Der Augenblick ist Ewigkeit - HW Fichter Kunsthandel
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<strong>Der</strong> <strong>Augenblick</strong> <strong>ist</strong> <strong>Ewigkeit</strong><br />
Ölstudien des 19. Jahrhunderts<br />
H. W. <strong>Fichter</strong> <strong>Kunsthandel</strong>
Genieße mäßig Füll’ und Segen,<br />
Vernunft sei überall zugegen<br />
Wo Leben sich des Lebens freut.<br />
Dann <strong>ist</strong> Vergangenheit beständig,<br />
Das Künftige voraus lebendig,<br />
<strong>Der</strong> <strong>Augenblick</strong> <strong>ist</strong> <strong>Ewigkeit</strong>.<br />
Johann Wolfgang von Goethe<br />
aus: Vermächtnis, 1829
Seite 6 Einleitung<br />
Seite 15 Katalog<br />
Seite 82 Kurzbiographien<br />
Seite 87 Literaturverzeichnis<br />
Dank<br />
Peter Betthausen, Helmut Gehmert, Michaela Gugeler, Stefanie Gundermann, Manfred Keller, Miriam<br />
Krautwurst, Matthias Lehmann, Maria Manteuffel, Werner Moritz, Hans Joachim Neidhardt, Angela<br />
Rietschel, Reinhard Spieß, Chr<strong>ist</strong>ina Vadala.
„<strong>Der</strong> <strong>Augenblick</strong> <strong>ist</strong> <strong>Ewigkeit</strong>“ – Über die Kunst, Landschaften neu zu sehen<br />
6<br />
„Als ich eines Tages so in meine Arbeit vertieft dasaß, machte ein kleines Geräusch mich aufsehen,<br />
und zu meinem nicht geringen Erstaunen erblickte ich drei kleine Hausthüren, ordentlich auf<br />
Menschenfüßen den Berg hinabwandelnd. Ich erinnerte mich, daß ich eine komische Beschreibung<br />
von den riesengroßen Malkasten einiger französischer Maler gehört hatte, die seit mehreren Tagen in<br />
der Sibylle einquartirt waren. Diese Riesenkasten, auf die Rücken von Jungen geschnallt, welche<br />
dadurch bis auf die Füße bedeckt wurden, waren es, die hier vorbeizogen, und bald folgten ihnen<br />
auch die Inhaber.<br />
‚Gegensätze berühren sich!’ bei den Franzosen und uns traf das nur im räumlichen Sinne zu, denn<br />
ihre Zimmer stießen unmittelbar an die unsrigen; aber obwohl sie mindestens ebenso liebenswürdige<br />
und solide Leute waren, als wir zu sein uns schmeichelten, so kamen wir doch durchaus in keinen<br />
Verkehr miteinander. Im Gegentheil mieden wir uns mit einer Art von Scheu; denn jede Partei<br />
mochte die andere für mezzo matti halten, die Gegensätze waren damals zu stark. Die<br />
französischen Maler mit ihren Riesenkasten brauchten zu ihren Studien ungeheure Quantitäten von<br />
Farbe, welche mit großen Borstpinseln halb fingerdick aufgesetzt wurde. Stets malten sie aus einer<br />
gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffect, oder wie wir sagten einen Knalleffect zu erreichen.<br />
Sie verbrauchten natürlich sehr viel Maltuch und Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten<br />
gezeichnet; wir dagegen hielten es mehr mit dem Zeichnen als mit dem Malen. <strong>Der</strong> Ble<strong>ist</strong>ift konnte<br />
nicht hart, nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins kleinste Detail fest und bestimmt zu<br />
umziehen. Gebückt saß ein Jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein kleiner<br />
Papierbogen, und suchte mit fast minutiösem Fleiß auszuführen, was er vor sich sah. Wir verliebten<br />
uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig und wollten keinen ansprechenden Zug uns<br />
entgehen lassen. Luft und Lichteffecte wurden eher gemieden als gesucht; kurz, ein jeder war<br />
bemüht, den Gegenstand möglichst objectiv, treu wie im Spiegel, wiederzugeben.“ 1<br />
In der Kritik an der ‚französischen Manier’, die Ludwig Richter hier in seinen Lebenserinnerungen<br />
überliefert, gibt er uns gleichsam ‚ex negativo’ eine Beschreibung der Charakter<strong>ist</strong>ika der<br />
Landschaftsölskizze, wie sie von den Franzosen, allen voran von Jean-Bapt<strong>ist</strong>e-Camille Corot in den 20er<br />
Jahren des 19. Jahrhunderts praktiziert wurde. Selbst ein mit chirurgischer Genauigkeit dem Abbild der<br />
Natur Nachspürender, stand Ludwig Richter zu dieser Zeit den schon länger in Rom weilenden<br />
Nazarenern um Friedrich Overbeck nahe, die die Wahrheit der göttlichen Schöpfung durch die Reinheit<br />
ihrer Linien nachzuempfinden suchten. „Treu wie im Spiegel“ sollte die Zeichnung sein, da sie der Natur<br />
1<br />
Ludwig Richter, Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Selbstbiographie nebst Tagebuchniederschriften und Briefen, hrsg.<br />
v. Heinrich Richter, Frankfurt am Main 1885, S. 158 f.
als Me<strong>ist</strong>erin zu huldigen hatte. Die Reduktion auf den spitzen Ble<strong>ist</strong>ift und das kleine Blatt Papier kam<br />
dabei der klösterlichen Askese der mönchisch lebenden Nazarener-Bruderschaft entgegen. Ganz anders<br />
dagegen die Franzosen, die bei Richter durch die Größe ihrer Malkästen, ihre Massen an Farben und ihre<br />
Unmengen an verbrauchtem Malstoff zu maßlosen, dem Material huldigenden Grotesken verkommen. Die<br />
negative Konnotation <strong>ist</strong> unüberhörbar. Einziges Ziel dieser „Quantitäten von Farbe“ war der „Effect“, die<br />
kurzweilige, von sich selbst überzeugte Anschauung von ephemeren Phänomenen, die weder Dauer noch<br />
Gültigkeit in den Augen Richters und der Nazarener hatten. Die Franzosen malten um des Effektes willen<br />
und die Deutschen zeichneten um der Wahrheit willen. So könnte man Richters Aussage auf eine kurze,<br />
selbstverständlich verflachende Formel bringen, die beiden Seiten Unrecht tut. 2<br />
Doch was für Richter noch einen verachtungswürdigen Egozentrismus in die Kunst brachte, das <strong>ist</strong> für den<br />
heutigen Betrachter, der die Tragweite dieser Loslösung vom sklavischen Abbilden überblickt, der<br />
Grundstein für eine Kunst, die sich bewusst mit den Problemen und Möglichkeiten ihres eigenen Mediums<br />
auseinandersetzt. In dem Moment, in dem der Künstler nicht mehr dem Objekt dient, das er vor sich<br />
findet, sondern erkennt, dass das Objekt erst durch den Filter der eigenen, höchst subjektiven<br />
Wahrnehmung Gestalt annimmt, da wird der Künstler selbst zum Schöpfer einer neuen, zweiten Natur.<br />
Diese zweite Natur <strong>ist</strong> das Resultat des Abstraktionsprozesses, den jede Anschauung dem Objekt auferlegt.<br />
Dass die scharfe Linie der Nazarener und Ludwig Richters natürlich ebenso ein gewaltiger<br />
Abstraktionsprozess <strong>ist</strong>, das sei hier nur am Rande erwähnt, um nicht den Eindruck zu erwecken, es gehe<br />
hier um ein Richtig oder Falsch in der Kunst des frühen 19. Jahrhunderts. Beides, sowohl der überscharfe<br />
Blick und die schneidende Linie als auch die aus einiger Entfernung gewonnene emotionale Überschau der<br />
subjektiven Empfindung, die sich im pastosen und breiten Pinselstrich als Emanation der überwältigenden,<br />
nur schemenhaft greifbaren eigenen Bewusstseinsempfindung äußert, sind Abstraktionen höchsten Grades.<br />
So hielt ein jeder den anderen für „mezzo matti“ - halb verrückt. In einer künstlerischen Auffassung von<br />
Natur, bei der man sich in jeden Grashalm verliebt und der Ble<strong>ist</strong>ift nicht spitz genug sein kann, <strong>ist</strong> eine<br />
Konzentration auf die zusammenfassende Interpretation eines Farbklanges oder auf die Tageszeiten und<br />
die von der Wettersituation abhängige Lichtwirkung undenkbar. Gerade das Gegenteil, der ewig wahre<br />
Urgrund der göttlichen Schöpfung sollte aufgedeckt werden. Da passte ein Skizzieren in Öl, bei dem die<br />
Einzelheiten und genauen Konturen der Gegenstände zugunsten der Gesamtwirkung geopfert und der<br />
beliebigen Ergänzung durch die Vorstellungskraft des Betrachters preisgegeben wurden, nicht ins Bild. Mag<br />
die Linie auch fein und zart sein, sie steht als massive Grenze zwischen dem Kunstwerk und der<br />
Betrachterphantasie. Und wenn Charles Baudelaire Corots Arbeiten noch 1845 gegen den Vorwurf der<br />
Unfertigkeit verteidigen muss, dann zeigt sich daran, dass Richter mit seiner klaren und klärenden Linie<br />
nicht alleine stand. 3 Die Ölskizze <strong>ist</strong> eine der Sinneswahrnehmung verpflichtete Anschauung der Natur, die<br />
2 Die künstlerischen Eigenarten der jeweiligen Nationalitäten wurden zwischen 1828 und 1830 treffend von Carl Johan Lindström<br />
in Karikaturen festgehalten: Da bindet sich der Franzose bei Sturm und Gewitter an einen Baum um jede Stimmung der<br />
Landschaft festzuhalten, der Deutsche studiert gemütlich mit seinem Hund als Begleiter ein einzelnes winziges Blümchen, der<br />
Italiener rast auf einer Kutsche an den Häuserkulissen vorbei und versucht, sie festzuhalten und der Engländer baut allerhand<br />
technisches Gerät auf, um den Effekten der Natur mithilfe der Linie Herr zu werden. Abb. in: Ausst.-Kat. In the Light of Italy.<br />
Corot and early open-air painting, hrsg. von Philip Consibee, Sarah Faunce, Jeremy Strick, National Gallery of Art Washington,<br />
New Haven u.a. 1996, S. 18f., Fig. 2-5.<br />
3 Charles Baudelaire, Sämtliche Werke/Briefe in acht Bänden, hrsg. von Friedhelm Kemp und Claude Pichios, München 1977, Bd.<br />
1, Juvenilia – Kunstkritik 1832-1846, S. 167f.: „Die guten Leute! Zuvörderst wissen sie nicht, daß ein geniales Werk […] allemal<br />
7
vom Betrachter ein Nachempfinden des subjektiven Standpunktes des Künstlers erwartet und dies schließt<br />
auch mit ein, dass man den Betrachter nicht vor vollendete Tatsachen stellt. Das hauptsächliche<br />
Augenmerk liegt auf der Wiedergabe des Ephemeren, also von Licht und der daraus resultierenden<br />
Farbwirkung einer Landschaft, der momentanen Naturstimmung. Wie im Formspiel der Wolken die<br />
Veränderung der einzig konstante Bestandteil <strong>ist</strong>, so <strong>ist</strong> auch bei der Ölskizze der flüchtige Charakter<br />
Bedingung für die Integration des Betrachters in das Bild.<br />
Als Ludwig Richter in der eingangs zitierten Textstelle, retrospektiv niedergeschrieben in den 1870er<br />
Jahren 4 , gegen die Ölskizzen der Franzosen wetterte, da war das Ringen um das Fortschreiten der Kunst<br />
schon entschieden. <strong>Der</strong> Impressionismus hatte längst seinen unaufhaltsamen Marsch an die Spitze der<br />
Kunst begonnen. Eine Kunst also, die so viel der Erscheinung verdankt, die sich immer nur dem<br />
individuellen Subjekt zu erkennen gibt. Doch bereits zu Richters Zeit in Rom war die Bedeutung der<br />
landschaftlichen Skizze in Öl wesentlich größer als dies sein Text zu vermitteln versucht. Das gilt auch für<br />
die deutschen Künstler, von denen der vorliegende Band einige Beispiele ihrer Ölskizzenkunst präsentiert.<br />
<strong>Der</strong> Franzose Pierre-Henri de Valenciennes trug wesentlich zur Entwicklung der landschaftlichen Ölskizze<br />
bei. Er wandte sich in seiner Abhandlung über die Perspektive mit praktischen Ratschlägen an den<br />
angehenden Landschaftsmaler und legte darin bei der Ausbildung besonderen Wert auf die Skizze. 5 Als<br />
Künstler gilt er als einer der wichtigsten Exponenten der paysage h<strong>ist</strong>orique, jener heroischen<br />
Landschaftsauffassung, die ihr Ziel im Ideal einer Natur sieht, das über die gegebene Natur selbst steigt. In<br />
seinem Œuvre stehen seine Ölskizzen gesondert von seinem offiziellen Werk und sind grundsätzlich von<br />
privatem Charakter. Im Öffentlichen also der Anspruch an die <strong>Ewigkeit</strong> des Ideals, im Privaten aber der<br />
wissenschaftliche Anspruch, der den Phänomenen der Natur mit seinen spezifischen Mitteln nachzuspüren<br />
sucht. Maximal zwei Stunden für eine ‚plein air’-Studie, eine halbe nur, wenn es sich um Sonnenauf- oder<br />
untergänge handelt, gesteht er sich und seinen Schülern zu. Da bleibt wenig Zeit für die <strong>Ewigkeit</strong>. 6<br />
Auf Valenciennes’ Initiative hin wurde im Rahmen des Prix du Rome 1817 der Concours für paysage h<strong>ist</strong>orique<br />
in Form der Landschaftsölskizze eingeführt und diese damit institutionalisiert. 7 Generell wurde jedoch in<br />
der französischen Malerei der Ölskizze im akademischen Lehrplan und in den großen Ateliers schon vor<br />
der Einführung des Concours eine wichtige Rolle zugestanden. Allein an der differenzierten Terminologie<br />
lässt sich ihr hoher Stellenwert erkennen. 8 Man unterschied die croquis, die in grob umreißenden Linien<br />
gezeichnete Kompositionsentwurfsstudie, die in der esquisse in Ölfarben weitergeführt wurde. In der esquisse<br />
sehr gut ausgeführt <strong>ist</strong>, wenn es nur hinlänglich ausgeführt <strong>ist</strong>. Ferner – daß ein großer Unterschied besteht zwischen einem<br />
vollendeten und einem ausgearbeiteten Stück – daß das vollendete me<strong>ist</strong> nicht ausgearbeitet <strong>ist</strong>, und manches sehr ausgearbeitete<br />
Bild überhaupt nicht vollendet, daß ein ge<strong>ist</strong>voller, bedeutender und gut gesetzter Pinselstrich ungeheuren Wert hat…, etc. …, etc.<br />
…, woraus folgt, daß Corot wie die großen Me<strong>ist</strong>er malt.“<br />
4<br />
Richter 1885 (wie Anm. 1), S. IV.<br />
5<br />
Pierre-Henri de Valenciennes, Eléments de perspective pratique à l’usage des art<strong>ist</strong>es, suivis des réflexions et conseils à un élève<br />
sur la peinture et particulièrement sur le genre du paysage, Paris 1800.<br />
6<br />
Vgl. hierzu Simone Schultze, Pierre-Henri de Valenciennes und seine Schule. ‛Paysage h<strong>ist</strong>orique’ und der Wandel in der<br />
Naturauffassung am Anfang des 19. Jahrhunderts, Diss., Freiburg (Breisgau) 1995, S. 38-60.<br />
7<br />
Viktoria von der Brüggen, Zwischen Ölskizze und Bild. Untersuchungen zu Werken von John Constable, Eugène Delacroix und<br />
Adolph Menzel, Diss., Frankfurt 2004, S. 26, Anm. 65 und Schultze 1995 (wie Anm. 6), S. 91 ff.<br />
8<br />
Werner Busch, Die notwendige Arabeske. Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts,<br />
Berlin 1985, S. 257.<br />
8
definierte der Maler die Verteilung der Massen. Es folgte die vor der Natur oder einem Modell entstandene<br />
étude. Sie <strong>ist</strong> eine detailliertere und ausgeführtere Naturstudie, oft auch Detailstudie und muss nicht<br />
zwingend ein bestimmtes Werk vorbereiten. Die pochade <strong>ist</strong> eine Abwandlung der étude, in ihr wird ein<br />
flüchtiger Natureindruck festgehalten. Die ébauche <strong>ist</strong> eigentlich die Untermalung des späteren Gemäldes.<br />
In der Landschaftsmalerei aber konnte sie durch die Pinselfraktur als Medium der Stimmungsvermittlung<br />
dienen, denn Farbe und gestalterische Mittel wurden bestimmend. Die stehengebliebene Pinselfraktur kann<br />
einen der Natur näheren Eindruck erschaffen, als es die einebnende Malerei vermag. 9<br />
In der Skizzenterminologie der französischen Akademie würden somit auch Valenciennes'<br />
Landschaftsölskizzen als ébauche, als flüchtige, die Pinselfraktur betonende Ölstudien, bezeichnet worden<br />
sein. Landschaftliche Ölskizzen entstehen me<strong>ist</strong> ohne direkt in einen Werkprozess eingebunden zu sein,<br />
sondern stehen selbständig für sich. <strong>Der</strong> Künstler schafft sie 'amoris causa', rein um ihrer selbst Willen, zur<br />
Klärung gewisser Wahrnehmungsprobleme, die der Künstler aus eigener Anschauung erfährt. 10 Ferner geht<br />
die Entwicklung der landschaftlichen Ölskizze zu Beginn des 19. Jahrhunderts einher mit einer<br />
Abwendung vom klassischen Ideal, dem Wandel des Bildes der Natur von einer „Landschaftsvorstellung<br />
zur Landschaftsdarstellung“ in der Landschaftsmalerei. 11 Auch akademisch festgelegte Schemata, wie etwa<br />
die Einteilung der Komposition in Gründe, verlieren an Relevanz, denn es <strong>ist</strong> nunmehr die Wahrnehmung,<br />
die die Darstellung, den Gegenstand bestimmt. 12<br />
Wie stark die Wahrnehmung dabei die vermeintlich fest gefügte Landschaft transformiert, zerlegt, zersetzt<br />
und neu zusammenordnet, das hat Baudelaire in einem kurzen Text über die Farbe festgehalten: „Denken<br />
wir uns eine schöne Stelle in der Natur, wo alles in voller Freiheit grünt, sich rötete, stäubt und schillert, wo<br />
alle Dinge in ihrer unterschiedlichen Färbung, je nach der Zusammensetzung der Moleküle, von Sekunde<br />
zu Sekunde, wie Licht und Schatten wandern, sich verändern und durch das Arbeiten der inneren Wärme<br />
sich in fortwährender Vibration befinden, die die Linien zittern macht und das Gesetz der ewigen,<br />
allgemeinen Bewegung vervollständigt.“ 13 Die Landschaft wird zum wogenden Kosmos einer ständigen<br />
Veränderung. Dem kann der Künstler nicht mehr mit seinen Naturidealen nachspüren. Das Atelier wird da<br />
fast zu einem Gefängnis der Zeit, das einen konserviert, von der Natur abschneidet und einem das ewige<br />
Werden vorenthält. Daher die Flucht in die Natur. Man wollte direkt am Ort des Geschehens sein, dort, wo<br />
sich die Kräfte der Natur übertragen lassen in die eigene Kunst. Dass der Drang nach Naturnähe, für den<br />
der so oft verwendete Zusatz „nach der Natur“ auf den Zeichnungen und Ölskizzen bürgte, auch bizzare<br />
Blüten trieb, sei hier nicht verschwiegen: Von dem Maler und Politiker Massimo d’Azeglio wird berichtet,<br />
dass er eines Tages, zur großen Erheiterung seiner Kollegen, einen riesigen Baum in sein Atelier bringen<br />
9 Vgl. ebd., S,. 257 f. Für eine Unterteilung der Ölskizze im deutschen Sprachraum sei die Terminologie von Rudolf Wittkower<br />
(1901-1971) erwähnt. Vgl. auch Werner Busch, Die autonome Ölskizze in der Landschaftsmalerei. <strong>Der</strong> wahr- und für wahr<br />
genommene Ausschnitt aus Zeit und Raum, Pantheon 41, 1983, S.128.<br />
10 Lawrence Gowing, Introduction, in: Ausst.-Kat. Painting from nature. The tradition of open-air oil sketching from the 17th to<br />
19th centuries, hrsg. v. Fitzwilliam Museum, Cambridge, London 1980, S. 3.<br />
11 Vgl. Martina Sitt, Die Antwort auf das Andere, in: Ausst.-Kat. Angesichts der Natur. Positionen der Landschaft in Malerei und<br />
Zeichnung zwischen 1780 und 1850, bearb. v. Martina Sitt und Bettina Baumgärtel, Köln 1995, S. 10.<br />
12 Bettina Baumgärtel, Unvollendet Vollendetes – Zu den Landschaftszeichnungen, in: ebd., S. 31.<br />
13 Kritik zum Pariser Salon 1845, Abschnitt 3: Über die Farbe. Zit. nach: Charles Baudelaire, <strong>Der</strong> Künstler und das moderne Leben.<br />
Essays, „Salons“, intime Tagebücher, hrsg. von Henry Schumann, 2. Aufl., Leipzig 1994, S. 24.<br />
9
ließ, um „nach der Natur“ malen zu können. 14 Ob er damit der Natur so nahe war wie Baudelaire in seiner<br />
Schilderung, das sei hier dahingestellt.<br />
Ein eindrückliches Beispiel für die neue Auffassung von Natur <strong>ist</strong> die Wolkenstudie, deren Beliebtheit im<br />
ersten Drittel des Jahrhunderts deutlich zunimmt. Das gesteigerte Interesse an der Beschäftigung mit<br />
Wetterphänomenen <strong>ist</strong>, neben kunsttheoretischen Überlegungen wie denen Valenciennes', eng mit der<br />
Verbreitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse verbunden, wie Luke Howards Untersuchungen zu den<br />
Wolkenformationen. 15 Die Abhandlung erfreute sich besonders bei den deutschen Künstlern jener Zeit,<br />
nicht zuletzt durch die Ehrung Goethes, großer Beliebtheit. 16 Als Reaktion auf Howard schufen etwa Johan<br />
Chr<strong>ist</strong>ian Clausen Dahl, Johann Georg von Dillis und Carl Blechen malerisch höchst abstrakte<br />
Wolkenstudien. 17 John Constable begann intensive Himmelsstudien wohl im eigenen Garten in<br />
Hampstead, die Wolkenlandschaften versah er auf der Rückseite mit Angaben zu Ort, Datum,<br />
Himmelsrichtung und Uhrzeit. 18<br />
Neben dem gesteigerten wissenschaftlichen Interesse förderte auch die künstlerische Herausforderung der<br />
Flüchtigkeit, der Wandelbarkeit und Unbestimmtheit ihrer äußeren Form die Faszination an der<br />
Darstellung von Wolken. 19 In der Wolkenstudie verbindet sich der wissenschaftlich geschulte Blick des<br />
Künstlers mit dem Wissen um die Wirkung des Himmels auf den Ausdruck, die Stimmung des Werkes.<br />
Doch nicht nur die Wiedergabe von Wolkengebilden erleichterte die Ölskizze durch ihre Möglichkeit,<br />
unmittelbare Ausführung zu bieten, ohne den Anspruch einer 'vollendeten' Komposition erfüllen zu<br />
müssen. Die Konzentration auf den <strong>Augenblick</strong> der Aufnahme und damit sowohl die subjektive und<br />
emotionale als auch die objektive, beobachtende Teilnahme daran wurden zu einem Motor für<br />
Bildfindungen, die vormals undenkbar gewesen wären. So <strong>ist</strong> es auch ein grundlegender Aspekt besonders<br />
der landschaftlichen Ölskizze, dass sie erkundet, erforscht und damit immer auch Grenzen überschreitet.<br />
Es gibt keine definierten Bildobjekte mehr. Bildwürdig <strong>ist</strong> das, was der Maler ins Bild setzt. Diese Egalität,<br />
die so entscheidend für die Moderne werden sollte, <strong>ist</strong> ein Prozess, der in der Skizze, im Bereich des<br />
Privaten beginnt und seinen Weg von hier aus auf die großen Leinwände findet. 20<br />
14<br />
Vgl. den Bericht von Nino Costa, einem Vertrauten Böcklins in dessen römischer Zeit, in: Nino Costa, Quel che vidi e quel che<br />
intesi, Mailand 1927, S. 101.<br />
15<br />
Howards Abhandlung zur Veränderung der Wolken erschien zuerst 1803 im Philosophical Magazine in London unter dem Titel On<br />
the Modification of Clouds.<br />
16<br />
Um 1820 verfasste Goethe in Anerkennung der Le<strong>ist</strong>ungen Howards das Gedicht Howards Ehrengedächtnis. Goethe wurde mit den<br />
Ideen Howards wohl durch eine Zusammenfassung des Essay in deutscher Übersetzung um 1815 oder 1816 bekannt. Vgl. hierzu<br />
Werner Busch, Die Ordnung im Flüchtigen – Wolkenstudien der Goethezeit, in: Ausst.-Kat. Goethe und die Kunst, hrsg. v.<br />
Sabine Schulze, Ostfildern 1994, S. 522ff.<br />
17<br />
Pia Müller-Tamm, Rumohrs „Haushalt der Kunst“. Zu einem kunsttheoretischen Werk der Goethe-Zeit, Hildesheim u.a. 1991,<br />
S. 131 und Anm. 616.<br />
18<br />
Ausst.-Kat. London 1980 (Anm. 10), S. 37 und Ausst.-Kat. Gärten. Ordnung, Inspiration, Glück, hrsg. v. Sabine Schulze,<br />
Ostfildern 2006, S. 116.<br />
19<br />
Vgl. von der Brüggen 2004 (Anm. 7), S. 27.<br />
20<br />
Ausnahmen und Vorläufer gibt es immer und so hat beispielsweise John Constable in den 1820er Jahren seine öffentlichen<br />
Gemälde bewusst so gestaltet, dass sie etwas von dem skizzenhaften Charakter einer schnell vor der Natur gemalten Landschaft<br />
bewahren. Sie sollten dadurch die stetige Bewegung der Natur und die nie konstante Wahrnehmung des Künstlers vermitteln.<br />
10
Karl Friedrich Schinkel beschreibt von Rom aus in einem Brief an seine Frau Susanne vom 28. Oktober<br />
1824, in dem er vom Kauf einiger Skizzen Heinrich Reinholds berichtet, diese besondere Eigenschaft der<br />
Ölskizze. 21 Die Arbeiten rühmt er darin als „im eigentlichen Sinne etwas Wirkliches von Kunst“ und „an<br />
sich selten, ja einzig […] und dazu die Erinnerungen der Reise auf immer zu halten im Stande“. 22 In<br />
Schinkels Äußerung über die Skizzen wird deutlich, dass es hierbei nicht um Dichtung oder Inszenierung,<br />
sondern um das künstlerische Gespür, um die der Natur innewohnende sinnliche Komponente geht, die<br />
sich im Medium der Ölskizze artikuliert. <strong>Der</strong> Anspruch an eine erschöpfende Darstellung oder 'Ganzheit'<br />
der Komposition <strong>ist</strong> nicht gegeben.<br />
Die Bedeutung des Mediums der Ölskizze als Experimentierfeld in der Landschaftsmalerei liegt in den<br />
zuvor beschriebenen Entwicklungen. Sie dient zur Ergründung kompositorischer, motivischer, wetter-,<br />
stimmungs- und lichtbezogener, perspektivischer oder farblicher Phänomene und den sich daraus<br />
ergebenden künstlerisch-ästhetischen Problemen. Die Ölskizze lädt etwa zu formaler Reduktion<br />
architektonischer Motive und der Ordnung der Komposition nach einem bestimmten Muster ein.<br />
Eigentümliche Bildausschnitte, Licht- und Farbkontraste oder Perspektiven können auf deren Bildwirkung<br />
hin erprobt werden, wie es etwa in Chr<strong>ist</strong>ian Friedrich Gilles Darstellung des frisch gepflügten Ackers<br />
geschieht (vgl. S. 37). Vor einer flachen, von sanft geschwungenen, dunklen Bergrücken hinterfangenen<br />
Wiesenlandschaft setzt Gille ein zwei Drittel der Gesamtfläche füllendes Feld, das sich durch die groben<br />
Schollen der aufgebrochenen Erde strukturiert. Durch die extreme Nahsicht wölbt sich der aufgesprungene<br />
Boden nach vorne, dem Betrachter entgegen, und scheint hierdurch regelrecht zu seinen Füßen hinab zu<br />
stürzen. Ungewöhnliche Naturstrukturen werden im Bild zu abstrakten Mustern. Die Lichtbrechung auf<br />
der Oberfläche wird zum Anreiz der künstlerischen Umsetzung in das Bild.<br />
Diese Faszination für Oberflächenstrukturen findet man auch in Benno Friedrich Törmers Ansicht des<br />
Antoninustempels auf dem Forum in Rom (vgl. S. 73). Hier widmet sich der Künstler der eigentümlichen<br />
Farbigkeit und der Struktur des Marmors der Säulen und des Reliefs im Gegensatz zum Mauerwerk und<br />
Putz der später angesetzten Bauten. <strong>Der</strong> Künstler mag die spezifisch isolierende Perspektive wegen der<br />
Konzentration auf diese Details gewählt haben. Jedoch bilden die architektonischen Elemente durch<br />
verschiedene bildparallele Flächen eine gewisse geometrische Ordnung. In der Wahl des Ausschnitts<br />
erscheint die Möglichkeit eines besonderen Gestaltungspotentials.<br />
Bereits in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts führte dieses Interesse an der Geometrisierung den<br />
Briten Thomas Jones zu einer der heute bekanntesten Arbeiten seiner Zeit in Italien, dem Blick auf eine<br />
Mauer in Neapel 23 . Die nur 11,1 x 15,9 cm kleine Bildfläche zeigt durch die radikal reduzierte Figürlichkeit<br />
die der Ölskizze innewohnende Möglichkeit einer Loslösung vom Gegenstand und ihre maßgebliche Rolle<br />
bei der Entwicklung hin zur Abstraktion. In Jones' Bild lösen sich die einzelnen Bildelemente soweit auf,<br />
dass ihre Identifikation nur noch im Gesamtkontext des Bildes stattfinden kann. Bis zur Auflösung eben<br />
21 Zit. nach: Ausst.-Kat. Heinrich Reinhold (1788-1825). Italienische Landschaften, Kunstgalerie Gera, Gera 1988, S. 28 f.<br />
22 Schinkel bemerkt in diesem Brief, dass es selten sei, dass Künstler sich von solcherlei Studien trennten, „weil dazu immer eine<br />
Reise gehört, und weil die Natureffecte nie so wiederkehren; dieser aber hat bei seiner Jugend die Sache nicht so streng überlegt.“<br />
Schinkel nimmt also an, dass Reinhold die Studien für spätere Werke noch gebrauchen hätte können, doch wurde diese<br />
Überlegung mit dem Tode des Künstlers knapp ein Vierteljahr später bedeutungslos.<br />
23 Thomas Jones: Mauer in Neapel, 1782, Öl auf Papier, 11,1 x 15,9 cm, National Gallery, London.<br />
11
dieses Kontextes <strong>ist</strong> es dann nur noch ein kleiner, wenn auch gewichtiger Schritt.<br />
Gegenüber diesem, der Ordnung verpflichteten Ansatz findet bei Landschaftsansichten wie Gustav<br />
Friedrich Papperitz' Campagnalandschaft (vgl. S. 53) oder William Krauses Ansicht eines Fjordes (vgl. S. 45)<br />
das sinnliche Element in der Wiedergabe der besonderen Wetter- und Lichtsituation seinen Ausdruck. Jene<br />
stimmungstragende Komponente des Mediums also, die Schinkel bei Reinholds Skizzen als „etwas Wahres<br />
von Kunst“ charakterisierte. Auch Rosa Bonheurs Südliche Landschaft (vgl. S. 19) aus den 50er Jahren des<br />
19. Jahrhunderts oder Hans Thomas Landschaft bei Bernau (vgl. S. 71) von 1864 stehen in dieser Tradition.<br />
In beiden Landschaftsansichten liegt das Interesse auf dem besonderen Natureindruck des Hochlands.<br />
Satte, grüne Wiesen bedecken bei Bonheur die spitzen Bergkegel, am hellblauen Himmel ziehen gewaltige<br />
Wolkenberge heran. Beide Künstler deuten hierin ein besonderes Charakter<strong>ist</strong>ikum des Wetters der<br />
bergigen Landschaft an: dessen schnelle Wandelbarkeit. In einem Moment erscheint die Natur noch in der<br />
Heiterkeit eines Sommertages, in der nächsten Minute könnte sich der Wanderer bereits einem Unwetter in<br />
den Bergen ausgesetzt sehen.<br />
Das Nachspüren der momentanen Naturstimmung durch das Einfangen der Licht- und Farbeffekte<br />
ermöglicht es dem Künstler, eine bestimmte Atmosphäre zu generieren, die der Betrachter nachempfinden<br />
kann, ohne selbst vor Ort gewesen sein zu müssen. Besonders Krauses nördliche Landschaft <strong>ist</strong> durch die<br />
eigentümliche Wetterstimmung eines Abendhimmels über den bereits verschatteten Bergkegeln am Ufer<br />
des Fjords mit dramatisch bewegten, hoch aufgetürmten, rot, orange, hellgelb und violett schimmernden<br />
Wolken geprägt. Auf dem Wasser vor dem Fischerboot spiegelt sich das letzte Gleißen der Sonne hinter<br />
den Wolken. Die dunkle Schroffheit der bergigen Landschaft, die Wandlung der Natur im vergehenden<br />
Tageslicht, die sich aus dem Zwielicht ergebenden Farbeffekte erzeugen eine seltsam unwirkliche, beinahe<br />
traumhafte Atmosphäre.<br />
Auf eine andere Weise bediente sich Johann Wilhelm Schirmer der Ölskizze: Er sammelte seine Motive oft<br />
für spätere Landschaftsgemälde, indem er einzelnen Details der Natur in Studien nachging. Noch mehr als<br />
sein Blick hinauf in die spitzen Zypressenwipfel der berühmten Rotonda dei Cipressi im Garten der Villa<br />
d’Este 24 , <strong>ist</strong> seine Baumstudie (vgl. S. 63), die wohl im Zusammenhang mit dem Bild Erlen am Rhein 25<br />
entstand, ein eindrückliches Beispiel einer solchen analysierenden Detailstudie. Mit spitzem Pinsel skizziert<br />
er in raschen Kürzeln die einzelnen Blätter im Vordergrund in ihren verschiedenen Tönungen. Die<br />
Baumkronen dahinter erscheinen, mit breitem Strich angelegt, schemenhaft verwischt. Ortlos und dem<br />
Zugriff des Betrachters enthoben erscheinen diese Bäume.<br />
Auch Franz Ittenbachs Felsformation (vgl. S. 43) gehört zu dieser Art Studien, die keinerlei Möglichkeit der<br />
Orientierung bieten, das Dargestellte in Größe und Verhältnis zum eigenen Standpunkt zu verorten. <strong>Der</strong><br />
Sinn der Darstellung liegt in der Wiedergabe der Schönheit des Naturausschnitts, der in diesem Falle ein<br />
Portrait eines majestätischen Felsens <strong>ist</strong>. Während er den Fels im gleißenden Licht erfasst, liegt die<br />
Fußzone in tiefer Dunkelheit und steigert so die Konzentration auf das Konterfei der schroffen Formation<br />
24<br />
Zypressen, um 1840, Öl auf Leinwand, 76,7 x 54 cm, Stiftung museum kunst palast, Düsseldorf, Inv. Nr. 2263 (Sammlung<br />
Kunstakademie Düsseldorf).<br />
25<br />
Erlen am Rhein, 1863, Öl auf Pappe, 50,2 x 33,5 cm, Privatbesitz.<br />
12
in der oberen Bildhälfte. Ittenbach modelliert mit großer Sorgfalt die charakter<strong>ist</strong>ischen Züge der<br />
Gesteinsformation vor einem flächig gestalteten, hellblauen Himmel. Wie bei einem zu portraitierenden<br />
Gesicht spürt er Flächen, Rissen, Abbruchkanten und Überhängen als spezifischen Merkmalen der Gestalt<br />
nach. Diese unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Detail birgt besondere Intimität und zeugt von<br />
einer veränderten Vorstellung von Natur. Die tote Materie des Gesteins <strong>ist</strong> nicht mehr nur bloßes<br />
Gegenüber sondern Ausgangspunkt einer nach Innerlichkeit suchenden Anschauung.<br />
Ein ganz anderes Bild der Intimität bietet uns Johann Sperls Wäscheleine (vgl. S. 65), denn die zum<br />
Trocknen aufgehängte Leibwäsche befindet sich im privaten Garten, <strong>ist</strong> fremden Blicken entzogen. Doch<br />
<strong>ist</strong> diese Privatheit nicht der hauptsächliche Gegenstand der Darstellung. Sicherlich hat Sperl das Licht zu<br />
dieser Arbeit angeregt. <strong>Der</strong> Kontrast des in der Sonne gleißenden Weißzeugs zum Grün der Wiesen und<br />
Bäume, das Schattenspiel des durch die Blätter fallenden Sonnenscheins auf dem Rasen und der Wäsche –<br />
Sperl ergeht sich im breitem Duktus des Borstenpinsels, in den mannigfaltigen Schattierungen von Weiß<br />
und Grün. Die Idylle der privaten Sphäre kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier eine wichtige<br />
Auseinandersetzung mit Malerei an sich stattfindet.<br />
Das unmittelbare Nachspüren der künstlerischen Empfindung in der Ölskizze, die es dem Betrachter<br />
scheinbar ermöglicht, dem Künstler über die Schulter zu schauen und etwas von dem kreativen Ge<strong>ist</strong> zu<br />
verspüren, der das Bild hervorbringt: das scheint einer der maßgeblichen Gründe dafür zu sein, dass die<br />
Ölskizze, besonders die unmittelbar vor der Natur aufgenommene, auf uns eine solche Faszination ausübt.<br />
Das Feuer der „glühenden Hingabe des Künstlers“ 26 , das bereits Denis Diderot in den Skizzen der Maler<br />
als Beleg für unmittelbare Partizipation am schaffenden Ingenium erkannte, wird in der zum Selbstzweck<br />
erhobenen Landschaftsölskizze zum eigentlichen Ausdruck. „Da schwebt die Seele des Malers frei über<br />
der Leinwand.“ 27 Wenn es in der Arbeit nicht mehr um das Ideal geht, nach dem sich der Künstler zu<br />
richten hat, sondern die subjektive Künstlerempfindung und individuelle Sinnstiftung Oberhand gewinnen,<br />
dann gelangt die Malerei zu sich selbst, dann <strong>ist</strong> es, „als ob diese Farbe – man vergebe mir derartige<br />
Gewagtheiten des Ausdrucks für etwas, das so leicht nicht in Worte zu fassen <strong>ist</strong> – von sich selber her<br />
denke, gleichviel, welche Dinge sie umkleide.“ 28 Hat Delacroix diese Befreiung im H<strong>ist</strong>orienbild als<br />
Speerspitze einer Avantgarde schon in den 1820er Jahren vorgenommen, so wird sie zur Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts durch die Landschaft nahezu alle Künstler ergreifen. Die Empfindung steigt über die<br />
Imitation und die Natur bietet in ihrer mannigfachen Farb- und Formerscheinung ein ideales Terrain für<br />
diesen Transformationsprozess. Die Landschaft wird dabei zur Projektionsfläche eines Projekts der<br />
Moderne, das, losgelöst von Normen, Schranken und Zwängen, danach strebt, die Selbstbestimmung des<br />
Künstlers in seiner Malerei zu verankern.<br />
Ein Großteil der Ölskizzen darf daher nicht als bloßes Abbild einer gefundenen Natur gesehen werden. Es<br />
äußert sich in ihnen immer der Künstler auf seine ganz eigene Art. Die Ölskizze <strong>ist</strong> nicht etwa eine gemalte<br />
26<br />
Denis Diderot, Ästhetische Schriften, hrsg. von Friedrich Bassenge, Frankfurt/Main 1968, Bd. 1, S. 574 (aus dem Salon von 1765,<br />
zu einigen Ölskizzen von Jean-Bapt<strong>ist</strong>e Greuze).<br />
27<br />
Ebd.<br />
28<br />
Charles Baudelaire über Eugène Delacroix, in: Exposition Universelle – 1855 – Beaux Arts, in: Charles Baudelaire, <strong>Der</strong> Künstler<br />
und das moderne Leben. Essays, “Salons”, intime Tagebücher, hrsg. von Henry Schumann, Leipzig 1990, S. 161.<br />
13
Photographie, die den Naturausschnitt so wiedergibt, wie er vom Künstler vorgefunden wurde. Wahrheit<br />
äußert sich in der Skizze nur als subjektive Wahrheit und diese <strong>ist</strong> eine, die nur in der Privatsprache des<br />
Künstlers Gültigkeit hat. Gerade dies gibt dem Künstler aber die Möglichkeiten an die Hand, frei von<br />
Konventionen oder Traditionen im Malerischen zu experimentieren, Fragen zu stellen und Lösungen zu<br />
suchen. So individuell wie die private Anschauung <strong>ist</strong>, so individuell <strong>ist</strong> auch ihre Bild gewordene<br />
Äußerung. In ihr artikuliert sich eine Privatheit, die uns in ihren Bann schlägt, die aber gleichzeitig eine<br />
Intensivierung unserer eigenen Einstellung gegenüber dem Kunstwerk verlangt, um dem Künstler in seine<br />
private Sphäre zu folgen. Wenn einem Kunstwerk dies gelingt, dann vermag es kaum höher zu steigen.<br />
14<br />
Aurelio <strong>Fichter</strong> & Silke Friedrich-Sander
Andreas Achenbach<br />
1815 Kassel – Düsseldorf 1910<br />
Waldpartie aus dem Neandertal, um 1832<br />
Öl auf Leinwand, auf Karton aufgezogen, unten rechts monogrammiert (ligiert): „AA“ und undeutlich bezeichnet,<br />
32,2 x 35,7 cm<br />
So detailgetreu die Studie auch erscheinen mag, so verliebt in die Erscheinung der wilden Natur sie sich<br />
geben mag, der Drang nach Inszenierung, der Achenbach sein Leben lang leitete, <strong>ist</strong> auch hier zu spüren.<br />
In seinen großen Seestücken, den Küstenbildern oder den Schiffsunglücken, die ihn so berühmt gemacht<br />
haben und ihn zum „Herr über Land und Meer“ 1 haben werden lassen, findet sich immer das dramatisierte<br />
Spektakel einer über-wilden Natur, die sich dennoch dem Pinsel des Künstlers beugen muss. Stets <strong>ist</strong> es der<br />
Schwung des Pinsels, der nicht konturierend, sondern modellierend die Realität in das Bild überführt.<br />
Farbmassen werden zu Gestein, die feinen Kratzer der einzelnen Pinselhaare zu Wiesen- und<br />
Moosflächen. Unter seinen Lehrern an der Düsseldorfer Kunstakademie wird ihm Johann Wilhelm<br />
Schirmer diese Malmöglichkeiten vermittelt haben. 2<br />
Unsere frühe Ölstudie entstand vermutlich bei einer Wanderung im „Gesteins“, dem heutigen Neandertal, 3<br />
während seiner Zeit an der Düsseldorfer Kunstakademie zwischen 1830 und 1834. Sie lässt bereits die<br />
Grundlagen seiner späteren Gemälde erkennen, denn es geht hier nicht nur um eine objektive Aufnahme<br />
des Gegebenen. Vielmehr findet sich in der Lichtführung, die aus dem vorderen Dunkel heraus die<br />
Gegenstände in ein verhaltenes schummriges Licht taucht, und in der gedämpften aber differenzierten<br />
Farbpalette der Drang zu einer bewussten Stimmung, die die romantischen Dresdner Vorbilder evoziert.<br />
Caspar David Friedrichs von Tod und Auferstehung durchzogene Naturmotive werden ebenso zitiert wie<br />
der dunkel-gelbe Widerschein des Mondes und doch wird in das Pathos der Naturerhabenheit durch die<br />
Gleichzeitigkeit von Inszenierung und Hingabe an das Detail eine Sollbruchstelle eingefügt, die Achenbach<br />
in allen seinen Bildern beibehalten sollte. Nie <strong>ist</strong> er reiner Natural<strong>ist</strong> gewesen noch reiner Romantiker. Als<br />
Versuch einer Synthese <strong>ist</strong> sein Werk zu verstehen.<br />
1835 schuf Achenbach das Aquarell Nordischer Kiefernwald im Schnee 4 , das die dunkel-romantischen Topoi<br />
wie Baumruinen, Runenstein und schneebelastete Landschaftsflecken verwendet, dabei aber mehr an Carl<br />
Friedrich Lessing erinnert, der mit seinem um 1829 entstandenen Gemälde Klosterhof im Schnee 5 Erfolge<br />
feiern konnte. Unsere Ölstudie <strong>ist</strong> Zeugnis einer durchaus mit Lessing verwandten Ge<strong>ist</strong>eshaltung. 6<br />
1<br />
Zit. nach Ausst.-Kat. Düsseldorf 1997, S. 57.<br />
2<br />
Vgl. das Bild Waldbach von Schirmer, entstanden etwa 1837, in dem sich ähnliche Techniken finden lassen. Abb. in: Ausst.-Kat.<br />
Heidelberg 2007, S. 134/135, Nr. 53.<br />
3<br />
Achenbach soll bereits 1827 an Künstlerausflügen in das Neandertal teilgenommen haben (Ausst.-Kat. Düsseldorf 1997, S. 191).<br />
Das Neandertal war eines der beliebtesten Ausflugsziele der Düsseldorfer Künstler. Vgl. hierzu den Beitrag von Irene Markowitz,<br />
Die Düsseldorfer Landschaftsmaler und das Gesteins, in: Eggerath 1996, S. 160-168 und Ausst.-Kat. Ratingen 2003, S. 59-105.<br />
4<br />
Kunstmuseum Düsseldorf; Abb. in Ausst.-Kat. Düsseldorf 1997, S. 169.<br />
5<br />
Köln, Wallraf-Richartz-Museum. Weitere Version (ca. 1828) in Solingen, Bergisches Museum Schloss Burg.<br />
6<br />
Vgl. hierzu auch Ponten 1983, S. 85ff.<br />
16
Rosa Bonheur<br />
1822 Bordeaux - By (Seine-et-Marne) 1899<br />
Landschaft in den Pyrenäen, um 1850<br />
Öl auf Leinwand, unten rechts signiert: „Rosa Bonheur“, verso auf dem Keilrahmen mit Nachlass-Siegel, 27,5 x 41 cm<br />
Die vor allem für ihre Tierdarstellungen berühmte Malerin Rosa Bonheur, die bereits 1845 eine Medaille<br />
im Salon gewonnen hatte, gelangte drei Jahre später zu noch größeren Ehren, als die Jury, der unter<br />
anderem Corot, Delacroix, Meissonier und Ingres angehörten, ihr für ihr Gemälde Boeufs et Taureaux du<br />
Cantal die Goldmedaille verlieh, was ihr darüber hinaus einen Auftrag der Französischen Regierung<br />
einbrachte. 1 In dieser Zeit des Erfolges unternahm die junge Künstlerin einige Reisen, unter anderem 1846<br />
eine Studienreise in die Auvergne, der Heimat ihrer Stiefmutter, und von Juni bis Ende September des<br />
Jahres 1850 re<strong>ist</strong>e sie mit ihrer Freundin Nathalie Micas nach Südfrankreich, wo sie ihr Weg auch durch<br />
die Pyrenäen führte. 2 Von der Reise in die Auvergne brachte Rosa Bonheur Skizzen und Studien mit, die<br />
sie später für einige Gemälde, wie das zuvor genannte Bild mit Ochsen und Stieren, verwendete.<br />
Unsere Landschaftsstudie von der Hand der Malerin <strong>ist</strong> mit größter Wahrscheinlichkeit auf einer dieser<br />
Reisen entstanden oder durch sie inspiriert, wie die für diesen Teil der südfranzösischen Landschaft<br />
typischen Formen der Berge bezeugen. 3 Sehr sensibel spürt die junge Künstlerin hier dem Natureindruck<br />
nach: Aus verschiedensten Grün- und Braunschattierungen entwickelt sie die üppigen Wiesen, die die spitz<br />
zulaufenden Bergkegel bedecken. Während der Boden links im Vordergrund der Skizze zum Teil<br />
unvollendet bleibt, konzentriert Bonheur den Blick auf die den Gipfel krönende Ruine einer Festung und<br />
den darunter sanft abfallenden, den Mittelgrund beherrschenden Hang. Hinten ballt die Künstlerin kühle,<br />
dunkelgrüne Farbmassen am Fuße eines verschatteten Berghanges, über dem sich dräuend die Wolken<br />
auftürmen und das nahende Gewitter ankündigen. Auf diese Weise bannt Rosa Bonheur in mit<br />
Leichtigkeit dahin geworfenen Pinselzügen die flüchtige Stimmung der südlichen Landschaft in einem<br />
Moment, der zwischen der Heiterkeit eines Sommertages mit zarten, weißen Wolkenbändern am<br />
hellblauen Himmel und dem Bedrohlichen eines heraufziehenden Unwetters in den Bergen zu schwanken<br />
scheint.<br />
1<br />
Stanton 1914, S. 29 f. Das vom Französischen Staat in Auftrag gegebene Werk Le labourage nivernais, le sombrage (1849) befindet<br />
sich heute im Musée d’Orsay, Paris.<br />
2<br />
Ebd., S. 29 und 100 f.<br />
3<br />
Vgl. für weitere Landschaftsölskizzen den monographischen Ausstellungskatalog: Ausst.-Kat. Bordeaux 1997, Nr. 63-70,<br />
Farbtafel Nr. XLIX-LIV.<br />
18
Louis Braun<br />
1836 Schwäbisch Hall – München 1916<br />
Dünenlandschaft<br />
Öl auf Leinwand, unten rechts signiert: „L. Braun“, verso von fremder Hand bezeichnet: „Herzegowina“, 16,6 x 31 cm<br />
<strong>Der</strong> für seine großformatigen Schlachten- und H<strong>ist</strong>orienbilder berühmte Louis Braun wendet sich in dieser<br />
intimen Studie einem recht unscheinbaren Fleckchen Erde zu. Er zeigt uns einen Blick von unten, wie aus<br />
einer liegenden oder kauernden Position, auf einen kleinen Hügel. Zum Teil bewachsen von dicken<br />
Grasbüscheln und hellgrünen und braunen Bodendeckern erhebt sich rechts, unmittelbar vor uns, der Kegel<br />
jener Düne, an deren Spitze der sandige Untergrund zwischen den Pflanzen hervorbricht. Links im<br />
Hintergrund erkennen wir einen weiteren begrünten Hügel, dessen bräunliche Spitze in den am hellblauen<br />
Himmel gemächlich ziehenden Wolkenbändern verschwindet.<br />
Diese Landschaft enthält weder Bedrohliches noch Absonderliches. Sie <strong>ist</strong> geprägt von einem umfassenden<br />
Gefühl der Sorglosigkeit und Harmonie, etwas, das der Kriegsmaler Braun in jungen Jahren wohl selten<br />
verspürt haben mag und daher diese heiteren Momente umso mehr zu schätzen wusste.<br />
Achtundzwanzigjährig dokumentierte er in eindringlichen Studien deutsch-dänische Schlachtfelder mit<br />
toten Soldaten, Pferden, dem umherliegenden Kriegsgerät und heranziehenden Aasfressern auf<br />
erschütternd offene Weise. 1 Und auch in den folgenden Jahren nahm er als Kriegszeichner und<br />
Berichterstatter an verschiedenen Kriegen der Deutschen teil.<br />
Die Faszination für die Schlachten mag von der durch den Bruder Reinhold erweckten Vorliebe für die<br />
Pferdemalerei und durch das Studium bei Bernhard Neher und der Zusammenarbeit mit dem<br />
württembergischen Hofmaler Josef Anton Gegenbaur geförderten Interesse an h<strong>ist</strong>orischen Stoffen<br />
herrühren. 2 Das ausschlaggebende Erlebnis für ihn, sich in seinem späteren Werk hauptsächlich Gemälden<br />
solchen Inhalts zuzuwenden, war jedoch offenbar im Alter von 23 Jahren die Aufnahme in das Atelier des<br />
Schlachten- und H<strong>ist</strong>orienmalers Horace Vernet in Paris, wo er Gelegenheit hatte, die Arbeit an den großen<br />
Schlachtenbildern für Napoleon III. mitzuverfolgen. 3 Nachdem er Paris verlassen, sich bis in die sechziger<br />
Jahre auf Wanderschaft weitergebildet und einen Ruf als Militärmaler geschaffen hatte, zog er als<br />
Kriegsmaler zu verschiedenen Zeiten ins Feld. Doch sollte es nicht diese Tätigkeit sein, die seinen Ruhm<br />
begründete.<br />
In den Siebziger Jahren wurde er durch seine Panoramen, den großformatigen H<strong>ist</strong>orien- oder<br />
Schachtenbildern in eigens dafür erbauten Panoramengebäuden, berühmt. Er schuf insgesamt acht<br />
Großpanoramen, unter ihnen die Schlacht von Sedan (1879-81) in Frankfurt am Main, das Panorama<br />
deutscher Kolonien (1886) in Berlin und in Zürich die Schlacht bei Murten (1894). 4<br />
1<br />
Vgl. Ausst.-Kat. Schwäbisch Hall 1986, Abb. 1, S. 6.<br />
2<br />
Braun 1976, S. 73.<br />
3<br />
Ebd.<br />
4<br />
Ebd. S. 78 ff.<br />
20
Georg Heinrich Crola<br />
1804 Dresden – Ilsenburg (Harz) 1879<br />
Brücke über den Fluss, 1840<br />
Öl auf Papier, unten rechts datiert: „1840“, verso bezeichnet: „G. Crola“, 23,8 x 34,5 cm<br />
Provenienz: Sammlung Arnold Blome, Bremen<br />
Als Georg Heinrich Crola einundzwanzigjährig in Dresden ankam, da erkannten Caspar David Friedrich<br />
und Johan Chr<strong>ist</strong>ian Clausen Dahl sein großes Talent und nahmen sich des jungen Mannes an. So sehr ihn<br />
das Lob Friedrichs auch anspornte 1 , seine künstlerische Neigung strebte, ähnlich wie bei Carl Julius von<br />
Leypold, eher der natural<strong>ist</strong>ischen Landschaft zu als den transzendentalen Naturgebilden des Dresdner<br />
Lehrers. Dahl wird mit seiner enger an der Naturwahrheit orientierten Kunstauffassung stärker auf Crola<br />
eingewirkt haben, so dass sein Umzug nach München 1830 konsequent erscheint: Sind die frühen Gemälde<br />
noch stark einer romantisch-sublimen Stimmung verpflichtet, so orientiert sich Crola spätestens seit der<br />
Mitte der 1830er Jahre an der Münchner Malerschule, in der er es bald zu großem Ansehen bringen sollte.<br />
So werden auch seine bekanntesten Bilder nicht die der Dresdner Jahre sein, sondern diejenigen mit<br />
baumbestandenen Chiemseeansichten. Als der Sächsische Kunstverein 1833 solch eine Arbeit ankaufte 2<br />
und ausstellte, war das für Carl Gustav Carus der Anlass, dem Künstler eine eingehende Würdigung zu<br />
widmen, in der er in Crola den Keim einer neuen Landschaftskunst sah: Die wahre Schilderung der Natur<br />
verknüpfe sich mit der wahren Empfindung in der Natur und das Bild werde zu einem „Erdlebenbild“ 3 .<br />
Unsere Landschaftsstudie, datiert auf das Jahr 1840, zeigt bereits die Abwendung von den Dresdner<br />
Einflüssen. Die zwar aus schnellen Pinselstrichen aufgebauten aber dennoch individualisierten Bäume, die<br />
sanft wogend dargestellten Wolken und die erstaunlich genau wiedergegebene Spiegelung der Bäume und<br />
der Brücke im Wasser lassen etwas von der Einfühlung in die Eigenheiten der Landschaft erkennen, von<br />
der Carus sprach.<br />
Eine ganz ähnliche Brücke findet sich in einem Werk Crolas in der Berliner Nationalgalerie. 4 Die Brücke<br />
und die Spiegelung im Wasser eröffnen hier den Ausblick in die ferne Landschaft, während die rechte Seite<br />
des Bildes von den für Crola typischen Eichen beherrscht wird. Unsere Arbeit, drei Jahre nach dem<br />
Berliner Bild entstanden, zieht die Brücke ins Zentrum der Komposition. Die nur in Ble<strong>ist</strong>iftstrichen<br />
angedeutete Uferböschung hätte die keilförmige Sogwirkung auf den Betrachter noch weiter verstärkt.<br />
Unsere Ölstudie <strong>ist</strong> ein sehr schönes Beispiel für die me<strong>ist</strong>erhafte Umsetzung der Natur, deren<br />
altme<strong>ist</strong>erliche Qualität bereits bei Crolas Ankunft in München für Aufsehen gesorgt hat.<br />
1 Crola erfuhr von dem Lob Friedrichs nur durch Dritte. Vgl. Zschoche 2005, S. 199.<br />
2 Boetticher Bd. 1,1, Nr. 5: Aussicht nach dem Chiemsee. Johann Philipp Veith hat dieses Bild für die Bilderchronik gestochen.<br />
3 C. G. Carus, Über ein Landschaftsbild (Erdlebenbild) von Crola in München. In: Kunstblatt, Hg. Von Ludwig Schorn, Stuttgart<br />
und Tübingen, 28. Mai 1833, Nr. 43, S. 169-171. Wiederabdruck in Ausst.-Kat. Schweinfurth 1970, S. 128-131.<br />
4 Landschaft mit Eichen, Öl auf Leinwand, 51,5 x 49,5 cm, Inv. Nr. A II 924.<br />
22
Friedrich Preller der Jüngere<br />
1838 Weimar – Dresden-Blasewitz 1901<br />
Partie aus dem Neuenburger Urwald, um 1855<br />
Öl auf Papier, auf Pappe montiert, unten mittig in rot monogrammiert: "F. P.", verso bezeichnet: „Friedrich Preller“,<br />
22,4 x 30,7 cm<br />
Im Sommer 1855 begleitete Friedrich Preller der Jüngere zum ersten Mal seinen Vater auf einer<br />
Studienreise. Sie führte die beiden Männer nahe an die Nordsee, in den „Neuenburger Urwald“ bei Jever.<br />
Preller berichtet in seinen Tagebüchern über die dort erfolgten Unterweisungen des Vaters: „Ich sah jetzt<br />
zum ersten Male meinen Vater Studien zeichnen und wurde von ihm darin unterrichtet [...]. Er verlangte<br />
von mir unbedingte Strenge, sowohl beim Zeichnen wie beim Malen vor der Natur.“ 1 Wir erfahren, dass<br />
Preller d. J. wohl hier seine ersten Ölstudien geschaffen hat, zu der auch unsere Arbeit zählen könnte. <strong>Der</strong><br />
Konjunktiv muss hier vorerst beibehalten werden, da gerade in dieser Zeit die Arbeiten von Vater und Sohn<br />
nur schwer zu unterscheiden sind. Zwar berichtet der Sohn, dass sein Vater „nie ein Bild davon [vom<br />
Neuenburger Urwald] gemalt“ 2 hat, doch es befindet sich im Haus der Heimat in Freital ein Ölgemälde aus<br />
dem Neuenburger Urwald, das auf den 12. August 1855 datiert <strong>ist</strong> und wohl von dem Vater stammt. 3 In<br />
diesem Bild liegt die Betonung allerdings nicht so sehr auf dem erkennenden Studium der Natur sondern<br />
mehr auf dem Effekt, den die knorrigen Eichen mit ihrem wilden Wuchs auf den Betrachter ausüben. Dies<br />
wird noch durch die bühnenartige Fläche im Vordergrund verstärkt, die man auf vielen Skizzen und<br />
Bildern Prellers dieser Zeit finden kann. Sein Sohn hingegen nähert sich, wie in unserer Studie,<br />
analysierender dem Naturobjekt und bringt es direkt vor den Betrachter. Es könnte dies der Unterschied<br />
zum Vater sein, der auch in den Landschaftsstudien einer narrativen Bildsprache verhaftet bleibt. Unsere<br />
Ölskizze hingegen versucht den verschiedenen Lichteffekten und Farbtönen in der Landschaft und in den<br />
Bäumen nachzuspüren. Anstatt Inszenierung wird hier eine harmonische Objektivierung angestrebt. Ina<br />
Weinrautner erwähnt in ihrer Monographie zu Friedrich Preller d. Ä. eine weitere Arbeit mit der<br />
Darstellung von Eichen im Neuenburger Urwald, diesmal ebenso wie unsere Arbeit in Öl auf Papier<br />
ausgeführt. 4 Hier finden wir den gleichen Aspekt der Unmittelbarkeit vor, die bei dem Leinwandgemälde<br />
des Vaters fehlt. Weinrautner beschreibt das Bild folgendermaßen: „[...] die Bäume sind weniger als<br />
Einzelwesen akzentuiert, sondern stellen eine homogene grüne Laubmasse dar. Ebenso <strong>ist</strong> die Bodenzone<br />
des Vordergrunds weggefallen, die zwischen dem Bildgegenstand und dem Betrachter einen Abstand<br />
herstellt und einer rationalen Bildbetrachtung Vorschub le<strong>ist</strong>et.“ 5 Diese Beschreibung kann ohne Mühe auf<br />
unsere Ölstudie übertragen werden. Möglicherweise handelt es sich bei beiden Studien um Arbeiten des<br />
Sohnes.<br />
1<br />
Jordan 1904, S. 30.<br />
2<br />
Ebd.<br />
3<br />
Öl auf Leinwand, 55,0 x 61,5 cm, bez. re. u. eingeritzt: „Neuenburg“, darunter in Schwarz: „12. Aug. 1855 FP“, Haus der<br />
Heimat, Freital, Inv.Nr. 175; Weinrautner 1997, Nr. 239. Edmund Kanoldt, ein Schüler Prellers, hat 1866 dieses Gemälde kopiert.<br />
Es scheint wenig wahrscheinlich, dass Preller ihn ein Bild seines Sohnes kopieren ließ, so dass die Autorschaft Preller d. Ä. trotz<br />
der widersprüchlichen Aussage seines Sohnes für dieses Bild als wahrscheinlich gelten kann. Vgl. zu Kanoldt: Ausst.-Kat.<br />
Karlsruhe 1994, Kat. Nr. 1, Abb. S. 145.<br />
4<br />
Öl auf Papier, 30,5 x 34,0 cm, unbezeichnet, Privatbesitz; Weinrautner 1997, Nr. 340.<br />
5 Weinrautner 1997, Nr. 240, S. 324.<br />
54
Grundsätzlich sind die Werke der beiden Künstler in dieser Zeit und noch bis in die 1860er Jahre schwer<br />
von einander zu unterscheiden. 6 Dies mag auch mit der Ausbildung des Sohnes bei dem Vater<br />
zusammenhängen, der seine Schüler zu einer intensiven Orientierung am eigenen Werk lenkte. Unsere<br />
Studie <strong>ist</strong> am unteren Rand mit geschwungenem Pinselstrich in Rot monogrammiert. Prellers Vater<br />
verwendete für seine Signatur me<strong>ist</strong> eine blockartige Ligatur aus seinen Initialen, er selbst hingegen<br />
bevorzugte, wenn auch nicht immer, eine geschwungene Schreibweise. Dies könnte ein weiterer Hinweis<br />
für die Autorschaft des jüngeren Preller sein.<br />
6 Ebd. S. 105f.<br />
55