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Bertolt Brechts Berlin - Journal für die Apotheke

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AKTIV<br />

REISEN & ERLEBEN<br />

<strong>Bertolt</strong> <strong>Brechts</strong> <strong>Berlin</strong><br />

<strong>Berlin</strong> meint jeder zu kennen: Brandenburger Tor, Reichstag, Unter den Linden,<br />

Museumsinsel, Potsdamer Platz. Die Mauer ist weg, <strong>die</strong> Kriegsschäden sauber<br />

geflickt. Selbst das kaiserzeitliche Stadtschloss wird in wenigen Jahren als Humboldt-Forum<br />

wieder auferstehen. Eine geschichtsnegierende Disneyland-Fassade,<br />

kritisieren manche nicht zu Unrecht. Dem älteren <strong>Berlin</strong> kann man sich zwar durch<br />

Checkpoint Charly, Museum der DDR oder Topographie des (NS-)Terrors annähern,<br />

man kann sich aber auch selbst auf <strong>die</strong> Suche machen: Etwa durch eine<br />

<strong>Berlin</strong>-Besichtigung auf den Spuren <strong>Bertolt</strong> <strong>Brechts</strong>.<br />

Er hörte „Trommeln in der Nacht“ und schlug sich<br />

durch das „Dickicht der Städte“, schrieb eine Spar-Oper<br />

<strong>für</strong> drei Groschen und ver<strong>die</strong>nte damit nicht schlecht.<br />

Mit Lehrstücken wollte er in den „Goldenen Zwanzigern“<br />

das Bewusstsein verändern, veränderte aber zumindest<br />

<strong>die</strong> deutsche Theaterlandschaft und machte ordentlich<br />

Radau auf den Brettern, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Welt bedeuten. Inzwischen<br />

hat sich <strong>die</strong> Welt ein paar Runden weiter gedreht<br />

und der Revolutionär und humanistische Weltverbesser<br />

ist ein bisschen in Vergessenheit geraten. In der Stadt<br />

<strong>Berlin</strong>, <strong>die</strong> er kulturell so geprägt hat, hat er jedenfalls<br />

einen Platz <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ewigkeit gefunden, um den man ihn<br />

<strong>Berlin</strong>s gute Stube – der Gendarmenmarkt,<br />

vielfach als der schönste Platz<br />

der Stadt gepriesen.<br />

Brecht-Denkmal von Fritz Cremer vor<br />

dem <strong>Berlin</strong>er Ensemble<br />

fast beneiden könnte, wollte man nicht selbst noch ein<br />

paar Jährchen auf dem Erdenrund weilen. Die Rede ist<br />

von <strong>Bertolt</strong> Brecht. Seine letzte Ruhestätte fand er auf<br />

dem Dorotheenstädtischen Friedhof, neben seiner Frau<br />

Helene Weigel.<br />

FRIEDHOF DER GEISTESGRÖSSEN<br />

Der Dorotheenstädtische Friedhof ist ein verschwiegenes<br />

Kleinod inmitten der Stadt, gar nicht weit weg<br />

von der belebten Friedrichstraße und dem Trubel von<br />

<strong>Berlin</strong>-Mitte, aber relativ unbekannt und in den gängigen<br />

Reiseführern nur am Rande vermerkt. Dabei ist<br />

44 <strong>Journal</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Apotheke</strong> 1 · 2013


der kleine, idyllisch-grüne Friedhof eigentlich<br />

ein Kulturgut ersten Ranges, denn <strong>die</strong><br />

Namen derer, <strong>die</strong> hier zur letzten Ruhe<br />

gebettet wurden, lesen sich wie ein „Who<br />

is who“ der deutschen Geistesgeschichte.<br />

Unter Friedrich dem Großen wurde der<br />

Friedhof außerhalb der damaligen Zollmauer<br />

vor dem Oranienburger Tor angelegt,<br />

ein gesondertes Areal war der Hugenotten-<br />

Gemeinde vorbehalten, weshalb sich auch<br />

der Name „Französischer Friedhof“ einbürgerte.<br />

Schon Größen aus den Epochen von<br />

Klassik und Romantik wurden hier bestattet,<br />

wie etwa Fichte, Hegel oder der preußische<br />

Baumeister Karl Friedrich Schinkel.<br />

Im Laufe der Zeit wurde der Friedhof immer<br />

mehr zur Nekropole von Intellektuellen,<br />

Künstlern, Schauspielern, Wissenschaftlern<br />

und Politikern. Brecht, Heinrich Mann,<br />

Anna Seghers, Johannes R. Becher, John<br />

Heartfield, Stephan Hermlin, Heiner Müller,<br />

Christa Wolf – <strong>die</strong> Häufung von Namen<br />

aus der Kulturaristokratie der DDR fällt ins<br />

Auge und dokumentiert <strong>die</strong> Lage im Ostteil<br />

der Stadt. Nach der Wiedervereinigung sind<br />

jedoch auch prominente „Wessis“ hinzugekommen,<br />

wie der 68er-Kommunarde Fritz<br />

Teufel, der Philosoph Herbert Marcuse oder<br />

Alt-Bundespräsident Johannes Rau.<br />

Brecht übrigens hatte <strong>die</strong> eigene Vergänglichkeit stets<br />

vor Augen, wohnte er doch in den 50er Jahren unmittelbar<br />

neben dem Friedhof. Sein Wohnhaus in der Chausseestraße<br />

ist heute eine Gedenkstätte, <strong>die</strong> eher spärlich von<br />

Literaturfans besucht wird. Für den Besucher umso besser,<br />

hat man doch so <strong>die</strong> Gelegenheit, sich <strong>die</strong> durchaus<br />

großzügigen Wohn- und Arbeitsräume des Theaterpio-<br />

1 · 2013 <strong>Journal</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Apotheke</strong><br />

REISEN & ERLEBEN<br />

niers in aller Ruhe anzuschauen, einen Blick<br />

auf <strong>die</strong> Buchrücken in der Bibliothek zu werfen<br />

(Brecht liebte Kriminalromane!) und <strong>die</strong><br />

Museumsführerin zu befragen. <strong>Brechts</strong><br />

Haus war seinerzeit ein Arbeitstreffpunkt<br />

<strong>für</strong> Schauspieler, Regisseure und Dramaturgen,<br />

lag doch das von ihm geleitete <strong>Berlin</strong>er<br />

Ensemble nur wenige Straßenzüge<br />

entfernt am Schiffbauerdamm. Damals war<br />

sein Theater in mehrfacher Hinsicht eine<br />

Provokation. Es war ein Aushängeschild <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> sozialistische Kultur der DDR nahe der<br />

Sektorengrenze nach West-<strong>Berlin</strong>, andererseits<br />

war Brecht keineswegs systemkonform,<br />

sondern bewahrte zu den SED-<br />

Bonzen ein Verhältnis kritischer Solidarität.<br />

Den österreichischen Pass, den er nach<br />

seiner Rückkehr aus dem amerikanischen<br />

Exil bekommen hatte, behielt er vorsichtshalber<br />

auch als Ostberliner Theaterintendant.<br />

Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni<br />

1953 wurde das Verhältnis zwischen Brecht<br />

und den Parteioberen ziemlich frostig, denn<br />

Brecht schrieb einen mahnenden Brief, der<br />

stark zensiert und missverständlich veröffentlicht<br />

wurde. Sarkastisch kommentierte<br />

er in einem Gedicht: „Wäre es da nicht doch<br />

einfacher, <strong>die</strong> Regierung löste das Volk auf<br />

und wählte ein anderes?“<br />

BERLIN MACHT SICH FEIN<br />

Man kann es fast als Gnade betrachten, dass Brecht<br />

1956 starb und den Mauerbau fünf Jahre später nicht<br />

mehr erleben musste. Die Vision einer brüderlichen<br />

und gerechten Gesellschaft, <strong>die</strong> viele Intellektuelle und<br />

Schriftsteller nach Nazi-Terror und erzwungenem Exil<br />

bewogen hatte, in <strong>die</strong> DDR überzusiedeln, war damit<br />

AKTIV<br />

Der Dorotheenstädtische<br />

Friedhof ist eine Insel der<br />

Ruhe im Getriebe der<br />

Metropole. Neben <strong>Bertolt</strong><br />

Brecht und Helene<br />

Weigel sind viele weitere<br />

Prominente hier bestattet<br />

wie Heinrich Mann,<br />

Anna Seghers und<br />

Johannes Rau (Bildreihe<br />

von oben nach unten).<br />

45


AKTIV<br />

Hausfassade im Prenzlauer Berg, zu<br />

lesen auch als Widerstand gegen <strong>die</strong><br />

Gentrifizierung des Viertels.<br />

REISEN REISEN & ERLEBEN<br />

gescheitert und moralisch bankrott. Vom „antifaschistischen<br />

Schutzwall“, wie <strong>die</strong> Mauer beschönigend getauft<br />

wurde, sind heute nur noch kümmerliche Reste übrig.<br />

Selbst das Kulturdenkmal „East Side Gallery“, das längste<br />

erhaltene Mauerstück, ist heute vom Teilabriss bedroht.<br />

Andererseits wird der Ausbau von <strong>Berlin</strong>s Prachtstraße<br />

Unter den Linden mit Hochdruck betrieben. Die Flaniermeile<br />

zwischen Brandenburger Tor und Museumsinsel<br />

wird wieder wie einst unter Wilhelm II zum Schaufenster<br />

<strong>Berlin</strong>s, wobei <strong>die</strong> Erinnerungen an Nazi-Herrschaft, Bombenkrieg<br />

und SED-Diktatur gefällig arrangiert werden.<br />

Wo einst der „Palast der Republik“ stand, gähnt heute<br />

eine Baustelle. In wenigen Jahren wird hier als Rekonstruktion<br />

das Stadtschloss der Hohenzollern stehen – als<br />

„Humboldt-Forum“ soll es Ausstellungen und Veranstaltungen<br />

gewidmet sein und unter anderem <strong>die</strong> außereuropäische<br />

Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz<br />

beherbergen.<br />

Infos<br />

Archiv der Akademie der Künste,<br />

Brecht-Weigel-Gedenkstätte<br />

Chausseestraße 125 • 10115 <strong>Berlin</strong>-Mitte<br />

www.adk.de/de/archiv/gedenkstaetten/<br />

gedenkstaetten-brecht-weigel.htm<br />

Erinnerungsstätte zum Begehen und Anfassen:<br />

Das Holocaust-Denkmal neben dem Brandenburger Tor.<br />

Modern und repräsentativ – das Bundeskanzleramt<br />

<strong>Berlin</strong> hat sich wieder fein gemacht in den letzten Jahrzehnten,<br />

trotz Rekordverschuldung. Der Potsdamer Platz,<br />

während des Kalten Krieges eine triste Ödfläche an der<br />

Mauer, präsentiert stolz <strong>die</strong> glitzernde Skyline der Konzernzentralen.<br />

Das Regierungsviertel und <strong>die</strong> Reichstagskuppel<br />

werden <strong>für</strong> ihre futuristische Anmutung gelobt.<br />

Nur mit einem neuen Flughafen scheint es nicht so recht<br />

zu klappen. Die <strong>Berlin</strong>er selbst, viele Jahre lang von billigen<br />

Mieten verwöhnt, stöhnen mittlerweile über <strong>die</strong> Kaufwut<br />

ortsfremder Kapitalanleger und fortschreitende Gentrifizierung.<br />

Der „Schwabenkrieg“ im Prenzlauer Berg,<br />

der unlängst durch Wolfgang Thierses „Weckle-versus-<br />

Schrippen“-Debatte hohe Wellen geschlagen hat, zeigt<br />

exemplarisch, wie <strong>die</strong> so kunterbunt-anarchische, kreative,<br />

aber notorisch geldklamme Szene aus dem Zentrum<br />

gedrängt wird und sich neue Nischen suchen muss.<br />

Fremd zwischen der schick renovierten Umgebung und<br />

wie aus der Zeit gefallen wirkt heute der etwas heruntergekommene<br />

Prenzlberg-Altbau, an dem in großen Lettern<br />

<strong>die</strong> Worte prangen: „Kapitalismus zerstört, tötet,<br />

normiert.“ <strong>Bertolt</strong> Brecht hätte das vermutlich gefallen.<br />

Text und Fotos: Christian Schmid<br />

46 <strong>Journal</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Apotheke</strong> 1 · 2013

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