Spion des Herzens
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Kent blieb sie in Yorkshire und half ihrem Onkel Lucius in seinem erfolgreichen<br />
Zeitungsverlag.<br />
„Deine harmlose Miene täuscht mich keine Minute, Tante Clara“, brach<br />
Verity das Schweigen. „Du bist eine schlaue Person und weiß genau, dass<br />
ich nicht hier sitzen würde, wenn du nicht gedroht hättest, mir keine von<br />
den pikanten Informationen mehr zukommen zu lassen, die für mich unschätzbar<br />
sind.“<br />
„Du bist ungerecht, mein Kind“, beschwerte Lady Billington sich gekränkt.<br />
„Ich habe dir lediglich geschrieben, dass in London nichts Erwähnenswertes<br />
los sei, weil sich nach der Flucht dieses schrecklichen korsischen<br />
Emporkömmlings die Hälfte der männlichen Mitglieder <strong>des</strong> ton auf<br />
dem Kontinent befindet. Ich war der Ansicht, du solltest mich in die<br />
Hauptstadt begleiten, weil wir gemeinsam vielleicht genügend Informationen<br />
sammeln können, aus denen du einen amüsanten kleinen Bericht<br />
verfassen kannst.“<br />
Verity war zwar nicht überzeugt, zog es in<strong>des</strong> vor, dieses Thema nicht<br />
weiter zu verfolgen. Sie war sich bewusst, dass sie ohne die Hilfe der Tante<br />
nicht imstande gewesen wäre, ihre Artikel für die Zeitung ihres Onkels<br />
zu schreiben.<br />
Er war zuerst strikt dagegen gewesen, weil er sein Journal nicht mit<br />
frivolem Klatsch beflecken wollte, wie er sich ausgedrückt hatte. Doch als<br />
Verity ihn darauf hingewiesen hatte, dass nicht nur Männer Zeitungen<br />
lasen und seine weiblichen Leserinnen es zu schätzen wüssten, wenn<br />
gelegentlich ein Artikel erscheinen würde, der ihre Interessen berücksichtigte,<br />
hatte der Onkel eingelenkt. Da er allerdings ein altmodischer Mann<br />
war und die Meinung vertrat, dass Ladys wie Verity nicht arbeiten sollten,<br />
hatte er ihre Tätigkeit von Anfang an auf einen Beitrag pro Monat beschränkt.<br />
Verity hatte sich damit zufrieden gegeben. Ihre Artikel über Mode, neue<br />
Frisuren und Schönheitsmittel hatten bei den Damen in Yorkshire großen<br />
Anklang gefunden. Am populärsten aber waren ihre Berichte über die<br />
Ereignisse während der Londoner Saison gewesen, für die Lady Billington<br />
sie mit dem nötigen Material versorgt hatte.<br />
„Wenn in London nichts los ist, können wir immer noch auf den Prinzregenten<br />
zurückgreifen“, meinte Verity nach einigem Überlegen. „Er ist<br />
immer für irgendeine Verrücktheit gut. Außerdem bin ich nicht sicher, ob<br />
wirklich alle wichtigen Mitglieder <strong>des</strong> ton das Land verlassen haben.“<br />
Lady Billington überlegte. „Während meines Aufenthalts in Kent habe<br />
ich etwas gehört, das dich interessieren könnte. Es heißt, dass Arthur<br />
Brinleys Enkelsohn dazu bestimmt ist, der nächste Viscount Dartwood zu<br />
werden.“ Als keine Antwort erfolgte, fügte sie hinzu: „Ich weiß, du hast<br />
den alten Mann sehr gern gehabt, kann mich aber nicht erinnern, dass<br />
du je seinen Enkel erwähnt hättest. Du kennst doch bestimmt Major<br />
Carter.“<br />
„Ja, ich kannte ihn“, räumte Verity ein, „habe ihn aber seit min<strong>des</strong>tens<br />
fünf Jahren nicht mehr gesehen.“<br />
Lady Billington studierte das hübsche Gesicht ihrer Nichte. „Gehe ich<br />
recht in der Annahme, dass du den Major nicht magst?“<br />
Verity runzelte die Stirn. Hegte sie tatsächlich eine Abneigung gegen<br />
Arthur Brinleys Enkelsohn, der ihr einmal sehr wehgetan hatte? Aber das<br />
schien unendlich lange her zu sein. Wenn sie während der vergangenen<br />
Jahre überhaupt an ihn gedacht hatte --- und das war nicht sehr oft gewesen<br />
---, dann nur, weil sie in der Zeitung einen Bericht über seine Heldentaten<br />
im Krieg auf der iberischen Halbinsel gelesen hatte.<br />
Verity seufzte tief. „Nein, Tante Clara, das stimmt nicht, obwohl ich ihn<br />
für einen Einfaltspinsel halte.“ Sie zuckte mit den Achseln, bevor sie hinzusetzte:<br />
„Ich sollte wohl besser über ihn reden, da er sich als so tapferer<br />
Soldat erwiesen hat. Außerdem hat er mir früher einmal das Leben gerettet.“<br />
„Gütiger Himmel“, rief Lady Billington. „Was, um alles in der Welt, ist<br />
damals geschehen?“<br />
„Nichts besonders Aufregen<strong>des</strong>“, erwiderte Verity mit einer abwehrenden<br />
Geste. „Ich wäre beinahe ertrunken, wenn Brin nicht in den See gesprungen<br />
wäre und mich gerettet hätte.“<br />
Ihre Tante schauderte. „Das war wohl zu der Zeit, als du dich wie ein<br />
Wildfang benommen hast?“<br />
„Ja, in der Tat“, bestätigte Verity, vom missbilligenden Ton ihrer Tante<br />
völlig unbeeindruckt. „Aber du hast Recht. Dass Brin den Titel erbt, wird<br />
die Damen in Yorkshire brennend interessieren. Man erzählt sich übrigens,<br />
er habe ein Offizierspatent zurückgegeben. Er ist nicht nach Yorkshire<br />
zurückgekehrt, zumin<strong>des</strong>t bis letzte Woche nicht. Ich frage mich, wo<br />
er sich versteckt hat.“<br />
„Er könnte sich in London aufhalten, Liebes. Angeblich geht es seinem<br />
Onkel sehr schlecht. Der schreckliche Kerl hat wirklich alles Menschenmögliche<br />
getan, um seinen Neffen daran zu hindern, in den Besitz <strong>des</strong><br />
Titels zu gelangen. Das ging so weit, dass er dieses arme Kind geheiratet<br />
hat, das jung genug ist, um seine Enkelin zu sein. Aber jetzt sieht es so<br />
aus, als ob der Major bald der neue Viscount Dartwood wäre.“<br />
Verity lachte. „Der gute Brin wird bald feststellen, dass demnächst alle<br />
Mütter von heiratsfähigen Töchtern hinter ihm her sind.“<br />
Lady Billington wollte ihre Nichte gerade wegen dieser spöttischen Bemerkung<br />
tadeln, als ein seltsam splittern<strong>des</strong> Geräusch zu hören war. Im<br />
nächsten Augenblick wurden sie gegen die Seite der Kutsche geworfen,<br />
die zu einem abrupten Stillstand kam.<br />
Die andere Tür wurde geöffnet und der Reitknecht Lady Billingtons<br />
streckte den Kopf herein. „Ist alles in Ordnung, Mylady?“ fragte er.<br />
„Ja, Ridge, uns geht es gut“, versicherte sie, während sie versuchte,<br />
sich wieder aufzurichten, was angesichts der schräg überhängenden Kut-<br />
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