07.10.2013 Aufrufe

III. Die Antike und ihre Nachtseite

III. Die Antike und ihre Nachtseite

III. Die Antike und ihre Nachtseite

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

187<br />

<strong>Die</strong>se auf den Advent einer neuen Welt gerichtete Erwartung gleicht dem<br />

Übergang der <strong>Antike</strong> in das Christentum, welches die Mysterien unter den Einge-<br />

weihten bereits verkündet hatten, bevor es wirklich eintrat. Indem er die Moderne<br />

mit dem Christentum identifiziert, bemerkt Schelling, daß der Stoff der christli-<br />

chen Mythologie, im Unterschied zu der antiken,<br />

die allgemeine Anschauung des Universums als Geschichte, als einer<br />

Welt der Vorsehung [ist]. <strong>Die</strong>ß ist der eigentliche Wendepunkt der<br />

antiken <strong>und</strong> modernen Religion <strong>und</strong> Poesie. <strong>Die</strong> moderne Welt beginnt,<br />

indem sich der Mensch von der Natur losreißt, aber da er noch<br />

keine andere Heimath kennt, so fühlt er sich verlassen. Wo ein solches<br />

Gefühl sich über ein ganzes Geschlecht ausbreitet, wendet es<br />

sich freiwillig oder durch inneren Trieb gezwungen der ideellen Welt<br />

zu, um sich dort einheimisch zu machen. Ein solches Gefühl war über<br />

die Welt verbreitet, als das Christenthum entstand. […] Das allgemeine<br />

Gefühl, daß eine neue Welt kommen müßte, da die alte nicht weiter<br />

fortschreiten konnte, lag gleich einer schwülen Luft, die eine große<br />

Bewegung der Natur voraus verkündet, auf der ganzen damaligen<br />

Welt, <strong>und</strong> eine allgemeine Ahndung schien alle Gedanken nach dem<br />

Orient hinzuziehen, als ob dorther der Retter kommen würde, wovon<br />

selbst in den Nachrichten des Tacitos <strong>und</strong> Sueton Spuren liegen. 551<br />

Kern des Christentums, welches keine vollendeten Symbole kenne, seien zwei<br />

symbolische Handlungen: Abendmahl <strong>und</strong> Taufe. Schellings Ansicht gemäß sei<br />

„der ganze Geist des Christenthums der des Handelns. Das Unendliche ist nicht<br />

mehr im Endlichen, das Endliche kann nur ins Unendliche übergehen; nur in die-<br />

sem können beide eins werden.“ 552 Jede symbolische Handlung besteht aus einer<br />

mystischen <strong>und</strong> einer symbolischen Seite. Symbolisch sei deren äußerer Vollzug,<br />

mystisch das nicht Augenfällige, die Auflösung des Endlichen ins Unendliche, die<br />

Verheißung einer neuen Welt, die Wiederkehr des kommenden <strong>und</strong> rettenden<br />

Gottes <strong>und</strong> seines Reiches.<br />

Einen Wandel in Schellings Beschäftigung mit der Mythologie markieren die<br />

Schriften <strong>Die</strong> Weltalter (1811-1814) <strong>und</strong> Über die Gottheiten von Samothrake<br />

(1815). Hier ist erstmals eine Entwicklung von der Proklamation einer neuen<br />

Mythologie zur Erforschung der Ursprünge der alten bemerkbar, die in die späten<br />

mythologiephilosophischen Texten Philosophie der Mythologie <strong>und</strong> Philosophie<br />

der Offenbarung einmündet. Gr<strong>und</strong>gedanke dieser Werke ist die romantische Auf-<br />

fassung der Mythologie als eines dialektischen Prozesses, der sich von einer ur-<br />

551 SW I/5, S. 427f.<br />

552 SW I/5, S. 433.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!