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Er hat so Heimweh gehabt - Welcker-online.de

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Es scheint zur Zeit in Wien keine Literaten und keine Maulschellen<br />

mehr zu geben.., Bloß polnische Ju<strong>de</strong>n. Darum traut er sich<br />

jetzt anti—arisch aufzutreten.<br />

Die Moral von <strong>de</strong>r Geschichte ist, daß wenn <strong>de</strong>r 'Miesbacher Anzeiger'<br />

wirklich dadurch, daß er von Herrn Ludwig Thoma begönnert wird, mehr als<br />

eine Angelegenheit <strong>de</strong>s Schweinekobens gewor<strong>de</strong>n ist, jener gut täte, anstatt<br />

sich auf <strong>de</strong>r Münchner Straße um meinen Gruß zu bewerben, die Hefte <strong>de</strong>s<br />

'März' zurückzuziehen, in <strong>de</strong>nen er meine Stellung im <strong>de</strong>utschen Geistesleben<br />

gegen weit min<strong>de</strong>rn Unglimpf gehütet <strong>hat</strong>. An<strong>de</strong>rnfalls, und ließe er seinen<br />

Miesbacher Anzeiger gewähren, wäre selbst eine Staatsgewalt, die gegen<br />

Morddrohungen keinen Schutz bietet, nicht imstan<strong>de</strong> zu verhin<strong>de</strong>rn, daß von<br />

ihm nichts bliebe als das Temperament, welches er mit bayrischen Sauknechten<br />

gemein hätte, aber sein Name durchgetan und seine Ehre hingerichtet<br />

wäre.<br />

* * *<br />

Carl Dallago, »Augustinus, Pascal und Kierkegaard« ('Der Brenner',<br />

Herausgeber Ludwig Ficker, Vl. Folge, Heft 9, Innsbruck):<br />

Wenn ich mich noch weiter in unserer Zeit nach Menschen, <strong>de</strong>ren<br />

Schrifttum ein Geistiges und Religiöses lebendig aufweist, umsehen<br />

will, um an ihrer <strong>Er</strong>kenntnis die eigene zu prüfen, wo fin<strong>de</strong><br />

ich sie?<br />

Doch, einer ist noch da, für <strong>de</strong>n wie geprägt zu sein scheint, was<br />

Kierkegaard einmal vom »Christen« sagt, nämlich: daß nach Gottes<br />

Gedanken ein Christ zu sein hieße »im Kampfe leben, als 'Einzelner'<br />

im Kampfe mit <strong>de</strong>m 'Geschlecht' stehen.« Karl Kraus, <strong>de</strong>n<br />

ich meine, ist nun zwar Ju<strong>de</strong>, seiner existenziellen Betätigung <strong>de</strong>s<br />

zitierten Satzes nach aber muß er ein geistiger und religiöser<br />

Mensch sein. Wie könnte er <strong>so</strong>nst auch die Kraft fin<strong>de</strong>n, Jahrzehnte<br />

hindurch, als Einzelner in beständiger Steigerung, gegen die<br />

Freveltaten eines ganzen Geschlechtes anzukämpfen? Das vermag<br />

meines <strong>Er</strong>achtens nur einer, <strong>de</strong>ssen Dasein im Grun<strong>de</strong> vom Geistigen<br />

und Religiösen gespeist wird. Was er als Satiriker be<strong>de</strong>utet,<br />

kommt hier für mich kaum in Betracht. Es erscheint auch, geistig<br />

und religiös gesehen, als kein Vorzug an Kraus, daß ihm die Sprache<br />

in <strong>de</strong>r Vollendung <strong>de</strong>s geschriebenen Wortes <strong>so</strong> viel wer<strong>de</strong>n<br />

konnte, wie sie ihm gewor<strong>de</strong>n ist. Ein Schriftsteller, <strong>de</strong>r gezwungen<br />

ist, auf <strong>de</strong>m Umweg <strong>de</strong>r Satire zu sich und seiner Bestimmung<br />

zu fin<strong>de</strong>n, was wie Belastung aussieht, scheint aber zur Entlastung<br />

eines be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>ren Sprachvermögens zu bedürfen. Mit <strong>de</strong>r<br />

<strong>Er</strong>kenntnis jedoch, daß die be<strong>so</strong>n<strong>de</strong>re sprachliche Begabung für<br />

<strong>de</strong>n Satiriker eine Notwendigkeit ist, wird geistig und religiös<br />

auch sichtbar, daß diese Notwendigkeit einem Mangel entspringen<br />

muß, für <strong>de</strong>n sein Träger als geistiger und religiöser Mensch<br />

immer wie<strong>de</strong>r zu büßen, <strong>de</strong>n er immer wie<strong>de</strong>r zu überwin<strong>de</strong>n <strong>hat</strong>.<br />

Und <strong>de</strong>n Kraus erstaunlich überwun<strong>de</strong>n <strong>hat</strong>, in<strong>de</strong>m er als Satiriker,<br />

<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Kunst <strong>de</strong>r Sprache lebt, <strong>so</strong>weit gekommen ist,<br />

daß er (in viel höherem Sinn natürlich als es vom bloßen Intellekt<br />

aus verständlich ist) die Kunst in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>s Lebens stellt, das<br />

heißt: die Kunst <strong>de</strong>m Leben untergeordnet <strong>hat</strong>, und nicht umgekehrt.<br />

— —<br />

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