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selbe und nie wür<strong>de</strong> ich dieser phantastischen Treue eine Erneuerung o<strong>de</strong>r<br />
Erweiterung vorziehen —, also die Zeitung bringt es über sich, gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>m<br />
unnahbaren Ausnahmsfall das Stigma jener grauslichen Gelegenheiten anzuhängen,<br />
wo sich dank ihrem Zutreiberdienst <strong>de</strong>r Auswurf <strong>de</strong>r Menschheit zusammenfin<strong>de</strong>t.<br />
Ich erfahre — und nicht etwa als Kritik, son<strong>de</strong>rn als die Berufung<br />
auf eine notorische Tatsache —, daß ich eine Attraktion bin zwischen<br />
Derby und Caligari—Redoute, während die ernsten Menschen, die sich zum<br />
Fußball—Län<strong>de</strong>rkampf drängen, daselbst Geist erleben und im Banne dieses<br />
Erlebnisses lei<strong>de</strong>nschaftlich echte Teilnahme bekun<strong>de</strong>n. Und diese grauenhafte<br />
Popularität habe ich erreicht, wiewohl doch die Journalistik, die sie gelegentlich<br />
einer Fußball—Kritik feststellt, nichts dazugetan hat. Ich muß mir<br />
nun wirklich einmal das Derby—Publikum, <strong>de</strong>m ich das Gedicht »To<strong>de</strong>sfurcht«<br />
vorlese und das darauf ähnlich reagiert wie auf einen Flankenball, ansehen.<br />
Daß ich auf Neger wirken könnte, hätte ich geglaubt, aber <strong>de</strong>r Eindruck auf<br />
jene Sorte Wiener ist überraschend. Die vielen jungen Leute, die da je<strong>de</strong>smal<br />
am Schluß nicht mü<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n zu danken, sind also Gestalten von <strong>de</strong>r Caligari<br />
—Redoute, und nur weil ich selbst nie dort war, habe ich es nicht gewußt. Jemand<br />
meinte, das ganze sei vielleicht so zu erklären, daß eine Kritik irgen<strong>de</strong>ines<br />
meiner Vorträge geschrieben war, nicht erscheinen durfte und darum für<br />
Fußball appretiert wur<strong>de</strong>. Das wäre eine rationalistische Erklärung. Ich glaube,<br />
daß es journalistische Natur ist, und nicht einmal jene, <strong>de</strong>r die Wendung<br />
vor <strong>de</strong>r Wahrheit steht, weil ja alles wurscht ist, son<strong>de</strong>rn die das Leben wirklich<br />
so sieht, in<strong>de</strong>m doch <strong>de</strong>r Teufel seine Hölle für blau und <strong>de</strong>n Himmel für<br />
schwarz hält; und daß das Hiersein immer unwirklicher wird.<br />
Das arme Leben<br />
Tust du nicht unrecht diesen Freu<strong>de</strong>n?<br />
Verbergen sie nicht Gram und Qual?<br />
Verzittert nicht das tiefste Lei<strong>de</strong>n<br />
in einem Tränenbacchanal?<br />
Hat doch <strong>de</strong>r Glaube sie zum Narren,<br />
daß je<strong>de</strong>r Schritt ins Freie drängt,<br />
wenn sie in diese Enge starren,<br />
die sich nur immer mehr verengt.<br />
Bange macht je<strong>de</strong>m je<strong>de</strong> Stun<strong>de</strong>,<br />
die von ihm abnimmt Stück für Stück,<br />
und je<strong>de</strong>r zieht mit einer Wun<strong>de</strong><br />
in sein Verhängnis sich zurück.<br />
Wer fühlt das Leben nicht vertropfen<br />
und wie es in <strong>de</strong>n Tod verfällt!<br />
Sie hören ihre Herzen klopfen,<br />
und eben darum lärmt die Welt.<br />
Jeglicher Blick verkürzt das Dauern<br />
von <strong>de</strong>r bemessnen Wartezeit,<br />
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