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Fahren
Nacht-Schwärmer
Die Nacht ist wie gemacht für kleine und große Fluchten. Wenn die Neonsonnen
strahlen, beginnt das Herzflimmern. Projektionen, Impressionen,
auch Irritationen – die nie vorhersehbare Mischung macht jede Nachtfahrt
zu einem besonderen Erlebnis. Licht-Maschine Boxster.
Text
Elmar Brümmer
Fotografie
Uli Heckmann
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Guten Abend, gut’ Nacht? Nein, dies wird kein Schlaflied, eher ein Weckruf.
Wir warnen Sie lieber gleich, diese Geschichte irrlichtert ganz bewusst.Wer
mit auf die Fahrt zwischen Hell und Dunkel geht, ist nicht verloren
– er hat sogar gute Chancen, sich selbst zu finden. Die Nacht ist eine
ewige Spirale, der Boxster dient als willkommener Beschleuniger für die
Herausforderungen, die jenseits der Dämmerung liegen.
Gedanklich nehmen wir die Spur von Eileen Gray auf, einer Irin von erlesenem
Geschmack, die ihre Inspiration aus Spritztouren im Sportwagen
durch das nächtliche Paris bezog, einen schwarzen Panther als Beschützer
für den Großstadtdschungel neben sich. Die Architektur der Nacht hatte
Einfluss auf ihre Entwürfe, die von Klarheit bestimmt sind. Aller Ballast
blieb im Dunkeln auf der Strecke.
Der Spaß am Autofahren hat natürlich etwas mit Stimmungen zu tun.
Heute stellen wir GPS-System, uns selbst und die Nacht in Frage: Muss
denn alles ein Ziel haben? Navi aus, Gedanken an. Vielmehr leiten uns Beobachtungen,
auch die Gefühle. „Ich habe die Seele der Stadt entblättert“,
beschrieb der New Yorker Fotograf Weegee seine Arbeit, die er hauptsächlich
nachts verrichtete. Der Mann wurde berühmt mit seinen Schwarz-
Weiß-Bildern aus dem Leben. Er hat einfach die Augen und die Linse aufgemacht.
Alles bekommt eine gesteigerteWirkung in der Nacht. Man muss
sich nur darauf einlassen. Merke: Träume wollen gelebt werden. Die Nacht
in der Stadt besitzt dazu ein einmaliges Patent, sie erfindet sich immer
wieder aufs Neue. Um nach der blauen Stunde nicht den Blues zu bekommen,
muss man sich nur vergegenwärtigen, dass die Nacht, die vor einem
liegt, keine Garantie für ihre Versprechen gibt. Sie zeigt nur Möglichkeiten.
Die Dunkelziffer bleibt hoch.
Das Licht malt uns die Nacht aus. Und schon sind wir mitten drin in der
schillernden Entkräftung des Vorurteils, dass nachts alle Katzen grau sind.
Die Nacht hat einfach nur andere Farben. Und ist garantiert nichts für
Schwarzseher. Das Kaleidoskop der kräftigen Blautöne, die sich aus dem
zarten Rosa der Dämmerung mischen. Es gibt wenig Betörenderes, und
dennoch ist es bloß ein optisches Vorspiel für das Geheimnisvolle.
Wir kennen noch nicht die Adressen, zu denen uns 3,4 Liter Hubraum
treiben lassen, aber wir wollen voran. Denn Nacht hat viel mit Sehnsucht zu
tun. Das ist nichts für notorische Schwarzseher. Sondern für alle, deren
Seele gern Überstunden macht, um ganz bewusst dem Zauber der Nacht zu
verfallen. Den glühenden Verehrern der Theorie, dass die Nacht Flügel verleiht.
Ein Drittel seines Lebens verschläft der Mensch ohnehin. Deshalb gilt
es die Entdeckermentalität wecken, die in uns allen wohnt. Die Dunkelheit
ist ein Kontinent, der durchquert werden will. Wenig wirkt so verlockend
wie eine Serie grüner Ampeln über einem nächtlichen Boulevard. A
„Neon Tigers“
Kleine Bettlektüre zu Asiens Megastädten
Bangkok, Kuala Lumpur, Hongkong, Shanghai, Jakarta, Singapur und
Shenzhen verschmelzen in den großformatigen Farbfotografien von
Peter Bialobrzeski zu einer einzigen virtuellen Megastadt – echte Momentaufnahmen
des urbanen Wachstums, die aber nicht mehr als reale Welt
wahrgenommen werden. Ein preisgekröntes Werk.
Hatje Cantz Verlag, 2004, 112 Seiten, ISBN 3-7757-1394-8, Euro 39,80
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City-Lights:
Die besten Reviere für Nachtschwärmer – von der Rennbahn bis zum Observatorium
HONGKONG
Im Happy Valley der Stadt suchen die Nachtschwärmer ihr
Glück – auf dem Rücken der Pferde. Dort ist der 1884
gegründete Hong Kong Jockey Club zu Hause, die Nachtrennen
zwischen den steilen Tribünen rund um die gleißend
beleuchtete Galopprennbahn garantieren ein volles Haus
und höchste Umsätze.
www.hkjc.com ⁄ english
Lediglich der Anflug über den Lichterteppich einer Stadt hält
dieser Faszination stand. Allerdings verschafft einem das Cockpit
des eigenen Sportwagens die noch bessere Perspektive. Fahrer
können das, was dem Flugzeugpiloten verwehrt wird: eintauchen
in die City, jede Faser erfahren. Egal, ob sie nun Stuttgart oder
Los Angeles heißt. Es gibt eben nicht nur eine Stadt auf der Welt,
die nie schläft. Aber viele, die auf einen Dialog mit Scheinwerferpaaren
warten, wie wir ihn in Rotterdam gesucht haben, begleitet
vom Night-Talk im niederländischen Rundfunk. Unsere Zwiesprache
mit Straßen und Gebäuden mag zwar stummer gewesen
sein, aber intensiver. Vielleicht fühlen sich vom Berufsverkehr befreite
Metropolen ja auch ein bisschen einsam? Typische Nachtgedanken.
Light on earth, die Illumination ist kein Zufall. Seit dem Segen der
Elektrizität ist der Wunsch gewachsen, sich ins rechte Licht zu
rücken. Stadtfein gemacht, wollen wir etwas vom großen Glanz
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LOS ANGELES
Der Himmel in der Kuppel des Griffith-Observatoriums ist künstlich,
aber dafür liegt einem draußen das Universum der Lichter von
L.A. zu Füßen. Das Wahrzeichen auf dem Mount Hollywood wird im
Jahr von zwei Millionen Menschen besucht. Die meisten dürften
Filmfreunde sein, denn das Art-déco-Gebäude spielte als Kulisse
eine dramatische Rolle im James-Dean-Klassiker „Denn sie wissen
nicht, was sie tun“. www.griffithobs.org
abbekommen, oder uns spiegelnd messen. Die Zahl der Gleichgesinnten
ist groß. Wir sind Beobachter und Mitwirkende zugleich
im aktuellen Stück des großen Neontheaters. Die Nacht wird zur
Bühne, sie liefert den schwarzen Vorhang für das Schauspiel der
Farben. Jeden Abend eine neue Premiere. Ein steter Rausch der
Farben, eingefangen vom kühlen Schweif der Scheinwerfer.
Die Nighthawks, die Edward Hopper zu Ikonen gemalt hat, entfliehen
ihrem Rahmen. Schluss mit der meditativen Betrachtung,
Nachtfahrten jenseits der Müdigkeit strotzen vor Lebensfreude.
Es ist eine Reise gegen die Einsamkeit, mitten ins Leben. Mitten
in die Stadt, wo die Traumwelt real wird – und mitten ins Herz.
Die Dunkelheit erlaubt uns Fluchten. Wir sehen anders, nehmen
anders wahr. Meistens intensiver. Wenn draußen nicht mehr alles
klar erscheint, wird einem vieles klarer. Deshalb müssen trübe
Gedanken unbedingt hinter sich gelassen werden. Dunkle Seiten
entdecken muss nicht zwingend etwas Schlimmes haben. Selbst A
Christophorus 326
City-Lights:
Die besten Reviere für Nachtschwärmer – von der Safari bis zur Kiez-Tanke
SINGAPUR
Hat als asiatische Metropole natürlich einen Nachtmarkt, aber
noch spannender ist der Nacht-Zoo. Die 40 Hektar Urwald stehen
dem Großstadtdschungel in nichts nach. Mehr als 1000 Tiere
lassen sich bei der Night-Safari, an die sich ein Dinner anschließt,
in beinahe freier Wildbahn erleben. Nur geblitzt werden darf nicht –
zum Schutz der nachtaktiven Spezies.
80 Mandai Lake Road, www.zoo.com.sg
Fledermäuse sind, genauer betrachtet, einfach nur nachtaktive
Wesen. „Wie viele Städte habe ich mitten in der Nacht gesehen“,
fragt der Schriftsteller Vladimir Nabokov, um dann zu diagnostizieren:
„Die Neonlichter flackerten halb so schnell wie mein
Herz…“ Zur Nacht gehören auch Dinge, die sich rein wissenschaftlich
betrachten lassen, das Kurvenlicht zum Beispiel.
Aber verlockender noch erscheint die philosophische Betrachtung,
die keinerlei Grenzen setzt. In diesem Ungewissen liegt der
besondere Reiz. Reisen durch die Nacht geraten, ganz bewusst
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HAMBURG
Sprit bekommt man an der „Kieztanke“ direkt an Hamburgs
sündigster Meile natürlich auch. Eigentlich gibt es hier sowieso
nichts, was es nicht gibt – egal ob für Menschen oder Motoren.
Aber die meisten kommen ohnehin, um die illustre Kundschaft, ein
Querschnitt durch die ganze Gesellschaft, zu erleben. Der Andrang
ist so groß, dass die Tankstelle einen eigenen Ordnungsdienst
beschäftigt. Reeperbahn ⁄ Ecke Taubenstraße, Stadtteil St. Pauli
angetreten, zu beinahe spirituellen Erlebnissen – die zurückgelegten
Distanzen, das Tempo, die Umwege spielen keine Rolle.
Der eigene Rhythmus umso mehr.
Willkommen im Kreisverkehr der Gefühle. Auch die Choreographie
der Straße verändert sich bei Nacht. Verwischt sich wie der
Schweif der Rücklichter vor und nach einem. Alle werden zu
Glühwürmchen, deshalb sind Städte besonders anziehend, wenn
sie strahlen. Metropolen schaffen Reflexe und rufen welche hervor.
Zappenduster ist es nie. Die Inszenierungen am Straßenrand A
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gewinnen an Bedeutung, bilden einen Sicherheit gebenden Wall
aus Licht. Leuchtreklamen preisen das Leben und die Lust,
fordern korrekt zusammengezogen die Lebenslust heraus. Nacht-
Patrouille. Blenden und überblenden. Das Licht macht einem die
Nacht zum Verbündeten.
Nacht-Geschichten sind die Geschichten einer leuchtenden Bewegung.
Plastisch gemacht in der Boomtown Shanghai, wenn
sich die Schwärze zwischen den Turmbauten breitgemacht hat.
Die chronisch verstopften Highways der chinesischen Metropole
wirken plötzlich ganz anders, das Gewirr der Hochstraßen wird
– wo immer möglich – von unten blau illuminiert. Die Straßen
wirken dann wie das Geflecht von Lebensadern in einem riesigen
Körper. Fahrbahnen werden zu Blutbahnen. Phantasie-voll.
Als Nachtschwärmer im Boxster steuern wir unseren eigenen
Film, eine Breitwand hinter Sicherheitsglas. Die ganze Stadt vor
uns gerät zu einem einzigen Lichtspielhaus, auf den Leuchtspuren
von Martin Scorseses „Taxi Driver“. Nur dass unser Kreuzzug
friedlicher ist als der von Robert de Niro, aber mit einer ähnlich
rasenden Belichtungszeit. Die Nachtfahrt ist die Summe vieler
flüchtiger Momente, die Vergänglichkeit fährt immer mit. Mit
einem Schlag ist es hell. Das Gegenteil von Nachtleben wäre übrigens
Tagtod. Seltsam, nicht?
Die Wahrheit liegt irgendwo da draußen.
Warte, bis es dunkel wird.
B
City-Lights:
Von Chinatown ins Gericht
Christophorus 326
NEW YORK
Was die Justiz in Manhattan tagsüber an Kleindelikten nicht verhandeln
kann, wird vom Night Court in den Sälen 129 und 130 des Justizpalastes
an der Centre Street erledigt – unter reger Anteilnahme des
Publikums. Gleich um die Ecke von Chinatown werden die Urteile
zwischen 18 Uhr abends und ein Uhr morgens im Minutentakt gefällt.
Achtung: Waffenkontrolle bei den Besuchern!
100, Centre Street, www.nycourts.gov
Recherchen: Felix Krohmer
Lieder für eine gute Nacht hinterm Steuer
Für den stimmungsvollen Beginn:
BLUE, Lucinda Williams
Für den richtigen Rhythmus:
CROCKETT’S THEME, Jan Hammer
Für die Kreuzfahrt im Cabrio:
IN THE AIR TONIGHT, Phil Collins
Für Stadtneurotiker:
NEW YORK, NEW YORK,
Frank Sinatra
Für schlafwandlerische Sicherheit:
MOON RIVER, Henry Mancini
Für den Richtungsgeber:
DRIVER’S SEAT, Sniff’N’the Tears
Für Nachtsüchtige:
NIGHTFEVER, Bee Gees
Für Bewegungstalente:
TWISTIN’ THE NIGHT AWAY,
Leo Night & The Moonlighters
Für den Alltag:
NIGHTSHIFT, Commodores
Für alle, die durchhalten müssen:
ALL NIGHT LONG, Lionel Richie
Fürs Hochgefühl:
DOWNTOWN, Petula Clark
Für die Fahrt in den
Morgengrauen:
ONE OF THESE MORNINGS, Moby
Für alle, die nie genug bekommen
können:
ONE MORE NIGHT, Phil Collins