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Er hat so Heimweh gehabt - Welcker-online.de

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<strong>Er</strong> <strong>hat</strong> <strong>so</strong> <strong>Heimweh</strong> <strong>gehabt</strong><br />

— — ich Wür<strong>de</strong> <strong>so</strong>gar sagen, daß er nicht zu beeinflussen ist ...<br />

<strong>Er</strong> bleibt unerschütterlich in seiner Meinung und seinem Willen.<br />

Diese Psyche interessiert mich lebhaft, <strong>de</strong>nn sie ist fast mystisch.<br />

<strong>Er</strong> ist ein Mann, <strong>de</strong>r sich nicht analysiert ... <strong>Er</strong> <strong>hat</strong>te für mich ein<br />

liebenswürdiges Lächeln — — Jules Sauerwein.<br />

— — Ich bin zurückgekehrt,<br />

weil ich überzeugt<br />

bin, daß das<br />

schwergeprüfte Land<br />

nur unter <strong>de</strong>r Führung<br />

eines gesetzmäßig gekrönten<br />

Königs die volle<br />

innere Ruhe, gesetzliche<br />

Ordnung und das frühere<br />

Wohlergehen wie<strong>de</strong>r<br />

erlangen könne. — —<br />

— — Nach<strong>de</strong>m ich mich überzeugt<br />

habe, daß die Übernahme <strong>de</strong>r Herrscherrechte<br />

eines Apostolischen<br />

Königs <strong>de</strong>r Nation eine schwere und<br />

unerträgliche Prüfung auferlegen<br />

wür<strong>de</strong>, und dies vor meinem Gewissen<br />

nicht verantworten könnte,<br />

entferne ich mich wie<strong>de</strong>r — —<br />

Karl.<br />

In diesen Augenblicken, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Zug König Karls IV. bereits<br />

die Schweizer Grenze passiert <strong>hat</strong>, fällt <strong>de</strong>r Vorhang über einem<br />

Schicksalsdrama, <strong>so</strong> reich an menschlich tragischem Gehalt, daß<br />

kommen<strong>de</strong> Geschlechter, welche, losgelöst von <strong>de</strong>n verwirren<strong>de</strong>n<br />

Einflüssen <strong>de</strong>s Augenblickes, das Wesentliche <strong>de</strong>r Dinge, die wir<br />

jetzt erleben, zu beurteilen imstan<strong>de</strong> sein wer<strong>de</strong>n, tief erschüttert<br />

in ihrem Innern das Nachbeben eines Wehs empfin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n,<br />

von <strong>de</strong>m ein neuer Dante sagen könnte. »Nessun maggiore dolore«.<br />

… Und zu diesem vielleicht nicht <strong>de</strong>n richtigen Augenblick wahrnehmen<strong>de</strong>n<br />

Gefühl <strong>de</strong>r Pflicht und Verantwortung gesellt sich,<br />

noch stärker und drängen<strong>de</strong>r, ein an<strong>de</strong>rer Antrieb, <strong>so</strong> rein und<br />

rührend, daß je<strong>de</strong>r, in <strong>de</strong>ssen Seele das menschliche Empfin<strong>de</strong>n<br />

noch nicht ganz von politischen Lei<strong>de</strong>nschaften erstickt wur<strong>de</strong>,<br />

sich davon ergriffen fühlen müßte.<br />

Mitten in <strong>de</strong>r schon südlichen Pracht seines Aufenthaltes, zwischen<br />

<strong>de</strong>n blauen Seen und schneebe<strong>de</strong>ckten Bergen <strong>de</strong>s Waadter<br />

Lan<strong>de</strong>s, konnte <strong>de</strong>r junge König die Heimat, das Donauland nicht<br />

vergessen. »Ich habe <strong>so</strong> <strong>Heimweh</strong> <strong>gehabt</strong>.« Welche Summe von<br />

Schmerz, Einsamkeit und Sehnsucht schließt dieses rühren<strong>de</strong> Bekenntnis<br />

<strong>de</strong>s Königs in sich, das nicht nur ein menschlich persönli-<br />

3


4<br />

ches Dokument darstellt, in <strong>de</strong>m wohl auch ein Gefühlserbteil seiner<br />

Ahnen wie<strong>de</strong>r auflebt.<br />

Wenn König Karl, stärker als an<strong>de</strong>ren Beweggrün<strong>de</strong>n, diesem ursprünglichen<br />

Impulse folgend, die kranke Frau und die kleinen<br />

Kin<strong>de</strong>r verließ, sich ohne die letzte, kühle Berechnung, <strong>de</strong>m Zuge<br />

seines Herzens gehorchend, in ein unbestritten gefahrvolles Unterfangen<br />

stürzte, <strong>de</strong>n Demütigungen sich aussetzte, die er, <strong>de</strong>r<br />

persönlich Machtlose, gewärtigen mußte, <strong>so</strong> bewegten ihn dieselben<br />

Stimmungen und Antriebe, die Theodor Fontane in jener herrlichen<br />

Balla<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m vertriebenen Schotten Archibald Douglas<br />

besang, <strong>de</strong>r trotz To<strong>de</strong>sgefahr und To<strong>de</strong>sdrohung im Bettlergewand<br />

in die Heimat zurückkehrte, entschlossen, alles zu dul<strong>de</strong>n<br />

und alles zu wagen, »wenn er nur einmal wie<strong>de</strong>r die Luft Im Vaterlan<strong>de</strong><br />

atmen durfte« —<br />

... Wer reinen Willens ist, bleibt innerlich ein Sieger ...<br />

... Jenen verbannten Grafen in Fontanes Balla<strong>de</strong> erlöst zuletzt die<br />

siegen<strong>de</strong> Macht seines eigenen Herzens »Der ist in innerster Seele<br />

treu, <strong>de</strong>r die Heimat liebt wie du!« Reichspost.<br />

— — da je<strong>de</strong>r Augenblick<br />

<strong>de</strong>r Abwesenheit vom<br />

heißgeliebten Vaterland,<br />

an welches mich ein<br />

unlösbaresBand und die<br />

Stimme <strong>de</strong>s Blutes bin<strong>de</strong>t,<br />

unerträgliche Lei<strong>de</strong>n<br />

be<strong>de</strong>utet. — —<br />

— — wer<strong>de</strong> jedoch auch fern von<br />

Ungarn <strong>de</strong>r Nation all mein Interesse,<br />

und wenn nötig, <strong>de</strong>m Vaterland<br />

auch mein Blut widmen, <strong>de</strong>m Vaterland,<br />

<strong>de</strong>m ich nie treulos wer<strong>de</strong>. —<br />

—<br />

Karl.<br />

<strong>Er</strong>zherzog von Österreich<br />

Den lohnt <strong>de</strong>s Himmels Frie<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r sein Schwert<br />

In <strong>so</strong> gerechtem, frommem Kriege zieht ...<br />

Je mehr uns unerwartet, uni <strong>so</strong> mehr<br />

Muß es zum Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>n Eifer wecken;<br />

Es steigt <strong>de</strong>r Mut mit <strong>de</strong>r Gelegenheit.<br />

Sie sei'n willkommen <strong>de</strong>nn, wir sind bereit! — —<br />

Constanze<br />

... O Österreich! du entehrst<br />

Die Siegstrophäe: du Knecht, du Schalk, du Memme!<br />

Du klein an Taten, groß an Büberei!<br />

Da immer stark nur auf <strong>de</strong>r stärkern Seite!<br />

Fortunas Ritter, <strong>de</strong>r nie ficht, als wenn<br />

Die launenhafte Dame bei ihm steht<br />

Und für Ihn <strong>so</strong>rgt! Du Eidvergessener,<br />

Du dienst <strong>de</strong>r Größe. Welch ein Narr bist du,<br />

Gespreizter Narr, zu prahlen, stampfen, schwören<br />

Für meine Sache! Du kaltblütger Sklav',<br />

Hast du für mich wie Donner nicht gere<strong>de</strong>t?<br />

Mir Schutz geschworen? mich vertrauen heißen<br />

Auf <strong>de</strong>in Gestirn, <strong>de</strong>m Glück und <strong>de</strong>ine Kraft?<br />

Und fällst du nun zu meinen Fein<strong>de</strong>n ab?<br />

Du in <strong>de</strong>r Haut <strong>de</strong>s Löwen? Weg damit,


Und häng ein Kalbsfell um die schnö<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>r!<br />

<strong>Er</strong>zherzog von Österreich<br />

O daß ein Mann zu mir die Worte spräche!<br />

Bastard<br />

Und häng ein Kalbsfell um die schnö<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>r.<br />

<strong>Er</strong>zherzog von Österreich<br />

Ja untersteh dich das zu sagen, Schurke!<br />

Bastard<br />

Und häng ein Kalbsfell um die schnö<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>r. — —<br />

<strong>Er</strong>zherzog von Österreich<br />

Hört auf <strong>de</strong>n Kardinal, erlauchter Philipp!<br />

Bastard<br />

Hängt Ihm ein Kalbsfell um die schnö<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>r.<br />

<strong>Er</strong>zherzog von Österreich<br />

Gut, Schurk', ich muß dies in die Tasche stecken,<br />

Weil —<br />

Bastard<br />

Eure Hosen weit genug dazu ...<br />

<strong>Er</strong>zherzog von Österreich<br />

Tu's, König Philipp, häng' nicht nach <strong>de</strong>m Zweifel!<br />

Bastard<br />

Häng um ein Kalbsfell, schönster, dummer Teufel ...<br />

<strong>Er</strong>zherzog von Österreich<br />

Kein Zau<strong>de</strong>rn! offne Feh<strong>de</strong>!<br />

Bastard<br />

Immer noch?<br />

Wird <strong>de</strong>nn kein Kalbsfell <strong>de</strong>inen Mund dir stopfen? — —<br />

(Getümmel, Angriffe, ein Rückzug. Der Bastard tritt auf mit Österreichs<br />

Kopf.)<br />

Shakespeare.<br />

Der monarchistische Gedanke beruht in <strong>de</strong>m Mißverhältnis zwischen<br />

persönlicher Min<strong>de</strong>rwertigkeit und <strong>de</strong>r Verfügung über das Schicksal von Millionen,<br />

<strong>de</strong>ren letzter mehr wert ist, als jener <strong>Er</strong>ste. <strong>Er</strong> entwickelt sich, <strong>so</strong>lange<br />

einer an <strong>de</strong>r Krücke ihrer Wahni<strong>de</strong>en fortschreiten<strong>de</strong>n Menschheit dieses<br />

Mißverhältnis nicht zur Anschauung gelangt ist; er schwin<strong>de</strong>t mit einer <strong>Er</strong>kenntnis<br />

dahin, die die primitivste Sicherung <strong>de</strong>s Lebensrechtes be<strong>de</strong>utet. An<br />

und für sich vermag die Möglichkeit, daß <strong>de</strong>r Monarch ein Trottel ist, <strong>de</strong>r<br />

I<strong>de</strong>e, die ihm, seiner Sippe, seinem Troß und Anhang die Existenz auf <strong>de</strong>r Basis<br />

<strong>de</strong>r Unsicherheit aller an<strong>de</strong>rn Existenzen gewährleistet, keinen Abbruch<br />

zu tun. Es darf nur nicht <strong>so</strong> weit kommen, daß man es ihm beweisen kann,<br />

o<strong>de</strong>r vielmehr (da die Beweisführung <strong>so</strong>lange es ihn gibt die Existenz am<br />

schwersten bedroht) daß <strong>de</strong>r Drang es zu behaupten zum unwi<strong>de</strong>rstehlichen<br />

Zwang wird, <strong>de</strong>ssen Beherrschung <strong>de</strong>r staatlichen Konstitution ungesund ist;<br />

es darf nicht <strong>so</strong> weit kommen, daß es, irgendwo auf <strong>de</strong>m <strong>Er</strong><strong>de</strong>nrund ausgesprochen,<br />

mit jener Ruchbarkeit in das Bewußtsein <strong>de</strong>s Volkes eindringt, die<br />

beinahe die Kraft <strong>hat</strong>, als hörbarer Chorus je<strong>de</strong> Regentenhandlung zu begleiten.<br />

In <strong>so</strong>lchen Epochen schließt sich an die Resignation, die damit vorlieb<br />

nimmt, daß <strong>de</strong>r <strong>Er</strong>ste nicht auch <strong>de</strong>r Weiseste ist, <strong>de</strong>r Zweifel, warum es ausgerechnet<br />

<strong>de</strong>r Dümmste sein muß. Was die Monarchisten zur Verteidigung<br />

<strong>de</strong>r ihrer Habgier o<strong>de</strong>r Gedankenträgheit dienlichsten Staatsform vorbringen,<br />

daß eben diese Eigenschaften im breiten Volk nur im Anschaun <strong>de</strong>r über aller<br />

5


Wirrnis und Parteiung ragen<strong>de</strong>n Gestalt gebändigt wer<strong>de</strong>n können, schwin<strong>de</strong>t<br />

dann zu nichts vor <strong>de</strong>r Tatsache, daß eine Gestalt, die sichtbar von <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rung<br />

angezogen <strong>hat</strong>, wenn sie nicht gar mit Herz und Kopf darunter gesunken<br />

ist, eben nicht mehr darüber ragt; daß ein Symbol, <strong>de</strong>ssen metaphysische<br />

Bindung vor <strong>de</strong>n <strong>Er</strong>laubnissen einer aufgelösten Welt versagt, zum zeitwidrigen<br />

Ornament gewor<strong>de</strong>n und eben das, was die Persönlichkeit <strong>de</strong>cken <strong>so</strong>llte,<br />

von ihr selbst verbraucht ist. Denn vermöge einer Notwendigkeit <strong>de</strong>r Zeit<br />

muß es <strong>de</strong>m monarchistischen Lebensprinzip wi<strong>de</strong>rfahren, daß seine Bekenner<br />

nicht nur die Wesensart von allem Niedrigen, das doch nach <strong>de</strong>m einzig<br />

verständlichen Sinn <strong>de</strong>r monarchischen Verfassung durch das Dasein <strong>de</strong>r Hoheit<br />

paralysiert wer<strong>de</strong>n <strong>so</strong>ll, unverhüllt zur Schau tragen, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn daß auch,<br />

während sie sie noch verteidigen, die Hoheit selbst bereits alle <strong>de</strong>m Angriff<br />

brauchbaren Blößen preisgegeben <strong>hat</strong>. Schon in einer Entwicklung, welche<br />

nicht wie diese ausschließlich auf <strong>de</strong>n Wahn gestellt ist, die inneren Lebensgüter<br />

durch eine Technik zu ersetzen, in <strong>de</strong>ren Dienst sie verbraucht wer<strong>de</strong>n;<br />

in einer Entwicklung, die die unerträgliche Gleichzeitigkeit von Thron und Beton,<br />

von Gas und Glorie noch nicht gebüßt und wo die Zerstörung noch nicht<br />

just an <strong>de</strong>m Punkt angesetzt <strong>hat</strong>, <strong>de</strong>r die scheinbar größte Distanz zu <strong>de</strong>n irdischen<br />

Dingen be<strong>de</strong>utet, war die Legitimität in Anbetracht <strong>de</strong>s Notstan<strong>de</strong>s,<br />

daß die Natur ohne Rücksicht auf Gottes Gna<strong>de</strong>n unter zehn Idioten einen<br />

Vollsinnigen erschaffen <strong>hat</strong>, mehr ein von Gottes Fluch inspiriertes Prinzip,<br />

<strong>de</strong>ssen üble Folgen die Menschheit nur <strong>de</strong>shalb nicht wahrnahm, weil es zu<br />

seinen wesentlichsten For<strong>de</strong>rungen gehörte, darüber nicht nachzu<strong>de</strong>nken. Als<br />

aber ein <strong>Er</strong>eignis von einer Gewalt, die die versäumte Besinnung aller korrumpierten<br />

Generationen nachzuholen schien, in<strong>de</strong>m es die gegenwärtige dahinraffte,<br />

ihr zu allen Verlusten doch <strong>de</strong>n kostbaren Gewinn brachte, über <strong>de</strong>ren<br />

Ursache nachzu<strong>de</strong>nken und über das Rätsel, warum die Existenz einer<br />

einzigen Familie <strong>de</strong>n Ruin <strong>so</strong> vieler erfor<strong>de</strong>rt, mußte es um die Monarchen<br />

geschehen sein, und zwar ohne Ansehn <strong>de</strong>r Per<strong>so</strong>n und jener persönlichen Eigenschaften,<br />

die <strong>de</strong>m Entschluß noch <strong>de</strong>n Impetus geben konnten. Freilich<br />

<strong>hat</strong>te man dabei zu beachten, daß gera<strong>de</strong> die Riesenhaftigkeit <strong>de</strong>s Unglücks<br />

die Menschen nicht über die Empfindung <strong>de</strong>ssen hinaushebt, was einem<br />

selbst wi<strong>de</strong>rfährt, und daß auch ein gigantischer Tod <strong>de</strong>n im Leben <strong>de</strong>r Quantität<br />

entseelten Zustand nicht mehr befähigt, sich konsequent zu En<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>nken.<br />

Als Sklaven ihres Lebensmittels, als Opfer <strong>de</strong>r Monarchen und im Wirrsal<br />

dieser Gleichzeitigkeit, worin <strong>de</strong>r Teufelsdienst <strong>de</strong>r Vaterlandslüge frommt,<br />

wären sie doch hinreichend verblö<strong>de</strong>t, um sich wie<strong>de</strong>r Monarchen gefallen zu<br />

lassen, wiewohl das Wesen ihrer neuzeitlichen Dummheit einer Einrichtung<br />

wi<strong>de</strong>rstrebt, <strong>de</strong>ren räuberische Ehre weniger vom Verfall als vom gesun<strong>de</strong>n<br />

Glauben lebt. Doch darin sind selbst die Monarchen zeitgemäß, daß sie noch<br />

in <strong>de</strong>r moralischen Wüste, die ihr Wirken zurückgelassen <strong>hat</strong>, sich zu restaurieren<br />

versuchen wür<strong>de</strong>n, und möchten sie dadurch auch vollends zerstören,<br />

wovon sie Besitz ergreifen, Preneure je<strong>de</strong>s Wechsels, wenns nur das Agio<br />

trägt. Kann ihr Geschäft nicht mehr die Einfalt <strong>de</strong>r Untertanen sein, <strong>so</strong><br />

machts eben die Phantasiearmut, <strong>de</strong>r eine <strong>Er</strong>fahrung zwar im Augenblick <strong>de</strong>s<br />

<strong>Er</strong>lei<strong>de</strong>ns eingeht, die sie aber, durch Scha<strong>de</strong>n verdummend, zweimal zu machen<br />

begehrt, um sie auch zu behalten. So wäre <strong>de</strong>nn angesichts <strong>de</strong>r gefährlichen<br />

Hinfälligkeit <strong>de</strong>s Lebens, das es zu retten galt, ein beklagenswerter Akt<br />

<strong>de</strong>r Übereilung zwar nicht <strong>de</strong>n revolutionären Faktoren, die die Stun<strong>de</strong> nützen<br />

mußten; wohl aber <strong>de</strong>m revolutionären Schicksal zum Vorwurf zu machen,<br />

das jener Voraussicht keinen Raum mehr ließ, die empfohlen hätte, die<br />

Monarchen nicht schon im Zeichen <strong>de</strong>s von ihnen verlorenen Krieges, <strong>so</strong>n-<br />

6


<strong>de</strong>rn erst im Miterlebnis <strong>de</strong>r Folgen <strong>de</strong>s von ihnen begonnenen Krieges zum<br />

Teufel zu jagen und <strong>de</strong>n Kurzsichtigen durch einen Anschauungsunterricht,<br />

<strong>de</strong>r die Verbrecher am Steuer <strong>de</strong>r Not festhält — selbst wenn sie davonlaufen<br />

wollten —, die Sehnsucht nach ihnen zu ersparen. Denn kein Trugschluß frißt<br />

<strong>so</strong> leicht an <strong>de</strong>n durch die monarchische <strong>Er</strong>ziehung labilen Gehirnen wie <strong>de</strong>r,<br />

daß nicht jene uns an <strong>de</strong>n Abgrund gebracht haben, die uns die Richtung wiesen,<br />

<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn diese, die statt ihrer die weitere Führung übernahmen, welche<br />

uns folgerichtig <strong>de</strong>m Abgrund um ein Stück näher bringen muß, ehe sich <strong>de</strong>r<br />

Ausweg zeigt. So unfaßbar dieses Ausschalten aller Wirklichkeit — <strong>de</strong>s<br />

Kriegs, seiner Ursachen, seiner Folgen — und selbst <strong>de</strong>r allerrealsten Wirklichkeit<br />

<strong>de</strong>r eigenen Not ist, die I<strong>de</strong>e, daß man eine durch <strong>de</strong>n monarchischen<br />

Wahn ausgepowerte Konsumgemeinschaft nur dadurch retten könne, daß<br />

man wie<strong>de</strong>r das spanische Zeremoniell einführt, muß etwas Faszinieren<strong>de</strong>s<br />

haben wie die Vorstellung, daß <strong>de</strong>r Besitz einer Alraune (auch Galgenmännlein<br />

genannt) zu Reichtum verhelfe, was gewiß schon darum leichter möglich<br />

ist, weil Alraunen das Übel, das sie bannen <strong>so</strong>llen, wenigstens nicht herbeigeführt<br />

haben. Der Tücke, die <strong>de</strong>n Kretinismus mit <strong>de</strong>r blanken Wahrheit kaptiviert,<br />

daß <strong>de</strong>m Hungern<strong>de</strong>n wohler war, als noch kein Verwalter ihm <strong>de</strong>n Bissen<br />

kontrollierte, und daß es ihm beim Dieb besser ging, ehe <strong>de</strong>r ihm <strong>de</strong>n Vorrat<br />

davontrug; daß <strong>de</strong>r Sterben<strong>de</strong> neben seinem Mör<strong>de</strong>r gesün<strong>de</strong>r war als<br />

jetzt neben seinem Wundarzt: all <strong>de</strong>m selbstvergessenen Unflat von Egoismus<br />

und Denkschwäche, <strong>de</strong>r tagaus tagein aus Zeitungsspalten und Stammtischgesprächen<br />

die republikanische Luft verpestet und <strong>de</strong>ssen Eintönigkeit allein<br />

schon je<strong>de</strong>n gesellschaftlichen Umgang von heute verabscheuenswert macht,<br />

wäre man auch <strong>so</strong>nst nach ihm happig, bliebe <strong>de</strong>r Vorwand entzogen, wenn<br />

man <strong>de</strong>n Dieb und Mör<strong>de</strong>r erst in einem Zeitpunkt <strong>de</strong>r Assistenz, <strong>de</strong>r Verantwortung<br />

überhoben hätte, wo <strong>de</strong>r Zusammenhang von Schuld und Zustand<br />

<strong>de</strong>m kürzesten Gedächtnis, <strong>de</strong>m blö<strong>de</strong>sten Auge offenbar war.<br />

Freilich wenn man das hiesige Ineinan<strong>de</strong>rarbeiten von Berechnung und<br />

Velleität, wobei eine Hand die an<strong>de</strong>re wäscht, aber keine weiß was sie selbst<br />

tut, für noch <strong>so</strong> gefährlich halten mag — eben wegen <strong>de</strong>r spielerischen Nie<strong>de</strong>rträchtigkeit<br />

und Stimmungshaftigkeit, mit <strong>de</strong>r hier Weltkatastrophen inszeniert<br />

und unter Umstän<strong>de</strong>n zur Wie<strong>de</strong>rholung verlangt wer<strong>de</strong>n — : <strong>so</strong><br />

konnte doch nicht im <strong>Er</strong>nst zu befürchten sein, daß eine hirnrissige Sehnsucht,<br />

die unter allen Umstän<strong>de</strong>n besser zur Propaganda als zur <strong>Er</strong>füllung<br />

taugt und die als Zeitvertreib und Profession jene beschäftigen o<strong>de</strong>r nähren<br />

mag, die im Umsturz je<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Anhalt verloren haben, nicht flugs vor <strong>de</strong>r<br />

<strong>Er</strong>scheinung eines auferstan<strong>de</strong>nen Karl Habsburg in jenes Nichts zerstoben<br />

wäre, in welchem sie mit <strong>de</strong>r <strong>Er</strong>füllung i<strong>de</strong>ntisch wird. <strong>Er</strong>lebensunfähigkeit<br />

und Gedächtnisschwäche, dieses einzig greifbare <strong>Er</strong>bteil einer seelenlosen<br />

Formen— und Instrumentenkultur, die automatische Bereitschaft, allen Inhalt<br />

und alle Wirklichkeit auszuschalten, haben eben noch die Vorstellung eines<br />

Monarchen ermöglicht, <strong>de</strong>r wenn er es je war, lange bevor er es nicht mehr<br />

war, aufgehört <strong>hat</strong>te es zu sein. Das <strong>Er</strong>staunliche, eben echt Hiesige ist, daß<br />

sich diesen Kaiser die Monarchisten und nicht die Republikaner gewünscht<br />

haben. Jene möchten die Sorge um die Republik mit <strong>de</strong>m vermeintlichen Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

blamieren, daß die Heimkehr bald als aussichtsloser Narrenstreich<br />

und bald als katastrophale Wendung hingestellt wor<strong>de</strong>n sei. Sie war aber bei<strong>de</strong>s<br />

zugleich, was in sich eben<strong>so</strong> möglich ist wie die schwarzgelbe Kreuzung<br />

aus Jesuit und Blödling, <strong>de</strong>ren journalistische Gefahr über ihren eigenen Horizont<br />

hinausreicht. Was man hierzulan<strong>de</strong> zu fürchten <strong>hat</strong>te und was abzuwen<strong>de</strong>n<br />

schon <strong>de</strong>r <strong>Er</strong>regung eines zur Not blutgesättigten Weltteils wert war, das<br />

7


war das Grauen <strong>de</strong>r Tage, da die unerwünschte Reprise mit lange untätigen<br />

militärischen Kräften versucht wird — keineswegs die Möglichkeit, daß die Figur<br />

eines Königs o<strong>de</strong>r gar Kaisers Karl haltbar wäre, <strong>de</strong>ssen Wür<strong>de</strong> schon<br />

eine Konditionalform war, bevor er sie abgelegt <strong>hat</strong>te. Jener Augenblick, in<br />

<strong>de</strong>m das Wun<strong>de</strong>r geschah, daß ein Zepter sich in <strong>de</strong>n Spazierstock verwan<strong>de</strong>lte,<br />

<strong>de</strong>n Karl Habsburg nun auf seiner Osterfahrt auch noch zurückgelassen<br />

<strong>hat</strong> und <strong>de</strong>n ein Chauffeur zur Polizei brachte, aus <strong>de</strong>ren Fundbüro nie mehr<br />

die verlorene Majestät hervorgehen wird — jener Augenblick war da, als <strong>de</strong>r<br />

französische Minister auf einen Kaiser hinwies, <strong>de</strong>r gelogen <strong>hat</strong>te und »wie<br />

ein ertappter Schuljunge zu stammeln« begann. Wiewohl <strong>de</strong>r Krieg auch die<br />

Waffe <strong>de</strong>r Beleidigung zuläßt und <strong>de</strong>r patriotische Glaube <strong>de</strong>n Monarchen<br />

schon <strong>de</strong>shalb für unverwundbar halten muß, weils vom Feind gesagt wur<strong>de</strong>,<br />

<strong>so</strong> war es doch augenblicklich spürbar, daß sich hier etwas begeben <strong>hat</strong>te,<br />

wogegen <strong>de</strong>r monarchische Gedanke, <strong>de</strong>m es eher zulässig scheint, <strong>de</strong>n Kaiser<br />

zu besiegen als zu beleidigen, sich wehrt. So stark war das Gefühl, daß<br />

selbst die Pein <strong>de</strong>s unverrückbaren, durch keine neue Lüge verstellbaren<br />

Wahrheitsbeweises vor <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m monarchischen Sinn zuwi<strong>de</strong>rsten Tatsache<br />

verschwand, daß <strong>de</strong>r Kaiser <strong>de</strong>r Lüge beschuldigt wor<strong>de</strong>n war. Nicht daß er<br />

gelogen <strong>hat</strong>te, woran zu zweifeln je<strong>de</strong>s Regierungswort immer unmöglicher<br />

machte, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn daß es gesagt war, wi<strong>de</strong>rstand jenem Sinn, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Mitteleuropäer<br />

<strong>so</strong> lange die fünf an<strong>de</strong>rn Sinne ersetzt <strong>hat</strong>te; daß die Wahrheitsliebe<br />

<strong>de</strong>s Kaisers von Österreich zur Diskussion gestellt wer<strong>de</strong>n konnte, daß er ein<br />

Angeklagter gewor<strong>de</strong>n war, nein, ein Zeuge, <strong>de</strong>ssen Verläßlichkeit nicht weltgerichtlich,<br />

<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn schon hienie<strong>de</strong>n überprüft wur<strong>de</strong>, und daß wie durch die<br />

<strong>Er</strong>laubnis eines Zaubers, die stärker ist als je<strong>de</strong> strafgesetzliche Hemmung,<br />

als das Verbot, selbst in patriotischer Verteidigung <strong>de</strong>n Anwurf zu wie<strong>de</strong>rholen<br />

um ihn zu wi<strong>de</strong>rlegen, die Privatehre <strong>de</strong>s Kaisers von Österreich aus einem<br />

europäischen <strong>so</strong>gar ein österreichisches Preßthema wer<strong>de</strong>n konnte.<br />

Denn wer hätte es für <strong>de</strong>nkbar gehalten, daß in <strong>de</strong>r Monarchie die Behauptung,<br />

<strong>de</strong>r Kaiser sei kein Lügner, je das Licht eines Tagblatts erblicken könnte?<br />

Man vergegenwärtige sich nur, was sich da alles plötzlich verän<strong>de</strong>rt <strong>hat</strong>te.<br />

Das österreichische Strafrecht umgibt die Per<strong>so</strong>n <strong>de</strong>s Monarchen mit einer<br />

<strong>so</strong>lchen Aura von Unantastbarkeit, daß die Majestätsbeleidigung nicht wie in<br />

Deutschland erst dadurch, daß die Majestät beleidigt wur<strong>de</strong>, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn schon<br />

durch eine Verletzung <strong>de</strong>r »Ehrfurcht« begangen wird — das paragraphierte<br />

Schandmal einer seelischen Unterworfenheit, einer Geisteigenschaft, die vielleicht<br />

nebst <strong>de</strong>m Bewußtsein aller <strong>so</strong>nstigen Vaterlands<strong>de</strong>fekte für <strong>de</strong>n Österreicher<br />

<strong>de</strong>r tiefere Grund war, vor <strong>de</strong>m ausländischen Hotelportier schamrot<br />

zu wer<strong>de</strong>n. Der kriminalistische Schutz, <strong>de</strong>ssen sich wo immer es noch Dynasten<br />

gab, diese erfreuen durften, war bei weitem nicht <strong>so</strong> ausgiebig wie jener,<br />

<strong>de</strong>r hier <strong>de</strong>n Familienangehörigen, <strong>de</strong>n neugebornen und <strong>de</strong>n toten <strong>Er</strong>zherzogen<br />

zuteil wur<strong>de</strong>. Sie alle partizipierten an <strong>de</strong>r »Ehrfurcht«, die das Gesetz als<br />

<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Per<strong>so</strong>n <strong>de</strong>s Kaisers schuldigen Tribut vorschrieb und die etwa jener<br />

verletzt hätte, <strong>de</strong>r in einem Nachtcafé zum Protest gegen die Entehrung <strong>de</strong>r<br />

Volkshymne bei <strong>de</strong>ren Klängen sitzen geblieben wäre. Während in Deutschland<br />

für <strong>de</strong>n Tatbestand <strong>de</strong>r Majestätsbeleidigung das Merkmal <strong>de</strong>r Beleidigung<br />

unerläßlich war, für die es bloß keinen Wahrheitsbeweis gab, <strong>hat</strong> es<br />

hierzulan<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Gegenbeweis gegeben, daß <strong>de</strong>m Majestätsbeleidiger die Eigenschaft<br />

<strong>de</strong>r »Ehrfurcht« fehle. Als ihre »Verletzung« wur<strong>de</strong> durchaus die<br />

Beschädigung eines Gefühls verstan<strong>de</strong>n, das einer nicht <strong>hat</strong>te und das <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>rn nicht genommen wer<strong>de</strong>n konnte. Sie war selbst darin gelegen, daß er<br />

nur unterließ mitzutun, was <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re tat (Hut abnehmen, aufstehn, hochru-<br />

8


fen). Wenn die Wirkung auf jene, die vor ihm ein <strong>so</strong>lches Gefühl voraus <strong>hat</strong>ten,<br />

nicht als Stolz, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn als Ärgernis in <strong>Er</strong>scheinung trat, <strong>so</strong> war das einzige<br />

Tatbestandsmerkmal für eine Beleidigung gegeben, die einer abwesen<strong>de</strong>n<br />

Per<strong>so</strong>n, nämlich <strong>de</strong>r Majestät, zugefügt war. Die Behauptung <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong><br />

wur<strong>de</strong> geahn<strong>de</strong>t und das gegen sie zu schützen<strong>de</strong> Rechtsgut war das<br />

Lakaienbewußtsein, wie ja in einem Staat, <strong>de</strong>ssen Judikatur nicht nur Höflinge,<br />

<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn auch Pfaffen zu bedienen <strong>hat</strong>te, auch die »Religionsstörung«, die<br />

doch ein Hei<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r das Kreuz nicht grüßt, nicht begehen kann, kein Verstoß<br />

gegen das Taktgefühl, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn ein Verbrechen an Gott war. Während al<strong>so</strong> in<br />

Deutschland erst die Behauptung, daß Wilhelm II. kein Mensch sei, wiewohl<br />

sich da <strong>de</strong>r Wahrheitsbeweis unschwer hätte erbringen lassen und es die Gerichte<br />

im übrigen als notorisch, annehmen konnten, strafbar wur<strong>de</strong>, <strong>so</strong> war<br />

dieser Effekt in Österreich schon durch die Mitteilung erreicht, daß Franz Joseph<br />

auch nur ein Mensch sei. Obzwar eine <strong>so</strong>lche Kritik <strong>de</strong>n meisten Monarchen<br />

gegenüber doch als eine Überschätzung, als wahrer Byzantinismus anmutet,<br />

wäre sie von österreichischen Staatsanwälten als Mangel an Ehrfurcht<br />

qualifiziert wor<strong>de</strong>n. Und nun ergibt sich aus zwingen<strong>de</strong>n welthistorischen<br />

Grün<strong>de</strong>n eine Situation, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Monarch jener religiösen Weihe verlustig<br />

geht, die ihm <strong>de</strong>r Büttel verleiht. Es geschieht wie auf Verabredung, daß dieser<br />

ihn gegen eine Ehrfurchtsverletzung, die mit <strong>de</strong>m Nachsprechen <strong>de</strong>r<br />

schwersten Beleidigung <strong>so</strong>nst gegeben war, nicht mehr schützt. Die Regierung<br />

(das heißt jener Czernin, <strong>de</strong>ssen Wahlplakat ganz gewiß aus <strong>de</strong>r Sintflut<br />

dieses unglücklichen Staates übrig bleiben wird) sieht sich gern gezwungen,<br />

das Verbrechen <strong>de</strong>r Majestätsbeleidigung, das durch die Mitteilung einer <strong>so</strong>lchen<br />

selbst zum Zweck <strong>de</strong>r Abwehr stets begangen wur<strong>de</strong>, zu begehen, und<br />

bemüht sich, die Privatehre <strong>de</strong>s Kaisers, die in ihrer Verletzbarkeit sich auch<br />

nur vorzustellen schon <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Ehrfurcht wi<strong>de</strong>rstreitet, gegen <strong>de</strong>n<br />

Vorwurf <strong>de</strong>r Lüge zu schützen und einer Lüge, die um<strong>so</strong> schimpflicher ist,<br />

weil ihr Inhalt die Behauptung <strong>de</strong>s Kaisers war, daß ein an<strong>de</strong>rer gelogen<br />

habe. Schon die Möglichkeit dieses Ehrenworts, schon die Nötigung, für einen<br />

enthüllten Privatakt polemisch einzutreten, <strong>hat</strong>te <strong>de</strong>m majestätischen Zauber<br />

einen Stoß.versetzt, um<strong>so</strong> fühlbarer für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r die Behauptung als Lüge erkannte,<br />

ehe sie von <strong>de</strong>r Gegenseite als <strong>so</strong>lche gezeichnet war. Denn nur einer<br />

völlig verblö<strong>de</strong>ten, von je<strong>de</strong>m Tonfall beschwin<strong>de</strong>lbaren Geistesverfassung,<br />

al<strong>so</strong> freilich <strong>de</strong>r allgemein vorrätigen, konnte das Absurdum zugemutet<br />

wer<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>r Kaiser von Österreich <strong>de</strong>m französischen Präsi<strong>de</strong>nten einen<br />

Unterhändler geschickt habe mit <strong>de</strong>r ihn bestechen<strong>de</strong>r Versicherung, daß jener<br />

sich gern für Frankreichs — Ansprüche auf Elsaß—Lothringen einsetzen<br />

»wür<strong>de</strong>«, wenn sie gerecht wären, »sie seien es aber nicht« — eine <strong>Er</strong>öffnung,<br />

die doch nur dann einen möglichen Sinn hätte, wenn sie kein Frie<strong>de</strong>nsschritt,<br />

<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn die Reaktion auf einen <strong>so</strong>lchen, kein Anerbieten, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn die Antwort<br />

auf ein Anerbieten wäre. Daß einer, <strong>de</strong>r nicht einmal leugnet, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn im Gegenteil<br />

stolz darauf ist, hier als erster einen Frie<strong>de</strong>nsschritt unternommen zu<br />

haben, <strong>de</strong>r al<strong>so</strong> nicht antwortet, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn fragt, ihm nicht sagen<br />

wird, er sei außerstan<strong>de</strong>, für ihn etwas zu tun, in <strong>de</strong>r Sache, auf die es jenem<br />

zuvör<strong>de</strong>rst ankommt, und er halte vielmehr seinen Anspruch für ungerecht,<br />

was <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re doch hinlänglich aus <strong>de</strong>r Gegnerschaft und aus <strong>de</strong>r Nibelungentreue<br />

zu <strong>de</strong>m Faktor schließen kann, auf <strong>de</strong>ssen Zugeständnis es eben ankäme,<br />

versteht sich <strong>de</strong>rmaßen von selbst, daß nur die österreichische Leserwelt<br />

es nicht verstehen konnte, und die Behauptung, ein Frie<strong>de</strong>nsangebot<br />

habe nicht als das Versprechen gelautet, die gerechten Ansprüche zu unterstützen,<br />

<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn als das Bedauern, daß es unmöglich sei, weil sie ungerecht<br />

9


sind, ist eine <strong>de</strong>rart schwachsinnige Lüge, daß <strong>de</strong>r Versuch, mit einer handschriftlichen<br />

Reproduktion die Wahrheit zu beweisen, <strong>de</strong>n analogen Schwachsinn<br />

auch beim Publikum voraussetzt. Was immerhin selbst <strong>de</strong>r Österreicher<br />

verstand, war, daß <strong>de</strong>r von ahnungslosen Regierungstölpeln, die <strong>so</strong>lche Konstruktion<br />

für möglich hielten, aber auch bereit waren, mit ihren eigenen Lügen<br />

die ihres Kaisers zu <strong>de</strong>cken, daß <strong>de</strong>r von <strong>so</strong>lchen Polemikern gereizte Clemenceau<br />

einen Anschauungsunterricht versprach, und daß sich überhaupt etwas<br />

begeben <strong>hat</strong>te, was sich noch nie begeben <strong>hat</strong>te, nie nicht begeben durfte<br />

und was gar net zu ignorieren <strong>so</strong> unmöglich war wie das Ding selbst. Mit <strong>de</strong>m<br />

Mantel jener Ehrfurcht, die eine Untersuchung darüber, ob Karl gelogen <strong>hat</strong>te,<br />

selbst dann ausschließt, wenn sie zu seinen Gunsten ausfiele, um<strong>so</strong>mehr<br />

dann, wenn sie offenbar zu seinen Ungunsten ausfällt, war die Majestät gefallen;<br />

war <strong>de</strong>r Höchstkommandieren<strong>de</strong> abgetan, <strong>de</strong>r auf je<strong>de</strong>r niedrigeren Stufe<br />

<strong>de</strong>r militärischen Karriere <strong>de</strong>m Ehrenrat nicht entgangen wäre. Wenns auch<br />

kein Mensch in Österreich—Ungarn damals gewußt o<strong>de</strong>r geglaubt <strong>hat</strong>, gespürt<br />

<strong>hat</strong> doch je<strong>de</strong>r, daß Karl Habsburg ein Privatmann gewor<strong>de</strong>n war, <strong>de</strong>r<br />

eine Zeitlang noch eine Wür<strong>de</strong> beklei<strong>de</strong>te, für die das Futter nicht mehr langte,<br />

und daß mit Rücksicht auf <strong>de</strong>n Umstand, daß es auch <strong>so</strong>nst ausging, je<strong>de</strong>r<br />

Tag dieser hingefristeten Glorie das wahre Majestätsverbrechen war, jenes,<br />

das nur ein Monarch an seinen Völkern begehen kann. Und um<strong>so</strong> enthüllter<br />

stand »dieser Herr« lange vor <strong>de</strong>r Agnoszierung durch <strong>de</strong>n italienischen Ministerpräsi<strong>de</strong>nten<br />

da, als ihm sichtlich die Kraft fehlte, in einem Moment, <strong>de</strong>r<br />

ihm einen menschlichen Abgang zu gewähren schien, auf einen Thron zu verzichten,<br />

<strong>de</strong>ssen blutbesu<strong>de</strong>lte Sitzgelegenheit er in einem heroischeren Augenblicke<br />

nicht ausgeschlagen <strong>hat</strong>te, da er in weit eindrucksvollerer Art als<br />

durch eine Verständigung mit <strong>de</strong>m Feind hätte beweisen können, daß er die<br />

Eigenschaft habe, die er mit Millionen Kriegsgeschädigter geteilt <strong>hat</strong> und die<br />

ihm jene nachrühmen, die bis zum letzten Hauch von Mann und Roß speichellecken:<br />

<strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n gewollt zu haben. Was tat er statt <strong>de</strong>ssen, um ihn herbeizuführen?<br />

Einen Brief schreiben, die Nibelungentreue, die für ihn zu halten<br />

seine Leibeigenen mit Maschinengewehren in die <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s gejagt wur<strong>de</strong>n,<br />

an eben diesen verraten, sich selbst vor Verlust bewahren wollen, in<strong>de</strong>m man<br />

<strong>de</strong>n Besitz <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sgenossen verschenkt, behaupten, daß man das Gegenteil<br />

geschrieben habe, <strong>de</strong>n Feind Lügner nennen, <strong>de</strong>n Freund um Verzeihung<br />

bitten mit <strong>de</strong>m Versprechen, es nie wie<strong>de</strong>r zu tun, tränen<strong>de</strong>n Auges, dankbar<br />

für die Nachsicht seines obersten Kriegsherrn, <strong>de</strong>r auf Prügel verzichtete und<br />

es bei <strong>de</strong>r Verachtung bewen<strong>de</strong>n ließ, aus <strong>de</strong>ssen Hauptquartier — er <strong>hat</strong> <strong>so</strong><br />

<strong>Heimweh</strong> <strong>gehabt</strong> — zurückkehren, selbst kleinlaut gewor<strong>de</strong>n seine Kanonen<br />

an <strong>de</strong>r Westfront sprechen lassen, sie am nächsten Tag wie<strong>de</strong>r zum Schweigen<br />

bringen und <strong>so</strong> sich in einem Netz von Lügen, <strong>de</strong>ren Not nur die seiner<br />

Völker vermehrt <strong>hat</strong>, verzappelnd von Schlinge zu Schlinge treten, bis er sich<br />

gar nicht mehr an<strong>de</strong>rs helfen konnte als weiterzuherrschen und <strong>de</strong>n Oberbefehl<br />

bis zur Übergabe an einen für das gigantischeste Debakel <strong>de</strong>s laufen<strong>de</strong>n<br />

Jahrtausends verantwortlichen Stellvertreter auszuüben, nicht ohne noch vorher<br />

durch die dreimalige Willensän<strong>de</strong>rung über <strong>de</strong>n Waffenstillstand für die<br />

Gefangennahme von 400.000 Menschen und einen Verlust von Milliar<strong>de</strong>nwerten<br />

die persönliche Verantwortung zu übernehmen. Es kann, nehmt alles nur<br />

in allem, ich hoffe nimmer seinesgleichen zu sehn, gar kein Zweifel obwalten,<br />

daß die Monarchisten ganz recht haben, wenn sie die Dummheit, die für die<br />

Kriegsfolgen sich selbst nicht verantwortlich machen kann, mit <strong>de</strong>m Bonmot<br />

zu kö<strong>de</strong>rn suchen, daß die Front von hinten erdolcht wor<strong>de</strong>n sei. Von hinten<br />

ist sie allerdings erdolcht wor<strong>de</strong>n, aber von oben: durch die pure Möglichkeit,<br />

10


daß ein Walzertraumhabitué <strong>de</strong>ssen Gutejungenhaftigkeit uns genau <strong>so</strong> für alles<br />

Grauen entschädigen <strong>so</strong>ll wie die Bewußtlosigkeit seines Vorgängers, <strong>de</strong>r<br />

alles reiflich erwogen <strong>hat</strong>, über Millionen Menschenleben und Menschenglück,<br />

nein über ein einziges gebiete und daß ein Firlefanz uns im Wi<strong>de</strong>rspruch,<br />

zu <strong>de</strong>n Lebensbedingungen einer Zeit, die mit seinem erstorbenen Inhalt<br />

kaum noch bildungsmäßig verbun<strong>de</strong>n ist, jenen Gehorsam erpresse, <strong>de</strong>r<br />

in Verbindung mit <strong>de</strong>m technischen Ungeist, zu <strong>de</strong>m diese Zeit ausschließlich<br />

fähig ist, alle Kreatur in Kadaver verwan<strong>de</strong>lt. Es war ganz gewiß in <strong>de</strong>r Symbolkraft,<br />

die allein noch <strong>de</strong>r Zusammenbruch eines allzu irdischen Lebens bewähren<br />

kann, beschlossen, daß eine neuwienerische Operettenfigur am Ausgang<br />

dieser Tragödie steht. Der Agent <strong>de</strong>r verkrachten Truppe, die zuletzt auf<br />

Teilung gespielt <strong>hat</strong>, ist <strong>de</strong>r weiland Conferencier <strong>de</strong>s Kabaretts »Nachtlicht«.<br />

Sie sind nicht mehr alle beisammen. In Berlin vollzieht sich <strong>de</strong>r Triumph <strong>de</strong>r<br />

Nibelungentreue, in<strong>de</strong>m eine Habsburger Spezialität Berliner Schiebern<br />

einen Walzer vortanzt, ehe das Geschlecht, nach diesem aussichtslosen<br />

Sprung von <strong>de</strong>r Weltbühne aufs Brettl, <strong>de</strong>finitiv in Kastans Panoptikum eingeht.<br />

Zurück zum Theater gehts nicht. Der Star, ein blutiger Dilettant, glaubt<br />

es wie einst mit <strong>de</strong>m Lächeln zu machen und versucht in einer Lehar—Sache<br />

sein Wie<strong>de</strong>rauftreten. Aber es stellt sich heraus, daß er selbst für Steinamanger<br />

unmöglich ist.<br />

Dieser blin<strong>de</strong> Passagier, <strong>de</strong>ssen Harm— und Wehrlosigkeit das tückische<br />

Greislerblatt (die überleben<strong>de</strong> Fibel einer verblichenen Glorie, in Wort<br />

und Bild <strong>de</strong>r vollkommene Ausdruck <strong>de</strong>s uns alle bändigen<strong>de</strong>n Kasma<strong>de</strong>rtums)<br />

<strong>de</strong>r Empörung Europas und <strong>de</strong>m geharnischten Protest—<strong>de</strong>r Nachfolgestaaten<br />

gegenüberstellt und <strong>de</strong>ssen Hochverrat an aller Nachbarschaft mit<br />

<strong>de</strong>r schlichten <strong>Er</strong>klärung »ich hab <strong>so</strong> <strong>Heimweh</strong> <strong>gehabt</strong>« plausibel gemacht erscheint,<br />

<strong>hat</strong> auf frischer Tat das edle Motiv für sich, aus Liebe zur Heimat sie<br />

in Ruin stürzen zu wollen, und im Nachhinein die populäre <strong>Er</strong>kenntnis, daß es<br />

billig, unvornehm, feige sei, <strong>de</strong>m wie<strong>de</strong>r Ohnmächtigen Steine nachzuwerfen.<br />

Weil aber ein <strong>Heimweh</strong> nicht zu stillen war, ohne daß <strong>so</strong> viele Mütter von ihren<br />

Söhnen Abschied nahmen — vorausgesetzt, daß <strong>de</strong>r Zug <strong>de</strong>s Herzens<br />

wirklich alle Be<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r ungarischen Zuständigkeit besiegen konnte —;<br />

weil wenn Könige nachhaus wollen, <strong>so</strong> viele Untertanen in die Frem<strong>de</strong> müssen;<br />

und weil <strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>r Ohnmacht bloß <strong>de</strong>n mißglückten Versuch be<strong>de</strong>utet,<br />

Staatsanwälte und Henker zu seinem Schutz gegen Angriffe zu mobilisieren,<br />

<strong>so</strong> wird sich die Spekulation auf <strong>de</strong>n Schwachsinn, <strong>de</strong>r ja alles Mögliche<br />

gelingen mag, schon gesagt sein lassen müssen, daß man in einer sentimentalen<br />

Betrachtung dieser Begebenheiten wohl auch das Weh <strong>de</strong>r Heimat<br />

und ferner die Frage, ob auch sie Sehnsucht nach einem Wie<strong>de</strong>rsehn empfin<strong>de</strong>t,<br />

berücksichtigen darf. Heimatliebe, unverschmiert von <strong>de</strong>r Fibelreinheit<br />

eines Preßchristentums, ist eine schöne Empfindung, bei Gott schöner als Liebe<br />

zu einem Vaterland, das die Befriedigung <strong>de</strong>r Heimatliebe durch <strong>so</strong> lange<br />

Jahre verhin<strong>de</strong>rt und in jenen Fällen, wo es <strong>de</strong>n Heimatsüchtigen nicht mor<strong>de</strong>te,<br />

nur das traurige Wie<strong>de</strong>rsehn eines Krüppels mit einem Trümmerhaufen gewährt<br />

<strong>hat</strong>. Nessun maggiore dolore! Wenn die Reichspost die Berufung auf<br />

<strong>de</strong>n Katzelmacher Dante nicht scheut, um einmal auch <strong>de</strong>r Gefühle habhaft zu<br />

wer<strong>de</strong>n, die zwischen einem Herzen und einer Heimat Raum haben, und wenn<br />

<strong>de</strong>r neue Dante, nach <strong>de</strong>m sie ein Bedürfnis <strong>hat</strong>, nicht ausgerechnet Terramare<br />

heißt, <strong>so</strong> wür<strong>de</strong> ihr die italienische Literatur schon mit Beispielen dienen,<br />

aus welchen das größte Weh zugleich als Fluch für Habsburgs Galgen nachbebt.<br />

Es wird wohl selten eine Kondolenz <strong>so</strong> gera<strong>de</strong>zu aufs Herz geschrieben<br />

wor<strong>de</strong>n sein, die <strong>so</strong> auf <strong>de</strong>n Magen o<strong>de</strong>r auf das Zwerchfell einer herzlosen<br />

11


Leserwelt gewirkt hätte. »Der Weltkrieg <strong>de</strong>r kleinen Entente gegen <strong>de</strong>n einen<br />

wehrlosen, verbannten, verfehmten und obendrein letzten Habsburger!« Wir<br />

sind ja eh die reinen Schaferln, und ich sehe es <strong>de</strong>r Reichspost an, sie verlangt<br />

das Zugeständnis, daß <strong>de</strong>r kindliche Kronprinz noch harmloser wäre<br />

und ein neugeborner vollends das Pathos <strong>de</strong>s europäischen Einspruchs nicht<br />

rechtfertigen wür<strong>de</strong> — schon in Anbetracht <strong>de</strong>s Umstan<strong>de</strong>s, daß wir ihrer<br />

doch <strong>so</strong> viele haben, in<strong>de</strong>m ja Habsburgersprossen <strong>so</strong> ziemlich das einzige<br />

sind, was im Weltkrieg nicht ausgegangen ist, und von ,jener Vorsehung, in<br />

<strong>de</strong>ren Namen die Waffen gesegnet wur<strong>de</strong>n, offenbar als <strong>Er</strong>satz für die Verluste<br />

gedacht waren, die die Menschheit erlei<strong>de</strong>n <strong>so</strong>llte. Im übrigen jedoch wer<strong>de</strong><br />

ich nicht zögern, <strong>de</strong>r Dummfrechheit begreiflich zu machen, daß <strong>de</strong>r Angriff<br />

nicht <strong>de</strong>m gelte, <strong>de</strong>r vor und nach einem mißglückten Putsch <strong>de</strong>r wehrlose<br />

Einzelne ist, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn ihr selbst, die immer wie<strong>de</strong>r bereit ist ihm auf die Beine<br />

zu helfen, und daß man bei einer gefühlsmäßigen Abschätzung <strong>de</strong>s Falls<br />

doch weniger geneigt sein wird, ihn zu bemitlei<strong>de</strong>n, als die Lakaien <strong>de</strong>r von<br />

Staatsklei<strong>de</strong>rn abgelegten Herrschaften zu verachten. Natürlich nicht um ihrer<br />

Treue willen, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn wegen <strong>de</strong>r Gesinnung, <strong>de</strong>r sie treu geblieben sind.<br />

Gewiß ist es schön, noch ein Tellerlecker zu sein, wenns nichts mehr zu lecken<br />

gibt, wiewohl sich ein <strong>so</strong>lcher schon durch die Hoffnung entschädigt,<br />

daß es wie<strong>de</strong>r einmal was geben wer<strong>de</strong>. Aber <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r keiner war, <strong>so</strong>lange<br />

die hassenswerte Macht ein Haus hielt, just in <strong>de</strong>m Augenblick, da ihr <strong>de</strong>r<br />

Versuch sich zu restaurieren mißlungen und da sie abgezogen ist mit <strong>de</strong>m<br />

Versprechen, es da capo besser zu machen, eine Zähre abpressen zu wollen<br />

— das kann nur einem Dummkopf einfallen, <strong>de</strong>r eine Schlechtigkeit im Schil<strong>de</strong><br />

führt. Gewiß ist es peinlich, einer abgekrachten Majestät die Wohltat zu<br />

verdanken, über sie die Wahrheit sagen zu können, aber da es die einzige<br />

Wohltat ist, die man ihr verdankt, und da sie andauernd Miene macht, sie wie<strong>de</strong>r<br />

zurückzuziehen (die entrückte Gefahr al<strong>so</strong> von <strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n einigermaßen<br />

wettgemacht wird), <strong>so</strong> kann man sie getrost von ihr annehmen. Es ist lei<strong>de</strong>r<br />

Gottes auch das einzige Risiko <strong>de</strong>r Monarchen, daß sie wenigstens hinterdrein<br />

die Wahrheit hören, da sie zeit ihres Wirkens nicht <strong>so</strong> unvernünftig waren,<br />

<strong>de</strong>m Beleidiger <strong>de</strong>n Beweis zu gestatten, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn <strong>so</strong> vernünftig, ihn<br />

schon für <strong>de</strong>n Ausspruch unschädlich zu machen. Darum ist es die vollkommenste<br />

Dummheit <strong>de</strong>r Welt, von zwei <strong>so</strong> verschie<strong>de</strong>n ausgestatteten Gegnern<br />

<strong>de</strong>n feige zu nennen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn nie geschmeichelt <strong>hat</strong> und von vornherein<br />

verhin<strong>de</strong>rt war, ihm das zu sagen, was er ihm wenigstens hinterdrein sagen<br />

muß, um zu verhin<strong>de</strong>rn, daß sich das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen<br />

Gewalt und Wahrheit erneuere. Ist Gewalt nicht feige, <strong>so</strong>lange sie da ist? Füglich<br />

könnte doch nur dort, wo Wahrheit auch vor <strong>de</strong>m Anwesen<strong>de</strong>n möglich<br />

und <strong>de</strong>r Beweis erlaubt war, wo die Verantwortung keine an<strong>de</strong>re als die für je<strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>rn Angriff war und kein Helfer bereit, <strong>de</strong>n Mut zu konfiszieren bevor<br />

er ihn bestraft, dieser als Mütchen an <strong>de</strong>m Abwesen<strong>de</strong>n verdächtigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Aber <strong>so</strong> wenig ein Eselstritt bezeugt, daß <strong>de</strong>r Tote ein Löwe war, <strong>so</strong> wenig<br />

beweist <strong>de</strong>r Tritt, <strong>de</strong>r einem Feind gilt, <strong>de</strong>n die eigenen Angehörigen nicht für<br />

tot halten, gegen <strong>de</strong>n Angreifer. Es kommt eben immer darauf an, wem er versetzt<br />

wird und von wem; und nichts ist getan mit <strong>de</strong>m schlichten Hinweis auf<br />

eine i<strong>so</strong>lierte Wehrlosigkeit, die doch gegen das Los eines Menschen, <strong>de</strong>r<br />

beim Gotterhalte sitzen blieb, erträglich ist und wie erst gegen das von ungezählten<br />

Wehrhaften, die lieber bei ihren Kin<strong>de</strong>rn, Bräuten, Müttern geblieben<br />

wären als in Schützengräben zu verfaulen und sich vorher von <strong>de</strong>m inspizieren<strong>de</strong>n<br />

Oberbefehlshaber »Aha!« sagen zu lassen. Ich weiß, daß die<br />

Reichspost bei dieser <strong>Er</strong>innerung eine Träne ins Treuaug einhängt und »Sol-<br />

12


datenvater!« murmelt. Aber sie bil<strong>de</strong> sich ja nicht ein, damit einen tieferen<br />

Eindruck bei mir hervorzurufen als <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s unüberwindlichen Ekels vor einem<br />

Klima, in <strong>de</strong>m nach einer Katastrophe, die <strong>de</strong>n Planeten umgestürzt <strong>hat</strong>,<br />

<strong>so</strong> etwas wie ihre Geistigkeit noch vorkommt, die das Stahlbad, das sie uns<br />

angerichtet und gesegnet <strong>hat</strong>te, nicht einmal damit rechtfertigen kann, daß<br />

sie darin verreckt ist. Sie unterschei<strong>de</strong>t sich gewiß von ihren jüdischen Giftschwestern<br />

außer durch die Eigenschaft, unchristlicher zu <strong>de</strong>nken, und durch<br />

die Gabe, es schlechter auszudrücken, auch durch die größere Voraussicht,<br />

in<strong>de</strong>m sie schon <strong>de</strong>n Speichel <strong>de</strong>s künftigen Machthabers leckt, während die<br />

an<strong>de</strong>ren noch mit <strong>de</strong>m vom alten eben diesen bespucken. Was sie tun, entspricht<br />

sicherlich einer unedlen Regung, die aber wohl die naturnotwendige<br />

Reaktion auf jenen jahrzehntelangen Lakaiendienst be<strong>de</strong>utet, <strong>de</strong>m die<br />

Reichspost keineswegs entsagen will, weil sie ihn nur für unterbrochen hält.<br />

Denn während sich dort das Journalistische <strong>de</strong>n Zeitumstän<strong>de</strong>n anpaßt, wobei<br />

es vor Novitäten ohne Reibungen und Übertreibungen nicht abgeht, <strong>hat</strong> hier<br />

eben die reine Hofgesinnung einen notdürftigen journalistischen Ausdruck gefun<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r die Wi<strong>de</strong>rwärtigkeit <strong>de</strong>s I<strong>de</strong>als und die Talentlosigkeit im Gebrauch<br />

zu einer Spezialität vereinigt, wie man sie im übrigen Europa nicht<br />

kennt. Da wird etwa an einem Tag, da dieses immerhin beträchtliche Gebiet<br />

seine ernste Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Frage zuwen<strong>de</strong>t, wie man am raschesten<br />

einen unsichern Kantonisten wie<strong>de</strong>r in die Schweiz schaffe, mit einem Humor,<br />

daß man sich <strong>de</strong>n Bauch vor <strong>Heimweh</strong> hält, erzählt, in Maria—Zell zum Beispiel<br />

begreife man gar nicht diese Aufregung, <strong>de</strong>r Kaiser Karl sei dort <strong>so</strong>gar<br />

sehr beliebt, auch Volkswehr<strong>so</strong>ldaten bezeugten ihm »<strong>de</strong>n schuldigen Respekt«,<br />

es sei nämlich — und die Pointe folgt ohne Umschweife und nur mit<br />

<strong>de</strong>r Sicherung <strong>de</strong>s Gedankenstrichs, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Reichspostleser braucht, damit<br />

ihm nichts entgehe — <strong>de</strong>r Zahlkellner vom »Feichtegger«, <strong>de</strong>r Karl Kaiser.<br />

Der dumme Kerl von Wien, in <strong>de</strong>ssen Perspektive <strong>de</strong>r Weltkrieg eine Remasuri<br />

war und die Revolution sich als Ramatama <strong>de</strong>m Sprach— und Kulturforscher<br />

darbietet, ist in<strong>so</strong>fern noch weit dümmer als er ist, als er ganz übersehen<br />

<strong>hat</strong>, daß die Verwechslung <strong>de</strong>s Kaisers Karl mit <strong>de</strong>m Karl Kaiser in <strong>de</strong>r<br />

Persönlichkeit verankert und darum auf <strong>de</strong>n ersten Blick eine weit ernsthaftere<br />

Angelegenheit ist, als es auf <strong>de</strong>n ersten Blick <strong>de</strong>n Anschein <strong>hat</strong>. Gera<strong>de</strong> die<br />

Reichspost hätte es vermei<strong>de</strong>n <strong>so</strong>llen, I<strong>de</strong>ntitäten an die Wand zu malen, die<br />

sich doch <strong>de</strong>n besten Untertanen <strong>de</strong>r Habsburger nicht selten aufdrängen<br />

mußten, wenn sie etwa <strong>de</strong>r Physiognomie eines alten Dienstmanns, eines<br />

Landbriefträgers, eines Kaffeesie<strong>de</strong>rs ansichtig wur<strong>de</strong>n. Daß vollends <strong>de</strong>r Karl<br />

Kaiser etwas mit einer Restauration zu schaffen habe, <strong>hat</strong> man schon immer<br />

gewußt, und es gereicht <strong>de</strong>r Intelligenz <strong>so</strong> manches Speisenträgers zur Ehre,<br />

daß einem, wenn man ihn <strong>so</strong> vorüberschießen sah, viel seltener die Ähnlichkeit<br />

mit einem Monarchen zum Bewußtsein kam als umgekehrt. Gewiß ist es<br />

auch verdrießlich, daß sich just in <strong>de</strong>n Tagen, da ein überraschen<strong>de</strong>r Besuch<br />

die Welt in Alarm hielt, ein Vorfall abspielen mußte, <strong>de</strong>n die Lokalchronik unter<br />

<strong>de</strong>m verfänglichen Titel »Ein Schwachsinniger als Kaiser Karl« registriert<br />

<strong>hat</strong>. Welcher Teufel aber reitet die Reichspost, zwischen <strong>de</strong>n erschrecken<strong>de</strong>n<br />

Zeichen <strong>de</strong>r Zeit, die sie unter <strong>de</strong>m Titel »Sargnägel« sammelt, ein <strong>Er</strong>eignis,<br />

an <strong>de</strong>m die Republik vielleicht unschuldig ist, wie folgt zu vermel<strong>de</strong>n: »In <strong>de</strong>n<br />

Hofstallungen erscheint ein Geisteskranker und gibt sich für <strong>de</strong>n Kaiser Karl<br />

aus. Es stellte sich heraus, daß <strong>de</strong>r Kranke <strong>de</strong>r Wehrmann Schödlbauer war,<br />

<strong>de</strong>r schon früher schwachsinnig, trotz<strong>de</strong>m in die Wehrmacht Aufnahme gefun<strong>de</strong>n<br />

<strong>hat</strong>te.« Wobei man noch von Glück sagen kann, daß ihm nicht die Verantwortung<br />

für die Piave—Offensive übertragen war, aber immerhin bemerken<br />

13


muß, daß ihm die vom Potiorek unternommene und von <strong>de</strong>r Reichspost bejubelte<br />

<strong>Er</strong>oberung Belgrads mit Folgen auch nicht mißlungen wäre. Wer inkognito<br />

reist, muß darauf gefaßt sein, verwechselt zu wer<strong>de</strong>n, und auf ein Haar<br />

hätte man <strong>de</strong>m Kaiser Karl, wenn er persönlich verlangt hätte, daß man ihm<br />

die Hofstallungen übergebe, geantwortet, daß man <strong>de</strong>n Scherz schon kenne<br />

und daß dort <strong>so</strong>lche Rösser doch nicht seien. Auf ein Haar hätte es aber auch<br />

an<strong>de</strong>rs ausgehen können, wenn nicht eben die Aufklärung durch <strong>de</strong>n Doppelgänger<br />

<strong>de</strong>m republikanischen Bewußtsein eine schwere Prüfung erspart hätte.<br />

Doch mußte <strong>de</strong>r Zweifel, mit wem mans zu tun habe, schon gelegentlich<br />

<strong>de</strong>r Frage an <strong>de</strong>n Chauffeur rege wer<strong>de</strong>n: »Wissen Sie wen Sie geführt<br />

haben? Ich bin <strong>de</strong>r — «, eine Frage, die bekanntlich <strong>de</strong>r Kaiser Joseph nur aus<br />

<strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong> nicht gestellt <strong>hat</strong>, weil es unter seiner Regierung noch keine<br />

Chauffeure gab und er sich auch nie eines <strong>so</strong>lchen bedient hätte, um wie<strong>de</strong>r<br />

zur Regierung zu gelangen. Wie <strong>so</strong>llte es aber <strong>de</strong>r Chauffeur wissen, da außer<br />

<strong>de</strong>n Urhebern selbst die Teilnehmer <strong>de</strong>r Fahrt es nicht gewußt haben, <strong>de</strong>r<br />

Prinz Windischgrätz keine Ahnung <strong>hat</strong>te, wie <strong>de</strong>r Kaiser Karl ins Coupé gelangt<br />

war, <strong>de</strong>r sich, weil er plötzlich einen Bart trug, selbst nicht wie<strong>de</strong>rerkannt<br />

haben <strong>so</strong>ll und während die maßlos erstaunten Hofdamen noch zweifelten,<br />

ob die Nachricht auf Wahrheit beruhe, da sie <strong>de</strong>n Kaiser krank in Prangins<br />

zurückgelassen <strong>hat</strong>ten, um ihn gesund in Steinamanger wie<strong>de</strong>rzufin<strong>de</strong>n,<br />

ebendaselbst erkrankte und <strong>so</strong> von Schlinge zu Schlinge tretend, bis er gar<br />

nicht mehr weiter konnte, nicht gewußt <strong>hat</strong>, ob er Prangins verlassen <strong>hat</strong>te<br />

o<strong>de</strong>r nach Budapest gehen <strong>so</strong>llte, und sich überhaupt nicht mehr ausgekannt<br />

<strong>hat</strong>, bis er irgendwo angelangt war, wo ihm schon alles spanisch vorkam und<br />

er sich nicht mehr erinnern konnte, wozu er eigentlich ungarisch gelernt <strong>hat</strong>te.<br />

Ich weiß um die Gefährlichkeit jener, die sich nicht erinnern können,<br />

und um die Unverzeihlichkeit <strong>de</strong>ssen, wovon sie nicht wissen, daß sie es tun.<br />

Sie haben <strong>de</strong>n Weltkrieg geführt; <strong>de</strong>nn sie sind das menschliche Zubehör <strong>de</strong>r<br />

Mordmaschine, unpersönlich genug, um das Heroenmaß dieser Zeit zu erfüllen<br />

und alle Dämonen <strong>de</strong>r Vorzeit in Sc<strong>hat</strong>ten zu stellen. Sie können kein Blut<br />

sehn, das sie vergießen, und sind <strong>so</strong> fern aller Verantwortung, daß sie wenns<br />

drauf ankommt <strong>so</strong>gar <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n wollen. Der liebe Kerl und <strong>de</strong>r Mordskerl<br />

sind in ihnen <strong>so</strong> wenig auseinan<strong>de</strong>rzuhalten, daß sie sich jeweils selbst nicht<br />

wie<strong>de</strong>rerkennen und einen an<strong>de</strong>rn fragen müssen, ob er wisse, wer sie sind.<br />

Der Charakter dieser Leute ist eine Scheinbarkeit, die selbst in ihrem Umriß<br />

nicht feststellbar ist, und sie schöpfen ihre Aktivität aus einem Schwächezustand,<br />

<strong>de</strong>r sie zu <strong>de</strong>n größten Hel<strong>de</strong>ntaten befähigt, dank <strong>de</strong>m technischen<br />

Rückhalt, <strong>de</strong>n ihnen ein Zeitalter gewährt, <strong>de</strong>m ein seelisches Minus die <strong>Er</strong>rungenschaften<br />

leistet. Steht man <strong>de</strong>m leibhaftigen Mangel an Persönlichkeit<br />

Aug in Aug gegenüber und empfängt man das Wort als Unterpfand <strong>de</strong>r Natur,<br />

<strong>so</strong> kann man nicht einmal vom Gegenteil überzeugt sein, selbst wenn man erfährt,<br />

daß es <strong>de</strong>m nächsten gesagt wur<strong>de</strong>. Innerhalb <strong>de</strong>r größten intellektuellen<br />

Distanz, die auf diesem flugsandigen Terrain von <strong>de</strong>m gemütlichsten Teppen<br />

bis zum gerissensten Agenten möglich ist, muß die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r Grundgestalt,<br />

die sich nur von sich selbst unaufhörlich unterschei<strong>de</strong>t, festgehalten<br />

wer<strong>de</strong>n. Es ist schließlich die Spezies, die im heutigen Geistesleben dominiert,<br />

<strong>de</strong>r eine analog geartete Empfänglichkeit die stärksten Romanreize verdankt<br />

und <strong>de</strong>ren Quallität — ein Druckfehler wie die ganze Literatur von heute<br />

— im einhelligen Zwielicht <strong>de</strong>s neuen Verlagswesens alle Farben spielt und<br />

keine bekennt. Solange eine Zeit, <strong>de</strong>ren neuer Inhalt darin besteht, keinen zu<br />

haben, ihre alten Formen mit sich schleppt, damit das Nichts <strong>de</strong>r Aufmachung<br />

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nicht entbehre und <strong>de</strong>r Betrug leichter sei, kann es geschehen, daß <strong>de</strong>r Charakter,<br />

<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>m Einfluß untertan ist, um je<strong>de</strong>n zu täuschen, an eine gebieten<strong>de</strong><br />

Stelle vorrückt. Dann mag man ermessen, daß ein tyrannischer Menschenhasser,<br />

von nichts als Klugheit und dürrer Staatsrai<strong>so</strong>n bewogen, einen<br />

weit kleineren Umkreis <strong>de</strong>r Ver<strong>de</strong>rblichkeit erfüllen wird als ein Simandl, <strong>de</strong>ssen<br />

Hinfälligkeit keine Grenzen <strong>hat</strong>, <strong>de</strong>r nicht weiß, wo er hinfällt, und we<strong>de</strong>r<br />

das Wort halten kann noch die Zunge. Von nieman<strong>de</strong>m beeinflußbar, weil er<br />

alle anlügt. Ein Gerichtszeuge, <strong>de</strong>n ich einst für meine Sache geführt <strong>hat</strong>te,<br />

überraschte mich dadurch, daß er gegen sie Zeugnis ablegte: er wußte nur<br />

das eine, daß er sich nicht erinnern könne. Zum Bewußtsein dieser Haltung<br />

kam er, als er bei Verkündung <strong>de</strong>s Schuldspruchs ohnmächtig wur<strong>de</strong>. <strong>Er</strong> <strong>hat</strong><br />

später zwar nicht <strong>de</strong>n Sixtusbrief, aber Lobre<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>ssen Verfasser geschrieben.<br />

Ich glaube, wenn man die bei<strong>de</strong>n ausgetauscht hätte, sie hätten es<br />

selbst nicht gemerkt. Auch ein bestimmter Gesichtstypus läßt sich an allen<br />

<strong>so</strong>lchen Fällen beobachten, von einer Aufgewecktheit, die nicht das hält was<br />

sie verspricht, und von einer grundlosen Munterkeit, die sich zu einem Vorhaben<br />

zu gratulieren scheint, das sie bestimmt nicht durchführen wird, und die<br />

<strong>so</strong> ziemlich mit je<strong>de</strong>m Gedanken, <strong>de</strong>n man haben kann, kontrastiert. Es war<br />

aber das Lächeln, das uns, wenn jenes <strong>de</strong>r Mona Lisa Generationen verführt<br />

<strong>hat</strong>te, wie<strong>de</strong>r an uns selbst glauben machte, das auf eine verhungerte Front<br />

»elektrisierend wirkte« und als Verheißung einer besseren Zukunft von jenen<br />

Bar<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Kriegsarchivs, und <strong>de</strong>s »Donaulands« verklärt wur<strong>de</strong>, die diesmal<br />

keines militärischen Antriebs bedurften, um in allen Himmeln zu sein. So<br />

stark war die Begeisterung, daß als Fleißaufgabe — ich weiß nicht, ob ichs erfun<strong>de</strong>n<br />

habe o<strong>de</strong>r ob es bloß wahr ist — <strong>de</strong>r Versuch unternommen ward,<br />

gleich auch das Glück <strong>de</strong>r nächsten Generation zu sichern und an die Lösung<br />

<strong>de</strong>r Frage zu schreiten: »Was erwarten wir von unserem Kronprinzen?« O daß<br />

doch die Antwort »Nichts« das Heil um zwei Jahre beschleunigt hätte! Aber<br />

heute, wo die Straflosigkeit es <strong>de</strong>m Feigling erlaubt die Wahrheit zu sagen,<br />

während die Mutigen noch immer lügen, darf man nicht nur, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn muß<br />

man bekennen, daß die Karl—Bil<strong>de</strong>r in jener Ära, da Wun<strong>de</strong>rdinge von einem<br />

Aufmischer verlauteten, <strong>de</strong>r telephonisch die Minister ernannte und <strong>de</strong>ssen<br />

Mißgriffe nur auf falsche Verbindungen zurückzuführen waren, schon die<br />

ganze Leere jener Versprechungen zum Ausdruck gebracht haben, die er in<br />

<strong>so</strong> verschwen<strong>de</strong>rischer Fülle gab. Von meinem Gesicht konnte man wie<strong>de</strong>r ablesen,<br />

wie ich über die Dinge dachte, und wer dazu meine Kriegsberichte gelesen<br />

<strong>hat</strong>, brauchte vollends nicht in Zweifel zu sein, ob ich als Nörgler o<strong>de</strong>r<br />

als Optimist vor einem Düngerhaufen stand, <strong>de</strong>n eine aufgehen<strong>de</strong> Sonne beschien,<br />

und ob ich <strong>de</strong>n Phönix, als <strong>de</strong>r Österreich aus <strong>de</strong>m Weltbrand aufsteigen<br />

wird, bloß für eine aus <strong>de</strong>m Kriegspressequartier ausgekommene Phrase,<br />

für einen sezessionistisch abgestutzten Doppeladler o<strong>de</strong>r für einen Galgenvogel<br />

hielt. Nach Franz Joseph, <strong>de</strong>ssen ausgesprochene Persönlichkeit darin bestand,<br />

keine zu sein, aber doch als Kontur die rätselhafte Kraft zu bewähren,<br />

einer Epoche das einheitliche Gepräge <strong>de</strong>r <strong>Er</strong>weichung zu geben, nach diesem<br />

viribus unitis, um halt nix machen zu können, war es ganz un<strong>de</strong>nkbar,<br />

daß diese neuwienerische Charge das machen wer<strong>de</strong>, was wir schon machen<br />

wern, selbst wenn eine stramme Aufsichtsper<strong>so</strong>n mit ihrem Machen—wir dahinterstand.<br />

Obschon ich nie dort war, erinnere ich mich, das Gesicht im<br />

»Chapeau rouge« (sprich »Chapeau«) o<strong>de</strong>r im Vestibül von »Panhans« zwischen<br />

Bobjünglingen gesehen zu haben. Wenn man mich gefragt hätte, für<br />

was ich <strong>de</strong>n Mann halte, ob für einen Kaiser, Feldherrn o<strong>de</strong>r <strong>so</strong> was, ich hätte<br />

auf einen Drahrer geraten, <strong>de</strong>r aber nicht durchhalten kann. Nein, dieses Ge-<br />

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sicht verleugnete keine <strong>de</strong>r fünfzig Walzertraum—Aufführungen, die es geschaut<br />

<strong>hat</strong>te. Es gibt mehr von <strong>de</strong>r Art als fünfzig Häuser füllen könnten. Im<br />

Krieg sind sie hinaufgegangen und haben sichs gerichtet. Ganz wie sie wäre<br />

Karl, <strong>de</strong>r aber als Kaiser ohnehin von <strong>de</strong>r Frontdienstleistung befreit war, mit<br />

<strong>de</strong>m Automobil eingerückt o<strong>de</strong>r hätte in <strong>de</strong>r »Gartenbau« Spitaldienst gemacht<br />

in Zeiten, wo dort kein Varieté war. Das Talent ersetzt da oft die Protektion;<br />

sie haben es in sich und als Spezialität müssen sie auch als Ausnahme<br />

behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Sie sind von <strong>de</strong>r sieghaften Wirkung ihrer Persönlichkeit<br />

<strong>so</strong> überzeugt, daß es ihnen in einem Staatsleben glücken mußte, <strong>de</strong>ssen<br />

Hin<strong>de</strong>rnisse nur dazu da waren, daß man es schließlich doch machen könne,<br />

vorausgesetzt, daß einer nicht die Kraft <strong>hat</strong>te, sie zu überwin<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn mit<br />

<strong>de</strong>r war man geschnapst. War Karl nicht, nebst <strong>de</strong>m Herzensdrang, von <strong>de</strong>r<br />

Überzeugung geleitet, er brauche nur zum Horthy hinaufzugehn, um sichs zu<br />

richten? Die Zeiten sind halt nicht danach. Das erste <strong>Er</strong>lebnis besteht in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Er</strong>fahrung, daß es nicht geht; aber auch das hinterläßt keinen tieferen Eindruck.<br />

So sind viele. Bürgerliches Aussehn mit aristokratischen Allüren, das<br />

Antlitz eine Kaisersemmel, um sich guckend, was die Welt dazu sage, mit welcher<br />

Selbstverständlichkeit sie schon Geld ausgeben und alle Wünsche <strong>de</strong>s<br />

Champagnerkellners befriedigen können; in <strong>de</strong>r Mitte ganz unmotiviert gekerbt,<br />

al<strong>so</strong> um die Gestalt, die dazu gar nicht paßt, ein Gürtelrock, zu <strong>de</strong>m<br />

man ob man will o<strong>de</strong>r nicht tulli sagen muß. So aus <strong>de</strong>m Neuwienerischen<br />

heraus, ganz <strong>so</strong> war unser Kaiser. Ich erkannte ihn in allen Verkleidungen, ich<br />

habe nie daran gedacht, daß ich eigentlich vor ihm Ehrfurcht empfin<strong>de</strong>n müßte,<br />

und es fiel mir darum wohl auch nicht ein, es zu tun; im Gegenteil, als ich<br />

das Bild <strong>de</strong>r Kinoszene sah, die ihn auf <strong>de</strong>m Krönungsschimmel nach allen<br />

Seiten belustigt vorführte, schien mir auch, daß er kein König sei. <strong>Er</strong> sieht<br />

ganz <strong>so</strong> aus wie einer <strong>de</strong>n man sich nicht merkt, aber kennt. So ein Gesicht<br />

kann Gast und Kellner, Kaiser o<strong>de</strong>r Untertan sein. Je<strong>de</strong>nfalls Gerstl—Kun<strong>de</strong>,<br />

<strong>de</strong>r schon wie<strong>de</strong>r da ist. Ob harmlos, hängt nicht von ihm ab, kommt auf die<br />

Stellung o<strong>de</strong>r die Deckung an. In <strong>de</strong>r Tat nicht gefährlicher als eine jener<br />

falsch in <strong>de</strong>n Raum gestellten Schönpflugfiguren, nach <strong>de</strong>ren animierter Leblosigkeit<br />

die Hiesigen geformt sein müssen, und die, einmal an <strong>de</strong>n Horizont<br />

geklebt, nicht mehr loszubringen sind; und aus einer Distanz von einem Kilometer<br />

trifft die Fiaker<strong>de</strong>ichsel ein Auge. Es ist satanisch. Ein in <strong>de</strong>r Position<br />

verharren<strong>de</strong>r Grüßer, <strong>de</strong>ssen Mund, einmal zum Lächeln geöffnet, sich nie<br />

mehr schließen wird, und <strong>de</strong>r einst mit <strong>de</strong>m Ausruf »Al<strong>so</strong> — fahrma!« (ein<br />

Echo reimte Parma) seine Karriere angetreten <strong>hat</strong>, aber alles in allem doch<br />

weit besser zurückgefahren ist. Wenn er je einen Gedanken <strong>gehabt</strong> <strong>hat</strong>, <strong>so</strong><br />

war es <strong>de</strong>r, mit <strong>de</strong>r Beliebtheit anzufangen und sie dann womöglich zu verdienen.<br />

Aber das gelingt nicht mehr. Der edle Lammasch, <strong>de</strong>r, um seinen Glauben<br />

an Österreich mit Anstand zu begraben, dieser Hoffnung zur Seite stand,<br />

sagte mir einmal, als wir über <strong>de</strong>n letalen Ausgang <strong>de</strong>ssen, was Franz Joseph<br />

erwogen <strong>hat</strong>te, einverstan<strong>de</strong>n waren — <strong>de</strong>r Fun<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Wand hätte manches<br />

was ihn selbst betraf hören können —, <strong>de</strong>r Nachfolger »fasse gut auf«,<br />

ein Zugeständnis, das in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s monarchischen Papageienkabaretts<br />

nicht allzuviel be<strong>de</strong>uten konnte gegenüber <strong>de</strong>r bald ruchbaren Eigenschaft,<br />

schlecht zu behalten. <strong>Er</strong> fühlte auch sichtlich, wie wenig es sei, <strong>de</strong>m <strong>Er</strong>sten<br />

nachzurühmen, was öfter ein Selbsttrost ist, um <strong>de</strong>n Letzten nicht ganz zu<br />

verwerfen. Und von <strong>so</strong>lchen Almosen <strong>hat</strong>te <strong>de</strong>r monarchische Gedanke sich<br />

und <strong>de</strong>r Menschheit das Dasein gefristet? Mag was da will sich auf einem<br />

Thron räkeln — wenn <strong>de</strong>r Charakter <strong>so</strong> schwach war wie die Zeit und sie nicht<br />

mehr die Kraft <strong>hat</strong>te, ihn vor Entblößung zu bewahren, gehts nicht mehr. Ich<br />

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in, als noch ein Neutrum über uns thronte, nie an<strong>de</strong>rs als mit <strong>de</strong>m Alpdruck<br />

erwacht, daß das Chaos dieses Tags von einem Kaiserbart regiert wer<strong>de</strong>, unter<br />

<strong>de</strong>ssen Auspizien sich all das begab, was mit <strong>de</strong>m Atem uns zugleich das<br />

Recht nahm, auf <strong>de</strong>n Urgrund <strong>de</strong>s Übels zu dringen. »Konservativer« als einer<br />

— wenn <strong>de</strong>nn jene, die zwischen meinen Wi<strong>de</strong>rsprüchen schwanken, einmal<br />

sicher gehen wollen —, als alle, die in Staat und Gesellschaft, Kirche und<br />

Presse zur Betätigung dieser Ansicht berufen waren, sie alle hun<strong>de</strong>rtmal verdammend<br />

um <strong>de</strong>n Lippendienst für Ornamente, <strong>de</strong>ren geistigen Inhalt sie<br />

längst an die Gegenwelt verraten <strong>hat</strong>ten, habe ich an nichts mehr gelitten als<br />

an dieser I<strong>de</strong>ntität von Zeit— und Ortselend mit einer ausgeleerten Hülse von<br />

Majestät. Daß es <strong>Er</strong>zherzoge gab und daß man vor <strong>so</strong>lchem Übelstand schweigen<br />

mußte — eine Kritik <strong>de</strong>r Spalierbildung, als bei einem Unfall die Neugier<strong>de</strong><br />

das Werk eines »hochgebornen Samariters« verzögerte und die Zeitung<br />

über diesem <strong>de</strong>n Verunglückten vergaß, wur<strong>de</strong> konfisziert und vom Abgeordneten<br />

Masaryk gerettet —; daß ein Handschreiben: »Liebe Frau Sachs, ich<br />

komme heute abend, reservieren Sie mir etwas Schönes. Ihr Eh. ...... « das<br />

Strafgesetz aufheben konnte; daß es Kettenhändler in Zucker und Kaffee,<br />

Dörrgemüse und Lorbeerreisern gab, die sakrosankt nicht nur in <strong>de</strong>m Sinne<br />

waren, daß ihnen nichts geschehen konnte, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn daß <strong>de</strong>m etwas geschah,<br />

<strong>de</strong>rs beklagt hätte; daß ein an allen Ecken dieses Mißstaates gereiztes satirisches<br />

Denken dort abgebun<strong>de</strong>n war, wo es am heftigsten reagierte, und keine<br />

Notwehr gegen ein System möglich, das seine Parasiten nicht nur leben, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn<br />

hoch leben ließ — dies alles war unerträglich genug. Aber Ehrfurcht vor<br />

einem regieren<strong>de</strong>n Fritz Werner? Über <strong>de</strong>n, wenns nicht wahr gewesen wäre,<br />

schon das Gerücht die Wahrheit sprach, daß er mit seinem Vorbild per du sei?<br />

Lieber lebenslänglichen Kerker, in <strong>de</strong>m man doch sicher davor ist, die Weltanschauung<br />

<strong>de</strong>r Sirk—Ecke mit <strong>de</strong>m ihr entbun<strong>de</strong>nen Schicksal <strong>de</strong>s Kriegsblin<strong>de</strong>n<br />

konfrontiert zu sehen!<br />

Wenn die Republik keine an<strong>de</strong>re <strong>Er</strong>rungenschaft wäre als die Befreiung<br />

von <strong>de</strong>m schamlosen Zwang, Gefühle zu haben, die man nicht <strong>hat</strong>, al<strong>so</strong> von einer<br />

weit schlimmern Prostitution als jener, vor <strong>de</strong>ren Vertreterinnen man Gott<br />

erhalte zu singen <strong>hat</strong>te und <strong>de</strong>ren Ausübung verpönt ist, während die Majestätsbeleidigung<br />

als die Nichtausübung <strong>de</strong>r Prostitution bestraft wur<strong>de</strong>; wenn<br />

in <strong>de</strong>r Republik, die ja für die Verbrechen <strong>de</strong>r Vergangenheit <strong>so</strong> sehr büßt,<br />

daß das Volk noch heute für <strong>de</strong>n Kaiser sterben muß, alles weit schlimmer<br />

wäre, als es sein muß — <strong>so</strong> wür<strong>de</strong> ich doch glauben, daß es uns besser geht<br />

als damals, und fän<strong>de</strong> gar nicht genug Dank für die Enttäuschung jener, die<br />

nach diesem Krieg auf meine Pietät für die Monarchie gerechnet haben.<br />

Als ob man sich in Wi<strong>de</strong>rspruch befän<strong>de</strong> zu einer Ehrfurcht, die man<br />

einst gefühlt o<strong>de</strong>r nur getragen <strong>hat</strong>, und nicht bloß zu <strong>de</strong>r, die man verhin<strong>de</strong>rt<br />

war, zu verletzen! Als ob die Beseitigung <strong>de</strong>r schimpflichsten Fessel, in<strong>de</strong>m<br />

sie es erlaubt, nicht auch dazu verpflichten wür<strong>de</strong>: von <strong>de</strong>m Wesen <strong>de</strong>r Sklaverei<br />

zu re<strong>de</strong>n und von <strong>de</strong>r Nichtigkeit <strong>de</strong>s Götzen, <strong>de</strong>m <strong>so</strong> viel Gut und Blut<br />

geopfert ward und <strong>so</strong> viel Menschenwür<strong>de</strong>, um es zu verschweigen! Als ob<br />

das Vergangene nicht immer wie<strong>de</strong>r bereit wäre, Gegenwart zu wer<strong>de</strong>n, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn<br />

ein Heimkehrer geneigt wäre, sich auf einer Alm seßhaft zu machen<br />

statt auf einem Thron, wo es bekanntlich auch keine Sünd gibt, <strong>so</strong>lang die Völker<br />

sichs gefallen lassen und wenn zu <strong>de</strong>ssen <strong>Er</strong>haltung Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nen<br />

er entbehrlicher schien als ihr häuslicher Sessel, ins Gras beißen mußten.<br />

Es mag ja selbst in einem Zeitpunkt, da Mann und Roß im Joch <strong>de</strong>r Phrase<br />

wirklich <strong>de</strong>n letzten Hauch ausgestoßen haben, wobei natürlich die Vergewaltigung<br />

<strong>de</strong>s Rosses die ungleich infamere Gottesschändung be<strong>de</strong>utet, es mag ja<br />

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selbst dann möglich sein, daß <strong>de</strong>r überleben<strong>de</strong> Typus, <strong>de</strong>r die glückliche zentaurische<br />

Verbindung vorstellt, ohne aber die menschliche Partie über Gebühr<br />

zu betonen, das Maul voll nimmt und sich entschlossen zeigt, die Treue zu einer<br />

Familie, die keinen Schuß Pulver wert war, zu <strong>de</strong>ren Ehre aber alle diese<br />

Greuel geschehen sind, auch über <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn hinaus durchzuhalten.<br />

Es ist ein Glück, daß <strong>so</strong>lche Leute <strong>de</strong>n Weltkrieg überlebt haben, weil die<br />

Habsburger <strong>so</strong>nst niemand hätten, <strong>de</strong>r sie nach <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlage verteidigen<br />

wür<strong>de</strong>. Sie waren aber bis zur Entscheidung zumeist <strong>so</strong> gründlich <strong>de</strong>r Notwendigkeit,<br />

an ihr mitzuwirken, enthoben, daß schon die Dankbarkeit allein<br />

ihre Haltung nach <strong>de</strong>m Umsturz erklärt, <strong>de</strong>n sie zwar als ein <strong>Er</strong>eignis begrüßen<br />

durften, das ihnen die Sicherheit <strong>de</strong>s Lebens noch besser verbürgte als<br />

die Macht, <strong>de</strong>r es ein En<strong>de</strong> gesetzt <strong>hat</strong>, aber mit <strong>de</strong>r Aberkennung <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls<br />

<strong>so</strong>nst noch allerlei Unsicherheiten und Unbequemlichkeiten im Gefolge <strong>hat</strong>te,<br />

die es in <strong>de</strong>r Monarchie selbst während sie Krieg führte und gewiß nicht vorher<br />

gegeben <strong>hat</strong>. So erklärt es sich, daß gera<strong>de</strong> Leute, die das Grausen dieser<br />

Jahre oft nicht einmal im Verlust eines Angehörigen empfun<strong>de</strong>n haben, heute<br />

als tieftrauernd Hinterbliebene <strong>de</strong>s Hauses Habsburg herumgehen, mit jener<br />

Weilandmiene, die einen <strong>Er</strong>zherzog erweichen könnte, Hoftrauer in <strong>de</strong>m einer<br />

schönern Vergangenheit zugewandten Blick, <strong>de</strong>r mich nicht mehr kennt, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn<br />

verachtet. Durch eben <strong>de</strong>n A<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>r sie obligiert, <strong>de</strong>m Kaiser in einem<br />

Moment ritterlich beizustehn, wo es nicht mehr vom Vaterland verlangt wird,<br />

sind sie auch <strong>de</strong>r Fähigkeit enthoben, zu begreifen, daß ich von einem wesentlich<br />

an<strong>de</strong>rn Standpunkt die Weltgeschehnisse betrachte und daß mich<br />

keine Verpflichtungen <strong>de</strong>r Geburt, <strong>de</strong>r »Gesellschaft«, <strong>de</strong>r persönlichen Dankbarkeit<br />

hin<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>m Kaiser auch meine Gefühle zu bewahren. Es ist sicherlich<br />

einer <strong>de</strong>r e<strong>de</strong>lsten Züge, <strong>de</strong>ren das menschliche Herz fähig ist, einem vormals<br />

Mächtigen, <strong>de</strong>r einrückend machen konnte und es bis auf Weiteres nicht<br />

mehr kann, im Unglück, das er über sein Volk gebracht <strong>hat</strong>, zur Seite zu<br />

stehn. Doch möchte ich schon meiner Feigheit, die <strong>so</strong>lche Ritter enttäuscht<br />

<strong>hat</strong>, weil sie Nachrufe auf Tote und Wehrlose hält, nach<strong>de</strong>m sie bekanntlich<br />

nie gewagt <strong>hat</strong>, <strong>de</strong>r wirken<strong>de</strong>n Kriegsmacht entgegenzutreten, und sich heute<br />

im Beschmutzen einer <strong>so</strong> reinen Vergangenheit betätigt, ein wenig Pietät zugutehalten.<br />

Nämlich eine Pietät, die es <strong>so</strong>gar zu würdigen weiß, daß es <strong>so</strong> vielen<br />

E<strong>de</strong>lmännern nur <strong>de</strong>shalb nicht gelingen konnte, für ihren Kaiser zu sterben,<br />

weil sie sich ihm für die Republik erhalten mußten; eine Pietät, die aber<br />

mit <strong>de</strong>m Rätsel nicht fertig wird, warum es einem Kunsthistoriker und einem<br />

Dichter gelingen mußte, einem Privatbeamten und einem Druckerlehrling, einem<br />

Musiker und ein paar Millionen friedfertiger und wappenloser Menschen,<br />

die sich gern noch <strong>de</strong>r Sonne gefreut hätten und von <strong>de</strong>nen doch je<strong>de</strong>r ein Leben<br />

<strong>hat</strong>te, das vor Gott gleich viel galt als das Leben eines Kaisers, für das ich<br />

aber, wenn Ehrfurcht vor Vergangenem im Umkreis eigenen Ge<strong>de</strong>nkens die<br />

Wahl <strong>hat</strong> und ich <strong>de</strong>n mir persönlich entrissenen Wert mir vergegenwärtige,<br />

die ganze angestammte Dynastie hingäbe von Rudolf von Habsburg bis zu<br />

<strong>de</strong>m letzten, <strong>de</strong>r in die dortige Gegend zurückgefun<strong>de</strong>n <strong>hat</strong>, und <strong>de</strong>n von ihr<br />

verschonten Rest von Mannheit dazu, feige Parasiten an jenen Gottesgna<strong>de</strong>n,<br />

die eine Jahrtausendlüge <strong>de</strong>n Schlechtesten <strong>de</strong>r <strong>Er</strong>dgebornen zugesprochen<br />

<strong>hat</strong>, Gläubige beim hohlen Wort <strong>de</strong>s Herrschers, <strong>so</strong>lange sie selbst von ihm<br />

verschont bleiben — nicht wert, daß es sie verschont <strong>hat</strong>, wenn doch jene hinuntermußten!<br />

Doch haben wir vernommen, daß auch er selbst bereit ist, wenn nötig,<br />

<strong>de</strong>m Vaterland sein Blut zu widmen. Dem neuen Vaterland in einem neuen<br />

Krieg, nach<strong>de</strong>m sein altes ihm zwar die größte Gelegenheit hierzu geboten<br />

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<strong>hat</strong>, aber in vier Jahren eben kein Moment eingetreten ist, <strong>de</strong>r es nötig erscheinen<br />

ließ. <strong>Er</strong> <strong>hat</strong> nach <strong>de</strong>m alten Vaterland nicht <strong>so</strong> <strong>Heimweh</strong> <strong>gehabt</strong> wie<br />

nach <strong>de</strong>m neuen, an welches ihn nicht nur ein unlösbares Band, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn auch<br />

die Stimme <strong>de</strong>s Blutes bin<strong>de</strong>t. <strong>Er</strong> meint aber, <strong>de</strong>r doch mehr ein gelernter Ungar<br />

ist als ein geborner und endlich erfahren möchte, wozu er die Sprache<br />

Hejas' gelernt <strong>hat</strong>, vielleicht nicht die Stimme <strong>de</strong>s Blutes, das in seinen A<strong>de</strong>rn<br />

fließt, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn jenes Blutes, das aus <strong>de</strong>n A<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Heimatsgenossen fließen<br />

<strong>so</strong>ll, und da ja das Volk das Blut ist, über das <strong>de</strong>r Monarch verfügt, <strong>so</strong> <strong>hat</strong> er<br />

offenbar auch gemeint, daß er dieses Blut, <strong>de</strong>ssen Stimme ihn ruft, <strong>de</strong>m guten<br />

Zweck widmen will. Aber wahrscheinlich weiß er es selbst nicht und es ist<br />

möglich, daß er bei<strong>de</strong>s meint und daß die Proklamation von <strong>de</strong>n zwei Seelen<br />

in seiner Brust verfaßt ist, <strong>de</strong>ren bei<strong>de</strong> einan<strong>de</strong>r abwechselnd zu diktieren<br />

pflegten. Nur <strong>so</strong> kann es ja auch zu erklären sein, daß er überzeugt ist, nur er<br />

könne das Land retten, und <strong>de</strong>shalb zurückgekehrt ist, und da er sich vom Gegenteil<br />

überzeugt <strong>hat</strong>, sich wie<strong>de</strong>r entfernt. Wie <strong>de</strong>m immer sein mag, er <strong>hat</strong><br />

geschworen, nicht lebend aus Ungarn zurückzukehren, und ist mit 37 Grad<br />

Fieber in Buchs eingetroffen. Diese Unstimmigkeit mag aber wie<strong>de</strong>r daraus<br />

zu erklären sein, daß er sich für Ungarn zu <strong>de</strong>m ausgesprochenen Zweck erhalten<br />

muß, ihm — wenn nötig — außer seinem Interesse sein Blut zu widmen<br />

und zwar, wie man bei genauerer Lektüre bemerkt, »auch fern von Ungarn«,<br />

wobei aber <strong>de</strong>r Schauplatz auch nicht einmal ange<strong>de</strong>utet ist und unklar bleibt,<br />

ob nicht wie<strong>de</strong>r die Kanonen im Westen die Antwort geben <strong>so</strong>llen. Kurzum,<br />

wenn er nicht <strong>so</strong> <strong>Heimweh</strong> <strong>gehabt</strong> hätte, woraus sich alles erklärt, er wüßte<br />

selbst nicht wie es kam und wie<strong>de</strong>r ging, und Clemenceau <strong>hat</strong> wie<strong>de</strong>r einmal<br />

gelogen. »Du in <strong>de</strong>r Haut <strong>de</strong>s Löwen?« Man stelle Shakespeares hellgesehene<br />

Fratze jenes <strong>Er</strong>zherzogs von Osterreich, <strong>de</strong>r tapfer stets nur an Fortunas Seite,<br />

schwankend und mitgenommen von allen Entscheidungen, sicher nur in<br />

das Kalbsfell hineinfin<strong>de</strong>t, das ihm <strong>de</strong>r Bastard an die schnö<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>r ruft<br />

— wie sie ist, in die Aktion <strong>de</strong>r Gegenwart, in <strong>de</strong>r mehr Blut als das aller Königsdramen<br />

zu verantworten war, wenns nicht darum geflossen wäre, weil es<br />

einer nicht gewollt und ein an<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n gewollt <strong>hat</strong>! Wohl, ich bin ein<br />

Nachrufer von einer Feigheit, die an abwesen<strong>de</strong>n, wehrlosen, unmündigen,<br />

schwachsinnigen und obendrein letzten, toten o<strong>de</strong>r verjagten Habsburgern<br />

sein Mütchen kühlt, aber wenns <strong>de</strong>r noch nicht lan<strong>de</strong>sverwiesenen Treue und<br />

Tapferkeit gefällt, seinen eigenen Nachruf geschrieben <strong>hat</strong>. Und doch möchte<br />

ich, weils eben früher nicht möglich war, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn erst jetzt, sämtliche Majestätsbeleidigungen,<br />

die bei Shakespeare vorkommen, aneinan<strong>de</strong>rreihen, um<br />

alles auf diesem Gebiet je im Leben Versäumte endlich nachzuholen — und<br />

rechtzeitig, ehe eine Wendung eintritt, durch die wie<strong>de</strong>r die Ehrfurcht über<br />

uns verhängt wür<strong>de</strong>!<br />

19


Ein Brief Masaryks<br />

(nach <strong>de</strong>m »Prozeß Friedjung«)<br />

Sehr geehrter Herr Kraus,<br />

Nr. 293 <strong>de</strong>r Fackel sagt vieles, was ich <strong>de</strong>nke und gelegentlich noch öffentlich<br />

zu sagen ge<strong>de</strong>nke — ich fühle mit Ihnen, daß das »kleine« Serbien<br />

und die Kroaten in <strong>de</strong>r Sache um <strong>so</strong> viel höher gestan<strong>de</strong>n sind, als das<br />

»große«. Österreich, und ich beurteile dieses offizielle Österreich ganz <strong>so</strong> wie<br />

Sie.<br />

Ihr ergebener<br />

Profes<strong>so</strong>r T. G. Masaryk,<br />

Prag.<br />

8/1 10<br />

Du seit langem einziges <strong>Er</strong>lebnis<br />

Du seit langem einziges <strong>Er</strong>lebnis<br />

außer <strong>de</strong>m was ich mir selbst er<strong>so</strong>nnen,<br />

unerfaßlich nahes Neubegebnis,<br />

das von altersher zu Schlaf geronnen —<br />

Wie du bang erwartet an mich blitzest,<br />

lieblich spielst du am Bewußtseinsran<strong>de</strong>,<br />

bannst mich, ehe du mich ganz besitzest,<br />

bald erkannt in jeglichem Gewan<strong>de</strong>.<br />

Eben noch voll nie geschauter Schöne,<br />

zwingst du mich als Monstrum dich zu lieben<br />

und erlaubst, daß ich mich leicht gewöhne<br />

an <strong>de</strong>n Anblick einer bösen Sieben.<br />

Nun erscheint mit eines Räubers Augen<br />

ganz aus Unheil eine alte Eule.<br />

Aber gleich wirst du mir an<strong>de</strong>rs taugen,<br />

<strong>de</strong>nn schon tanzt ein Bär um eine Säule.<br />

Was be<strong>de</strong>uten alle diese Leute,<br />

die ich nie gesehn und die da staunen,<br />

daß wir uns begegnen hier und heute,<br />

je<strong>de</strong>r mit <strong>so</strong> ganz verschiednen Launen.<br />

Nichts in mir besinnt sich, was verschul<strong>de</strong><br />

dies Getriebe zwischen Tag und Traume.<br />

Wenn ich mich ein Weilchen noch gedul<strong>de</strong>,<br />

nimmt es mich nach einem neuen Raume.<br />

Schon verschieben sich die trüben Sinne<br />

und ich spüre andre Dimensionen.<br />

21


Und ich weiß nur noch, daß ich beginne<br />

besser bald als irgendwo zu wohnen.<br />

Notizen<br />

Festsaal <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>röst. Gewerbe—Vereines, 3. März, halb 7.Uhr:<br />

Maß für Maß, Schauspiel in fünf Aufzügen von Shakespeare, übersetzt<br />

von Wolf Heinrich Graf Baudissin (Schlegel—Tieck'sche Ausgabe),<br />

bearbeitet vom Vorleser.<br />

*<br />

Mittlerer Konzerthaussaal, 6. März, 3 Uhr:<br />

Zum ersten Mal: Literatur o<strong>de</strong>r Man wird doch da sehn. Magische<br />

Operette in zwei Teilen. Von Karl Kraus. Per<strong>so</strong>nen: Johann Wolfgang,<br />

Sohn; Der Vater; Johann Paul, Cousin; Der Onkel; Die<br />

Schwester; Drei Freundinnen <strong>de</strong>r Schwester; Ein entfernter Verwandter;<br />

Ein Kiebitz beim Tarockspiel; Die Bewun<strong>de</strong>rer; Zwei<br />

Stimmen vom Schachtisch; Ein Schachpartner; Stimme <strong>de</strong>s Kiebitzes;<br />

Harald Brüller; Brahmanuel Leiser (stumme Figur); Zwei Mäna<strong>de</strong>n;<br />

Chloe Gol<strong>de</strong>nberg; Zwei Bacchanten; Zwei Tarockspieler;<br />

Ein Kiebitz; Stimme eines Bacchanten; Ein Bewun<strong>de</strong>rer; Schwarz<br />

—Drucker; Frei—Handl; Ein Bacchant; Ein Spiegelmensch; Ein<br />

Waschzettel; Stimme aus <strong>de</strong>r Gar<strong>de</strong>robe; Franz Blei, ein Abt <strong>de</strong>r<br />

roten Gar<strong>de</strong>; Der Großvater. — Bacchanten, Mäna<strong>de</strong>n, Schachspieler,<br />

Tarockspieler, Faune, Schmöcke. — Ort <strong>de</strong>r Handlung:<br />

Ein Kaffeehaus.<br />

Ein Teil <strong>de</strong>s <strong>Er</strong>trags für einen Invali<strong>de</strong>n.<br />

Auf <strong>de</strong>m Programm das Wesentliche <strong>de</strong>s im Buch enthaltenen Vorworts.<br />

Zum Schluß die folgen<strong>de</strong> Gegenüberstellung:<br />

(1913)<br />

Ich <strong>hat</strong>te in diesem mystischen <strong>Er</strong>lebnis<br />

die namenlose Persönlichkeit<br />

<strong>de</strong>s Wortes erfahren. — ——<br />

Am Morgen weckte mich ein Brief<br />

von Karl Kraus, in <strong>de</strong>m er mir mitteilt,<br />

daß er meine von einem Freun<strong>de</strong><br />

(ohne mein Wissen) eingesandten<br />

Gedichte in <strong>de</strong>r Fackel zu drucken<br />

beabsichtigt.<br />

Ein Jahr später sah ich Kraus von<br />

Angesicht zu Angesicht und erkannte<br />

alle Schauer dieses Lebens im<br />

Leib, in ihm jene Traumerscheinung.<br />

— —<br />

Ich habe gestern einige Seiten Philo<strong>so</strong>phisches<br />

über Karl Kraus geschrieben.<br />

Ich sen<strong>de</strong> es Ihnen nicht — es ist<br />

22<br />

(1920)<br />

»Was <strong>so</strong>ll ich nun in <strong>de</strong>n nächsten<br />

Tagen <strong>de</strong>r Beschäftigungslosigkeit<br />

beginnen? Halt! Ich will unter die<br />

Propheten gehn, natürlich unter die<br />

größeren Propheten! — Das <strong>Er</strong>ste<br />

ist, ich grün<strong>de</strong> ... eine Zeitschrift<br />

und nenne sie: Die Leuchte? Nein!<br />

Der Kerzenstumpf? Nein! Die Fackel?<br />

Ja! — — Ich will <strong>de</strong>n Stadtklatsch<br />

zu einem kosmischen <strong>Er</strong>eignis<br />

machen — — Ich will mit Kalauer<br />

und Pathos <strong>so</strong> trefflich jonglieren,<br />

daß je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r einen Zeile<br />

konstatiert, ich sei ein spaßiger Denunziant<br />

und Fürzefänger, bei <strong>de</strong>r<br />

nächsten zugeben muß, daß ich<br />

doch <strong>de</strong>r leibhaftige Jesaja bin ...<br />

Mein lei<strong>de</strong>r allzu abhängiger Cha-


ohnmächtig!<br />

Ohnmächtig gegen das <strong>Er</strong>eignis, mit<br />

<strong>de</strong>m unerklärlich dieser Mann in<br />

mein Leben trat.<br />

Denn hinter allem Essayistischen,<br />

das ich über Karl Kraus schreiben<br />

könnte, stün<strong>de</strong> gebieterisch und unverrückbar<br />

die Stun<strong>de</strong>, die meinen<br />

Planeten an <strong>de</strong>n seinen bin<strong>de</strong>t.<br />

*<br />

rakter <strong>hat</strong> ein großes, Talent auch<br />

zum akustischen Spiegel.<br />

Kurz und gut, weil ich zwar <strong>de</strong>n<br />

Menschen aus <strong>de</strong>n Augen, doch<br />

nicht in die Augen sehen kann, will<br />

ich ihnen lieber gleich in <strong>de</strong>n Hintern<br />

schauen, ob dort ihr Ethos in<br />

Ordnung ist<br />

Festsaal <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>röst, Gewerbe—Vereines, 15. März, halb 7 Uhr:<br />

I. August Strindberg: Attila (zum erstenmal gedruckt in <strong>de</strong>r Fackel<br />

Januar 1906) (mit Vorbemerkung). — Shakespeare: Zur Psychologie<br />

Österreichs (Szenen aus drei Akten <strong>de</strong>s »König Johann« [A. W.<br />

v. Schlegel] mit Vorbemerkung aus <strong>de</strong>r Fackel, Nr. 209). — Jens<br />

Peter Jacobsen: Die Pest in Bergamo. Petronius (gest. 66 n. Chr.):<br />

Gedicht über <strong>de</strong>n Bürgerkrieg aus <strong>de</strong>n »Begebenheiten <strong>de</strong>s Etikolp«,<br />

übersetzt von Wilhelm Heinse (1749—1803) (gekürzt).<br />

II. Vorbemerkung. — Andreas Gryphius (1616—1664): Der Tote an<br />

<strong>de</strong>n Leben<strong>de</strong>n / Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau(1618—<br />

1679): Eitelkeit / Georg Rudolf Weckherlin (1584—1653): Ein<br />

Rundum an eine Große Fürstin / Jakob Schwieger (1624—nach<br />

1667): Der Haß küsset ja nicht / Johann Klaj (1616—1656): An<br />

eine Lin<strong>de</strong> / Georg Philipp Harsdörffer (1607—1658): Verse über L<br />

1 und S / Johann Christian Günther (1695—1723): Trost—Aria /<br />

Friedrich von Hagedorn (1708—1754): Der Mai / Johann Elias<br />

Schlegel (1718—1749): <strong>Er</strong>klärung; I<strong>de</strong>al; Gleichnisse <strong>de</strong>r Liebe /<br />

Magnus Gottfried Lichtwer (1719—1783): Goldne Mittelmäßigkeit;<br />

Turnier <strong>de</strong>r Vögel / Karl Wilhelm Ramler (1725—1798): An<br />

<strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n; An die Könige (gekürzt) / Fredrich Gottlieb Klopstock<br />

(1724—1803): Das Versprechen; Die frühen Gräber / Johann Joachim<br />

Eschenburg (1743—1820) (mit Vorbemerkung): Elegie am<br />

Sarge meiner früh vollen<strong>de</strong>ten Tochter; Elisens Tod / Johann Timotheus<br />

Hermes (1738—1821): Einsamkeit; Klage / Leopold<br />

Friedrich Günther von Göckingk (1748—1828): Als <strong>de</strong>r erste<br />

Schnee fiel; An sein Reitpferd; Klagelied eines Schiffbrüchigen auf<br />

einer wüsten Insel über <strong>de</strong>n Tod seines Hun<strong>de</strong>s; Was <strong>hat</strong> Bestand?<br />

/ Ludwig Heinr. Christoph Hölty (1748—1776): Frühlingslied /<br />

Matthias Claudius (1740—1815): Phidile; Bei <strong>de</strong>m Grabe meines<br />

Vaters; Abendlied; Der Mensch / Goethe: An Schwager Kronos.<br />

Der volle <strong>Er</strong>trag dieser und <strong>de</strong>r Vorlesung vom 3. März — bei erhöhten<br />

Preisen, <strong>so</strong>nst wie 14. Dez. — : K 32.030, ist <strong>de</strong>r »Gesellschaft <strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong>«,<br />

<strong>de</strong>r Aktion »Rettet die Jugend«, <strong>de</strong>m »Haus <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s« und <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>rasyl<br />

»Kahlenbergerdorf« zugewiesen wor<strong>de</strong>n.<br />

1 Hier war die Angabe auf <strong>de</strong>m Programm fehlerhaft: die Verse über L stammen von Christoph<br />

Arnold [Lerian] (1627—1685). [KK]<br />

23


Vorbemerkungen:<br />

Ich wollte Strindbergs <strong>Er</strong>zählung »Zuchtwahl <strong>de</strong>s Journalisten« lesen, in<br />

<strong>de</strong>r die Verwandtschaft <strong>de</strong>s Journalisten mit <strong>de</strong>m Hun<strong>de</strong> genealogisch bestimmt<br />

wird. Weil aber Strindberg für mein Gefühl damit doch weit weniger<br />

<strong>de</strong>m Journalisten als <strong>de</strong>m Hund nahetritt, <strong>so</strong> lese ich lieber »Attila«, <strong>de</strong>r<br />

gleichfalls in <strong>de</strong>r Fackel (1906) zum ersten Mal gedruckt wur<strong>de</strong>.<br />

Die Dichter, von <strong>de</strong>nen ich im folgen<strong>de</strong>n lese, unbekannt gewor<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />

geblieben, sind fast durchwegs Beweise dafür, daß die Literaturgeschichte,<br />

diese nichtswürdigste aller Wissenschaften, <strong>de</strong>m Glücke darin gleicht, daß sie<br />

ohne Wahl und ohne Billigkeit die Gaben <strong>de</strong>s Nachruhms verteilt <strong>hat</strong>.<br />

[Vorbemerkungen an verschie<strong>de</strong>nen Stellen, zu Göckingk etc.] Zu<br />

Eschenburg: Ein Shakespeare—Übersetzer. Ein Dichter <strong>de</strong>r an Schiller erinnert,<br />

aber mir ungleich sprachdichter erscheint. In Deutschland völlig vergessen.<br />

24<br />

AN EINE LINDE<br />

Schöne Lin<strong>de</strong>!<br />

Deine Rin<strong>de</strong><br />

Nehm <strong>de</strong>n Wunsch von meiner Hand:<br />

Kröne mit <strong>de</strong>n sanften Sc<strong>hat</strong>ten<br />

Diese saatbegrasten Matten,<br />

Stehe sicher vor <strong>de</strong>m Brand.<br />

Reißt die graue Zeit hier nie<strong>de</strong>r<br />

Deine Brü<strong>de</strong>r:<br />

Soll <strong>de</strong>r Lenz diese Aest'<br />

Je<strong>de</strong>s Jahr belauben wie<strong>de</strong>r<br />

Und dich hegen wurzelfest.<br />

EIN RUNDUM<br />

An eine Große Fürstin<br />

Ein kleine Weil, als ohn Gefähr<br />

Ich Euch in einem Saal gefun<strong>de</strong>n,<br />

Sah ich Euch an; bald mehr und mehr<br />

Hat Euer Haar mein Herz verbun<strong>de</strong>n:<br />

Ihr auch liebäugelten mir sehr,<br />

Dadurch ich, weiß nicht was, empfun<strong>de</strong>n,<br />

Das meinem Geist, dann leicht, dann schwer,<br />

Aus Lieb und Leid alsbald geschwun<strong>de</strong>n<br />

ein kleine Weil:<br />

Bis ich von Eurer Augen Lehr'<br />

Und ihr von meiner Seufzer Mär'<br />

Die Schuldigkeit <strong>de</strong>r Lieb verstun<strong>de</strong>n,<br />

Darauf wir heimlich, ohn Unehr',<br />

Johann Klaj


Einan<strong>de</strong>r fröhlich überwun<strong>de</strong>n<br />

ein kleine Weil.<br />

DER TOTE AN DEN LEBENDEN<br />

Ein kleiner Hügel ist mein Reich,<br />

Ein Örtchen von drei Ellen;<br />

Vier Bretter, einem Kasten gleich,<br />

Sind meine Kammerschwellen;<br />

Sechs Schaufeln <strong>Er</strong>d', o sanfte Rast!<br />

Be<strong>de</strong>cken meiner Sorgen Last.<br />

Ich war ein Mensch, wie du noch bist,<br />

Von Rang und von Verstan<strong>de</strong>,<br />

Dein Konterfei, <strong>de</strong>m Nebenchrist,<br />

Jetzt lieg' ich hier im San<strong>de</strong>.<br />

Kein Marmorstein mein Grab erhöh',<br />

Damit ich leichter aufersteh.<br />

Kein König <strong>so</strong>llt' er auch an Schein<br />

Dem Alexan<strong>de</strong>r gleichen,<br />

Ein neuer Welterobrer sein,<br />

Und gar <strong>de</strong>n Mond erreichen,<br />

Kein Bettler, <strong>de</strong>r an Krücken schlich,<br />

Braucht einen größern Raum, als ich.<br />

Hier ist <strong>de</strong>r Grenzstein aller Macht,<br />

Der Zielpunkt alles Strebens;<br />

Kunst, Schönheit, Herrlichkeit und Pracht,<br />

Sie trotzten hier vergebens.<br />

Das Buch, <strong>de</strong>r Pflug, das Schwert, <strong>de</strong>r Stab,<br />

Sucht unter Einem Staub ein Grab.<br />

Der Leib, das Haus, worin <strong>de</strong>r Geist<br />

Geherbergt <strong>so</strong> viel Jahre,<br />

Der über Land und Meer gereist,<br />

Liegt auf <strong>de</strong>r Totenbahre.<br />

Was arm und reich, was gut und arg,<br />

was klein und groß, muß in <strong>de</strong>n Sarg.<br />

Ihr, die ihr Kunst und Wissenschaft<br />

<strong>Er</strong>fun<strong>de</strong>n und beschrieben,<br />

Von <strong>de</strong>ren weiser Sinneskraft<br />

Nichts unent<strong>de</strong>ckt geblieben:<br />

Gar vieles hab' auch ich gewußt,<br />

Und doch an diesen Ort gemußt.<br />

Die Lippen, die es kund getan,<br />

Die Händ', in die es kommen,<br />

Die Augen, die es schauten an,<br />

Die Ohren, dies vernommen:<br />

Georg Rudolf Weckherlin<br />

25


26<br />

Sind stumm, sind lahm, sind blind, sind taub,<br />

Und alles eine Hand voll Staub.<br />

Drum, <strong>de</strong>r du diesen Hügel siehst,<br />

Und hörst mich unterm San<strong>de</strong>,<br />

Denk' an <strong>de</strong>n Tod, wie hoch du bist<br />

An Ehr' und an Verstan<strong>de</strong>,<br />

Du hast nicht einen Schritt zu mir:<br />

Dein Grab ist unterm Fuße dir.<br />

Du wirst von <strong>de</strong>iner Fel<strong>de</strong>r Raum<br />

Ein Räumchen, drein zu liegen,<br />

Ein Tuch aus <strong>de</strong>inem Kasten kaum<br />

Zum Sterbekittel kriegen;<br />

Von Dienern, jetzt dir zugewandt,<br />

Wird kaum <strong>de</strong>in Name dann genannt.<br />

Nackt schei<strong>de</strong>n wir aus dieser Zeit,<br />

Nichts folgt uns, wenn wir sterben,<br />

Als <strong>de</strong>s Gewissens Reinigkeit,<br />

Das andre bleibt <strong>de</strong>n <strong>Er</strong>ben.<br />

Weib, Kind, Haus, Ansehn, Amt und Gut,<br />

Nimmst du nicht, noch sie dich in Hut.<br />

O Pilgriin! eins, nur eins ist Not,<br />

Dasselbe heißt: Wohl sterben.<br />

Kannst du's, dann scheust du nicht <strong>de</strong>n Tod,<br />

Wo nicht, mußt du ver<strong>de</strong>rben.<br />

Wohl sterben ist wohl auferstehn.<br />

Drauf wart' ich. Du magst für<strong>de</strong>r gehn.<br />

ELISENS TOD<br />

Überwin<strong>de</strong>rin, <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m Kampf entrissen,<br />

Gottes Palmenkranz um die Schläfe blüht,<br />

Die <strong>de</strong>n Himmel grüßt, unter ihren Füßen<br />

Stern' und Wolken sieht!<br />

Wüßtest du, wie zärtlich hier die Deinen,<br />

Gramerfüllt versammelt um <strong>de</strong>in Grab,<br />

Deinen Tod, <strong>de</strong>n frühen Tod, beweinen:<br />

Ach, du blicktest Trost auf sie herab!<br />

Gleich <strong>de</strong>m Trost, <strong>de</strong>r da <strong>de</strong>inen Geist erquickte,<br />

Als er mutvoll sich seiner Hüll' entwand,<br />

Und voll Freudigkeit in <strong>de</strong>n Himmel blickte,<br />

Der ihm offen stand,<br />

Sterbend sprachst du: »Stillt die bangen Klagen!<br />

Gottes Freu<strong>de</strong>n lern' ich schon verstehn;<br />

Unaussprechlich sind sie; aber sagen<br />

Werd' ichs euch, wenn wir uns wie<strong>de</strong>r sehn!«<br />

Andreas Gryphius


Seiner Heimat zu ging <strong>de</strong>m Fuß! er wellte<br />

Auf <strong>de</strong>r Pilgerbahn nicht <strong>de</strong>r Jahre viel;<br />

Keine Lockung hemmt' und kein Irrweg teilte<br />

Deines Laufes Ziel.<br />

Mit <strong>so</strong> festem, nie verfehltem Schritte<br />

Ward er bald vollbracht, <strong>de</strong>r Prüfung Lauf,<br />

Und es keimten unter je<strong>de</strong>m Tritte<br />

Tugen<strong>de</strong>n aus höhern Welten auf.<br />

Johann Joachim Eschenburg<br />

ALS DER ERSTE SCHNEE FIEL<br />

Gleich einem König, <strong>de</strong>r in seine Staaten<br />

Zurück als Sieger kehrt, empfängt ein Jubel dich!<br />

Der Knabe balgt um <strong>de</strong>ine Flocken sich,<br />

Wie bei <strong>de</strong>r Krönung um Dukaten.<br />

Selbst mir, obschon ein Mädchen, und <strong>de</strong>r Rute<br />

Lang' nicht mehr unterthan, bist du ein lieber Gast;<br />

Denn siehst du nicht, seit du die <strong>Er</strong><strong>de</strong> hast<br />

So weich belegt, wie ich mich spute?<br />

Zu fahren, ohne Segel, ohne Rä<strong>de</strong>r,<br />

Auf einer Muschel hin durch <strong>de</strong>inen weißen Flor,<br />

So sanft, und doch <strong>so</strong> leicht, <strong>so</strong> schnell, wie vor<br />

Dem Westwind eine Flaumenfe<strong>de</strong>r.<br />

Aus allen Fenstern und aus allen Türen<br />

Sieht mir <strong>de</strong>r bleiche Neid aus hohlen Augen nach;<br />

Selbst die Matrone wird ein leises Ach<br />

Und einen Wunsch um mich verlieren.<br />

Denn <strong>de</strong>r, um <strong>de</strong>n wir Mädchen oft uns stritten,<br />

Wird hinter mir <strong>so</strong> schlank wie eine Tanne, stehn,<br />

Und <strong>so</strong>nst auf nichts mit seinen Augen sehn,<br />

Als auf das Mädchen in <strong>de</strong>m Schlitten.<br />

Leopold Friedrich Günther von Göckingk<br />

Festsaal <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>röst. Gewerbe—Vereines, 24. März, ½ 7 Uhr:<br />

Clavigo. Ein Trauerspiel in fünf Akten von Goethe.<br />

Der volle <strong>Er</strong>trag dieser Vorlesung — wie oben —: K 13.298,20, für die<br />

»Gesellschaft <strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong>« (I Singerstraße 16).<br />

* * *<br />

In Nr. 519 — 520 S. 24 Z. 8 ist statt »zu holen zu sei«: zu holen sei zu<br />

lesen; ebenda, S. 31, Z. 16. v. u. statt »gewältätig«: gewalttätig. In Nr. 521 —<br />

530, S. 77, Z. 18 statt »Gilbeaux«, Guilbeaux. In Nr. 5441—45, S. 31, Z.. 6 v.<br />

u. statt »veröffenticht«: veröffentlicht. In Nr. 561 — 567, S. 35, Z. 10 v. u.<br />

27


statt »Vermitlung«: Vermittlung; S. 37, Z. 11 v. u. (Zitat) statt »lezten«: letzten;<br />

S. 80, Z. 22 statt »S. 83«: S. 84; S. 86, Z. 2 v. u. <strong>de</strong>r Druckfehlerberichtigung<br />

statt, »15«: 16; S. 90, Z. 5 v. u. statt »Czokor«: C<strong>so</strong>kor; S. 95, Z. 7 v. u.<br />

(Zitat) statt »Coppeau«: Copeau. — In einem Teil <strong>de</strong>r Auflage ist ein Buchstabe<br />

entfallen. S. 44, Z. 6 <strong>de</strong>s Zitats im Wort Hirt und S. 88, Z. 8 im Wort Verdiener.<br />

Etliche Leser halten für einen Druckfehler: daß auf S. 13 <strong>de</strong>s letzten<br />

Heftes im Zitat eine Zeile wie<strong>de</strong>rholt ist, wiewohl doch offenbarer Weise eben<br />

die Wie<strong>de</strong>rholung zitiert ist (»Und damits nach mehr aussieht, verhebt sich<br />

mit <strong>de</strong>m Magen <strong>de</strong>r Satz«; die Setzmaschine <strong>de</strong>r Neuen Freien Presse <strong>hat</strong>te<br />

nicht genug Ententenamen fressen können und einen schon verdauten Militärattaché<br />

noch einmal in Gestalt eines Han<strong>de</strong>lsattaché zu sich genommen,<br />

was durch Zerlegung eines Han<strong>de</strong>lskonsuls möglich war). — Wie aufmerksam<br />

die Fackel gelesen wird, zeigt auch <strong>de</strong>r Umstand, daß auf S. 40 die »unrichtige<br />

Abteilung« nur die Gal—ileigestalt (im Zusammenhang, mit <strong>de</strong>m Hans Müller)<br />

<strong>so</strong> manchem Leser nicht entgangen ist. Daß Gewure kein <strong>de</strong>utsche W.ortist,<br />

<strong>hat</strong> keiner bemerkt.<br />

*<br />

Von <strong>de</strong>n 5090 Exemplaren <strong>de</strong>r Postkarte »Volkshymne«, die wie es heißt<br />

anläßlich <strong>de</strong>r Reise Karls wie<strong>de</strong>r mehr verlangt wur<strong>de</strong>, sind bis jetzt 2500 verkauft<br />

wor<strong>de</strong>n, die nach Abzug <strong>de</strong>r Herstellungskosten <strong>de</strong>n <strong>Er</strong>trag von K 2455<br />

für die Kriegsblin<strong>de</strong>n ergeben haben. Die Leser <strong>de</strong>r Fackel wer<strong>de</strong>n hoffentlich<br />

<strong>de</strong>m wohltätigsten Zweck auch nicht eine einzige Karte schuldig bleiben und<br />

zur <strong>Er</strong>füllung ihrer Pflicht keines weiteren Restaurationsversuches bedürfen.<br />

*<br />

Die Buchausgabe von »Literatur« (mit einer Notenbeilage; Musik nach<br />

Angabe <strong>de</strong>s Verfassers) ist Anfang April im Verlag <strong>de</strong>r Fackel erschienen.<br />

(Auf S. 66 steht »Aber ach! ein Schaupiel nur« — kein Schauspiel. Beabsichtigt<br />

wars nicht, <strong>so</strong> sehr es <strong>de</strong>m Original, das ja auch nur ein Faut <strong>de</strong><br />

mieux ist, angemessen wäre.)<br />

28<br />

Der Strindbergpreis<br />

Wien, 11. März 21.<br />

An die C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung<br />

München.<br />

Sie sen<strong>de</strong>n trotz mehr als zweihun<strong>de</strong>rtmaliger Bekanntmachung,<br />

daß Büchersendungen unerwünscht sind, an Herrn K. (und zwar<br />

an <strong>de</strong>ssen Privatadresse, die wir nunmehr aus Ihrer Liste zu streichen<br />

bitten) ein Buch zur »Besprechung«. Wenn die <strong>de</strong>utschen<br />

Verlagsbuchhändler noch immer glauben, daß <strong>de</strong>r Herausgeber<br />

<strong>de</strong>r Fackel Bücherrezensionen schreibe und vollends, daß er die<br />

Anregung dazu von Ihnen empfange, <strong>so</strong> mögen sie zur Kenntnis<br />

nehmen, daß eine Rücksendung dieser unerbetenen Bücher in keinem<br />

Falle erfolgt, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn daß diese zugunsten <strong>de</strong>r Wiener<br />

Kin<strong>de</strong>rhilfe (»Gesellschaft <strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong>«) verkauft wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Verlag <strong>de</strong>r Fackel.<br />

Der Verkauf ergab 211,20 Kronen.<br />

München, <strong>de</strong>n 16. 3. 21.


An <strong>de</strong>n Verlag »Die Fackel«<br />

Es ist uns bekannt, daß die »Fackel« gewöhnlich keine Rezensionsexemplare<br />

annimmt, aber wir haben Ihnen Lessings »Geschichte<br />

als Sinngebung <strong>de</strong>s Sinnlosen« im Auftrage von Herrn<br />

Emil Schering (<strong>de</strong>m Übersetzer Strindbergs und Verteiler <strong>de</strong>s<br />

Strindbergpreises an Th. Lessing) zugesandt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Lessing'schen<br />

Buch <strong>de</strong>n Strindbergpreis zuerkannt <strong>hat</strong>. Wir glaubten,<br />

daß persönliche Beziehungen Herrn Schering und Herrn K. verbin<strong>de</strong>n.<br />

Es kann aber sein, daß wir übersehen haben auf diese<br />

Übersendung im Auftrage Herrn Scherings hinzuweisen.<br />

Wollen Sie bitte dies Herrn K. zur Kenntnis bringen.<br />

Mit vorzüglicher Hochachtung<br />

C. H. Becksche Verlagshuchhandlung<br />

Wien, 24. März 21.<br />

An die C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung<br />

München.<br />

Wir bestätigen <strong>de</strong>n Empfang Ihres w. Schreibens vom 16. 3. und<br />

beantworten es mit <strong>de</strong>r Mitteilung, daß Ihrer Buchsendung kein<br />

Hinweis auf eine persönliche Freundlichkeit <strong>de</strong>s Herrn Schering,<br />

<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn nur eine Bitte um Besprechung beigefügt war. Wenn nun<br />

Herr Schering diese Bitte ausgesprochen <strong>hat</strong>, <strong>so</strong> möge er gütigst<br />

zur Kenntnis nehmen, daß sie ganz <strong>so</strong> unerfüllbar ist, wie wenn<br />

<strong>de</strong>r Verleger sie vorbringt. »Persönliche Beziehungen« vermöchten<br />

da keinen Unterschied zu bewirken. Sie wür<strong>de</strong>n nur die Überreichung<br />

als Ausdruck persönlichen Interesses und als Anspruch<br />

eines <strong>so</strong>lchen rechtfertigen. Dazu wäre freilich in diesem Fall<br />

ganz be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rs zu bemerken, daß wenn <strong>de</strong>r Verteiler <strong>de</strong>s Strindbergpreises<br />

annähernd dasselbe persönliche Interesse an <strong>de</strong>m<br />

Werk <strong>de</strong>r Fackel und ihres Herausgebers nimmt, das er für das<br />

<strong>Er</strong>gebnis seiner Strindbergpreisverteilung bei ihm voraussetzt, er<br />

sich immerhin vorher hätte fragen müssen, ob nicht durch die<br />

letzte Zeile, die in fünf Kriegsjahrgängen <strong>de</strong>r Fackel enthalten ist,<br />

<strong>de</strong>m »Werk <strong>de</strong>r Völkerversöhnung« auf eine höhere Art gedient<br />

war als durch jene Leistungen, <strong>de</strong>ren Preiswürdigkeit in zahllosen<br />

Reklamenotizen angestrichen wur<strong>de</strong>: <strong>de</strong>r Herren Har<strong>de</strong>n und<br />

Siegmund Münz, zweier Journalisten, die doch, ehe sie die an<strong>de</strong>ren<br />

Völker mit <strong>de</strong>n Deutschen versöhnen könnten, erst in die<br />

Sprache <strong>de</strong>r Deutschen übersetzt wer<strong>de</strong>n müßten, und <strong>de</strong>s Herrn<br />

Kreutz, <strong>de</strong>r abgesehn vom stürmischen Drang, die Menschheit zu<br />

umarmen, Mitarbeiter eines ordinären Offizierswitzblattes ist.<br />

Nach diesem Preiskurant war Herr Karl Kraus unter keinen Umstän<strong>de</strong>n<br />

mehr neugierig zu erfahren, wie die schließliche Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s Herrn Schering ausgefallen ist; doch kann er die<br />

seinige, durch die das Rezensionsexemplar für hungern<strong>de</strong> Kin<strong>de</strong>r<br />

verkauft wur<strong>de</strong>, auch nicht beklagen. Damit aber nun <strong>de</strong>r Verteiler<br />

<strong>de</strong>s Strindbergpreises nicht vielleicht glaube, daß in einer Sache,<br />

in <strong>de</strong>r Objektivität <strong>so</strong> ohneweiters erschwinglich ist, ein Gefühl<br />

<strong>de</strong>r Zurücksetzung mitspreche, wollen Sie Herrn Schering<br />

ausdrücklich versichern, daß Herrn Karl Kraus, <strong>de</strong>r sich ja auch<br />

tatsächlich nicht beworben <strong>hat</strong>, nichts ferner gelegen hätte als<br />

einen Preis anzunehmen, zu <strong>de</strong>m er aus <strong>de</strong>r engeren Konkurrenz<br />

29


30<br />

mit jenen obengenannten Herren gelangt wäre. <strong>Er</strong> dankt Herrn<br />

Schering für sein freundliches Ge<strong>de</strong>nken, nicht ohne jedoch <strong>de</strong>m<br />

Verdacht Ausdruck zu geben, daß Herr Schering ihm gegebenenfalls<br />

auch das Werk eines <strong>de</strong>r drei Anwärter hätte zusen<strong>de</strong>n lassen.<br />

Was die persönlichen Beziehungen betrifft, <strong>so</strong> sind diese freilich<br />

durch <strong>de</strong>n Namen August Strindbergs besiegelt, von <strong>de</strong>m<br />

einst <strong>so</strong> viele Arbeiten durch Vermittlung <strong>de</strong>s Herrn Schering in<br />

<strong>de</strong>r Fackel erschienen sind. Vielleicht legt ihm diese <strong>Er</strong>innerung<br />

die <strong>Er</strong>wägung nahe, ob Strindberg, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Fackel gegen die<br />

Verteiler <strong>de</strong>s Nobelpreises protestiert <strong>hat</strong>, nicht auch gegen jene<br />

protestiert hätte, die zugelassen haben, daß <strong>de</strong>r Name Strindberg<br />

in Verbindung mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Herren Har<strong>de</strong>n, Münz und Kreutz<br />

durch die Presse geht.<br />

Mit vorzüglicher Hochachtung<br />

Der Verlag <strong>de</strong>r Fackel.<br />

Sehr geehrter Herr Kraus!<br />

Wenn ich die »Fackel« in diesem Rundschreiben nicht genannt<br />

habe, <strong>so</strong> geschah es lediglich <strong>de</strong>shalb, weil für <strong>de</strong>n Strindbergpreis<br />

nur Bücher, nicht Zeitschriften in Betracht kommen.<br />

Geben Sie, (wie Har<strong>de</strong>n) Ihre Kriegsarbeiten als abgeschlossenes<br />

abgerun<strong>de</strong>tes Buch heraus, <strong>so</strong> will ich dieses mit Freu<strong>de</strong>n in meine<br />

Sammlung, die ich durchaus sachlich, ohne »persönliche Beziehungen«,<br />

mache, aufnehmen.<br />

Ihr<br />

Berlin, 1. April 21. Emil Scheritig<br />

[Mit zwei Exemplaren eines Prospekts über <strong>de</strong>n Strindbergpreis,<br />

in <strong>de</strong>m mitgeteilt wird, daß »die Katastrophe <strong>de</strong>s<br />

Weltkriegs Strindbergs Kin<strong>de</strong>r, Strindbergs Übersetzer und<br />

Strindbergs Verleger im Jahre 1920 veranlaßt <strong>hat</strong>, für die<br />

beste Dichtung o<strong>de</strong>r Schrift in <strong>de</strong>utscher Sprache, welche<br />

die Versöhnung <strong>de</strong>r Völker för<strong>de</strong>rt, einen Preis von dreitausend<br />

Mark jährlich zu stiften, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>s Jahr an Strindbergs<br />

Geburtstag (22. Januar) verliehen wird«. Ferner wer<strong>de</strong>n die<br />

Anwärter — sieben — gewürdigt und schließlich erzählt, daß<br />

das Richteramt ursprünglich von <strong>de</strong>m vielgenannten Profes<strong>so</strong>r<br />

Schleich, um <strong>de</strong>ssen An<strong>de</strong>nken sich Strindberg <strong>so</strong> verdient<br />

gemacht <strong>hat</strong>, übernommen, aber »wegen wachsen<strong>de</strong>r<br />

Überlastung mit Arbeit« in die Hän<strong>de</strong> Scherings zurückgelegt<br />

wur<strong>de</strong>.]<br />

Wien, 5. April 21.<br />

Sehr geehrter Herr!<br />

Wir ersehen aus Ihrem Schreiben, daß Ihnen die Münchner Verlagsbuchhandlung<br />

das unsere mitgeteilt <strong>hat</strong>, da Sie die »persönlichen<br />

Beziehungen«, auf welche sich jene freilich nur berufen <strong>hat</strong>,<br />

um die Zusendung <strong>de</strong>s mit <strong>de</strong>m Strindbergpreis gekrönten Werkes<br />

zu rechtfertigen, künftig bei <strong>de</strong>r Aufnahme eines Buches von Karl<br />

Kraus in Ihre Sammlung nicht in Anrechnung bringen wollen. Das<br />

ist gewiß, wie Sie betonen, sachlich gedacht, und <strong>so</strong> irrig Ihre Vermutung<br />

ist, daß sich Herr K. über die Nichtaufnahme <strong>de</strong>r »Fackel«<br />

beklagt habe, <strong>so</strong> dankbar ist er Ihnen für <strong>de</strong>n wohlgemein-


ten Rat, seine Kriegsarbeiten (wie Har<strong>de</strong>n) als abgeschlossenes,<br />

abgerun<strong>de</strong>tes Buch herauszugeben, um dieser Ehre teilhaft zu<br />

wer<strong>de</strong>n. Es ist wohl nur aus <strong>de</strong>m Umstand, daß sich in <strong>de</strong>r »Flut<br />

von Einsendungen, die über <strong>de</strong>n Preisrichter hereinbrach«, sein<br />

Buch nicht befun<strong>de</strong>n <strong>hat</strong>, zu erklären, daß Ihnen <strong>de</strong>ssen Existenz<br />

verborgen geblieben ist. Denn obgleich Sie von <strong>de</strong>n Kriegsarbeiten<br />

<strong>de</strong>r »Fackel« unterrichtet zu sein scheinen, ist von ihr öfter<br />

mitgeteilte und auch <strong>so</strong>nst bekannte Tatsache nicht zu Ihrer<br />

Kenntnis gelangt, daß ihr freundlicher Rat bereits seit zwei Jahren<br />

befolgt und daß außer <strong>de</strong>m Doppelband »Weltgericht« eine Reihe<br />

von dramatischen Akten unter <strong>de</strong>m Titel »Die letzten Tage <strong>de</strong>r<br />

Menschheit« im Buchhan<strong>de</strong>l erschienen ist. Ob es <strong>de</strong>m Verfasser<br />

freilich gelungen ist, auch ein abgerun<strong>de</strong>tes Buch (wie Har<strong>de</strong>n)<br />

herzustellen, das hätte er erst von Ihnen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Herrn Profes<strong>so</strong>r<br />

Schleich erfahren müssen. So sehr ihn das nun interessiert<br />

hätte, <strong>so</strong> <strong>hat</strong> er doch, wie Sie sehen, die Gelegenheit ausgeschlagen,<br />

in jener Namensliste von Humoristen und Leitartiklern zu erscheinen,<br />

die, um <strong>de</strong>n Namen Bus<strong>so</strong>n vermehrt, Sie um <strong>de</strong>n<br />

Strindbergs <strong>so</strong> ehrfürchtig bemüht erscheinen läßt. Sie <strong>hat</strong>ten die<br />

Freundlichkeit, ihm diese Liste in zwei Exemplaren auszuhändigen,<br />

vielleicht um ihn doppelt schmerzlich fühlen zu lassen, was<br />

er verloren <strong>hat</strong>, da er hinter <strong>de</strong>n sieben preiswürdigen Einsen<strong>de</strong>rn<br />

zurückblieb und nicht (wie Har<strong>de</strong>n) von Ihnen mit <strong>de</strong>m Trost entschädigt<br />

wird, daß sein Werk »auch ohne <strong>de</strong>n Preis seine Wirkung<br />

übt, o<strong>de</strong>r (wie Kreutz): daß es »allein seinen Weg fin<strong>de</strong>n kann«.<br />

Aber <strong>so</strong> traurig das alles sein mag, be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rs wenn man sich vorstellt,<br />

daß es Strindberg nicht mehr erleben konnte, <strong>so</strong> mögen Sie<br />

erfahren, daß nicht einmal die Hoffnung, bei<strong>de</strong> Nobelpreise zu erhalten,<br />

<strong>de</strong>n Autor von »Weltgericht« und »Die letzten Tage <strong>de</strong>r<br />

Menschheit« bestimmen könnte, Muster vorzulegen. Ihr Schreiben<br />

beruht auf einem völligen Mißverständnis <strong>de</strong>r Absicht, die das<br />

unsere diktiert <strong>hat</strong>. Nicht davon, ob Herr Karl Kraus irgendwelcher<br />

kritischen Instanz seine Bücher zusen<strong>de</strong>n <strong>so</strong>ll, war die Re<strong>de</strong><br />

— das täte er unter gar keinen Umstän<strong>de</strong>n und ließe es auch seinen<br />

Verlag nicht tun — <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn ausschließlich davon, daß er<br />

selbst mit Zusendungen von Büchern verschont sein möchte, und<br />

er <strong>hat</strong> nur, wenn er sich schon die Gelegenheit <strong>de</strong>r Verteilung <strong>de</strong>s<br />

Strindbergpreises entgehen ließ, sie wenigstens zu einem Wort<br />

über <strong>de</strong>ren Resultat benützen wollen, wozu ihn die vom Verleger<br />

ausgespielten persönlichen Beziehungen zur Sphäre Strindbergs<br />

ermuntert. haben. Wenn Sie nach dieser Aufklärung noch zu <strong>de</strong>m<br />

Entschluß gelangen <strong>so</strong>llten, ihm <strong>de</strong>n nächstjährigen Strindbergpreis<br />

zuzuerkennen, <strong>so</strong> wür<strong>de</strong> dies Ihrer Sachlichkeit gewiß alle<br />

Ehre machen. Nur bittet er in dieser nicht <strong>so</strong> weit zu gehen, ihn<br />

auch in Ihre Sammlung aufzunehmen.<br />

Mit vorzüglicher Hochachtung<br />

Der Verlag <strong>de</strong>r Fackel<br />

Darauf ist von Emil Schering, <strong>de</strong>r sicherlich ein liebenswürdiger und pazifistisch<br />

gesinnter Mann ist, wenngleich seine Übersetzungen ein vielumstrittenes<br />

Strindbergproblem bil<strong>de</strong>n, die folgen<strong>de</strong> Karte eingelangt, die <strong>de</strong>r Vollständigkeit<br />

halber mitgeteilt wird.<br />

31


Mag Karl Kraus auch noch <strong>so</strong> kraus sein,<br />

mit <strong>de</strong>r Verehrung <strong>so</strong>lls nicht aus sein.<br />

Berlin, April 12 Emil Schering.<br />

Al<strong>so</strong> nichts für ungut und wir wer<strong>de</strong>n keinen Preisrichter brauchen.<br />

1 Otto Weininger [KK]<br />

32<br />

Briefe<br />

Herrn Dr. Karl Kraus 'Die Fackel'<br />

Schwindgasse 3 Wien IV<br />

Herr Doctor.<br />

Ich habe schon einen kurzen Artikel Herrn Schering zum Übersetzen<br />

gesandt.<br />

In <strong>Er</strong>satz bitte ich Sie gütigst einen Kranz auf <strong>de</strong>m Grab <strong>de</strong>s getödteten<br />

Denkers 1 zu <strong>de</strong>ponieren; (hiermit 10 Kronen eingeschlossen!)<br />

Hochachtungsvoll<br />

Stockholm d. 12. October 1903. August Strindberg.<br />

Sehr geehrter Herr,<br />

Ich erhielt heute Nachmittag ein Telegramm, in welchem Sie mich<br />

fragen, ob ich mit <strong>de</strong>r Anführung von Stellen aus meinem Buche<br />

»Geschlecht und Charakter« einverstan<strong>de</strong>n sei, und <strong>de</strong>n Wunsch<br />

nach einer persönlichen Besprechung über <strong>de</strong>n Inhalt ausdrücken.<br />

Es wäre mir sehr angenehm, wenn die 'Fackel' sich mit <strong>de</strong>m Buche<br />

beschäftigen wür<strong>de</strong>, und ich bin zu einer Zusammenkunft, <strong>de</strong>ren<br />

Ort und Zeit ich Sie vorzuschlagen bitten wür<strong>de</strong>, sehr gerne<br />

bereit. Ich hege nur einen leisen Zweifel, ob das Telegramm wirklich<br />

von Ihnen stammt, und nicht irgend jemand mit <strong>de</strong>r Sache<br />

sich einen Spaß gemacht <strong>hat</strong>, worauf ich bei <strong>de</strong>m Inhalte <strong>de</strong>s Buches<br />

in gewisser Beziehung und von gewissen Seiten gefaßt sein<br />

muß. Darum bitte ich Sie, mir die Echtheit <strong>de</strong>s Telegrammes brieflich<br />

zu bestätigen.<br />

In größter Hochachtung und <strong>Er</strong>gebenheit<br />

Wien, 20.6.03. Dr. Otto Weininger.<br />

[Postkarte]<br />

Herrn Karl Kraus<br />

Wien I. Caffee Griensteidl Herrengasse<br />

Ihnen und <strong>de</strong>n mir lei<strong>de</strong>r unbekannten unterzeichneten Herrn<br />

Gruß u. Heil! Für Freund Liliencron wird sich eine ausgiebige<br />

Wasserkur dringend empfehlen; ich <strong>de</strong>nke wir veranlaßen seine<br />

Überführung zu Pfarrer Kneipp. Herr v. Brockdorff irrt sich wenn<br />

er mir vampyrische Gelüste zumuthet (vergl. <strong>de</strong>n Vampyr von<br />

Marschner). Ich nehme auch mit min<strong>de</strong>r pikanter Kost vorlieb. Gelegentlich<br />

bitte ich um Adressen. Nochmals schönsten Gruß.<br />

Perchtoldsdorf 5.Mai 95<br />

Hugo Wolf


Das Rätsel<br />

Wenn an<strong>de</strong>rn sich ein Rätsel leicht gelöst,<br />

<strong>so</strong> wird mir erst die Lösung rätselhaft.<br />

Was an<strong>de</strong>rswo in Freiheit drängt und stößt,<br />

<strong>hat</strong> Raum mir in <strong>de</strong>m innersten Verhaft.<br />

Zu vielem fühle ich die Kraft.<br />

Doch hält ein Bild, dann eine Tür,<br />

ein Blick, ein Wort, ein Stück Papier<br />

mich zauberhaft.<br />

Ich kann dawi<strong>de</strong>r nichts, und nichts dafür.<br />

Die 'Münchener Post' schreibt:<br />

Die Kreuzelschreiber<br />

DER GIPFEL DER ROHEIT<br />

Der sattsam bekannte Miesbacher Anzeiger <strong>hat</strong> durch Roheit <strong>de</strong>r<br />

Sprache bisher schon Unglaubliches geleistet, in einer seiner<br />

jüngsten Leistungen aber <strong>hat</strong> sich das von Ludwig Thoma begönnerte<br />

Blatt selbst übertroffen. In einer »Anti—arisch« überschriebenen<br />

Polemik gegen <strong>de</strong>n Herausgeber <strong>de</strong>r Wiener »Fackel«, Karl<br />

Kraus, fin<strong>de</strong>n sich diese bo<strong>de</strong>nlos rohen Sätze:<br />

»In München haben wir doch mit <strong>de</strong>r Hinrichtung <strong>de</strong>s Eisner und<br />

<strong>de</strong>r Prügelstrafe gegen <strong>de</strong>n Magnus Spinatfeld [Dr. Magnus<br />

Hirschfeld] <strong>de</strong>n Nachweis geliefert, daß es uns nicht an Temperament<br />

fehlt. Die Berliner wer<strong>de</strong>n auch dankbar anerkennen müssen,<br />

daß wir ihnen <strong>de</strong>n Landauer durchgetan haben.<br />

Immerhin waren das nur Vorspiele zu größeren Kuren, die wir uns<br />

gelobt haben, für <strong>de</strong>n Fall, daß sich die Beschnittenen bei uns<br />

noch einmal mausig machen. Dann gehts aus <strong>de</strong>m Vollen.«<br />

Das ist <strong>de</strong>r Gipfel <strong>de</strong>r Roheit. Diese Leistung einfach niedriger zu<br />

hängen, genügt wohl. Höher geht die Gemeinheit wirklich nimmer.<br />

Mit dieser Androhung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe gegen mich begnügt sich das<br />

bayrische Bauernblatt — in Kufstein bespeien seine Abonnenten die österreichische<br />

Grenze physisch —,weil die Prügelstrafe an mir bereits vollzogen wur<strong>de</strong>.<br />

Es weiß nämlich zu mel<strong>de</strong>n, daß in Wien eine anti—arische Wochenschrift,<br />

die 'Fackel' erscheine, ein früherer Journalist <strong>de</strong>r Neuen Freien Presse, Sohn<br />

von fünf polnischen Ju<strong>de</strong>n, gibt sie heraus. <strong>Er</strong> ist sein Leben lang von Leuten,<br />

in <strong>de</strong>ren Gesellschaft er sich eingedrängt <strong>hat</strong>te, geohrfeigt wor<strong>de</strong>n, immer<br />

schon nach einigen Wochen. Ein französischer Bänkelsänger (jener, <strong>de</strong>r nicht<br />

für die Wittelsbacher, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn für die Habsburger arbeitet) traktierte ihn »<strong>so</strong>gar<br />

mit <strong>de</strong>r Hundspeitsche in einem öffentlichen Lokal«. <strong>Er</strong> sei, schließt das<br />

was die Münchener Post als Polemik bezeichnet, <strong>de</strong>r meist geprügelte Hund<br />

Österreichs, aber noch immer bissig geblieben.<br />

33


Es scheint zur Zeit in Wien keine Literaten und keine Maulschellen<br />

mehr zu geben.., Bloß polnische Ju<strong>de</strong>n. Darum traut er sich<br />

jetzt anti—arisch aufzutreten.<br />

Die Moral von <strong>de</strong>r Geschichte ist, daß wenn <strong>de</strong>r 'Miesbacher Anzeiger'<br />

wirklich dadurch, daß er von Herrn Ludwig Thoma begönnert wird, mehr als<br />

eine Angelegenheit <strong>de</strong>s Schweinekobens gewor<strong>de</strong>n ist, jener gut täte, anstatt<br />

sich auf <strong>de</strong>r Münchner Straße um meinen Gruß zu bewerben, die Hefte <strong>de</strong>s<br />

'März' zurückzuziehen, in <strong>de</strong>nen er meine Stellung im <strong>de</strong>utschen Geistesleben<br />

gegen weit min<strong>de</strong>rn Unglimpf gehütet <strong>hat</strong>. An<strong>de</strong>rnfalls, und ließe er seinen<br />

Miesbacher Anzeiger gewähren, wäre selbst eine Staatsgewalt, die gegen<br />

Morddrohungen keinen Schutz bietet, nicht imstan<strong>de</strong> zu verhin<strong>de</strong>rn, daß von<br />

ihm nichts bliebe als das Temperament, welches er mit bayrischen Sauknechten<br />

gemein hätte, aber sein Name durchgetan und seine Ehre hingerichtet<br />

wäre.<br />

* * *<br />

Carl Dallago, »Augustinus, Pascal und Kierkegaard« ('Der Brenner',<br />

Herausgeber Ludwig Ficker, Vl. Folge, Heft 9, Innsbruck):<br />

Wenn ich mich noch weiter in unserer Zeit nach Menschen, <strong>de</strong>ren<br />

Schrifttum ein Geistiges und Religiöses lebendig aufweist, umsehen<br />

will, um an ihrer <strong>Er</strong>kenntnis die eigene zu prüfen, wo fin<strong>de</strong><br />

ich sie?<br />

Doch, einer ist noch da, für <strong>de</strong>n wie geprägt zu sein scheint, was<br />

Kierkegaard einmal vom »Christen« sagt, nämlich: daß nach Gottes<br />

Gedanken ein Christ zu sein hieße »im Kampfe leben, als 'Einzelner'<br />

im Kampfe mit <strong>de</strong>m 'Geschlecht' stehen.« Karl Kraus, <strong>de</strong>n<br />

ich meine, ist nun zwar Ju<strong>de</strong>, seiner existenziellen Betätigung <strong>de</strong>s<br />

zitierten Satzes nach aber muß er ein geistiger und religiöser<br />

Mensch sein. Wie könnte er <strong>so</strong>nst auch die Kraft fin<strong>de</strong>n, Jahrzehnte<br />

hindurch, als Einzelner in beständiger Steigerung, gegen die<br />

Freveltaten eines ganzen Geschlechtes anzukämpfen? Das vermag<br />

meines <strong>Er</strong>achtens nur einer, <strong>de</strong>ssen Dasein im Grun<strong>de</strong> vom Geistigen<br />

und Religiösen gespeist wird. Was er als Satiriker be<strong>de</strong>utet,<br />

kommt hier für mich kaum in Betracht. Es erscheint auch, geistig<br />

und religiös gesehen, als kein Vorzug an Kraus, daß ihm die Sprache<br />

in <strong>de</strong>r Vollendung <strong>de</strong>s geschriebenen Wortes <strong>so</strong> viel wer<strong>de</strong>n<br />

konnte, wie sie ihm gewor<strong>de</strong>n ist. Ein Schriftsteller, <strong>de</strong>r gezwungen<br />

ist, auf <strong>de</strong>m Umweg <strong>de</strong>r Satire zu sich und seiner Bestimmung<br />

zu fin<strong>de</strong>n, was wie Belastung aussieht, scheint aber zur Entlastung<br />

eines be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>ren Sprachvermögens zu bedürfen. Mit <strong>de</strong>r<br />

<strong>Er</strong>kenntnis jedoch, daß die be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>re sprachliche Begabung für<br />

<strong>de</strong>n Satiriker eine Notwendigkeit ist, wird geistig und religiös<br />

auch sichtbar, daß diese Notwendigkeit einem Mangel entspringen<br />

muß, für <strong>de</strong>n sein Träger als geistiger und religiöser Mensch<br />

immer wie<strong>de</strong>r zu büßen, <strong>de</strong>n er immer wie<strong>de</strong>r zu überwin<strong>de</strong>n <strong>hat</strong>.<br />

Und <strong>de</strong>n Kraus erstaunlich überwun<strong>de</strong>n <strong>hat</strong>, in<strong>de</strong>m er als Satiriker,<br />

<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Kunst <strong>de</strong>r Sprache lebt, <strong>so</strong>weit gekommen ist,<br />

daß er (in viel höherem Sinn natürlich als es vom bloßen Intellekt<br />

aus verständlich ist) die Kunst in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>s Lebens stellt, das<br />

heißt: die Kunst <strong>de</strong>m Leben untergeordnet <strong>hat</strong>, und nicht umgekehrt.<br />

— —<br />

34


Daß Kraus, <strong>de</strong>r Künstler <strong>de</strong>r Satire, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r unmittelbare Weg<br />

nicht offen liegt, <strong>so</strong>weit gelangen konnte, daß er, wiewohl <strong>de</strong>n intellektuellsten<br />

Kreisen <strong>de</strong>r Großstadt entsprossen, <strong>de</strong>r Presse unmittelbar<br />

nahe gerückt, und <strong>so</strong> in allernächster Nähe <strong>de</strong>n geistigen<br />

Betrug erlebend, <strong>de</strong>nnoch zu seinem Selbst fand und als<br />

Künstler sich von aller weltlichen Rücksicht losmachte, noch im<br />

Sichlosmachen beständig <strong>de</strong>r Gefahr ausgesetzt, für gut zu halten,<br />

das Leben in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r Kunst zu stellen, weil doch auch das<br />

ein Hohes gewesen wäre im Vergleich zu <strong>de</strong>r Selbstentwürdigung,<br />

die er im Sold verkommener Mächte die Kunst betreiben sah —<br />

daß er ungeachtet alles <strong>de</strong>ssen heute seinem ganzen Schaffen und<br />

Wirken nach dasteht als einer, <strong>de</strong>r offenkundig bestrebt ist, die<br />

Menschen einem Höhern untertan zu machen: das alles bringt mir<br />

die Gewißheit, daß Karl Kraus ein geistiger und religiöser Mensch<br />

ist, <strong>de</strong>ssen Auffassung in Bezug auf das Christentum hier nicht<br />

ohne weiteres übergangen wer<strong>de</strong>n kann.<br />

— — Und wenn Pascals Satz. »Die wahren Ju<strong>de</strong>n und die wahren<br />

Christen haben dieselbe Religion« auf einen Ju<strong>de</strong>n von heute bezogen<br />

wer<strong>de</strong>n darf, <strong>so</strong> sicher auf Kraus. <strong>Er</strong> erscheint wirklich als<br />

»<strong>de</strong>r wahre Ju<strong>de</strong>«, treu <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r großen Väter, die noch nicht<br />

<strong>de</strong>n Glauben an Gott für <strong>de</strong>n Glauben an Presse und Börse dahingegeben<br />

<strong>hat</strong>ten. An diese großen Glaubensmenschen <strong>de</strong>s Alten<br />

Testaments erinnert auch sein »Gebet an die Sonne von Gibeon«.<br />

Als sicher darf auch gelten: daß, wenn Christus, wie er einst leibte<br />

und lebte, heute wie<strong>de</strong>r auf <strong>Er</strong><strong>de</strong>n wan<strong>de</strong>lte, ihm keinesfalls ein<br />

Mensch wie Kraus, wohl aber die Kirche feind wäre.<br />

Doch ich habe auf Kraus noch zu verweisen als auf einen, <strong>de</strong>r<br />

während <strong>de</strong>s Weltkriegs das Christliche existenziell dargetan <strong>hat</strong>,<br />

<strong>so</strong>weit er es, seinen be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>ren Fähigkeiten entsprechend, dartun<br />

konnte. <strong>Er</strong> <strong>hat</strong> es je<strong>de</strong>nfalls im Sinne jener Mahnung <strong>de</strong>s von jeher<br />

Geistigen und Religiösen getan, die sich im Taoteking 1 al<strong>so</strong> verlautbart:<br />

»Mit Gewalt herrschen <strong>hat</strong> schlimme Rückwirkung.<br />

Wo Krieg war, wächst aus <strong>de</strong>m Schutt <strong>de</strong>r Dorn.<br />

Großen Heeren folgt sicher kümmerliche Zeit.«<br />

Und heute, da die Menschheit die volle Richtigkeit dieses fernöstlichen<br />

Lehrsatzes erlebt <strong>hat</strong> (<strong>de</strong>r Bauernstand, <strong>de</strong>r seinen Besitz<br />

im Kriegsgebiet <strong>hat</strong>te, mehr als je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, weshalb er auch <strong>de</strong>n<br />

Krieg aufs tiefste verabscheuen mußte), heute bringt eine unqualifizierbare<br />

Hor<strong>de</strong> von bauernfängerischen Presse— und Kirchenleuten,<br />

eifrigst unterstützt vom <strong>de</strong>utschen Freisinn, in unserem<br />

»heiligen« Land Tirol es noch fertig, über einen, <strong>de</strong>r gegen <strong>de</strong>n<br />

Krieg war und ist, um von <strong>de</strong>n Völkern abzuwen<strong>de</strong>n, was die zitierte<br />

Warnung enthält, allen Unflat einer bis auf <strong>de</strong>n Grund verlogenen<br />

moralischen Entrüstung auszuschütten und ihn, <strong>de</strong>r sich<br />

über diejenigen, welche das <strong>de</strong>utsche Volk ins Ver<strong>de</strong>rben geführt<br />

haben, ehrlich entrüstete, <strong>de</strong>r Beschimpfung eben dieses Volkes<br />

zu zeihen. Wahrlich, wenn man sich die Hetzjagd vergegenwärtigt,<br />

die gegen Kraus anläßlich seiner letzten Vorlesung in Innsbruck<br />

inszeniert wur<strong>de</strong>, dann muß man staunen, wie sehr jüdische<br />

Verkommenheit in die Presse und Kirche <strong>de</strong>r »Christen« einge-<br />

1 Dao<strong>de</strong>jing, chinesische Schrift unklarer Entstehungszeit<br />

35


drungen ist, ja wie sie bei diesen in weit be<strong>de</strong>nklicherer Form auftritt<br />

als bei <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n. Der <strong>Er</strong>oberung <strong>de</strong>s Menschen im schlimmsten<br />

Sinn, seiner maschinellen Einstellung in <strong>de</strong>n Weltbetrieb, <strong>de</strong>r<br />

vom Intellekt ausgeheckt wur<strong>de</strong> und mit Gewalt gehalten wird,<br />

dieser <strong>Er</strong>oberung <strong>de</strong>s Menschen, auf die es die jüdische Verkommenheit<br />

mit Presse und Börse abgesehen <strong>hat</strong>, <strong>hat</strong> sich Kraus von<br />

jeher mit größter Entschie<strong>de</strong>nheit und beispiellosem Wagemut<br />

entgegengestellt und <strong>so</strong> mit seinem Werk auch unvergleichlich<br />

mehr erreicht als <strong>de</strong>utscher Freisinn und »christliches« Deutschtum<br />

je zu erreichen imstan<strong>de</strong> wären, auch wenn sie es redlich<br />

wollten. Doch sie können es gar nicht wollen, weil es ihnen nicht<br />

gegeben ist, das verkommene Jüdische <strong>so</strong> wahrzunehmen, wie es<br />

Kraus, <strong>de</strong>r wahre Ju<strong>de</strong>, wahrnimmt — er, <strong>de</strong>r zum wahren Ju<strong>de</strong>ntum<br />

zurückstrebt und <strong>so</strong> auch das wahre Christliche unvergleichlich<br />

mehr enthüllt als alle diese politischen <strong>de</strong>utschen »Christen«.<br />

Dieses Christliche an Kraus, das sich, wie gesagt, <strong>so</strong> rückhaltlos<br />

äußerte, daß es ihn auch während <strong>de</strong>s Krieges existenziell gegen<br />

<strong>de</strong>n Krieg sein ließ, was die Kirche und ihre Vertreter nicht von<br />

sich behaupten können — das Papstwort von <strong>de</strong>r »ehrlosen Menschenschlächterei«<br />

ist wohl, als allzu förmlich gegeben 1 , auch allzu<br />

ungehört verhallt — mag nun die Vertreter <strong>de</strong>r Kirche, die aus<br />

<strong>de</strong>m Christlichen ein Kirchliches gemacht haben, als <strong>Er</strong>scheinung<br />

beunruhigen; <strong>so</strong> greift ihre Politik in <strong>de</strong>r Not zum Nationalismus,<br />

als nach <strong>de</strong>m Leim, auf <strong>de</strong>n heute noch die Vielen gehen (wiewohl<br />

gera<strong>de</strong> heute einzusehen wäre, daß <strong>de</strong>r politische Nationalismus<br />

<strong>de</strong>r Ruin <strong>de</strong>r Nationen ist) und spielt Deutschtum gegen <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n<br />

Kraus aus.<br />

Wäre <strong>de</strong>r Kirche und ihren Vertretern ernstlich darum zu tun, das<br />

Böse Im Ju<strong>de</strong>ntum zu bekämpfen, ja vermöchten sie das, müßten<br />

sie sich zur Presse als <strong>so</strong>lcher, <strong>de</strong>ren Wesen Kraus in <strong>de</strong>r »Neuen<br />

Freien Presse« verkörpert sieht, ganz an<strong>de</strong>rs verhalten; eben <strong>so</strong>,<br />

wie Kraus sich zur »Neuen Freien Presse« verhält. Denn das ist<br />

ein Blatt, von verfallenem Ju<strong>de</strong>ntum geschrieben, vom bösen Geist<br />

<strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>ntums, <strong>de</strong>r diese arge Welt geschaffen <strong>hat</strong>, <strong>de</strong>r sie beständig<br />

aufs neue schaffen hilft und unterhält. Die Kämpfe, die die<br />

Vertreter <strong>de</strong>r Kirche gegen eine <strong>so</strong>lche Presse führen, von <strong>de</strong>r das<br />

Publikum doch wahrlich weiß, daß sie von dieser Welt ist, sind<br />

Theaterkämpfe, durch die sie <strong>de</strong>m Publikum vortäuschen wollen,<br />

daß ihre Sache nicht von dieser Welt sei. Was aber ein im Sinne<br />

Pascals wahrer Ju<strong>de</strong> schreibt, enthält ungleich mehr vom wahren<br />

Christlichen als das Kirchenchristliche je darzutun vermag. So<br />

enthalten auch die Fackelhefte ungleich mehr vom wahren Christentum<br />

als die gesamte christliche Presse, die nur eine Begleiterscheinung<br />

<strong>de</strong>r Weltlichkeit <strong>de</strong>r Kirche ist. Wahres Christentum<br />

wird sich nie <strong>de</strong>r Presse bedienen, um sich durchzusetzen. Denn<br />

was das ewige Leben in sich trägt, buhlt nicht um die Gunst <strong>de</strong>s<br />

Tages noch <strong>de</strong>r Menge.<br />

Ich sehe mir genug. Die Kirche <strong>hat</strong> <strong>de</strong>n Menschen gefangen gesetzt<br />

und will sich ihn <strong>so</strong> mit allen Mitteln erhalten. Die Presse erstrebt<br />

dasselbe. Und da bei<strong>de</strong> von dieser Welt sind, gehen nun<br />

1 Und die Floskel vom »Martyrium <strong>de</strong>r Neutralität«, während die Bischöfe die Waffnen segneten.<br />

Näheres bei Karlheinz Deschner »Die Politik <strong>de</strong>r Päpste« ISBN 978-3-86569-116-3<br />

36


ei<strong>de</strong> darauf aus, <strong>de</strong>m Menschen alle Ausgänge zu verschließen,<br />

die aus dieser Welt herausführen, in<strong>de</strong>m sie immerzu ein Neuordnen<strong>de</strong>s<br />

hereinbringen, an das sich <strong>de</strong>r Mensch verlieren <strong>so</strong>ll, um<br />

nicht mehr zu sich selber zu fin<strong>de</strong>n. So brauchen sie ihn, um ihn<br />

handhaben zu können für ihr falsches Ansehen, für ihre falsche<br />

Position, doch für ihr richtiges Einkommen.<br />

Und fin<strong>de</strong>t man in <strong>de</strong>r »christlichen« Presse eine allzuarge Abscheulichkeit<br />

wie das Vorgehen gegen Kraus, und forscht man<br />

daraufhin nach <strong>de</strong>m Urheber und sagt sich, daß diese »christliche«<br />

Politik doch auf Rechnung jeher zu setzen ist, <strong>de</strong>nen es obliegt,<br />

die Menschheit über Christentum zu belehren, und daß,<br />

wenn diese aus <strong>de</strong>m Christentum Politik machen, die Verantwortung<br />

hierfür doch auf die Kirche fallen muß, die <strong>so</strong>lche Leute als<br />

ihre Vertreter dul<strong>de</strong>t, und sucht man nun diese verantwortungsbereite<br />

Kirche, <strong>so</strong> fin<strong>de</strong>t man sie nirgends, wo immer man sucht;<br />

aber die <strong>Er</strong>kenntnis wird einem, daß auch diese Kirche gleich <strong>de</strong>r<br />

Presse eine »anonyme, vollkommen verantwortungslose, nicht<br />

faßbare Massenmacht« ist.<br />

Und kann man nicht verstehen, wie Kraus die Häupter einer<br />

»christlichen« Bevölkerung <strong>so</strong> sehr gegen sich aufbringen konnte,<br />

daß Leute in abhängiger Stellung es nicht mehr wagen durften,<br />

sich irgendwie mit ihm einzulassen, muß man sich seiner wie<strong>de</strong>rum<br />

als eines wahren Ju<strong>de</strong>n besinnen, an <strong>de</strong>m das wahre Christliche<br />

<strong>de</strong>m Kirchenchristlichen gegenüber allzu störend hervortritt.<br />

Dann <strong>hat</strong> man wirklich einen analogen Fall — wenn auch in weit<br />

höherem Maße — im Verhalten Christi zu <strong>de</strong>n Vertretern <strong>de</strong>s jüdischen<br />

Gesetzes, die Christus mit seiner das Gesetz erfüllen<strong>de</strong>n Art<br />

<strong>so</strong> gegen sich aufbrachte, daß sie, wie Kierkegaard berichtet, je<strong>de</strong>n,<br />

»<strong>de</strong>r sich mit seinem Zeitgenossen Christus einließ«, zum<br />

min<strong>de</strong>sten mit <strong>de</strong>m Ausschluß aus <strong>de</strong>r Synagoge bestraften.<br />

Und fragt man sich, wie es kommt, daß gera<strong>de</strong> diese »Christen«,<br />

diese »christliche« Menschheit, im Großen und Ganzen ein <strong>so</strong><br />

grundverdorbenes Pack ist, wird einem aus <strong>de</strong>m Evangelium al<strong>so</strong><br />

die Antwort: »Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr<br />

Heuchler, die ihr Land und Wasser umziehet, um einen Ju<strong>de</strong>ngenossen<br />

zu machen; und wenn er's wor<strong>de</strong>n ist, macht ihr aus ihm<br />

ein Kind <strong>de</strong>r Hölle, zwiefältig mehr, <strong>de</strong>nn ihr seid!« Natürlich muß<br />

es statt »Ju<strong>de</strong>ngenossen« heute »Christengenossen« heißen, da<br />

sich unsere Schriftgelehrten und Pharisäer, al<strong>so</strong> Kirche und Presse,<br />

nicht mehr auf das Alte, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn auf das Neue Testament stützen,<br />

um sich in <strong>de</strong>n Besitz dieser Welt zu setzen. Aber mit <strong>de</strong>m Besitz<br />

dieser Welt besitzt man noch nicht <strong>de</strong>n Menschen, in <strong>de</strong>n von<br />

jeher etwas gelegt ist, das stärker ist als diese Welt und das immer<br />

wie<strong>de</strong>r zum Vorschein kommt, oft gera<strong>de</strong> dann, wenn sich<br />

<strong>de</strong>ssen diese Welt — und mit ihr Kirche und Presse — am wenigsten<br />

versieht.<br />

Die zunehmen<strong>de</strong> Verständigung zwischen Kirche und Presse <strong>de</strong>utet<br />

an, daß bei<strong>de</strong> Mächte, <strong>de</strong>ren Weiterexistenz auch heute noch<br />

die beste Gewähr für die Fortdauer <strong>de</strong>s Weltkrieges bietet, sich<br />

ernstlich bedroht fühlen müssen. Vielleicht kommt es noch zu einem<br />

förmlichen Schutz— und Trutzbündnis zwischen ihnen. Kirche<br />

und Presse, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Hort <strong>de</strong>r falschen Schriftgelehrten und<br />

37


<strong>de</strong>r Hort <strong>de</strong>r echten Pharisäer, gehören wohl auch zusammen in<br />

einer Zeit, <strong>de</strong>ren ganze Schwere und Zerrissenheit <strong>de</strong>r Hauptsache<br />

nach <strong>de</strong>m Wirken dieser Mächte zuzuschreiben ist. So fin<strong>de</strong>n<br />

nun zwei zusammen die gemeinsame Schuld zusammengeführt<br />

<strong>hat</strong>.<br />

— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —<br />

Dennoch gelang es gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n »Christen«, als <strong>de</strong>n Sprößlingen einer<br />

»christlichen« Welt, die eine Schöpfung <strong>de</strong>r Kirche ist, die<br />

Gottesvorstellung mit <strong>de</strong>r Vorstellung von Fortschritt <strong>so</strong> in Verbindung<br />

zu bringen, daß sie je<strong>de</strong>n Fortschritt, selbst <strong>de</strong>n Fortschritt<br />

zum Weltkrieg, zum größten Sün<strong>de</strong>nfall <strong>de</strong>r Menschheit, »mit<br />

Gott« aufnehmen und betätigen konnten. In wahrlich religiöser<br />

Wallung <strong>so</strong>lchem Zeitgeschehen gegenüber sagt Karl Kraus in seinem<br />

Gedicht »In perpetuam rei memoriam«:<br />

Die auferstan<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m Sün<strong>de</strong>nfalle<br />

nach tausend Jahren,<br />

sie <strong>so</strong>llen es erfahren:<br />

Die Beter waren, waren Töter alle!<br />

Herr ihrer Schaaren!<br />

Sie führten dies und das im Schil<strong>de</strong><br />

und schufen dich nach ihrem Ebenbil<strong>de</strong><br />

mit Haut und Haaren.<br />

Und nun Welt, fahr wohl! Da stehst mir viel zu fern, als daß ich dir<br />

gram sein könnte. Was habe ich noch zu schaffen mit <strong>de</strong>inem menschenmor<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Christentum, das, wo es ganz Kirchentum gewor<strong>de</strong>n<br />

ist, das Menschendasein eingehen läßt.<br />

Die 'Wiener Stimmen' fragen:<br />

* * *<br />

ER WILL MIT?<br />

in <strong>de</strong>r Märznummer seiner »Fackel« macht Karl Kraus folgen<strong>de</strong><br />

Ankündigung:<br />

Welt, wie starrst du doch vor Lanzen,<br />

Und willst noch auf Gräbern tanzen,<br />

Nein, da schnür ich meinen Ranzen,<br />

Denn das halt ich nicht mehr aus!<br />

Sollte dies be<strong>de</strong>uten, das K. Kraus das von Ihm <strong>so</strong> beharrlich geschmähte<br />

Wien mit <strong>de</strong>m nächsten <strong>de</strong>r nunmehr vom Völkerbundrate<br />

gestatteten Ostju<strong>de</strong>nexporte zu verlassen ge<strong>de</strong>nkt? Nein,<br />

was über uns Wiener alles hereinbricht<br />

Die Reichspost, be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rs in ihrer Abendausgabe eine <strong>de</strong>r stärksten satirischen<br />

Kräfte unter <strong>de</strong>m Manhartsberg, <strong>hat</strong> leicht re<strong>de</strong>n. Natürlich möchte<br />

ich nicht nur einer Welt <strong>de</strong>n Rücken kehren, die von Lanzen, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn zumal<br />

einer <strong>so</strong>lchen, die von Zeitungen starrt und die sie mir <strong>de</strong>shalb »vor« Lanzen<br />

starren läßt, in<strong>de</strong>m sie eben <strong>de</strong>r Meinung ist, daß man nur von Schmutz zu<br />

starren habe. Al<strong>so</strong> nicht bloß einer Welt, <strong>de</strong>ren Schlächter Ehrendoktoren <strong>de</strong>r<br />

Philo<strong>so</strong>phie sind, <strong>de</strong>ren Mordwaffen von <strong>de</strong>r Kirche gesegnet wur<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r<br />

eigentlich jener Abschiedsruf gegolten <strong>hat</strong>, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn vor allem einer Stadt, in<br />

welcher es die Reichspost gibt, <strong>de</strong>r <strong>so</strong>lches wohlgefällt. Daß Wien bei seinem<br />

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Überfluß an geistigen Potenzen und da ihm namentlich die Wiener Stimmen<br />

erhalten bleiben, nicht viel verlieren wür<strong>de</strong>, ist mehr als wahrscheinlich. Es<br />

<strong>hat</strong> da für die Satire Ci. F., <strong>de</strong>r mit seiner blitzartigen Beweglichkeit und mit<br />

<strong>de</strong>r ihm schon zur zweiten Natur gewor<strong>de</strong>nen Fähigkeit, lachend die Wahrheit<br />

zu sagen, gera<strong>de</strong>zu an Masai<strong>de</strong>k heranreicht, aber vielfach auch an Schnidibumpfl<br />

gemahnt. Die knappe Form <strong>de</strong>s Zweizeilers virtuos beherrschend,<br />

schießt er seine Pointen ab, jedoch nicht ohne die Vorsichtsmaßregel, dort für<br />

alle Fälle einen Gedankenstrich anzubringen, wo er ausholt, um <strong>de</strong>n Vogel auf<br />

<strong>de</strong>n Kopf zu treffen. Dieser Gedankenstrich dient <strong>de</strong>m Zwecke, <strong>de</strong>n Leser <strong>de</strong>r<br />

Reichspost auf die Überraschung, die ihm bevorsteht, vorzubereiten, wodurch<br />

die ihm zugedachte Feinheit, die ihm <strong>so</strong>nst entgehen könnte, womöglich noch<br />

kostbarer wird. Cl. F. versteht es durch diesen Kunstgriff meisterlich, die<br />

Spannung zu erhöhen. Schon das äußere Bild seiner von <strong>so</strong>lchen Pfeilen<br />

durchschwirrten Kolumnen läßt ihn als eines <strong>de</strong>r ursprünglichsten und fruchtbarsten<br />

Temperamente erscheinen, das sich verschwen<strong>de</strong>t, ohne sich auszugeben.<br />

Nur um eine ungefähre Vorstellung von dieser Eigenart zu vermitteln,<br />

ohne natürlich <strong>de</strong>n Anspruch zu erheben, ihren Schwung nachbil<strong>de</strong>n zu können,<br />

wür<strong>de</strong> ich <strong>de</strong>n Typus seines Witzes <strong>so</strong> darstellen:<br />

Überall sieht man jetzt die Leut von <strong>de</strong>r gewissen Rasse — Sie<br />

fahren aber nicht in <strong>de</strong>r dritten, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r — ersten Klasse.<br />

O<strong>de</strong>r:<br />

Der Moische <strong>hat</strong> früher einmal <strong>gehabt</strong> die Laus —<br />

Jetzt aber <strong>hat</strong> er schon — ein Haus.<br />

Wie man gleich sehen wird, reichen diese Versuche beiweitem nicht an<br />

— das Original heran:<br />

Preist was an man heut' als Frie<strong>de</strong>nswar':<br />

Gibts dreifache — Kriegspreise das ist klar!<br />

Im Urtext sind natürlich nicht die Worte »was an man heut'« gesperrt,<br />

<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn zur <strong>Er</strong>leichterung <strong>de</strong>s Verständnisses die Frie<strong>de</strong>nswar' und die<br />

Kriegspreise, ein unscheinbarer Trick, um nachzuhelfen und <strong>de</strong>n Leser auf<br />

<strong>de</strong>n beabsichtigten Kontrast von vornherein aufmerksam zu machen.<br />

Das Legitimitätsprinzip in <strong>de</strong>r Republik<br />

Ist das — Schiebertum in <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>nclique!<br />

<strong>Er</strong>staunlich ist die Sparsamkeit <strong>de</strong>r Mittel, <strong>de</strong>r Verzicht auf Gänsefüßchen<br />

und Fragezeichen bei »Legitimitätsprinzip«. Ich habe mir von einem<br />

starken Polemiker aus <strong>de</strong>r 'Staatswehr' <strong>de</strong>n Satz aufgehoben:<br />

Auf allen Pfa<strong>de</strong>n begegnen wir diesem »Segen« (?) <strong>de</strong>r Unordnung<br />

in <strong>de</strong>r Republik.<br />

Das ist von großer Eindringlichkeit, aber eben nicht künstlerisch gestaltet.<br />

Hier fehlt wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r wohltuen<strong>de</strong> Gedankenstrich. Der Satiriker hingegen<br />

begnügt sich mit diesem und einem Rufzeichen. Der Gedankenstrich kommt<br />

noch <strong>de</strong>r unverkennbaren Distanz zwischen <strong>de</strong>m Schiebertum und <strong>de</strong>m Legitimitätsprinzip<br />

zustatten, wobei freilich die Gefahr besteht, daß er mehr <strong>de</strong>n<br />

Gegensatz zu <strong>de</strong>m Schiebertum, das sich hinter <strong>de</strong>m Legitimitätsprinzip in<br />

<strong>de</strong>r Monarchie verborgen <strong>hat</strong>, an<strong>de</strong>uten wollte (<strong>Er</strong>zherzogin Maria Theresia<br />

mit Zucker, die Parmas mit Kaffee), <strong>so</strong> daß die Kontrastwirkung ohne ihn eigentlich<br />

reiner wäre. In dieser Richtung scheint auch das folgen<strong>de</strong> Aperçu gewagt:<br />

»Der Dumme <strong>hat</strong> das Glück!« Da wir's brachten <strong>so</strong> weit,<br />

ist die — Austria sicher sehr gescheit !<br />

Hier besteht wie<strong>de</strong>r die Gefahr, daß die Verblüffung eben darin liegen<br />

könnte, daß die Austria, <strong>de</strong>r mans doch zuallerletzt zugetraut hätte, sehr ge-<br />

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scheit ist, zumal da ja das Glück, das die Austria <strong>so</strong>nst <strong>hat</strong>te, in jenem Spruch<br />

überliefert ist, <strong>de</strong>r das Kriegführen <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn überläßt, während Österreich<br />

sich mehr durch Habsburgerheiraten vermehren <strong>so</strong>ll. Weil sichs eben die Austria<br />

einmal überlegt, nämlich alles reiflich wenn auch verkehrt erwogen <strong>hat</strong>,<br />

<strong>so</strong> ist ihr zwar <strong>de</strong>r Beweis gegen ihr sprichwörtliches Glück, aber keineswegs<br />

<strong>de</strong>r gegen ihre sprichwörtliche Dummheit gelungen. Hier <strong>hat</strong> al<strong>so</strong> <strong>de</strong>r Satiriker<br />

übers Ziel geschossen, direkt ins Schwarz—gelbe, und eigentlich die Interessen<br />

verletzt, die zu hüten er berufen ist. Ein Fall aber, wo er um <strong>de</strong>r<br />

krassesten Miß<strong>de</strong>utung vorzubeugen, <strong>so</strong>gar zu Gänsefüßchen greifen muß, ist<br />

dieser:<br />

Von jeher waren die Roten<br />

Die besten — Ententepatrioten!<br />

Wem danken sie, was sie sind im Land?<br />

Nur <strong>de</strong>r — »Gottlob« — siegreichen Entente!<br />

Man kann sich <strong>de</strong>nken, was Gottbehüte ohne Anführungszeichen herausgekommen<br />

wäre. Schlicht, doch von einleuchten<strong>de</strong>r Klarheit ist die folgen<strong>de</strong><br />

<strong>Er</strong>kenntnis:<br />

Dem guten Namen zieht die Welt<br />

Heut meistens vor: das — bessere Geld!<br />

Das aber doch hinreichend entwertet ist, um von ihr für <strong>so</strong>lch gol<strong>de</strong>ne<br />

Worte eingetauscht zu wer<strong>de</strong>n. Eben <strong>de</strong>m Gedanken, daß wir in einer Zeit<br />

fortschreiten<strong>de</strong>r Teuerung leben, wird ja Cl. F. mit mancher bittern Wahrheit<br />

gerecht. Wie schnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Hohn klingt <strong>de</strong>r Stoßseufzer seiner Frage, auf die<br />

es nach irdischem <strong>Er</strong>messen schier keine Antwort gibt:<br />

Wie lang noch muß man sich gedul<strong>de</strong>n,<br />

Bis es wie<strong>de</strong>r — Knö<strong>de</strong>l gibt für einen Gul<strong>de</strong>n?<br />

Cl. F. <strong>de</strong>r nicht wie gewisse an<strong>de</strong>re Satiriker immer nur zerstören, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn<br />

auch aufbauen möchte, ist zwar Pessimist, aber er wünscht das Gute.<br />

Ohne je<strong>de</strong> Beziehung auf die vielfachen Übel <strong>de</strong>r Zeit scheint <strong>de</strong>r Stachelvers<br />

zu sein:<br />

Blieb ein Sokrates von seiner Xanthippe verschont,<br />

Hätt' sich nicht <strong>so</strong> — erweitert sein Horizont!<br />

Je<strong>de</strong>nfalls ein Beispiel dafür, wie <strong>de</strong>r Gedankenstrich förmlich auf <strong>de</strong>n<br />

Nacken weist, wo <strong>de</strong>r Schalk sitzt. — So ist Cl. F., <strong>de</strong>r im Anhang <strong>de</strong>s Schönpflugschen<br />

Weltbil<strong>de</strong>s wohl die Beruhigung zuläßt, daß einer Bevölkerung,<br />

<strong>de</strong>r <strong>so</strong> etwas dreimal in <strong>de</strong>r Woche zuteil wird, bei meinem Abschied nicht<br />

bange sein muß. Und dazu erfüllt sich ihr das literaturgeschichtliche Wort,<br />

das <strong>de</strong>n Stolz bekun<strong>de</strong>t, zwei <strong>so</strong>lche Kerle zu haben: <strong>de</strong>nn es gibt auch Oha,<br />

<strong>de</strong>r Schulter an Schulter mit jenem die Sitten <strong>de</strong>r Republik geißelt, vielleicht<br />

nicht ganz mit <strong>de</strong>r philo<strong>so</strong>phischen Überlegenheit, aber dafür mit einer ätzen<strong>de</strong>n<br />

Schärfe, die <strong>de</strong>n Nagel abschießt. Olla handhabt nicht wie Cl. F. <strong>de</strong>n<br />

Vers, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn die — Prosa; <strong>so</strong>nst hätten sie sich schon zu — Xenien vereinigt.<br />

Oha <strong>hat</strong> immer etwas zu sagen. <strong>Er</strong> weiß <strong>de</strong>n Dingen eine Seite abzugewinnen,<br />

oft <strong>de</strong>n kleinen Dingen eine große Seite. <strong>Er</strong> ist Skeptiker. In seinem Witz erscheinen<br />

Tiefsinn und Grazie zu einer spielerischen Form gepaart, die vielfach<br />

an Spadifankerl gemahnt. Sein Frohsinn knüpft wie<strong>de</strong>r an jene große<br />

Tradition an, nach <strong>de</strong>r auf Seefahrten <strong>de</strong>s Männergesangvereins bei <strong>de</strong>r »Anrufung<br />

<strong>de</strong>s heiligen Ulrich« sich zugleich <strong>de</strong>r gemütvolle Spott und die tiefe<br />

Gläubigkeit <strong>de</strong>s bajuvarischen Volksstammes zu betätigen pflegte. Es ist <strong>de</strong>r<br />

spezifische Humor <strong>de</strong>r Wiener Stimmen, <strong>de</strong>r etwa mit einer »Peperl Marandanna«<br />

korrespondiert und gera<strong>de</strong> dort, wo man sich's am wenigsten versieht,<br />

»Ramatama« sagt. Daß daneben auch die ganz an<strong>de</strong>rsgearteten Laute<br />

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unserer — Kohnnationalen zu verdienter »Geltung« (?) kommen, versteht sich<br />

von selbst. Eitles <strong>de</strong>r populärsten Motive Ohas sind die Zwiegespräche zwischen<br />

<strong>de</strong>m »Datteleben« und <strong>de</strong>m »Moritzche«, die einfach zum Kugeln sind.<br />

Annähernd, aber ohne die Prägnanz <strong>de</strong>s Originals erreichen zu können, möchte<br />

ich ein Beispiel seiner Art in folgen<strong>de</strong>m Bonmot geben:<br />

»Datteleben, was is das e Schieber?« »Einer von unsere Leut, Moritzche!«<br />

Wenn Oha in Paris lebte, wäre ihm ein Klosett in <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie sicher.<br />

Es ist al<strong>so</strong> durchaus begreiflich, daß die Reichspost, gestützt auf <strong>so</strong>lche Kräfte,<br />

bei <strong>de</strong>ren Darbietungen ich leibhaftige Wiener habe schmunzeln sehen und<br />

die selbst <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Nationalversammlung die Sitzungen — in <strong>de</strong>r<br />

Nationalversammlung — verkürzen <strong>so</strong>llen, <strong>de</strong>n Verlust <strong>de</strong>r Fackel leicht hinnehmen<br />

wür<strong>de</strong>, ja daß ihr die Vorstellung, Wien, das von mir <strong>so</strong> beharrlich geschmähte,<br />

könnte meinen Abgang beklagen, einen Lacher kostet. Wer wür<strong>de</strong><br />

auch bezweifeln, daß <strong>de</strong>r Anschluß <strong>de</strong>s »liebeglühendsten Menschenfreun<strong>de</strong>s,<br />

an <strong>de</strong>m viele nur seinen Haß gegen alle Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> gewahr<br />

wer<strong>de</strong>n«, an einen Transport von Ostju<strong>de</strong>n schon aus <strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong> kein Verlust.<br />

für die Reichspost wäre, weil ich eben, seit<strong>de</strong>m jene Meinung von ihr<br />

vertreten wur<strong>de</strong> und bis zu <strong>de</strong>m Tage, wo sie mich einen »narrischen Hiasl«<br />

nannte, die Bemühungen <strong>de</strong>r Reichspost zum Schutze <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong><br />

gegen die Kriegsmacht unausgesetzt verkannt habe. Nach meinem ersten Auftreten<br />

gegen diese — im November 1914 — konnte die Reichspost es noch für<br />

ihre Pflicht halten, von <strong>de</strong>m »begeisterten Beifall« Notiz zu nehmen, <strong>de</strong>r »<strong>de</strong>shalb<br />

ins Gewicht fällt, weil sich hier offenkundig bisher frem<strong>de</strong> Kreise zu<br />

Kraus bekannten«, während sie heute mehr <strong>de</strong>r Ansicht zuneigt, daß dieser<br />

mit ihr, <strong>de</strong>r Reichspost, »anban<strong>de</strong>ln möchte, vermutlich um durch ihre gefällige<br />

Mitwirkung seinen Namen in Kreise tragen zu können, die außerhalb seiner<br />

Reichweite ('Riechweite' ist möglicherweise ein Druckfehler, ergänzt sie<br />

schalkhaft) liegen«. Damals erkannte sie ganz richtig, daß in meiner Re<strong>de</strong> gegen<br />

<strong>de</strong>n Krieg »all die niedrige Schmierigkeit dieser großen Zeit endlich zur<br />

herbeigesehnten Aussprache kommt«, meinte, ohne an einen Ostju<strong>de</strong>ntransport<br />

auch nur zu <strong>de</strong>nken, daß es mir gelungen sei, ein Liliencronsches Gedicht<br />

('Abschied'), »<strong>de</strong>n Inbegriff <strong>de</strong>utscher Wehmut und Lieblichkeit zu warmem,<br />

quellen<strong>de</strong>m Leben, Bibelworte zu »gewaltiger Wirkung« zu bringen,<br />

und sah »<strong>de</strong>n großen Gewinn <strong>de</strong>s Abends nicht bloß in <strong>de</strong>m erfreulichen Reinertrag<br />

für die Invali<strong>de</strong>n, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn vor allem darin, daß sich im Sturm <strong>de</strong>r Tage<br />

<strong>de</strong>rjenige Gehör zu verschaffen wußte, <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>m Kommen einer neuen, würdigeren<br />

Zeit nicht eben das kleinste Verdienst trägt und <strong>de</strong>r schmerzliche<br />

Sehnsucht litt nach ihrem Kommen«. Daß nunmehr Wien <strong>so</strong> wenig an mir verlieren<br />

wür<strong>de</strong>, erklärt sich daraus, daß ich Wiens besten Besitz, seine christliche<br />

Presse, von <strong>de</strong>m Tage an als einen eben<strong>so</strong>lchen Pofel wie seine jüdische<br />

Presse und mit <strong>de</strong>r gleichen Entschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>klariert habe, als <strong>de</strong>m von keinem<br />

Kompliment ablenkbaren Blick sich ihr tägliches Scherflein zur niedrigen<br />

Schmierigkeit dieser großen Zeit darbot. Die Vorkriegshymnen <strong>de</strong>r<br />

Reichspost, über die sie nun mittels <strong>de</strong>s Zugeständnisses, ich hätte »nebbich<br />

auch etliche ganz nette und ersprießliche Sachen geschrieben«, hinüber zu<br />

kommen versucht, sind bei weitem eher durch <strong>de</strong>n Umstand erklärt, daß ich<br />

bis zum Krieg das journalistische Christentum zwar stets für eine anwi<strong>de</strong>rn<strong>de</strong><br />

<strong>Er</strong>scheinung, aber infolge selbstmör<strong>de</strong>rischer Talentlosigkeit für keine ernstzunehmen<strong>de</strong><br />

Konkurrenz <strong>de</strong>r jüdischen Presse gehalten habe, weil eben Kreuzelschreiber,<br />

wenn sie es noch <strong>so</strong> schlecht meinen, nicht <strong>so</strong> gefährlich sind<br />

wie Journalisten, die es ausdrücken können. Ich glaube nicht, daß ich mein<br />

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Urteil über jene <strong>so</strong> wesentlich geän<strong>de</strong>rt habe wie sie über mich, ich wür<strong>de</strong><br />

aber <strong>de</strong>n Humor dieser <strong>de</strong>n besten jüdischen Vorbil<strong>de</strong>rn abgelauschten Wandlungsfähigkeit<br />

erst dann voll auszuschöpfen bemüßigt sein, wenn Kasma<strong>de</strong>r,<br />

<strong>de</strong>ssen Können noch immer nicht seiner Perfidie gewachsen ist und <strong>de</strong>ssen<br />

satirische Ambition mich je<strong>de</strong>smal an eine Annonce »Steirer macht letzten<br />

Versuch« erinnert, fortfahren <strong>so</strong>llte, in meine Riechweite zu streben. Wenn<br />

etwa ein Analphabetentum, das <strong>de</strong>n Druckfehlerteufel nicht an die Wand malen<br />

<strong>so</strong>llte, da es ihm, unersättlich nach Ohas, wirklich passiert ist, einen Einsen<strong>de</strong>r<br />

zu »treffen<strong>de</strong>n, aktuellen, kürzen Zeitgedichten, Sinnsprüchen, Satieren«<br />

zu ermuntern, sich noch einmal erfrechen wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>shalb weil ich in <strong>de</strong>r<br />

Frie<strong>de</strong>nswelt gegen die ästhetische Pein <strong>de</strong>s geistigen Greislertums bei aller<br />

Mißachtung nicht <strong>so</strong> heftig reagieren konnte wie gegen das Kulturgift <strong>de</strong>r<br />

großen Preßgeschäfte, von »Anbie<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Zornes wie <strong>de</strong>r Liebe« zu re<strong>de</strong>n.<br />

Gewiß, wenn man das, was in <strong>de</strong>n Fackeljahrgängen gegen die jüdische<br />

Presse gesagt ist, mit <strong>de</strong>n Läppereien <strong>de</strong>s Antisemitismus vergleicht, <strong>so</strong> könnte<br />

dieser in einer Anwandlung von Größenwahn mich als Bun<strong>de</strong>sgenossen reklamieren.<br />

Aber das in eben jenen Jahrgängen gegen die Preßchristen Gesagte<br />

konnte, losgelöst von <strong>de</strong>m wichtigeren Kampfe, beiweitem hinlangen, um<br />

selbst <strong>de</strong>n dümmsten Kerl von Wien, eben jenen, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r christlich<strong>so</strong>zialen<br />

Presse seinen Ausdruck fin<strong>de</strong>t, richtig zu orientieren. Daß die Enthusiasmen<br />

<strong>de</strong>r Reichspost für meine Vorträge von mir als persönlicher Schimpf empfun<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong>n und als dieselbe Behelligung, wie an<strong>de</strong>re Schmierereien in Lob<br />

und Ta<strong>de</strong>l, die ich zur Darstellung <strong>de</strong>r publizistischen Reichweite <strong>de</strong>r Fackel<br />

zitiert habe, läßt sich beweisen. Keiner an<strong>de</strong>ren Anbie<strong>de</strong>rung bin ich mir weiß<br />

Gott bewußt als <strong>de</strong>r christlichen <strong>Er</strong>gebung in diese Pein, von <strong>de</strong>r ich <strong>so</strong>gar gestehe,<br />

daß sie einem politisch zugerichteten Urteil erlaubt <strong>hat</strong>, das polemische<br />

Bild <strong>de</strong>r Fackel noch mehr zu verzerren als es schon von dummheitswegen<br />

geschah — nur nicht <strong>de</strong>r christlich<strong>so</strong>zialen Journalistik, die bei aller<br />

Wehrlosigkeit vor <strong>de</strong>r Lüge nicht behaupten dürfte, daß es in fünfzehn Jahren<br />

zwischen mir und ihr irgen<strong>de</strong>twas von einer Verbindung o<strong>de</strong>r Verständigung<br />

gegeben <strong>hat</strong>. Nein, dieses Verhältnis war <strong>so</strong> wenig vorhan<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>r<br />

Wunsch, nicht unter <strong>de</strong>n Lin<strong>de</strong>n gegrüßt zu wer<strong>de</strong>n, schon wegen <strong>de</strong>r Un<strong>de</strong>nkbarkeit<br />

einer persönlichen Bekanntschaft unterdrückt wer<strong>de</strong>n mußte.<br />

Wie? Weil es mir gewährt war, die Schöpfung eines we<strong>de</strong>r jüdischen noch<br />

christlich<strong>so</strong>zialen Gottes <strong>so</strong> zu betrachten, daß mir ihr Geistiges über <strong>de</strong>n trügerischen<br />

Werten <strong>de</strong>r Intelligenz stand, hätte ich die Partei <strong>de</strong>r Unintelligenz<br />

genommen? Was mit unbeschreiblicher, aber doch schreibbarer Flachheit und<br />

Roheit, oft aus <strong>de</strong>m Neid um das Weltgeschäft, nie aus <strong>de</strong>m innern Drang<br />

nach Wahrheit <strong>de</strong>n Mächten wi<strong>de</strong>rstrebte, wi<strong>de</strong>r sie strebte, die mir das Wesentliche<br />

zu bedrohen schienen — das hätte mir höhere Achtung eingeflößt<br />

als die vor <strong>de</strong>m Hausknecht, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Einbrecher fertig wer<strong>de</strong>n <strong>so</strong>ll? Bin<br />

ich ihm, wo es ihm sichtbar mißlang, meinen Ta<strong>de</strong>l schuldig geblieben und wo<br />

er verdächtig war, selbst einbrechen zu wollen, meine Verachtung? Und als er<br />

Verwirrung stiftete, um es endlich zu vollbringen, in Kompagnie mit jenem,<br />

meinen Zorn? Wo gäbs da Schein und Sc<strong>hat</strong>ten einer Sympathie? Und weil ich<br />

ein schmerzliches Ohr für <strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>rlichsten Weltton habe, <strong>so</strong>llte es <strong>de</strong>m gräßlichsten<br />

Geräusch einer Stadt verschlossen sein? Und nicht daß Wiener Stimmen<br />

lauter wur<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Grund meines Mißbehagens, <strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn eine Entschließung,<br />

eine politische Wendung, ein Gesinnungswechsel, ein Gelüste in die<br />

Machtregion, <strong>de</strong>ssen die Tölpel mich für fähig halten? Nein, bloß die hoffnungslose<br />

Stupidität, die sich selbst nicht verantwortlich weiß für das was sie<br />

druckt und die nie lernen wird, <strong>de</strong>n rechten Gebrauch von ihrer Tücke zu ma-<br />

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chen, weil sie über das Talent <strong>de</strong>s jüdischen Journalismus nun einmal nicht<br />

verfügt, kann sich bei <strong>de</strong>m Versuch unertappt wähnen, die mit Fußtritten gelohnte<br />

Begeisterung für mich als meine Anbie<strong>de</strong>rung hinzustellen und, weil<br />

ich undankbar bin, nicht zu folgern, ich hätte die Wohltat als Plage empfun<strong>de</strong>n,<br />

<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rn erstrebt. Ich hoffe, daß Spru<strong>de</strong>lgeister, gegen die ja schließlich<br />

doch <strong>de</strong>r Autor eines Postbüchels ein Cervantes ist, nunmehr auch Steirers<br />

letzten Versuch aufgeben wer<strong>de</strong>n; daß es nicht nötig sein wird, in diese Verhältnisse<br />

tiefer einzudringen und auf das Zeugnis von Männern zu greifen, die<br />

wie Lammasch gewiß <strong>de</strong>r christlich<strong>so</strong>zialen Presse näherstan<strong>de</strong>n als ich und<br />

doch gleich mir <strong>de</strong>n Zeitpunkt wahrgenommen haben, sie zu verabscheuen,<br />

als sie sich, bis dahin bloß ein Papierverlust, als Pest <strong>de</strong>r Welt zu empfehlen<br />

begann — unzweifelhafte Christen, die diese Mischung von Weihrauch und<br />

Giftgas, diese Frömmigkeit im Zeichen <strong>de</strong>s Gelbkreuzes noch gefährlicher fan<strong>de</strong>n<br />

als das signifizierte Gift <strong>de</strong>s Kommerzgeistes und keine Be<strong>de</strong>nken trugen,<br />

sich die von einem Völkergerichtshof zu verhängen<strong>de</strong> Strafe für die Rä<strong>de</strong>lsführer<br />

— Schulter an Schulter mit <strong>de</strong>n jüdischen Zeitungsmachern — vorzustellen.<br />

Was meinen Abschied von Wien anlangt, <strong>so</strong> mag er <strong>de</strong>r Reichspost<br />

gewiß leichter fallen als <strong>de</strong>r von ihrem Karl. Ich entferne mich, nach<strong>de</strong>m ich<br />

mich überzeugt habe, daß ihr Dasein <strong>de</strong>r Nation eine schwere und unerträgliche<br />

Prüfung auferlegen wür<strong>de</strong>, und dies auf die Dauer mitanzusehn vor meinem<br />

Gewissen nicht verantworten könnte, da je<strong>de</strong>r Augenblick <strong>de</strong>r Anwesenheit<br />

im heißgeliebten Vaterland unerträgliche Lei<strong>de</strong>n be<strong>de</strong>utet und ich die<br />

Stimme <strong>de</strong>s Blutes nicht mehr hören kann. Ich wer<strong>de</strong> zurückkehren, wenn ich<br />

überzeugt bin, daß in <strong>de</strong>m schwergeprüften Land bereits Ordnung gemacht<br />

ist. Und während an<strong>de</strong>re Auswan<strong>de</strong>rer bloß versprechen, fern von <strong>de</strong>r Heimat<br />

ihr, wenn nötig, ihr Blut. zu widmen, bin ich ihr, <strong>so</strong>lange ich da bin, und weil<br />

es nötig ist, noch ganz an<strong>de</strong>re Leistungen schuldig. Über <strong>de</strong>n geistigen Besitz,<br />

<strong>de</strong>n sie verliert, wenn ich sie verlasse, und <strong>de</strong>n sie behält, weil ihr die<br />

Reichspost bleibt, wer<strong>de</strong> ich mich mit dieser nicht auseinan<strong>de</strong>rsetzen. Nur ein<br />

Punkt wäre hoch zu bereinigen. Bereits zu Kriegsbeginn <strong>hat</strong> sie Gelegenheit<br />

<strong>gehabt</strong>, von <strong>de</strong>m erfreulichen Reinertrag einer Vorlesung für die Invali<strong>de</strong>n zu<br />

sprechen, und es einen »glücklichen Gedanken <strong>de</strong>s Komitees« genannt, »sich<br />

an Karl Kraus mit <strong>de</strong>r Bitte um För<strong>de</strong>rung zu wen<strong>de</strong>n«. Seither sind viele Jahre<br />

<strong>de</strong>s von <strong>de</strong>r Reichspost begrüßten Krieges und dann statt <strong>de</strong>s von <strong>de</strong>r<br />

Reichspost versprochenen Aufschwungs <strong>de</strong>r Seele Jahre <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

Reichspost verschul<strong>de</strong>ten Not ins Land gezogen, und ich habe noch unzählige<br />

Vorlesungen für Invali<strong>de</strong> und für hungern<strong>de</strong> Kin<strong>de</strong>r gehalten, und zu <strong>de</strong>n Unsummen,<br />

die <strong>de</strong>m »großen Zweck« vom Vorleser zugewen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n, kommen<br />

jene Spen<strong>de</strong>n, die allen möglichen Hilfswerken und be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft <strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong> »schon von aller Welt in seinem Namen zugeflossen<br />

sind, <strong>so</strong> daß wir« (schreibt diese <strong>de</strong>m Verlag <strong>de</strong>r Fackel) gerne ihm sagen<br />

möchten, wie sehr wir uns glücklich fühlen, daß sein Wort <strong>so</strong> viel Elend zu lin<strong>de</strong>rn<br />

vermochte. Das ist freilich nur die Meinung von Auslän<strong>de</strong>rn, die nicht<br />

merken, wie sehr ich auch damit Wien vor <strong>de</strong>m Inland herabsetze, in<strong>de</strong>m ich<br />

es vor <strong>de</strong>m Ausland als hilfsbedürftig erscheinen lasse, und die armen Kin<strong>de</strong>r,<br />

<strong>de</strong>nen es zugute kommt, ahnen <strong>de</strong>n Zusammenhang nicht. Da tut <strong>Er</strong>satz Not.<br />

Ich <strong>hat</strong>te meinen Anschluß an einen Ostju<strong>de</strong>ntransport in meinem Gedicht angekündigt,<br />

im Vertrauen auf das Gerücht, daß die Redaktion <strong>de</strong>r Reichspost<br />

entschlossen sei, die hierdurch entfallen<strong>de</strong>n Beträge — wenn nötig — zur<br />

Gänze zu ersetzen, wiewohl seinerzeit die Million von <strong>de</strong>r ungarischen Regierung<br />

nicht in ihre Hän<strong>de</strong> gelangt ist, aber offenbar weil sie es für ihre Pflicht<br />

hält, ein Scherflein beizutragen zur Lin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Elends nach einem Krieg,<br />

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<strong>de</strong>n sie gesegnet <strong>hat</strong>, während ich ihn doch nur verflucht habe. Sollte das Gerücht<br />

die Wahrheit sagen — wodurch es sich von <strong>de</strong>n Meldungen <strong>de</strong>r<br />

Reichspost immerhin unterschei<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong> —, <strong>so</strong> warte ich auf die ausdrückliche<br />

Zusicherung <strong>de</strong>r Reichspost, daß sie es tun und die Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong>, die<br />

ich, <strong>so</strong>lange es nötig ist, von <strong>de</strong>m <strong>Er</strong>trag meiner Vorlesungen hungern<strong>de</strong>n<br />

Wiener Kin<strong>de</strong>rn zuwen<strong>de</strong>n wollte, aus ihrer Tasche o<strong>de</strong>r, wenn nötig, aus <strong>de</strong>m<br />

<strong>Er</strong>trag von Oha—Vorlesungen zahlen wird. Dann, aber nur dann wer<strong>de</strong> ich beruhigt<br />

meinen Ranzen schnüren und das von mir <strong>so</strong> beharrlich geschmähte<br />

Wien auch <strong>de</strong>r geistigen Unterstützung durch die Reichspost überlassen!<br />

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