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christlichen Gewissen ausmachen. Ein Angeklagter darf ja lügen, aber er sollte<br />

nicht. Freilich, was immer er über jenen sagen wollte und wie immer man<br />

»Schurke« <strong>de</strong>uten will, Sinclair war ihm persönlich nahegetreten, in<strong>de</strong>m er<br />

nicht nur <strong>de</strong>n religiösen Empfindungen — die ja nebst <strong>de</strong>n nationalen die zerbrechlichste<br />

Materie dieser Welt sind — nahegetreten ist, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>m<br />

österreichischen Patriotismus. Es stellt sich nämlich heraus, daß Sinclair gar<br />

kein österreichischer Patriot ist:<br />

Sowohl auf religiösem Gebiete wie auf <strong>de</strong>m Gebiete <strong>de</strong>s Patriotismus,<br />

auf <strong>de</strong>m Gebiete <strong>de</strong>r österreichischen Vaterlandsliebe hat<br />

Upton Sinclair sich schwer verfehlt.<br />

Wofür natürlich <strong>de</strong>r Umstand, daß er ein Kalifornier ist, höchstens als mil<strong>de</strong>rnd<br />

in Betracht kommt. Ich bin lei<strong>de</strong>r kein Kalifornier und kann es darum<br />

Hussarek nachfühlen, wie weh das tut, in <strong>de</strong>r österreichischen Vaterlandsliebe<br />

verletzt zu wer<strong>de</strong>n. Und Hussarek legt Wert auf mein Zeugnis. Nach <strong>de</strong>m<br />

Bericht <strong>de</strong>r Reichspost hat er gegen das Vorbringen <strong>de</strong>s Prof. Singer, er habe<br />

im Jahre 1895 mit ihm von <strong>de</strong>r Bereicherung <strong>de</strong>r Klöster gesprochen, eingewen<strong>de</strong>t:<br />

Karl Kraus hat in einem Aufsatz behauptet, daß ich schon 1892<br />

mich im katholischen Sinne betätigte.<br />

Vergebens habe ich dieses Wohlverhaltenszeugnis in <strong>de</strong>r Fackel gesucht und<br />

nur gefun<strong>de</strong>n, daß in einem <strong>de</strong>r ersten Hefte von <strong>de</strong>m jüngeren Hussarek als<br />

einem älteren Betbru<strong>de</strong>r, aber ohne je<strong>de</strong> zeitliche Limitierung, die Re<strong>de</strong> war<br />

und die lustige Geschichte erzählt wur<strong>de</strong>, wie sich <strong>de</strong>r ägyptische Erbprinz<br />

seinen katholischen Erziehungsversuchen durch die Flucht entzog. In <strong>de</strong>r Republik<br />

ist <strong>de</strong>r Karriere <strong>de</strong>s Herrn Hussarek vom Präfekten <strong>de</strong>s Theresianums<br />

zum Ministerpräsi<strong>de</strong>nten zwar Einhalt geboten, aber nach <strong>de</strong>r Verurteilung<br />

durch die Geschwornen steht <strong>de</strong>r Vorrückung zum Glaubensmärtyrer nichts<br />

im Wege, versteht sich, wenn <strong>de</strong>r Leitartikel, <strong>de</strong>n die Reichspost unter <strong>de</strong>m<br />

Titel »Eine tapfere Tat« veröffentlicht hat, richtig auf die Beschimpfung eines<br />

Mannes, <strong>de</strong>r in Kalifornien wohnt, und auf die Interpretation von »Schurke«<br />

bezogen wird und nicht etwa darauf, daß er gleich neben <strong>de</strong>m Entschluß <strong>de</strong>r<br />

Reichspost steht, das Prostitutionszeichen, das ihr <strong>de</strong>r Oberste Gerichtshof<br />

beigebracht hat, an die Spitze <strong>de</strong>s Textes zu stellen. Daß die tapfere Tat die<br />

Gründung eines Hussarek—Fonds nach sich zieht und die Ovationen <strong>de</strong>r<br />

Christenheit vor <strong>de</strong>m Hause <strong>de</strong>s Glaubenszeugen, <strong>de</strong>r als Angeklagter nicht<br />

allein für die Religion, son<strong>de</strong>rn auch für die Wahrheit unschuldig gelitten hat,<br />

ist nur selbstverständlich.<br />

Wenn sich aber Sinclair sowohl auf religiösem Gebiete wie auf <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

österreichischen Vaterlandsliebe schwer verfehlt und die diesbezüglichen Gefühle<br />

<strong>de</strong>r Reichspost alteriert hat, so hat sie ja keine Ahnung, wie sehr er gar<br />

ihren journalistischen nahegetreten ist. Seine Verfehlung auf diesem Gebiete<br />

ist höchstens mit <strong>de</strong>r meinigen zu vergleichen und wie gut es <strong>de</strong>r Instinkt <strong>de</strong>r<br />

Reichspost hier getroffen hat, mag ihr <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong> Artikel <strong>de</strong>r Jena—Weimarer<br />

kommunistischen Zeitung 'Neue Zeitung' dartun — von einem mir unbekannten<br />

Kritiker und über zwei Autoren, von <strong>de</strong>nen ich nur einen kenne — ,<br />

<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zufall just ein paar Tage vor <strong>de</strong>m Sinclair—Prozeß erscheinen ließ<br />

und <strong>de</strong>r die Verabredung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Presse zum Schweigen über mich<br />

wie<strong>de</strong>r einmal durchbricht, aber eben auch darum <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rholung wert ist,<br />

weil er die bei<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Weltpresse und allem ihr gehorsamen Christensinn<br />

<strong>de</strong>rzeit gehaßtesten Autoren in einem Gespann vorführt, mit <strong>de</strong>m das Bie<strong>de</strong>rmannstum<br />

zweier Welten wirklich nicht gut zu fahren scheint:<br />

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