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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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220<br />

rung“. 650 „So ist die Geschichte der römischen Republik für Mommsen Prototyp<br />

der Geschichte einer nationalen Entwicklung <strong>und</strong> Einigung“ 651 <strong>und</strong> der Ablauf des<br />

geschichtlichen Prozesses besteht im „Antagonismus zwischen Freiheit <strong>und</strong> Not-<br />

wendigkeit“. 652 <strong>Die</strong>se Ansichten fanden im gebürtigen Aristokraten Bachofen einen<br />

leidenschaftlichen Gegner: 653<br />

Besonders eckelhaft ist die Zurückführung Roms auf die Lieblingsideen<br />

des flachsten modernen Preußischen Kammer-<br />

Liberalismus. Der ganze Jargon des Demagogen kömmt schon in der<br />

Königszeit vor, so daß alles unter die elendesten Ideen subsummirt<br />

<strong>und</strong> dadurch vollständig auf den Kopf gestellt wird. 654<br />

Als Bürger der freien Republik Basel war Bachofen nichts verhaßter als das<br />

Preußentum <strong>und</strong> die Vorstellung eines vereinigten Deutschland unter dem preußi-<br />

schen Staat. Darin liegt ein erster Gr<strong>und</strong> für Bachofens tiefe Ablehnung der Per-<br />

sönlichkeit <strong>und</strong> des Werkes Mommsens. Dennoch merkt man bei einer genaueren<br />

Analyse, daß hier zwei gr<strong>und</strong>verschiedene Auffassungen von Philologie aufeinan-<br />

derstoßen: als Berufung <strong>und</strong> Bildung einerseits <strong>und</strong> als Beruf <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

andererseits. Bachofens isolierte Forschungstätigkeit, fern vom modernen Wissen-<br />

schaftsbetrieb, entspricht einem altmodisch gewordenen, humanistischen Begriff<br />

von Altertumswissenschaft. Der Basler Gelehrte sieht seine Aufgabe im <strong>Die</strong>nst<br />

der Bildung, nicht der Wissenschaft, als „the culture of the individual and the<br />

community, not an objective body of knowledge, not ‘science’, and to be appreci-<br />

ated and judged by the citizenry of Basle rather than by an anonymous body of<br />

professionals.“ 655<br />

Mommsen wird vorgeworfen, bei der Erforschung des antiken Lebens den<br />

Akzent allzusehr auf materielle <strong>und</strong> ökonomische Tatsachen gesetzt zu haben <strong>und</strong>,<br />

650<br />

Ebenda, S. 86.<br />

651<br />

K. Christ, Von Gibbon zu Rostovtzeff, a. a. O., S. 108.<br />

652<br />

Über die Interaktion zwischen Wahrheitsanspruch <strong>und</strong> Standpunktabhängigkeit<br />

im deutschen Historismus vgl. F. Jaeger/J. Rüsen, a. a. O., S. 41ff. Im Historismus sind<br />

zwei entgegengesetzte Auffassungen über den Umgang des Historikers mit der politischen<br />

Praxis der Gegenwart nachweisbar: „In der einen Konzeption [deren Vertreter<br />

Ranke (1795-1886) ist] erhebt sich der Historiker über die Parteikämpfe seiner Zeit, in<br />

der anderen [Mommsen, Droysen (1808-1884)] nimmt er an ihnen teil.“ Ebenda, S. 46.<br />

653<br />

Vgl. K. Christ, Römische Geschichte <strong>und</strong> deutsche Geschichtswissenschaft, a. a.<br />

O., S. 77.<br />

654<br />

Brief an Heinrich Meyer Ochsner vom 24. Januar 1862, in: J. J. Bachofen, Gesammelte<br />

Werke in 10 Bde., hrsg. von K. Meuli, Basel/Stuttgart 1943-1967, Bd. 10, S.<br />

252 (von nun an zitiert als GW, mit römischer Band- <strong>und</strong> arabischer Seitenzahl).<br />

655<br />

L. Gossman, a. a. O., S. 174.

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