Straßen der Stadt war<br />

nicht so ohne weiteres zu vermeiden.<br />

Die besondere Fürsorge der Lehrerschaft<br />

galt auch den Kindern, die wegen der<br />

Bombenangriffe aus westdeutschen<br />

Städten nach Ostpreußen gekommen<br />

waren. Wir nannten sie „Bombenkinder”<br />

und schlossen schnell Freundschaft mit<br />

diesen Schülern und Schülerinnen aus<br />

den Großstädten Deutschlands.<br />

Zu den besonderen Pflichten der Schulkinder<br />

gehörte in den Kriegsjahren, wie<br />

bereits erwähnt, nicht nur das Sammeln<br />

von Heilkräutern, sondern auch das Abliefern<br />

von Knochen und Altmetall. —<br />

Und wie es heute Patenschaften gibt für<br />

Schulen und Familien in Mitteldeutschland,<br />

so gab es damals Anschriften von


16<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

Frontsoldaten, an die Päckchen geschickt<br />

wurden. Gruppen junger Mädchen trafen<br />

sich an den Nachmittagen, um für diese<br />

Sendungen an die Front Kuchen zu backen<br />

oder Wollsachen zu stricken. — Eine<br />

weitere Aufgabe der Jugendlichen war<br />

die Pflege von Kriegsgräbern. Ostpreußen<br />

hatte viele Heldenfriedhöfe, und<br />

auch auf dem Gehlenburger Friedhof gab<br />

es eine Ruhestätte der Gefallenen des<br />

Ersten Weltkrieges. In die Pflege wurden<br />

nicht nur die Gräber deutscher Soldaten<br />

einbezogen, sondern auch die Ruhestätten<br />

russischer Kriegsteilnehmer.<br />

Von den Lehrern der Stadt werden allen<br />

Schülern wohl besonders Herr Rektor<br />

Grünberg, Fräulein Müller und Fräulein<br />

Hanefeldt im Gedächtnis geblieben sein.<br />

Herr Rektor Grünberg unterrichtete in<br />

den Hauptfächern Deutsch und Geschichte<br />

und war auf diesen Gebieten<br />

sehr anspruchsvoll. Er konnte selbst<br />

wunderbar erzählen und vortragen.<br />

Schlimm fanden wir Kinder es nur, daß<br />

er von uns auch einen entsprechend guten<br />

Vortrag von Prosastücken und Gedichten<br />

verlangte. So schlechte Zensuren,<br />

wie wir sie einmal beim Aufsagen<br />

von Storms „Abseits” (Es ist so still —<br />

die Heide liegt im warmen Mittagssonnenstrahle<br />

...) bekommen haben, hat es<br />

wohl selten gegeben.<br />

Fräulein Müller stammte aus Riga und<br />

hat uns viel vom Leben der Baltendeutschen<br />

erzählt. Nach dem Tode Rektor<br />

Grünbergs übernahm sie die Schulleitung,<br />

die sie bis zur Flucht innehatte. Für<br />

sie war es dann im Januar 1945 nicht<br />

das erstemal, daß sie vor den Russen<br />

fliehen mußte. Die Mathematiklehrerin<br />

Fräulein Hanefeldt hatte ihre Heimat in<br />

Hildesheim, und auch sie unterrichtete<br />

noch im Januar 1945 in Gehlenburg. Besonders<br />

eindrucksvoll war es für uns, als<br />

sie sagte, daß jeder Mensch in der<br />

schwersten Stunde des Vaterlands an<br />

dem Platz zu stehen habe, an den er gestellt<br />

worden sei.<br />

Die Gehlenburger Schule hat mit allen<br />

ihren Lehrern viel für die Erziehung der<br />

Jugend getan. Sie war einer der wichtig-<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

sten Faktoren innerhalb der Verhältnisse<br />

und Bedingungen, die das Leben Gehlenburgs<br />

bestimmten, und trug als solcher<br />

in entscheidender Weise zur Formung<br />

der dort wohnenden Menschen<br />

bei.<br />

Edith Grigo (Woinen)<br />

2411 Neuhorst über Mölln<br />

IIIg) Wölfe im Revier<br />

Von G. Schubert-Breitenheide<br />

Dusel. Man sagt ja wohl so — man sagt<br />

auch anders. — Aber in einem Jahr zwei<br />

Wölfe — das ist etwas anderes als Dusel.<br />

Vielleicht ist es sogar noch etwas mehr.<br />

Mein erstes Wolfserlebnis liegt nur zehn<br />

Monate zurück. Jeder wird mir glauben,<br />

daß es mir noch mit jeder Einzelheit in<br />

Erinnerung ist, schaut mich doch die<br />

damals erlegte Wölfin, die über meinem<br />

Schreibtisch hängt, täglich so gehässig<br />

und vorwurfsvoll an.<br />

Und nun kommt ein gleiches, noch interessanteres<br />

Erlebnis nach so kurzer Zeit<br />

hinzu. Gewiß erlebte ich inzwischen so<br />

manche nette Jagd hier in der wild- und<br />

abwechslungsreichen <strong>Johannisburger</strong><br />

Heide mitten in den mächtigen Wäldern<br />

Masurens. Aber was wollen sie alle gegen<br />

die Erlegung eines Wolfes besagen.<br />

Nicht, daß ich sie deshalb missen möchte.<br />

Bestimmt nicht! Aber sie werden so<br />

klein, so bescheiden dagegen. So konnte<br />

ich z. B. bis heute einen kapitalen Rehbock,<br />

dessen Krone infolge schändlichen<br />

Pechs meine Wand nicht ziert, noch immer<br />

nicht vergessen; doch geht's jetzt<br />

schon eher. Durch das größere Erlebnis<br />

ist diese Episode nun doch so fast verschmerzt.<br />

Es war am 22. Dezember<br />

1931. Durch die Förstereien Fuchswinkel<br />

und Eichhorst führte eine frische Wolfsfährte<br />

zu mir in die Försterei Breitenheide.<br />

Reichlich Schnee, gut zu spüren. Aus<br />

einem Jagen war der Wolf nicht wieder<br />

heraus. Und doch! Die Jagd war vergeblich,<br />

ich hatte ihn überspürt.<br />

Der 23. Dezember 1931. An der Grenze<br />

der Försterei Waldofen fährtete ich den<br />

Wolf wieder in meine Försterei zurück


17<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

fast in seiner alten Fährte. Nun aber los!<br />

Ein Jagen durch, zwei, drei, zehn! Auf<br />

einer Kulturfläche hatte er ein Stück<br />

Rehwild gehetzt, es war immer kreuz<br />

und quer gegangen. Endlich das letzte<br />

Jagen. Aber auch hier war er durch in die<br />

Nachbarförsterei Eichhorst.<br />

Wie verabredet trafen im gleichen Augenblick<br />

Kollege Sch. und ich zusammen.<br />

„Na, haben Sie den Wolf fest?”<br />

Noch hatte Sch. ihn nicht gespürt. Nun<br />

geht's gemeinsam an die Arbeit. Wieder<br />

ein Jagen umschlagen, das nächste. Hier<br />

ist er nicht heraus! In der kleinen Dickung<br />

soll er stecken? Kaum denkbar.<br />

Aber wir haben genau abgespürt; so<br />

muß es wohl stimmen. Vier Augen können<br />

ihn unmöglich überspürt haben. Also<br />

zur Försterei Eichhorst. „Unseren Freund<br />

Isegrim von gestern haben wir fest im<br />

Jagen 88.” — Der Treffpunkt wird verabredet,<br />

eine kurze Rast, und unsere<br />

Pferdchen müssen die Schlitten wieder in<br />

Bewegung setzen.<br />

„Kollege Sch., stellen Sie mich nicht dahin,<br />

wo ich Aussicht habe, zu Schuß zu<br />

kommen! Es soll jeder mal einen Wolf<br />

schießen.” „Gut, dann helfen Sie mir<br />

beim Einlappen!” Also geht's los. In weitem<br />

Abstand werden lautlos die Lappen<br />

abgerollt. Noch zweihundert Meter — da<br />

sind sie alle. - - „Bleiben Sie hier stehen!<br />

Ich hole schnell noch eine Rolle Lappen<br />

und die Schützen”, sagt Kollege Sch. zu<br />

mir. Schön! Ein Treiber steht neben mir.<br />

„Herr Förster, dort hinten läuft der Wolf”,<br />

flüstert mir dieser plötzlich zu, und schon<br />

sehe ich ihn in Richtung des bereits eingelappten<br />

Teiles. „Ganz ruhig! Er wird<br />

zurückkommen”, gebe ich ebenso leise<br />

zu verstehen. — Es vergehen ein, zwei,<br />

drei Minuten, da kommt er tatsächlich im<br />

Abstand von etwa 60 Metern an den<br />

Lappen entlang genau in Richtung auf<br />

die offene Stelle. Lappen und Schützen<br />

sind aber noch nicht da. Von halb rechts<br />

will er schräg an mir vorübertrollen. Bis<br />

auf etwa 150 Meter lasse ich ihn auflaufen,<br />

habe ihn gut im Fernrohr meiner auf<br />

diese Entfernung eingeschossenen Büchse.<br />

Jetzt oder nie. Im Schuß fliegt er<br />

vorn zusammen, wird aber sofort wieder<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

hoch. Repetiert! Auf etwa 80 Metern<br />

kommt er in vollen Fluchten an mir vorüber.<br />

Verd .. wieder nicht daran gedacht,<br />

daß ich auf diese Entfernung kurz halten<br />

muß! Überschossen! — Noch einige<br />

Fluchten, und schon verschwindet der<br />

Wolf in der Dickung, ehe ich noch einen<br />

dritten Schuß loswerden kann. Gerade<br />

werden die Schützen angestellt, da geht<br />

der Wolf vor dem anstellenden Kollegen<br />

Sch. nicht schußgerecht durch die Lappen.<br />

Pech!<br />

Aber der Schuß muß doch sitzen! Zunächst<br />

also zum Anschuß! Schweiß, immer<br />

mehr Schweiß und anhaltend. Aber<br />

wo sitzt nur die Kugel? Nach meinem<br />

Dafürhalten kann nur Vorderlaufschuß in<br />

Frage kommen. Aber dann noch so<br />

flüchtig? Na, das bleibt zunächst eine<br />

offene Frage; zu großen Überlegungen<br />

ist jetzt keine Zeit.<br />

Jetzt heißt es die Schweißfährte aufnehmen.<br />

Dies wird von zwei Schlitten übernommen.<br />

Die anderen fahren zu einem<br />

neuen Treffpunkt, in dessen Nähe sich<br />

der Wolf unter Umständen versteckt haben<br />

kann. Ein Jagen durch, zwei, vier!<br />

Immer noch schweißt der Wolf stark, so<br />

daß bald berechtigte Hoffnung aufkommt,<br />

er wird bald wieder fest sein.<br />

Schön daneben gehofft! Jetzt sind wir<br />

dicht am See. Wird er am hellen Tage<br />

über den hier etwa 600 Meter breiten<br />

Niedersee gegangen sein? Nein, er hat<br />

nur den Kopf über die Uferböschung gesteckt<br />

und wieder kehrtgemacht. Wieder<br />

lebt Hoffnung auf: wir werden ihn schon<br />

noch festbekommen. Immer parallel zum<br />

See zeigt uns der Schnee die roten<br />

Spritzer. Jetzt hat er sich's bequem gemacht;<br />

gut eineinhalb Kilometer ist er<br />

immer auf dem Weg geblieben. Und hier<br />

schweißt er wieder besonders stark; bereits<br />

auf 20 Meter kann man die<br />

Schweißfährte verfolgen. — Nun kommt<br />

aber der alte, bekannte Wolfspaß. Ob<br />

er's doch gewagt hat, über den See zu<br />

gehen? Ja, tatsächlich. Da ist er die<br />

Uferböschung hinunter; deutlich kann<br />

man die Schweißfährte noch eine große<br />

Strecke auf dem Eis verfolgen. Unsere<br />

Gesichter sind gerade nicht geistreich.


18<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

Was nun? Aus! Jagd vorbei! — Zwei volle<br />

Tage hat uns dieser Wolf in Atem und<br />

auf den Beinen gehalten und nun ist er<br />

uns doch noch entwischt. —<br />

Mir läßt der Wolf aber keine Ruhe auf der<br />

ganzen Heimfahrt; allerlei Gedanken gehen<br />

mir durch den Kopf; hast du richtig<br />

gehandelt mit deinem Schuß auf diese<br />

Entfernung? Hättest du es lieber darauf<br />

ankommen lassen sollen, ob er die offene<br />

Stelle gefunden hätte?? Nein, einen<br />

Vorwurf kann ich mir nicht machen. Aller<br />

Wahrscheinlichkeit nach hätte er sie gefunden.<br />

Und außerdem ändere ich daran<br />

ja nichts mehr. Die Kugel hat er, und<br />

daß sie nicht tödlich wirkte, ist eben<br />

Pech bei allem Dusel, den ich durch den<br />

Anlauf hatte. — Doch zu Hause angekommen,<br />

jagen sich die Gedanken<br />

munter weiter. Ans Telefon: „Kollege<br />

Sch., Kollege R., ich hätte große Lust,<br />

morgen in Kurwien dabei zu sein. Machen<br />

Sie mit?” „Ja!” „Also gut, morgen<br />

früh um sieben Uhr bin ich in Försterei<br />

Fuchswinkel; wir fahren dann nach E.<br />

Abgemacht!”<br />

In Eichhorst hatte Kollege Sch. schon<br />

seinen neuen Schlitten bereit. Aufgesessen<br />

und in flottem Trabe geht's über den<br />

800 Meter breiten Niedersee. Für den<br />

Einheimischen ist das ja etwas Alltägliches,<br />

für uns aber doch eine mulmige<br />

Sache. So recht trauen wir dem Frieden<br />

nicht; uns wird jedenfalls erst wieder<br />

wohler, als wir das andere Ufer erreichen.<br />

Auf kürzestem Wege geht's zunächst zur<br />

Oberförsterei Kurwien, die noch am gleichen<br />

Abend von unserem Mißgeschick<br />

verständigt war. In Jagen 207 soll der<br />

Wolf sein. Da ist aber keine Minute zu<br />

verlieren, wollen wir dabei sein, wenn es<br />

unserem alten Freund ans Leder geht. —<br />

Eine halbe Stunde Fahrt — Jagen 207.<br />

Aber nirgends ist ein Mensch zu sehen.<br />

Wir umfahren das Jagen. Ja, hier auf der<br />

Ostseite ist der Wolf in eine Dickung,<br />

aber — auf der entgegengesetzten Seite<br />

auch wieder heraus. Hier sind wir nun in<br />

der Luftlinie rund 12 Kilometer vom Anschuß<br />

entfernt, und noch immer<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

schweißt der Wolf! Nicht ganz so stark,<br />

aber immerhin noch sehr reichlich. Was<br />

sollen wir nun beginnen, da wir wirklich<br />

keine Zeit zu verlieren haben? Kurz entschlossen<br />

den frischen Schlittenspuren<br />

nach, aus denen ja bald genug deutlich<br />

hervorgeht, daß sie der Wolfsfährte folgen.<br />

Irgendwie müssen wir damit ja<br />

auch zu einem Ergebnis kommen. Und<br />

nun geht es wieder wie am Tage zuvor:<br />

ein Jagen, zwei, vier und immer mehr!<br />

Und immer durch die herrlichen Kiefern-<br />

und Fichtenaltholzbestände. Fährten fast<br />

aller Wildarten werden gekreuzt, hier ein<br />

Rudel Rotwild, dort eine Rotte Sauen,<br />

starke Hirsche, Mutterwild. Alles, was ein<br />

rechtes Jägerherz nur erfreuen kann,<br />

bergen diese unendlichen Forsten Masurens.<br />

Und dann immer wieder die Fährte<br />

des angeschweißten Wolfes! Jetzt noch<br />

eine Jagenreihe, und wir sind schon an<br />

der Grenze der nächsten Oberförsterei<br />

Purden. Da, in das Jagen 192 spürt sich<br />

der Wolf von Nordosten her hinein und<br />

nicht wieder hinaus! Hier also hat er sich<br />

endlich gesteckt in einer etwa 15 Hektar<br />

großen zwölf-jährigen Kieferndickung,<br />

und, der bereits vereisten Fährte nach zu<br />

urteilen, bereits gestern abend, spätestens<br />

in der ersten Hälfte der Nacht.<br />

Uns drei bleibt nun kein anderer Ausweg,<br />

als auf dem schnellsten Wege zur nächsten<br />

Försterei. Aber auf halbem Wege<br />

kommt uns schon ein Grünrock entgegen,<br />

der uns schnell darüber unterrichtet,<br />

daß die Jagd auf 11.30 Uhr festgesetzt<br />

ist. Also kehrtgemacht und zum<br />

Treffpunkt! — Im Laufe einer halben<br />

Stunde haben sich 12 Schützen versammelt,<br />

und nach kurzer Besprechung<br />

wird das Jagen lautlos umstellt, zwei<br />

Treiber werden auf den Einwechsel gebracht.<br />

Mir wird ein sehr aussichtsreicher Posten<br />

zugewiesen als rechter Nachbar des auf<br />

den Paß gestellten Schützen. Schußfeld<br />

bietet ein etwa 6 Meter breites Gestell;<br />

vor mir ein etwa 60 Meter breiter Stangenholzstreifen<br />

mit Fichten stark unterbaut<br />

auf der Rückseite der Dickung.<br />

Hundert Meter rechts von mir der nächste<br />

Schütze, links 80 Meter Schußfeld bis


19<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

zur Jagenecke. — Ich kann nicht behaupten,<br />

daß ich mich auf meinem Stande<br />

sehr wohl gefühlt hätte, zumal ich nur<br />

die Büchse zur Verfügung hatte. Vor mir<br />

hatte ich zwar schwache Einsicht in das<br />

Stangenholz, aber für einen sicheren Kugelschuß<br />

auf den trabenden oder gar<br />

flüchtigen Wolf gar keine Möglichkeit. Ich<br />

will meine geheimsten Gedanken darum<br />

auch gar nicht verschweigen; sie endeten<br />

immer wieder in dem Schluß: hoffentlich<br />

kommt dir der Wolf nicht! Hier<br />

mußt du _Mit größter Wahrscheinlichkeit<br />

vorbeischießen. — Aber was konnte das<br />

alles helfen? Schnell noch ein paar sichthindernde<br />

Zweige beseitigt, und nun<br />

mag es kommen wie es will!<br />

Ich stehe wie angewurzelt, den Finger -<br />

am Abzug. Nur der Kopf geht so unmerklich<br />

wie möglich von links nach<br />

rechts und wieder zurück. Eine Viertelstunde<br />

mag so vergangen sein, da bewegt<br />

sich von halbrechts lautlos ein<br />

grauer Schatten auf mich zu: der Wolf,<br />

wie ich auf einer kleinen Blöße feststellen<br />

kann. Auf 20 Meter will er nach links an<br />

mir vorüber. Gerade mir gegenüber muß<br />

ich ihn leidlich freibekommen und gehe<br />

vorsichtig In Anschlag. Im gleichen Augenblick<br />

aber — ich habe die Büchse gerade<br />

am Kopf, verhofft er und äugt mich<br />

an, und eine Sekunde später ist auch<br />

schon die Kugel raus. Gerade Blatt und<br />

Kopf waren frei, sonst nichts.<br />

Im Knall verschwindet der Wolf wie ein<br />

Blitz meinen Blicken, und höchstens zwei<br />

bis drei Sekunden später: ein lauter<br />

Krach, brechende Zweige. Blitzschnell<br />

gehe ich auf dem Gestell in Anschlag;<br />

aber es kommt kein Wolf, es knallt nicht<br />

beim Nachbarn. Totenstille! — Ich vermag<br />

das alles hier nicht annähernd so<br />

schnell wiederzugeben, geschweige denn<br />

niederzuschreiben, wie es sich in Wirklichkeit<br />

abgespielt hat. Als ob ein Spuk<br />

vorübergegangen wäre!<br />

So ganz allmählich kam mir denn auch<br />

zum Bewußtsein: ja, der Wolf muß doch<br />

liegen' — Da stand ich auch gleich darauf<br />

vor einem Prachtexemplar von Wolf. Mit<br />

welchen Empfindungen, kann man nur<br />

schwer beschreiben. Für den Jäger jedenfalls<br />

eine unbeschreibliche über ein<br />

solch Waidmannsheil, über solchen Dusel!<br />

Oder soll man das etwa anders bezeichnen?<br />

— Ausgerechnet mir kommt<br />

der Wolf wieder, der ich ihn am Tage<br />

etwa 15 Kilometer davon entfernt krank<br />

geschossen hatte! Und was dort nicht<br />

glückte, glückte hier: Der gute Blattschuß<br />

war noch eine besondere Genugtuung.<br />

Hätte mich allerdings kurz nach<br />

dem Schuß jemand gefragt, wo die Kugel<br />

sitzt, ich hätte mit dem besten Willen<br />

nicht sagen können, ob auf dem Wolf<br />

oder daneben. Es ging alles zu schnell!<br />

Mein freudiges „Hallo, Wolf tot” wird sich<br />

jeder vorstellen können. — „Mensch, haben<br />

Sie aber Dusel — gratuliere —<br />

kommt hierher und schießt schon den<br />

zweiten Wolf! Was haben Sie nur für eine<br />

merkwürdige Witterung an sich!” —<br />

Kopfschütteln, Freude, ein bißchen Neid!<br />

Alles durcheinander! Ja, wer Dusel hat!<br />

—<br />

Daß mir dieser Heiligabend 1931 nicht so<br />

leicht aus dem Gedächtnis schwinden<br />

wird, ist wohl anzunehmen. Gibt es für<br />

einen Jäger ein schöneres Weihnachtsgeschenk?<br />

Der Wolf, ein Rüde, wog 40 kg. Seine<br />

Gesamtlänge betrug einschließlich Rute<br />

1,70 m, die Schulterhöhe 82 cm. — Die<br />

erste Kugel hatte den mittleren Zehenknochen<br />

des linken Hinterlaufes durchschlagen.<br />

Anmerkung:<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

*<br />

Der Wolf, der bis zur Vertreibung in der<br />

<strong>Johannisburger</strong> Heide nur als Wechselwild<br />

vorkam, ist nun Standwild geworden.<br />

Die jagdlichen Verhältnisse haben<br />

sich dadurch grundlegend geändert. Das<br />

Rehwild hat [sich zahlenmäßig bedeutend<br />

verringert. Es ist jetzt sehr heimlich.<br />

Die Bejagung erfordert viel jagdliches<br />

Können und Geschick.<br />

Auch das Rotwild hat sich durch das Vorhandensein<br />

des Wolfes umgestellt. An


20<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

Zahl hat es abgenommen. Die Bejagung<br />

ist ebenfalls schwieriger geworden.<br />

Von der Niederjagd liegen hier keine authentischen<br />

Mitteilungen vor.<br />

IIIh) Wer kennt dieses Kurhaus?<br />

Es ist das Kurhaus Wiartel in der Johanisburger<br />

Heide und erinnert viele <strong>Johannisburger</strong><br />

an dort verlebte frohe<br />

Stunden. Mit Schulen und Vereinen oder<br />

auf Radausflügen in kleinem Kreise war<br />

dieses Kurhaus oft das Ausflugsziel. Auch<br />

wurde in diesem Kurhaus der so beliebte<br />

und allseits bekannte Mokkalikör „Kosakenkaffee”<br />

geboren. Dieser Likör versetzte<br />

Herrn Krisch, jetzt in<br />

Preetz/Holstein, in die Lage, uns öfter<br />

Deine Spende<br />

mit einer namhaften Spende zu unterstützen.<br />

Dafür danken wir ihm mit einem<br />

Prösterchen mit Kosakenkaffee.<br />

Da Sorgen und Likör zusammengehören,<br />

will ich gleich von meinen Sorgen als ihr<br />

Geldverwalter zu meinen Landsleuten<br />

sprechen. Die Aufgaben der Landsmannschaft<br />

sind nicht geringer geworden,<br />

aber die Kosten vor allem an Porto und<br />

auch der Druck dieses <strong>Heimatbrief</strong>es<br />

sind bedeutend gestiegen. Für viele ist<br />

die Registrierung in unserer Heimatkartei<br />

die letzte Verbindung zu Johannisburg<br />

und einer glücklich verlebten Jugendzeit.<br />

Und aus dieser Heimat zu stammen, sind<br />

Sie sicher stolz. Wenn auch viele sich<br />

bisher von mir angesprochen fühlten und<br />

uns mit einer Spende unterstützten, so<br />

legten doch auch viele meine Zahlkarte<br />

achtlos beiseite. An diese wende ich<br />

mich heute mit der Bitte: Sagen Sie:<br />

„So, Mutter, diesmal zahle ihm auch etwas<br />

ein.” (Postscheckamt Hannover,<br />

Konto Nr. 343 18, der Kreissparkasse<br />

Gifhorn, Konto 100 351). Und dafür<br />

dankt Ihnen schon heute<br />

Ihr Geldverwalter<br />

Rudolf Niederhausen,<br />

Sparkassenamtmann<br />

317 Gifhorn, Breslauer Straße 23<br />

für den <strong>Heimatbrief</strong>!<br />

www.Kreis-Johannisburg.de


21<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

Die Heimat heute im Bild<br />

Johannisburg - östliche Seite des Markt-<br />

platzes. Früher Apotheke Niegel und<br />

Juwelier Weykam<br />

Johannisburg – Haus der Kultur.<br />

Alter Standort des Hotels „Graf-Yorck“.<br />

Marktseite gegenüber dem Rathaus.<br />

Im Hintergrund der Kirchturm.<br />

Johannisburg – Kirche von der Königsber-<br />

ger Straße aus. Die Geschäftshäuser, die<br />

davor standen, sind nicht wieder aufgebaut.<br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

Johannisburg – Einmündung der Bahnhofs- in<br />

die Königsberger Straße (früher Ecke Fleischerei<br />

Skrotzki). Im Hintergrund der Kirchturm<br />

Johannisburg – Internat des Lyzeums.<br />

Arys – Campingplatz am Aryssee.<br />

Diese Hütten werden vom Reisebüro<br />

an Touristen vermietet.


22<br />

Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V. – <strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>1967</strong> (Abschrift)<br />

www.Kreis-Johannisburg.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!