Interview mit Regisseur Andreas Homoki - Opernhaus Zürich
Interview mit Regisseur Andreas Homoki - Opernhaus Zürich
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Drei Schwestern<br />
18<br />
Foto: XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Fotos: Stefan Deuber<br />
Ein grelles Panoptikum<br />
D<strong>mit</strong>ri Schostakowitschs Oper «Lady Macbeth von Mzensk»<br />
ist voll von sex and crime. Der <strong>Regisseur</strong><br />
<strong>Andreas</strong> <strong>Homoki</strong> sucht in seiner zweiten Inszenierung am<br />
<strong>Opernhaus</strong> <strong>Zürich</strong> nach dem Komischen im<br />
Triebhaften und nach der Groteske hinter der Gewalt<br />
Herr <strong>Homoki</strong>, warum haben Sie sich neben Wagners<br />
«Fliegendem Holländer» ausgerechnet D<strong>mit</strong>ri<br />
Schostakowitschs «Lady Macbeth von Mzensk» als<br />
zweite Regiearbeit für Ihre erste Zürcher Spielzeit<br />
ausgesucht?<br />
Weil es ein grossartiges Stück ist. Ich kenne die Oper<br />
schon ganz lange. Vor 25 Jahren war ich Regieassistent, als<br />
Harry Kupfer Lady Macbeth in Köln inszenierte. Das war<br />
damals eine aufsehenerregende Produktion, denn das Stück<br />
wurde in den achtziger Jahren noch nicht so häufig gespielt.<br />
Ich musste am Ende als Assistent sogar einige Chorszenen<br />
selbst inszenieren, weil Harry Kupfer sich den<br />
Fuss gebrochen hatte. Ich habe die Oper seit dieser Zeit<br />
oft gesehen, aber jedes Mal fehlte mir etwas Wesentliches<br />
– der Humor und das Groteske. Ich habe die<br />
Grellheiten der Partitur immer als bewusste Zerrbilder verstanden.<br />
Auch in den gewalttätigen Szenen, die oft<br />
nur drastisch und brutal gezeigt werden, liegt viel Spott.<br />
Schostakowitsch selbst hat die Oper als «tragisch-<br />
satirisch» bezeichnet.<br />
Aber das Satirische wird in vielen Produktionen erst in der<br />
Polizeiszene im dritten Akt erkennbar und steht dann<br />
merkwürdig isoliert da. Für mich war das immer die Schlüsselszene<br />
zum ganzen Stück – die Polizisten als szenisch<br />
und musikalisch grotesk überzeichnete Karikaturen. Sie<br />
werden als dumme, pri<strong>mit</strong>ive Horde vorgeführt, die<br />
nichts zu tun hat und völlig korrupt und skrupellos ist.<br />
Die lächerlichen Polizisten markieren allerdings einen<br />
wichtigen Wendepunkt in dem Stück: Mit ihrem bizarren<br />
Auftritt beginnt der Abstieg der Titelfigur Katerina in<br />
die Katastrophe.<br />
Worin besteht die Komik in Schostakowitschs Musik?<br />
Die Instrumentation ist unglaublich spitz und schrill. Das<br />
Stück ist stark in Blöcken komponiert, es gibt abrupte<br />
Wechsel der Tonfälle und schroffe Kontraste. Und die Musik<br />
wird tänzerisch an Stellen, an denen das eigentlich völlig<br />
unpassend ist, zum Beispiel beim röchelnden Ende des <strong>mit</strong><br />
Rattengift ermordeten Boris. Da kommt beissende Ironie<br />
ins Spiel. Am spektakulärsten ist natürlich die berühmte Beischlafmusik<br />
am Ende des ersten Aktes. Das Liebespaar<br />
hört irgendwann auf zu singen und man hört nur noch eine<br />
vulgäre, rhythmische Blechbläsermusik, die eindeutig<br />
kopulativ klingt. Das ist ein extrem zugespitzter Moment<br />
grotesker Komik.<br />
Zum Skandalnimbus des Stücks hat diese Szene viel<br />
beigetragen. Stalin soll sich bei seinem folgenreichen<br />
Besuch der Aufführung insbesondere über diese<br />
obszön rammelnde Koitusmusik aufgeregt haben.<br />
In dieser Szene kommt in der Oper zum ersten Mal die<br />
Banda zum Einsatz – eine Bühnenmusik, die Schostakowitsch<br />
für skurrile Blechbläser komponiert hat, kleine<br />
Kornetti, hohe Trompeten, Tuben und Basstuben,<br />
eng gesetzt in einem schrillen muskalischen Satz, der auf<br />
das sowieso schon fauchende und stampfende Orchester<br />
oben drauf gesetzt ist. Jede Lady MacbethInszenierung<br />
muss eine Antwort auf die Frage geben: Wie zeigt man<br />
diese Beischlafmusik? Ich kam beim Grübeln darüber<br />
irgendwann an den Punkt, an dem ich dachte: Ich will diese<br />
Banda tatsächlich auf der Bühne als Bühnenmusik sehen!<br />
Meist werden die Musiker im Frack in der Seitenloge postiert<br />
oder sie sitzen im Orchestergraben. Aber ich habe beschlossen,<br />
sie als Teil des Bühnengeschehens zu präsentieren.
Was szenisch nicht einfach ist, weil die BandaMusiker ja<br />
keine Figuren des Stücks sind. Schostakowitsch führt<br />
sie vor als ein zusätzliches Moment grotesker theatralischer<br />
Willkür. Logisch ist ihr Erscheinen nicht. Aber genau das<br />
auf die Bühne zu bringen, hat mich gereizt: Dass da plötzlich<br />
Leute kommen und zu tröten anfangen. Das ist auch<br />
ein Teil der Groteske, der szenisch viel zu selten gezeigt wird.<br />
In welcher Welt spielt Ihre «Lady Macbeth»<br />
-Inszenierung?<br />
Immer wenn ich ein Bühnenbild gemeinsam <strong>mit</strong> Hartmut<br />
Meyer entwickle, kommt am Ende ein freier, unbestimm <br />
ter, rätselhafter Raum dabei heraus. Wir wollten einen Innenraum<br />
zeigen, in dem die Leute eingesperrt sind und<br />
aus dem kein Weg nach draussen führt.<br />
Der tyrranische Schwiegervater singt im ersten Bild:<br />
«Der Zaun ist hoch, die Hunde sind los».<br />
Da<strong>mit</strong> ist doch schon einiges über den Ort gesagt, an dem<br />
das Stück spielt. Unser Raum hat eine industrielle Anmutung,<br />
es wirkt wie eine Art Kraftwerk, ohne dass sich<br />
Konkreteres benennen liesse. Und dieses Kraftwerk<br />
besitzt eine rätselhafte Mechanik. In ihm laufen bestimmte<br />
Zyklen ab wie beim Wechsel von Tag und Nacht. Als<br />
sässen alle im Inneren einer anonymen unmenschlichen<br />
Maschine, die sich immer wieder in Bewegung setzt.<br />
Einer übt darin die Macht aus, ihm scheint es möglich zu<br />
sein, die Mechanik zu steuern. Es ist eine WillkürHerrschaft.<br />
Und jeder hat Angst in das grosse Räderwerk zu ge<br />
raten. Da wird eine Verbindung zu dem totalitären<br />
System erkennbar, das herrschte, als Schostakowitsch die<br />
Oper komponierte – zum Stalinismus. Dessen Machtausübung<br />
war auch unberechenbar. Niemand wusste, was<br />
ihm blühte. Wer heute noch ein hohes politisches Amt<br />
bekleidete oder ein anerkannter Künstler war, konnte<br />
morgen schon auf dem Weg nach Sibirien sein. Stalins Terror<br />
hatte auch <strong>mit</strong> seiner Angst zu tun, dass man ihn<br />
stürzen könnte. In solch einer Situation gibt es keine gesellschaftliche<br />
Verbindlichkeit mehr ausser der brutalen<br />
Machtausübung des Herrschenden. Das kommuniziert der<br />
Raum, in dem die Oper bei uns spielt. Es gibt einen<br />
starken Text von Samuel Beckett: Der Verwaiser. Er beschreibt<br />
das Regelwerk einer Gesellschaft von hoffnungslos<br />
Eingeschlossenen. Sie stecken fest in einem grossen<br />
Zylinder. Und Beckett schildert Rituale des ausweglosen<br />
Miteinanders, die nach Gesetzen funktionieren, die<br />
nicht ausgesprochen, aber von jedem befolgt werden.<br />
In dieser Welt erscheint Katerina Ismailowa,<br />
eine starke Frau. Welche Energien treiben sie an?<br />
Katerina ist eine sehr sinnliche Frau <strong>mit</strong> grossem<br />
Freiheitsdrang. Auch eine fantasievolle Frau, die in der<br />
Welt, in der sie leben muss, völlig unterfordert ist. Sie sucht<br />
nach Liebe und sexueller Befriedigung. Sie ist Opfer<br />
der brutalen Lebensumstände, von denen sie umgeben ist.<br />
Aber ab einem bestimmten Moment fügt sie sich nicht<br />
mehr in die ihr zugewiesene Rolle und begehrt dagegen<br />
auf. Sie ergreift die Initaitive durch Mord und reisst
selbst die Macht an sich. Das ist auch ein Hinweis auf die<br />
Geschlossenheit des verhängnisvollen Systems, in dem<br />
in dieser Geschichte alle gefangen sind: Du kannst da nicht<br />
raus. Wenn du leben willst, musst du nach oben kommen<br />
und selbst die Macht ergreifen. Das ist der einzig mögliche<br />
Weg. Und den beschreitet Katerina <strong>mit</strong> brutaler Konsequenz.<br />
Mich erinnern ihre Taten an den berühmten Mord<br />
in dem HitchcockFilm Der zerrissene Vorhang. Da müssen<br />
Paul Newman und Julie Andrews einen StasiMann<br />
möglichst geräuschlos töten, weil sonst ein vor der Tür wartender<br />
Taxifahrer zum Zeugen würde. Deshalb dürfen<br />
sie ihn nicht einfach erschiessen. Also würgen sie ihn und<br />
stechen <strong>mit</strong> einem Küchenmesser auf ihn ein, aber er<br />
stirbt nicht. Sie schlagen <strong>mit</strong> einem Spaten auf ihn ein, aber<br />
er stirbt nicht. Schliesslich stecken sie seinen Kopf in<br />
einen Backofen und drehen das Gas auf. Das Infame an der<br />
Szene ist, dass man als Zuschauer <strong>mit</strong>tötet. Man denkt<br />
andauernd: Wann krepiert der endlich!<br />
Was ist kennzeichnend für die Männer, der sich<br />
Katerina in dieser Oper gegenüber sieht?<br />
Ihr Ehemann ist ein Schwächling, ihr Schwiegervater Boris<br />
ein sadistischer, in die Jahre gekommener Machtmensch,<br />
ihr Geliebter Sergej ein viriler, unverschämter Frauenverführer.<br />
Die ganze Männergesellschaft ist geprägt von<br />
archaischen Strukturen. Man könnte sagen: Sie funktioniert<br />
nach den Gesetzen eines Wolfsrudels. Einer ist der unangefochtene<br />
Führer und dominiert die Gruppe – auch im<br />
Geschlechtlichen: Der Leitwolf nimmt sich die Frauen.<br />
Ihm muss man sich unterwerfen oder ihn brutal attackieren<br />
und töten, wenn man selbst an die Macht will. Das<br />
Rohe und Vorzivilisatorische ist eine starke Kraft in dem<br />
Stück.<br />
Das klingt jetzt aber weniger nach Humor.<br />
Bei Schostakowitsch sind das Gewalttätige und das Karikaturenhafte<br />
gar nicht voneinander zu trennen, das wird<br />
unsere Inszenierung zeigen. Ausserdem gibt es ja nicht nur<br />
die Bühne, die die Szenerie definiert, sondern auch<br />
die Kostüme von Mechthild Seipel. Die collagieren auf<br />
überzeichnete Weise alles mögliche: realsozialistische Uniformierung<br />
und Comichaftes, Zirkusanklänge und<br />
Faschistoides. Ein grelles, durchgeknalltes Panoptikum<br />
des 20. Jahrhunderts. Schlimm, aber eben auch witzig.<br />
Das Gespräch führte Claus Spahn<br />
Lady macbeth von mzensk<br />
Oper in neun Bildern von D<strong>mit</strong>ri Schostakowitsch (1906–1975)<br />
Musikalische Leitung Teodor Currentzis /<br />
Vassily Sinaisky (28 April, 3 Mai;<br />
19, 21 Juni)<br />
Inszenierung <strong>Andreas</strong> <strong>Homoki</strong><br />
Bühnenbild Hartmut Meyer<br />
Kostüme Mechthild Seipel<br />
Lichtgestaltung Franck Evin<br />
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger<br />
Dramaturgie Claus Spahn<br />
Katerina Ismailowa Gun-Brit Barkmin<br />
Boris / Geist des Boris Kurt Rydl<br />
Sinowij Benjamin Bernheim<br />
Sergej Brandon Jovanovich<br />
Axinja Kismara Pessatti<br />
Sonetka Julia Riley<br />
Zwangsarbeiterin Lidiya Filevych<br />
Der Schäbige / Kutscher /<br />
1. Vorarbeiter Michael Laurenz<br />
Verwalter / Polizist Valeriy Murga<br />
Pope / Alter Zwangsarbeiter Pavel Daniluk<br />
Polizeichef / Wächter /<br />
Sergeant Tomasz Slawinski<br />
Hausknecht Christoph Seidl<br />
Lehrer Ilker Arcayürek °<br />
Kutscher Sunnyboy Dladla °<br />
2. Vorarbeiter Roberto Ortiz °<br />
3. Vorarbeiter Benjamin Russell °<br />
Mühlenarbeiter Robert Weybora<br />
Betrunkener Gast Moises Chavez<br />
° Mitglied des IOS<br />
Chor der Oper <strong>Zürich</strong><br />
Philharmonia <strong>Zürich</strong><br />
Premiere 7 April 2013<br />
Weitere Vorstellungen 10, 13, 17, 20, 23, 28 April 2013<br />
3 Mai 2013, 19, 21 Juni 2013<br />
Werkeinführungen jeweils 45 Min. vor der<br />
Vorstellung<br />
Mit freundlicher<br />
Unterstützung der René und Susanne<br />
Braginsky-Stiftung und der<br />
Ringier AG