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Die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Deutschen im ...

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556 Aufsätze<br />

Sudetengesellschaft gleichsam einer Politik <strong>der</strong> „Vervolksgemeinschaftung“ unterwarf<br />

<strong>und</strong> auch nicht vor <strong>der</strong> „Einschüchterung gegnerischer Wahlhelfer <strong>und</strong> Kandidaten“<br />

zurückschreckte 68 . Richtig ist aber auch, daß <strong>die</strong> SdP noch bei den Parlamentswahlen<br />

1935 zwar <strong>die</strong> große Mehrheit (etwa zwei Drittel), nicht aber <strong>die</strong><br />

Gesamtheit <strong>der</strong> Sudetendeutschen hinter sich gebracht hatte 69 . Vor allem viele<br />

sudetendeutsche Sozialdemokraten, aber auch Liberale <strong>und</strong> Katholiken setzten<br />

selbst <strong>im</strong> September 1938 noch auf Autonomie innerhalb des tschechoslowakischen<br />

Staates 70 .<br />

Angesichts <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> SdP <strong>und</strong> des massiven nationalsozialistischen Druckes<br />

entwickelte sich indes bereits in den krisenhaften Wochen vor dem Münchner<br />

Abkommen be<strong>im</strong> tschechoslowakischen Präsidenten Benesˇ <strong>die</strong> Überzeugung, <strong>die</strong><br />

Zahl <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> müsse um <strong>der</strong> politischen Stabilität <strong>der</strong> ČSR willen deutlich<br />

reduziert werden. In einem Frankreich vorgelegten Gehe<strong>im</strong>plan vom 17. September<br />

1938, dem sogenannten „Fünften Plan“, sprach er davon, <strong>die</strong> CSR könne lediglich<br />

1 bis 1,2 Millionen Deutsche verkraften – <strong>und</strong> ass<strong>im</strong>ilieren (!); gleichzeitig<br />

erklärte sich Benesˇ bereit, drei Gebiete in West- <strong>und</strong> Nordböhmen <strong>und</strong> in Österreichisch-Schlesien<br />

mit einer Bevölkerung von gut 800 000 <strong>Deutschen</strong> an das Dritte<br />

Reich abzutreten, wenn <strong>die</strong>ses <strong>im</strong> Gegenzug r<strong>und</strong> eine Million Deutscher aufnehme.<br />

Als „Modell“ <strong>die</strong>nte – zu einem Zeitpunkt, als <strong>die</strong> NS-<strong>Vertreibung</strong>spolitik<br />

noch nicht begonnen hatte – <strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Konferenz von Lausanne 1923 international<br />

sanktionierte griechisch-türkische „Bevölkerungsaustausch“ 71 .<br />

Mit dem Gedanken einer (Zwangs-)Aussiedlung <strong>der</strong> Sudetendeutschen hatten<br />

seit 1848 zwar nur radikale Teile des tschechischen Nationalismus gespielt 72 ,<br />

doch auch <strong>die</strong> Grün<strong>der</strong>väter <strong>der</strong> demokratischen Tschechoslowakei offenbarten<br />

bereits 1918/19 ein sehr problematisches Verhältnis zu den <strong>Deutschen</strong> <strong>im</strong> Lande,<br />

das für <strong>die</strong> Zukunft wenig Gutes erwarten ließ. Das von Außenminister Benesˇ <strong>der</strong><br />

Pariser Friedenskonferenz vorgelegte Memoire III mit dem Titel „Das Problem<br />

68 Christoph Boyer/Jaroslav Kučera, <strong>Die</strong> <strong>Deutschen</strong> in Böhmen, <strong>die</strong> Sudetendeutsche Partei<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Nationalsozialismus, in: Horst Möller/Andreas Wirsching/Walter Ziegler (Hrsg.),<br />

Nationalsozialismus in <strong>der</strong> Region. Beiträge zur regionalen <strong>und</strong> lokalen Forschung <strong>und</strong> zum<br />

internationalen Vergleich, München 1996, S. 273–285, hier S. 274 u. S. 283.<br />

69 Selbst bei den Gemeindewahlen <strong>im</strong> Frühjahr 1938 erhielt <strong>die</strong> SdP – an<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong> Literatur<br />

gelegentlich bis heute zu finden – nicht etwa 90 %, son<strong>der</strong>n ca. 75% <strong>der</strong> sudetendeutschen<br />

St<strong>im</strong>men. Vgl. Gebel, „He<strong>im</strong> ins Reich“, S. 58.<br />

70 Und auch in <strong>der</strong> SdP gab es noch <strong>im</strong> Sommer 1938 Kräfte, <strong>die</strong> „ernsthaft auf eine Autonomielösung<br />

hinarbeiteten“, in: Ebenda.<br />

71 So Detlef Brandes, Benesˇ, Jaksch <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Vertreibung</strong>/Aussiedlung <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong>, in: Ders.<br />

u. a. (Hrsg.), Erzwungene Trennung, S. 101–110, hier S. 101 f. Das Lausanner Abkommen hatte<br />

offensichtlich eine positive Mythologie entwickelt, obwohl <strong>der</strong> Bevölkerungsaustausch in Wirklichkeit<br />

ausgesprochen brutal <strong>und</strong> gewaltsam verlaufen war. Vgl. Na<strong>im</strong>ark, Das Problem <strong>der</strong> ethnischen<br />

Säuberung, S. 328 f.<br />

72 Vgl. Odsun. <strong>Die</strong> <strong>Vertreibung</strong> <strong>der</strong> Sudetendeutschen. Dokumentation zu Ursachen, Planung<br />

<strong>und</strong> Realisierung einer „ethnischen Säuberung“ in <strong>der</strong> Mitte Europas 1848/49–1945/46, Band<br />

1: Vom Völkerfrühling <strong>und</strong> Völkerzwist 1848/49 bis zum Münchner Abkommen 1938 <strong>und</strong> zur<br />

Errichtung des „Protektorats Böhmen <strong>und</strong> Mähren“ 1939, Auswahl, Bearbeitung <strong>und</strong> Zusammenstellung:<br />

Roland J. Hoffmann <strong>und</strong> Alois Harasko, München 2000, S. 106 u. S. 214.<br />

VfZ 4/2006

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