VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...
VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...
VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE - Institut für ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
I. ALLGEMEINER CHARAKTER DER MILITÄRISCHEN ZUSAMMENARBEIT.<br />
Der Zwang zur Geheimhaltung der Kooperation von Reichswehr und Roter<br />
Armee ist heute nach dem grundlegenden Wandel der politischen Struktur Deutschlands<br />
wie den machtpolitischen Umwälzungen in der übrigen Welt weggefallen.<br />
Der Forderung geschichtlicher Wahrheit soll daher hier mit einer Festlegung der<br />
noch erkennbaren Tatsachen Genüge getan werden, wie sie damals vom Soldaten<br />
her gesehen, erlebt und mitgestaltet wurden.<br />
Vor dreißig Jahren wurde von Rathenau und Tschitscherin überraschend jener<br />
deutsch-russische Sonderpakt unterzeichnet, der als „Vertrag von Rapallo" Geschichte<br />
geworden ist. Die wichtigsten Ergebnisse des Vertrags sind bekannt: Gegenseitiger<br />
Verzicht auf alle Schulden und Schadenersatzansprüche, Anerkennung<br />
gegenseitiger wirtschaftlicher Meistbegünstigung, Wiederaufnahme der diplomatischen<br />
Beziehungen.<br />
Schon vor diesem Vertrag hatten wirtschaftliche und militärische Einzelbesprechungen<br />
stattgefunden. Nach dem Abschluß nahmen beide ein lebhafteres Tempo<br />
an, ohne zu eigentlichen Verträgen zu führen.<br />
In ihrer praktischen Auswirkung schlossen diese Vereinbarungen die Beteiligung<br />
Deutschlands an dem rüstungswirtschaftlichen Aufbau Sowjetrußlands ein<br />
und damit zugleich deutsche Ausfuhrmöglichkeiten sowie die Aufrechterhaltung<br />
eines Teils der deutschen Rüstungstechnik. Insbesondere aber lag das Ziel der<br />
„Reichswehrpolitik" darin, unter Umgehung der Fesseln von Versailles den ausländischen<br />
Boden zu benutzen, um eine Stärkung des deutschen Machtpotentials<br />
vorzubereiten, dessen Freigabe ja doch, wenn keine allgemeine Abrüstung gelang,<br />
irgendwann einmal erfolgen mußte.<br />
Dieser Grundgedanke und die darin liegende Zukunftsmöglichkeit wurden von<br />
General von Seeckt frühzeitig ins Auge gefaßt, wie auch die russische Seite den<br />
Vorteil der Zusammenarbeit klar erkannte. Im einzelnen waren dabei Leistung<br />
und Gegenleistung auf dem militärischen Sektor der Vereinbarungen im Anfangsstadium<br />
noch nicht deutlich zu übersehen. Art und Ausmaß konnten sich erst im<br />
Laufe der Entwicklung aus der Praxis heraus kristallisieren. Nur die allgemeine<br />
Richtung stand <strong>für</strong> die Reichswehr fest: Es galt in Sowjetrußland diejenigen Arbeits-<br />
und Entwicklungsmöglichkeiten zu suchen, die in Deutschland nicht gegeben<br />
waren. Der Grundgedanke solcher Zielsetzung war, daß die personell und materiell<br />
eng begrenzte Reichswehr unter allen Umständen vermeiden mußte, zu einer<br />
geistig, taktisch und technisch zurückgebliebenen Polizeitruppe zu erstarren und<br />
damit den Anschluß an die Weiterentwicklung der Kriegskunst zu verlieren. Die<br />
Erhaltung und Wahrung einer kontinuierlichen Tradition war gerade in der Periode<br />
stürmischer taktischer und technischer Weiterentwicklung in andern Ländern<br />
nach dem Ende des zurückliegenden Krieges von entscheidender Bedeutung.<br />
Im Schwerpunkt der damaligen Entwicklung von Taktik und Technik und der<br />
sich daraus ergebenden Gestaltung operativer Ideen standen Probleme des Luftkriegs,<br />
des Panzerkampfs und des Gaskriegs. Die Zusammenarbeit konzentrierte<br />
sich daher in erster Linie auf diese in Deutschland verbotenen Gebiete.<br />
I Zeitgeschichte 2<br />
17