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Spion des Herzens

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Das Auge an den Spalt im Wandschirm gepresst, hatte Verity den Ausländer,<br />

<strong>des</strong>sen dünne Lippen sich zu einem unangenehmen Lächeln verzogen<br />

hatte, genau im Blickfeld. In der Kutsche hatte sie ihm kaum Beachtung<br />

geschenkt. Jetzt war sie nicht mehr sicher, dass er war, was er<br />

zu sein vorgab. In seinen harten grauen Augen stand ein berechnender<br />

Ausdruck. Aufmerksam lauschte sie seinen Worten.<br />

„Wir haben nur wenig Zeit, und es wäre nicht gut, wenn wir zusammen<br />

gesehen würden. Haben Sie etwas für mich?“<br />

„Jetzt nicht, aber mein Herr wird sich mit Ihnen am Freitagabend um<br />

acht Uhr am gewohnten Ort treffen.“<br />

„Ach ja, ich weiß, im Gasthof von diesem kleinen Ort, diesem kleinen<br />

Frampington. Lietell, lietell Frampington ...“ Der klang dieses Namens<br />

schien ihm zu gefallen. „In Ordnung. Teilen Sie Ihrem Herrn mit, dass ich<br />

dort sein werde. Und erinnern Sie Ihn daran, dass die Sache dringend ist.<br />

Mein geliebter Kaiser benötigt Informationen über Wellingtons Pläne.“<br />

2. Kapitel<br />

Verity war immer stolz auf das blaue Blut der Harcourts gewesen, das<br />

durch ihre Adern floss. Wie in jeder anderen Familie hatte es natürlich<br />

auch schwarze Schafe gegeben. Zum Beispiel der dritte Duke, den man<br />

verdächtigt hatte, seine erste Frau ermordet zu haben, was allerdings nie<br />

hatte bewiesen werden können. Doch sogar die, deren Namen höchstens<br />

im Flüsterton erwähnt wurden, hatten stets loyal zur Krone gestanden.<br />

Drei ihrer Cousins waren in den Konflikt mit Frankreich verwickelt,<br />

und wenn Verity als Junge zur Welt gekommen wäre, hätte sie sich bestimmt<br />

in den Dienst <strong>des</strong> Königs gestellt. Es hatte ihr nie an Mut oder<br />

Risikofreude gemangelt --- eine Tatsache, die ihre Tante manche schlaflose<br />

Nacht gekostet hatte. Lady Billington wäre daher überrascht gewesen,<br />

wenn sie gewusst hätte, dass Verity die Knie zitterten, während sie beobachtete,<br />

wie der Ausländer und sein Komplize den Raum verließen.<br />

Der Kaiser ...? Wellington ...? Die Worte schienen von den Wänden widerzuhallen.<br />

Gütiger Himmel, worüber war sie das gestolpert? Und was,<br />

um alles in der Welt, sollte sie nun tun?<br />

Ihren ersten Impuls, den Ausländer zur Rede zu stellen und ihn dann<br />

den Behörden zu übergeben, verwarf sie wieder. Es bestand die Möglichkeit,<br />

dass man ihr nicht glauben würde. Ihr Wort hätte gegen das seine<br />

gestanden, und zweifellos führte er authentisch aussehende Dokumente<br />

mit sich, aus denen hervorging, dass er der harmlose Schweizer Uhrmacher<br />

war, der er zu sein behauptete. Außerdem war da noch der andere<br />

Mann zu bedenken, der anscheinend nur ein Diener war, der als Bote<br />

fungierte. Doch wenn sie einen direkten Blick auf sein Gesicht werfen und<br />

den Behörden eine genaue Beschreibung liefern könnte, würde dies mög-<br />

licherweise zu seinem Herrn, dem eigentlichen Verräter führen.<br />

Nachdem sie sich ihre weitere Vorgehensweise überlegt hatte, wollte<br />

Verity ihr Versteck verlassen. Diesmal wurde sie durch ein Hausmädchen<br />

daran gehindert, das im Schneckentempo das Geschirr zusammenräumte.<br />

Obwohl sie eigentlich keine Zeit verlieren durfte, musste Verity ausharren.<br />

Es war lebenswichtig, dass niemand von ihrer Anwesenheit in<br />

diesem Raum etwas wusste.<br />

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Mädchen mit der Arbeit fertig<br />

war. Gleich darauf eilte Verity auch schon zum Eingang der<br />

Schankstube zurück. Rechts von ihr war die Theke, an der der Kutschenbegleiter<br />

neben dem Passagier stand, der wie ein Farmer wirkte. Die dicke<br />

Frau saß an einem Ecktisch und fütterte ihr Kind mit Suppe. Schließlich<br />

entdeckte Verity auch ihre neue Zofe.<br />

Meg unterhielt sich mit jemand, der sich außerhalb von Veritys Blickfeld<br />

befand. Vermutlich war es der <strong>Spion</strong>, doch darüber war Verity nicht<br />

sonderlich besorgt. Meg ahnte nichts von seinem Wahren Beruf und würde<br />

sich völlig normal benehmen. Von dem Boten war nichts zu sehen.<br />

Verity raffte ihre Röcke und lief den Gang zurück bis zu einer Tür,<br />

durch die man, wie sie vermutet hatte, zu den Ställen gelangte. Der Himmel<br />

war wolkenverhangen, doch es war noch hell genug, um die Außengebäude<br />

deutlich erkennen zu können.<br />

Der Hof schien verlassen zu sein. Das einzige Geräusch verursachten<br />

die Pferde, die sich in ihren Geschirren bewegten. Die Postkutsche stand<br />

nur ein paar Meter vom Eingang <strong>des</strong> Stalles entfernt. Als sie sich etwa auf<br />

gleicher Höhe befand, bemerkte sie an der Rückfront <strong>des</strong> Wagens eine<br />

Bewegung. Bei näherem Hinschauen erkannte sie den Kutscher, der mit<br />

dem Rücken zu ihr auf das freie Land hinausblickte, während er eine Zigarre<br />

rauchte. Er schien sich ihrer Gegenwart nicht bewusst zu sein.<br />

Nachdem sie das letzte Stück auf Zehenspitzen zurückgelegt hatte, stellte<br />

sie enttäuscht fest, dass der große Stall leer war.<br />

„Was tappen Sie hier herum, Mädchen?“<br />

Verity fuhr herum. Der Kutscher stand am Tor und versperrte ihr den<br />

Ausgang. „Bereitet es Ihnen etwa Vergnügen, sich von hinten anzuschleichen<br />

und unschuldige Damen fast zu Tode zu erschrecken?“ erkundigte<br />

sie sich hochmütig.<br />

Er warf den Stummel der Zigarre in eine Pfütze, verschränkte die Arme<br />

vor der Brust und ließ seinen Blick unverschämt an ihr hinunter wandern.<br />

„Allmählich frage ich mich, ob Sie wirklich so unschuldig sind,<br />

Mädchen, und wie es kommt, dass Sie mit der Postkutsche reisen.“<br />

Verity war es gewöhnt, mit Respekt und Höflichkeit behandelt zu werden,<br />

doch dieser Mann schien seinen eigenen Gesetzen zu folgen. Sie wollte<br />

ihn schon empört zurechtweisen, überlegte es sich aber dann anders.<br />

„Wie lange sind Sie schon hier draußen? Und haben Sie zufällig gesehen,<br />

wie ein Mann in einem grauen Mantel ähnlich dem Ihren den Gast-<br />

6

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