08.10.2013 Aufrufe

Glossen - Welcker-online.de

Glossen - Welcker-online.de

Glossen - Welcker-online.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

er keinen Leser <strong>de</strong>r Fackel auftreiben kann, und <strong>de</strong>r Serie von Fackelbän<strong>de</strong>n,<br />

die erscheinen wird, ist just auch nicht einleuchtend. Sie ist höchstens in<br />

schlechtem Deutsch begrün<strong>de</strong>t. Er wollte wohl sagen: eine lange Antwort von<br />

ihm wür<strong>de</strong> eine Serie von Fackelbän<strong>de</strong>n heraufbeschwören, und dies wäre, da<br />

sie außer mir und ihm niemand liest, ruinös für mich. Wie er irrt! Abgesehen<br />

davon, daß ich im Gegensatz zu ihm seine Antwort wirklich nicht brauchen<br />

wür<strong>de</strong>, um Fackelbän<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Betrachtung seiner Eigenart zu füllen, ahnt<br />

er gar nicht, wie dankbar ich ihm für je<strong>de</strong>s Stichwort bin. Und dabei <strong>de</strong>nke<br />

ich nur an die Befriedigung, die mir selbst das Schaffen an seiner Gestalt bereitet.<br />

Es ist ein Nirwana—Erlebnis. Abgelenkt von allem Irdischen, nehme<br />

ich bei dieser Versenkung in das Nichts auf die Leser nicht die geringste<br />

Rücksicht. Wenn er aber wüßte, wie sie — und es fin<strong>de</strong>n sich immer mehr als<br />

zwei — gar nicht genug Großmann kriegen können, er wür<strong>de</strong> größenwahnsinnig.<br />

Ich habe jetzt zweimal das Epigramm »Großmann« aus <strong>de</strong>m Manuskript<br />

vorgetragen. Der Titel ist mit <strong>de</strong>r ersten Zeile in unlöslichem Zusammenhang.<br />

Kaum hatte ich jenen gesprochen, zerriß mir diesen ein Beifallsjubel, wie ich<br />

ihn selten gehört habe. So populär ist er; so habe ich schon meine Entrückung<br />

auf meine Hörerschaft übertragen. Sie machen Nirwana mit; sie versenken<br />

sich alle. Er war bisher ein kleiner Zeitungsfaiseur und ist durch mich eine Figur<br />

gewor<strong>de</strong>n. Glaubt er, daß ich ihn je verleugnen könnte? Glaubt er, daß<br />

wenn ich schon frei von jeglicher Rücksicht auf Leserwünsche bin, mich nicht<br />

auch <strong>de</strong>r reine Einklang von Gestalten und Empfangen belebt? Ich kann es<br />

ihm sagen, er ist heute ein Schlager. Ich könnte zweitausend Seiten über ihn<br />

schreiben und die Leute wür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>ssen so wenig überdrüssig wie ich selbst,<br />

<strong>de</strong>nn sie wissen, wie es erlebt und gemeint ist und daß an seinem schäbigen<br />

Anlaß immer von neuem eine Welt erscheint. Und dazu muß man noch sagen,<br />

solche zwanzig Seiten spannendster Romanlektüre sind zweitausend. Wenn<br />

man ihn re<strong>de</strong>n hört, wür<strong>de</strong> man glauben, ich überschätze ihn und weil er ja<br />

tatsächlich eine Null ist, müßten zwanzig Seiten, die von ihm han<strong>de</strong>ln, breites<br />

Geschwätz sein und alles ließe sich in zwanzig Zellen sagen. Immer weist er<br />

ja darauf hin, er habe nur so wenig über mich geschrieben und ich um so viel<br />

mehr über ihn. Aber in Wahrheit sind seine zwanzig Zeilen breites Geschwätz<br />

und meine zwanzig Seiten von einer Knappheit, von <strong>de</strong>r man kein Wort wegnehmen<br />

könnte. Mehr als das Skelett <strong>de</strong>r Sprache gebe ich ja nie, da sind<br />

wirklich nur noch Knochen und durchsichtige Haut, kein Fett, nichts zum Anhalten<br />

wie bei üppigen Naturen seinesgleichen. Hätte er sich nicht durch <strong>de</strong>n<br />

launigen Einfall, daß ich wegen gewisser Lokalverdienste ein »Ehrengrab <strong>de</strong>r<br />

Stadt Wien« verdient habe, engagiert, er könnte einst <strong>de</strong>n hageren Leib meiner<br />

Sprache schän<strong>de</strong>n, wiewohl sich ihm <strong>de</strong>r Eindruck <strong>de</strong>s Gespenstischen,<br />

Entsetzlich—Unsterblichen doch schon heute aufdrängen muß. Ja, sie war die<br />

erste, die in <strong>de</strong>r Literatur <strong>de</strong>n Mut zur Magerkeit hatte. Und sie bedarf nicht<br />

einmal <strong>de</strong>r Nahrung <strong>de</strong>s Stoffes, sie lebt und produziert ganz aus sich selbst<br />

heraus. Ob Großmann »antwortet« o<strong>de</strong>r Sprung nach Wien macht, das ist ihr<br />

gehupft wie gesprungen; wenn sie bloß an ihn <strong>de</strong>nkt, lebt sie. So wird man<br />

achtzig Jahre. Mache er sich darum keine Sorgen wegen <strong>de</strong>r wirtschaftlichen<br />

Situation <strong>de</strong>r Fackel. Nie wer<strong>de</strong> ich genötigt sein, <strong>de</strong>n Kommissionär <strong>de</strong>s 'Tagebuch'<br />

um Anschluß und Verbreitung anzuschnorren. Das macht sich alles<br />

von selbst, ich singe wie <strong>de</strong>r Vogel singt, wenns auch kein Lustig—Lied ist<br />

und obgleich mir kein Bosel einen gol<strong>de</strong>nen Käfig baut. An Stoff fehlt's nicht,<br />

wenn nur Großmann gesund bleibt und so alt wird wie ich. Mit zwanzig Kronen<br />

hat unsere Beziehung begonnen, mit zwanzig Seiten wird sie nicht en<strong>de</strong>n.<br />

Er sollte jene, valorisiert, <strong>de</strong>m Fonds für ein ihm bekanntes Grab zuwen<strong>de</strong>n.<br />

71

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!