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VI Morphologische Exponens Die Bedeutung, welche durch ein ...

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Fortmann, Proseminar Morphologie / Universität Konstanz Wintersemester 2006/07<br />

<strong>VI</strong> <strong>Morphologische</strong> <strong>Exponens</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Bedeutung</strong>, <strong>welche</strong> <strong>durch</strong> <strong>ein</strong> Morphem <strong>ein</strong>er Lautform assoziiert wird, ist<br />

nach Gehalt und Umfang zu betrachten. Wie wir gesehen haben, sind die möglichen<br />

<strong>Bedeutung</strong>en, die überhaupt <strong>ein</strong>er Lautfolge zugeordnet werden können,<br />

vielfältig. Zum <strong>ein</strong>en handelt es sich um konzeptuelle <strong>Bedeutung</strong>en (also solche<br />

im Sinne der Semantik <strong>ein</strong>er natürlichen Sprache) wie:<br />

(1) HUND, HAUS, GELB, LEICHT, SINGEN, HÖREN, ARBEITEN, NEBEN, ÜBER,..<br />

zum andern um grammatische <strong>Bedeutung</strong>en wie:<br />

(2) 3.PERS, NUM:PL, CASE:DAT, TENSE:PERF, MOD:IND,..<br />

Wörter bilden mehr oder weniger umfängliche Aggregate konzeptueller und/<br />

oder grammatischer <strong>Bedeutung</strong>en.<br />

<strong>Die</strong> in (2) genannten grammatischen Merkmale kommen <strong>ein</strong>em Wort <strong>ein</strong>er gegebenen<br />

lexikalischen Kategorie zu, also <strong>ein</strong>em Nomen, <strong>ein</strong>em Verb oder <strong>ein</strong>em<br />

Adjektiv. So setzt die Spezifikation von TENSE:PERF voraus, daß das spezifizierte<br />

lexikalische Element <strong>ein</strong> Verb ist. <strong>Die</strong> Kombination des Morphem, <strong>welche</strong>s die<br />

Spezifkation von Tempus ausdrückt, mit <strong>ein</strong>em Nomen oder Adjektiv ist nicht<br />

möglich. Es gibt allerdings Morpheme, <strong>welche</strong> die lexikalische Kategorie des<br />

resultierenden Worts festlegen und gegebenenfalls ändern. Einige solche Morpheme<br />

realisierende Morphe sind in (3) aufgeführt. <strong>Die</strong> angegebenen Beispiele<br />

sind Suffixe, die <strong>ein</strong>em Stamm angefügt sind, der jeweils <strong>durch</strong> das passende<br />

Kategoriensymbol in allgem<strong>ein</strong>er Form ausgedrückt ist; die resultierende Kategorie<br />

des <strong>durch</strong> die Suffigierung gebildeten Worts ist <strong>durch</strong> <strong>ein</strong>en entsprechenden<br />

Index am Suffix kenntlich gemacht.<br />

(3) V-ung N, V-nis N, V-lich A, V-er N, N-en V, N-lich A, N-ig A, A-en V, A-lich A,<br />

A-heit N,..<br />

Neben der distributionellen Erfassung des Morpheminventars <strong>ein</strong>er Sprache ergeben<br />

sich daher mit Rücksicht auf die Bedingungen für die Zuordnung von <strong>Bedeutung</strong><br />

und Lautform <strong>ein</strong>ige weitere praktische Konsequenzen.<br />

So sind <strong>ein</strong>erseits die <strong>durch</strong> Morpheme repräsentierten konzeptuellen <strong>Bedeutung</strong>en<br />

zu erfassen andererseits diejenigen grammatischen Bestimmungen, <strong>welche</strong><br />

überhaupt Gegenstand der morphologischen Kodierung bilden. Hier ist Variation<br />

von Sprache zu Sprache möglich, so besteht überhaupt k<strong>ein</strong>e prinzipielle<br />

Notwendigkeit, Kasus als Index der grammatischen Funktion morphologisch<br />

1


<strong>durch</strong> die Wortform auszudrücken. In Rücksicht auf die morphologischen Operationen,<br />

mittels derer Morpheme zu Wortformen verknüpft werden, ist die Bestimmung<br />

von <strong>Bedeutung</strong>, ob <strong>ein</strong> Morphem <strong>ein</strong>e Wurzel oder <strong>ein</strong> Affix ist.<br />

Komplexe Wortformen können nur ausgehend von <strong>ein</strong>er Wurzel gebildet werden,<br />

es ist nicht möglich, <strong>ein</strong>e Wortform lediglich aus Affixen zustande zu bringen;<br />

freie Morpheme können per definitionem nur <strong>durch</strong> Wurzeln gebildet werden.<br />

Schließlich ist die Bestimmung derjenigen Morpheme von <strong>Bedeutung</strong>, <strong>welche</strong><br />

die lexikalische Kategorie <strong>ein</strong>es Worts festlegen, sei es als Wurzel sei es als<br />

Affix.<br />

<strong>Die</strong> Grundlagen für die Bestimmung des <strong>Bedeutung</strong>sgehalts von Morphemen<br />

wie HUND, SCHNELL, AUF, SCHNARCH, sind plausibel. Es handelt sich um Konzepte<br />

vermittels derer wir auf Gegenstände, Ereignisse, Zustände, Eigenschaften<br />

und Verhältnisse usw. uns beziehen können. Wie aber steht es mit Kasus, Tempus,<br />

Person u.dgl.m.?<br />

Mit Blick auf die letzteren mag man darauf verweisen, daß auch sie doch irgendwie<br />

von semantischer Relevanz sind. So sind die Bedingungen, unter denen<br />

die beiden Sätze in (4) wahre Aussagen darstellen, sicherlich verschieden.<br />

(4) a. Theo schnarchte laut<br />

b. Theo schnarcht laut<br />

(4b) ist sicher nur dann wahr, wenn Theo zum Zeitpunkt der Äußerung Laut gibt<br />

und nicht zu <strong>ein</strong>em früheren Zeitpunkt unter Ausschluß des gegenwärtigen. (4a)<br />

hingegen verlangt, daß dieses Ereignis zu <strong>ein</strong>em früheren als dem Äußerungszeitpunkt<br />

sich begab. Ebenso macht es <strong>ein</strong>en unterschied, ob jemand (5a) oder<br />

(5b) äußert.<br />

(5) a. ich bin doch nicht der Depp!<br />

b. du bist doch nicht der Depp!<br />

Andererseits ist das geläufige Mittel, die zeitliche Lokalisierung von Ereignissen<br />

oder Zuständen auszudrücken, die adverbiale Motifikation. Es besteht hier zwar<br />

<strong>ein</strong>e Beziehung zwischen der Tempuswahl für das verbale Prädikat und die<br />

Wahl <strong>ein</strong>er adverbialen Bestimmung, denn (6) ist sicher k<strong>ein</strong>e angemessene Äußerung:<br />

(6) #Theo schnarcht gestern laut<br />

Aber die temporale Lokalisierung <strong>ein</strong>es Ereignis ist nicht notwendig an die morphologische<br />

Codierung <strong>durch</strong> die Wortform des Verbs gebunden. Im Deutschen<br />

läßt sich dies daran illustrieren, daß die Bezugnahme auf zukünftige Ereignisse<br />

2


nicht (mehr) notwendig an die Verwendung des Futurs gebunden ist. Es gnügt<br />

<strong>ein</strong> passendes Adverb.<br />

(7) a. morgen wird Theo hoffentlich nicht schnarchen<br />

b. morgen schnarcht Theo hoffentlich nicht<br />

<strong>Die</strong> Wahl <strong>ein</strong>er finiten Verbform, also <strong>ein</strong>er die hinsichtlich des Tempus morphologisch<br />

bestimmt ist, ist daher k<strong>ein</strong> unmittelbar semantisches Erfordernis,<br />

sondern <strong>ein</strong>es, das <strong>durch</strong> die Bedingungen für die Bildung <strong>ein</strong>es Satzes im Deutschen<br />

gegeben ist. Hauptsätze verlangen regelmäßig <strong>ein</strong>e finite Verbform für ihr<br />

Prädikat.<br />

Ebenso ist die Bestimmung des Numerus in (5) nicht lediglich <strong>ein</strong>e Sache der<br />

Festlegung der Referenz für das Personalpronomen. Sie bestimmt vielmehr unmittelbar<br />

<strong>ein</strong>e Beziehung zwischen der Form des Subjekts und des finiten Verbs.<br />

<strong>Die</strong> Kombination beider ist nicht frei.<br />

(8) a. *ich bist/ist doch nicht der Depp!<br />

b. *du bin/ist doch nicht der Depp!<br />

PERS ebensowohl wie NUM ist <strong>ein</strong>e Eigenschaft, die in <strong>ein</strong>er syntaktischen Beziehung<br />

gründet, hier der Kongruenz von Subjekt und Prädikat, oder <strong>ein</strong>er syntaktischen<br />

Anforderung an die Form <strong>ein</strong>es Wortes. Aus diesem Grund spricht<br />

man von den grammatischen <strong>Bedeutung</strong>en, die <strong>durch</strong> Morpheme repräsentiert<br />

werden als morphosyntaktischen Kategorien. Anzahl und Gehalt der morphosyntaktischen<br />

Kategorien sind für <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>zelne Sprache unterschiedlich bestimmt.<br />

Morphosyntaktische Kategorien bezeichnen in der Regel mehr oder weniger<br />

umfangreiche Mengen möglicher Wertspezifikationen. <strong>Die</strong> Kategorie NUM<br />

hat im Deutschen die Werte SG oder PL. Andere Sprachen erlauben weitere Spezifikationen<br />

wie den DUAL. Begrifflich ist zwischen der morphosyntaktischen<br />

Kategorie und ihrem Wert zu unterscheiden, wenngleich die erstere k<strong>ein</strong>e vom<br />

letzteren unabhängige Ersch<strong>ein</strong>ungsform annehmen kann. Wir können NUM<br />

nicht anders ausdrücken als <strong>durch</strong> die Spezifikation SG oder PL. Gleiches gilt für<br />

CASE, GENUS u.a.. 1<br />

Wenngleich die morphologische Form Bestimmungen ausdrückt, die in der Syntax<br />

relevant sind, so lassen sich doch im Einzelnen unterschiedliche Fundierungen<br />

ausmachen. Es gibt <strong>ein</strong>erseits morphosyntaktische Kategorien, deren Wertbestimmung<br />

bei <strong>ein</strong>em gegeben Wort nicht wandelbar ist. Das GENUS ist im<br />

Deutschen <strong>ein</strong> Beispiel für <strong>ein</strong>e solche inhärente Kategorie.<br />

1 Wenn von morphosyntaktischen Kategorien die Rede ist wird von deren Spezifikationen<br />

auch von Merkmalen gesprochen. Gelegentlich werden aber auch ebendiese morphsyntaktischen<br />

Kategorien als Merkmale benamst, <strong>welche</strong> dann <strong>durch</strong> Werte spezifiziert werden.<br />

3


Andere wie NUM, CASE sind relationale Kategorien, d.h. ihre Wertspezifikation<br />

ist nicht <strong>durch</strong> das spezifizierte Wort/Lexem selbst determiniert, sondern vom<br />

Kontext <strong>ein</strong>es anderen Wortes abhängig. Unter den relationalen Kategorien wird<br />

nun noch <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>e Differenzierung getroffen dahingehend, ob die Determination<br />

<strong>ein</strong>seitig oder wechselseitig ist. Ein Beispiel für den ersten Fall ist CASE.<br />

Kasus wird vom Verb regiert d.h. das Verb und nicht die nominale Ergänzung<br />

legt die Bestimmung der morphosyntaktischen Kategorie fest. Das Verb selbst<br />

trägt k<strong>ein</strong>en Ausdruck dieser Bestimmung. <strong>Die</strong> Bestimmung von NUM und PERS<br />

unterliegt dagegen der Kongruenz, sowohl das Nomen, <strong>welche</strong>s das Subjekt bildet,<br />

resp. den lexikalischen Kopf der Subjektsnominalphrase, als auch das finite<br />

Verb drücken beide – eben in Über<strong>ein</strong>stimmung – diese morphosyntaktischen<br />

Kategorien aus.<br />

Wenn die konzeptuellen und grammatischen <strong>Bedeutung</strong>en erfaßt sind, ergibt<br />

sich als weiteres die Frage, wie deren quantitative Zuordnung zu den Morphemen<br />

beschaffen ist. Im <strong>ein</strong>fachsten Fall besteht <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>s-zu-<strong>ein</strong>s Relation zwischen<br />

<strong>Bedeutung</strong> und Morphem, d.h. <strong>ein</strong>e <strong>Bedeutung</strong> oder grammatisches<br />

Merkmal wird <strong>durch</strong> genau <strong>ein</strong> Morphem repräsentiert und umgekehrt. Wie wir<br />

bereits gesehen haben, ist das nicht in allen natürlichen Sprachen der Fall,<br />

wenngleich es <strong>welche</strong> gibt, die nach genau diesem Prinzip verfahren. Zu ihnen<br />

gehört beispielsweise das Türkische.<br />

Ein Nomen des Türkischen wird <strong>durch</strong> <strong>ein</strong>e Verkettung <strong>ein</strong>er Mehrzahl von<br />

Morphemen gebildet, <strong>welche</strong> jeweils genau <strong>ein</strong>e <strong>Bedeutung</strong> ausdrücken.<br />

(9) el -Hand<br />

a. el-i HAND.SG.AKK.<br />

b. el-in HAND.SG.GEN.<br />

c. el-de HAND.SG.LOC.<br />

e. el-den HAND.SG.ABL.<br />

d. el-ler-i HAND.PL.AKK.<br />

e. el-ler-in HAND.PL.GEN.<br />

f. el-ler-de HAND.PL.LOC.<br />

g. el-ler-den HAND.PL.ABL.<br />

Das Konzpet HAND ist <strong>durch</strong> das Morph el repräsentiert, <strong>welche</strong>m ohne weiteren<br />

expliziten Index das Merkmal SG zukommt. Das Merkmal PL ist unabhängig<br />

vom Morphem HAND und den verschiedenen Morphemen, die den Kasus ausdrücken<br />

<strong>durch</strong> <strong>ein</strong> eigenständiges Morphem repräsentiert, das in Gestalt des<br />

Morphs ler ersch<strong>ein</strong>t. <strong>Die</strong> vier Kasus wiederum sind ebenso vielen selbständigen<br />

Morphemen mit je unterschiedenen Morphen zugeordnet.<br />

Mit Blick auf die Relation von grammatischer <strong>Bedeutung</strong> und Morphem spricht<br />

man auch von exponence (cf. Mathiews, Morphology, Cambridge University<br />

Press, 1974, Kap. <strong>VI</strong>II). Der Exponent <strong>ein</strong>es Merkmals ist das Morphem resp.<br />

4


Morph, <strong>welche</strong>s dieses Merkmal realisiert. In (9) ist somit ler der Exponent des<br />

Merkmals NUM:PL, den der Exponent des Merkmals CASE:ABL. In <strong>ein</strong>em Fall<br />

wie (9), wo jedes Merkmal <strong>durch</strong> genau <strong>ein</strong> Morphem repräsentiert wird und<br />

umgekehrt jedes Morphem genau <strong>ein</strong> Merkmal ausdrückt, spricht man von <strong>ein</strong>em<br />

<strong>ein</strong>fachen Exponenten (simple exponence). Jede differenzierte grammatische<br />

Merkmalspezifikation wird hier <strong>durch</strong> <strong>ein</strong>e je eigene Lautform ausgedrückt.<br />

Einfache Exponenten sind beispielsweise auch das Morph ing im Englischen,<br />

<strong>welche</strong>s das Merkmal PROGESSIVE ausdrückt oder auch en im Deutschen, <strong>welche</strong>s<br />

das Merkmal INFINIT vorstellt.<br />

Das Pendant zur <strong>ein</strong>fachen <strong>Exponens</strong> ist die kumulative. Dabei werden in <strong>ein</strong>er<br />

morphologisch nicht weiter analysierbaren Lautform mehrere Merkmale simultan<br />

ausgedrückt, <strong>ein</strong> Morphem fungiert also als Exponent <strong>ein</strong>er Menge von<br />

grammatischen Bestimmungen. Ein typischer Fall sind die Verformen im Lat<strong>ein</strong>.<br />

(10) a. cant-o SING.-1.SG.PRÄS.IND.AKT.<br />

b. canta-s SING.-2.SG.PRÄS.IND.AKT.<br />

c. canta-t SING.-3.SG.PRÄS.IND.AKT.<br />

d. canta-mus SING.-1.PL.PRÄS.IND.AKT.<br />

e. canta-tis SING.-2.PL.PRÄS.IND.AKT.<br />

f. canta-nt SING.-3.PL.PRÄS.IND.AKT.<br />

Aus den Formen der Suffixe –o, -s, -t, -mus, -tis, -nt lassen sich k<strong>ein</strong>e morphologischen<br />

Elemente isolieren, die je <strong>ein</strong>e der Kategorien Person, Numerus, Tempus,<br />

Modus oder Genus Verbi repräsentieren.<br />

Im Deutschen liefert die starke Deklination der Adjektive (ohne Artikel) <strong>ein</strong> entsprechendes<br />

Beispiel kumulativer <strong>Exponens</strong>. Weder Kasus noch Numerus, noch<br />

Genus lassen sich <strong>ein</strong>em morphologisch separierbaren in allen möglichen Kombinationsvarianten<br />

wiederkehrenden Element zuordnen.<br />

(11) SG PL<br />

MASK FEM NEUTR<br />

a. NOM kl<strong>ein</strong>-er, kl<strong>ein</strong>-e, kl<strong>ein</strong>-es kl<strong>ein</strong>-e<br />

b. GEN kl<strong>ein</strong>-en, kl<strong>ein</strong>-er, kl<strong>ein</strong>-en kl<strong>ein</strong>-er<br />

c. DAT kl<strong>ein</strong>-em, kl<strong>ein</strong>-er, kl<strong>ein</strong>-em kl<strong>ein</strong>-en<br />

d. AKK kl<strong>ein</strong>-en, kl<strong>ein</strong>-e, kl<strong>ein</strong>-es kl<strong>ein</strong>-e<br />

<strong>Die</strong> kumulative <strong>Exponens</strong> ist auch der Bezugspunkt für die Bildung von Paradigmen,<br />

wie sie dem word and paradigm Modell von der morphologischen<br />

Struktur zugrundeliegt. Durch das Paradigma wird <strong>ein</strong> Lexem den unterschiedlichen<br />

lautlichen Realisierungen der Wortformen zugeordnet, in <strong>welche</strong> sie als<br />

Komponenten <strong>ein</strong>gehen.<br />

5


Wie in (11) zu sehen, werden in verschiedenen Fällen unterschiedliche Merkmalskombinationen<br />

<strong>durch</strong> identische Lautformen repräsentiert. So bildet die<br />

Form -er den Exponenten für vier verschiedene Fälle:<br />

(12) a. -er NOM.SG.MASK.<br />

b. -er GEN.SG.FEM.<br />

c. -er DAT.SG.FEM.<br />

d. -er GEN.PL.<br />

Wenn in <strong>ein</strong>er Sprache solche homonymen Formen vorkommen, insbesondere,<br />

wenn unterschiedliche Spezifikationen <strong>ein</strong>es identischen Merkmals, etwa des<br />

Kasus, lautlich nicht differenziert werden spricht man auch von Synkretismus.<br />

Neben der <strong>ein</strong>fachen und der kumulativen <strong>Exponens</strong> wird noch <strong>ein</strong> dritter Fall<br />

als distributive <strong>Exponens</strong> unterschieden. Hierbei wird <strong>ein</strong> grammatisches Merkmal<br />

nicht <strong>durch</strong> <strong>ein</strong>es sondern <strong>durch</strong> mehrere Morpheme repräsentiert. Bei den<br />

unregelmäßigen Verben des Deutschen hat das PART.PERF zwei Exponenten. Das<br />

Merkmal wird <strong>ein</strong>mal <strong>durch</strong> das Circumfix ge- -en und dazu <strong>durch</strong> <strong>ein</strong> Allomorph<br />

des Stammes ausgedrückt.<br />

(13) ge-sung-en, ge-fund-en, ge-leg-en,..<br />

Desgleichen kann man bei <strong>ein</strong>e Reihe von Pluralbildungen von distributiver <strong>Exponens</strong><br />

sprechen, wo man es gleichfalls mit der Kombination <strong>ein</strong>es Allomorphs<br />

des Stammes und <strong>ein</strong>em Suffix zu tun hat.<br />

(14) Häus-er, Däch-er, Läus-e,..<br />

In diesem Zusammenhang ist darauf aufmerksam zu machen, daß kumulative<br />

<strong>Exponens</strong> zu verstehen ist als die Zusammenfassung mehrerer morphosyntaktischer<br />

Kategorien zu <strong>ein</strong>er Menge, <strong>welche</strong> kollektiv <strong>durch</strong> <strong>ein</strong>e undifferenzierte<br />

morphologische Form repräsentiert wird. Handelt es sich bei der Kategorie um<br />

<strong>ein</strong>e, die mehrere verschiedene Werte annehmen kann, wie Numerus, Kasus,<br />

Tempus, dann kann <strong>ein</strong> Morphem jeweils nur <strong>ein</strong>e Wertspezifikation ausdrücken.<br />

<strong>Die</strong>s mag beim Numerus oder Tempus aus semantischen Gründen <strong>ein</strong>leuchten.<br />

Es sch<strong>ein</strong>t widersprüchlich auf <strong>ein</strong>en Gegenstand zugleich <strong>durch</strong> <strong>ein</strong>e<br />

Singular- als auch <strong>ein</strong>e Pluralform des Nomens Bezug zu nehmen. Solche Begründung<br />

versagt aber, wenn man es mit Merkmalen zu tun hat, die nicht unmittelbar<br />

referenziell (um-)gedeutet werden können wie der Kasus. So gäbe es wohl<br />

a priori k<strong>ein</strong>en semantischen Grund, <strong>welche</strong>r dagegen stünde, reflexive Handlungen<br />

<strong>durch</strong> die Markierung sowohl von Subjektskasus wie auch Objektskasus<br />

bei <strong>ein</strong>em Nomen, resp. der Nominalphrase auszudrücken. Im Deutschen wäre<br />

der Artikel der Ort, an dem so etwas geschehen könnte. Der <strong>durch</strong> (15) ausge-<br />

6


drückte Gehalt kann jedoch nicht <strong>durch</strong> irgendetwas der Form (16) ersetzt werden<br />

(N.B.: dies ist nicht als <strong>ein</strong> vom Bezugsnomen abgetrennter Relativsatz zu<br />

verstehen!).<br />

(15) der Barbier rasiert sich<br />

(16) *der den Barbier rasiert<br />

Morphosyntaktische Kategorien erlauben immer nur <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>zige Wertspezifikation.<br />

Das gleiche gilt mutatis mutandis auch für Morpheme, <strong>welche</strong> <strong>ein</strong>e konzeptuelle<br />

<strong>Bedeutung</strong> ausdrücken.<br />

<strong>Die</strong> Zuordnung <strong>ein</strong>er konzeptuellen <strong>Bedeutung</strong> zu <strong>ein</strong>em Morphem ist bei den<br />

Stämmen von Verben, Adjektiven und Nomen <strong>ein</strong>igermaßen evident, ebenso bei<br />

den Präpositionen und Adverbien.<br />

(17) Pferd, Haus, Rind, Schw<strong>ein</strong>, Tisch, Blitz, Anstand, Gewissen,..<br />

<strong>Die</strong> <strong>Bedeutung</strong>, die <strong>durch</strong> jeweils <strong>ein</strong>zelne Nomen wie in (17) – genauer die<br />

Nominalstämme – ausgedrückt wird, mag mehr oder weniger komplex s<strong>ein</strong>, aber<br />

es ist jeweils <strong>ein</strong>e <strong>Bedeutung</strong> repräsentiert und nicht mehrere.<br />

Bei den in (18) und (19) aufgeführten Beispielen mag diese Beschränkung nicht<br />

so klar s<strong>ein</strong>. Hier sch<strong>ein</strong>en in <strong>ein</strong>em Morphem jeweils zwei <strong>Bedeutung</strong>en repräsentiert<br />

zu s<strong>ein</strong>, in (18) das Jungtier neben der Gattung und in (19) das jeweils<br />

natürliche Geschlecht.<br />

(18) a. Pferd – Fohlen<br />

b. Rind – Kalb<br />

c. Schw<strong>ein</strong> – Ferkel<br />

(19) a. Stute – Hengst<br />

b. Kuh – Bulle/Stier<br />

c. Sau – Eber<br />

All<strong>ein</strong>, man wird in diesen Fällen nicht sagen wollen, daß hier jeweils <strong>ein</strong> Morphem<br />

zwei separate <strong>Bedeutung</strong>en repräsentiert, sondern daß wir es mit <strong>ein</strong>er zunehmenden<br />

Komplexität der <strong>Bedeutung</strong> zu tun haben. Ein junges oder <strong>ein</strong> weibliches<br />

Individuum ist <strong>ein</strong>es der jeweils gegebenen Gattung. Kalb bezeichnet <strong>ein</strong><br />

Individuum <strong>ein</strong>er Teilmenge der Gattung Rind oder diese Teilmenge selbst.<br />

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