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tischen Lebens, wenn je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r will, sie verwirren kann? Franz Ferdinand<br />
war die Hoffnung dieses Staats für alle, die da glauben, daß gera<strong>de</strong> im Vorland<br />
<strong>de</strong>s großen Chaos ein geordnetes Staatsleben durchzusetzen sei. Kein<br />
Hamlet, <strong>de</strong>r, wär' er hinaufgelangt, unfehlbar sich höchst königlich bewährt<br />
hätte, son<strong>de</strong>rn Fortinbras selbst. Aber wenn selbst Fortinbras fällt, muß etwas<br />
faul auch außerhalb <strong>de</strong>s Staates sein.<br />
Nicht, daß er die Hoffnung <strong>de</strong>r sogenannten Reaktion, aber daß er die<br />
Furcht <strong>de</strong>s Fortschritts war, und daß sein Leben wie ein Schatten auf <strong>de</strong>r abscheulichen<br />
Heiterkeit dieses Staatswesens lag, sichert seinem An<strong>de</strong>nken etwas<br />
von <strong>de</strong>m Respekt, <strong>de</strong>n eine weltverbannte, aber gleichwohl bestehen<strong>de</strong><br />
Verpflichtung zum Geist nie an falschem Ort bekennt. Und die Furcht <strong>de</strong>s Liberalismus<br />
verlor nichts von <strong>de</strong>m Wert einer schönen Vorstellbarkeit durch<br />
eine an<strong>de</strong>re Furcht: daß sie sich nie erfüllt hätte. Und selbst nichts durch die<br />
Erfahrung, daß sie die schmählichsten Orgien kultureller Verlu<strong>de</strong>rung nur begleitet,<br />
nicht aufgehalten hat. Dennoch, die Frechheit ging so sicher mit einem<br />
Herzklopfen zu Bett, wie sie jetzt mit einem Gefühl <strong>de</strong>r Erleichterung<br />
aufsteht. Zu ihm hatte sie nur einen Weg gemütlicher Verständigung: seinen<br />
bürgerlichen Kunstverstand, <strong>de</strong>r aber als radikale Vertretung <strong>de</strong>r Schablone<br />
gegen eine falsche Mo<strong>de</strong>rnität noch die Persönlichkeit bewies; seinen Geschmack,<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Volk einen Ziergarten von populärster Verständlichkeit für<br />
einige Tage freigab: einen Park, <strong>de</strong>r sich nach einer Ansprache sehnte, Anlagen<br />
von geringem A<strong>de</strong>l, die von rechtswegen das ganze Jahr <strong>de</strong>m Schutze <strong>de</strong>s<br />
Publikums hätten empfohlen sein sollen. Aber Bismarck war doch ganz in Shakespeare<br />
gehärtet und hatte eine leere Stelle, die ihn für Buchholzens Reise<br />
nach Italien empfänglich machte. Und Franz Ferdinands Wesen war, alles in<br />
in allem, <strong>de</strong>n Triebkräften österreichischer Verwesung, <strong>de</strong>m Gemütlichen und<br />
<strong>de</strong>m Jüdischen, unfaßbar und unbequem. Ihm wird nicht nachgerühmt, daß er<br />
fünfzigmal <strong>de</strong>n »Walzertraum« gehört, für ein Papageien—Kabarett geschwärmt,<br />
wenigstens sein Arbeitszimmer mit Schönpflug—Bil<strong>de</strong>rn austapeziert<br />
habe: es wür<strong>de</strong> doch im Relief seiner Persönlichkeit nur gegen Aug und<br />
Ohr beweisen, nichts gegen <strong>de</strong>n Kopf, und man wüßte, daß ihm <strong>de</strong>r Inhalt dieser<br />
Dinge nicht Lebensbasis war und daß sein Kulturgefühl seinem Geschmack<br />
wi<strong>de</strong>rsprach. Der falschen Individualität eines Staatslebens, welches<br />
davon lebt, daß man's gewöhnt ist, und weil man sich das Gegenteil nicht vorstellen<br />
kann, und damit eine Ruh' ist, war er <strong>de</strong>r Erzfeind, und zwischen <strong>de</strong>n<br />
Zeilen einer heuchlerischen Erschütterung erfährt man erst 1 , wie wenig er<br />
sich mit <strong>de</strong>r Herablassung zu einer ziemlich niedrigen Gemütsart angestrengt<br />
hat und vor allem wie fremd ihm jener noch unentbehrlichere Sinn war, <strong>de</strong>r<br />
als die eigentliche Unsere Leutseligkeit <strong>de</strong>n Mächtigen zur Karriere hilft. Er<br />
war kein Grüßer. Nichts hatte er von jener »gewinnen<strong>de</strong>n« Art, die ein Volk<br />
von Zuschauern über die Verluste beruhigt. Auf jene unerforschte Gegend, die<br />
<strong>de</strong>r Wiener sein Herz nennt, hatte er es nicht abgesehen. Ein ungestümer<br />
Bote aus Altösterreich wollte er eine kranke Zeit wecken, daß sie nicht ihren<br />
Tod verschlafe. Nun verschläft sie <strong>de</strong>n seinen. In einer kläglich reduzierten<br />
Trauer, die es mit einem nassen, einem heitern Auge versteht, <strong>de</strong>n Zuzug<br />
Leidtragen<strong>de</strong>r fernzuhalten, in einer dankbaren Pietät, die sich an <strong>de</strong>r irdischen<br />
Hülle einer allzu starken Seele für jene Zurücksetzung rächt, die ihr erspart<br />
geblieben ist, in einem Arrangement, an <strong>de</strong>m sich die wahre Obersthofmeisterschaft<br />
zu bewähren scheint, in einer Toleranz, die die Grenzen <strong>de</strong>s<br />
spanischen Zeremoniells durch einen Jahrmarkt erweitert und <strong>de</strong>n Sarg eines<br />
Thronfolgers im Kassenraum eines Bahnhofs ausstellen läßt, in einem Skan-<br />
1 s. “Vorspiel“ in “Die letzten Tage <strong>de</strong>r Menschheit“<br />
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