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Gliederung:<br />

Positionen der PDS zu notwendigen Strukturreformen<br />

im Gesundheitswesen - Mehr Qualität, mehr Effektivität<br />

und größere Patientenrechte<br />

1. Vorbemerkung S. 1<br />

2. Patientenrechte stärker achten! S. 2<br />

3. Prävention und Gesundheitsförderung S. 3<br />

4. Mehr Qualität – Voraussetzung für mehr Sicherheit und Wirtschaftlichkeit S. 4<br />

5. Regionale Gesundheitsstrukturen schaffen S. 7<br />

6. Eine weitere Reduzierung der Anzahl der Krankenkassen ist sinnvoll S. 10<br />

7. Den Abriss der solidarisch organisierten GKV aufhalten! S. 11<br />

1. Vorbemerkung<br />

Das gesundheitspolitische Programm der PDS umfasst die Vorschläge für die Lösung der<br />

Struktur- und Qualitätsprobleme des Gesundheitswesens wie auch für den Erhalt der finanziellen<br />

Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zu letzterem legte<br />

die PDS im September 2004 ihr Konzept für eine solidarische Bürgerversicherung vor. Es<br />

unterscheidet sich grundlegend von allen anderen inzwischen bekannt gewordenen Modellen.<br />

Wir wollen nicht nur den Erhalt, sondern Ausbau und Weiterentwicklung der GKV <strong>als</strong><br />

solidarische Versichertengemeinschaft ohne jegliche Zuzahlungen und eine Erweiterung um<br />

die Mitgliedschaft aller Bundesbürger durch die Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht.<br />

Die Private Krankenversicherung (PKV) soll lediglich <strong>als</strong> Versicherungszweig für<br />

private Zusatzversicherungen weiter bestehen und nicht - wie bei SPD, Grünen und DGB -<br />

bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen gleichberechtigt neben der GKV <strong>als</strong> wählbare<br />

Alternative bestehen bleiben. Die Beitragsbemessungsgrenze soll an- und schließlich aufgehoben<br />

und die Parität der Beitragsfinanzierung durch Versicherte und Unternehmer erhalten<br />

bzw. wiederhergestellt werden - im Gegensatz zu Grünen und CDU, die den Beitrag der Unternehmen<br />

zur GKV auf einen fixen Anteil (6,5%) einfrieren wollen.<br />

Nur mit einer solidarischen Bürgerversicherung kann der nach dem Inkrafttreten des GKV-<br />

Modernisierungsgesetzes (GMG) zu beobachtende Bedeutungs- und Wirkungsverlust der<br />

GKV <strong>als</strong> solidarische Gesundheitsversicherung aufgehalten werden. Das GMG hat die Leistungsfähigkeit<br />

und Effizienz der GKV <strong>als</strong> Solidargemeinschaft durch Praxisgebühren, neue<br />

bzw. erhöhte Zuzahlungen für Kranke erheblich eingeschränkt, weil insbesondere die Bevölkerungskreise,<br />

die aufgrund ihrer gesundheitlichen und finanziellen Situation die solidarische<br />

Unterstützung am dringendsten brauchen, zunehmend darauf verzichten müssen. Sie können<br />

die ihnen gesetzlich zustehenden Versicherungsleistungen wegen ihrer prekären sozialen<br />

und ökonomischen Lage nicht mehr ausreichend in Anspruch nehmen. Der gravierende<br />

Sozialabbau durch das GMG zeigt sich auch in einem fortschreitenden Leistungsabbau, den<br />

nur diejenigen, die es sich finanziell leisten können, über den Abschluss privater Zusatzversicherungen<br />

kompensieren können.<br />

Neben der Stärkung der GKV <strong>als</strong> solidarisch finanzierte Krankenversicherung müssen die<br />

seit langem bekannten und kritisierten Struktur- und Qualitätsprobleme in der gesundheitlichen<br />

Versorgung behoben werden. 1<br />

Alle von der PDS dazu entwickelten Forderungen und Perspektiven werden bestimmt von<br />

der Überzeugung, dass es nur unter der Voraussetzung der Einführung einer solidarischen<br />

1 Dabei beschränken wir uns auf die Themen und Bereiche, die für uns einen besonderen Stellenwert haben.


Bürgerversicherung möglich sein wird, patienten- und versichertenorientierte Reformen in<br />

der gesundheitlichen Versorgung und Betreuung durchzusetzen.<br />

Unsere im folgenden dargestellten Einschätzungen und Schlussfolgerungen werden geleitet<br />

von unserem Anspruch, demokratische, transparente, patienten- und beteiligungsorientierte,<br />

integrierte und solidarisch finanzierte Strukturen zu schaffen. Dabei beachten wir - wo erforderlich<br />

- geschlechts-, alters- und herkunftsspezifischen Besonderheiten.<br />

2. Patientenrechte stärker achten!<br />

Die Gesundheitspolitik hat den Patienten <strong>als</strong> Akteur entdeckt. Dazu trugen wesentlich die in<br />

den 80er Jahren erstarkende Selbsthilfebewegung bei und die inzwischen gewonnene Erkenntnis,<br />

dass ein informierter Patient für den Arzt ein hilfreicher Partner und Co-Therapeut<br />

sein kann. Das ist nicht nur nützlich für eine sichere Diagnosevermittlung und eine erfolgreiche<br />

Therapie, es begünstigt gleichzeitig einen rationaleren Umgang mit den vorhandenen<br />

Ressourcen.<br />

Im Gutachten des Sachverständigenrates von 2003 finden sich Forderungen an die Politik<br />

für eine „partnerschaftliche Versorgung“, die auf mehr Informationen, Kommunikation und<br />

Mitgestaltungsrechte für Patienten und Versicherte zielen. Mit dem Inkrafttreten des GMG<br />

werden Ansätze zur Entwicklung von mehr Patientensouveränität geschaffen u. a. mit der<br />

Berufung einer Bundespatientenbeauftragten, der Beteiligung von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen<br />

an der Gremienarbeit der Selbstverwaltung auf Bundes- und Landesebene,<br />

aber auch mit der Verbesserung der Informations- und Beratungsangebote zugunsten des<br />

Einzelnen. Patientenvertreter in Ethikkommissionen gem. Arzneimittelgesetz (AMG) und Patientenfürsprecher<br />

in den Krankenhausunternehmen nehmen spezifische Aufgaben der Kontrolle<br />

und Betreuung von Versicherten und Patienten wahr.<br />

Die politisch gewollte Stärkung von mehr Eigenverantwortung des Bürgers durch Förderungsangebote<br />

zur Entwicklung persönlicher Kompetenz im Umgang mit Gesundheit und<br />

Krankheit (Empowerment) nährt allerdings den berechtigten Verdacht, dass das Ziel, aus<br />

Patienten eigenverantwortlich agierende Partner zu machen, eng verbunden ist mit der von<br />

der PDS kritisierten Aufforderung zu mehr finanzieller Selbstbeteiligung und Eigenleistung<br />

bei der Realisierung gesundheitlicher Erfordernisse. Ganz unversehens wird aus dem Patienten<br />

der Verbraucher, der nachfragende „Kunde“ auf dem „Gesundheitsmarkt“ und das<br />

Arzt-Patient-Verhältnis wandelt sich in ein merkantiles Vertragsverhältnis.<br />

Die Stärke und Wirksamkeit emanzipatorischer, beteiligungsorientierter und selbst bestimmter<br />

Aktivitäten liegen vor allem im Bereich der Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung<br />

durch die Mitgestaltung gesundheitsförderlicher Lebenswelten „vor Ort“.<br />

Schwieriger wird es im Krankheitsfall. Aufgrund von Informationsdefiziten und der meist eingeschränkten<br />

Handlungsmöglichkeit bzw. -bereitschaft bei Krankheit, die den Versicherten<br />

meist eher zum hilfebedürftigen abhängigen Patienten macht, lassen sich die durch Eigeninitiative<br />

erworbene Kenntnisse gegenüber dem behandelnden und „verordnenden“ Arzt oft<br />

schwer einlösen – ganz besonders dann, wenn sie mit ökonomischen Zwängen und Interessen<br />

kollidieren. Darum ist ein wirksames Arzt-Patient-Vertrauensverhältnis die einzig verlässliche<br />

Alternative.<br />

Emanzipatorische Ansätze lassen sich auch schwer bei denjenigen verwirklichen , die aufgrund<br />

eines niedrigen Bildungsstandes und ihrer meist schlechten sozialen Situation über<br />

nur geringe Selbsthilfemöglichkeiten verfügen, gleichzeitig aber in der Regel höheren gesundheitlichen<br />

Gefährdungen ausgesetzt sind. Um sie dennoch zu erreichen, sind wohnortnahe<br />

niedrigschwellige Beratungsstellen <strong>als</strong> Anlaufpunkte wichtig.<br />

Patientenrechte sind Menschenrechte. Der Anspruch auf mehr Selbstbestimmung setzt eine<br />

deutliche Verbesserung von Beteiligungs- und Entscheidungsrechten voraus, sowohl in den<br />

Verwaltungsräten der gesetzlichen Krankenkassen (3. Bank) <strong>als</strong> auch in den Gremien der<br />

Selbstverwaltungsorgane.<br />

Eine industrieunabhängige, verständliche und mehrsprachige Verbraucher- und Patienteninformation<br />

(Beipackzettel der Medikamente, Qualitätsberichte der Krankenhäuser etc.), eine<br />

patientenorientierte Versorgungsforschung, eine geschlechtssensible Gesundheitsforschung,<br />

2


der Aufbau eines kostenlosen, leicht zugänglichen Beschwerdemanagements, die Unterstützung<br />

beim Umgang mit Behandlungsfehlern und die kostenlose außergerichtliche Durchsetzung<br />

von begründeten Schadensersatzansprüchen sind nach wie vor deutlich unterentwikkelt<br />

oder fehlen überhaupt.<br />

In Österreich existieren in allen seinen Bundesländern unabhängige vom Land oder Staat<br />

finanzierte Patientenvertretungen auf gesetzlicher Basis zur Wahrung und Sicherung der<br />

Rechte und Interessen der Patienten in allen Gesundheitsbereichen. Im Vergleich zu einigen<br />

EU-Ländern wird der bei uns nach wie vor bestehende Nachholbedarf zur Stärkung von Patienten-<br />

und Verbraucherinteressen deutlich.<br />

Die PDS fordert:<br />

- Zusammenführung geltender Patientenrechte in einer Patienten-Charta (Modell Österreich)<br />

- Mitentscheidungsrechte von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen im Gemeinsamen<br />

Bundesausschuss (G-BA) und seinen Unterausschüssen sowie das Recht auf<br />

die Benennung eigener Gutachter<br />

- Ausreichende staatliche finanzielle Absicherung der ehrenamtlichen Gremienarbeit<br />

der Patienten- und Selbsthilfevertretungen und deren kostenlose Schulung und Qualifizierung<br />

- Schaffung eines „Patientenentschädigungsfonds“ zur Gewährleistung außergerichtlicher<br />

Entschädigungszahlungen (Modell Österreich)<br />

- Anhörungsrechte von Patienten- und Selbsthilfevertretungen bei allen sie betreffenden<br />

Gesetzesvorhaben<br />

- Gewährleistung der Unabhängigkeit der Bundespatientenbeauftragten (Modell Österreich<br />

oder Schweden)<br />

- Schaffung von Patientenbeauftragten in allen Bundesländern (Modell Berlin) <strong>als</strong><br />

Kernstück für die Weiterentwicklung dieser Stelle in eine Ombuds-Einrichtung (Modell<br />

Österreich)<br />

- Bildung einer „3. Bank“ auf der Versichertenseite der Verwaltungsräte gesetzlicher<br />

Krankenkassen durch eine Reform der Sozialgesetzgebung<br />

- Berichterstattungspflicht der gewählten Patienten- und Selbsthilfevertretungen aus<br />

den jeweiligen Gremien mit Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen<br />

3. Prävention und Gesundheitsförderung<br />

Die Notwendigkeit der Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung <strong>als</strong> wichtige gesundheitspolitische<br />

Aufgabe ist heute unumstritten. Dabei sollen sich die hier zu entwickelnden<br />

Strategien sowohl auf die Senkung bestehender gesundheitlicher Belastungen durch<br />

verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen <strong>als</strong> auch auf die Stärkung gesundheitlicher<br />

Ressourcen durch die Verbesserung gesundheitsfördernder Rahmenbedingungen konzentrieren.<br />

In der Gesundheitspolitik stehen bis heute vor allem auf den Einzelnen abhebende verhaltenspräventive<br />

Angebote im Vordergrund, während bevölkerungsbezogene Projekte in der<br />

Arbeitswelt, der Umwelt und im Wohnumfeld nachrangig blieben. Gerade letztere bieten aber<br />

durch die Entwicklung gesundheitsfördernder Lebenswelten die Chance, besonders gefährdete<br />

Angehörige aus sozial benachteiligten Schichten mit einzubeziehen, die sonst unerreichbar<br />

bleiben. Gerade sozial benachteiligte Menschen in ihrem sozialen Umfeld müssen<br />

zur bevorzugten Zielgruppe präventiver gesundheitsfördernder Maßnahmen werden. Sie<br />

sind den größten gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, früher <strong>als</strong> andere von chronischen<br />

Krankenverläufen betroffen und haben eine geringere Lebenserwartung.<br />

Schichtenspezifische Unterschiede hinsichtlich Morbidität (Krankheitshäufigkeit) und Mortalität<br />

(Sterblichkeit) und die relative Erfolglosigkeit medizinisch-kurativer Interventionen bei<br />

chronischen Erkrankungen haben ein gesellschaftliches und politisches Umdenken zugunsten<br />

der Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik befördert – nicht zuletzt<br />

auch aus ökonomischen Überlegungen der Vermeidung von Krankenbehandlungskosten.<br />

3


Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat dazu mit ihrer Ottawa-Charta von 1986 und<br />

ihrem Projekt des Gesunde-Städte-Netzwerkes ganz wichtige Impulse gegeben. Deren Wirkung<br />

widerspiegelt sich in verschiedenen Gesundheitsdienstgesetzen der Länder für den<br />

Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), in einer Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung (§ 20 SGB V) und in dem von Rot/Grün vorgestellten Entwurf<br />

eines Präventionsgesetzes.<br />

Auf kommunaler Ebene hat der ÖGD die Verantwortung für die Sicherung, den Erhalt und<br />

die Förderung der Bürgergesundheit. Mit der zunehmenden Bedeutung gesundheitsfördernder<br />

und präventiver Strategien wächst dem ÖGD die wichtige Funktion des Koordinierungs-<br />

und Steuerungsorgans zu.<br />

Auf Basis der vom ÖGD zu erstellenden qualifizierten Gesundheits- und Sozialberichterstattung<br />

sind in enger Zusammenarbeit mit Trägern, Organisationen und Anbietern gesundheitlicher<br />

Leistungen gemeinsame Gesundheitsziele zu entwickeln, ihre Umsetzung zu kontrollieren<br />

und zu evaluieren. Die vor über 10 Jahre in NRW institutionalisierten Landesgesundheitskonferenzen<br />

sind ein erfolgreiches Modell für diese Aufgabenstellung.<br />

Eine wesentliche Aufgabe des ÖGD muss es sein, sich auf problematische Sozialräume zu<br />

konzentrieren, um einen Ausgleich der gesundheitlichen Folgen sozialer Benachteiligung<br />

anzustreben. Dabei muss seine sozialkompensatorische Rolle zugunsten von Menschen, die<br />

aus gesundheitlichen, sozialen, sprachlichen, kulturellen und finanziellen Gründen keinen<br />

ausreichenden Zugang (mehr) zu den Hilfesystemen finden, immer stärker werden.<br />

Daneben bleiben die traditionellen ÖGD-Aufgabenfelder wie Infektionsschutz, Katastrophenschutz,<br />

umweltbezogener Gesundheitsschutz und gesundheitlicher Verbraucherschutz im<br />

Interesse des präventiven Gesundheitsschutzes aller Bürger wichtige Arbeitsbereiche.<br />

Die PDS fordert:<br />

- eines Präventionsgesetz mit deutlich lebenslagenorientierten Ansatz und angemessener<br />

finanzieller Ausstattung durch alle zu beteiligenden gesetzlichen Sozialversicherungsträger,<br />

die Privaten Krankenversicherungen (PKV) und den Staat;<br />

- die Festschreibung von verbindlichen Rahmenbedingungen zugunsten gesundheitsfördernder<br />

(salutogenetischer) und verhältnispräventiver Ansätze (settings) vor allem in<br />

Schulen, Kitas, Betrieben und im Wohnumfeld;<br />

- die institutionelle Stärkung des ÖGD <strong>als</strong> Steuerungs- und Koordinierungsorgan für präventive<br />

und gesundheitsfördernde Projekte unterschiedlicher Institutionen und Organisationen<br />

in den Gemeinden u. a. durch die Schaffung von Netzwerken (z.B. Gesundheitskonferenzen);<br />

- die Qualifizierung der Gesundheits- und Sozialberichterstattung, die Entwicklung von<br />

Gesundheitszielen in Gesundheitskonferenzen sowie Kontrolle bei Umsetzung und Evaluation<br />

in Verantwortung des ÖGD;<br />

- die Reform der Landesgesundheitsdienstgesetze <strong>als</strong> Handlungsgrundlage für den ÖGD<br />

unter Beachtung der Ziele der Ottawa-Charta der WHO;<br />

- Die besondere Förderung von sozial benachteiligten Zielgruppen und deren Lebenswelten<br />

zur Verringerung des Risikos frühzeitiger gesundheitlicher Belastungen aufgrund ihrer<br />

sozialen Lage („positive Diskriminierung“) gem. § 20 SGB V.<br />

4. Mehr Qualität – Voraussetzung für mehr Sicherheit und Wirtschaftlichkeit<br />

Ob bei Prävention, Krankenversorgung oder Nachsorge: Qualität ist das, was erwünschte<br />

Ergebnisse erbringt und unerwünschte Wirkungen vermeidet.<br />

Spätestens nach dem Aufzeigen von Qualitätsmängeln in der Krankenversorgung durch den<br />

Sachverständigenrat im Gesundheitswesen im Jahre 2002 wurde die Qualitätssicherung zu<br />

einem eigenständigen Handlungsfeld – auch in der Absicht, damit Einsparungen zu erreichen.<br />

4


Struktur- und Qualitätsdefizite des deutschen Gesundheitswesens bestehen im Mangel an<br />

verbindlichen evidenzbasierten Behandlungsstandards, in fehlender sektorenübergreifender<br />

Versorgung und einem unterentwickelten Qualitätsmanagement.<br />

Auch im internationalen Vergleich bestätigen sich erhebliche Qualitätsmängel. Weniger <strong>als</strong><br />

die Hälfte aller Herzinfarkt-Patienten in Deutschland werden nach dem aktuellen Stand der<br />

wissenschaftlichen Standards behandelt. Patienten mit Diabetes erhalten trotz zahlreicher<br />

Modellprojekte immer noch keine flächendeckende fachspezifische Versorgung angeboten.<br />

Im Gegensatz zu den Niederlanden, Großbritannien und Schweden fehlt ein flächendeckendes,<br />

qualitätsgesichertes Früherkennungsprogramm für Brustkrebs. Bei der Krebsbehandlung<br />

haben Patienten in 11 von 12 Krebsarten schlechtere Überlebenschancen <strong>als</strong> in den<br />

USA. Die Lebenserwartung liegt in der BRD unter dem Durchschnitt der EU-Länder. Sie<br />

entwickelte sich in den letzten zehn Jahren weniger gut <strong>als</strong> in den Nachbarländern. Die<br />

Sterblichkeit bei Schlaganfall, Diabetes mellitus, Darm- und Brustkrebs liegt im Vergleich mit<br />

der EU und den USA jeweils auf den drei schlechtesten Plätzen.<br />

Für Qualitätsmängel gibt es zahlreiche Gründe. Maßgeblich ist dabei die Tatsache, dass sich<br />

die fortschreitende Ökonomisierung des Gesundheitswesens („Alles muss sich rechnen!“)<br />

nachteilig auf eine patientengerechte Versorgung auswirkt. Darüber hinaus führen die abgeschotteten<br />

Versorgungsstrukturen zu Brüchen zwischen ambulanter hausärztlicher und ambulanter<br />

fachärztlicher Versorgung, zwischen dem ambulanten und stationären Bereich und<br />

umgekehrt sowie zwischen Akutmedizin, Pflege und Sozialarbeit insgesamt. Mangelhafte<br />

Koordinierung der einzelnen Ebenen tut ein Übriges. Auch eine ungenügende Aus- und Weiterbildung<br />

von Leistungserbringern führt zu Qualitätsmängeln.<br />

Qualitätssicherung war lange Zeit eine Domäne der ärztlichen Selbstverwaltung. Mit dem<br />

„Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ wird nunmehr diese Beschränkung<br />

aufgehoben. Eine von wirtschaftlichen und politischen Interessen weitestgehend<br />

unabhängige Einrichtung entspricht auch den Vorschlägen der PDS. Dieses Institut, welches<br />

unter anderem mit der vergleichenden Bewertung von medikamentösen und nichtmedikamentösen<br />

Therapien befasst werden soll, wird die bislang hohen Erwartungen bereits in naher<br />

Zukunft durch Leistungen unter Beweis stellen müssen. Dazu gehört, Leitlinien für bestimmte<br />

Krankheitsbilder bezüglich ihrer Qualität zu bewerten, um den Leistungserbringern<br />

entsprechende Orientierungen zu geben.<br />

Im Folgenden sollen Aspekte der Qualität in verschiedenen Teilbereichen des Gesundheitswesens<br />

näher betrachtet und Überlegungen zu einem alternativen Vorgehen angestellt werden.<br />

4.1. Fragen der Qualität in der ambulanten Versorgung<br />

Die ambulante Versorgung zeichnet sich in Städten und Ballungsgebieten durch eine hohe<br />

Arztdichte aus. Diagnostik und Therapie gelten <strong>als</strong> modern, die Ausstattung der Arztpraxen<br />

mit Apparaten der Medizintechnik ist bemerkenswert hoch.<br />

Gleichwohl dominiert immer noch eine auf Organschäden und Akutmedizin ausgerichtete<br />

konservative Sicht in Diagnose und Therapie. Prävention, Gesundheitsförderung und Rehabilitation<br />

werden zugunsten der Akutmedizin vernachlässigt.<br />

Ganzheitliche Behandlungsansätze unter Beachtung von alters-, geschlechts- und lebenslagenspezifischen<br />

Besonderheiten sind in der ärztlichen Versorgung immer noch die große<br />

Ausnahme. Die Anwendung und der Einsatz moderner Behandlungsverfahren scheitern u.a.<br />

in der Regel an den herrschenden Vergütungsregeln.<br />

Die „Drei-Minuten-Medizin“ lässt sich am günstigsten durch die Verordnung von Arzneimitteln<br />

– zulasten der „sprechenden Medizin“ – realisieren. Hier liegt die große Gefahr einer<br />

Medikalisierung psychosozialer Probleme, die sich insbesondere bei Patientinnen in einer<br />

unverantwortlich hohen Verordnungsquote von Schlaf- und Beruhigungsmitteln nachweisen<br />

lässt und zu der vom Sachverständigtenrat scharf kritisierten Über- und Fehlversorgung beiträgt.<br />

Krankheitsbilder, wie Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Demenz werden oft nicht<br />

rechtzeitig erkannt und behandelt, so dass es hier zu suboptimalen Behandlungsergebnissen<br />

kommt. Sehr problematisch ist die wachsende Tendenz der Ärzte, über das Angebot umstrittener<br />

privater Behandlungsangebote Patienten zusätzlich zur Kasse zu bitten.<br />

5


Die PDS fordert:<br />

- Qualifizierung des „Hausarztes“ <strong>als</strong> „Lotse“ gem. SGB V<br />

- Medizinische Versorgungszentren<br />

- strikte Anwendung evidenzbasierter Leitlinien in der ambulanten Behandlung<br />

- Zusammenwirken aller Akteure aus Politik und Gesundheitswesen zur Vermeidung<br />

von Ärztemangel<br />

- Förderung ärztlicher Qualitätszirkel<br />

- Förderung der „sprechenden Medizin“ durch angemessene Honorierung<br />

4.2. Fragen der Qualität in der stationären Versorgung<br />

Der Bereich der stationären Versorgung zeichnet sich durch eine hohe Krankenhaus- und<br />

Bettenzahl aus. Der massive Bettenabbau in den Einrichtungen und die deutlichen Tendenzen<br />

zur Privatisierung haben hieran nichts geändert. In der Regel sind die Krankenhäuser<br />

großzügig mit moderner Medizintechnik ausgestattet und können somit technische Diagnose-<br />

und Therapieverfahren auf hohem Niveau anbieten.<br />

Jedoch stehen den vergleichsweise hohen Ausgaben für den stationären Bereich, gemessen<br />

an internationalen Maßstäben, lediglich mittelmäßige Behandlungsergebnisse gegenüber<br />

(siehe Gutachten des Sachverständigenrates).<br />

Die Qualitätssicherung im Krankenhausbereich gilt <strong>als</strong> unterentwickelt. Ob die erstm<strong>als</strong> für<br />

2005 zu erwartenden Qualitätsberichte gem. SGB V hier zu deutlichen Qualitätsverbesserungen<br />

führen werden, bleibt abzuwarten. Ein besonderes Problem stellen die derzeit<br />

schrittweise eingeführten Fallpauschalenentgelte (DRG’s) dar, die in Zukunft die Verweildauer<br />

im Krankenhaus deutlich verkürzen werden („blutige Entlassungen“). Sie sollen einerseits<br />

zu Einsparungen führen, andererseits für mehr Kostentransparenz sorgen, bergen aber die<br />

große Gefahr, dass die oft komplexen Diagnosen vor allem bei älteren und multimorbiden<br />

Patienten kostenmäßig nicht ausreichend in den Entgelten berücksichtigt werden können.<br />

Die Gefahr vorzeitiger Entlassungen und der Mangel an vernetzten Strukturen der unterschiedlichen<br />

Versorgungsebenen wird zwangsläufig zu Qualitätseinbußen in der Behandlung<br />

führen und die Wiedereinweisungsquote („Drehtüreffekt“) aufgrund der gekürzten Verweildauer<br />

erhöhen.<br />

Der Krankenhausbereich gilt nach wie vor trotz der Möglichkeiten vor- und nachstationärer<br />

Betreuung <strong>als</strong> ein von anderen Versorgungsangeboten abgeschotteter Bereich.<br />

Der fortschreitende Personalabbau, die hohe Arbeitsverdichtung und die überlangen Arbeitszeiten<br />

(trotz Urteil des EU-Gerichtshofes), die aus ökonomischen Zwängen resultieren, beeinträchtigen<br />

die Qualität der Patientenversorgung erheblich und verursachen hohe Krankenstände<br />

bei den überlasteten Beschäftigten.<br />

Volkswirtschaftlich gesehen führen diese Herangehensweisen eben nicht zu Einsparungen,<br />

sondern z.T. zu wesentlichen Mehrausgaben z.B. auch in der Pflege-, Renten- und Unfallversicherung.<br />

Die PDS fordert:<br />

- Abschaffung der undifferenzierten Fallpauschalenvergütung für Krankenhäuser<br />

- Entwicklung von qualitätsorientierten Behandlungsleitlinien<br />

- die 2-jährlich zu veröffentlichen Qualitätsberichte müssen für Patienten verständlich<br />

abgefasst werden<br />

- Qualifizierung der Patientenfürsprecher <strong>als</strong> Ansprechpartner und Vermittler<br />

- Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes auch im Krankenhaus<br />

4.3. Fragen der Qualität in der Arzneimittelversorgung<br />

Immer noch ist die Arzneimitteltherapie die wichtigste und häufigste ärztliche Therapiemaßnahme<br />

in der Patientenversorgung. Darum ist es notwendig, die Ärzte zu befähigen, neben<br />

der richtigen Diagnose das passende Arzneimittel unter Beachtung von Alter und Geschlecht<br />

auszuwählen. Nach wie vor sehen sie sich dem starken Einfluss der Pharmazeutischen<br />

Industrie ausgesetzt, die über ein reichhaltiges Instrumentarium verfügt, um massiv<br />

auf das ärztliche Verordnungsverhalten einzuwirken. Attraktive Fortbildungsveranstaltungen,<br />

6


Heerscharen von Pharmareferenten, Werbekampagnen und Geschenke spiegeln sich in<br />

ihren Auswirkungen unmittelbar in der Verordnungspraxis der Mediziner wieder. Angesichts<br />

eines intransparenten Marktangebots braucht der niedergelassene Arzt dringend eine Arzneimittel-Positivliste<br />

<strong>als</strong> industrieunabhängige Entscheidungs- und Orientierungshilfe. Sie<br />

erfüllt alle Voraussetzungen, um die Qualität der Verordnung und die Arzneimittelsicherheit<br />

zu erhöhen. Sie trennt die Spreu vom Weizen, wird von Experten der Medizin und der Wissenschaft<br />

entwickelt, regelmäßig aktualisiert und evaluiert. Entwürfe dafür liegen bereit. Sie<br />

scheiterten allerdings schon zweimal am Widerstand der Pharma-Industrie, die in den damit<br />

erreichbaren Kosteneinsparungen zugunsten der Kassen und damit der Versicherten eine<br />

Gefährdung ihrer Umsätze fürchtet.<br />

Da die von Rot/Grün favorisierte Positivliste am Widerstand der Opposition scheiterte, verständigte<br />

man sich stattdessen lediglich auf eine mengenmäßige Beschränkung des Verordnungsumfangs<br />

durch Kassenrezepte unter Verzicht des ursprünglichen Anspruchs auf eine<br />

Erhöhung der Verordnungsqualität. Alle nicht verschreibungspflichtigen Medikamente dürfen<br />

seit Einführung des GMG nicht mehr zulasten der GKV verordnet werden, davon ausgenommen<br />

sind nur Kinder unter 12 Jahre. Mit dieser Einschränkung wird gleichzeitig die Ausweitung<br />

der Selbstmedikation durch den Einzelnen erzwungen. Der Laie muss jetzt bei den<br />

verschreibungsfreien Mitteln allein seine Therapieentscheidungen treffen, die ihn in der Regel<br />

überfordern, weil ihm dafür die erforderliche Entscheidungskompetenz fehlt. Unter den<br />

rezeptfrei erhältlichen Medikamenten befindet sich ein wachsender Anteil mit Wirkstoffen, die<br />

ohne ärztliche Aufsicht auf Dauer erhebliche gesundheitliche Risiken bergen. Hinzu kommt<br />

das Problem für einen großen Teil der Betroffenen, dass sie die teilweise sehr hohen Preise<br />

nicht bezahlen können und damit auf erforderliche Behandlungen verzichten. Die hier mit<br />

Sicherheit zu erwartenden nachteiligen gesundheitlichen Langzeitfolgen sind heute noch<br />

nicht einschätzbar. Die Industrie nutzt diesen neuen Markt durch offensive Werbestrategien<br />

mit vielen Versprechungen ohne jeden Informationswert. Das geltende Heilmittelwerbegesetz<br />

setzt ganz auf Verkaufsförderung und vernachlässigt sträflich den Verbraucherschutz.<br />

Angesichts dieser Rahmenbedingungen und sich aktuell abzeichnender weiterer industriefreundlicher<br />

Maßnahmen auf der Ebene der Zulassung neuer Medikamente und der weiteren<br />

Liberalisierung des Werberechts fordert die PDS:<br />

- die Einführung der Positivliste<br />

- die Rücknahme des Ausschlusses rezeptfreier Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit<br />

zulasten der GKV<br />

- das Verbot der Laienwerbung für Arzneimittel zugunsten industrieunabhängiger Beratungsangebote<br />

für die Verbraucher<br />

- eine industrieunabhängige obligatorische Fortbildung der Ärzte<br />

- den Erhalt der Zulassungspraxis für Arzneimittel <strong>als</strong> hoheitliche Aufgabe<br />

- die Entwicklung von Arzneimittelstandards und -leitlinien (evidenzbasiert) im Rahmen<br />

der Programme für chronisch Kranke (DMP)<br />

- die Verbesserung der Zulassungspraxis für Arzneimittel durch die Aufnahme des Zulassungskriteriums:<br />

therapeutischer Fortschritt<br />

- die Verbesserung der Marktüberwachung von Arzneimittelrisiken vor allem bei besonders<br />

beobachtungsbedürftigen neuen Medikamenten (Gründung von Pharmakovigilanzzentren)<br />

5. Regionale Gesundheitsstrukturen schaffen<br />

Die erheblichen Qualitätsdefizite des deutschen Gesundheitswesens haben vor allem strukturelle<br />

Ursachen. Sie zeigen sich in Ineffektivität, Doppeluntersuchungen sowie (regional<br />

unterschiedlich) in Unter- oder Überversorgung. Gründe hierfür sind die mangelhafte Vernetzung<br />

regionaler Gesundheitsstrukturen, die unerbittliche Konkurrenz der Gesundheitsanbieter<br />

untereinander, aber auch der durch neoliberale Politik erzeugte Privatisierungsdruck in<br />

den verschieden Bereichen der Daseinsvorsorge.<br />

Daraus ergibt sich, dass zum einen die Gesundheitsleistungen auf wissenschaftlich belegbare<br />

evidenzbasierte medizinische Grundlagen umgestellt werden müssen und zum anderen<br />

7


eine Vernetzung der regionalen Gesundheitsstrukturen im Interesse der Patienten erforderlich<br />

ist.<br />

Die PDS unterstützt das Modell einer regionalbasierten integrierten Versorgung auf der<br />

Grundlage regionaler Bedarfsplanung mit daran orientierten Versorgungszielen und der Finanzierung<br />

über ein jährlich festzulegendes Gesamtbudget. Dieser Vorschlag wurde von<br />

einem Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen<br />

gemacht (Gisela Fischer) und entspricht den von der PDS-Bundestagsfraktion in<br />

den 90er Jahren entwickelten Vorschlägen.<br />

5.1. Patientenorientiert denken und entscheiden – deshalb flächendeckende medizinische<br />

Versorgung sichern<br />

Seit mehreren Jahren existieren trotz insgesamt steigender Ärztezahlen Versorgungsengpässe<br />

in der ambulanten ärztlichen Versorgung der BRD.<br />

Familienfeindliche Arbeitszeiten bis zu 80 Sunden pro Woche, wachsender Verwaltungsaufwand,<br />

ein Imageverslust des Arztberufes, insgesamt sinkende Einkommen, Lohnunterschiede<br />

zwischen Ost und West, eine aufwendige Facharztausbildung, erhebliche Lohneinschränkungen<br />

im ländlichen Raum und schließlich der Mangel an so genannten weichen<br />

Standortfaktoren in strukturschwachen Gebieten (von fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen<br />

bis zu den erheblichen Fahrzeiten) bilden einen ganzen Komplex von Gründen für die<br />

sinkende Bereitschaft vieler ausgebildeter Ärzte, ärztliche Niederlassungen zu übernehmen,<br />

vor allem in den ländlichen Gebieten. Besonders prekär ist die Lage in den ostdeutschen<br />

Ländern. Hier hatten sich 1990 die Ärzte niedergelassen, die sich mit Auflösung der Polikliniken<br />

in Ostdeutschland selbständig machen mussten. Ein großer Teil von ihnen erreicht in<br />

Kürze das Rentenalter. So waren bereits 2002 in Mecklenburg-Vorpommern 56 % der Allgemeinmediziner<br />

über 50 Jahre alt. In Ostdeutschland fehlen nicht nur bereits jetzt niedergelassene<br />

Ärzte, sondern das Defizit wächst dramatisch.<br />

Die Sozialministerien der neuen Bundesländer legten Programme auf, um Ärzte für freie<br />

Niederlassungen zu gewinnen. Aber immer weniger Medizinstudenten schließen das Studium<br />

ab. Andere gehen nach der Ausbildung ins Ausland oder in die Pharmaindustrie. Bisher<br />

reichen die von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) entwickelten Anreize immer noch<br />

nicht aus, damit sich ausreichend Ärzte - vor allem in den ländlichen Regionen - niederlassen.<br />

Nach jüngsten Angaben der KV stehen 600 Praxen von Allgemeinmedizinern im Osten<br />

leer. Das jetzige Hausarztdefizit könnte sich hier schon in wenigen Jahren verdoppeln.<br />

Die Schaffung von Anreizen für Ärzteniederlassungen, vor allem im ländlichen Raum, Verwaltungsabbau,<br />

eine stärkere Praxisorientierung des Studiums und die Beschleunigung der<br />

Facharztausbildung durch ausreichende Stellen zur Weiterbildung könnten den Ärztemangel<br />

mildern. Günstige Kredite für Praxiseinsteiger, Mindestumsatzgarantien, eine Honorarangleichung<br />

zwischen Ost und West und Möglichkeit der Anstellung von Ärzten bei den Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen könnten ebenfalls dazu beitragen, den Ärztemangel abzubauen.<br />

Die Planung der Ärzteversorgung im niedergelassenen Bereich obliegt derzeit den Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen. Die Praxis beweist, dass die KVen ihren Versorgungsauftrag in<br />

den letzten Jahren nicht hinreichend nachgekommen sind.<br />

In der Wiedereinführung der Gemeindeschwester im ländlichen Raum sehen wir eine<br />

sinnvolle Unterstützung und Ergänzung zur ärztlichen Niederlassung. Insgesamt gibt es genügend<br />

Potential, z.B. Tausende von arbeitslosen Arzthelferinnen, um den Bedarf an Gemeindeschwestern<br />

abzudecken und die ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen erheblich<br />

zu verbessern. Hier eröffnet sich die Möglichkeit, einen Teil der gesundheitlichen Versorgung<br />

und Betreuung direkt im häuslichen Umfeld unter Einbeziehung der beteiligten Familien<br />

umzusetzen. So könnte es gelingen, medizinische Erfordernisse mit sozialpsychologischen<br />

und Erfordernissen der Betreuung direkt zu verknüpfen. Durch die Anbindung der mobilen<br />

Gemeindeschwestern an Gesundheitszentren oder Pflegestationen wäre ihre organisatorische<br />

Integration in die regionale Gesundheitsversorgung gewährleistet. Die großen Vorzüge<br />

einer solchen Regelung sind durch DDR-Erfahrungen hinreichend belegt.<br />

5. 2. Poliklinische Strukturen stärken<br />

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Die Integration von stationärer und ambulanter Versorgung wird seit Jahren vergeblich gefordert.<br />

Die strukturellen und systemimmanent begründeten Verwerfungen, die mehr Konkurrenz<br />

<strong>als</strong> Zusammenarbeit beider Bereiche bewirken, werden nicht systemkritisch analysiert.<br />

Durch die Einführung der fallpauschalenorientierten Vergütung von Krankenhausleistungen<br />

geraten insbesondere kleine Krankenhäuser trotz gesetzlicher Schutzklauseln zunehmend in<br />

Gefahr. Die Privatisierungswelle der großen Krankenhäuser unterstützt diesen Prozess. Die<br />

Perspektive kleiner Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen liegt deshalb in neuen<br />

kollektiven Versorgungsformen, in medizinischen Versorgungszentren bzw. Polikliniken. Sie<br />

können Patientennähe und ärztliche Kooperation sichern, Verwaltung und Bewirtschaftung<br />

effektiver gestalten. Leider werden für die Schaffung solcher Zentren derzeit keine ausreichenden<br />

Anreize geschaffen.<br />

Selbst das Bundesgesundheitsministerium räumt mittlerweile ein, dass die poliklinischen<br />

Strukturen der DDR sinnvoll waren. Die wenigen noch bestehenden Polikliniken in Ostdeutschland<br />

haben seit geraumer Zeit die rechtliche Möglichkeit, über ihre bestehenden<br />

Fachbereiche hinaus zu expandieren. Das poliklinische Modell ist <strong>als</strong> eigenständige Versorgungsform<br />

inzwischen im gesamten Bundesgebiet zulässig. Polikliniken können in Zukunft<br />

nicht nur Teilaufgaben von Krankenhäusern in strukturschwachen Regionen übernehmen.<br />

Sie ermöglichen auch, die Strukturlücke der ärztlichen Versorgung in ländlichen Regionen<br />

teilweise zu füllen. Diesen gesetzlich abgesicherten Lösungsweg unterstützt die PDS.<br />

Gemeinschaftspraxis und Poliklinik ergänzen sich im ländlichen Raum ideal, um ärztliche<br />

Leistungen in Versorgungszentren wirtschaftlich und effektiv zu erbringen. Durch die Arbeit<br />

unterschiedlich qualifizierter Ärzte und Schwestern sowie durch die Vernetzung verschiedener<br />

medizinischer Fachbereiche können die Bedürfnisse der Patienten konzentriert und patientenfreundlich<br />

befriedigt werden. Für das medizinische Personal wird die Vereinbarkeit von<br />

Beruf und Familie durch familienfreundliche Arbeitszeiten gefördert. Insbesondere in der<br />

Familiengründungsphase kann durch Teilzeitangebote die volkswirtschaftlich sinnvolle Nutzung<br />

des qualifizierten Person<strong>als</strong> eng mit einer patientenorientierten gesundheitlichen Versorgung<br />

verbunden werden. Die Stärkung poliklinischer Strukturen durch den Ausbau vorhandener<br />

Polikliniken und die Schaffung neuer medizinischer Versorgungszentren ist deshalb<br />

ein erklärtes politisches Ziel der PDS vor allem in ländlichen Gebieten.<br />

5. 3. Klinikprivatisierungen verhindern<br />

So genannte unabhängige Beratungsfirmen prophezeien für die nächsten Jahre einen Privatisierungsboom<br />

im Krankenhaussektor. Nach der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „Ernst<br />

&Young“ wird sich der Gesundheitsmarkt in den nächsten 15 Jahren zu einem gigantischen<br />

Wachstumsmarkt entwickeln. Die Ausgaben für gesundheitliche Versorgung sollen sich auf<br />

500 Mrd. € verdoppeln. Der Staat werde sich aus der Gesundheitsversorgung zurückziehen,<br />

die gesundheitliche Versorgung auf eine Grundversorgung beschränkt und auf Kopfpauschalen<br />

basieren. Verbunden sei das mit massivem Kliniksterben. Jedes vierte der rund 2000<br />

deutschen Krankenhäuser werde schließen. Von zuletzt noch 723 staatlichen Krankenhäusern<br />

sollen 225 übrig bleiben. Dagegen werde die Zahl der Privatkliniken von 468 auf 675<br />

zunehmen. Mit solchen Aussagen wird Politik gemacht, um im laufenden Umstellungsprozess<br />

der Krankenhäuser von der Finanzierung durch Pflegesätze auf Fallpauschalen<br />

(DRG’s) den im Interesse der Klinikkonzerne liegenden Privatisierungsdruck zu erhöhen.<br />

Und diese Strategie wirkt!<br />

In den letzten Jahren versuchen private Klinikkonzerne und -ketten bundesweit verstärkt,<br />

kommunale Kliniken übernehmen. Die desolate Finanzsituation der Kommunen und die damit<br />

eingeschränkten Investitionsmittel für die Krankenhäuser befördern und beschleunigen<br />

diesen Prozess. Mittlerweile sind bereits in zahlreichen Landeshauptstädten mittlere und<br />

Großkliniken privatisiert worden.<br />

Der Gesetzgeber sieht über das Gebot der „Trägervielfalt“ ein ausgewogenes Verhältnis von<br />

kommunalen, kirchlichen und privaten Klinikbetreibern vor, das aber zunehmend durch die<br />

Kommunen selbst in Frage gestellt wird. Sie müssen letztlich entscheiden, ob städtische Einrichtungen<br />

der Daseinsvorsorge in private Hand gegeben werden sollen. Das schränkt in<br />

jedem Fall die Möglichkeiten der sozi<strong>als</strong>taatlichen Einflussnahme durch die öffentliche Hand<br />

erheblich ein. Wirksame Einflussnahme ist faktisch mit der Privatisierung von Kliniken nicht<br />

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mehr möglich. Garantien für mehr Bürgerbeteiligung gehen durch die Privatisierung gesundheitlicher<br />

Einrichtungen unwiederbringlich verloren.<br />

Auf der einen Seite der Klinikprivatisierung stehen kurzfristige Gewinne für die Kommunen.<br />

Auf der anderen Seite stehen drohender Personalabbau, vorprogrammiertes Lohndumping,<br />

die Gefahr der Abkopplung einer ausgewogene Forschung und medizinischen Ausbildung<br />

vom Krankenhausträger und die Aufgabe des kommunalen Einflusses auf das Versorgungsprofil.<br />

Deshalb: Klinikprivatisierungen müssen verhindert werden!<br />

Diese Forderung deckt sich mit den Intentionen und Zielen öffentlicher Klinikträger. Anfang<br />

des Jahres 2005 hat sich eine Initiativgruppe mehrerer großer öffentlicher Krankenhäuser<br />

gebildet, die einen Interessenverband Kommunaler Krankenhäuser vorbereitet. Er hat die<br />

Aufgabe, kommunale Kliniken zu erhalten und ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern und<br />

wird vom Deutschen Städtetag unterstützt. Diese Initiative wird von der PDS ausdrücklich<br />

unterstützt. Zeigt sie doch, dass es auch im Gesundheitsbereich Widerstand gegen die Privatisierung<br />

und Ökonomisierung der gesundheitlichen Versorgung gibt.<br />

6. Eine weitere Reduzierung der Anzahl der Krankenkassen ist sinnvoll<br />

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat sich in seinem<br />

Gutachten 2003 auf die „Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität“ im Gesundheitswesen<br />

orientiert. Danach sollen Reformschritte darauf abzielen, das System der GKV im<br />

Grundsatz zu erhalten und seine Zukunftsfähigkeit durch Anpassung an exogene Entwicklungstrends<br />

zu sichern.<br />

Mit den Reformen im Gesundheitswesen der letzten Jahre ist ein Rückgang der Anzahl der<br />

Krankenkassen (KK) zu beobachten. Gab es 1990 noch mehr <strong>als</strong> 1100, so sind es heute<br />

weniger <strong>als</strong> 270.<br />

Gegenwärtig garantiert die gesetzliche Krankenversicherung mit ihrem Umlageverfahren fast<br />

5 Mio. Arbeitslosen und 30 Mio. Mitversicherten durch das Solidarprinzip Versicherungsschutz.<br />

Rund 90 % der 82 Mio. BundesbürgerInnen sind in der gesetzlichen Krankenversicherung,<br />

über 8% sind in einer der 37 privaten Krankenkassen versichert, ca. 300 000 BürgerInnen<br />

haben keinen Versicherungsschutz im Krankheitsfall.<br />

Vor dem Hintergrund der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen, flankiert durch die mit<br />

dem GMG geschaffenen Möglichkeiten von Kassenfusionen innerhalb der jeweiligen Kassenarten,<br />

läuft die Entwicklung zwangsläufig auf eine Verringerung der Anzahl der Krankenkassen<br />

hinaus. Forciert wird dieser Prozess durch den gewollten ökonomischen Wettbewerb<br />

zwischen den Krankenkassen seit 19<strong>94</strong>. Der Finanzausgleich zwischen ihnen war und ist in<br />

der jetzigen Form umstritten. Mit dem Risikostrukturausgleich zwischen Kassen, deren Mitglieder<br />

mehrheitlich gut finanziell ausgestattet und gesünder sind, und solchen, deren Versicherte<br />

überwiegend sozial benachteiligt, älter und vielfach chronisch krank sind, wurden<br />

2004 mehr <strong>als</strong> 13,6 Mrd. Euro umverteilt. Dabei spielte aber bisher kaum eine Rolle, wie<br />

krank die Versicherten sind. Sie werden nach Alter und Geschlecht eingestuft. Künftig (ab<br />

2007) soll aber auch der Gesundheitszustand (Morbidität) berücksichtigt werden. Der Geldfluss<br />

wird dann durch Arzneimittelverordnungen und Krankenhausdiagnosen bestimmt.<br />

Solange es die Kassenvielfalt in Deutschland gibt, halten wir einen morbiditätsorientierten<br />

Risikostrukturausgleich für unabdingbar - einschließlich der damit verbundenen notwendigen<br />

Verwaltungsaufgaben.<br />

Bisher hat der Wettbewerb zur Risikoselektion der Versicherten geführt und damit zu erheblichen<br />

Verwerfungen zwischen den Krankenkassen beigetragen.<br />

Die Tatsache, dass je nach Satzungsgestaltung einer KK unterschiedliche Bonussysteme<br />

und private Zusatzversicherungen angeboten werden, führt zu weiteren Ungleichbehandlungen<br />

von Versicherten. Besonders betroffen sind sozial Benachteiligte. Die Vielfalt der KK ist<br />

keine Gewähr dafür, dass jeder Mensch Anspruch auf den gleichen Schutz seiner Gesundheit<br />

hat und die gleiche Unterstützung ohne Ansehen der Person bei Krankheit erhält. Bonusprogramme<br />

und private Zuzahlungen führen zur Entsolidarisierung.<br />

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Mittelfristig wäre die Reduzierung der Krankenkassenvielfalt auf die Reduzierung der Krankenkassenarten<br />

erstrebenswert. Sinnvoll ist eine Reduzierung der Krankenkassen vor allem,<br />

wenn sie ähnlich wie die Rentenkassen vereinheitlicht und regionalisiert werden.<br />

Gegenwärtig ist eine Einheitskasse politisch nicht durchsetzbar. Allein der Begriff ist ideologisiert.<br />

Widerspruch ist vor allem aus den alten Bundesländern zu erwarten. Die Menschen<br />

dort haben nicht die Erfahrung von zwei funktionierenden Sozialversicherungen (beim Gewerkschaftsbund<br />

für die Arbeiter und Angestellten und in der Staatlichen Versicherung für<br />

die Gewerbetreibenden, Freiberufler, Bauern usw.). Diese Versicherungen waren sowohl für<br />

die Kranken-, Renten- und Unfallversicherung zuständig.<br />

Langfristig muss es politisches Ziel sein, eine einheitliche Organisation der Sozialversicherungen<br />

zu schaffen, damit die Verschiebebahnhöfe zwischen den Versicherungszweigen<br />

entfallen und das gesamte Sozialversicherungssystem entbürokratisiert wird. Damit könnten<br />

die Kosten erheblich gesenkt werden.<br />

Die Verbesserung der Arbeit der Selbstverwaltungsorgane der KK hat für uns einen hohen<br />

Stellenwert. Die diesjährigen Sozialwahlen zeigen erneut, dass die Aufstellung der Listen<br />

völlig intransparent ist und inhaltliche Zielstellungen der unterschiedlichen Akteure nicht vermittelt<br />

werden. Eine Rechenschaftslegung über die geleistete Arbeit findet gegenüber den<br />

Versicherten nicht statt. In die Kritik sind die Verwaltungsräte gegenwärtig gekommen, weil<br />

sie der Selbstbedienung einiger KK – Vorstände bei der Bewilligung höherer Vorstandsgehälter<br />

bzw. Erfolgsprämien nichts entgegengesetzt haben.<br />

Die PDS fordert:<br />

- Schaffung von Rahmenbedingungen für Fusionen von Krankenkassen unterschiedlicher<br />

Krankenkassenarten<br />

- eine transparente Gestaltung der Wahlen der Selbstverwaltungsorgane und Gewährleistung<br />

der Rechenschaftspflicht gegenüber den Versicherten und damit die Erhöhung<br />

der Informiertheit ihrer Mitglieder<br />

7. Den Abriss der solidarisch organisierten GKV aufhalten!<br />

Mit den im Rahmen der Agenda 2010 vollzogenen Gesetzesänderungen im Gesundheitswesen<br />

wurden nicht nur die bereits früher untauglichen Instrumente und Rezepte so genannter<br />

Kostendämpfungsmaßnahmen zulasten der GKV-Versicherten fortgeschrieben und erweitert.<br />

Das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) leitete gleichzeitig drei Entwicklungen ein, die<br />

die solidarischen Grundlagen der Finanzierung der GKV weiter aushöhlen und das Gesundheitswesen<br />

der Bundesrepublik Deutschland grundlegend und nachhaltig verändern werden.<br />

1. Für viele GKV-Mitglieder wurde der Zugang ins solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgungssystem<br />

aufgrund neuer Zuzahlungsverpflichtungen und weitere Leistungsbeschränkungen<br />

so erschwert, dass sie die ihnen weiterhin zustehenden gesetzlichen Leistungen<br />

nicht mehr zu jeder Zeit und in vollem Umfang in Anspruch nehmen können.<br />

Dass die neu eingeführte Praxisgebühr <strong>als</strong> Eintrittsgeld ins System vor allem bei den sozial<br />

benachteiligten Bevölkerungsgruppen zum deutlichen Verzicht auf Arztbesuche und<br />

den sich daraus ergebenden weiteren Leistungen geführt hat, belegen von den Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen erhobene Daten. Sie machen deutlich, dass die größten Rückgänge<br />

der Arztbesuche in Regionen mit niedrigem Sozialindex zu beobachten waren und<br />

zwar über das gesamte Jahr 2004 hinweg. Diese Entwicklung zeigt, dass das Solidaritätsprinzip,<br />

das insbesondere für sozial Benachteiligte Garant einer ausreichenden medizinischen<br />

Versorgung war, seine soziale Funktion und Wirkung nicht mehr uneingeschränkt<br />

entfalten kann.<br />

2. Eine Vielzahl von Zusatzversicherungen bzw. Wahlmöglichkeiten innerhalb des GKV-<br />

Systems (Chronikerprogramme, Hausarztmodell, Selbstbehalte, Kostenrückerstattung<br />

etc.) führt zwangsläufig zu einer erheblichen Individualisierung der Versichertengemein-<br />

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schaft. Verbunden mit einem Dickicht von Subsystemen innerhalb einer einzelnen gesetzlichen<br />

Krankenkasse ist der verschärfte Wettbewerb zwischen den früher überwiegend<br />

einheitlich und gemeinsam agierenden Partnern der GKV um so genannte gute Risiken.<br />

Das Auseinanderdriften in erbitterte Konkurrenten am „Gesundheitsmarkt“<br />

schwächt das gesamte GKV-System.<br />

3. Dieser innerhalb des GKV-Systems stattfindende Wettbewerb erfährt eine weitere Dimension<br />

durch eine im GMG festgeschriebene Neuregelung im §1<strong>94</strong> SGB V, die einen<br />

noch bis Januar 2004 <strong>als</strong> „wettbewerbswidrig“ bewerteten Zustand jetzt gesetzlich sanktioniert.<br />

Hier wird den gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit eröffnet, für ihre Versicherten<br />

Zusatzversicherungen mit der Privaten Krankenversicherung (PKV) zu vermitteln.<br />

Die ordnungs- und gesundheitspolitischen Konsequenzen dieser Öffnung sind noch<br />

nicht abschließend einschätzbar. Klar ist allerdings Folgendes: hier entstehen neue Fronten<br />

und Konkurrenzen zwischen einzelnen gesetzlichen Krankenkassen mit ihren jeweiligen<br />

privaten Partnern. So sind die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) bundesweit<br />

Verträge eingegangen mit der DKV (Deutsche Krankenversicherung), die Barmer Ersatzkasse<br />

mit der HUK-Coburg etc. Dabei übernahmen die gesetzlichen Krankenkassen alle<br />

Vertragsbedingungen der PKV, zu denen die Risikoüberprüfung des Patienten sowie alters-<br />

und geschlechtsdiskriminierende Beitragsstaffelungen gehören. Diese von der GKV<br />

seit Jahrzehnten gegeißelten Bedingungen in der PKV verdrängen schrittweise das sozialpolitisch<br />

bedeutsame Solidaritätsprinzip. Gleichzeitig eröffnet sich die Politik hier die<br />

Möglichkeit, die Aufteilung des bisherigen Leistungskatalogs im SGB V in Grund- und<br />

Wahlleistungen, weiter voranzutreiben. Die PKV kann nämlich künftig jede wegbrechende<br />

Leistung im SGB V <strong>als</strong> private Zusatzversicherung in ihre Angebotspalette aufnehmen.<br />

Sozial benachteiligte, chronisch kranke und ältere Versicherte können sich teure<br />

Zusatzversicherungen <strong>als</strong> Ersatzversicherung natürlich nicht leisten. So wird mit zunehmendem<br />

Leistungsabbau das ihnen noch verbleibende Angebot immer schmaler und die<br />

Versorgungsqualität kontinuierlich schlechter.<br />

Diese drei Punkte widerspiegeln auf nationaler Ebene den EU- und weltweiten Prozess einer<br />

fortschreitenden Deregulierung, Privatisierung und Entsolidarisierung im Interesse vor allem<br />

der global agierenden Konzerne, der jetzt auch den lange ausgesparten Bereich der sozialen<br />

und gesundheitlichen Dienstleistungen erreicht hat.<br />

Damit verlieren die bedeutendsten Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge und -vorsorge<br />

ihre Funktion <strong>als</strong> Schutzzonen für besonders gefährdete Gruppen der Gesellschaft, die im<br />

Gesundheitswesen bisher ganz wesentlich durch die Wirksamkeit des Solidaritätsprinzips<br />

gewährleistet war. Der Gesundheitsbereich mutiert zum Gesundheitsmarkt. Der Patient wird<br />

zum Kunden, der Arzt zum Unternehmer, die Apotheke zum Supermarkt und die GKV zum<br />

Serviceunternehmen. Auf EU-Ebene korrespondiert diese Entwicklung mit den Zielsetzungen<br />

der im Entwurf vorliegenden Dienstleistungsrichtlinie („Bolkestein-Richtlinie“) vom Januar<br />

2004. Sie soll zwar aufgrund öffentlicher Proteste überarbeitet werden, dürfte aber in ihrer<br />

Grundrichtung nicht angetastet werden. Diese basiert auf der im Jahr 2000 in Lissabon beschlossenen<br />

Zielsetzung, binnen 10 Jahren den Wirtschaftsraum der EU zum „wettbewerbsfähigsten<br />

und dynamischsten wissenschaftsbasierten der Welt“ zu machen. Dieser Entwicklung<br />

sollen die sozialen Sicherungssysteme mit dem Blick auf die sinkende Sozialkosten<br />

„angepasst“, indem immer mehr soziale Leistungen dem Marktmechanismus unterworfen<br />

werden.<br />

Noch nie in ihrer mehr <strong>als</strong> hundertjährigen Geschichte waren Solidaritäts- und Sachleistungsprinzip<br />

der GKV so gefährdet, wie nach dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes.<br />

Dieser Entwicklung setzt die PDS ihr Gesundheitspolitisches Programm mit solidarischer<br />

Bürgerversicherung und den hier vorgelegten Vorschlägen für notwendige Strukturreformen<br />

im Gesundheitswesen <strong>als</strong> Alternative entgegen.<br />

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