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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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schen Obduktion - den ungestörten Musikgenuß<br />

vermiest.<br />

Wir sollten an diesem Punkt sogleich verweilen. Die<br />

Behauptung, daß die "mit der Ermittlung, Sammlung<br />

und Weitergabe von Wissen über das Musikalische<br />

und die Musik"4 befaßte Disziplin eine Grundlagen­<br />

wissenschaft mit sehr langer Tradition sei, muß ei­<br />

nem jeden verstiegen vorkommen, der keine Vor­<br />

stellung davon hat, was ein Musikwissenschaftier<br />

eigentlich tut, also der überwiegenden Mehrheit der<br />

Bevölkerung. Tatsächlich erlebt der professionelle<br />

Musikwissenschaftier in Alltagsgesprächen immer<br />

wieder eine Standardsituation. Frage: "Was machen<br />

Sie eigentlich beruflich" - Antwort: "Ich bin Musik­<br />

wissenschaftier". Daraufhin beim Gegenüber zunächst<br />

Veränderung der Physiognomie ins Unbehaglich-Stau­<br />

nende, ähnlich wie bei der plötzlichen Begegnung<br />

mit einer zoologischen Rarität, dann entweder die<br />

mehr ins Unsichere tastende Nachfrage: "Ach, das<br />

ist ja interessant, und welches Instrument spielen<br />

Sie?", oder die eher treuherzige Feststellung: "Oh,<br />

wie schön, ich habe früher auch einmal Klavierunter­<br />

richt gehabt." Die gedanklichen Maschen, die sich<br />

mit einem dergestaltigen Gesprächsfaden aufnehmen<br />

lassen, sind zwar eng, bilden jedoch ein klassisches<br />

Muster. Musik ist, je nach individueller Wahl, für die<br />

meisten Menschen ein Medium, das bei unangestreng­<br />

tem Hören angenehme Empfindungen auszulösen<br />

Essays<br />

in diese enge Vorstellung nur über sein praktisches<br />

Vermögen integrieren, obwohl selbstverständlich mit<br />

der Feststellung, daß er auch gut Klavier spiele, über<br />

seine eigentliche Profession nichts gesagt ist. Wohl<br />

niemand käme auf den Gedanken, den Kunsthistori­<br />

ker zu fragen, ob er denn<br />

auch male, den Politikwis­<br />

senschaftler, für welche Par­<br />

tei er denn kandidiere und<br />

den Ernährungswissen­<br />

schaftier, was er denn am<br />

liebsten esse (um anschlie­<br />

ßend festzustellen, daß<br />

hübsche Ölbilder, erfolgrei­<br />

che Gemeinderatstätigkeit<br />

und kalorienbewußtes Ko­<br />

chen sie zur Vertretung ih­<br />

rer Fächer besonders quali­<br />

fizieren). Gewiß, die Verglei­<br />

che stehen ein wenig schief<br />

da, aber sie sollen deutlich<br />

machen, daß die Musik vor­<br />

nehmlich über ihre sinnli­<br />

chen und emotionalen Wirk­<br />

kräfte wahrgenommen,<br />

nicht aber auf ihre gedank­<br />

lichen Gehalte hin bedacht<br />

wird. Deswegen steht auch<br />

,I BLICK<br />

vermag und über das weiteres Nachdenken sich er- die erste Frage, der sich Musiker und Musikdenker in Scientia und Usus. König<br />

übrigt. Auf einer etwas höheren Ebene wird Musik allen Kulturräumen der Welt im Umgang mit ihrem Oavid mit Spielleuten,<br />

mit einer Praxis, einem Handeln zusammengebracht, Gegenstand zugewandt haben, nämlich was Musik Tänzern und Musikanten<br />

mit fremdem oder sogar eigenem Musizieren, wobei eigentlich sei - an sich und in ihrer Bedeutung für (Hs. aus Reims 12. jh.).<br />

in diesem Tun und im Hören für viele die Bestim- den Menschen -, nicht mehr im Raum der öffentli-<br />

mung des musikalischen Gegenstands bereits an ihr<br />

Ziel gelangt ist. Die Überhöhung der Musik zu einem<br />

Gegenstand der Kunst erscheint demgegenüber nach­<br />

rangig und mehr ein Ergebnis historischer oder so­<br />

zialer Konventionen denn Ihrer wesensmäßigen Ei­<br />

genart zu sein.<br />

Vor diesem Hintergrund muß die Verbindung der<br />

Begriffe Musik und Wissenschaft irritieren. Im herr­<br />

schenden Verständnis vom einen wie vom anderen<br />

gibt es für bei des scheinbar keinen gemeinsamen<br />

Platz. Hier hat die eben vorgeführte reflexhafte Fra­<br />

ge nach der instrumentalen Praxis des Mu­<br />

sikwissenschaftlers ihren Ursprung: Weil Musik über­<br />

wiegend mit dem Vorgang ihrer Vergegenwärtigung,<br />

dem Musikmachen, gleichgesetzt wird, fehlt der Sinn<br />

für ihre geistige Dimension, für die Komplexität ihrer<br />

Erscheinungen. Der Musikwissenschaftier läßt sich<br />

chen intellektuellen Auseinandersetzung. Sie ist mit<br />

den Nebelbomben unklarer Begriffe, diffuser Theore­<br />

me oder trivialer Schwärmerei verschleiert worden<br />

und bleibt heute unbeantwortet.<br />

Die extreme Verlagerung des Musikverständnisses auf<br />

unreflektiertes Tun und hedonistische Wahrnehmung<br />

kennzeichnet die Gegenwart. Doch diese Feststellung<br />

ist ebenfalls extrem und in mancher Hinsicht kriti­<br />

sierbar, partiell wohl auch widerlegbar. Sie polari­<br />

siert und ruft alle die auf den Plan, die, wie es im<br />

Jargon heißt, die Pflege der Künste ohnehin für zu<br />

"verkopft" halten und die die Musikwissenschaftier<br />

als Eunuchen ansehen, die von Dingen wissen und<br />

über sie reden, die sie selbst nicht tun können. Dar­<br />

auf pflegt der Konter vom "dummen Musiker" zu<br />

folgen, der als "menschliche Spieluhr" zweifelhafte<br />

Dienste tut. Ein derart niveauloser Schlagabtausch

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