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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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sent. His conservatism, his traditionalism and his religious attitude to the past<br />

where all one.“ 661 An einer Briefstelle ist folgende bedeutende Äußerung zu lesen:<br />

„Wer ein Volk auffassen will, muß sich auf den Standpunkt stellen, auf dem es<br />

selber stand, <strong>und</strong> wer dessen Geschichte schreibt, muß sie aus seinem Geist<br />

schreiben, nicht aus dem eigenen. Er darf nicht die Anschauungsweise des XIX<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts walten lassen, sondern muß sich jene der Römer aneignen, <strong>und</strong> mit<br />

<strong>ihre</strong>n Augen sehen. Was kann es uns helfen, die Ideen des XIX Jahrh<strong>und</strong>erts über<br />

die römische Geschichte zu kennen? Was allein Werth hat ist die Ansichten der<br />

Römer selbst zu kennen, zu wissen, was sie von <strong>ihre</strong>r Urzeit dachten, was sie<br />

wußten, was sie glaubten. Das ist mein Standpunkt. Ich bin ganz positiv, mein<br />

einziges Streben geht dahin, so römisch zu sein als möglich. Ich verwerfe jene so-<br />

genannte wissenschaftliche Kritik, welche mit den gesunkenen <strong>und</strong> verdorbenen<br />

Ansichten einer gesunkenen <strong>und</strong> verdorbenen Zeit das Leben <strong>und</strong> die Thaten eines<br />

hohen gotterfüllten Volkes mißt, <strong>und</strong> die eigene Zerfahrenheit auch in jene alte<br />

Zeit <strong>und</strong> auf jenes gewaltige Volk überträgt.“ 662 Das Urteil über Niebuhr fällt mil-<br />

der aus, aber nicht wesentlich anders: Gegen dessen Vorbild definiert er seine ei-<br />

gene Geschichtsauffassung:<br />

Ich verwerfe die Schulmeisterei, die, statt zu erklären, verwirft <strong>und</strong><br />

nach eigenen Anschauungen rekonstruiert. Ich bin konservativ <strong>und</strong><br />

nicht zerstörend <strong>und</strong> glaube immer noch, daß Livius, Cicero, Dionys<br />

von <strong>ihre</strong>s Volkes Art <strong>und</strong> Geschichte viel mehr gewußt haben als<br />

Niebuhr. Der Geschichtsforscher lauscht <strong>und</strong> erklärt, er meistert nicht<br />

<strong>und</strong> zerstört nicht. Ich bew<strong>und</strong>ere Niebuhrs geistige Kraft <strong>und</strong> die<br />

Hoheit seines Stils. Ich bin aufrichtig weit entfernt, mich mit ihm zu<br />

messen. Aber ich teile die Richtung nicht, ich bin mit ihm in der<br />

Gr<strong>und</strong>auffassung des römischen Wesens nicht einig. Und da versteht<br />

es sich, daß ich meine Auffassung für die richtige halte. Meine Weltanschauung<br />

ist eine andere, sie ist viel beschränkter, bürgerlicher,<br />

vielleicht auch religiöser. Aber aus allen diesen Gründen vielleicht<br />

dem Römischen näher verwandt als die eines Mannes, der unter ganz<br />

andern Eindrücken aufgewachsen ist. Gelehrsamkeit macht nicht alles.<br />

Bei den Deutschen fehlt die natürliche Ansicht des Volkslebens<br />

<strong>und</strong> eine gewisse Innerlichkeit des Geistes, die eben die Kraft der<br />

Völker in ganz andern <strong>und</strong> tiefern Kräften sucht als in den Formen. In<br />

Deutschland ist alles historische Bewußtsein abgestorben <strong>und</strong> nur ein<br />

knirschender Oppositionsgeist von Geltung <strong>und</strong> Ansehn. Niebuhr<br />

zeigt dieselbe Anlage. Aber Rom ist anders, religiös, altväterisch, sein<br />

661 A. Momigliano, „Johann Jakob Bachofen: From Roman History to Matriarchy“,<br />

in: Ders., Ottavo contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico, Roma<br />

1987, S. 91.<br />

662 GW X, S. 107f. Hervorhebungen von mir.

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