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FORTSCHRITTE IN DER HIRNFORSCHUNG - Dana Foundation

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<strong>FORTSCHRITTE</strong> <strong>IN</strong> <strong>DER</strong><br />

<strong>HIRNFORSCHUNG</strong><br />

Ausgabe 2008<br />

Einleitung von Eve Marder, PhD<br />

Kunst und Kognition:<br />

Hinweise auf Beziehungen<br />

Essay von Michael S. Gazzaniga, PhD<br />

Die wachsenden Möglichkeiten<br />

der tiefen Hirnstimulation<br />

von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD


<strong>FORTSCHRITTE</strong> <strong>IN</strong> <strong>DER</strong><br />

<strong>HIRNFORSCHUNG</strong><br />

Einleitung von Eve Marder, PhD<br />

Kunst und Kognition:<br />

Hinweise auf Beziehungen<br />

Essay von Michael S. Gazzaniga, PhD<br />

Die wachsenden Möglichkeiten<br />

der tiefen Hirnstimulation<br />

von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD<br />

Ausgabe 2008


THE EUROPEAN DANA ALLIANCE<br />

FOR THE BRA<strong>IN</strong> EXECUTIVE COMMITTEE<br />

William Safire, Chairman<br />

Edward F. Rover, President<br />

Colin Blakemore, PhD, ScD, FRS, Vice Chairman<br />

Pierre J. Magistretti, MD, PhD, Vice Chairman<br />

Carlos Belmonte, MD, PhD<br />

Anders Björklund, MD, PhD<br />

Joël Bockaert, PhD<br />

Albert Gjedde, MD, FRSC<br />

Sten Grillner, MD, PhD<br />

Malgorzata Kossut, MSc, PhD<br />

Richard Morris, Dphil, FRSE, FRS<br />

Dominique Poulain, MD, DSc<br />

Wolf Singer, MD, PhD<br />

Piergiorgio Strata, MD, PhD<br />

Eva Syková, MD, PhD, DSc<br />

Executive Committee<br />

Barbara E. Gill, Executive Director<br />

Die European <strong>Dana</strong> Alliance for the Brain (EDAB) ist ein Zusammenschluss<br />

von 183 führenden Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus<br />

27 Ländern. Zu ihren Mitgliedern zählen fünf Nobelpreisträger. Die EDAB<br />

hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesellschaft auf die Bedeutung der Gehirnforschung<br />

aufmerksam zu machen. Die Organisation wurde 1997 gegründet<br />

und versteht sich als Schnittstelle zwischen der medizinischen Laborarbeit,<br />

der Forschung sowie der breiten Öffentlichkeit.<br />

Für weitere Informationen:<br />

The European <strong>Dana</strong> Alliance for the Brain<br />

Dr Béatrice Roth, PhD<br />

Centre de Neurosciences Psychiatriques<br />

Site de Cery<br />

1008 Prilly / Lausanne<br />

E-mail: Contact.Edab@hospvd.ch Deckel: Keystone


<strong>FORTSCHRITTE</strong> <strong>IN</strong> <strong>DER</strong><br />

<strong>HIRNFORSCHUNG</strong><br />

Ausgabe 2008<br />

Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen<br />

5 Einleitung<br />

von Eve Marder, PhD<br />

Präsidentin, Society for Neuroscience<br />

11 Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen<br />

von Michael S. Gazzaniga, PhD<br />

17 Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation<br />

von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD<br />

Fortschritte in der Hirnforschung im Jahr 2007<br />

25 In der Kindheit auftretende Störungen<br />

33 Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik<br />

41 Schädigungen des Nervensystems<br />

49 Neuroethik<br />

57 Neuroimmunologische Erkrankungen<br />

65 Schmerz<br />

71 Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen<br />

und Suchtkrankheiten<br />

81 Störungen der Sinnes- und Körperfunktion<br />

89 Stammzellen und Neurogenese<br />

97 Denken und Erinnern<br />

107 Referenzen<br />

117 Stelle Dir eine Welt vor...


Einleitung<br />

von Eve Marder, PhD<br />

Präsidentin, Society for Neuroscience<br />

Angesichts des vorliegenden Berichts,<br />

der neuere Erkenntnisse zusammenfasst, die<br />

unser Leben und das unserer Familien in<br />

Gegenwart und Zukunft entscheidend beeinflussen,<br />

lege ich Ihnen hier die Ansichten<br />

einer unerschrockenen und kompromisslosen<br />

Grundlagenwissenschafterin vor.<br />

Als Wissenschafterin habe ich das Privileg,<br />

mich mit den grundlegendsten Fragen der<br />

Neurowissenschaft zu befassen, etwa mit der<br />

homeostatischen Regulation (dem lebenslangen Aufrechterhalten einer<br />

stabilen neuronalen Funktion), und durfte erkennen, dass diese auch für<br />

klinische Problemstellungen, etwa im Hinblick auf Epilepsie, relevant ist 1, 2 .<br />

Gleichzeitig konnte ich als Tochter verblüfft miterleben, wie sich mein Vater<br />

von einer traumatischen Hirnverletzung erholte, die er bei einem Verkehrs -<br />

unfall erlitten hatte. Bis heute staune ich darüber, dass sich sein damals<br />

76 Jahre altes Gehirn selbst wieder so weit herstellte, dass heute niemand,<br />

der ihm sieben Jahre später erstmals begegnet, auch nur im Traum auf den<br />

Gedanken käme, dass jemals etwas derart Bedauerliches vorgefallen ist.<br />

Nichtsdestoweniger bezeugt seine Gesundung wohl mehr die ausserordentliche<br />

Fähigkeit des menschlichen Gehirns, sich von einem Insult zu<br />

erholen, sowie die chirurgische Kunst und weniger unser Wissen, wie und<br />

weshalb er völlig gesund wurde. Nichts beunruhigt einen Neurowissenschafter<br />

oder eine Neurowissenschafterin mehr, als im vollen Bewusstsein<br />

um unseren begrenzten Wissensstand miterleben zu müssen, dass eine<br />

nahe stehende Person oder ein Familienmitglied an einer Hirnverletzung<br />

oder -krankheit leidet; daher begrüsse ich alle in der vorliegenden Ausgabe<br />

beschriebenen Fortschritte.<br />

Als wissenschaftliche Forscherin an einer geisteswissenschaftlichen Hochschule<br />

gebe ich einen Kurs „Grundlagen der Neurowissenschaft“; er 5


6<br />

umfasst die gesamten Grundlagen der Neurowissenschaft und deren<br />

Anwendung bei konkreten klinischen und allgemein menschlichen Fragestellungen.<br />

Für mich als Pädagogin ist es äusserst befriedigend festzu -<br />

stellen, dass häufig ausgefallene Einzelfragen, mit denen sich die Grund -<br />

lagenwissenschaft befasst, die für das Verständnis von Krankheiten<br />

notwendigen Voraussetzungen schaffen. Angesichts der vorliegenden<br />

Sammlung von Aufsätzen erfüllt es mich auch mit Genugtuung, dass die<br />

langjährige Grundlagenforschung in mancherlei Hinsicht zu bedeutsamen<br />

Fortschritten geführt hat und schliesslich eine erfolgreichere Behandlung<br />

von Menschen ermöglichen wird.<br />

Weshalb und auf welche Weise Einzelne, die in den verschiedensten Familien<br />

aufwachsen, Maler, Musiker oder Tänzer werden, gehört zu den grossen<br />

Geheimnissen des Lebens. Dass künstlerische Begabungen und Tätigkeiten<br />

familiär gehäuft vorkommen, ist allgemein bekannt. Beruht dies auf<br />

Vererbung, auf früher Exposition und Übung, oder auf beidem? Es wird oft<br />

behauptet, Fachpersonen in Mathematik und Physik würden sich musikalisch<br />

besonders hervortun. Haben formales abstraktes Denken und Musizieren<br />

tatsächlich gewisse Beschaffenheiten des Kortex gemein? Fördert<br />

Kunstunterricht auch andere Arten der kognitiven Entwicklung? Mit Fragen<br />

dieser Art beschäftigt sich das <strong>Dana</strong> Arts and Cognition Consortium.<br />

In der Kindheit auftretende Störungen – z. B. Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />

und Entwicklungsverzögerung – gehören<br />

zu den besonders herzzerreissenden neurologischen Erkrankungen.<br />

Niederschmetternd sind auch degenerative Erkrankungen wie Chorea<br />

Huntington, Parkinson und Alzheimer, von denen Erwachsene betroffen<br />

sind. Neuere Arbeiten zeigen das grosse Potential der Genetik für das Verständnis<br />

der Ursachen dieser Krankheiten. Die jahrzehntelange Untersuchung<br />

der grundlegenden genetischen Mechanismen trägt heute Früchte,<br />

besonders da wir nun über ein Instrumentarium verfügen, um die Inter -<br />

aktionen multipler Gene bei komplexen Krankheiten zu untersuchen.<br />

Dasselbe zeigt sich bezüglich neuerer Studien von Hirntumoren. Die<br />

Erforschung zellulärer Signalwege, die das Wachstum und die Ausbreitung<br />

verschiedener Krebsarten, einschliesslich jener des Gehirns, steuern,<br />

könnte zur Entwicklung neuer Therapien für Gliome und weitere Hirn -<br />

tumoren führen.<br />

Das Gehirn meines Vaters wurde durch einen rasch eingeleiteten chirurgischen<br />

Eingriff gerettet; wie im vorliegenden Bericht dargestellt wird, ist


auch für den Schutz des Gehirns nach einem Schlaganfall und nach transitorischen<br />

ischämischen Attacken, die kleinere neurologische Auswirkungen<br />

zu haben scheinen, das rechtzeitige Eingreifen entscheidend. Wir<br />

wissen heute, dass durch die rechtzeitige Behandlung einer transitorischen<br />

ischämischen Attacke das Risiko eines schweren Hirnschlags in den<br />

folgenden Wochen reduziert wird.<br />

Bei vielen Krankheiten können die aus Tiermodellen stammenden<br />

Erkenntnisse und Befunde nur schwer in die klinische Praxis übertragen<br />

werden. Ausschlaggebend sind hervorragende und gut kontrollierte<br />

klinische Studien, doch ist ihre korrekte Durchführung oft fraglich. Deshalb<br />

hat die International Campaign for Cures of Spinal Cord Paralysis<br />

(ICCP) neue Kriterien erarbeitet, um die Teilnahme und Beurteilung von<br />

Patienten an klinischen Studien bezüglich neuer Therapien von Rückenmarkverletzungen<br />

zu regeln. Entsprechende Kriterien für klinische Studien<br />

sind für sämtliche Bereiche von grosser Bedeutung, bei denen die<br />

Behandlung neurolo gischer oder psychiatrischer Erkrankungen beurteilt<br />

werden müssen.<br />

Das Interesse an Fragen, die zur neuen Disziplin der Neuroethik gehören,<br />

ist im vergangenen Jahr enorm gewachsen; das American Journal of<br />

Bioethics widmet diesem Bereich nun jährlich drei Ausgaben. Vier Themen<br />

erhielten 2007 besondere Aufmerksamkeit: die Kommerzialisierung<br />

des Lügendetektors, die tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Depressionen,<br />

genetische Studien von Abhängigkeit, und bildgebende Verfahren.<br />

Die Entwicklung neuer Techniken zu Diagnose und Behandlung von<br />

Hirnkrankheiten lässt dabei unerwartete, heikle Konsequenzen erkennen.<br />

Gleichzeitig macht die Stammzellbiologie bemerkenswerte Fortschritte,<br />

die dazu führen könnten, dass viele mit der Verwendung embryonaler<br />

Stammzellen zusammenhängende Kontroversen hinfällig werden.<br />

Unterdessen werden die Interaktionen von Immunsystem und Nerven -<br />

system immer klarer fassbar. Am deutlichsten ist dies im Falle der Multiplen<br />

Sklerose, einer Krankheit, bei der Vererbungs- und Umweltfaktoren<br />

bewirken, dass das Immunsystem die Myelinscheide, die viele Nerven -<br />

zellen umgibt, angreift. Neuere Studien belegen einen Zusammenhang<br />

zwischen verschiedenen Genen des Immunsystems und dem Risiko, an<br />

Multipler Sklerose zu erkranken. Interessant sind auch neue Befunde,<br />

denen zufolge ein enger Zusammenhang zwischen Vitamin D, Sonnenbestrahlung<br />

(die Vitamin D erhöht), Immunsystem und Multipler Sklerose 7<br />

Einleitung


8<br />

besteht. Das Immunsystem könnte sich auch als wichtig erweisen für ein<br />

besseres Verständnis gewisser chronischer Schmerzerkrankungen.<br />

Die zu chronischen Schmerzzuständen führenden Mechanismen sind<br />

geheimnisvoll; möglicherweise gehören zu den Ursachen auch Fehlanpassungen<br />

auf eine Verletzung, welche nicht unmittelbar auf das Ereignis folgen.<br />

Da starker chronischer Schmerz eine massive Beeinträchtigung darstellt<br />

und oft nur schwer wirksam behandelt werden kann, sind neue<br />

Erkenntnisse über den Aufbau und die Tätigkeit von Schmerzbahnen<br />

nötig und neue Behandlungsmethoden besonders willkommen. Dabei<br />

geht es vor allem um die Suche nach Alternativen zur langfristigen Verwendung<br />

von opiathaltigen Medikamenten, die zu Abhängigkeit führen<br />

können. Zu den besonders viel versprechenden, neuen, intensiv erforschten<br />

Behandlungsformen gehört die Neurostimulation, bei der Elektroden<br />

entweder in der Nähe des Rückenmarks oder peripher implantiert werden.<br />

Mit dieser Methode sollen Schmerzsignale durch eine direkte Stimulation<br />

blockiert werden, bevor sie das Gehirn erreichen. In anderen Bereichen<br />

lassen faszinierende Studien erkennen, auf welche Weise das Gehirn<br />

als Reaktion auf eine Infektion Fieber erzeugt 3 ; auch diese Einsichten verdanken<br />

wir unserem neuen Verständnis der Signalübertragung zwischen<br />

Zellen und der Möglichkeit, sie in Tiermodellen genetisch zu verändern.<br />

Leider werden schwere psychiatrische Krankheiten wie Schizophrenie,<br />

Depression und Sucht in vielen Fällen erst erkannt, wenn die davon betroffenen<br />

Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Lage sein sollten, als<br />

kreative und selbständige Personen ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.<br />

Im Jahr 2007 hat die Forschung zu einem Paradigmenwechsel bei der<br />

Beurteilung dieser Krankheiten beigetragen.<br />

Lange Zeit hatte sich die Wissenschaft darauf konzentriert, einzelne biochemische<br />

und molekulare Ursachen zu suchen. Heute erkennen wir, dass<br />

Störungen des Denkens und des Gemüts auf fehlerhaften Verbindungen<br />

in Hirnschaltkreisen beruhen können, obwohl möglicherweise jede einzelne<br />

Nervenzelle richtig funktioniert. Neue bildgebende Verfahren und<br />

Genmanipulationen lassen jene Gene leichter erkennen, die für den<br />

Aufbau und die Funktion der Schaltkreise unter unterschiedlichen<br />

Umweltbedingungen verantwortlich sind. Darüber hinaus dürfte der Paradigmenwechsel<br />

zu neuen Behandlungsformen von Störungen beitragen.<br />

Es ist zu erwarten, dass wir auch Denkstörungen bei degenerativen<br />

Erkrankungen des Nervensystems, etwa der Alzheimer-Krankheit, besser


verstehen werden, bei welchen Nervenzellen zugrunde gehen und damit<br />

bestimmte Schaltkreiskomponenten ausfallen.<br />

Zu den grössten Schwierigkeiten bei der Behandlung psychiatrischer<br />

Krankheiten gehört die enorme Heterogenität der Bevölkerung; eine der<br />

grössten Hoffnungen besteht darin, dass künftig bereits bei der Wahl einer<br />

medikamentösen oder anderen Behandlung berücksichtigt werden kann,<br />

mit welcher Wahrscheinlichkeit jemand aufgrund der genetischen Konstitution<br />

auf eine bestimmte Behandlung anspricht.<br />

Viele junge Forschende entscheiden sich für die Neurowissenschaft, weil<br />

sie von den wirklichen „grossen“ Fragen fasziniert sind: Sie interessieren<br />

sich für die Beschaffenheit des Bewusstseins; den Aufbau des menschlichen<br />

Denkens; die Beziehung zwischen spezifischen Hirnstrukturen und<br />

unserer Fähigkeit, mit Sprache umzugehen, Musik zu geniessen oder mit<br />

anderen in Beziehung zu treten. Die Studien des Jahres 2007 lassen uns<br />

besser verstehen, wie das Gehirn mit seinen Nervenschaltkreisen bei komplexen<br />

Denkvorgängen funktioniert.<br />

Trotz der ausserordentlichen Erkenntnisse über die Tätigkeit des Gehirns<br />

in Gesundheit und Krankheit lässt uns jeder neue Befund nur umso deutlicher<br />

erkennen, wie viel wir noch nicht verstehen. Wir alle erleben beispielsweise<br />

geistige Ermüdung, haben aber keine Ahnung, welche biologischen<br />

Korrelate diesem Zustand entsprechen. Wir wissen, dass sich<br />

unser Gehirn von dem anderer Personen unterscheidet, dass wir unterschiedliche<br />

Erinnerungen gespeichert haben und diese auf je einzigartige<br />

Weise dazu benutzen, auf einander und auf die Welt zu reagieren. Gleichzeitig<br />

gehen wir davon aus, dass die grundsätzlichen Regeln, welche die<br />

Tätigkeit unseres Gehirns bestimmen, erhalten bleiben – und zwar gröss -<br />

tenteils nicht nur beim Menschen sondern auch im Tierreich. Wie wir<br />

angesichts des gemeinsamen Sets von biochemischen, molekularen und<br />

genetischen Mechanismen unsere individuellen menschlichen Eigenschaften<br />

verstehen, ist die grösste Herausforderung für unsere weitere<br />

Arbeit.<br />

Einleitung<br />

9


Kunst und Kognition:<br />

Hinweise auf Beziehungen<br />

von Michael S. Gazzaniga, PhD<br />

Im Jahr 2004 versammelte das <strong>Dana</strong> Arts<br />

and Cognition Consortium an sieben amerikanischen<br />

Universitäten tätige kognitive<br />

Neuro wissenschafter und Neurowissenschafterinnen,<br />

die sich mit der Frage auseinandersetzten,<br />

worauf der Zusammenhang<br />

von Kunstunterricht und einer höheren akademischen<br />

Leistung beruht. Fühlen sich<br />

kluge Leute einfach dazu hingezogen, künstlerisch<br />

„tätig“ zu werden – Musik, Tanz,<br />

Schauspiel zu studieren und auszuüben – oder ruft früher Kunstunterricht<br />

Veränderungen im Gehirn hervor, die andere wichtige Aspekte der Kognition<br />

fördern.<br />

Die Arbeitsgemeinschaft kann nun Ergebnisse vorlegen, dank denen wir<br />

die möglichen ursächlichen Beziehungen zwischen Kunstunterricht und<br />

der Fähigkeit des Gehirns, in anderen kognitiven Bereichen zu lernen,<br />

besser verstehen.<br />

Die Studie enthält neue Daten über die Auswirkungen von Kunstunterricht<br />

und regt dadurch künftige Untersuchungen an. Die bisherigen, noch<br />

vorläufigen Schlussfolgerungen dürften schon bald zuverlässige Annahmen<br />

darüber erlauben, wie sich Kunstunterricht auf das Gehirn auswirkt;<br />

Eltern, Studierende, Erziehende, Neurowissenschafter und Neurowissenschafterinnen<br />

sowie politisch Verantwortliche würden dadurch in ihrer<br />

jeweils persönlichen, institutionellen und politischen Entscheidungsfindung<br />

unterstützt.<br />

Genaueres über die Forschungsprogramme aller einzelnen Teilnehmenden<br />

sind in den Berichten ausgeführt, die Sie von www.dana.org herunterladen<br />

können. Im Folgenden finden Sie eine Zusammenfassung der<br />

Erkenntnisse dieser Gruppe. 11


12<br />

1. Das Interesse an darstellender Kunst führt zu einer hohen „Motivation“;<br />

diese erzeugt eine für Fortschritte notwendige „anhaltende Aufmerksamkeit“<br />

und das Aufmerksamkeitstraining seinerseits führt zu Verbesserungen<br />

in anderen Wissensgebieten.<br />

2. Genetische Studien lassen Kandidatengene erkennen, die möglicherweise<br />

zur Erklärung der individuell unterschiedlichen Kunstinteressen<br />

beitragen.<br />

3. Zwischen intensivem Musikunterricht und der Fähigkeit, sowohl im<br />

Arbeits- als auch im Langzeitgedächtnis Informationen zu handhaben,<br />

gibt es spezifische Beziehungen, die über den Bereich des Musikunterrichts<br />

hinaus reichen.<br />

4. Bei Kindern scheinen spezifische Beziehungen zwischen musikalischer<br />

Aktivität und darstellender Geometrie zu bestehen, die jedoch andere<br />

Arten des Umgangs mit Zahlen nicht mit einschliessen.<br />

5. Wechselbeziehungen gibt es zwischen Musikunterricht einerseits und<br />

lesen Lernen sowie sequentiellem Lernen andererseits. Einer der wichtigsten<br />

Hinweise auf eine frühe Lesefähigkeit ist das phonologische<br />

Bewusstsein; es korreliert sowohl mit Musikunterricht als auch mit der<br />

Entwicklung einer bestimmten Hirnverbindung.<br />

6. Schauspielunterricht scheint über das Erlernen allgemeiner Fertigkeiten<br />

zur Verarbeitung semantischer Informationen zu einem besseren<br />

Gedächtnis zu führen.<br />

7. Zwischen dem selbst deklarierten Interesse an Ästhetik und der Veranlagung<br />

zu Offenheit, die ihrerseits durch auf Dopamin bezogene Gene<br />

beeinflusst wird, besteht ein Zusammenhang.<br />

8. Zwischen tanzen Lernen durch aufmerksames Beobachten und Lernen<br />

durch eigenes Üben besteht ein enger Zusammenhang, und zwar sowohl<br />

was den Erfolg anbelangt als auch bezüglich der neuralen Substrate, die<br />

solche komplexen Tätigkeiten ermöglichen. Lernen durch aufmerksames<br />

Beobachten kann sich auf andere kognitive Fähigkeiten auswirken.<br />

Die vorangehenden Ausführungen erweitern unser Wissen über die Beziehung<br />

zwischen Kunst und Kognition. Bezüglich der Frage, ob Kunstunterricht


das Gehirn so verändert, dass allgemeine kognitive Fähigkeiten gefördert<br />

werden, stellen diese Erkenntnisse einen ersten Schritt des neurowissenschaftlichen<br />

Forschungsansatzes dar. Die Frage ist – ähnlich wie bei<br />

bestimmten organischen Krankheiten – von so hohem allgemeinem Interesse,<br />

dass unhaltbare Antworten zwar rasch eine grosse Kraft entwickeln,<br />

dann aber einen Bumerangeffekt haben können.<br />

Darin besteht das besondere Problem von Korrelationen; da einige Studien<br />

schwache und sogar bloss scheinbare Korrelationen aufzeigten,<br />

wurde diese Arbeitsgemeinschaft gebildet. Es ist zwar interessant, begleitende,<br />

parallele, ergänzende oder reziproke „Korrelationen“ festzustellen,<br />

doch sind Aktionen und Veränderungen erst möglich, wenn wir die ihnen<br />

zugrunde liegenden Mechanismen verstehen.<br />

Zwar muss die Wissenschaft stets darauf hinweisen, dass es notwendig<br />

ist, zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden, doch ist<br />

ebenfalls festzuhalten, dass gerade die Neurowissenschaft häufig mit<br />

Korrelationen beginnt – üblicherweise von der Entdeckung, dass eine<br />

bestimmte Art von Hirnaktivität und eine bestimmte Verhaltensweise<br />

gemeinsam auftreten. Um jedoch zu entscheiden, welche Forschungs -<br />

arbeit am sinnvollsten ist, muss man darauf achten, ob diese Korrelationen<br />

niedrig oder hoch sind. Indem viele der hier erwähnten Studien<br />

bereits früher festgestellte Korrelationen bestätigen, schaffen sie die<br />

Voraussetzung, dass das Verständnis der zugrunde liegenden biologischen<br />

Vorgänge und Hirnmechanismen schliesslich zu echten kausalen<br />

Erklärungen führt.<br />

Ausserdem gibt es nicht nur hohe und niedrige Korrelationen, sondern<br />

auch starke und schwache Kausalzusammenhänge. Ebenso wie bei<br />

„Rauchen verursacht Krebs“, könnten wir theoretisch aufgrund von Ergebnissen<br />

randomisierter prospektiver Studien, denen zufolge Kinder mit<br />

Kunstunterricht einen kognitiven Vorteil haben, im weitesten Sinne einen<br />

Kausalzusammenhang postulieren. Doch selbst ein derart eindeutiges<br />

Ergebnis würde nur wenig über die Ursache aussagen; wir hätten dadurch<br />

keinen einzigen Lernmechanismus im Gehirn entdeckt, der uns solche<br />

Mechanismen besser „verstehen“ liesse und zu einer optimalen Begegnung<br />

mit Kunst anleiten könnte. Wir wüssten weder Bescheid darüber, durch<br />

welche Mechanismen das Gehirn das Gelernte generalisiert noch über die<br />

Entwicklungsstadien, in denen das Gehirn besonders gut auf bestimmte<br />

Arten der Erfahrung anspricht. 13<br />

Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen


14<br />

Zwischen hoher Korrelation und eindeutig wissenschaftlich fundierten<br />

kausalen Erklärungen ist viel Raum für wertvolle Untersuchungen. Fragestellungen,<br />

die von Theorien ausgehen können mit neurowissenschaftlichen<br />

Methoden untersucht werden und zu Experimenten führen, die<br />

sich nicht mit dem Nachweis von Erfolgsergebnissen begnügen; vielmehr<br />

können sie aufzeigen, auf welche Weise durch Kunstunterricht hervorgerufene<br />

Veränderungen im Gehirn das Leben von Menschen bereichern<br />

und wie sich eine solche Erfahrung auf Bereiche übertragen lässt, die<br />

eine akademische Bildung fördern. Auch wenn solche in einem mittleren<br />

Bereich angesiedelte Studien nicht auf der Ebene von zellulären oder<br />

molekularen Erklärungen liegen, könnten sie unser Wissen entscheidend<br />

voranbringen.<br />

Die von der Arbeitsgemeinschaft durchgeführte Untersuchung zum Tanzen<br />

ist hierfür ein gutes Beispiel. Unsere Forschungsarbeit zeigt, dass sich<br />

Personen, die Tanzunterricht nehmen, zu höchst erfolgreichen Beobachtenden<br />

entwickeln können. Wir stellten fest, dass man durch blosses<br />

Zuschauen sehr erfolgreich tanzen lernen kann und dass dieser Erfolg auf<br />

der neuralen Ebene dadurch gestützt wird, dass sich jene Hirnbereiche<br />

weitgehend überlappen, die beim Beobachten der Abläufe bzw. beim<br />

Ausführen der entsprechenden Bewegungen aktiv sind. Diese gemeinsamen<br />

neuralen Substrate sind bedeutsam, wenn es gilt, komplizierte<br />

Abläufe so zu organisieren, dass eine sequenzielle Struktur entsteht. In der<br />

Zukunft können wir untersuchen, ob sich diese erfolgreiche Beobachtungsstrategie<br />

auch auf andere akademische Bereiche übertragen lässt.<br />

Im komplizierten Schaltkreis des Gehirns kausale Mechanismen festlegen<br />

zu wollen, ist ein bisschen viel verlangt. Die Studien zu Kunst und Kognition,<br />

welche die Arbeitsgemeinschaft der <strong>Dana</strong> in den letzten drei Jahren<br />

durchgeführt hat, ermöglichten das Verständnis der für Handlungen notwendigen<br />

Mechanismen; auf dieser Grundlage – so glauben wir – werden<br />

künftige Studien aufbauen können.<br />

Die Neurowissenschaft eröffnet eine lebensbejahende Dimension: Die<br />

Entdeckung, dass künstlerische Tätigkeiten und Kunstgenuss unsere<br />

kogni tiven Fähigkeiten erweitern, ist ein entscheidender Schritt hin<br />

zur Erkenntnis, wie wir besser lernen und sowohl angenehmer als auch<br />

produktiver leben können. Nachstehend geben wir einige Anregungen,<br />

wie die hier vorgestellten Forschungsarbeiten weiter geführt wer -<br />

den könnten.


1. Bisherige Untersuchungen haben ergeben, dass für verschiedene Sparten<br />

der Kunst – Musik, bildende Kunst, Theater, Tanz – jeweils unterschiedliche<br />

neurale Netzwerke zuständig sind. In künftigen Studien soll<br />

überprüft werden, in welchem Ausmass diese Netzwerke eigenständig<br />

sind bzw. sich überlappen.<br />

2. Wir wollen auch Klarheit darüber erhalten, auf welche Weise eine hohe<br />

künstlerische Motivation raschere Veränderungen in diesem Netzwerk<br />

bewirkt, und wie stark sich solche Veränderungen auf andere Arten der<br />

Kognition auswirken.<br />

3. Der Zusammenhang zwischen Unterricht in Musik und in bildender<br />

Kunst einerseits und bestimmten Bereichen der Mathematik, etwa der<br />

Geometrie, anderseits muss mit modernen bildgebenden Verfahren<br />

genauer untersucht werden.<br />

4. Weiter nachgehen wollen wir auch dem Zusammenhang von intrinsischer<br />

Motivation für eine bestimmte Kunstsparte (z. B. Musik und<br />

bildende Kunst) und der dafür erforderlichen Fähigkeit der beständigen<br />

Aufmerksamkeit; wir brauchen Forschungsresultate auf der Ver -<br />

haltensebene und mittels bildgebender Verfahren, um aufzeigen zu<br />

können, dass in spezifischen Bahnen bei höherer Motivation grössere<br />

Veränderungen auftreten.<br />

5. Die Suche nach individuellen Indikatoren für das Interesse an Kunstunterricht<br />

und für dessen Einfluss sollte weitergeführt werden; sinnvoll<br />

wären Untersuchungen, welche Erhebungen mittels Fragebogen, die<br />

Bestimmung bereits bekannter Kandidatengene und eine umfassende<br />

Überprüfungen des Genoms miteinander kombinieren.<br />

Weitere Untersuchungen sollten auch den folgenden Fragen nachgehen:<br />

1. In welchem Ausmass ist der Zusammenhang zwischen Musikunterricht,<br />

Lesen und sequentiellem Lernen kausaler Art? Falls tatsächlich eine<br />

Kausalität bestehen sollte, geht sie mit einer Anpassung der Verbindungen<br />

zwischen beteiligten Hirnbereichen einher?<br />

2. Ist der Zusammenhang zwischen Musik- und Schauspielunterricht und<br />

Gedächtnisfunktionen kausaler Art? Falls ja, lassen sich diese Mechanismen<br />

mittels bildgebender Verfahren untersuchen? 15<br />

Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen


16<br />

3. Welche Rolle spielen aufmerksame Beobachtung und Nachahmung bei<br />

darstellenden Künsten? Können wir unser motorisches System auf<br />

komplizierte Tanzbewegungen vorbereiten, indem wir die gewünschten<br />

Bewegungen ganz einfach beobachten oder sie uns vorstellen?<br />

Lassen sich die zur Erreichung dieses Ziels notwendige Disziplin und<br />

die kognitiven Fertigkeiten übertragen?<br />

Der Arbeitsgemeinschaft ist es gelungen, einige der in kognitiver Neurowissenschaft<br />

weltweit führenden Fachpersonen zusammenzubringen, um<br />

Korrelationsstudien zu Kunst und Kognition zu sichten und auf allfällige<br />

kausale Beziehungen zu überprüfen. Die neuen Erkenntnisse und konzeptuellen<br />

Fortschritte der Arbeitsgemeinschaft haben geklärt, was als Nächs -<br />

tes zu tun ist. Die oben angeführten spezifischen Vorschläge sind ein<br />

Ergebnis dieser Arbeiten, wobei es natürlich auch weitere Möglichkeiten<br />

gibt. Ziel dieser Vorschläge ist es, ein neu erschlossenes Forschungsgebiet<br />

weiter zu vertiefen. Die vorliegenden aktuellen Ergebnisse und neuen<br />

Ideen zeigen die Richtung an, in der dieser Bereich weiter erforscht werden<br />

könnte.<br />

Meines Erachtens hat dieses Projekt Kandidatengene identifiziert, die zu<br />

einer künstlerischen Begabung beitragen, und es hat zudem aufgezeigt,<br />

dass sich kognitive Verbesserungen auf bestimmte geistige Fähigkeiten,<br />

etwa die geometrische Vorstellung, beschränken können; das Projekt<br />

hat gezeigt, dass sich spezifische Bahnen im Gehirn identifizieren lassen,<br />

welche sich möglicherweise im Verlauf des Unterrichts verändern; dass<br />

die Lösung eines Problems manchmal auf veränderten kognitiven Strategien<br />

beruht und nicht auf veränderten Hirnstrukturen; und dass früher<br />

Musikunterricht die Kognition über einen bisher noch nicht bekannten<br />

neuralen Mechanismus verbessern kann. All diese Entdeckungen sind<br />

bemerkenswert und faszinierend.


Die wachsenden Möglichkeiten<br />

der tiefen Hirnstimulation<br />

von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD<br />

Einleitung<br />

Da es im vergangenen Jahrhundert noch<br />

keine wirksamen Medikamente gab, um<br />

verzweifelten Kranken zu helfen, die an körperlichen<br />

Behinderungen infolge Parkinson<br />

(Parkinson’s disease; PD), Tremor und anderen<br />

Bewegungsstörungen litten, begann die<br />

Neurochirurgie, die Auswirkungen von Läsi -<br />

onen auf verschiedene Hirnstrukturen zu<br />

untersuchen. Seinen Höhepunkt hatte dieses<br />

Vorgehen in den 1950er und 1960er Jahren,<br />

etwa zur selben Zeit, als auch chirurgische<br />

Eingriffe bei verschiedenen psychiatrischen<br />

Störungen und bei abnormem Verhalten den<br />

Höchststand erreichten. Nachdem in den<br />

1960er Jahren die Substitutionstherapie mit<br />

Levodopa als Behandlung der Parkinson-<br />

Krankheit eingeführt worden war und auch<br />

als Reaktion auf den lauten Aufschrei der<br />

Öffentlichkeit gegen Auswüchse der Psychochirurgie<br />

nahmen neurochirurgische Eingriffe<br />

in den nachfolgenden Jahrzehnten rapide ab.<br />

Vor diesem Hintergrund mag es erstaunen, dass neurochirurgische Eingriffe<br />

sowohl bei neurologischen als auch bei psychiatrischen Störungen<br />

im vergangenen Jahrzehnt eine eigentliche Renaissance erfuhren. Das<br />

Wiederaufleben von neurochirurgischen Massnahmen beruht in erster<br />

Linie auf dem bemerkenswerten Fortschritt der Grundlagenforschung, die<br />

sich mit der Organisation des motorischen Systems und mit der Neuro -<br />

biologie von Störungen wie der Parkinson-Krankheit befasste. Die an<br />

Primatenmodellen durchgeführten Forschungsarbeiten wiesen nach, dass 17


18<br />

Bewegungsstörungen wie die Parkinson-Krankheit auf der regelwidrigen<br />

Aktivität ganz bestimmter Hirnschaltkreise beruhen und dass eine<br />

Regulierung der Aktivität in diesen Schaltkreisen mittels gezielter chirurgischer<br />

Eingriffe an einzelnen Knotenpunkten die Symptome wirksam zu<br />

lindern vermag 1 .<br />

Der Impuls für das Wiederaufleben neurochirurgischer Therapien hat verschiedene<br />

Gründe: Bei vielen dieser chronischen neuropsychiatrischen<br />

Störungen lassen sich die Krankheitssymptome in fortgeschrittenen<br />

Stadien entweder nicht ausreichend bekämpfen oder aber es kommt zu<br />

unzumutbaren Nebenwirkungen; das öffentliche Bewusstsein für die Belas -<br />

tung, die solche Störungen für die Betroffenen und ihre Betreuungsper -<br />

sonen darstellen, ist gewachsen; und – dies gilt insbesondere für psychiatrische<br />

Erkrankungen – das Einholen von Einverständniserklärungen der<br />

Betroffenen sowie andere Massnahmen zum Schutze von Patientenrechten<br />

werden heute einheitlich gehandhabt.<br />

Die meisten heute gebräuchlichen funktionellen neurochirurgischen Verfahren<br />

sind auf bestimmte Hirnstrukturen, die so genannten Basalganglien<br />

gerichtet. Diese subkortikalen Hirnstrukturen gelten als Komponenten<br />

einer Familie von anatomisch unterschiedlichen Hirnschaltkreisen, die<br />

auch die Grosshirnrinde und den Thalamus einbeziehen. Diese Schaltkreise<br />

unterstützen Aspekte des motorischen Verhaltens (motorischer<br />

Schaltkreis), des kognitiven Verhaltens (assoziativer Schaltkreis) sowie<br />

von Emotion und Motivation (limbischer Schaltkreis).<br />

Allgemein ausgedrückt beruhen Bewegungsstörungen wie die Parkinson-<br />

Krankheit auf abnormen neuronalen Aktivitäten im motorischen Schaltkreis;<br />

Regelwidrigkeiten in limbischen oder assoziativen Schaltkreisen<br />

verursachen dagegen Symptome und Merkmale von neuropsychiatrischen<br />

Erkrankungen. Daher richten sich Operationen bei Personen mit<br />

Bewegungsstörungen auf Ziele im motorischen Schaltkreis und Eingriffe<br />

bei neuropsychiatrischen Erkrankungen auf den limbischen oder assozia -<br />

tiven Schaltkreis.<br />

Unter den chirurgischen Ansätzen der neuen Generation zeichnet sich die<br />

tiefe Hirnstimulation (THS) dadurch aus, dass sie die Aktivität in bestimmten<br />

Schaltkreisen verändert. Im Zusammenhang mit Bewegungsstörungen<br />

wurde THS erstmals Ende der 1970er Jahre zur Behandlung des Tremors<br />

untersucht; im Laufe der Zeit gelang es, besser geeignete Zielpunkte zu


identifizieren und THS erwies sich auch bei der Parkinson-Krankheit und<br />

anderen Bewegungsstörungen als äusserst wirksam. Anders als beim Setzen<br />

von Läsionen, welche irreversible Auswirkungen haben, wird das<br />

Gehirn durch THS nicht dauerhaft verändert, sondern durch die lokale<br />

Applikation von elektrischem Strom in einer Weise modifiziert, die verändert<br />

und sogar rückgängig gemacht werden kann.<br />

Im Verlauf einer THS-Operation implantiert man stimulierende Elektroden<br />

mit vier verschiedenen Anschlüssen in ganz bestimmte Hirnregionen und<br />

– ähnlich wie bei einem Herzschrittmacher – einen programmierbaren<br />

Impulsgeber direkt unterhalb des Schlüsselbeins unter die Haut. Der<br />

Impulsgeber kann so programmiert werden, dass er die anvisierte Hirn -<br />

region ununterbrochen mit einer optimalen Frequenz, Amplitude und<br />

Impulsdauer stimuliert. Dass diese Stimulation reversibel ist und angepasst<br />

werden kann, gehört zu den grossen Vorzügen der THS; zudem richtet<br />

sie sich direkt auf die relevanten Ziele und führt daher zu weniger<br />

unerwünschten Nebenwirkungen als auf das gesamte Gehirn wirkende<br />

Medikamente.<br />

Tiefe Hirnstimulation hat für Personen, die von einer fortgeschrittenen<br />

Bewegungsstörung oder anderen Krankheiten betroffen sind, bemerkenswerte<br />

Vorteile, doch bleibt unklar, worauf ihre Wirkung letztlich beruht.<br />

Zuerst hatte man angenommen, sie ahme einfach die Wirkungen von<br />

Läsionen nach, doch deuten neuere Untersuchungen der Hirnaktivität bei<br />

Tieren und Menschen darauf hin, dass THS Axone aktiviert, die vom stimulierten<br />

Bereich des Zellkerns weg- oder zu ihm hinführen, und auf diese<br />

Weise Aktivitätsmuster in den mit der stimulierten Hirnregion verbundenen<br />

Netzwerken verändert.<br />

Bewegungsstörungen<br />

Am häufigsten wird tiefe Hirnstimulation bei Personen im fortgeschrittenen<br />

Stadium der Parkinson-Krankheit (einer progredienten Erkrankung<br />

mit typischer Verlangsamung der Bewegungen sowie Tremor und Muskelstarre)<br />

eingesetzt. Die Symptome beruhen auf einer Einbusse des Neurotransmitters<br />

Dopamin in den Basalganglien, was die neuronale Aktivität im<br />

gesamten motorischen Schaltkreis beeinflusst.<br />

Frühe Stadien der Parkinson-Krankheit sind einer medikamentösen Behandlung<br />

zugänglich; in späteren Krankheitsstadien ist sie dadurch begrenzt,<br />

dass dann häufig arzneimittelinduzierte unwillkürliche Bewegungen, so 19<br />

Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation


20<br />

genannte Dyskinesien, auftreten; auch nimmt die Wirksamkeit der Medikamente<br />

rasch ab. THS innerhalb der motorischen Teilbereiche zweier<br />

Kerne der Basalganglien, dem Nucleus subthalamicus und dem inneren<br />

Segment des Pallidum, behebt Bewegungsstörungen der Parkinson-<br />

Krankheit sowie die durch Arzneimittel induzierten Komplikationen 2, 3 .<br />

Die Operation führt nur selten, bei 1-2% der Betroffenen, zu grösseren<br />

Problemen und die langfristigen Vorteile sind erheblich.<br />

Ausser dem Nucleus subthalamicus und dem Pallidum werden zurzeit weitere<br />

mögliche THS-Zielstrukturen erforscht, unter anderem der Nucleus<br />

pedunculopontinus, der im Falle von schweren Parkinson-Erkrankungen<br />

mit behandlungsresistenten Gang- und Gleichgewichtsstörungen viel versprechend<br />

erscheint. Auch bei Personen mit anderen Bewegungsstörungen<br />

als Tremor und Parkinson wird THS bereits erfolgreich eingesetzt.<br />

Getestet werden z. B. Stimulationen bei verschiedensten Arten der Dystonie,<br />

einer höchst unbeständigen Bewegungsstörung mit typischen, generalisiert<br />

oder fokal auftretenden, unwillkürlichen Drehbewegungen und<br />

unnatürlichen Körperhaltungen; dies weckt Hoffnung für Kranke, die nur<br />

schlecht auf die heute verfügbaren Behandlungen ansprechen 4 .<br />

Neuropsychiatrische Erkrankungen<br />

Die bemerkenswerten Erfolge der tiefen Hirnstimulation im Falle der<br />

Parkinson-Krankheit und bei anderen Bewegungsstörungen sowie die<br />

Erkenntnis, dass etliche verbreitete neuropsychiatrische Erkrankungen<br />

ebenfalls auf abnormen Aktivitätsmustern in neuronalen Netzwerken<br />

beruhen könnten, haben die Neurochirurgie zu vorsichtigen Versuchen<br />

mit THS auch bei verschiedenen derartigen Erkrankungen angeregt. Zurzeit<br />

befinden sich die Anwendungen ausschliesslich in einem experimentellen<br />

Stadium.<br />

Viel versprechend ist auch die Behandlung der Zwangserkrankung<br />

(obsessive-compulsive disorder; OCD), eine Störung die durch zwanghaftes<br />

Denken und Handeln charakterisiert ist. Im Falle der OCD richteten<br />

sich neurochirurgische Läsionen jeweils auf empirische Zielstrukturen,<br />

etwa das Vorderhorn der inneren Kapsel. Kürzlich wurde berichtet, dort 5<br />

oder im nahen ventralen Striatum ansetzende THS sei ebenfalls wirksam.<br />

Das Tourette-Syndrom, bei dem unwillkürliche, rasche und stereotype<br />

Bewegungen und Vokalisationen (motorische und vokale Ticks) häufig mit<br />

OCD, Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit Hyperaktivität, Depression


und psychosozialen Auffälligkeiten verbunden sind, lässt sich möglicherweise<br />

ebenfalls mit THS behandeln 6 . Da die Symptome nach der Pubertät<br />

häufig nachlassen, bleibt eine Behandlung schweren Fällen vorbehalten,<br />

in denen keine spontane Besserung erfolgt. Ausgehend von früheren<br />

empirischen Läsions-Studien und angesichts der relevanten Anatomie des<br />

limbischen Schaltkreises wurde THS bei diesen Personen versuchsweise<br />

auf mehrere Zielstrukturen gerichtet, unter anderem auf die intralaminaren<br />

thalamischen Kerne entlang der Mittellinie und auf die motorischen und<br />

limbischen Teilbereiche des Pallidum. Diese ersten Anwendungen führten<br />

in einigen Fällen zu einer deutlichen Besserung der Symptome.<br />

Gegenwärtig laufen auch verschiedene Studien, um die Möglichkeiten der<br />

THS bei Personen zu evaluieren, die an einer schweren, auf konventionelle<br />

Therapien nicht ansprechenden Depression leiden. Nachdem Untersuchungen<br />

mit bildgebenden Verfahren gezeigt hatten, dass der kortikalen<br />

subgenual cingulären Region (Cg25) bei Depressionen eine Schlüsselrolle<br />

zukommt, ergab eine neuere Studie, dass THS in diesem Bereich bei Personen<br />

mit einer Depression eine signifikante klinische Besserung<br />

bewirkte 7 . Eine fortgesetzte Stimulation (während sechs Monaten) führte<br />

bei zwei Dritteln der Versuchspersonen, die alle bereits verschiedene<br />

erfolglose Therapieversuche hinter sich hatten, zu einer deutlichen und<br />

anhaltenden Besserung. Jetzt sind Folgestudien und grösser angelegte<br />

Untersuchungen mit Kontrollgruppen erforderlich, um diese Ergebnisse<br />

zu überprüfen und weitere Zielstrukturen, wie etwa das ventrale Striatum<br />

zu explorieren.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Die tiefe Hirnstimulation ist für Patienten, deren Bewegung stark eingeschränkt<br />

ist, zum neurochirurgischen Verfahren der Wahl geworden;<br />

gegenwärtig wird sie auch an Personen mit verschiedenen schweren neuropsychiatrischen<br />

Erkrankungen erprobt. Zwar wissen wir über die neurobiologischen<br />

Grundlagen von Krankheiten wie OCD, Tourette-Syndrom<br />

und Depression weniger als über jene von Bewegungsstörungen, doch<br />

scheint allen gemein zu sein, dass sie auf Fehlfunktionen von Hirnschaltkreisen<br />

beruhen, die bei therapieresistenten Fällen durch THS erfolgreich<br />

beeinflusst werden könnten.<br />

Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation<br />

21


Fortschritte<br />

in der<br />

Hirnforschung<br />

im Jahr 2007<br />

23


In der Kindheit<br />

auftretende Störungen<br />

Die Genetik des Autismus 26<br />

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung 27<br />

Rett-Syndrom Fortschritte 29<br />

Wichtiges Enzym bei Fragilem-X 31<br />

25


26<br />

Für zwei besonders häufige Arten von Entwicklungsstörungen – die<br />

Autismus-Spektrum-Störungen und die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyper -<br />

aktivitätsstörung (ADHS) – konnte die Wissenschaft im Jahr 2007 einige<br />

genetische Grundlagen bestimmen. Erste Erfolge gab es auch im Hinblick<br />

auf eine mögliche Behandlung des Rett-Syndroms (dabei handelt es sich<br />

um eine Variante der Autismus-Spektrum-Störungen, die zu schwersten<br />

körperlichen Behinderungen führt und vor allem bei Mädchen diagnostiziert<br />

wird, da die betroffenen Knaben selten mehr als zwei Jahre alt werden)<br />

und des Fragilen-X-Syndroms (dies ist die häufigste erbliche Form<br />

von geistiger Behinderung und sie betrifft vor allem Knaben).<br />

Die Genetik des Autismus<br />

Zwar haben Zwillingsstudien ergeben, dass Autismus-Spektrum-Störungen<br />

in hohem Masse erblich sind, doch liessen sich bisher keine überzeugenden<br />

Kandidatengene bestimmen. Überdies kommt diese Krankheit in<br />

der Familienanamnese der meisten von Autismus Betroffenen nicht vor –<br />

ein Hinweis darauf, dass die ererbten Risikofaktoren sehr vielschichtig<br />

sind. 2007 konnte eine von Jonathan Sebat geleitete Forschungsgruppe<br />

am Cold Spring Harbor Laboratory neue Erkenntnisse zur Genetik dieser<br />

Störungen vorlegen.<br />

In einem im April in Science veröffentlichten Paper berichteten Sebat und<br />

seine Mitarbeitenden, dass Genmutationen, die bei keinem Elternteil vorhanden<br />

sind, so genannte Varianten der Kopienzahl, mit einem grösseren<br />

Autismusrisiko einhergehen als bisher angenommen 1 . Typisch für diese<br />

Mutationen sind Deletionen kleiner Gensegmente.<br />

Sebats Gruppe suchte bei 264 Familien nach solchen Varianten der<br />

Kopienzahl: bei 118 „Simplex“-Familien mit nur einem an Autismus<br />

erkrankten Kind, bei 47 „Multiplex“-Familien mit mehreren betroffenen<br />

Geschwistern und bei 99 Kontroll-Familien, in denen kein Fall von<br />

Autismus festgestellt wurde.<br />

Die Forschenden stellten bei 10% der Kinder mit Autismus-Spektrum-<br />

Störungen, die kein Geschwister mit einer solchen Störung hatten, Deletionen<br />

von Gensegmenten fest; bei aus Multiplex-Familien stammenden<br />

Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen waren es 2,6% und bei der<br />

Kontrollgruppe 1%. Diese Deletionen kamen an den verschiedensten<br />

Stellen des Genoms vor. Die Daten stimmen mit der Hypothese überein,


dass es viele Autismus-Gene gibt, und könnten die Widersprüchlichkeit<br />

der Befunde früherer genetischer Studien teilweise erklären.<br />

Die Tatsache, dass eine Störung durch viele Gene bedingt sein kann, verweist<br />

auch auf einen grundsätzlichen Aspekt des Autismus: Vielleicht<br />

beruht die Gemeinsamkeit der üblichen Merkmale des Autismus (Beeinträchtigung<br />

der sozialen Interaktion, Kommunikationsprobleme sowie eingeschränkte<br />

Interessen und Verhaltensweisen) nicht auf gemeinsamen<br />

Genen sondern auf einer gemeinsamen biologischen Signalübertragung,<br />

an der ein grosses und verschiedenartiges Set von Genen beteiligt ist.<br />

Die Befunde wirken sich auch auf den klinischen Bereich aus. Wenn Kinder<br />

mit Autismus-Spektrum-Störungen im Spital generell auf das Vorhandensein<br />

von spontanen Mutationen untersucht würden, könnte man den<br />

Eltern mitteilen, wie hoch ihr Risiko ist, ein zweites Kind mit einer<br />

Autismus-Spektrum-Störung zu bekommen – wobei man annimmt, es sei<br />

im Falle einer spontanen Mutation niedriger.<br />

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />

Für die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sind verschiedene<br />

Merkmale charakteristisch: sie ist sehr häufig (betroffen sind<br />

3-7% der Kinder), stark erblich bedingt und hat eine Tendenz, beim<br />

Heranwachsen der betroffenen Kinder schwächer zu werden.<br />

In einer im August in Archives of General Psychiatry veröffentlichten<br />

Studie untersuchten Philip Shaw und Mitarbeitende am National Institute<br />

of Mental Health die Wirkungen eines der wichtigsten bekannten genetischen<br />

Risikofaktoren dieser Störung 2 . Die Forschenden untersuchten das<br />

Gen D4, das zu den selteneren Formen des Rezeptors für den Neurotransmitter<br />

Dopamin gehört. Im Gegensatz zu anderen Dopaminrezeptoren<br />

verfügt dieser in einem Teil des Gens, dem Axon 3, über die Variante<br />

7-Repeat-Allel. Diese Genvariante ist für ca. 30% der ererbten Fälle der<br />

Störung verantwortlich und somit bei weitem das aussichtsreichste Kandidatengen.<br />

Die Forschenden bestimmten die DNA, erhoben klinische Daten und<br />

machten Magnetresonanzaufnahmen des Gehirns bei 105 Kindern mit<br />

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und bei 103 Kindern ohne<br />

diese Störung. Die Analyse der Daten ergab, dass Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung,<br />

die über das Gen 7-Repeat Allel 27<br />

In der Kindheit auftretende Störungen


28<br />

8 9 10<br />

11<br />

12<br />

Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung haben einen dünneren<br />

Kortex als solche ohne diese Störung, doch zeigen Hirnscans (die Zahlen geben<br />

das Alter des Kindes an), dass diese Diskrepanz in jenen 30% der Fälle, bei denen ADHS<br />

mit einer ganz bestimmten, seltenen Genvariante einhergeht, bis zum Alter von etwa<br />

16 Jahren verschwindet.<br />

verfügten, einen besseren klinische Status aufwiesen und intelligenter<br />

waren als Kinder ohne das Gen 7-Repeat-Allel. Dieser Befund war hochspezifisch:<br />

Bei zwei anderen bekannten genetischen Risikofaktoren für<br />

ADHS wurde weder was den klinischen Status noch was den charakteristischen<br />

Verlauf der kortikalen Entwicklung anbelangt ein vergleichbarer<br />

Zusammenhang gefunden.<br />

Bei Kindern mit der Genvariante 7-Repeat-Allel fanden die Forschenden<br />

ein unverkennbares kortikales Entwicklungsmuster: In Regionen, die für<br />

die Kontrolle der Aufmerksamkeit bedeutsam sind, war der Kortex anfänglich<br />

dünn, wurde dann jedoch dicker und näherte sich bei ca. 16-Jährigen<br />

der Entwicklungskurve von gesunden Kindern.<br />

In einer früheren Studie hatte dieselbe Forschungsgruppe berichtet, mit<br />

diesem kortikalen Entwicklungsmuster sei ein besserer klinischer Status<br />

der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung verbunden. Die Untersuchung<br />

aus dem Jahr 2007 brachte die Genetik sowohl mit dem klinischen<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

–2<br />

–5<br />

T statistic


Adrian Bird und Mitarbeitende<br />

am Wellcome Trust<br />

Centre for Cell Biology in<br />

Schottland beeinflussten<br />

die Produktion des Proteins<br />

MeCP2 in einem Maus -<br />

modell des Rett-Syndroms.<br />

Sie stellten fest, dass die<br />

Wieder herstellung der<br />

MeCP2-Produktion die<br />

Symptome beseitigte.<br />

Bild als auch mit der kortikalen Entwicklung in Zusammenhang und lässt<br />

hoffen, dass solche genetische Informationen künftig in die klinische<br />

Behandlung einfliessen werden.<br />

Rett-Syndrom Fortschritte<br />

Das Rett-Syndrom beruht auf Genmutationen des Methyl-CpG Bindungsproteins<br />

2 (MeCP2) und betrifft vor allem Mädchen. Die Symptome<br />

entwickeln sich in der frühen Kindheit und führen dazu, dass die Sprache<br />

und normale Bewegungen, insbesondere der Gebrauch der Hände, ver -<br />

loren gehen. Pathologische Atemmuster und Parkinson ähnliches Zittern<br />

sind häufig.<br />

Frauen mit Rett-Syndrom haben ein mutiertes und ein normales MeCP2-<br />

Gen. Deshalb eignen sich weibliche Mäuse mit einem Stopp-Gen auf dem<br />

einen X Chromosom am besten als genetisches Modell für diese Krankheit.<br />

Bei diesen Mäusen entwickeln sich im Alter von 4 – 12 Monaten Rett<br />

ähnliche Symptome – Zittern sowie Störungen der Beweglichkeit und der<br />

Gangart – und diese Symptomatik bleibt während einer offenbar normalen<br />

Lebensdauer bestehen.<br />

Zwar haben die Neuronen weniger Ausläufer als normal, doch gibt es<br />

weder im Mausmodell noch bei vom Rett-Syndrom betroffenen Menschen 29<br />

In der Kindheit auftretende Störungen


30<br />

CrH Expression ist erhöht in MeCP2 308 Mäusen<br />

Paraventrikulärer<br />

Hypothalamus<br />

CrH Expressions Level<br />

stark<br />

schwach<br />

Wild-Typ<br />

MeCP2 308<br />

Mutationen des Proteins MeCP2 verursachen das Rett-Syndrom. Mit diesen Muta -<br />

tionen gezüchtete Mäuse zeigen erhöhte Spiegel des Stresskontrollhormons Cortico -<br />

trophin freisetzendes Hormon (CrH) im Hypothalamus, was wahrscheinlich zu Stress<br />

und Angst beiträgt, Symptome, die für Rett typisch sind.<br />

Hinweise auf einen Verlust an Nervenzellen – dies im Gegensatz zu degenerativen<br />

Erkrankungen wie Parkinson, Chorea Huntington oder Alzheimer.<br />

Da die fehlerhaften Neuronen am Leben bleiben, fragten sich Forschende<br />

am Wellcome Trust Centre for Cell Biology an der Edinburgh<br />

University in Schottland, ob eine Wiederherstellung des MeCP2-Proteins<br />

die Funktionsfähigkeit der Nerven bewahren und die Mäuse „heilen“<br />

könnte.<br />

Adrian Bird und Mitarbeitende überprüften diese Hypothese, indem sie<br />

ins MeCP2-Gen der Maus eine „Stopp-Kassette“ einfügten, welche die<br />

Produktion des MeCP2-Proteins verhinderte; diese Studie erschien im<br />

Februar in Science 3 . Das Stopp-Gen konnte nach Belieben reaktiviert<br />

werden, indem man der Maus Tamoxifen injizierte; dieses setzte eine<br />

Reihe molekularer Abläufe in Gang, die zur Deletion der Stopp-Kassette<br />

führten und auf diese Weise das MeCP2-Gen reaktivierten, so dass es das<br />

Protein herstellte.<br />

Die Forschenden verabreichten Tamoxifen erst, nachdem sich bei den<br />

weiblichen Mäusen das volle Krankheitsbild entwickelt hatte. Sobald das<br />

MeCP2-Gen wieder dazu gebracht wurde, MeCP2-Protein zu produzieren,


hörte überraschenderweise das Zittern auf und Atmung, Beweglichkeit<br />

sowie die Gangart der Mäuse, die zuweilen wenige Tage vor dem Tod<br />

standen, normalisierten sich. Dass ausserdem auch die elektrophysiologischen<br />

Funktionen der weiblichen Mäuse wieder hergestellt waren, belegten<br />

Messungen des Reaktionsvermögens von stimulierten Nervenzellen.<br />

Versuche mit Tamoxifen wurden auch an männlichen Mäusen durchgeführt,<br />

bei denen bereits Symptome aufgetreten waren. Auch bei ihnen<br />

verschwanden die meisten oder alle Symptome, wenn das MeCP2-Gen<br />

wieder hergestellt war, und die Mäuse erreichten ein der normalen<br />

Lebenserwartung entsprechendes Alter.<br />

Da diese Ergebnisse annehmen lassen, dass die Symptome des Rett-<br />

Syndroms potentiell reversibel sind, könnten sie zu ähnlichen Forschungsarbeiten<br />

im Hinblick auf verwandte Autismus-Spektrum-Störungen anregen.<br />

Wichtiges Enzym bei Fragilem-X<br />

Ähnlich ermutigende Ergebnisse erzielte eine von Nobelpreisträger Susumu<br />

Tonegawa geleitete Forschungsgruppe am Massachusetts Institute of<br />

Technology bezüglich des Fragilen-X-Syndroms, der häufigsten erblichen<br />

Art von Entwicklungsverzögerung, die vor allem männliche Personen<br />

betrifft. Die Arbeit erschien in der Juli-Ausgabe von Proceedings of the<br />

National Academy of Sciences 4 .<br />

In dieser Studie an einem Mausmodell des Fragilen-X-Syndroms wiesen<br />

die Tiere ähnliche Symptome auf wie von der Krankheit betroffene Menschen:<br />

Hyperaktivität, repetitive Bewegungen, Aufmerksamkeitsdefizite<br />

und Schwierigkeiten mit Lern- und Gedächtnisaufgaben.<br />

Auch die strukturellen Abweichungen der Versuchstiere glichen jenen, die<br />

man bei Menschen festgestellt hatte. Die Neuronen im Gehirn der betroffenen<br />

männlichen Personen haben viele dendritische Dorne, die jedoch<br />

länger und dünner sind als normal und schwächere elektrische Signale<br />

übertragen als jene von nicht betroffenen Personen. Dendritische Dorne<br />

sind kleine Ausstülpungen auf den Dendriten-Ästen von Neuronen; sie<br />

empfangen chemische Signale von anderen Neuronen und leiten sie zum<br />

Zellkörper weiter.<br />

Die Forschenden nahmen an, die Hemmung eines bestimmten Enzyms im<br />

Gehirn könnte ein wirksamer Weg sein, diesen strukturellen Veränderungen 31<br />

In der Kindheit auftretende Störungen


32<br />

und den schwer beeinträchtigenden Symptomen des Fragilen-X-<br />

Syndroms zu begegnen. Das Enzym p21-aktivierte Kinase beeinflusst<br />

Zahl, Grösse und Form der Verbindungen von Neuronen im Gehirn.<br />

Wenn sie die Aktivität des Enzyms blockierten, bildeten sich bei Mäusen<br />

die abnormen Strukturen der neuronalen Verbindungen zurück. Darüber<br />

hinaus förderte die Hemmung des Enzyms die elektrische Kommunikation<br />

zwischen Neuronen im Gehirn der Mäuse und damit besserten sich auch<br />

ihre Verhaltensauffälligkeiten.<br />

Da die Genexpression, welche p21-aktivierte Kinase hemmt, nach der<br />

Geburt auftritt, könnte es eines Tages möglich sein, durch Präparate,<br />

welche die Aktivität des Enzyms hemmen, bereits bei kleinen Kindern mit<br />

Fragilem-X-Syndrom geistige Einbussen zu verhindern oder zu beheben.


Bewegungsstörungen und<br />

andere Störungen der Motorik<br />

Chorea Huntington 34<br />

Parkinson-Krankheit 37<br />

33


34<br />

Die Erforschung der Chorea Huntington und der Parkinson-Krankheit<br />

liess 2007 die genetischen und molekularen Grundlagen dieser Bewegungsstörungen<br />

deutlicher erkennen, offenbarte aber zugleich, wie überaus<br />

kompliziert diese sind und mässigte dadurch übertriebene Hoffnungen<br />

auf Behandlungsfortschritte. Von Seiten der Forschung wird betont,<br />

für ein besseres Verständnis dieser beiden Krankheiten seien tiefere Einblicke<br />

in die molekularen Aktivitäten innerhalb der Hirnzellen notwendig.<br />

Chorea Huntington<br />

Menschen, bei denen sich Chorea Huntington entwickelt, kommen mit<br />

der Genmutation, welche diese Krankheit verursacht, zur Welt, doch zeigen<br />

sich Symptome oft erst, wenn sie in den Vierzigern sind. Diese lange<br />

zeitliche Verzögerung war für die Wissenschaft ein Rätsel; nun beginnen<br />

sich aber Erklärungen abzuzeichnen.<br />

Cynthia T. McMurray und Mitarbeitende an der Mayo Clinic und andernorts<br />

kamen 2007 zu einem Aufsehen erregenden Befund bezüglich<br />

Chorea Huntington: sie führten den Krankheitsprozess auf die gewöhn -<br />

liche Oxidation und Reparatur der DNA zurück, deren Schlüsselrolle beim<br />

Alterungsvorgang seit langem bekannt ist.<br />

Während des ganzen Lebens binden in jeder Zelle Sauerstoffatome an<br />

Nukleotide des DNA-Strangs. Enzyme der Zelle schneiden diese oxidierten<br />

Fragmente heraus und reparieren die DNA. In einem Aufsatz in Nature weist<br />

McMurray nach, dass bei Trägern der Chorea Huntington-Mutation dieser<br />

Vorgang dazu führt, dass die Zahl der zur Zeit der Geburt auf Chromosom 4<br />

bestehenden Wiederholungen einer aus drei Basen – Cytosin, Adenin und<br />

Guanin (CAG) – bestehenden Sequenz zunimmt 1 . Diese Sequenz enthält<br />

Bauanweisungen für das Huntingtin-Protein, welches benötigt wird, um<br />

Neurotransmitter vom Zellkörper durch das Axon zur Synapse zu transportieren,<br />

wo die Kommunikation zwischen Zellen stattfindet.<br />

Normalerweise haben Menschen 10-35 CAG-Wiederholungen auf Chromosom<br />

4. Bei Personen mit 40 oder mehr CAG-Wiederholungen treten<br />

schliesslich Symptome der Chorea Huntington auf und zwar desto früher,<br />

je höher die Zahl der Wiederholungen ist. So kam es beispielsweise bei<br />

einem Kind mit 95 Wiederholungen bereits im Alter von drei Jahren zu<br />

Anfällen, einer Verminderung der intellektuellen Fähigkeiten und neuromuskulären<br />

Störungen; mit elf Jahren starb es an Chorea Huntington.


Hirnscans zeigen den<br />

auffallenden Unterschied<br />

zwischen einer<br />

gesunden Person<br />

(links) und einer mit<br />

der Huntington-<br />

Krankheit (rechts).<br />

Die normale DNA-Reparatur tendiert dazu, die Zahl der CAG-Wiederholungen<br />

zu erhöhen, meint McMurray. Verantwortlich dafür sei ein einziges<br />

Enzym, das OGG1, das Neuronen zur Produktion einer zunehmend toxischen<br />

Form des Huntingtin-Proteins veranlasst, das zu viel Glutamin, eine<br />

für den Zellstoffwechsel notwendige Aminosäure, enthält. Dieses zusätz -<br />

liche Glutamin bewirkt, dass das Huntingtin-Protein klebrig wird, verklumpt<br />

und im Nukleus Zusammenballungen bildet. Das setzt eine<br />

Kaskade von zellulären Fehlfunktionen in Gang, die schliesslich zur Ent -<br />

stehung von Symptomen der Chorea Huntington führen.<br />

Diese Beobachtung stimmt mit der linearen Beziehung zwischen der Zahl<br />

von CAG-Wiederholungen und dem Alter des Krankheitsausbruchs<br />

überein. Bei Personen, die von Geburt an eine grosse Zahl von CAG-<br />

Wiederholungen aufweisen, treten schon früh Symptome auf, wohingegen<br />

bei jenen, die mit einer kleineren Zahl von Wiederholungen geboren<br />

wurden, Symptome erst dann auftreten, wenn dieser DNA-Reparaturvorgang<br />

Zeit hatte, die Zahl der CAG-Wiederholungen auf ein toxischeres<br />

Niveau zu erhöhen.<br />

Bei Mäusen ohne OGG1-Enzym, wurde die CAG-Expansion massiv<br />

unterdrückt, ohne dass schädliche Auswirkungen aufgetreten wären<br />

– ein Hinweis darauf, dass die DNA-Wiederherstellung möglicherweise<br />

durch „Backup“-Enzyme ausgeführt wurde. Somit scheint dieses<br />

Enzym ganz spezifisch für eine Förderung der CAG-Expansion verantwortlich<br />

zu sein; wenn man also OGG1 bei Menschen auf irgendeine<br />

Weise blockieren könnte, liesse sich möglicherweise die durch Chorea<br />

Huntington verursachte Schädigung entscheidend hinauszögern oder<br />

gar verhindern. 35<br />

Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik


Forschende in Cambridge und Harvard versuchten die toxischen Wirkungen<br />

des mutierten Huntingtin-Proteins auf andere Weise zu vermindern; sie<br />

brachten Zellen dazu, die toxischen Ablagerungen wirksamer zu entsorgen.<br />

In einem Aufsatz in Nature Chemical Biology berichten Stuart L. Schreiber,<br />

David C. Rubinsztein und Mitarbeitende, wenn man der Hefe so genannte<br />

„Klein-Molekül-Verstärker“ beimische, fördere dies die Autophagie –<br />

einen Zellvorgang zum Abbau fehlerhafter und falsch gefalteter Proteine,<br />

etwa mutiertem Huntingtin 2 . Wenn es gelingen würde, die Autophagie<br />

bei Personen mit Chorea Huntington anzuregen, würde dies die Produktion<br />

von Huntingtin zwar weder verlangsamen noch stoppen, doch könnte<br />

der wirksamere Abbau toxischer Ablagerungen nach Meinung der Forschenden<br />

das Auftreten von Symptomen hinauszögern.<br />

Mutiertes Huntingtin-Protein scheint jedoch noch viele andere Probleme<br />

zu verursachen; diesen gehen Elena Cattaneo und Mitarbeitende an der<br />

Universität Milano nach.<br />

Normales Huntingtin stimuliert z. B. die Produktion eines Nervenwachstumsfaktors<br />

im Gehirn (brain-derived neurotrophic factor; BDNF); dieses<br />

Protein fördert das Überleben bestehender Neuronen sowie die Entwikklung<br />

von Synapsen und neuen Neuronen. Bei von Chorea Huntington<br />

Betroffenen sterben Neuronen im Striatum ab, was Spastik und viele weitere<br />

Symptome verursacht. Im Jahr 2001 zeigten Cattaneo und Mitarbeitende,<br />

dass Huntington-Kranke ein niedrigeres BDNF-Niveau aufweisen 3 .<br />

Die Forschende hätten diesen Cholesterinmangel auch im Mausmodell<br />

der Chorea Huntington gefunden; für dieses Defizit machen sie dasselbe<br />

mutierte Huntingtin-Protein verantwortlich, das auch bei Menschen<br />

mit Chorea Huntington vorkam.<br />

36<br />

Ausgehend von dieser Entdeckung gelang es ihnen 2007 die Fehlfunktion<br />

einem regulierenden Genabschnitt zuzuweisen, der sich bei Huntington-<br />

Kranken auf BDNF auswirkt 4 . Allerdings liegt dieser Abschnitt in einer<br />

Region mit über 1000 Genen, die nicht nur BDNF beeinflussen; dies lässt<br />

vermuten, dass bei Huntington-Kranken möglicherweise auch andere,<br />

Neuronen beeinflussende Gene eine Fehlfunktion aufweisen. Zurzeit sucht<br />

Cattaneos Gruppe nach Molekülen, welche die Aktivität von normalem<br />

Huntingtin imitieren und die Expression von BDNF und verwandten Genen<br />

steigern. Bisher haben sie drei Wirkstoffe bestimmt, welche die Produktion<br />

von BDNF in von Chorea Huntington betroffenen Zellen steigern 5 .


Indem BDNF die Menge von Cholesterin in synaptischen Bläschen erhöht,<br />

scheint er auch die Bildung von Synapsen zu regulieren 6 . 2005 stellten<br />

Cattaneo und Mitarbeitende fest, dass Zellen und Gewebe von Huntington-Kranken<br />

zu wenig Cholesterin enthielten und dass eine ergänzende<br />

Cholesterinzufuhr die von der Krankheit am meisten betroffenen Neuronen<br />

im Striatum vor dem Untergang bewahrte 7 . In einem Paper in Human<br />

Molecular Genetics berichten Cattaneo und Mitarbeitende, sie hätten<br />

diesen Cholesterinmangel auch im Mausmodell der Chorea Huntington<br />

gefunden; für dieses Defizit machen sie dasselbe mutierte Huntingtin-<br />

Protein verantwortlich, das auch bei Menschen mit Chorea Huntington<br />

vorkam 8 .<br />

Die Forschenden vermuten, die Signalübertragung von BDNF übe einen<br />

direkten Einfluss auf die Biosynthese von Cholesterin aus – eine Hypothese,<br />

die einen Zusammenhang zwischen zwei anscheinend unabhän -<br />

gigen Fehlfunktionen herstellt.<br />

Zwar ist eine Heilbehandlung bei Chorea Huntington erst möglich, wenn<br />

es gelingt, die für das fehlerhafte Huntingtin-Protein verantwortlichen<br />

DNA-Wiederholungen zu verhindern, doch zeigt eine neuere Studie, dass<br />

ein kleines Molekül C2-8 die Zusammenballung von mutiertem Huntingtin<br />

in Zellen hemmen und dadurch die Entwicklung der Symptome zumindest<br />

verlangsamen könnte 9 .<br />

Parkinson-Krankheit<br />

Im Jahr 2007 wurden zwei neue Formen der Behandlung der Parkinson-<br />

Krankheit entwickelt, die darauf hoffen lassen, dass sie zumindest Symptome<br />

wie Tremor und Muskelsteifheit mildern können.<br />

Forschende an der Northwestern University berichteten in Nature, es sei<br />

ihnen gelungen, in einer bestimmten Hirnregion, der kompakten Zone der<br />

Substantia nigra, Dopamin produzierende Neuronen zu „verjüngen“. Da<br />

diese Neuronen bei Parkinson-Kranken zugrunde gehen, stehen dem<br />

Gehirn nicht mehr genug Neurotransmitter zur Verfügung, um die normale<br />

Bewegungsfähigkeit aufrechtzuerhalten 10 .<br />

Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik<br />

Für gewöhnlich dienen bei diesen Zellen Kalziumkanäle der Aufrechterhaltung<br />

des normalen Stoffwechsels. James Surmeier und Mitarbeitende<br />

fanden jedoch heraus, dass sich genetisch veränderte Mäuse, die über<br />

keine Kalziumkanäle verfügten, normal verhielten, da ihre Dopamin 37


38<br />

produ zierenden Zellen auch weiterhin jene Natriumkanäle verwendeten,<br />

die normalerweise nur in der frühen Entwicklung aktiv sind.<br />

Mittels Isradipin, einem Kalziumkanalblocker, blockierten sie die Kalziumkanäle<br />

in Neuronen, die sie normalen Mäusen entnommen hatten.<br />

Während rund 30 Minuten funktionierten diese Zellen nicht mehr. Als<br />

dann die bislang untätigen Natriumkanäle wieder zu funktionieren begannen,<br />

nahmen sie ihre Schrittmachertätigkeit wieder auf. Als die Forschenden<br />

Isradipin-Pellets unter die Haut von genveränderten Parkinson-<br />

Modell-Mäusen implantierten, kam es bei diesen Tieren nicht zu den für<br />

die Krankheit typischen motorischen Einbussen.<br />

Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche Wirksamkeit von Isradipin, ergibt<br />

sich aus der Tatsache, dass es einer Medikamentenklasse angehört, die zur<br />

Behandlung von Bluthochdruck verwendet wird. Eine retrospektive Studie<br />

deutet darauf hin, dass von Bluthochdruck betroffene Personen, die mit solchen<br />

Medikamenten behandelt wurden, seltener an Parkinson erkranken 11 .<br />

Auch dass Versagen der Mitochondrien, der Energie produzierenden Bläschen<br />

innerhalb der Zellen, kann den Untergang der Dopamin produzierenden<br />

Neuronen verursachen. Forschende an der Stanford University<br />

wiesen nach, dass eine Mutation des Gens Pink1 mit einem gehäuften<br />

Auftreten der Parkinson-Krankheit korreliert 12 . Bei Fruchtfliegen, die mit<br />

dieser Mutation gezüchtet wurden, degenerierten sowohl die Flugmuskulatur<br />

als auch die Dopamin produzierenden Neuronen.<br />

Der Muskeldegeneration gingen Anomalien in den Mitochondrien, welche<br />

Energie für die Zellen produzieren, voraus. Die Forschenden halten<br />

fest, die Funktionsstörung der Mitochondrien bei der Parkinson-Krankheit<br />

beruhe vermutlich darauf, dass Pestizide, die bekanntlich das Krankheits -<br />

risiko erhöhen, eine hemmende Wirkung auf die Mitochondrien ausüben.<br />

Allerdings traten diese Probleme nicht auf, wenn die Fliegen genetisch so<br />

verändert wurden, dass sie zu viel Parkin – ein Protein, das beim Abbau<br />

von falsch gefalteten Proteinen mitwirkt – exprimierten; dies deutet darauf<br />

hin, dass Pink1 und Parkin ihre Aktivität in einem gemeinsamen Wirkmechanismus<br />

entfalten, der bei Fruchtfliegen die Tätigkeit der Mitochondrien<br />

und das Überleben der Zellen regelt.<br />

Was die Behandlung anbelangt, weckte die Forschung im Jahr 2007<br />

Hoffnungen auf die Möglichkeit einer Gentherapie. In der ersten


Yu-Hung Kuo, links, sieht zu, wie Michael Kaplitt vom New York-Presbyterian Hospital/<br />

Weill Cornell Medical Center die Infusion eines Enzyms vorbereitet, das die Bewegung<br />

von Parkinson-Kranken verbessern soll.<br />

Gentherapie-Studie zur Parkinson-Krankheit wurden entscheidende Verbesserungen<br />

der Symptome ohne unerwünschte Wirkungen erzielt 13 .<br />

Forschende am New York-Presbyterian Hospital/Weill Cornell Medical<br />

Center implantierten zwölf Kranken ein unschädliches Virus mit dem<br />

Gen für das Enzym Glutaminsäure-Decarboxylase (glutamic acid decar -<br />

boxylase; GAD). GAD produziert GABA, einen Neurotransmitter, der die<br />

übermässige neuronale Entladung unterdrückt und koordinierte Bewegungen<br />

fördert.<br />

Das unschädliche Virus mit GAD wurde in den Nucleus subthalamicus<br />

implantiert, in jenes Hirnzentrum also, das Bewegung steuert um, wie<br />

Michael Kaplitt als Hauptautor ausführt, die Produktion von GABA anzuregen<br />

und auf diese Weise das normale Funktionieren wiederherzustellen.<br />

(Im Jahr 2003 hatte Kaplitt die erste chirurgische Gen-Therapie bei Parkinson-Kranken<br />

durchgeführt.)<br />

Um allfällige Risiken zu minimalisieren, wurde das unschädliche Virus nur<br />

in eine Seite des Gehirns implantiert; da aber die Symptome der Kranken<br />

in beiden Körperhälften gleichermassen auftreten, erlaubte es diese<br />

Massnahme auch, Fortschritte zu erkennen und zu messen. Drei Monate<br />

nach der Operation hatten sich die Bewegungsstörungen der gesamten 39<br />

Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik


40<br />

Patientengruppe, gemessen mit der Parkinsonskala (Unified Parkinson’s<br />

Disease Rating Scale) um 25-30% gebessert. Bei Einigen betrug die Besserung<br />

40-65%.<br />

Derart eindrückliche Fortschritte lassen diese potentielle Therapie als<br />

ebenso interessant erscheinen wie tiefe Hirnstimulation; letztere wird bei<br />

Personen, welche keine medikamentöse Behandlung mehr ertragen,<br />

bereits häufig zur Normalisierung der parkinsonschen Gang- und Bewegungsstörungen<br />

eingesetzt (vgl. auch Neuroethik, S. 52).<br />

Kurzfristig ist tiefe Hirnstimulation bei Parkinson-Kranken das aussichtsreichste<br />

Verfahren. Bei der Therapie werden Elektroden in den Nucleus<br />

subthalamicus, eine tief im Gehirn gelegene Region, implantiert. Diese<br />

Elektroden werden dann stimuliert und regulieren die elektrische Kommunikation<br />

von Nervenzellen innerhalb von Hirnschaltkreisen und zwischen<br />

ihnen. Auf diese Weise blockiert tiefe Hirnstimulation die pathologischen<br />

Signale, welche die motorischen Symptome der Parkinson-Krankheit, insbesondere<br />

den Tremor, hervorrufen.<br />

Im Jahr 2007 gingen Forschende in Italien bei der tiefen Hirnstimulation<br />

einen Schritt weiter und platzierten Elektroden in eine neue Region, den<br />

Nucleus pedunculopontinus, der fürs Gehen sehr bedeutsam ist 14 . Sechs<br />

Parkinson-Kranke, die auf Medikamente nicht gut ansprachen, zeigten<br />

gute Erfolge bei implantierten Elektroden, die den Nucleus pedunculopontinus<br />

mit einer Frequenz von 25 Hz und den Nucleus subthalamicus<br />

mit 185 Hz stimulierten. Insgesamt betrug die Verbesserung über 60% auf<br />

der Beurteilungsskala – weitaus mehr als durch die Stimulation nur einer<br />

Hirnregion oder durch medikamentöse Behandlung erreicht wurde.<br />

Tiefe Hirnstimulation ist heute eine zugelassene und anerkannte Therapie<br />

für Parkinson-Kranke, deren Symptome nicht mehr mit L-DOPA behandelt<br />

werden können oder bei denen die Nebenwirkungen einer langfristigen L-<br />

DOPA-Behandlung zu schweren Beeinträchtigungen geführt haben.<br />

Wissenschaftliche Studien zur tiefen Hirnstimulation untersuchen weiterhin,<br />

wo Elektroden im Gehirn platziert werden sollen, um Symptome am<br />

wirksamsten zu mildern. Eine weitere neuere Studie ergab, dass sich tiefe<br />

Hirnstimulation sogar neuroprotektiv auf die Dopamin produzierenden<br />

Zellen in der Substantia nigra auswirken könnte, die im Verlauf der Krankheit<br />

degenerieren 15 .


Schädigungen<br />

des Nervensystems<br />

Ein Schlaganfall erfordert schnelles Handeln 42<br />

Mit molekularer Präzision Hirntumoren anvisieren 44<br />

Rückenmarkverletzung: Den Weg für klinische<br />

Studien bahnen 47<br />

41


42<br />

Schädigungen des Nervensystems umfassen verschiedenartige Störungen,<br />

die Gehirn und Rückenmark betreffen, einschliesslich Schlaganfall,<br />

Rückenmarkverletzungen und Hirntumoren. Im Jahr 2007 wiesen Forschende<br />

nochmals deutlich darauf hin, dass ein Hirnschlag schnelles<br />

Handeln erfordert; ausserdem wurden neue Ansätze zur Behandlung von<br />

Hirntumoren getestet und Verbesserungen der klinischen Versuche bei<br />

Rückenmarkverletzungen erarbeitet.<br />

Ein Schlaganfall erfordert schnelles Handeln<br />

Dass die Betroffenen frühzeitig hospitalisiert und dort angemessen behandelt<br />

werden, steht für die klinische Hirnschlagforschung weiterhin im<br />

Vordergrund; neue Daten aus Europa lassen die Nachbehandlung von<br />

Personen mit transitorischen neurologischen Symptomen als ebenso<br />

dringlich erscheinen.<br />

Im Mai brachten die American Heart Association und die American Stroke<br />

Association ihre Empfehlungen zur Akutbehandlung des Schlaganfalls auf<br />

den neusten Stand; sie bestätigten, dass die Verabreichung des Gewebe-<br />

Plasminogen-Aktivators (tissue plasminogen activator; tPA) vorrangig ist<br />

und dass dieses gerinnungshemmende Mittel innert drei Stunden verabreicht<br />

werden muss, um Hirnschäden nach einem ischämischen Schlaganfall<br />

auf ein Minimum zu reduzieren (der ischämische Schlaganfall beruht<br />

auf einem Sauerstoffmangel im Gehirn, der typischerweise daher rührt,<br />

dass Arterien, die das Gehirn mit Blut versorgen, nicht mehr durchlässig<br />

sind) 1 . Die Empfehlungen fordern ausserdem eine bessere Vorbereitung<br />

auf rasche Massnahmen bei Notaufnahmen in Spitälern und bei Erstversorgern;<br />

neue Daten der Centers for Disease Control and Prevention zeigen,<br />

dass weniger als die Hälfte der von einem Schlaganfall Betroffenen<br />

innert zwei Stunden nach dem ersten Auftreten akuter neurologischer<br />

Symptome ein Spital erreichen 2 .<br />

Während die Symptome bei einem schweren Schlaganfall oft offenkundig<br />

sind (z. B. verschwommene Sicht, verwaschene Sprache oder Gefühllosigkeit<br />

bzw. Lähmung auf einer Körperseite), kommt es bei einer Ischämie<br />

auch zu vorübergehenden Funktionsveränderungen des Gehirns, die<br />

keine klinisch erkennbaren Symptome hinterlassen. Man spricht dann von<br />

einer transitorischen ischämischen Attacke. Bildgebungsstudien weisen<br />

bei vielen Personen mit transitorischen neurologischen Symptomen eine<br />

Hirnschädigung nach, die auf einen subklinischen Schlaganfall hindeutet.


Wurde die Ursache einer Hirn-Ischämie (egal ob es sich dabei um eine<br />

transitorische ischämische Attacke oder einen leichten klinischen Schlaganfall<br />

handelt) erst einmal manifest, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr<br />

gross, dass diese Ursache ohne entsprechende Behandlung fortbesteht;<br />

daher sind transitorische ischämische Attacken und leichte Schlaganfälle<br />

ganz entscheidende Risikofaktoren für einen schweren Schlaganfall. Bei<br />

Interventionen nach einer transitorischen ischämischen Attacke geht es<br />

darum, in den darauf folgenden Wochen und Monaten weitere Schlaganfälle<br />

zu verhindern. Viele Hinweise lassen darauf schliessen, dass sich<br />

Schlaganfälle durch eine Reduktion der entsprechenden Risikofaktoren<br />

(dazu gehören hoher Blutdruck und ein erhöhter Cholesterinspiegel) verhindern<br />

lassen. Zwei im Oktober veröffentlichte Arbeiten betonen, dass<br />

bei Personen, die eine transitorische ischämische Attacke erlitten haben,<br />

unverzüglich mit einer solchen Behandlung begonnen werden muss.<br />

Das erste Paper stammt vom Neurologen Peter Rothwell und Mitarbeitenden<br />

an der University of Oxford in England und erschien in Lancet; es<br />

macht deutlich, dass Personen, die innerhalb von 24 Stunden nach einer<br />

transitorischen ischämischen Attacke mit herkömmlichen präventiven<br />

Therapien behandelt wurden, wesentlich weniger gefährdet waren, in den<br />

folgenden drei Monaten einen Schlaganfall zu erleiden, als solche, die<br />

keine unmittelbare Nachbehandlung erhielten 3 . Insbesondere die Gefahr<br />

eines rezidivierenden Schlaganfalls sank von 10% auf 2%; dies entspricht<br />

einer Abnahme von 80%, was den Autoren zufolge, allein in Grossbritannien<br />

einer Verhinderung von jährlich 10000 Schlaganfällen entspricht. In<br />

die Studie einbezogen waren 600 Personen aus einer grösseren Oxford-<br />

Studie, die das Auftreten von Schlaganfällen und transitorischen ischämischen<br />

Attacken bei nahezu 100000 Personen verfolgt.<br />

Schädigungen des Nervensystems<br />

Die zweite Studie wurde vom Neurologen Pierre Amarenco, einem<br />

Spezia listen für Schlaganfälle am Universitätsspital Bichat-Claude Bernard<br />

in Paris geleitet und erschien in Lancet Neurology; auch sie bestätigt den<br />

Nutzen einer frühzeitigen Intervention zur Vermeidung von Schlagan -<br />

fällen 4 . Die Forschenden werteten die Daten von 1085 Personen aus, die<br />

mit dem Verdacht auf eine transitorische ischämische Attacke in eine rund<br />

um die Uhr betriebene Klinik aufgenommen worden waren. Zu den<br />

Notfallmassnahmen zählten Bildgebung des Gehirns, der Blutgefässe<br />

und des Herzens. Personen, bei denen eine transitorische ischämische<br />

Attacke festgestellt oder vermutet wurde, erhielten unverzüglich eine<br />

Präventivbehandlung; dazu gehörten im Allgemeinen Medikamente zur 43


44<br />

Senkung des Blutdrucks und/oder des Cholesterinspiegels sowie Aspirin<br />

zur Hemmung der Blutgerinnung.<br />

Bei etwa 5% der Kranken wurden Massnahmen zur Offenhaltung der<br />

Karotis ergriffen, der Halsschlagader, die das Gehirn mit Blut versorgt. Sie<br />

wurden entweder einer offenen Operation (Karotisendarterektomie)<br />

unterzogen oder man platzierte einen transarteriellen Stent (ein „Gitterröhrchen“),<br />

um die Karotis zu erweitern (endovaskuläre Therapie).<br />

Weitere 5% litten an Vorhofflimmern, einer Herzrhythmusstörung, die zur<br />

Bildung von Blutgerinnseln im Herzen führen kann; um dieses Risiko zu<br />

vermindern, wurden sie mit gerinnungshemmenden Medikamenten<br />

behandelt. Solche Blutgerinnsel können nämlich vom Herzen ins Gehirn<br />

wandern und einen Schlaganfall verursachen.<br />

Bei den frühzeitig behandelten Personen betrug die Hirnschlagrate in den<br />

auf die transitorische ischämische Attacke folgenden 90 Tagen etwas mehr<br />

als 1%; demgegenüber lag die aufgrund früherer Beobachtungsstudien<br />

erwartete Rate beinahe bei 6%. Zusammen mit dem Bericht in Lancet führten<br />

diese Erkenntnisse dazu, dass Fachleute weltweit auf neue Behandlungsnormen<br />

für Personen mit einer transitorischen ischämischen Attacke<br />

drängen; als vorrangig gilt dabei die unverzügliche Beurteilung und<br />

Behandlung zur Vermeidung eines Schlaganfalls.<br />

Mit molekularer Präzision Hirntumoren anvisieren<br />

Da wir immer noch nicht über wirksame Behandlungsansätze für Hirn -<br />

tumoren verfügen, richtet sich die Hoffnung heute vor allem auf die Entwicklung<br />

von Therapien, die Tumoren gezielt auf der molekularen Ebene<br />

bekämpfen – wie es in der Krebsforschung ganz allgemein der Fall ist.<br />

Ausserdem wächst die Einsicht, dass sich die besonders letalen Hirnkrebsarten<br />

wohl kaum durch eine einzige Therapie ausmerzen lassen; dies führt<br />

zur vermehrten Erforschung von kombinierten Ansätzen, bei denen neue<br />

Therapieformen die Standardbehandlungen, etwa Bestrahlung und<br />

Chemo therapie, ergänzen.<br />

Viele Forschende sind überzeugt, dass solche multimodalen Therapien für<br />

Personen mit einem malignen Gliom – eine Familie von relativ seltenen Hirntumoren,<br />

die aber bereits während eines kurzen Zeitraums nach der Diag -<br />

nose mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden ist – die grösste Hoffnung<br />

darstellen. Das multiforme Glioblastom, eines der aggressivsten<br />

Mitglieder dieser Familie, war bis anhin besonders schwer behandelbar.


Rakesh Jain und Mitarbeitende<br />

am Massachusetts<br />

General Hospital Cancer<br />

Center untersuchten ein<br />

Präparat, welches das<br />

Wachstum von Hirntumor-Blutgefässenunterdrückt.<br />

Das Aufdecken der spezifischen Signalfaktoren und -wege, welche Tumoren<br />

für Wachstum und Streuung nutzen, verhilft der klinischen Forschung<br />

auf diesem Gebiet zu neuen Einsichten in die Pathogenese der Tumor -<br />

entwicklung auf der molekularen Ebene. Die Verschiedenartigkeit von<br />

Tumoren macht allerdings deutlich, dass es keinen „Einheits-Behandlungs -<br />

ansatz“ geben kann. Doch scheint es bezüglich einiger Elemente der<br />

von Tumoren genutzten Bahnen Gemeinsamkeiten zu geben und auf<br />

diese gemeinsamen Merkmale richtet sich die Forschung zu einem<br />

grossen Teil.<br />

Fachleute für Hirntumoren sind der Ansicht, ausschlaggebend für eine<br />

verbesserte Behandlung maligner Gliome sei eine präzisere Auswahl<br />

jener Personen, die mit der grössten Wahrscheinlichkeit auf spezifische<br />

Therapien ansprechen, sowie eine Verbesserung der kombinierten<br />

Behandlungsansätze.<br />

Ein viel versprechender Weg besteht darin, die Blutzufuhr von Tumoren<br />

zu unterbinden – ein Ansatz, der für viele Arten von Krebs erforscht wird.<br />

Im Januar 2007 berichteten Rakesh Jain und Mitarbeitende vom Massachusetts<br />

General Hospital Cancer Center in Cancer Cell über erste Ergebnisse<br />

mit einem Forschungspräparat, welches das Wachstum jener Blutgefässe<br />

unterdrückt, die Tumoren versorgen 5 . Das Präparat AZD2171<br />

blockiert die drei Hauptrezeptoren für den vaskulären endothelialen<br />

Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor); dieser fördert<br />

das Wachstum von Blutgefässen und kommt auf jenen Gefässen vor,<br />

die Glioblastome versorgen. (Das Überleben voll entwickelter Blutgefässe<br />

im normalen Gewebe beruht nicht auf VEGF.) 45<br />

Schädigungen des Nervensystems


46<br />

Die experimentelle Substanz erweist sich als viel versprechend im Hirnscan von Testpatienten,<br />

die am besten ansprechen. Die oben stehenden Zahlen entsprechen den<br />

Tagen vor und nach dem Behandlungsbeginn. Die oberste Reihe zeigt, wie der Tumor<br />

im Laufe der Zeit kleiner wird. Andere Reihen zeigen die Verkleinerung der Tumor-Blutgefässe,<br />

die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke und das Anschwellen in Gebieten<br />

um den Tumor. Die letzte Reihe zeigt, wie die weisse Substanz beim Abklingen der<br />

Schwellung sichtbar wird.<br />

Bei der Hälfte von 16 Personen mit rezidivierendem Glioblastom, die<br />

in einem Phase 2 klinischen Versuch mit AZD2171 behandelt wurden,<br />

verkleinerten sich die Tumoren um 50% oder mehr und bei dreiviertel der<br />

an der Studie Teilnehmenden um mindestens 25%. Die Bildgebung des


Gehirns zeigte eine rasch einsetzende Normalisierung der Blutgefässe<br />

(bei einigen Kranken begann sie bereits nach einer einzigen Dosis des<br />

Medikaments) und einen Rückgang der Hirnschwellung, einem häufigen<br />

Problem bei Hirnkrebs. Der Versuch ist noch im Gang und die Forschenden<br />

beabsichtigen, das Präparat in Kombination mit herkömmlichen<br />

Krebstherapien bei neuen Glioblastom-Patienten zu untersuchen.<br />

Forschende an der Duke University führten an 32 Personen mit fortgeschrittenem<br />

Gliom eine Phase 2 Studie durch, bei der sie einen anderen<br />

Angiogenese-Hemmer, Bevacizumab (Avastin), und Chemotherapie mit<br />

Irinotecan kombinierten. Erste Resultate wurden von James Vredenburgh<br />

und Mitarbeitenden im Februar in Clinical Cancer Research publiziert; sie<br />

deuten darauf hin, dass die Kombination gegen diese letale Tumorart wirksam<br />

ist und eine „akzeptable“ Toxizität aufweist 6 . Bei nahezu Zweidrittel<br />

der Kranken verkleinerte sich der Tumor um mindestens 50% und bei 38%<br />

hatte auch nach sechs Monaten kein neues Tumorwachstum eingesetzt.<br />

Im Gegensatz dazu verlangsamt Chemotherapie allein das Wachstum von<br />

Gliomen normalerweise nur während eines Zeitraums von sechs Wochen<br />

bis drei Monaten.<br />

Vredenburgh und weitere Fachleute für Hirntumoren sind der Ansicht, ausschlaggebend<br />

für eine verbesserte Behandlung maligner Gliome sei eine<br />

präzisere Auswahl jener Personen, die mit der grössten Wahrscheinlichkeit<br />

auf spezifische Therapien ansprechen, sowie eine Verbesserung der kombinierten<br />

Behandlungsansätze. Notwendig seien auch bessere klinische Studiendesigns,<br />

um in kürzester Zeit ein Maximum an Informationen zu erhalten.<br />

Rückenmarkverletzung: Den Weg für klinische Studien bahnen<br />

Bessere klinische Studiendesigns stehen auch bei der Erforschung des<br />

Rückenmarks im Vordergrund, geht es doch auf diesem Gebiet zunehmend<br />

darum, Ergebnisse der Grundlagenwissenschaft auf Therapieansätze<br />

zu übertragen. Im März 2007 veröffentlichte ein internationales, fachübergreifendes<br />

Forschungsgremium in Spinal Cord eine Serie von vier Auf -<br />

sätzen mit den ersten Empfehlungen für klinische Studien bei Rückenmarkverletzungen<br />

7-10 .<br />

Schädigungen des Nervensystems<br />

Die von der International Campaign for Cures of Spinal Cord Paralysis<br />

unternommene Anstrengung versucht für möglicherweise wirksame<br />

Methoden, die zurzeit in präklinischen Studien getestet werden, Kriterien<br />

aufzustellen, die robuste, realistische und nützliche klinische Studien 47


48<br />

ermöglichen. Das Gremium ruft dazu auf, bei der Planung und Durch -<br />

führung von Humanstudien die Messgrössen, die Ein- und Ausschluss -<br />

kriterien und die Ethik rigoros und einheitlich zu handhaben.<br />

Die Autoren hielten beispielsweise fest, die Messgrössen müssten anatomische<br />

und neurologische Bestimmungen umfassen, welche die „Wiederverbindung“<br />

des Rückenmarks belegen; ausserdem brauche es Kriterien, um<br />

beurteilen zu können, welche Aktivitäten des täglichen Lebens den Kranken<br />

möglich sind, sowie Erhebungen der Lebensqualität. Was die Ein- und Ausschlusskriterien<br />

anbelangt, hält das Gremium fest, die an der Studie teilnehmenden<br />

Personen müssten einen Verletzungsgrad aufweisen, für den<br />

bereits Daten aus Tierversuchen oder früheren Human studien vorliegen,<br />

welche ein positives Resultat der Intervention erwarten lassen; ausserdem<br />

müssten Schwere, Ausmass, Art und Grösse der Verletzung und die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass die Kranken von einer experimentellen Therapie profitieren<br />

können, in einem günstigen Verhältnis stehen. Weiter betonen die<br />

Autoren, es sei nötig, dass Studienteilnehmende eine Einverständniserklärung<br />

abgeben, nachdem sie klar und angemessen über Risiken, Vorteile und<br />

wissenschaftlichen Gründe experimenteller Therapien aufgeklärt wurden.<br />

Prospektive, randomisierte Doppelblindstudien mit einer angemessenen<br />

Kontrollgruppe hält das Gremium für optimal, wobei es anerkennt, dass<br />

allenfalls in gewissen Situationen andere Studiendesigns in Betracht gezogen<br />

werden müssen.<br />

Zu diesen Empfehlungen hatte wohl zum Teil die Frustration von Forschenden<br />

der westlichen Welt geführt, als sie versuchten, die Wirksamkeit<br />

unkontrollierter Humanstudien zu beurteilen. Da es im Bereich von<br />

Rückenmarkverletzungen keine wirklich wirksame Therapie gibt, nehmen<br />

verzweifelte Kranke und ihre Angehörigen jede nur denkbare Behandlung<br />

in Kauf. Dies hatte zur Folge, dass sie und gewisse Forschende bereit<br />

waren, alles zu versuchen. Besonders problematisch wurde dies in<br />

Ländern, in denen die klinische Forschung keinerlei Regeln unterworfen<br />

ist; dazu gehört auch China, wo Kranke mit Rückenmarkverletzungen<br />

massenhaft unerprobten Stammzelltransplantationen unterzogen werden.<br />

Das Gremium möchte auch Probleme mit klinischen Studiendesigns verhindern,<br />

welche früher bei der Suche nach Behandlungen komplexer neurologischer<br />

Erkrankungen aufgetreten waren – so etwa die unzureichende<br />

Empfindlichkeit der Messgrössen bei klinischen Studien zu neuroprotektiven<br />

Therapien des Schlaganfalls.


Neuroethik<br />

Vermarktung der Lügendetektion 50<br />

Tiefe Hirnstimulation bei schwerer Depression 52<br />

Genetische Grundlagen von Abhängigkeit 53<br />

Bildgebung des Gehirns zu diagnostischen Zwecken 54<br />

49


50<br />

Die ethischen Implikationen der vielen und rasanten Fortschritte der<br />

Neurowissenschaft fördern weiterhin das Wachstum der Neuroethik, so<br />

dass diese im grösseren Bereich der Bioethik einen immer prominenteren<br />

Platz einnimmt. Seit dem Jahr 2007 publiziert das American Journal of<br />

Bioethics zwölf statt sechs Hefte – dies auch deshalb, weil es der Neuro -<br />

ethik jährlich drei ganze Hefte widmen möchte. Diese Spezialhefte, die<br />

so genannten AJOB Neuroscience, sind heute das offizielle Journal der<br />

Neuroethik.<br />

Vier bedeutende Entwicklungen haben im vergangenen Jahr Diskussionen<br />

und Debatten hervorgerufen: die Vermarktung der Lügendetektion;<br />

das Ansinnen, tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Depressionen<br />

einzusetzen; Fortschritte im Verständnis der genetischen Grundlagen von<br />

Abhängigkeit; sowie Verbesserungen der Bildgebung des Gehirns zu<br />

diagnostischen Zwecken.<br />

Vermarktung der Lügendetektion<br />

Da es in den letzten Jahren immer besser gelang, die Aktivität in ver -<br />

schiedenen Hirnregionen mittels funktioneller Magnetresonanztomo -<br />

graphie (functional magnetic resonance imaging; fMRI) abzubilden,<br />

wuchs auch das Interesse daran, diese Technik für das Aufdecken von<br />

Lügen einzusetzen. Obwohl erst Vorversuche gemacht wurden und<br />

die Resultate problematisch sind, haben bereits zwei Firmen auf fMRI<br />

basierende Produkte und Dienstleistungen zur Lügendetektion ent -<br />

wickelt: Cephos Corporation und No Lie MRI. Als mögliche Verwendungszwecke<br />

nennen die Firmen die Ermittlung bei Verbrechen, Anhörungen<br />

zu bedingter Haftentlassung und Sorgerecht, Spionageabwehr<br />

sowie Befragungen, die mit Versicherungsrecht und Staatssicherheit<br />

zusammenhängen.<br />

Im Jahr 2007 veröffentlichte das American Journal of Law and Medicine<br />

einen Aufsatz von Henry Greely (Stanford) und Judy Illes (sie ist inzwischen<br />

an der University of British Columbia), in dem sie die bisherigen Forschungsresultate<br />

der auf fMRI beruhenden Lügendetektion analysieren<br />

und dringend zum Erlass von Richtlinien aufrufen 1 . Die Autoren geben zu<br />

bedenken, dass es sich zwar um eine viel versprechende Technik handle,<br />

dass aber ihre Zuverlässigkeit für die reale Welt durch die bisherigen<br />

Studien in keinerlei Weise erwiesen sei, zumal es in den Experimenten um<br />

künstliche und triviale Lügen gehe.


In einer gemeinsam mit Henry<br />

Greely verfassten Publikation<br />

hat Judy Illes zum Erlass von<br />

Richtlinien aufgerufen, welche<br />

die auf funktioneller Magnet -<br />

resonanztomographie beruhende<br />

Lügendetektion regeln. Den<br />

Autoren zufolge hat sich dieses<br />

Verfahren in Studien nicht als<br />

zuverlässig erwiesen.<br />

Ausserdem sei keine einzige dieser an kleinen Stichproben durchge -<br />

führten Studien durch unabhängige Forschende bestätigt worden, und<br />

die Möglichkeit, dass Versuchspersonen Gegenmassnahmen getroffen<br />

hätten, um die Lügendetektoren auszutricksen, habe man nicht in<br />

Betracht gezogen. Das von den Autoren vorgeschlagene Kontrollsystem<br />

– es entspricht den FDA (Food and Drug Administration)-Kontrollen für<br />

die Verwendung von Medika menten – würde verlangen, dass Firmen, die<br />

Verfahren zur Lügende tektion vermarkten wollen, deren Genauigkeit und<br />

Leistungsfähigkeit mit gross angelegten Studien belegen. Aufgrund einer<br />

derartigen Regelung wäre die Vermarktung dieser Technik ohne behörd -<br />

liche Zulassung gesetzwidrig.<br />

Gemeinsam mit Margaret Eaton in Stanford verfasste Illes auch einen<br />

Kommentar für die im April 2007 erschienene Ausgabe von Nature Biotechnology,<br />

der einige ethische, soziale und politische Aspekte im<br />

Zusammenhang mit der Vermarktung der kognitiven Neurotechnologie im<br />

Allgemeinen behandelt 2 . Sie äussern unter anderem Bedenken bezüglich<br />

der Präzision, der Privatsphäre des Gehirns und der Vertraulichkeit sowie<br />

potentiellen Interessenkonflikten bei jenen, die diese Techniken auf den<br />

Markt bringen.<br />

Eine besondere Gefahr einer unkontrollierten Lügendetektions-Industrie<br />

ist die Ausbeutung der verletzlichsten Gruppen der Bevölkerung, etwa<br />

jener, die an neurologischen oder psychiatrischen Störungen leiden. Allerdings<br />

scheint unsere Gesellschaft derart auf Geräte zur Lügendetektion<br />

erpicht zu sein, dass zahlreiche Personen deren angeblicher Brauchbarkeit<br />

noch so gern Vertrauen schenken, so die Autoren. 51<br />

Neuroethik


52<br />

Tiefe Hirnstimulation bei schwerer Depression<br />

Nachdem tiefe Hirnstimulation (deep brain stimulation; DBS) zur Behandlung<br />

der körperlichen Parkinson-Symptome so erfolgreich war und nachdem<br />

Bildgebungsstudien eine spezifische Hirnregion identifiziert hatten,<br />

die bei Depression involviert ist und mittels tiefer Hirnstimulation behandelt<br />

werden könnte, begannen Forschende an einer kleinen Zahl von Personen<br />

mit behandlungsresistenter Depression klinische Studien mit dieser Technik<br />

durchzuführen. Im Jahr 2005 veröffentlichte Befunde belegten für viele<br />

dieser operierten Kranken beachtliche Symptomver besserungen, doch 2007<br />

begann man, diese Behandlung einer ethischen Prüfung zu unterziehen.<br />

Da tiefe Hirnstimulation auch als Methode zur Behandlung der Parkinson-<br />

Krankheit relativ neu ist, erkennen die Forschenden nun auch unerwartete<br />

Risiken. Eine in Acta Neuropsychiatrica veröffentlichte Fallstudie zeigte im<br />

Juni 2007, dass geringfügige Verschiebungen des Kontakts oder der Spannung<br />

der Elektrode bei zwei Parkinson-Kranken eine lebensbedrohliche<br />

(mit Selbstmordabsichten einhergehende) Depression auslösten 3 .<br />

Forschende stellen fest, dass Fragen der Sicherheit zwar immer wichtig<br />

seien, doch wenn es um die Behandlung schwer beeinträchtigender oder<br />

gar letaler Krankheiten wie Parkinson gehe, seien Menschen bereit,<br />

beachtliche Risiken einzugehen. Depression ist wesentlich brisanter:<br />

Einige Patientenvereinigungen sind der Ansicht, diese Diagnose werde zu<br />

häufig gestellt; andere meinen, selbst die tatsächlich Betroffenen müssten<br />

lernen, mit ihr zu leben; und wiederum andere erinnern daran, dass viele<br />

Antidepressiva zur Verfügung stehen.<br />

Allerdings ist tiefe Hirnstimulation für behandlungsresistente Depressionen<br />

bestimmt, also für solche, die nicht auf Medikamente ansprechen.<br />

Und ohne wirksame Behandlung können Kranke schwer beeinträchtigt<br />

und manchmal auch suizidgefährdet sein.<br />

Für die tiefe Hirnstimulation zur Depressionstherapie und für andere<br />

klinischen Indikationen fehlen zur Zeit die Richtlinien. Daher traf sich im<br />

Jahre 2007 eine Gruppe führender Forscher und Forscherinnen auf diesem<br />

Gebiet, um in einer Consensus-Konferenz Richtlinien zur experimentellen<br />

Anwendung tiefer Hirnstimulation zu entwerfen.<br />

Auch die Einverständniserklärung weckt ethische Bedenken. Aufgrund von<br />

Wahrnehmungsstörungen und Verzweiflung als möglichen Begleiterschei-


nungen von schweren Depressionen, kann die Urteilsfähigkeit von Kranken<br />

stark beeinträchtigt sein. Über dieser ganzen Debatte schwebt das Schreckgespenst<br />

der Elektrokrampftherapie, deren therapeutischer Nutzen zwar<br />

unbestritten, deren Anwendung jedoch weiterhin höchst kontrovers ist.<br />

Genetische Grundlagen von Abhängigkeit<br />

Im Jahr 2007 wurden mehrere wissenschaftliche Artikel über Gene publiziert,<br />

die für Abhängigkeiten verantwortlich sein können. Beispielsweise<br />

veröffentlichten Colin Haile und Mitarbeitende in Behavior Genetics 4<br />

einen Artikel mit dem Titel „Genetics of Dopamine and Its Contribution to<br />

Cocaine Addiction“ (Genetik des Dopamin und ihr Beitrag zu Kokainabhängigkeit).<br />

Joel Gelernter und Mitarbeiter publizierten den in Biological<br />

Psychiatry 5 . erschienenen Artikel „Genomewide Linkage Scan for Nicotine<br />

Dependence: Identification of a Chromosome 5 Risk Locus“ (Linkage Scan<br />

des gesamten Genoms bezüglich Nikotinabhängigkeit: Identifizierung<br />

eines Risiko-Locus auf Chromosom 5).<br />

Mit dem Nachweis, dass Gene gewisse Personen zu Suchtverhalten<br />

prädisponieren, sind ethische Fragen verbunden.<br />

Was Alkohol anbelangt, legte Charles O’Brien 6 2007 in einem Kommentar<br />

der November-Ausgabe von Addiction dar, es zeige sich immer deutlicher,<br />

dass eine Genvariante des Mu-Opiatrezeptors im Gehirn mit einer verstärkten<br />

Anfälligkeit für Alkoholeuphorie, einem erhöhten Risiko für Alkoholismus,<br />

einem erhöhten Risiko für Opiatabhängigkeit und einem guten<br />

klinischen Ansprechen auf das in klinischen Alkoholismusstudien verwendete<br />

Medikament Naltrexon verbunden sei.<br />

Mit dem Nachweis, dass Gene gewisse Personen zu Suchtverhalten prädisponieren,<br />

sind ethische Fragen verbunden. Ein Fragenkomplex betrifft<br />

die Untersuchung an sich. Sollen wir bestimmte Gene überhaupt überprüfen,<br />

wenn sie zwar zu Sucht beitragen, diese aber nicht absolut bestimmen?<br />

Wie gross muss der Vorhersagewert der Gene oder ihre Bedeutung<br />

im Hinblick auf die Wahl einer Therapie sein, damit wir uns für ihre Überprüfung<br />

entscheiden? Wie früh soll man mit der Überprüfung beginnen?<br />

Wenn beispielsweise Eltern erfahren, dass ihr Kind zu Nikotinabhängigkeit<br />

neigt, können sie entsprechende Vorkehrungen treffen, die Kinder etwa<br />

besonders aufklären und vor Zigarettenwerbung schützen – das Wissen<br />

kann aber auch zu Gängelung und übertriebener Angst der Eltern führen.<br />

Die Kenntnis der eigenen Suchtgefährdung könnte auch zur selbst erfüllenden<br />

Prophezeiung werden. 53<br />

Neuroethik


54<br />

Auch die Beratung wirft Fragen auf: Was soll ein Arzt oder eine Ärztin<br />

Eltern sagen, deren Kind sich aufgrund seiner Gene mit grösserer Wahrscheinlichkeit<br />

zum Raucher, Alkoholiker oder Heroinsüchtigen entwickeln<br />

wird? Noch heikler wird diese Frage, wenn die genetische Information in<br />

utero zur Verfügung steht; manche Eltern könnten es sich nochmals überlegen,<br />

ob sie diese Schwangerschaft überhaupt wollen.<br />

Das frühzeitige Wissen um eine Suchtgefährdung wirft auch die Frage auf,<br />

ob Sucht hemmende Medikamente (etwa Naltrexon) vorbeugend, also<br />

noch bevor sich eine Sucht entwickelt hat, verabreicht werden sollten.<br />

Angesichts der hohen Kosten einer Suchtbehandlung könnten künftige<br />

Arbeitgeber und Versicherungsgesellschaften ein rechtmässiges Interesse<br />

an einer solchen Überprüfung geltend machen – und sie könnten Träger<br />

dieser Gene diskriminieren. (Die heutigen Gesetze verhindern die unbefugte<br />

Weitergabe von genetischen Informationen an Versicherer und<br />

Arbeitgeber.)<br />

Ein weiterer Gesichtspunkt ist wie bei jeder genetischen Abweichung<br />

die soziale Stigmatisierung. Blosse Träger dürften mehr Mühe haben,<br />

Ehe- und Fortpflanzungspartner zu finden, und Eltern könnten sich selbst<br />

dann schuldig fühlen, schlechte Gene weitergegeben zu haben, wenn ihr<br />

Kind keinerlei Anzeichen einer Sucht aufweist. Je mehr wir über gene -<br />

tische Risikofaktoren für Abhängigkeit erfahren, desto hitziger dürfte die<br />

Diskussion solcher Fragen noch werden.<br />

Bildgebung des Gehirns zu diagnostischen Zwecken<br />

Während der Einsatz der Bildgebung des Gehirns zur Diagnose der<br />

meisten psychiatrischen Erkrankungen noch in weiter Ferne liegt, er -<br />

folgten bezüglich Alzheimer-Krankheit und anderen Arten von Demenz<br />

dieses Jahr bereits die ersten Schritte. Im August 2007 veröffentlichte<br />

Agneta Nordberg in Current Opinion in Neurology 7 einen Übersichts -<br />

artikel, der ein neues Amyloid-Bildgebungsverfahren mittels Positronen-<br />

Emissions-Tomographie diskutiert, das eindeutige Unterschiede zwischen<br />

dem Gehirn von Alzheimer-Kranken und gesunden Versuchspersonen<br />

aufzeigt. Diese Studie deutet darauf hin, dass eine frühzeitige Diag -<br />

nose der Alzheimer-Krankheit möglich sein könnte. Ähnlich berichtete<br />

eine 2007 in der Märzausgabe von Archives of Neurology 8 publizierte<br />

Fallstudie, dass der Bildgebungstracer Pittsburgh Compound B erfolgreich<br />

dazu benutzt wurde, leichte kognitive Beeinträchtigungen sichtbar<br />

zu machen.


Studien dieser Art lassen hoffen, dass Bildgebung auch zu einer präziseren<br />

Diagnose von Angst- und Autismus-Spektrum-Störungen beitragen<br />

könnte. Besonders gefragt ist eine bessere Diagnose im Zusammenhang<br />

mit eingeschränkten Bewusstseinszuständen, insbesondere um exakt<br />

unterscheiden zu können, ob es sich um Personen im Wachkoma oder um<br />

solche in einem minimalen Bewusstseinszustand handelt.<br />

Zwar gab es auf diesem Gebiet im Jahr 2007 keine grösseren technischen<br />

Fortschritte, doch hat sich das ethische Bezugssystem weiterentwickelt.<br />

Im Juni leiteten Judy Illes und Joseph Fins an der Stanford University einen<br />

gut besuchten Workshop „Ethics, Neuroimaging, and Limited States of<br />

Consciousness“ (Ethik, neurologische Bildgebung und eingeschränkte<br />

Bewusstseinszustände), in dem diese Punkte wissenschaftlich diskutiert<br />

wurden. Einigkeit erzielte man unter anderem bezüglich folgender<br />

Aspekte: Forschung sowie klinische Ziele bei der Durchführung von Neuroimaging-Studien<br />

an Kranken mit eingeschränktem Bewusstseinszustand;<br />

die Problematik, eine Einverständniserklärung oder Bewilligung für<br />

solche Studien einzuholen; dass experimentelle Protokolle ein ethisch<br />

begründetes Vorgehen bei der Auswahl von Probanden und der Gestaltung<br />

von Tests beachten sollen. Eine Sonderausgabe des American Journal<br />

of Bioethics Neuroscience zu diesem Thema soll in Kürze erscheinen.<br />

Doch obwohl in der Neuroethik bezüglich dieser Fragen Einigkeit besteht<br />

und obwohl die Bildgebung zweifellos weiter verbessert wird, diskutieren<br />

Forschende und klinisch Tätige weiterhin über die viel heikleren Fragen,<br />

wie die Aufnahmen des Gehirns zu interpretieren seien und welchen<br />

prognostischen Wert sie für Kranke mit Bewusstseinsstörungen hätten. In<br />

einem im April in Neurology erschienen Artikel empfahlen Joseph Fins,<br />

Nicholas Schiff und Kathleen Foley, man solle versuchen, die Epidemio -<br />

logie des minimalen Bewusstseinszustands zu definieren, die Vorgänge<br />

während der Erholung zu klären und klinisch anwendbare diagnostische<br />

und prognostische Merkmale zu bestimmen, die der Entscheidungsfindung<br />

am Krankenbett dienen 9 .<br />

Neuroethik<br />

55


Neuroimmunologische<br />

Erkrankungen<br />

Auf den Rezeptor IL-7 konvergieren 58<br />

Sonnenstrahlen bringen Licht in die Multiple Sklerose 62<br />

57


58<br />

Das Immunsystem verwendet sein grosses und vielseitiges Arsenal von<br />

Zellverbänden und Molekülen, mittels derer Zellen kommunizieren, um<br />

uns vor den ständigen Angriffen durch krankheitserregende Organismen<br />

zu schützen. Doch können diese Zellen und Moleküle des Immunsystems,<br />

wenn sie nicht richtig auf ihr Ziel ausgerichtet und reguliert sind, ihrerseits<br />

Krankheiten hervorrufen.<br />

Es ist zwar nicht klar warum, doch scheint bei Multipler Sklerose, einer<br />

neurologischen Krankheit, das Immunsystem der Aggressor zu sein. Eine<br />

immunologisch bedingte Schädigung jener isolierenden Schicht, welche<br />

die Axone von Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark umgibt, beeinträchtigt<br />

die Übertragung der Nervenimpulse zwischen den Zellen. Multiple<br />

Sklerose kann ganz verschiedenartige Symptome hervorrufen, von<br />

Sehstörungen bis zu Gangstörungen, und der Verlauf besteht oft aus<br />

einem Auf und Ab, wobei sich die Symptome periodisch verschlimmern.<br />

Die Anfälligkeit für Multiple Sklerose beruht sowohl auf genetischen<br />

Faktoren als auch auf Umweltfaktoren, doch hängen Verlauf und Progression<br />

der Krankheit wahrscheinlich vom Zusammenspiel vieler verschiedener<br />

Gene und vieler verschiedener Umweltfaktoren ab. Für eine Beteiligung<br />

des Immunsystems gibt es klare Hinweise, und im Jahr 2007 fand die<br />

Forschung neue Indizien für genetische Einflüsse und Umweltfaktoren, die<br />

über das Immunsystem wirken.<br />

Auf den Rezeptor IL-7 konvergieren<br />

Im Jahr 1972 erkannte man erstmals eine Verbindung zwischen jenen<br />

Genen, welche die Anfälligkeit für Multiple Sklerose vererben und einer<br />

Gruppe von so genannten HLA-Genen des Immunsystems. Was die<br />

Bestimmung weiterer spezifischer genetischer Risikofaktoren anbelangt,<br />

wurden seither kaum Fortschritte erzielt. Doch brachte die Auflistung der<br />

gesamten Genom-Sequenz des Menschen (des vollständigen Sets von<br />

DNA-Instruktionen in jeder menschlichen Zelle) im Jahr 2001 die Genanalyse<br />

ausserordentlich voran. Dank neuen Labormethoden und leistungs -<br />

fähigen Computern können Forschende heute bei ihrer Suche nach der<br />

schwer fassbaren Nadel im Genom-Heuhaufen eine früher undenkbar<br />

grosse Datenmenge analysieren.<br />

Das menschliche Genom besteht zwar aus 3 Milliarden Basenpaaren, doch<br />

beschränken sich die meisten Variationen auf 250000 bis 500000 Segmente


Ein DNA- Microarray oder<br />

„Gen-Chip“ hat dazu<br />

beigetragen, genetische<br />

Risikofaktoren für Multiple<br />

Sklerose aufzudecken.<br />

der DNA. Alle diese vielen Segmente können mittels DNA-Microarrays<br />

oder „Gen-Chips“ gleichzeitig abgefragt werden. Genomweite Scans<br />

liessen Gene erkennen, die mit Brustkrebs, Herzkrankheiten und Diabetes<br />

verbunden sind 1 . Allerdings erlaubt bei multiplen genetischen Faktoren,<br />

von denen jeder nur einen geringen Einfluss ausübt, erst die Analyse<br />

grosser Stichproben eine Aussage über statistische Zusammenhänge.<br />

(Mehr zu „genomweiter Assoziation“ finden Sie im Kapitel „Psychiatrische<br />

Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten“, S. 71.)<br />

Die Ergebnisse einer genomweiten Suche nach Genen, die das Risiko für<br />

Multiple Sklerose übertragen, wurden in der Augustausgabe des New<br />

England Journal of Medicine 2 publiziert. Eine internationale Arbeitsgemeinschaft<br />

von Forschenden verwendete die Gen-Chip-Methode, um<br />

hunderttausende von einzelnen genetischen Veränderungen in insgesamt<br />

über 12000 Proben zu untersuchen. Ohne im Voraus eine Idee zu haben,<br />

was sie dabei finden könnten, bestätigten sie den Zusammenhang zwischen<br />

der HLA-Region und der Krankheit und spürten zwei weitere<br />

Marker auf: einen im Gen für den Rezeptor Interleukin-2 (IL-2) und einen<br />

für den Rezeptor Interleukin-7 (IL-7). Interleukine sind Proteine des<br />

Immunsystems, über welche Zellen miteinander kommunizieren und die<br />

Tätigkeit anderer Zellen beeinflussen.<br />

Diese Rezeptoren sind für die Signalübertragung zwischen den Zellen des<br />

Immunsystems bedeutsam. Ebenso wie die zum Gen HLA gehörenden<br />

Proteine sind auch die Rezeptoren IL-2 und IL-7 wichtige Regulatoren des 59<br />

Neuroimmunologische Erkrankungen


60<br />

Ein auf den Gen-Chip Array gerichteter Laserstrahl lässt die markierten DNA Fragmente, welche hybridisierten, aufleuchten<br />

Nicht-hybridisiertes DNA<br />

Hybridisiertes DNA<br />

Hybridisierte DNA-Fragmente leuchten auf, wenn ein Laser-Lichtstrahl auf ein Micro -<br />

array gerichtet wird, das viele Millionen von Fragmenten enthält.<br />

Immunsystems; so lässt sich verstehen, dass die Gene, welche diese beiden<br />

Interleukin-Rezeptoren hervorbringen, an Multipler Sklerose beteiligt<br />

sein können. Allerdings begnügte sich diese Studie damit, einen statistischen<br />

Zusammenhang aufzuzeigen.<br />

Genetische Studien lassen oft mehrere mögliche genetische Risikofaktoren<br />

für eine bestimmte Krankheit erkennen, die alle nicht besonders überzeugend<br />

sind. Nachfolgende Bemühungen, diese Risikofaktoren zu bestätigen,<br />

schlagen oft fehl. Durch die Kombination mehrerer verschiedener<br />

experimenteller Ansätze – Michael Hauser vom Center for Human Genetics<br />

an der Duke University spricht von „genomischer Konvergenz“ – kann<br />

man das aussichtsreichste Kandidatengen herausgreifen.<br />

Kombiniert man Resultate aus Studien, die Gene mit familiären Krank -<br />

heiten in Beziehung bringen – dabei wird die gemeinsame Vererbung<br />

von Genen analysiert und geprüft, welche Gene im betroffenen Gewebe<br />

aktiv sind – so kann sich ein aussichtsreicherer genetischer Marker


abzeichnen. Dieser Ansatz wurde für die Untersuchung der genetischen<br />

Grundlagen verschiedener komplexer neurologischer Krankheiten, einschliesslich<br />

Parkinson- und Alzheimer-Krankheit sowie Multipler Sklerose,<br />

verwendet.<br />

In zwei Studien, die in der Ausgabe vom September 2007 in Nature<br />

Genetics erschienen, wurde ein solcher genomischer Konvergenz-Ansatz<br />

durchgespielt; bei ihrer Suche nach Kandidatengenen betrachteten die<br />

Forschenden ganz gezielt jene, die sich in früheren funktionellen und<br />

genetischen Studien als aussichtsreich erwiesen hatten 3, 4 . Ebenso wie bei<br />

der Genom-Analyse bezogen auch die Nature Genetics-Studien den<br />

Rezeptor IL-7 mit ein. Und sie identifizierten dieselbe Variation einzelner<br />

Basenpaare (Single-Nucleotid-Polymorphism oder SNP) im Gen, welches<br />

den Rezeptor IL-7 produziert.<br />

Es war erwartet worden, diese besondere Genvariante würde die<br />

Bindung des Rezeptors an die Zellmembran, dem Ort seiner signalübertragenden<br />

Funktion, vermindern, so dass er mehr in löslicher Form vorhanden<br />

wäre und durch die Bindung von IL-7 dieses von der Interaktion<br />

mit Zellen abhalten könnte. Dies war tatsächlich der Fall und zwar sowohl<br />

im Laboratorium als auch bei Personen mit Multipler Sklerose. Theoretisch<br />

könnte diese Veränderung die Wirkung von IL-7 im Körper ver -<br />

mindern. Ausserdem war sowohl die Genexpression für IL-7 als auch<br />

jene für den Rezeptor IL-7 im Liquor von Personen mit dieser Krankheit<br />

verändert.<br />

Die Hinweise mehren sich, dass IL-7 und sein Rezeptor entscheidend<br />

am Krankheitsprozess mitwirken, doch ist nicht klar auf welche Weise.<br />

Zwar wird dem Gen für den Rezeptor IL-7 nur eine geringe Erhöhung des<br />

Krankheitsrisikos zugeschrieben, doch lässt sich der Rezeptor IL-7 immer<br />

weniger ignorieren. Weitere Untersuchungen des Rezeptors IL-7 sollen<br />

seine Rolle bei der Multiplen Sklerose klären und neue Behandlungs -<br />

ansätze liefern 5 .<br />

Neuroimmunologische Erkrankungen<br />

Im gesamten Krankheitsprozess wäre ein auf IL-7 beruhender Vorgang<br />

nur einer von vielen verschiedenen Mechanismen, welche die Krankheit<br />

fördern. Aufgrund der Analyse dieses Markers und anderer genetischer<br />

Marker könnte es schliesslich möglich werden, genau zu bestimmen, was<br />

bei den einzelnen Kranken geschieht, die diagnostischen Verfahren zu<br />

verbessern und den Behandlungsplan individuell zu gestalten. 61


62<br />

Sonnenstrahlen bringen Licht in die<br />

Multiple Sklerose<br />

Das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken, hängt eng mit dem Breitengrad<br />

zusammen; wer weiter vom Äquator entfernt lebt, hat ein höheres<br />

Risiko. Selbst bei Menschen mit gemeinsamen Vorfahren kann die Anfälligkeit<br />

unterschiedlich sein, wenn sie – insbesondere in jungen Jahren – in<br />

verschiedenen geografischen Breiten leben. Die neuere Forschung macht<br />

hierfür die Sonne verantwortlich.<br />

Eine in Neurology publizierte Studie untersuchte den Einfluss der Sonnenexposition<br />

bei eineiigen Zwillingen in Nordamerika 6 . Die von Thomas<br />

Mack von der Keck School of Medicine an der University of Southern<br />

California geleitete Studie ergab, dass jener Zwilling, der als Kind mehr<br />

Zeit im Freien verbrachte (z. B. weil er an den Strand ging oder an Teamsport<br />

teilnahm) ein kleineres Multiple Sklerose-Risiko aufwies als der<br />

andere Zwilling. Dank der Untersuchung von eineiigen Zwillingen liess<br />

sich der Zusammenhang mit Umweltfaktoren – ohne den Störeinfluss von<br />

genetischen Unterschieden – belegen.<br />

Auch eine in Norwegen durchgeführte und im Journal of Neurology veröffentlichte<br />

Studie zeigte, dass Sonnenexposition während der Kindheit das<br />

Risiko für Multiple Sklerose verringerte 7 . Darüber hinaus wies die Studie<br />

nach, dass eine fischreiche Ernährung das Risiko herabsetzte. Unter der<br />

Federführung von Margitta Kampman wiesen die Autoren darauf hin, dass<br />

der hohe Vitamin D-Gehalt von Fischen für diese Schutzwirkung verantwortlich<br />

sein könnte.<br />

Die Befunde lassen einen direkten Einfluss von Vitamin D aufs Gehirn<br />

erkennen. Studien haben gezeigt, dass Vitamin D im Tiermodell das<br />

Schlaganfallrisiko verringert. Die Schutzwirkung der Sonnenexposition<br />

könnte auf einem direkten Einfluss der Ultraviolettstrahlung oder indirekt<br />

auf der Produktion von Vitamin D beruhen. Wir nehmen zwar eine<br />

gewisse Menge von Vitamin D mit der Nahrung auf, doch wird der<br />

grösste Teil aufgrund von Sonnenexposition von der Haut produziert;<br />

deshalb wird Vitamin D manchmal als Sonnenschein-Vitamin bezeichnet.<br />

Wenn die Tage im Winter kürzer sind und die Sonne tiefer am Himmel<br />

steht, treten häufig Vitamin D-Mangelzustände auf. Tatsächlich erhalten<br />

Personen, die auf dem Breitengrad von Boston– Barcelona– Rom– Sofia<br />

oder nördlich davon leben, zwischen November und Februar überhaupt<br />

kein Vitamin D durch die Sonne.


Im Jahr 2007 zeigten<br />

Forschungsarbeiten, dass<br />

in der Haut durch Sonnen -<br />

exposition produziertes<br />

Vitamin D das Multiple-<br />

Sklerose-Risiko<br />

herabsetzen könnte.<br />

Man weiss, dass Vitamin D für den Erhalt der Knochendichte wichtig ist.<br />

Weniger bekannt sind vielleicht seine regulierenden Einflüsse auf das<br />

Immunsystem. Vitamin D-Rezeptoren finden sich auf Zellen des Immun -<br />

systems und ein Vitamin D-Mangelzustand wurde bereits mit Autoimmunund<br />

entzündlichen Erkrankungen, einschliesslich Asthma, Gelenkrheumatismus,<br />

entzündlicher Darmerkrankung und Diabetes in Verbindung ge -<br />

bracht. Zurzeit ist der schützende Einfluss von Vitamin D an Mausmodellen<br />

der Multiplen Sklerose Gegenstand wissenschaftlicher Unter suchungen.<br />

Mehrere neuere Populationsstudien erbrachten den Nachweis einer<br />

umgekehrten Korrelation zwischen dem Vitamin D-Spiegel im Blut und<br />

dem Multiple Sklerose-Risiko. Eine in Tasmanien, Australien, durch -<br />

geführte Studie ergab, dass von dieser Krankheit Betroffene niedrigere<br />

Vitamin D-Spiegel im Blut hatten 8 . Bei einer Untersuchung, die am<br />

20. Dezember 2006 im Journal of the American Medical Association veröffentlicht<br />

wurde, bestimmte man den Zeitverlauf des Vitamin D-Spiegels<br />

von amerikanischen Militärangehörigen und fand, dass er vor dem Auf -<br />

treten von Multiple Sklerose-Symptomen herabgesetzt war.<br />

Dieser Befund stützt die Interpretation, dass Vitamin D-Mangel zu Multi -<br />

pler Sklerose beiträgt und die verminderte Sonnenexposition nicht auf die<br />

Krankheit zurückzuführen ist 9 . Und eine weitere Studie, sie stammt aus<br />

Finnland und erschien im Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psy -<br />

chia try, wies nach, dass herabgesetzte Vitamin D-Spiegel im Blut mit einer<br />

Verschlechterung der Symptome einhergingen 10 . 63<br />

Neuroimmunologische Erkrankungen


64<br />

Da es möglicherweise die Anfälligkeit für Multiple Sklerose und andere<br />

Krankheiten beeinflusst, werden heute die Empfehlungen, wie viel<br />

Vitamin D mit der Nahrung aufgenommen werden soll, neu überprüft.<br />

Zurzeit hält das Institute of Medicine of the National Academy of<br />

Sciences 200 Internationale Einheiten (IE) oder 5 Mikrogramm Vitamin D<br />

täglich für die meisten nicht über 50jährigen Personen für angemessen.<br />

Im September 2007 empfahl die Canadian Paediatric Society in einer Erklärung,<br />

schwangere und stillende Frauen sollten eine Vitamin D-Ergänzung<br />

bis zu 2000 IE täglich in Betracht ziehen 11 .<br />

Die Gruppe empfahl ausserdem, dass Säuglinge, die voll gestillt werden,<br />

400 IE Vitamin D bekommen, und dass Säuglinge, die über dem 50. Breitengrad<br />

leben (etwa so weit nördlich wie Edmonton, Kanada, Frankfurt am<br />

Main und Prag), in den Wintermonaten 800 IE erhalten sollen. Tierver -<br />

suche deuten darauf hin, dass sich Vitamin D sowohl zur Vorbeugung als<br />

auch zur Behandlung der Multiplen Sklerose einsetzen lässt, doch braucht<br />

es weitere Untersuchungen, um diesen Befund auf Menschen übertragen<br />

zu können.


Schmerz<br />

Chronischer Schmerz und Opiatabhängigkeit 66<br />

Das Schmerzsignal ins Visier nehmen 68<br />

Erfolgreiche Behandlung von Rückenschmerzen<br />

durch Neurostimulation 69<br />

65


66<br />

In den USA ist Schmerz der Hauptgrund dafür, dass Menschen medizi -<br />

nische Hilfe suchen. Dabei ist es für Ärzte und Ärztinnen weiterhin ein<br />

ständiger Kampf, Mittel zu finden, mit denen sich chronische und akute<br />

Schmerzen wirksam behandeln und kontrollieren lassen.<br />

In der Schmerzforschung gab es im Jahr 2007 mehrere Ansätze. Zum<br />

einen wurde nach Möglichkeiten gesucht, die Abhängigkeit von starken<br />

Opiaten, die oft das wirksamste Mittel zur Schmerzlinderung darstellen, zu<br />

reduzieren. Zum andern wurde ein entscheidender Schmerzsignalweg<br />

identifiziert, der neue Möglichkeiten für die Behandlung von Kranken<br />

eröffnet, die nach einer Rückenmarkverletzung an starken Phantomschmerzen<br />

leiden. Ausserdem wurde eine wirksamere Therapie für chronischen<br />

neuropathischen Schmerz gefunden, was Millionen von durch<br />

Rückenschmerzen behinderten Menschen neue Hoffnung gibt.<br />

Chronischer Schmerz und Opiatabhängigkeit<br />

Opium wurde während einigen tausend Jahren zur Linderung von Leiden<br />

und Schmerzen eingesetzt; auch heute werden viele von Opium abgeleitete<br />

Arzneimittel, so genannte Opiate, zu erlaubten und unerlaubten<br />

Zwecken verwendet. Dass diese Medikamente infolge ihrer ausgeprägten<br />

euphorischen Wirkung abhängig machen können, stellt die Ärzteschaft<br />

vor ein Dilemma, denn es gilt, das Bedürfnis der Kranken nach Schmerzlinderung<br />

und das Risiko einer Abhängigkeit gegeneinander abzuwägen.<br />

Forschende an der Wake Forest University School of Medicine haben herausgefunden,<br />

dass chronischer Schmerz nicht nur die analgetische Wirkung<br />

vieler Opiate vermindert, sondern auch dazu führt, dass die betroffenen<br />

Person weniger dazu neigen, von gewissen Medikamenten abhängig<br />

zu werden; dies gilt für Morphin, Hydromorphon und Fentanyl. Der in der<br />

Ausgabe vom 27. Februar 2007 von Anesthesiology publizierte Befund<br />

weist darauf hin, dass Kranke, deren chronische Schmerzen nicht ausreichend<br />

mit angemessenen Medikamenten behandelt werden, schliesslich<br />

nicht mehr die verschriebenen Medikamente nehmen sondern auf Alternativen<br />

ausweichen, einschliesslich Heroin und Methadon, welche chronischen<br />

Schmerz zwar wirksamer bekämpfen, jedoch die gefürchteten<br />

abhängig machenden Folgen haben 1 .<br />

Die Forschenden von Wake Forest implantierten Ratten – bei der Hälfte von<br />

ihnen waren die Spinalnerven unterbunden oder rotiert worden – einen


Katheter und brachten den Tieren bei, sich selbst Clonidin und Adenosin<br />

zuzuführen, zwei opiatähnliche Substanzen, welche die Schmerzüberempfindlichkeit<br />

herabsetzen. Die Forschenden stellten fest, dass keines der<br />

beiden Medikamente das Heroin-Suchtverhalten gesunder Tiere beeinflusste,<br />

da – wie sie festhalten – das Heroin-Missbrauchpotential beim ge -<br />

sunden Tier über Stellen im Gehirn und nicht im Rückenmark vermittelt wird.<br />

Hingegen führte die spinale Verabreichung von Clonidin bei Ratten mit<br />

chronischem Schmerz zu einer drastischen Reduktion des Heroin-<br />

Suchtverhaltens. Die Zufuhr von Adenosin auf Ebene des Rückenmarks<br />

beeinflusste die Heroinsucht von Ratten mit Nervenverletzung nicht,<br />

obwohl dieses Medikament bekanntlich die Schmerzüberempfindlichkeit<br />

in solchen Fällen vermindert. Dieser Befund lässt darauf schliessen,<br />

dass zumindest im Tiermodell die kombinierte Gabe von Clonidin und<br />

Adenosin schmerzlindernd wirken kann, ohne ein Verlangen nach Heroin<br />

zu provozieren.<br />

Eine andere Studie zeigte auf, dass eine Untergruppe von Kranken<br />

mit chronischen Schmerzen zu Drogensucht neigt.<br />

Eine andere Studie zeigte auf, dass eine Untergruppe von Kranken mit<br />

chronischen Schmerzen zu Drogensucht neigt. Forschende am Massachusetts<br />

General Hospital analysierten mehrere Studien um herauszufinden,<br />

wie Opiat-Abhängigkeit und Linderung chronischer Schmerzen zusam -<br />

menhängen. Im Juni berichteten sie in der Zeitschrift Pain, erste Annahmen,<br />

wonach gegen chronische Schmerzen behandelte Personen selten<br />

abhängig würden, hätten sich als falsch erwiesen 2 . In Wirklichkeit kommen<br />

bei einer kleinen Gruppe von Kranken mit chronischen Schmerzen<br />

Drogensucht und andere problematische Verhaltensweisen durchaus vor.<br />

Diese Untergruppe unterscheidet sich allerdings bezüglich der Art, wie<br />

die Abhängigkeit entsteht. Der Übergang zu Abhängigkeit erfolgt nämlich<br />

schleichender und ist schwerer erkennbar.<br />

Ärzte und Ärztinnen verfügen zwar über eine Fülle von Informationen, um<br />

bei der Behandlung von Personen mit chronischen Schmerzen die Entwi -<br />

cklung einer Opiat-Abhängigkeit zu vermeiden; die Forschenden stellen<br />

jedoch fest, dass besser geeignete Methoden nötig sind, um entscheiden<br />

zu können, welche dieser Kranken zu Abhängigkeit neigen. Dann könnten<br />

Ärzte und Ärztinnen, unterstützt von Suchtspezialisten, strukturierte<br />

Therapiepläne entwickeln, die allenfalls die Verwendung von Alternativen<br />

zu Opiaten erfordern. 67<br />

Schmerz


68<br />

Das Schmerzsignal ins Visier nehmen<br />

Beinahe 80% der Personen mit einer Rückenmarkverletzung leiden unter<br />

klinisch signifikanten Schmerzen, die als brennend, reissend, bohrend<br />

oder stechend beschrieben werden. Ausserdem kommt es bei vielen<br />

Kranken, die in gewissen Körperteilen ohne Gefühl sind, zu Phantomschmerzen,<br />

so dass sie ihren Körper unterhalb der Rückenmarkverletzung<br />

„fühlen“ und in diesen völlig empfindungslosen Bereichen Schmerzen<br />

haben.<br />

Mikrogliazellen, hier als helle<br />

Flecken zwischen dunkleren<br />

Neuronen im lumbalen<br />

Hinterhorn erkennbar, sind für<br />

den chronischem Schmerz<br />

nach einer Rückenmarkverletzung<br />

mitverantwortlich.<br />

Forschende am Yale University Center for Neuroscience and Regeneration<br />

Research sehen eine Fehlfunktion des Nervensystems als Ursache<br />

der häufig nach einer Rückenmarkverletzung auftretenden abnormen<br />

Schmerzen. Wie sie in der Ausgabe vom 28. Februar 2007 im Journal of<br />

Neuroscience berichteten, konnten sie im verletzten Rückenmark erstmals<br />

einen direkten Signalweg zwischen Neuronen und der Mikroglia nach -<br />

weisen, zwischen jenen Immunzellen also, die im Zentralnervensystem<br />

vorhanden sind und eine Entzündungsreaktion hervorbringen, die das<br />

Nervensystem eigentlich schützen soll, es aber manchmal auch schädigt 3 .<br />

Bei Ratten, deren Rückenmark gequetscht worden war, stellten die<br />

Forschenden fest, dass bei chronischem Schmerz, der durch Mikroglia<br />

vermittelt wird, das Molekül Prostaglandin E2 (PGE2) eine wichtige Rolle<br />

spielt. Dieses Molekül wird von aktivierter Mikroglia freigesetzt und trägt<br />

zur Sensibilisierung der spinalen Neuronen nach einer Verletzung bei.<br />

Die Forschenden von Yale sind der Ansicht, dass eine gezielte Einflussnahme<br />

auf diesen Übertragungsmechanismus zwischen Mikroglia und


Neuronen zu einem erfolgreichen Schmerzmanagement nach einer<br />

Rücken markverletzung führen könnte. Sie überprüfen nun Substanzen,<br />

die den Signalweg an verschiedenen Orten im Rückenmark blockieren.<br />

Der Prototyp ist Minocyclin, ein Antibiotikum, das von der amerikanischen<br />

Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration) zur Behandlung<br />

einiger Infektionskrankheiten zugelassen wurde und dessen Wirksamkeit<br />

nun im Rahmen von klinischen Studien in „zulassungsüberschreitenden“<br />

Anwendungen bei neurologischen Störungen wie Huntington-Krankheit,<br />

Amyotropher Lateralsklerose und Multipler Sklerose getestet wird.<br />

Das Team von Yale möchte mittels Positronen-Emissions-Tomographie,<br />

einem bildgebenden Verfahren, nachweisen, dass Menschen und Mäuse<br />

über ähnliche, wenn nicht identische Schmerzmechanismen verfügen.<br />

Falls dem so ist, werden sie testen, ob Minocyclin bei Kranken mit einer<br />

Rückenmarkverletzung die auf Prostaglandin E2 beruhenden schmerz -<br />

vermittelnden Vorgänge wirksam auszuschalten vermag.<br />

Erfolgreiche Behandlung von Rückenschmerzen<br />

durch Neurostimulation<br />

Rückenschmerzen gehören in den USA zu den häufigsten Gesundheitsproblemen;<br />

etwa 80% der Bevölkerung sind irgendwann in ihrem Leben<br />

davon betroffen. Laut einer Studie der Duke University vom Jahr 2004<br />

kosten Rückenschmerzen – Kreuzschmerzen, Nackenschmerzen und<br />

Ischias – die USA jährlich beinahe 100 Milliarden Dollar in Form von<br />

Arztrechnungen, Invalidenrenten und verlorener Produktivität. Herkömmliche<br />

Therapien und chirurgische Eingriffe konnten Rückenschmerzen<br />

zwar bis zu einem gewissen Grad lindern, doch stellten Forschende fest,<br />

dass Neurostimulation – dabei wird ein medizintechnisches Gerät implantiert,<br />

das elektrische Impulse abgibt – bei chronischen neuropathischen<br />

Schmerzen in Rücken und Beinen erfolgreicher ist. Diese elektrischen<br />

Impulse werden in den Epiduralraum der Wirbelsäule gesendet und sollen<br />

verhindern, dass Schmerzsignale das Gehirn erreichen.<br />

Schmerz<br />

Die bisher grösste multizentrische, randomisierte kontrollierte Studie zu<br />

Neurostimulation wurde von einer internationalen Forschungsgruppe unter<br />

der Leitung von Krishna Kumar vom Regina General Hospital in Kanada<br />

durchgeführt und ergab, dass Neurostimulation bezüglich Schmerzbehandlung,<br />

Lebensqualität und Funktionsfähigkeit wirksamer ist als herkömmliche<br />

Behandlungsformen wie Schmerzmittel, pharmakologische Nervenblo -<br />

ckade, Steroidinjektionen, Physiotherapie und chiropraktische Behandlung. 69


70<br />

Die im November in Pain publizierte Studie ergab, dass beinahe die Hälfte<br />

jener Kranken, die begleitend zu herkömmlichen Therapien auch mit<br />

Neurostimulation behandelt worden waren, nach sechs Monaten eine um<br />

mindestens 50% stärkere Besserung ihrer Beinschmerzen zeigte als jene<br />

Personen, die nur konventionell behandelt worden waren 4 . Alle Kranken<br />

hatten mindestens eine Rückenoperation wegen Diskushernie hinter sich,<br />

litten aber während mindestens sechs Monaten nach der Operation<br />

weiterhin an mässigen bis starken Schmerzen in einem oder beiden<br />

Beinen sowie im Rücken.<br />

Da sich behindernde neuropathische Schmerzen schwer behandeln<br />

lassen, empfehlen die Forschenden, Neurostimulation auf die Liste von<br />

Routinebehandlungen zu setzen, die Kranken mit chronischen Rückenschmerzen<br />

angeboten werden.<br />

Forschende an der Westküste – vom Coast Pain Management in Kali -<br />

fornien – berichteten in der Juli-Ausgabe von Neuromodulation, eine<br />

bestimmte Art der Neurostimulation, die so genannte periphere Nervenfeldstimulation<br />

(peripheral nerve field stimulation; PNFS) biete Personen<br />

mit chronischen Kreuzschmerzen eine sichere und wirksame Alternative 5 .<br />

Die medizinische Forschungsgruppe prüfte die Wirksamkeit dieser<br />

Behandlung an sechs Personen mit chronischen Kreuzschmerzen, bei<br />

denen herkömmliche Therapien erfolglos gewesen waren. Anders als die<br />

Stimulation des Rückenmarks oder die direkte Stimulation peripherer Nerven<br />

erfolgt die periphere Nervenfeldstimulation über Elektroden, die<br />

durch die Haut zum schmerzenden Bereich führen und die Region der<br />

betroffenen Nerven stimulieren. Bei allen sechs Personen ermöglichte<br />

dieses Verfahren eine Reduktion der Schmerzmittel, eine Zunahme der<br />

Aktivität und damit verbunden eine höhere Lebensqualität.<br />

Die Forschenden betonen, die periphere Nervenfeldstimulation weise<br />

gegenüber anderen Arten der Neurostimulation klare Vorteile auf, unter<br />

anderem weniger Komplikationen und eine geringere Morbidität; die<br />

Behandlung sei als Ergänzung bestehender Therapien viel versprechend<br />

und verdiene eine weitere Abklärung.


Psychiatrische Erkrankungen,<br />

Verhaltensstörungen<br />

und Suchtkrankheiten<br />

Depression 72<br />

Bipolare affektive Störung 76<br />

Zwangsstörung 77<br />

Schizophrenie 77<br />

Alkoholismus 78<br />

Künftige Ausrichtung von Studien und Behandlung 79<br />

71


72<br />

Im Jahr 2007 konzentrierte sich die psychiatrische Forschung darauf, die<br />

Ursachen gewisser Störungen besser zu verstehen und wirksame Behandlungen<br />

zu finden. Viele Forschende hielten an der grundlegenden Bedeutung<br />

der Genetik für psychiatrische Erkrankungen fest und begannen auch<br />

gezielter zu untersuchen, wie sich Gene auf die Bewältigung und Behandlung<br />

auswirken. Ausserdem richteten sich neurobiologische Studien auf<br />

einen weiteren Bereich: um den Einfluss unterbrochener oder fehlgeleiteter<br />

Signale auf den psychischen Zustand zu erkennen, untersuchten sie<br />

nicht mehr bloss einzelne Regionen sondern ganze Nervenschaltkreise<br />

oder Verbindungen zwischen verschiedenen Hirnbereichen.<br />

Neuere Befunde der Depressionsforschung liessen die der Krankheit<br />

zugrunde liegenden Veränderungen in neuralen Schaltkreisen besser<br />

verstehen und verwiesen auf potentielle nicht medikamentöse Behandlungen.<br />

Die Erforschung der manisch-depressiven Erkrankung führte zu<br />

einem wahrscheinlichen genetischen Indikator sowie zum ersten Mausmodell,<br />

also zu Ausgangspunkten für weitere Studien. Schliesslich ergaben<br />

sich aus Studien über Schizophrenie und Alkoholismus neue potentielle<br />

medikamentöse Behandlungen.<br />

Depression<br />

Der Hippokampus ist völlig mit dem für menschliche Emotion verantwortlichen<br />

System, dem limbischen System, verbunden und wurde lange mit<br />

Gedächtnis und räumlicher Vorstellung in Zusammenhang gebracht.<br />

Nachdem sich gezeigt hatte, dass der Hippokampus in Hirnregionen projiziert,<br />

die mit Depression zusammenhängen, und dass die durch Antidepressiva<br />

angeregte Neurogenese im Hippokampus in Beziehung steht<br />

zum therapeutischen Erfolg der Pharmaka, wurde diese Region auch für<br />

die Depressionsforschung interessant.<br />

Laut einem am 10. August in Science erschienenen Bericht identifizierten<br />

Karl Deisseroth und Mitarbeitende aus verschiedenen Fachgebieten an<br />

der Stanford University einen neurophysiologischen Schaltkreis, der den<br />

Hippokampus einschliesslich des Gyrus dentatus mit Depression in Verbindung<br />

bringt 1 . Dieser Schaltkreis könnte für zukünftige Interventionen<br />

von Interesse sein.<br />

Das Team setzte eine Gruppe von Ratten Stresssituationen aus, z. B.<br />

Schlafentzug, unangenehme Lichtbedingungen und laute Geräusche, und


Der Forscher Karl Deisseroth<br />

und Mitarbeitende an<br />

der Stanford University<br />

zeigten mithilfe von<br />

Hochgeschwindigkeits-<br />

Bildgebung, der so<br />

genannten Bildgebung mit<br />

spannungsempfindlichen<br />

Farbstoffen, bei Ratten<br />

einen Zusammenhang<br />

zwischen einem fehlerhaften<br />

Schaltkreis im Hippokampus<br />

und Depression.<br />

liess eine Kontrollgruppe in einer relativ stressfreien Umgebung leben.<br />

Einige der gestressten Ratten erhielten ausserdem Antidepressiva.<br />

Nach einigen Wochen wurden beide Gruppen in Wasser getaucht. Die<br />

gestressten Ratten, die keine Antidepressiva erhalten hatten, schwammen<br />

weniger kräftig als jene, die entweder nicht gestresst oder aber medikamentös<br />

behandelt worden waren – die Forschenden werten das als Ausdruck<br />

von Hoffnungslosigkeit.<br />

Anschliessend wurde mittels einer Bildgebung mit Hochgeschwindigkeits-Messtechniken,<br />

der so genannten Bildgebung mit spannungsempfindlichen<br />

Farbstoffen (voltage-sensitive dye imaging), die elektrische<br />

Aktivität im Bereich des Hippokampus – insbesonders ihre Projektionen<br />

in den Gyrus dentatus – registriert. Es zeigte sich, dass die Signale sowohl<br />

bei den nicht gestressten als auch bei den medikamentös behandelten<br />

Ratten erfolgreich im Schaltkreis weitergeleitet wurden; bei den gestressten<br />

wurden sie jedoch unterbrochen, so dass der Schaltkreis schliesslich<br />

zugrunde ging.<br />

Dieser Befund lässt darauf schliessen, dass Depression wohl nicht auf<br />

einer einzigen Ursache beruht, dass aber ein einzelnes Erlebnis, etwa<br />

ein Todesfall in der Familie oder eine stressige Arbeitssituation eine<br />

Störung im Schaltkreis bewirken kann, welche die bei Depression vor -<br />

herrschenden Symptome zur Folge hat. Die Autoren empfehlen den<br />

Schaltkreis als einen aussichtsreichen Ort für künftige therapeutische<br />

Inter ventionen. 73<br />

Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten


74<br />

Pre-op MRI<br />

Zielstruktur der Elektrode:<br />

Cg25 weisse Substanz<br />

Post-op MRI<br />

Elektroden<br />

Kontakte<br />

Bestätigung der<br />

Elektrodenplatzierung<br />

Pre-op PET<br />

Depression:<br />

Hyperaktives Cg25<br />

6 Monate DBS PET<br />

Erholung durch DBS:<br />

Cg25 Suppression<br />

Frühere Bildgebungsstudien zeigten einen Zusammenhang zwischen erhöhter Aktivität<br />

im Areal Cg25, einem Teil des subgenualen Cingulum, und schwerer Depression.<br />

Arbeiten im Jahr 2007 lassen vermuten, dass tiefe Hirnstimulation im Areal Cg25 antidepressiv<br />

wirkt. Diese Bilder zeigen eine Abnahme des Blutflusses zum Areal Cg25<br />

nach tiefer Hirnstimulation, die über eine implantierte Elektrode erfolgte.<br />

Auch andere neurale Schaltkreise im limbischen System wurden mit<br />

Depression in Verbindung gebracht. Diese Schaltkreise umfassen häufig<br />

Hirnregionen wie den präfrontalen Kortex, die Amygdala und das subgenuale<br />

Cingulum – Regionen also, die mit der Verarbeitung von Emotionen,<br />

mit der Herstellung von Neurotransmittern, die mit traurigen Gemütslagen<br />

in Zusammenhang stehen und auch mit dem Ansprechen auf Antidepressiva<br />

verbunden sind.<br />

In einer Übersichtsarbeit in Nature Neuroscience vom September stellen<br />

Kerry J. Ressler und Helen S. Mayberg vom Emory University’s Department


of Psychiatry and Behavioral Sciences Fortschritte fest bezüglich der<br />

Identi fizierung und der Einsicht in Wirkmechanismen von neuralen Schaltkreisen,<br />

die mit der Depression in Verbindung stehen; Fortschritte gebe<br />

es auch im Hinblick auf die Lokalisierung bestimmter Bereiche innerhalb<br />

dieser Schaltkreise, deren Dysregulation mit Verhaltensauffälligkeiten in<br />

Zusammenhang steht, was die Möglichkeit viel versprechender nicht<br />

medikamentöser Therapien eröffne 2 . Für schwer depressive Personen, die<br />

auf die heute verfügbaren Antidepressiva nicht ansprechen, sind<br />

wirksame Alternativen äusserst wichtig.<br />

Unter diesen nicht medikamentösen Ansätzen ist die tiefe Hirnstimu -<br />

lation (vgl. auch „Bewegungsstörungen“, S. 33 und „Neuroethik“, S. 49)<br />

besonders hervorzuheben. Klinische Versuche mit tiefer Hirnstimulation<br />

zur Behandlung schwerer Depressionen basierten auf Maybergs ersten<br />

Bildgebungsstudien mittels Positronen-Emissions-Tomographie, die das<br />

subgenuale Cingulum (Cg25) als eine mit schwerer Depression ver -<br />

bundene Region identifiziert hatten. Tiefe Hirnstimulation verändert in<br />

dieser Region mittels Hochfrequenzstimulation über die implantierten<br />

Elektroden die Kommunikation innerhalb von Hirnschaltkreisen und<br />

zwischen ihnen.<br />

Die Behandlung wirkte antidepressiv, führte zu einer deutlichen Reduktion<br />

des Blutflusses zum Areal Cg25 und zu Veränderungen in mehren<br />

Hirnregionen, die mit Stimmungsregulation und mit dem Ansprechen auf<br />

eine Behandlung in Verbindung gebracht werden. Zurzeit sollen weitere<br />

klinische Studien an einer grösseren Zahl von Kranken die Sicherheit und<br />

Wirksamkeit der Behandlung einwandfrei feststellen, die Wirkmechanismen<br />

von Hirnschaltkreisen in dieser Region bei Depressionen klären und<br />

aufzeigen, auf welche Weise tiefe Hirnstimulation diesen Schaltkreis<br />

erfolgreich beeinflusst.<br />

Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten<br />

Weitere mögliche Alternativen zu Antidepressiva sind unter anderem<br />

die Vagus-Nerv-Stimulation, die Elektrokrampftherapie und die repetitive<br />

transkranielle Magnetstimulation. Während Elektrokrampftherapie lange<br />

Zeit zur Behandlung schwerer Depressionen eingesetzt wurde und in<br />

den letzten Jahren wieder an Akzeptanz gewonnen hat, werden die<br />

tiefe Hirnstimulation, die Vagus-Nerv-Stimulation und die transkranielle<br />

Magnetstimulation zurzeit auf ihre Fähigkeit geprüft, mit Depression und<br />

Emotionsregulation verbundene Hirnschaltkreise zu unterbrechen und<br />

zu verändern. 75


76<br />

Indem man bildgebende Verfahren, etwa Positronen-Emissions-Tomo -<br />

graphie und funktionelle Magnetresonanztomographie, vor und nach der<br />

Behandlung einsetzt, lassen sich Veränderungen der regionalen Aktivierung<br />

des Gehirns beobachten, die Veränderungen in den beteiligten<br />

Schaltkreisen anzeigen. Wenn wir die zugrunde liegenden Schaltkreise<br />

besser verstehen, könnten mit diesen Therapien möglicherweise auch andere<br />

psychiatrische Krankheiten, etwa die Zwangsstörung, behandelt werden.<br />

Obwohl tiefe Hirnstimulation mittlerweile bei Personen, welche die medikamentöse<br />

Behandlung mit L-DOPA nicht länger ertragen, als Behandlung<br />

der Parkinson-Krankheit anerkannt ist und auch als Behandlung von<br />

schweren Depressionen erste Erfolge zeigt, empfehlen Ressler und<br />

Mayberg weitere Forschungsarbeiten, um einerseits mehr über die Langzeitwirkungen<br />

zu erfahren und andererseits optimale Behandlungsbedingungen<br />

festzulegen.<br />

Bipolare affektive Störung<br />

Frühere Studien liessen darauf schliessen, dass die gestörte Regulation zirkadianer<br />

Rhythmen der inneren Uhr des Körpers, entscheidend zur bipolaren<br />

affektiven Störung beiträgt, einer psychiatrischen Erkrankung, die<br />

manchmal auch manisch-depressiv genannt wird. In einer Studie, die in<br />

Proceedings of the National Academy of Sciences USA veröffentlicht<br />

wurde, schufen Colleen McClung und Mitarbeitende das erste mutierte<br />

Mausmodell der bipolaren Störung: sie induzierten Mutationen jener Proteine,<br />

welche die zirkadianen Rhythmen des Tieres regulieren und schalteten<br />

dadurch das so genannte Clock-Gen (circadian locomotor output<br />

cycles kaput) aus 3 .<br />

Man vermutet, dass Clock ein Protein produziert, das für die Regulation<br />

der komplizierten Rückkoppelungsschleife, welche die zirkadianen<br />

Rhythmen im Gehirn steuert, gebraucht wird. McClungs mutierte Clockfreie<br />

Mäuse zeigten maniforme Verhaltensweisen, die den bipolaren<br />

Symptomen bei Menschen glichen. Zu diesen Symptomen gehörten<br />

Hyperaktivität und verkürzte Schlafdauer, sowie ein gesteigertes Ansprechen<br />

auf neue Reize und Stimulanzien wie Kokain.<br />

Bei der Clock-mutierten Maus handelt es sich um das erste Tiermodell der<br />

Manie; es eröffnet die Möglichkeit, die neuronale und genetische Regu -<br />

lation zirkadianer Rhythmen besser zu verstehen und nachzuvollziehen,<br />

wie eine Dysregulation zu bipolaren Symptomen führen kann. Ausserdem


weist das Modell den Forschenden eine neue Richtung zur Entwicklung<br />

neuer und besserer Behandlungsmöglichkeiten für manisch-depressive<br />

Patienten und Patientinnen.<br />

Zwangsstörung<br />

In den letzten Jahren stand bei der Erforschung der Zwangsstörung<br />

(obsessive-compulsive disorder; OCD) stets das Striatum, das Input-<br />

Zentrum des Basalgangliensystems, im Mittelpunkt. Dieses System wird<br />

mit motorischer Kontrolle, Lernen und Belohnungsverarbeitung in Verbindung<br />

gebracht.<br />

Guoping Feng und Mitarbeitende überprüften diese Hypothese. In einer<br />

Arbeit, die in Nature veröffentlicht wurde, brauchte Fengs Team Tech -<br />

niken des Gen-Knockout, um bei Mäusen das Gen Sapap3 auszu -<br />

schalten, das für die erfolgreiche synaptische Kommunikation jener<br />

Neuronen im Gehirn erforderlich ist, die den Neurotransmitter Glutamat<br />

verwenden 4 .<br />

Dieser Befund vermittelt neue Erkenntnisse zu den neurobiologischen<br />

Ursachen, die der Zwangsstörung zugrunde liegen, und eröffnet Wege<br />

für künftige Behandlungen.<br />

Die bezüglich Sapap3 gentechnisch veränderten Mäuse wiesen verschiedene<br />

OCD ähnliche Symptome auf; dazu gehörten verstärkte<br />

Ängstlichkeit und übermässiges Putzverhalten bis hin zum Verlust des<br />

Fells. Wenn man die Mäuse jedoch mit Fluoxetin (Prozac) behandelte,<br />

einem Medikament, das häufig zur Behandlung der OCD eingesetzt<br />

wird, oder wenn das Sapap3-Gen wieder direkt ins Striatum der mutierten<br />

Mäuse eingefügt wurde, klangen die Symptome ab.<br />

Dieser Befund vermittelt neue Erkenntnisse zu den neurobiologischen<br />

Ursachen, die der Zwangsstörung zugrunde liegen, und eröffnet Wege<br />

für künftige Behandlungen. Während sich bisherige Studien und<br />

Behandlungen auf den Neurotransmitter Serotonin konzentriert hatten,<br />

könnte dieser Befund, der das Glutamat einbezieht, zur Entwicklung<br />

medikamentöser Therapien Anlass geben, die auf die glutamaterge<br />

neuro nale Erregungsübertragung ausgerichtet ist.<br />

Schizophrenie<br />

In den Jahren 2005 und 2006 zeigte eine Reihe unabhängiger Studien,<br />

dass atypische Neuroleptika, also solche der zweiten Generation, weniger 77<br />

Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten


78<br />

wirksam sind als ältere Medikamente, die oft mit mehr Nebenwirkungen<br />

einher gehen. In einer von Jeffrey Lieberman geleiteten Studie, die 2005<br />

im New England Journal of Medicine publiziert wurde, gab es eine Ausnahme:<br />

Olanzapin, eine atypische Substanz, welche die Kranken seltener<br />

absetzten als entsprechende andere Pharmaka 5 . Allerdings führte sie zu<br />

andauernder Gewichtszunahme und weiteren, den Stoffwechsel betreffenden<br />

Nebenwirkungen. Die Ergebnisse dieser Studien riefen in Psychiatrie<br />

und Forschung verbreitet Besorgnis hinsichtlich der Behandlungs -<br />

möglichkeiten von Schizophreniekranken hervor.<br />

Unter der Leitung von Sandeep Patil von den Lilly Research Laboratories<br />

testete eine andere Forschungsgruppe den neuen Wirkstoff LY2140023,<br />

der den Neurotransmitter Glutamat im Gehirn herabsetzt. In Nature<br />

Medicine berichteten die Forschenden über eine vierwöchige Studie an<br />

200 Schizophreniekranken, in der sie diese neue Substanz mit Olanzapin<br />

und Placebo verglichen 6 .<br />

Mehr als 25% der Kranken sprachen auf die Behandlung mit LY2140023<br />

an, ohne dass negative Nebenwirkungen aufgetreten wären. Die Ergebnisse<br />

lassen hoffen, dass Medikamente, die dazu beitragen, dass sich die<br />

gestörten glutamatergen Verbindungen im Gehirn normalisieren, künftig<br />

eine sichere und wirksame Behandlung für Schizophreniekranke sein<br />

könnten.<br />

Alkoholismus<br />

In der Behandlung des Alkoholismus wurden Medikamente mit unterschiedlichem<br />

Erfolg eingesetzt. Eine Studie von Lara Ray und Kent<br />

Hutchison, die im September in den Archives of General Psychiatry<br />

erschien, lässt darauf schliessen, dass der Opiatrezeptor-Antagonist<br />

Naltrexon, eine jener Substanzen, die bei Alkoholismus verschrieben<br />

wird, bei Personen mit einem bestimmten Genotyp wirksamer ist als<br />

bei anderen 7 .<br />

Ray und Hutchison stellten fest, dass Alkoholabhängige mit einem gewissen<br />

Typ des Gens OPRM1 nicht nur von einem stärkeren Rauscherlebnis<br />

nach dem Trinken berichteten, sondern nach der Einnahme von Naltrexon<br />

auch weniger auf Alkohol ansprachen. Dieser Befund macht den Weg<br />

für weitere Studien frei und zwar sowohl im Hinblick auf genetische<br />

Merkmale für Alkoholismus als auch auf allfällige Wechselwirkungen<br />

zwischen diesen Merkmalen und einer Behandlung.


Künftige Ausrichtung von Studien und Behandlung<br />

Als im Jahr 2005 das Internationale HapMap-Projekt – ein Katalog häufiger<br />

menschlicher Genvarianten – fertig gestellt wurde, eröffnete dies der<br />

Psychiatrieforschung die Gelegenheit, zur Bestimmung der genetischen<br />

Faktoren, die komplexen psychiatrischen Erkrankungen zugrunde liegen,<br />

das gesamte Genom zu untersuchen. „Genomweite Assoziationsstudien“<br />

zu Herzkrankheiten, Diabetes und gewissen Arten von Krebs haben völlig<br />

neue Wege der Entwicklung und Behandlung von Krankheiten aufgezeigt;<br />

nun besteht Hoffnung, dass vergleichbare Studien zu Schizophrenie, bipolaren<br />

Störungen und Zwangsstörungen ähnlich erfolgreich sein werden.<br />

Thomas R. Insel, Direktor des National Institute of Mental Health (NIMH),<br />

und Thomas Lehner von der Division of Neuroscience and Basic Behavioral<br />

Science an diesem Institut, führten im Mai in einem Leitartikel in Biological<br />

Psychiatry aus, das Potential für genomweite Assoziation sei zwar gross,<br />

doch müssten Forschende die für erfolgreiche Analysen notwendigen<br />

Bedingungen beachten 8 . Grosse Stichproben mit klar definierten Merkmalen<br />

sind ein Muss, können aber für kleinere Forschungslaboratorien mit<br />

kleinem Patientengut ein Problem darstellen. Ausserdem kann es bei<br />

jenen Störungen, deren Diagnosekriterien weit gefasst oder umstritten<br />

sind, schwer sein, die beteiligten genetischen Faktoren einzugrenzen.<br />

Um mit diesen Problemen fertig zu werden, raten die Autoren zur gemeinsamen<br />

Nutzung von Genom-Datenbanken. Eine solche Datenbank ist die<br />

Bipolar Disorder Phenome Database des NIMH. Sie wurde von Forschenden<br />

dieses Instituts zusammengestellt und umfasst validierte Variablen<br />

von über 5000 Personen mit bipolarer Störung 9 .<br />

Die Datenbank steht Laboratorien und Forschungszentren für die Bestimmung<br />

von genetischen Merkmalen und Wirkungen zur Verfügung. Der<br />

Aufbau von weiteren solchen allgemein zugänglichen Datenbanken<br />

würde ein differenzierteres Verständnis der Bedeutung von Genen bei<br />

psychiatrischen Erkrankungen ermöglichen und es könnten auch neue<br />

und wirksamere Behandlungen gefunden werden.<br />

Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten<br />

79


Störungen der Sinnes-<br />

und Körperfunktion<br />

Die Fieberreaktion 82<br />

Der allgemeinmenschliche Sinn für Musik 84<br />

Die komplizierte Wahrnehmung der<br />

gesprochenen Sprache 85<br />

81


82<br />

Im Jahr 2007 befassten sich wissenschaftliche Untersuchungen weiterhin<br />

mit der Frage, wie das Gehirn wahrgenommene Stimulationen verarbeitet<br />

und beantwortet. Forschende an der Harvard University erforschten die<br />

Gründe für unser Gefühl, krank zu sein, und machten erste Schritte, um<br />

diese Empfindung bei Personen mit gewissen Krankheiten zu mildern. Forschende<br />

an den Universitäten Duke und Johns Hopkins trieben die komplizierte<br />

Erforschung der auditiven Wahrnehmung mit Untersuchungen<br />

über Musik bzw. Sprache voran.<br />

Die Fieberreaktion<br />

Eine Person, die den Eindruck hat, krank zu werden leidet üblicherweise<br />

unter einer Reihe bekannter Symptome: Schmerzen, Schlappheit, Appetitmangel<br />

sowie – im Zusammenhang mit Fieber – Schüttelfrost und<br />

Hitzewallungen. Der Körper reagiert auf verschiedene Situationen, die<br />

er als bedrohlich wahrnimmt, mit Fieber. Meistens wird das Fieber durch<br />

bakterielle Infektionen hervorgerufen, doch können auch einige Virus -<br />

infektionen und nichtinfektiöse Krankheiten, die das Immunsystem mit<br />

einbeziehen, z. B. rheumatoide Arthritis und Crohn-Krankheit, den Körper<br />

dazu veranlassen, seine Temperatur auf über 37 o Celsius zu erhöhen.<br />

Fieber haben ist zwar eine unangenehme Erfahrung, doch unterstützt es<br />

den Kampf des Körpers gegen eine Infektion. Weisse Blutzellen, die zum<br />

Immunsystem des Körpers gehören, werden bei erhöhter Körpertempe -<br />

ratur aktiver und verstärken ihre Abwehr gegen die eindringenden Organismen<br />

1. Ausserdem überleben und gedeihen Erreger von Infektionen in<br />

einem heisser werdenden System nur mit Mühe. Bis vor kurzem konnte<br />

man die zu Fieber führenden Mechanismen jedoch nicht vollumfänglich<br />

wissenschaftlich erklären.<br />

Man wusste, dass Fieber auftritt, wenn Prostaglandin E2 (PGE2) – ein<br />

Hormon, das von Blutgefässen am Rand des Gehirns produziert wird –<br />

ins Blut freigesetzt wird, ins Gehirn gelangt und an EP3-Prostaglandin-<br />

Rezeptoren (EP3R) bindet. Diese Rezeptoren gibt es in einem Teil des<br />

Hypothalamus, dem so genannten medianen Nucleus praeopticus, sowie<br />

in anderen Bereichen des Zentralnervensystems.<br />

Clifford B. Saper und sein Forschungsteam versuchten folgende Frage<br />

in 2007 zu beantworten: Welche Rezeptoren lösen als Reaktion auf das<br />

Hormon PGE2 im Körper Fieber aus?


Forschende konnten bei<br />

Mäusen die Entwicklung<br />

von Fieber verhindern,<br />

indem sie die EP3-Prosta -<br />

glandin-Rezeptoren (weiss<br />

gefärbt) über dem dritten<br />

Ventrikel, einem normalen<br />

Hohlraum des Gehirns,<br />

ausschalteten. Die<br />

dunklen Zellen wurden<br />

von der Injektion eines<br />

Gens beeinflusst, das<br />

EP3-Rezeptoren blockiert.<br />

Das eingefügte Bild zeigt<br />

eine stärkere Vergrösserung<br />

dieses Vorgangs.<br />

Um die Rezeptor Reaktion zu untersuchen, benutzte Sapers Team virale<br />

Vektoren, so genannte adeno-assoziierte Viren; dabei handelt es sich um<br />

gutartige Viren, die so modifiziert werden, dass sie bestimmtes gene -<br />

tisches Material übertragen. In diesem Fall wurde durch die adeno-asso -<br />

ziierten Viren selektiv das Gen EP3 entfernt und dadurch verhindert, dass<br />

dort überhaupt Hormone PGE2 binden konnten. Das Team schaltete die<br />

Rezeptoren jeweils in einem klar umschriebenen, winzigen Hirnbereich<br />

der Mäuse aus und untersuchte dann deren Fieberreaktion.<br />

Wurden die EP3R-Rezeptoren im medianen Nucleus praeopticus ausgeschaltet<br />

– wurden also die Gene EP3 dort eliminiert – reagierten die Mäuse<br />

auf eine Infektion nicht mit Fieber 2 .<br />

Sapers Team vermutet, dass das Hormon PGE2 und seine Rezeptoren<br />

EP3R für die Symptome verantwortlich sind, die wir normalerweise mit<br />

dem Gefühl von krank sein verbinden; Substanzen wie Aspirin und<br />

Ibuprofen, welche die Synthese von Prostaglandinen blockieren, wirken<br />

nämlich sowohl gegen Fieber als auch gegen Schmerzen. Aus zwei<br />

Gründen entschlossen sie sich, zuerst die Fieberreaktion zu untersuchen.<br />

Erstens lässt sich die Körpertemperatur relativ einfach messen (leichter<br />

als Schlappheit oder Schmerzen). Zweitens war Fieber schon besser<br />

erforscht als die anderen Reaktionen auf Infektionen. Im Jahr 2008 werden<br />

Saper und seine Mitarbeitenden wiederum an Mäusen den Einfluss 83<br />

Störungen der Sinnes- und Körperfunktion


84<br />

der Hormone PGE2 und ihrer Rezeptoren EP3R auf die Schmerzreaktion<br />

im Krankheitsfall untersuchen.<br />

Wenn sich zeigen sollte, dass der kranke Organismus über genau dieselben<br />

Mechanismen Schmerz empfindet, die auch Fieber produzieren,<br />

könnte man Schmerz durch die Beeinflussung des Hormons PGE2 und<br />

seiner Rezeptoren in den Griff bekommen. Ein solcher Fortschritt brächte<br />

Klinikern für die Behandlung der Leiden von chronisch Kranken und von<br />

Personen im Endstadium – für Situationen also, in denen die Schmerz -<br />

reaktion nicht mehr eine vorbeugende und adaptive Funktion hat – eine<br />

Alternative zu Betäubungsmitteln und anderen Schmerzmitteln. Im Idealfall<br />

könnten Ärzte und Ärztinnen die Schmerzreaktion bei diesen Kranken<br />

einfach „herunterfahren“ und dadurch ihre Lebensqualität verbessern.<br />

Der allgemeinmenschliche Sinn für Musik<br />

Das menschliche Ohr kann zwar eine grosse Vielfalt von Klängen hören,<br />

doch hat die Musikwissenschaft verschiedene Kulturen untersucht und<br />

dabei festgestellt, dass alle etwa die gleiche kleine Untermenge von<br />

Klängen, die so genannten Tonleitern, zum Musizieren verwenden. Dale<br />

Purves und sein Forschungsteam am Duke fragten sich, warum dies so sei,<br />

und stellten die Vermutung auf, es könnte etwas mit den Tönen der<br />

menschlichen Sprache zu tun haben. Im Jahr 2007 machten sich diese<br />

Forschenden daran, den Zusammenhang zwischen menschlicher Sprache<br />

und jenen musikalischen Klängen, die alle Menschen als angenehm<br />

empfinden, zu entschlüsseln.<br />

Anfänglich meinte das Team, in der Musik würden jene Intervalle bevorzugt,<br />

die das Auf und Ab der Tonlage von sprechenden Menschen<br />

nachahmen. Sie erwarteten, allgemeine Stimmmodulationen anhand der<br />

allgemein gebräuchlichen Tonleitern entschlüsseln zu können, doch handelte<br />

es sich nicht um dieselben Intervalle. Daraufhin befasste sich das<br />

Team mit den so genannten Formanten.<br />

Wenn ein Instrument einen Ton erzeugt, kann dieser als Spektrum dargestellt<br />

werden. Formanten sind die wichtigsten Frequenzkomponenten, die<br />

dargestellt werden, wenn ein Instrument – dazu gehört auch der menschliche<br />

Kehlkopf – einen Ton hervorbringt. Wenn jemand einen Vokallaut<br />

ausspricht, sind jene stärksten Tonlagen oder Formanten, dafür verantwortlich,<br />

dass man dieses Klangbild von anderen Vokallauten unterscheiden<br />

kann.


Purves und seine Mitarbeitenden werteten die durch Musik und gesprochene<br />

Vokale gebildeten Spektren statistisch aus (die Spektren wurden<br />

visuell dargestellt) und stellten fest, dass es zu 68% der Zeit dieselben<br />

Intervalle waren, die Menschen unabhängig von Zeit und Ort in der Musik<br />

als angenehm empfinden, die auch beim Sprechen von Vokallauten betont<br />

wurden 3 . Die betonten harmonischen Schwingungen der menschlichen<br />

Sprache – jene Frequenzen, die die Harmonie und Form dessen bilden<br />

was wir in der Sprache als Vokallaut erkennen – stimmen häufig mit den<br />

chromatischen Intervallen unserer Musik überein. Mit anderen Worten,<br />

die Klangbilder der Musik sind tatsächlich in unsere Sprache eingebaut.<br />

Die Selektionsmechanismen der Evolution lassen darauf schliessen, dass<br />

das ästhetische Empfinden von Menschen einen praktischen Ursprung<br />

hat. Die oben angeführte Entdeckung lässt vermuten, dass das Gehirn<br />

jene Harmonien als angenehm empfindet, die Aspekten unserer Umwelt<br />

entsprechen, welche wichtige Informationen enthalten, bzw. einmal enthielten.<br />

Darauf zu achten, was eine andere Person sagt, konnte buchstäblich<br />

über Leben und Tod entscheiden (und kann es auch heute noch);<br />

Menschen, die Sprache als besonders angenehm empfanden, hörten hin,<br />

nutzten ihre lebensrettenden Vorteile und vermehrten sich. Die Nachkommen<br />

dieser frühen Menschen benutzten dann dieselben reizvollen<br />

Intervalle, um Musik zu erzeugen – soweit diese Theorie.<br />

Diese Art der Musikforschung weckte das Interesse von Purves und so<br />

plant er, als nächstes den Zusammenhang von Musik und Emotionen zu<br />

untersuchen. Menschen interpretieren Musik, die in einer Dur-Tonart<br />

gespielt wird, als hell und hoffnungsvoll, während eine Melodie in einer<br />

Moll-Tonart melancholisch zu sein scheint. Purves vermutet, dass sich der<br />

Kehlkopf als Reaktion auf Vorgänge im Nervensystem so verändert, dass<br />

beim Sprechen Veränderungen der Formanten auftreten, die diesen Durund<br />

Moll-Tonarten entsprechen. Gemäss dieser Theorie veranlasst das<br />

Nervensystem einer glücklichen Person den Kehlkopf dazu, Formanten in<br />

Dur zu produzieren; das Nervensystem einer traurigen Person bringt Formanten<br />

in Moll hervor.<br />

Die komplizierte Wahrnehmung der gesprochenen Sprache<br />

In den 1970er Jahren erkannten Murray Sachs und Eric D. Young von der<br />

Johns Hopkins University den Mechanismus, über den das Gehirn<br />

Sprache kodiert und folglich versteht. Sie entdeckten, dass Haarzellen im<br />

Ohr als Reaktion auf einen Laut vibrieren und dass diese Vibration in ein<br />

Störungen der Sinnes- und Körperfunktion<br />

85


86<br />

Die Intervalle zwischen Noten der<br />

chromatischen Tonleiter (den markierten<br />

Klaviertasten) entsprechen Schlüsseltönen<br />

der menschlichen Sprache (den<br />

Gipfeln der weissen Linie). Diese Spitzen<br />

ermöglichen es uns, Vokallaute zu<br />

erkennen und machen möglicherweise<br />

verständlich, weshalb Menschen<br />

gewisse Töne als musikalisch empfinden.<br />

elektrisches Signal – einen Nervenimpuls – übersetzt und dann vom Hörnerv<br />

in andere Hirnbereiche geleitet wird.<br />

In den 1980er Jahren konnten sie darüber Aufschluss geben, wie das<br />

Gehirn die vielfältigen über die Ohren eingehenden Informationen<br />

abbildet. Jede der 30000 Fasern des Hörnervs ist für eine ganz kleine<br />

Zahl von spezifischen Frequenzen zuständig. Die entscheidenden Frequenzen,<br />

also die Formanten – es handelt sich um dieselben Muster, die<br />

das Team von Purves untersucht hat – werden dann in der Hörschnecke,<br />

welche die Frequenzverarbeitung der Fasern des Hörnervs interpretiert,<br />

herausgefiltert.<br />

Xiaoqin Wang, der sich inzwischen dieser Forschungsgruppe angeschlossen<br />

hat, interessiert sich dafür, wie das Gehirn sprachähnliche Stimuli in<br />

der Hörrinde verarbeitet. Anfänglich untersuchte er an Krallenaffen, wie<br />

Tiere entscheiden, welchen auditiven Reizen sie ihre Aufmerksamkeit<br />

schenken. Krallenaffen wurden gewählt, weil sie über ein grosses Repertoire<br />

an Vokalen verfügen; mittels Lauten, die an Vogelgezwitscher erinnern,<br />

geben sie mannigfaltige Informationen zu sozialen und praktischen<br />

Belangen weiter. Auch in Gefangenschaft behalten sie die Kommunikation<br />

über Zwitschern bei. Wang und sein Team spielten aufgezeichnete Affenrufe<br />

vorwärts (wie sie normalerweise gehört werden) und dann rückwärts<br />

ab und stellten fest, dass Affen und Katzen Affenrufe unterschiedlich<br />

verarbeiten. Katzen reagierten auf die Affenrufe unabhängig davon, wie


diese abgespielt wurden, gleich; die Neuronen in den artgleichen Affen<br />

reagierten jedoch stärker auf die vorwärts gespielte, vertraute Version des<br />

Rufes. Es zeigte sich also, dass Tiere die Laute von Artgenossen auf spezifische<br />

Weise verarbeiten; diese Unterschiede wurden im Colliculus inferior,<br />

dem auditorischen Mittelhirn, sichtbar.<br />

Der von Young ausgiebig untersuchte Colliculus inferior bezieht die Zeit<br />

als Faktor für das Sprachverständnis mit ein. Wenn wir etwas Gesprochenem<br />

lauschen, hören wir einzelne Laute, entschlüsseln sie und speichern<br />

sie im Kurzzeitgedächtnis, ausserdem nehmen wir bereits die nächsten<br />

Laute vorweg. Wenn wir mehreren Sprechenden gleichzeitig zuhören,<br />

etwa in einer Gruppendiskussion, wird jeder Redefluss für sich verstanden<br />

und von den anderen unterschieden. Da das Gehirn in Gesprochenem<br />

rasch einen Sinn erkennen kann, ist Sprache für Menschen eine zweck -<br />

mässige Möglichkeit der Informationsübertragung.<br />

Zurzeit erforscht Young, wie das auditorische System neben der jeweils<br />

augenblicklichen Lautverarbeitung auch das Kurzzeitgedächtnis für das<br />

Verständnis von Sprache einsetzt. In einem nächsten Forschungsschritt<br />

will er untersuchen, worauf unsere Fähigkeit beruht zu ahnen, was jemand<br />

als Nächstes sagen wird.<br />

Im Jahr 2008 möchte Sachs ins Labor von Young und Wang zurückkehren<br />

und untersuchen, woran ein Krallenaffe die Rufe eines ganz bestimmten<br />

anderen Affen erkennt, wenn es viele sind, die weit weg – sichtbar und<br />

auch unsichtbar – zwitschern. Diesen Vorgang, von allen Lauten jene einer<br />

einzigen Quelle zu isolieren, nennt man Bildung eines auditorischen<br />

Objekts. Die Forschenden suchen im Colliculus inferior nach Neuronen,<br />

die diese Analyse vornehmen; im Wesentlichen handelt es sich um<br />

dieselbe Analyse, dank welcher Menschen inmitten einer Menge Gesprochenes<br />

verstehen oder bei einer Band oder einem Orchester den Klang<br />

eines einzelnen Instruments heraushören können.<br />

Die Gruppe möchte erforschen, wie Musik erlebt wird. Ebenso wie Purves<br />

interessiert sich auch Sachs für den Einfluss von Tönen auf Emotionen.<br />

Störungen der Sinnes- und Körperfunktion<br />

87


Stammzellen<br />

und Neurogenese<br />

Stammzellen aus Hautgewebe 90<br />

Stammzellen von nicht lebensfähigen Embryos 91<br />

Nicht alle neuralen Stammzellen sind gleich 92<br />

Stammzellen schützen Neuronen bei ALS 93<br />

Leistungsfähige neue Mittel zur Erforschung<br />

von Krankheiten 94<br />

89


90<br />

Die unreifen, vielseitigen Vorläufer des menschlichen Gewebes, die so<br />

genannten Stammzellen, sind, weiterhin viel versprechend für das<br />

Verständnis und die Behandlung von Krankheiten – insbesondere von<br />

degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, bei denen bedeutende<br />

Hirnzellpopulationen allmählich zugrunde gehen. Im Jahr 2007 berichteten<br />

Forschende über neue Möglichkeiten, auf ethisch unbedenkliche<br />

Weise serienmässig Stammzellen zu gewinnen und im ganzen Körper,<br />

auch im Gehirn, einzusetzen. Ausserdem zeigten Studien, dass Stamm -<br />

zellen dazu beitragen können, Prozesse der Nervendegeneration zu erforschen,<br />

und dass man durch sie absterbenden Hirnzellen eine Behandlung<br />

zukommen lassen kann.<br />

Stammzellen aus Hautgewebe<br />

Im Jahr 2007 gelang der Stammzellforschung ein gewaltiger Schritt in<br />

Richtung auf ein seit langem angestrebtes Ziel: aus adultem menschlichem<br />

Gewebe gewonnene Zellen allmählich dazu zu bringen, sich wie embryonale<br />

Stammzellen zu verhalten und so die ethischen Hindernisse zu umgehen,<br />

welche die Verwendung von Embryos aufwirft. In der am 20. November<br />

erschienenen Ausgabe von Cell, beschrieben Shinya Yamanaka und<br />

Mitarbeitende von der Kyoto University, Japan, sie hätten vier Gene, die<br />

während der embryonalen Entwicklung aktiv sind, in ein modifiziertes<br />

Virus eingefügt. Anschliessend wurde das Virus in Fibroblasten eingesetzt;<br />

dabei handelte es sich um Hautzellen, die Erwachsenen entnommen<br />

worden waren. Diese Gene bewirkten eine „Umprogrammierung“ der<br />

Hautzellen, so dass diese eine Stammzelllinie produzierten, die sich selbst<br />

erneuern und ebenso viele neue Zellen bilden konnte, wie dies üblicherweise<br />

bei embryonalen Stammzellen der Fall ist 1 . Ein anderes Team unter<br />

der Leitung von James Thompson von der University of Wisconsin, Madison,<br />

verwendete eine etwas andere Kombination von Genen um auf ähnliche<br />

Weise Neugeborenen entnommene Hautzellen umzuprogrammieren.<br />

Ihre Ergebnisse erschienen am 19. November online und am 21. Dezember<br />

in der gedruckten Ausgabe von Science 2 .<br />

Stammzellen, die mit dieser Methode hergestellt wurden, weisen dieselbe<br />

"Pluripotenz“ auf wie embryonale Stammzellen, d. h. sie können sich in<br />

jede gewünschte Art von Gewebe entwickeln. Zwei in der Ausgabe vom<br />

19. Juli in Nature publizierte Studien – die eine wurde von Yamanaka, die<br />

andere von Rudolph Jaenisch vom Whitehead Institute, Boston, und<br />

Mitarbeitenden durchgeführt – hatten mittels demselben Ansatz diese


Pluripotenz für Zelllinien nachgewiesen, die aus Hautzellen von Mäusen<br />

gebildet wurden 3, 4 .<br />

Die unmittelbarste Anwendung dieses Verfahrens wird darin bestehen,<br />

Zelllinien herzustellen, die Gene enthalten, von denen man weiss, dass sie<br />

bestimmte Krankheiten verursachen, etwa erbliche Arten der Alzheimerund<br />

der Parkinson-Krankheit. Anhand dieser Zelllinien kann dann erforscht<br />

werden, auf welche Weise die Genprodukte eine Neurodegeneration<br />

bewirken, und es lassen sich in Frage kommende Therapien überprüfen.<br />

Letztlich erhofft man sich von dieser neuen Stammzelltechnik den Beginn<br />

eines neuen Zeitalters der Medizin, in dem viele Hirnkrankheiten dadurch<br />

behandelt werden können, dass man beschädigte Nervenzellen durch<br />

eine neue Population von Hirnzellen ersetzt; diese stammen von Hautzellen,<br />

die den betreffenden Kranken selbst entnommen wurden. Es gibt<br />

allerdings noch viele Hindernisse. Beispielsweise könnte die Verwendung<br />

modifizierter Viren, welche Gene in Hautzellen bringen, zur Entwicklung<br />

von Tumoren führen. Ausserdem sind die von Hautzellen gewonnenen<br />

Stammzellen und die von Embryos gebildeten nicht identisch, und dieser<br />

Unterschied könnte sich als bedeutend erweisen. Obwohl es noch gilt,<br />

diese potentiellen Schwierigkeiten erfolgreich zu meistern, ist die Möglichkeit<br />

grosse Mengen von Stammzellen zu produzieren, ohne auf<br />

befruchtete menschliche Embryos zurückgreifen zu müssen, ein entscheidender<br />

Fortschritt.<br />

Stammzellen von nicht lebensfähigen Embryos<br />

Das erfolgreiche Klonen des Schafes Dolly im Jahr 1997 mit Hilfe des so<br />

genannten somatischen Zellkern-Transfers weckte die Hoffnung, man<br />

könnte auf dieselbe Weise einen endlosen Vorrat an Stammzellen produzieren<br />

– entweder gesunde Zellen von Kranken oder, zu Forschungs -<br />

zwecken, Zellen mit einer bestimmten genetischen Störung. Die Methode<br />

beruht allerdings darauf, dass das gewünschte genetische Material in eine<br />

Oozyte oder Eizelle eingesetzt wird. Von Menschen eine ausreichende<br />

Zahl von Eizellen zu gewinnen, ist mit technischen und ethischen Problemen<br />

verbunden.<br />

Stammzellen und Neurogenese<br />

Am 7. Juni erschien in Nature eine Studie, die aufzeigt, wie sich viele<br />

dieser Probleme umgehen lassen. Dieter Egli und Mitarbeitende an der<br />

Harvard University arbeiteten mit Mäusen und wiesen nach, dass es<br />

möglich ist, Stammzellmaterial in befruchtete Embryos oder Zygoten einzusetzen<br />

– dies war in früheren Forschungsarbeiten fehlgeschlagen. 91


92<br />

In einer Phase des Experiments verwendeten die Forschenden Zygoten<br />

mit zusätzlichen Chromosomen – diese sind nicht lebensfähig und können<br />

sich daher nicht zu lebenden Nachkommen entwickeln – entfernten die<br />

abnormalen Chromosomen und setzten die DNA jener Stammzellen ein,<br />

die sie vermehren wollten. Einem Bericht der American Society for Reproductive<br />

Medicine/Society for Assisted Reproductive Technology Registry<br />

aus dem Jahr 2000 zufolge sind in Kliniken für In-Vitro-Fertilisations schätzungsweise<br />

3-5% der menschlichen Zygoten Träger solcher Anomalien<br />

und werden üblicherweise entsorgt 5 . Die Studie zeigt erstmals auf, wie<br />

diese unbrauchbaren Zygoten – ihre Zahl geht in die Zehntausende – zu<br />

einem grossen Vorrat an Stammzellen führen könnten.<br />

Da die Chromosomenstörungen der Embryos mit Leben nicht vereinbar<br />

sind, würde dieser Ansatz kein potentielles Leben zerstören. Ausserdem<br />

wäre das genetische Material in den entstandenen Stammzellen nicht das<br />

der ursprünglichen Spender. Die Technik könnte eine ethisch annehmbare<br />

Möglichkeit zur serienmässigen Entwicklung von Stammzellen für die<br />

Erforschung vieler Erbkrankheiten des Menschen darstellen 6 .<br />

Nicht alle neuralen Stammzellen sind gleich<br />

Um die therapeutischen Möglichkeiten von neuralen Stammzellen nutzbar<br />

zu machen muss man jene Faktoren, genau verstehen, die ihre Entwick -<br />

lung steuern. Es wird allgemein angenommen, dass neurale Stammzellen<br />

mit einem einheitlichen Potential ihr Leben beginnen und theoretisch auf<br />

beinahe jeden Entwicklungsweg gebracht werden können.<br />

Diese Annahme gründet jedoch auf Forschungsarbeiten mit Zellkulturen;<br />

über das Verhalten von Stammzellen im Gehirn ist weniger bekannt. Eine<br />

am 20. Juli in Science veröffentlichte Studie zeigt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten<br />

einer Stammzelle abhängig von ihrer Lokalisation eingeschränkt<br />

sind 7 .<br />

Arturo Alvarez-Buylla und Mitarbeitende von der University of California<br />

in San Francisco verfolgten bei ihrer Arbeit mit neugeborenen und adulten<br />

Mäusen die Vermehrung einer kleinen Gruppe von Stammzellen. Dabei<br />

wurden ausgewählte Stammzellen dauerhaft mit einem grün fluoreszierendem<br />

Protein markiert. Das Team verfolgte den Verbleib von Stammzellen<br />

aus 15 verschiedenen Orten einer grossen „zellbildenden“ Hirnregion<br />

von adulten Tieren, in der auch nach der Geburt noch Neuronen und<br />

andere Hirnzellen generiert werden.


Zwar brachten alle dieser Orte reife, grün markierte Nervenzellen hervor,<br />

doch unterschied sich die Art der entstandenen Neuronen je nach ihrem<br />

Herkunftsort. Ausserdem erwiesen sich die Stammzellen gegenüber<br />

Veränderungen ihrer Umgebung als erstaunlich widerstandsfähig. Selbst<br />

wenn man sie aus dem Gehirn entfernte und mit den verschiedensten<br />

Wachstumsfaktoren in Zellkulturen züchtete – oder wenn man sie an<br />

unterschiedlichen Orten der zellbildenden Region anderer Tiere implantierte<br />

– stets gingen aus den Stammzellen Neuronen oder andere Hirn -<br />

zellen hervor, und die gebildeten Neuronen waren wiederum für ihren<br />

Herkunftsort spezifisch. Der Befund lässt darauf schliessen, dass Stammzellen<br />

zwar wirklich vielseitig sind, dass aber eine einzelne Stammzelle nur<br />

Neuronenarten hervorbringen kann, die auf einen bestimmten Hirn -<br />

bereich zugeschnitten sind und dass sie nicht leicht eine neue Identität<br />

annimmt, wenn man sie an einen anderen Ort verpflanzt. Diese regionale<br />

Spezifizität könnte den therapeutischen Nutzen einer bestimmten Popu -<br />

lation von Stammzellen einschränken.<br />

Stammzellen schützen Neuronen bei ALS<br />

Üblicherweise werden Stammzellen dafür gepriesen, dass sie einen<br />

gesunden Ersatz für jene Zellen produzieren können, die durch eine degenerative<br />

Erkrankung absterben. Sie können aber auch verwendet werden,<br />

um geschädigte Neuronen mit therapeutischen Substanzen zu versorgen.<br />

Clive Svendsen und Mitarbeitende von der University of Wisconsin, Madison,<br />

manipulierten Stammzellen so, dass diese den Wachstumsfaktor<br />

GDNF (glial-derived neurotrophic factor) freisetzten, eine Substanz, die<br />

Neuronen nährt und schützt. Wie sie in der Ausgabe vom 31. Juli in<br />

PLoS One, der Online-Zeitschrift der Public Library of Science berichteten,<br />

implantierten sie GDNF sezernierende Stammzellen ins Rückenmark<br />

von Ratten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS, oder Lou-Gehrig-<br />

Syndrom), bei der Motoneuronen geschädigt werden 8 .<br />

Die Transplantate etablierten sich und waren in der Lage, bei Ratten in<br />

einer frühen Krankheitsphase praktisch alle geschädigten Neuronen zu<br />

schützen. Die manipulierten Zellen zeigten eine hohe Affinität zu den<br />

geschädigten Neuronen, bewegten sich direkt in die verletzten Bereiche<br />

und gaben dort GDNF ab.<br />

Stammzellen und Neurogenese<br />

Das Verfahren stellte jedoch die Kommunikation zwischen Motoneuronen<br />

und Muskeln nicht wieder her und es verbesserte auch die Fähigkeit der 93


94<br />

Clive Svendsen und<br />

Mitarbeitende von der<br />

University of Wisconsin,<br />

Madison, haben Stammzellen<br />

hergestellt, die den<br />

Wachstumsfaktor GDNF<br />

(glial-derived neurotrophic<br />

factor) freisetzten. Implantate<br />

solcher Zellen er -<br />

hielten bei Ratten im Früh -<br />

stadium von ALS die<br />

geschädigten Motoneuronen<br />

am Leben.<br />

Ratten nicht, ihre Glieder zu gebrauchen; als Behandlung der ALS würde<br />

sich seine Aufgabe darauf beschränken, die Neuronen am Leben zu erhalten.<br />

Dennoch zeigt dieser Ansatz eine weniger bekannte Verwendung von<br />

Stammzellen auf, die zur Behandlung vieler Krankheiten nützlich sein<br />

könnte. Stammzellen dafür einzusetzen, dass sie an geschädigte Orte im<br />

Gehirn wandern, wird derzeit als gezielte Behandlungsmöglichkeit von<br />

Hirntumoren erforscht.<br />

Leistungsfähige neue Mittel zur Erforschung<br />

von Krankheiten<br />

Zwei Teams verwendeten Stammzellen zur Erforschung der Amyotrophen<br />

Lateralsklerose und fanden einen entscheidenden Hinweis im Zusammenhang<br />

mit dieser geheimnisvollen Krankheit. Mehr als 90% der Fälle treten<br />

vereinzelt auf, d. h. die Krankheit kam in der Familie der Betroffenen nie<br />

vor. Dennoch wurde bei einigen Personen ein mutiertes Gen, welches für<br />

das Enzym Superoxid Dismutase-1 (SOD1) kodiert, als eine Krankheitsursache<br />

identifiziert.<br />

Auf welche Weise das mutierte Gen Motoneuronen schädigt, weiss man<br />

nicht. Unklar ist insbesondere, ob das geschädigte Gen die Funktion<br />

von Motoneuronen direkt beeinflusst oder ob andere Zellen daran<br />

beteiligt sind. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass sogar bei<br />

gesunden Motoneuronen typische Merkmale von ALS auftreten, wenn<br />

man sie zusammen mit nicht neuronalen Zellen züchtet, die Träger dieser<br />

Mutation sind.


Diese neuen Studien, die beide in der Mai-Ausgabe von Nature Neuroscience<br />

publiziert wurden, deuten darauf hin, dass die Astrozyten, sternförmige<br />

Zellen, die im Gehirn viele Schutzfunktionen wahrnehmen, dafür<br />

verantwortlich sind. Forschende unter der Leitung von Serge Przedborski<br />

an der Columbia University arbeiteten sowohl mit Motoneuronen, die<br />

Mäuseembryos direkt entnommen worden waren, als auch mit Neuronen,<br />

die aus embryonalen Stammzellen von Mäusen stammten; in ihrer ersten<br />

Studie stellten sie fest, dass Motoneuronen, welche Träger der menschlichen<br />

SOD-Mutation waren, zwar einige Anomalien erkennen liessen,<br />

aber keine Neurodegeneration 9 .<br />

Dennoch führten Astrozyten mit dieser Mutation zum Tod von Motoneuronen,<br />

und dies geschah über denselben degenerativen Prozess wie im<br />

Falle von ALS. Ausserdem erkannte das Team, dass die Astrozyten eine<br />

schädigende Wirkung entfalten, indem sie eine Substanz freisetzen, die<br />

selektiv für Motoneuronen toxisch ist – dies im Gegensatz zu unschädlichen<br />

Substanzen, die von anderen Arten von Helferzellen, etwa der Glia,<br />

freigesetzt werden.<br />

Die zweite Studie wurde von Kevin Eggan und Mitarbeitenden an der Harvard<br />

University und der Universität Perugia durchgeführt; sie verwendeten<br />

embryonale Stammzellen von Mäusen, um dieselbe Frage anhand<br />

eines Modells zu untersuchen 10 . Die Forschenden benutzten Stammzellen<br />

von speziell gezüchteten Mäusen, die entweder über das normale<br />

menschliche SOD-Gen oder über die mutierte Version verfügten, und liessen<br />

sie zu einer grossen Menge von Motoneuronen differenzieren. Die<br />

mutierten Zellen durchliefen die charakteristischen Krankheitsschritte,<br />

was zum Tod der Motoneuronen führte; demnach dürfte der Stammzellen-Ansatz<br />

langfristig ein erfolgreiches Forschungsmodell der ALS darstellen.<br />

Ausserdem zeigte sich sowohl bei den normalen wie auch bei den<br />

mutierten Motoneuronen Anzeichen einer Neurodegeneration, wenn sie<br />

zusammen mit SOD-mutierten Helferzellen in Kulturen gezüchtet wurden.<br />

Stammzellen und Neurogenese<br />

Indem beide Befunde aufzeigen, dass ALS auf Faktoren beruhen könnte,<br />

die, wie z. B. Astrozyten, eigentlich nicht zu den Motoneuronen gehören,<br />

diese jedoch beeinflussen, eröffnen sie neue Behandlungsmöglichkeiten.<br />

Sie machen auch deutlich, dass Stammzellen ein leistungsfähiges Mittel<br />

sein könnten, um den Verlauf dieser Krankheit zu untersuchen – die Arbeit<br />

der letztgenannten Studie stellt sogar eine auf Zellen beruhende Screen -<br />

ing-Methode zur Suche nach potentiellen neuen Medikamenten bereit. 95


Denken und Erinnern<br />

Beta-Amyloid und Alzheimer-Krankheit 98<br />

Genvarianten 100<br />

Andere Ansatzpunkte für eine Behandlung 101<br />

Die Alzheimer-Krankheit vorhersagen 103<br />

Erinnerung und Vorstellung 104<br />

97


98<br />

Was das Verständnis und die Behandlung degenerativer Erkrankungen<br />

des Nervensystems, einschliesslich der Alzheimer-Krankheit, anbelangt,<br />

bearbeitete die Forschung im Jahr 2007 Neuland. Daraus ergaben sich<br />

auch neue Erkenntnisse über die Art und Weise, wie das Gehirn Erinnerungen<br />

an Vergangenes für Zukunftspläne einsetzt.<br />

Bisher wurde noch keine Behandlung gefunden, die nachweislich den<br />

Verlauf der Alzheimer-Krankheit zu beeinflussen vermag, doch sind die<br />

Forschenden an verschiedenen Fronten so nahe dran, dass deren Kombination<br />

die Behandlung und möglicherweise sogar die Prävention der<br />

Alzheimer-Krankheit verbessern könnte. Dem Protein Beta-Amyloid gilt<br />

dabei ein besonderes Augenmerk, doch richtet sich die Forschung weiterhin<br />

auch auf andere Ziele.<br />

Beta-Amyloid und Alzheimer-Krankheit<br />

Einige der Forschungsfortschritte betreffen die aus Beta-Amyloid Protein<br />

bestehenden Plaques und Fibrillen, die sich im Gehirn von Alzheimer-Kranken<br />

bilden. Plaques entstehen in Zwischenräumen zwischen Hirn zellen,<br />

und Fibrillen entwickeln sich innerhalb von Hirnzellen, doch wird angenommen,<br />

dass die Schädigung der Neuronen und die Beeinträch tigung von<br />

Hirnfunktionen bereits erfolgen bevor diese Strukturen sichtbar werden.<br />

Die Ergebnisse verschiedener Studien mit synthetischen Beta-Amyloid<br />

Peptiden, an Zellkultur-Modellen, transgenen Mäusen (die aufgrund<br />

genetischer Veränderungen menschliche DNA enthielten) sowie am<br />

menschlichen Gehirn weisen alle in dieselbe Richtung: Demnach wirkt die<br />

fortschreitende Ansammlung von Beta-Amyloid längst zelltoxisch bevor<br />

sich sichtbare Plaques und Fibrillen bilden. Die Untereinheiten oder Bausteine<br />

des Beta-Amyloid Proteins waren im Jahr 2007 Gegenstand zahlreicher<br />

Forschungsarbeiten.<br />

Ein von Lennart Mucke an der University of California, San Francisco,<br />

geleitetes Team untersuchte transgene Mäuse, die über grosse Mengen<br />

von Beta-Amyloid Untereinheiten im Gehirn verfügten; diese Tiere zeigen<br />

viele Alzheimer-Symptome, unter anderem auch kognitive Einbussen 1.<br />

Die Häufigkeit nicht konvulsiver Anfallstätigkeit im Hippokampus und<br />

im Kortex, d. h. in Strukturen, die bekanntlich für das Gedächtnis<br />

wichtig sind, war hoch. In diesen Hirnregionen bewirken Beta-Amyloid


ADDL sind toxische Proteine, die im<br />

Gehirn und im Liquor von Alzheimerkranken<br />

entstehen und die für das<br />

Gedächtnis verantwortlichen Synapsen<br />

einer Hirnzelle angreifen. Im Jahr 2007<br />

haben Forschende die Auswirkung von<br />

ADDL untersucht.<br />

Untereinheiten, dass sich die Impulsrate in gewissen erregenden neuronalen<br />

Schaltkreisen erhöht. Als Reaktion darauf organisieren sich hemmende<br />

Schaltkreise neu und in der Folge davon nimmt die Impulsrate der Nervenzellen<br />

in den erregenden Schaltkreisen ab.<br />

Das Team folgerte daraus, dass die mit der Alzheimer-Krankheit verbundenen<br />

kognitiven Einbussen möglicherweise auf die Kombination von<br />

übermässiger neuronaler Aktivität infolge der Beta-Amyloid Untereinheiten<br />

einerseits und der darauf folgenden Reorganisation der hemmenden<br />

Schaltkreise anderseits zurückzuführen sind. Die Reorganisation könnte<br />

die Tätigkeit der erregenden Schaltkreise verringern.<br />

Mucke nimmt an, dass eine therapeutisch hervorgerufene Blockade der<br />

durch Beta-Amyloid ausgelösten Übererregung von Neuronen sowohl die<br />

Aktivierung der hemmenden Bahnen als auch die nachfolgende Reorganisation<br />

und die sich daraus ergebenden kognitiven Beeinträchtigungen<br />

verhindern könnte.<br />

Andernorts erforschte ein von William Klein geleitetes Team der North -<br />

western University den Einfluss der von Beta-Amyloid gesteuerten Untereinheiten,<br />

der so genannten ADDL, auf den Aufbau, die Struktur und die<br />

Menge der Synapsen 2 . Diese Moleküle entstehen im Gehirn und im<br />

Liquor. Sie binden an Synapsen und stören deren Plastizität, d. h. die<br />

Fähigkeit der Synapse sich zu verändern. Schliesslich degeneriert die<br />

Synapse und verursacht den im Anfangsstadium der Alzheimer-Krankheit<br />

auftretenden Gedächtnisverlust. 99<br />

Denken und Erinnern


100<br />

Klein und sein Team untersuchten dendritische Dornen, d. h. Auswüchse<br />

auf den schmaleren, verästelten Fortsätzen von Neuronen. Bei den meis -<br />

ten Neuronen leiten Dendriten Impulse zum Nervenzellkörper.<br />

Klein und seine Mitarbeitenden züchteten Neuronen aus dem Hippokampus<br />

und stellten fest, dass ADDL an dendritische Dornen von bestimmten<br />

Typen von Nervenzellen binden und bewirken, dass die Zahl gewisser, für<br />

das Gedächtnis bedeutsamer Rezeptoren zunimmt. Eine fortgesetzte<br />

Exposition führt zu einer abnorm langen, dünnen Form dendritischer<br />

Dornen, und schliesslich zur Reduktion ihrer Anzahl. Als Folge davon<br />

gehen die Synapsen zugrunde. Wie die Gruppe berichtete, konnte das<br />

Anti-Alzheimer-Medikament Namenda beide Veränderungen verhindern.<br />

In einer verwandten Studie wies ein Team unter der Leitung von Bernardo<br />

Sabatini in Harvard nach, dass Untereinheiten von Proteinen, die von Beta-<br />

Amyloid stammen, den fortschreitenden Verlust von Synapsen in Zellen<br />

des Hippokampus hervorriefen – dies allerdings nur, wenn diese Untereinheiten<br />

aus zwei oder drei Molekülen zusammengesetzt waren, nicht<br />

aber, wenn sie aus einem einzigen Molekül bestanden 3 . Nachdem sie den<br />

kleinen, löslichen Molekülen ausgesetzt worden waren, nahmen die<br />

Dichte der Dornen auf den Dendriten und die Zahl der aktiven Synapsen<br />

von pyramidenförmigen Neuronen ab.<br />

Beta-Amyloid-spezifische Antikörper wirkten dem Verlust der Dornen<br />

ebenso entgegen wie eine Substanz, die verhinderte, dass sich die kleinen<br />

Moleküle zu grösseren Einheiten zusammenschlossen. Sabatini schloss<br />

daraus, dass kleine, lösliche Untereinheiten von Beta-Amyloid den Verlust<br />

von Synapsen auslösen.<br />

Die genaue molekulare Struktur dieser löslichen, diffusionsfähigen Untereinheiten,<br />

die sich zu sichtbaren Plaques und Fibrillen zusammenfügen,<br />

wird weiter erforscht. Nichtsdestotrotz beginnt man bereits Therapien zu<br />

entwickeln und zu testen, welche die Bildung dieser Untereinheiten verhindern<br />

sollen. Ziel solcher Behandlungen ist es, das Zugrundegehen neuronaler<br />

Schaltkreise zu verlangsamen oder sogar zu stoppen, noch bevor<br />

Symptome der Alzheimer-Krankheit auftreten 4 .<br />

Genvarianten<br />

Beta-Amyloid wird in verschiedenen Bereichen der Zelle aus dem Amyloid-Vorläufer-Protein<br />

(amyloid precursor protein; APP) gebildet. Ein


wichtiger Schritt bei der Herstellung von Beta-Amyloid erfolgt während<br />

des Wiedereintritts und der Wiederaufbereitung von APP, wenn es<br />

von der Zelloberfläche über eine bestimmte Bahn ins Innere der Zelle<br />

gelangt. Ein grosses internationales Forschungsteam unter der Leitung von<br />

Peter St. George-Hyslop von der University of Toronto kam zum Schluss,<br />

dass sich ererbte Unterschiede in dieser Bahn sowohl auf die Verarbeitung<br />

von APP als auch auf das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, aus -<br />

wirken könnten.<br />

Wie sie in Nature Genetics berichteten, hängen ererbte Unterschiede im<br />

Gen SORL1 mit der spät beginnenden Alzheimer-Krankheit zusammen 5 .<br />

Die Varianten kommen in mindestens zwei verschiedenen Clustern von<br />

nicht kodierender DNA im SORL1-Gen vor. Möglicherweise steuern diese<br />

Cluster, wie SORL1 im Hirngewebe exprimiert wird.<br />

Das Team stellte fest, dass APP von SORL1 in Wiederaufbereitungsbahnen<br />

gelenkt wird. Wenn es an SORL1 mangelt, gelangt APP in Regionen,<br />

in denen sich Beta-Amyloid Proteine bilden. Die Forschenden schlossen<br />

daraus, dass ererbte oder erworbene Veränderungen der SORL1-Expression<br />

oder -Funktion eine Ursache der Alzheimer-Krankheit darstellen.<br />

Andere Ansatzpunkte für eine Behandlung<br />

Beta-Amyloid Proteine sind nicht der einzige Ansatzpunkt für mögliche<br />

Behandlungen der Alzheimer-Krankheit. Ein weiterer ist das Tau-Protein.<br />

Tau ist in normalen Neuronen reichlich vorhanden. In Zusammenarbeit mit<br />

dem Protein Tubulin fördert und stabilisiert es Mikrotubuli, jene hohlen,<br />

zylinderförmigen Strukturen in Zellen, welche die Zelle stützen und durch<br />

die Material befördert wird.<br />

Allerdings können gewisse abnorme Formen von Tau den Aufbau der<br />

Neurofibrillen und Fasern bewirken, die man in den Neuronen von Alzheimer-Kranken<br />

findet. Forschende gehen nun der Frage nach, ob auf Tau<br />

gerichtete Behandlungen die durch Beta-Amyloid hervorgerufenen kognitiven<br />

Einbussen verhindern können.<br />

Denken und Erinnern<br />

Ein von Eric Roberson am Gladstone Institute of Neurological Disease in<br />

San Francisco geleitetes Team untersuchte diese Frage anhand von<br />

transgenen Mäusen. Die Mäuse waren so verändert worden, dass sie<br />

hohe Konzentrationen des Amyloid-Vorläufer-Proteins exprimierten. Ihre 101


Lernfähigkeit und ihr Gedächtnis wurden in einem Wasserlabyrinth ge -<br />

testet. Roberson stellte fest, dass eine Reduktion der Tau-Level bewirkte,<br />

dass Mäuse selbst bei hohen Beta-Amyloid-Spiegeln noch lernen konnten,<br />

sich im Labyrinth zurechtzufinden.<br />

Eine weitere mögliche Therapie stützt sich auf das Peptid NAP,<br />

das erwiesenermassen vor dem durch Beta-Amyloid hervorgerufenen<br />

Untergang von Neuronen schützt.<br />

102<br />

Ausserdem beobachtete Roberson, dass eine Reduktion von Tau sowohl<br />

transgene als auch nicht transgene Mäuse vor der so genannten Exzito -<br />

toxizität schützte; diese tritt auf, wenn eine bestimmte Aminosäure im<br />

Gehirn eine für Neuronen toxische Wirkung entfaltet. Die in Science<br />

publizierte Studie kam zum Schluss, dass eine Reduktion von Tau sowohl<br />

Beta-Amyloid als auch eine exzitotoxische Störung von Neuronen zu<br />

hemmen vermag 6 . Somit könnte die Tau-Reduktion eine wirksame<br />

Strategie zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit und verwandter Störungen<br />

darstellen.<br />

Eine weitere mögliche Therapie stützt sich auf das Peptid NAP, das erwiesenermassen<br />

vor dem durch Beta-Amyloid hervorgerufenen Untergang<br />

von Neuronen schützt. NAP scheint zu verhindern, dass sich aus Beta-<br />

Amyloid Plaques und Fibrillen bilden. Ausserdem bindet es an Tubulin und<br />

verhindert dadurch die mit der Alzheimer-Krankheit verbundene Schädigung<br />

der Mikrotubuli.<br />

Paul Aisen und sein Forschungsteam an der Georgetown University untersuchten<br />

transgene Mäuse, die beide Merkmale der Alzheimer-Krankheit<br />

aufwiesen: eine Anhäufung von Beta-Amyloid und die mit einer Fehlfunktion<br />

der Mikrotubuli verbundenen modifizierten Formen von Tau. Als die<br />

Tiere neun Monate alt waren, erhielten sie – noch vor dem Auftreten von<br />

Krankheitssymptomen – während dreier Monate täglich eine Dosis NAP.<br />

Im Journal of Molecular Neuroscience berichtete das Team, die Behandlung<br />

hätte den Spiegel von Beta-Amyloid im Gehirn der Tiere entscheidend<br />

gesenkt 7 . NAP setzte auch die Konzentration von abnormalem Tau<br />

herab. Die Forschenden schliessen daraus, dass NAP eine viel versprechende<br />

Behandlung der Alzheimer-Krankheit sein könnte.<br />

Unterdessen untersuchten Forschende am Massachusetts Institute of<br />

Technology Mäuse, bei denen sie den kurzfristigen und örtlich begrenzten


Untergang von Neuronen nachprüfen konnten. Einige der Mäuse wurden<br />

in einer „angereicherten Umgebung“ gehalten – ihre Käfige enthielten<br />

Laufräder, Spielsachen, Tunnels und Klettervorrichtungen. In dieser angereicherten<br />

Umgebung gewannen die Mäuse selbst nach einer Hirna -<br />

trophie und dem Untergang von Neuronen ihr Lernverhalten zurück und<br />

konnten wieder auf ihr Langzeitgedächtnis zurückgreifen.<br />

Das Team untersuchte das im Hirngewebe der Mäuse vorhandene genetische<br />

Material. Dabei interessierte es sich vor allem für die Histon-Enden<br />

des Chromatins jenen Komplex von DNA und Proteinen, aus denen die<br />

Chromosomen bestehen. Chromatinstränge enthalten Histone, einen Proteintyp,<br />

um den DNA gewickelt ist. Die Arme oder Enden der Chromatinfasern<br />

bestehen vor allem aus Histonen.<br />

Die Forschenden stellten fest, dass es in einer angereicherten Umgebung<br />

zu chemischen Veränderungen in diesen Histon-Armen kam. Wenn dieselben<br />

Veränderungen durch eine Substanz ausgelöst wurde, welche die<br />

Aktivität des verwandten Enzyms HDAC hemmt, dann sprossen Dendriten<br />

aus, stieg die Zahl der Synapsen an und besserten sich das Lernverhalten<br />

sowie der Zugriff zum Langzeitgedächtnis. Die Forschenden kamen in<br />

ihrem Artikel in Nature vom 10. Mai zum Schluss, dass Substanzen, die<br />

dieses Enzym hemmen, die Behandlung der Alzheimer-Krankheit und<br />

anderer Formen von Demenz unterstützen könnten 8 .<br />

Andere Forschende untersuchen die Tätigkeit von HDAC-Inhibitoren.<br />

Verändern sie die Expression vieler Gene und beeinflussen sie Gedächtnisvorgänge<br />

ganz allgemein? Oder ist ihre Wirkung spezifisch? Eine<br />

Studie stellte zwei spezifische Auswirkungen fest. Die eine bezieht sich<br />

auf das Protein CREB, das innerhalb der Neuronen gebildet wird und<br />

bekanntlich für den Aufbau des Gedächtnisses von Bedeutung ist. Inhibitoren<br />

beeinflussen ausserdem die Expression mehrerer einzelner Gene<br />

während der Konsolidierung des Gedächtnisses 9 .<br />

Denken und Erinnern<br />

Die Alzheimer-Krankheit vorhersagen<br />

Ein von David Holtzman an der Washington University in Saint Louis ge -<br />

leitetes Team berichtete im März 2007 in Archives of Neurology, die<br />

Verhält niszahlen bestimmter Typen von Beta-Amyloid und Tau gäben<br />

bei Personen mit normalen kognitiven Fähigkeiten darüber Aufschluss,<br />

ob im Gehirn amyloide Ablagerungen vorhanden sind, welche die Wahrscheinlichkeit<br />

einer künftigen Demenz erhöhen. 103


Die Forschenden analysierten den Liquor und das Blut von 139 Freiwilligen<br />

im Alter zwischen 60 und 91 Jahren, die als kognitiv gesund, bzw. als<br />

an einer sehr milden oder moderaten Demenz leidend diagnostiziert worden<br />

waren 10 . Das Team berichtete, dass im Liquor von Personen mit sehr<br />

milder oder moderater Alzheimer-Krankheit ein bestimmter Typ von Beta-<br />

Amyloid weniger und Tau mehr vorhanden war als bei gesunden Kontrollpersonen.<br />

Die Konzentration dieses Typs von Beta-Amyloid erlaubte eine<br />

Aussage über das Vorhandensein von Amyloid im Gehirn von Personen<br />

mit und ohne Demenz.<br />

Erinnerung und Vorstellung<br />

Ebenfalls im Jahr 2007 untersuchte eine zunehmende Zahl von Forschungsgruppen<br />

die Beziehung zwischen der Erinnerung an Vergangenes und der<br />

Vorstellung von Zukünftigem. Personen, mit einer Schädigung des Hippokampus<br />

haben Mühe, sich an vergangene Ereignisse zu erinnern und sich<br />

künftige Szenarien vorzustellen. Schizophrenie-Kranke erinnern sich ebenfalls<br />

weniger an spezifische vergangene Ereignisse und stellen sich eine<br />

kleinere Zahl von spezifischen zukünftigen Ereignissen vor als Gesunde,<br />

berichtete Arnaud D’Argembeau von der belgischen Universität in Liège.<br />

Die Forschungsarbeit ist im Journal of Abnormal Psychology beschrieben 11 .<br />

Der Verlust des episodischen Gedächtnisses führt unter anderem dazu,<br />

dass es älteren Erwachsenen manchmal schwer fällt, Informationen ein -<br />

zuordnen und Elemente miteinander in Beziehung zu bringen.<br />

104<br />

Eine Harvard-Studie, über die in Psychological Science berichtet wurde,<br />

kam zu ähnlichen Ergebnissen. Ein Forschungsteam untersuchte das<br />

episodische Gedächtnis von gesunden, älteren Erwachsenen und von<br />

College-Studierenden. Das episodische Gedächtnis ist bedeutsam, da es<br />

uns die Erinnerung an persönliche Erlebnisse ermöglicht, die in einzigartiger<br />

Weise unser individuelles Leben ausmachen. Dank ihm können wir<br />

uns in der subjektiven Zeit sowohl rückwärts als auch vorwärts entwerfen.<br />

Wenn das Team die Freiwilligen aufforderte, sich vergangene und künftige<br />

Ereignisse vorzustellen, fielen den älteren Erwachsenen zu vergangenen<br />

Ereignissen weniger episodenspezifische Einzelheiten ein als den jün -<br />

geren Erwachsenen. Dasselbe galt für künftige Ereignisse: Vorgestellte<br />

Ereignisse enthielten weniger episodische Informationen 12 . Der Verlust<br />

des episodischen Gedächtnisses führt unter anderem dazu, dass es älteren<br />

Erwachsenen manchmal schwer fällt, Informationen einzuordnen und<br />

Elemente miteinander in Beziehung zu bringen.


Studien mit bildgebenden Verfahren belegen, dass die Erinnerung an<br />

Vergangenes und die Vorstellung von Künftigem auf denselben Hirnbe -<br />

reichen beruhen. In einer Studie wurden 21 Freiwillige im Alter zwischen<br />

18 und 32 Jahren einer Magnetresonanzbildgebung unterzogen, während<br />

sie sich als Reaktion auf entsprechende Stichworte an vergangene Ereignisse<br />

erinnerten und sich künftige vorstellten 13 . Die Aufnahmen liessen<br />

eine erstaunliche Überschneidung der mit vergangenen und künftigen<br />

Ereignissen verbundenen Aktivität erkennen: Bei der Erinnerung an<br />

Vergangenes und der Vorstellung von Künftigem handelt es sich um Vorgänge,<br />

die mit einem zentralen Bereich des Gehirns zusammenhängen,<br />

der sowohl die Bereiche des präfrontalen und medialen Schläfenlappens<br />

als auch die posterioren Bereiche (einschliesslich des Precuneus und des<br />

Cortex retrosplenialis) umfasst; diese werden übereinstimmend als Komponenten<br />

des Erinnerungs-Abruf-Netzwerks des Gehirns angesehen.<br />

Ergebnisse dieser Art führten zum Konzept des „prospektiven Gedächtnisses“,<br />

d. h. zur Annahme, das Gehirn verwende gespeicherte Informationen<br />

dazu, sich mögliche künftige Ereignisse vorzustellen, sie zu simulieren<br />

und vorherzusagen. Dieses Konzept bietet eine neue Denkweise und<br />

neue Untersuchungsmöglichkeiten in Bezug auf das Gedächtnis – so die<br />

Harvard-Psychologen und -Psychologinnen Daniel Schacter, Donna Rose<br />

Addis und Randy Buckner 14 . Es geht von der Annahme aus, dass sowohl<br />

die Erinnerung als auch die Vorstellung auf gemeinsame Netzwerke zu -<br />

rückgreifen, um gespeicherte Informationen abzurufen.<br />

Sich etwas vorstellen verlangt jedoch, dass man einzelne Inhalte auf eine<br />

neue Weise kombiniert; dies beansprucht zusätzliche Hirnbereiche. Diese<br />

Überlappung könnte erklären, weshalb das Abrufen nicht eine perfekte<br />

Erinnerung des Vergangenen sondern einen konstruktiven Vorgang<br />

darstellt. Die Fähigkeit, im Gedächtnis gespeicherte Informationen neu zu<br />

organisieren und umzuformen, kann für die Zukunftsplanung entscheidend<br />

sein, meinen Schacter, Addis und Buckner.<br />

Denken und Erinnern<br />

105


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Abbildungen / Fotos<br />

S. 5: Photo courtesy of Mike Lovett<br />

S. 11: Photo courtesy of Michael S. Gazzaniga<br />

S. 17: Above photo courtesy of Mahlon R. DeLong, MD<br />

Down photo courtesy of Thomas Wichmann, MD<br />

S. 25: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 28: Image courtesy of Philip Shaw / NIH<br />

S. 29: Photo courtesy of Adrian Bird, University of Edinburgh<br />

S. 30: Image courtesy of Adrian Bird, University of Edinburgh<br />

S. 33: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 35: Image courtesy of Cynthia McMurray<br />

S. 39: Photo courtesy of New York Presbyterian / Weill Cornell Medical College<br />

S. 41: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 45: Photo courtesy of Rakesh Jain<br />

S. 46: Image courtesy of Rakesh Jain<br />

S. 49: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 51: Photo courtesy of Judy Illes<br />

S. 57: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 59: Photo courtesy of Affymetrix<br />

S. 60: Image courtesy of Affymetrix<br />

S. 65: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 68: Photo courtesy of Bryan Hains, Yale University<br />

S. 71: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 73: Photo courtesy of School of Engineering, Stanford University<br />

S. 74: Image courtesy of Helen Mayberg<br />

S. 81: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 83: Image courtesy of Clifford B. Saper<br />

S. 86: Image courtesy of Dale Purvis<br />

S. 89: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 94: Photo courtesy of Clive Svendsen<br />

S. 97: Illustration by Jennifer E. Fairman<br />

S. 99: Image courtesy of William Klein<br />

115


Stelle Dir<br />

eine Welt vor ...


118<br />

… in der Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson,<br />

Lou Gehrig (ALS) sowie Retinitis pigmentosa<br />

und andere Ursachen von Erblindung<br />

jeweils in einem frühen Stadium erkannt<br />

und umgehend mit Medikamenten behandelt<br />

werden, die eine Verschlimmerung, noch vor<br />

dem Auftreten schwerwiegender Schädigungen<br />

verhindern.<br />

… in der die genetischen Bahnen und die<br />

umweltbedingten Auslöser, die Menschen für<br />

Geisteskrankheiten disponieren, bekannt sind,<br />

so dass entsprechende diagnostische Tests<br />

und zielgerichtete Therapien – einschliesslich<br />

Medikamente, Beratung und vorbeugende<br />

Eingriffe – in grossem Umfang zur Verfügung<br />

stehen und umfassend angewendet werden.<br />

… in der neue Erkenntnisse über die Entwicklung<br />

des Gehirns dazu verwendet werden,<br />

die entscheidenden Vorteile des Lernens in<br />

den ersten Lebensjahren zu fördern und mit<br />

dem Altern zusammenhängende Krankheiten<br />

zu bekämpfen.<br />

… in der Rückenmarksverletzungen nicht<br />

länger zu lebenslänglichen Lähmungen führen,<br />

da das Nervensystem dazu gebracht werden<br />

kann, Nervenschaltkreise neu zu gestalten und<br />

die Bewegung der Muskeln wieder herzustellen.<br />

… in der Drogenabhängigkeit und Alkoholismus<br />

das Leben von Menschen nicht länger<br />

im Griff haben, da leicht zugängliche Behandlungen<br />

jene Veränderungen im Gehirn be -<br />

einflussen können, die für das Absetzen von<br />

Ab hängigkeit erzeugenden Substanzen verantwortlich<br />

sind, aber auch Sucht und Verlangen<br />

hervorrufen können.<br />

… in der das tägliche Leben der Menschen<br />

nicht mehr von depressiven Episoden oder<br />

Angstattacken beeinträchtigt wird, da wirksamere<br />

Medikamente zur Behandlung dieser<br />

Krankheiten verfügbar werden.<br />

Es mag zwar vielen unrealistisch und utopisch<br />

vorkommen, aber wir dürfen festhalten, dass<br />

wir gegenwärtig in einer ausserordentlich<br />

aufregenden Zeit der Geschichte der Neurowissenschaft<br />

leben. Die im vergangenen Jahrzehnt<br />

erfolgten Fortschritte in der Forschung<br />

haben uns weiter gebracht als wir gehofft<br />

hatten. Wir verstehen die grundlegenden<br />

Mechanismen der Hirntätigkeit wesentlich<br />

besser und sind nun an dem Punkt angelangt,<br />

an dem wir diese Erkenntnisse für therapeu -<br />

tische Zwecke fruchtbar machen können.<br />

Wir haben bereits angefangen, Strategien,<br />

neue Techniken und Behandlungsformen<br />

zur Bekämpfung einer ganzen Reihe neurologischer<br />

Krankheiten und Störungen zu entwickeln.<br />

Indem wir Therapieziele festlegen<br />

und unser Wissen anwenden, werden wir<br />

wirksame Behandlungen und in einigen Fällen<br />

wohl auch Heilmethoden entwickeln.<br />

Bei allem, was wir in letzter Zeit im Bereich<br />

der Neurowissenschaft gelernt haben, erkennen<br />

wir immer deutlicher, wie vieles wir nicht<br />

wissen. Dadurch wird es immer dringlicher,<br />

dass wir die Grundlagenforschung vorantreiben,<br />

die sich mit der weiterreichenden Frage,<br />

wie lebende Organismen überhaupt funktionieren,<br />

befasst. Dies wird dazu beitragen, jene<br />

komplexen Fragestellungen anzugehen, welche<br />

zu wissenschaftlichen Entdeckungen führen.<br />

Die koordinierte Arbeit von Tausenden, die<br />

in den verschiedenen Bereichen der Grund -<br />

lagenforschung und der klinischen Forschung<br />

wissenschaftlich tätig sind, hat uns eine<br />

grosse Menge an Informationen gebracht;<br />

sie umfassen so unterschiedliche Gebiete<br />

wie die Strukturanalyse von Molekülen, die<br />

gezielte Entwicklung neuer Pharmaka, die Genom<br />

forschung, bildgebende Untersuchungen<br />

des Ge hirns, kognitive Neurowissenschaft<br />

und klinische Studien. Dieses ganze Wissen<br />

können wir nun breit zur Behandlung neurologischer<br />

Krankheiten und Störungen ein -<br />

setzen. Diese wissenschaftliche Arbeit werden<br />

wir auch weiterhin nicht nur individuell<br />

und ausgerichtet auf die das eigene spezifische<br />

Interessengebiet weiterführen, sondern


gemeinsam mit Kollegen aller wissenschaftlichen<br />

Bereiche nach Möglichkeiten der interdisziplinären<br />

Zusammenarbeit suchen.<br />

Um unsere Aufgabe erfolgreich zu erfüllen,<br />

sind wir auch auf das Vertrauen der Öffentlichkeit<br />

angewiesen. Forschende und Laien<br />

müssen daher aus den neuen Erkenntnissen<br />

der Hirnforschung entstehenden ethischen<br />

und sozialen Konsequenzen gemeinsam<br />

erörtern.<br />

Die <strong>Dana</strong> Alliance for Brain Initiatives und<br />

die European <strong>Dana</strong> Alliance for the Brain ist<br />

eine Gemeinschaft von Neurowissenschaftlern<br />

und Neurowissenschaftlerinnen, die sich<br />

hochgesteckte Ziele gesetzt haben; dies<br />

zeigte sich bereits im Jahre 1992, als in Cold<br />

Spring Harbor, New York, ein Forschungsplan<br />

aufgestellt wurde und dann im Jahre 1997, als<br />

die neu gebildete europäische Gruppe sich<br />

auf ihre eigenen Zielsetzungen verpflichtete.<br />

Beide Gruppen sind gegenwärtig daran, ihre<br />

konkreten Zielvorstellungen so anzupassen,<br />

dass sie die erreichten Fortschritte optimal<br />

ausnützen können. Wir stecken uns auch<br />

neue Ziele, die uns den Weg zu bald Erreichbarem<br />

weisen, und stellen langfristige Pläne<br />

auf. Indem wir uns ausmalen, welche positiven<br />

Auswirkungen diese neue Ära der Neuro -<br />

wissenschaft voraussichtlich haben wird, be -<br />

schleunigen wir die auf das Erreichen unserer<br />

Ziele ausgerichteten Entwicklungen.<br />

Die Ziele<br />

Die verheerenden Auswirkungen der Alzheimer-Krankheit<br />

bekämpfen. Bei der Alzheimer-Krankheit<br />

kommt es zur Ansammlung<br />

eines Proteinfragments von Amyloid, welches<br />

die Nervenzellen schädigt. Der Mechanismus<br />

dieser Ansammlung wurde inzwischen in<br />

Tier versuchen biochemisch genetisch untersucht.<br />

Aufgrund dieser Tiermodelle werden<br />

gegenwärtig therapeutische Substanzen und<br />

ein möglicherweise wirksamer Impfstoff entwickelt,<br />

die die Anhäufung dieser schädlichen<br />

Substanz verhindern oder ihren Abbau<br />

beschleunigen sollen. Diese neuen Therapien,<br />

die schon bald an Menschen erprobt werden<br />

können, wecken die begründete Hoffnung,<br />

dass der Krankheitsverlauf wirkungsvoll be -<br />

handelt werden kann.<br />

Die optimale Behandlung der Parkinson-<br />

Krankheit herausfinden. Medikamente, die<br />

auf die Dopaminbahnen des Gehirns einwirken,<br />

wurden erfolgreich zur Behandlung der<br />

motorischen Störungen der Parkinson-Krankheit<br />

eingesetzt. Leider verliert sich dieser therapeutische<br />

Effekt bei vielen Patienten nach<br />

5 bis 10 Jahren. Nun werden neue Medikamente<br />

entwickelt; sie sollen die Wirkung der<br />

auf Dopamin beruhenden Behandlungen verlängern<br />

und den für die Krankheit verant -<br />

wortlichen selektiven Untergang von Ner -<br />

venzellen verzögern. Patienten, die auf die<br />

medikamentöse Behandlung nicht ansprechen,<br />

könnten von chirurgischen Methoden,<br />

etwa der tiefen Hirnstimulation, profitieren.<br />

Dank neueren Formen der Bildgebung des<br />

Gehirns lässt sich feststellen, ob diese Be handlungs<br />

formen tatsächlich Nervenzellen vor dem<br />

Unter gang bewahren und die normalen Schaltkreise<br />

wieder herstellen können.<br />

Das Auftreten von Hirnschlag reduzieren<br />

und die Therapie des Hirnschlags verbessern.<br />

Herzkrankheiten und Hirnschlag treten<br />

beträchtlich seltener auf, wenn Leute aufhören<br />

zu rauchen, auf einen tiefen Cholesterinspiegel<br />

achten, durch Diät und sportliche<br />

Betätigung ihr normales Gewicht beibehalten<br />

und wenn ein vorhandener Diabetes<br />

diag nostiziert und behandelt wird. Wenn<br />

ein Hirnschlag aufgetreten ist, können die<br />

rasche Erhebung des Befunds und sofortige<br />

Behandlung eine erstaunliche Verbesserung<br />

mit weniger Folgeerscheinungen bewirken.<br />

Neue Behandlungsmethoden, um die akuten<br />

Auswirkungen eines Schlaganfalls auf Hirnzellen<br />

weiter zu reduzieren, sind im Entwicklungsstadium.<br />

Weitere Verbesserungen er -<br />

warten wir von neuen Rehabilitationsver -<br />

fahren, die auf der neuen Erkenntnis von<br />

Reorganisationsvorgängen im Gehirn nach<br />

Schädigungen beruhen.<br />

Stelle Dir eine Welt vor ...<br />

Erfolgreichere Behandlungen von Gemütskrankheiten<br />

entwickeln wie Depression, 119


120<br />

Schizophrenie, Zwangserkrankung und<br />

manisch-depressive Erkrankung. Zwar wurden<br />

im letzten Jahrzehnt die für diese Krankheiten<br />

verantwortlichen Gene noch nicht ge -<br />

funden, doch dürfte die Sequenzierung des<br />

menschlichen Genoms einige an diesen Krankheiten<br />

beteiligte Gene aufdecken. Neue bildgebende<br />

Verfahren gepaart mit Erkennt -<br />

nissen über die Aktivitäten dieser Gene im<br />

Gehirn werden erkennen lassen, was bei<br />

diesen Erkrankungen des Gemüts und des<br />

Denkens in den einzelnen Hirnschaltkreisen<br />

schief läuft. Dies wird die Grundlage für eine<br />

bessere Diagnose, für eine wirksamere An -<br />

wendung der heute zur Verfügung stehenden<br />

Medikamente und für die Entwicklung<br />

völlig neuartiger therapeutischer Substanzen<br />

bilden.<br />

Die genetischen und neurobiologischen<br />

Ursachen der Epilepsie aufdecken und die<br />

Behandlung verbessern. Das Verständnis<br />

der genetischen Grundlagen der Epilepsie<br />

und der neuralen Vorgänge, die zu Anfällen<br />

führen, wird präventive Diagnosen und zielgerichtete<br />

Therapien ermöglichen. Die Fortschritte<br />

der elektronischen und chirurgischen<br />

Therapien lassen wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeiten<br />

erwarten.<br />

Neue, wirkungsvolle Ansätze zur Vorbeugung<br />

und Behandlung der Multiplen Sklerose<br />

finden. Heute stehen uns erstmals<br />

Medikamente zur Verfügung, die erlauben,<br />

den Verlauf dieser Krankheit zu beeinflussen.<br />

Neue Medikamente, die die Immunreaktion<br />

des Körpers verändern, werden Anzahl und<br />

Intensität der Schübe der Multiplen Sklerose<br />

weiter vermindern. Ausserdem werden wir<br />

neue Methoden anwenden, um die lang -<br />

fristige Progression aufzuhalten, die durch<br />

den Untergang von Nervenfasern verursacht<br />

wird.<br />

Bessere Behandlungen bei Hirntumoren<br />

entwickeln. Viele Arten von Hirntumoren, vor<br />

allem die bösartigen und solche, die durch<br />

Ableger einer Krebserkrankung ausserhalb des<br />

Gehirns zustande kommen, lassen sich nur<br />

schwer behandeln. Bildgebende Verfahren,<br />

die Behandlung mit fokussierter Bestrahlung,<br />

verschiedene Methoden, um Medikamente<br />

in den Tumor zu bringen, und die Bestimmung<br />

von genetischen Markern, die zur Diagnose<br />

beitragen werden, bilden die Grundlage<br />

zur Entwicklung innovativer Therapien.<br />

Die Erholung nach traumatischen Hirn- und<br />

Rückenmarksverletzungen verbessern. Wir<br />

sind dabei, Behandlungsmöglichkeiten zu er -<br />

proben, die unmittelbar nach einer Verletzung<br />

den Umfang des verletzten Gewebes<br />

verringern sollen. Andere Wirkstoffe zielen<br />

darauf ab, die Schaltkreise der Nervenfasern<br />

wiederherzustellen. Techniken zur Förderung<br />

der Zellregeneration im Gehirn, um die abgestorbenen<br />

und beschädigten Nervenzellen<br />

zu ersetzen, werden ausgehend von Tier -<br />

modellen schon bald auch an Menschen klinisch<br />

erprobt werden. Gegenwärtig werden<br />

elektronische Prothesen entwickelt, die die<br />

Mikrochip-Technik verwenden, um Nervenschaltkreise<br />

zu steuern und dadurch die<br />

Bewegungsaktivität gelähmter Gliedmassen<br />

wieder zu ermöglichen.<br />

Neue Methoden für den Umgang mit<br />

Schmerzen entwickeln. Der Schmerz muss<br />

heute in der Medizin nicht mehr einfach hingenommen<br />

werden. Die Erforschung der<br />

Ursachen von Schmerzen sowie der Nervenaktivität,<br />

die für ihn verantwortlich ist, wird<br />

den Neurowissenschaftlern Mittel in die<br />

Hand geben, um wirksamere und zielge -<br />

richtete Therapien zur Schmerzbekämpfung<br />

zu entwickeln.<br />

Die Ursachen der Abhängigkeit auf der<br />

Ebene des Gehirns behandeln. Forschende<br />

konnten jene Nervenschaltkreise im Gehirn<br />

bestimmen, die an der Abhängigkeit aller<br />

gängigen Mittel beteiligt sind, und haben die<br />

wichtigsten Rezeptoren für diese Wirkstoffe<br />

geklont. Neue bildgebenden Verfahren, werden<br />

die neurobiologischen Mechanismen<br />

feststellen lassen, die ein normales Gehirn in<br />

ein abhängiges Gehirn verwandeln, und die<br />

Entwicklung von Therapien ermöglichen, um<br />

diese Veränderung entweder rückgängig zu<br />

machen oder zu kompensieren.


Die Hirnmechanismen verstehen, die der<br />

Reaktion auf Stress, Angst und Depression<br />

zugrunde liegen. Geistige Gesundheit ist<br />

eine Vorbedingung für eine gute Lebensqualität.<br />

Stress, Angst und Depression schaden<br />

nicht nur dem Leben der davon betroffenen<br />

Personen, sie können auch verheerende Auswirkungen<br />

auf die Gesellschaft haben. Wenn<br />

es uns gelingt, die Stressreaktion des Organismus<br />

sowie die an Angst und Depression<br />

beteiligten Hirnschaltkreise besser zu ver -<br />

stehen, werden wir wirksamere präventive<br />

Massnahmen entwickeln können und auch<br />

bessere Behandlungsverfahren, um ihre Aus -<br />

wirkungen zu lindern.<br />

Die Strategie<br />

Die Entdeckungen der Erforschung des Genoms<br />

ausnützen. Die vollständige Sequenz<br />

aller Gene, des menschlichen Genoms wird<br />

schon bald zur Verfügung stehen. Dies<br />

bedeutet, dass wir im Verlauf der nächsten<br />

10 bis 15 Jahre in der Lage sein werden, für<br />

jeden Bereich des Gehirns und für jedes<br />

Lebensstadium – vom frühen embryonalen<br />

Leben an, über die Kindheit, die Adoleszenz<br />

bis zum Erwachsenenalter – zu bestimmen,<br />

welche Gene aktiv sind. Wir werden feststellen<br />

können, welche Gene bei verschiedensten<br />

neurologischen und psychiatrischen Krankheiten<br />

verändert sind, so dass ihre Proteinprodukte<br />

entweder ganz fehlen oder auf eine<br />

abnorme Weise funktionieren. Dank dieser<br />

Methode ist es bereits möglich, die genetische<br />

Grundlage von Krankheiten wie Huntington,<br />

spinozerebelläre Ataxie, Muskeldystrophie<br />

und fragiles X-Syndrom zu bestimmen.<br />

Insgesamt verspricht die Entdeckung von<br />

Genen und ihre Anwendung zur klinischen<br />

Diagnose die Neurologie und Psychiatrie<br />

grundlegend zu verändern und stellt eine der<br />

grössten Herausforderungen der Neurowissenschaft<br />

dar. Zum Glück verfügen wir über<br />

Mikroarrays oder „Gen-Chips“, die diese<br />

Entwicklungen sehr beschleunigen und uns<br />

sowohl für die Diagnose als auch für die<br />

Entwicklung neuer Therapien wirkungsvolle<br />

Mittel in die Hand geben.<br />

Unser Wissen über die Entwicklung des<br />

Gehirns anwenden. Von der Empfängnis<br />

bis zum Tod durchläuft das Gehirn ganz<br />

be stimmte Entwicklungsstadien mit jeweils<br />

unterschiedlicher Anfälligkeit für Schädigungen<br />

und Fähigkeit zur Entwicklung, Tendenzen,<br />

die entweder gefördert oder gehemmt<br />

werden können. Um die Behandlung von<br />

Entwicklungsstörungen wie Autismus sowie<br />

Aufmerksamkeits- und Lernstörungen zu verbessern,<br />

wird die Neurowissenschaft eine<br />

detailliertere Darstellung der Hirnentwicklung<br />

erarbeiten. Da gewisse Probleme der Hirnentwicklung<br />

mit anderen Entwicklungsphasen<br />

wie der Adoleszenz oder dem Altern zusam -<br />

menhängen, wird uns das Verständnis der<br />

Veränderungen des Gehirns im Verlauf dieser<br />

Perioden neue Therapien ermöglichen.<br />

Das riesige Potential der Plastizität des<br />

Gehirns ausnutzen. Wenn wir die Neuroplastizität<br />

– die Fähigkeit des Gehirns sich selbst<br />

wiederherzustellen und anzupassen – ausnutzen,<br />

kann die Neurowissenschaft Behandlungen<br />

von degenerativen neurologischen<br />

Erkrankungen fördern und Möglichkeiten zur<br />

Verbesserung von gesunden und kranken<br />

Hirnfunktionen bereitstellen. In den kommenden<br />

zehn Jahren werden Zellen therapeutisch<br />

ersetzt werden und die Förderung<br />

der Neubildung von Zellen wird zu neuen<br />

Behandlungen von Hirnschlag, Rückenmarks -<br />

verletzungen und der Parkinson Krankheit<br />

führen.<br />

Stelle Dir eine Welt vor ...<br />

Unser Verständnis des spezifisch Menschlichen<br />

vergrössern. Wie funktioniert das Ge -<br />

hirn ? Die Neurowissenschaft ist nun so weit,<br />

dass sie die entscheidenden Fragen nicht nur<br />

stellt, sondern auch anfängt sie zu beantworten.<br />

Welche Mechanismen und grundlegenden<br />

Nervenschaltkreise ermöglichen es uns,<br />

Erinnerungen zu speichern, aufmerksam zu<br />

sein, unsere Emotionen wahrzunehmen und<br />

auszudrücken, Entscheidungen zu treffen,<br />

Sprache zu gebrauchen und kreativ zu sein?<br />

Die Bemühungen, eine „einheitliche Feld -<br />

theorie“ des Gehirns zu entwickeln, werden<br />

grosse Möglichkeiten eröffnen, das mensch -<br />

liche Potential zu maximieren. 121


122<br />

Die Methoden<br />

Zellen ersetzen. Ausgewachsene Nervenzelle<br />

können sich nicht replizieren, um die<br />

durch eine Krankheit oder eine Verletzung<br />

verloren gegangenen Zellen zu ersetzen.<br />

Methoden, die sich die Fähigkeit der Nervenstammzellen<br />

(den Vorläufern von Nervenzellen)<br />

zunutze machen, sich zu neuen Nervenzellen<br />

zu differenzieren, werden die Behandlung<br />

neurologischer Erkrankungen möglicher -<br />

weise revolutionieren. Die Verpflanzung von<br />

Nervenstammzellen, die bisher an Tiermodellen<br />

durchgeführt wird, wird schon bald das<br />

Stadium von klinischen Studien an Menschen<br />

erreichen. Wie die Entwicklung dieser Zellen<br />

gesteuert werden kann, wie sie an den richtigen<br />

Ort gebracht und veranlasst werden können,<br />

die geeigneten Verbindungen zu bilden,<br />

sind aktuelle Themen der Forschung.<br />

Reparaturmechanismen von Nervenzellen.<br />

Dank der dem Nervensystem innewohnenden<br />

Fähigkeit der Wiederherstellung – in gewissen<br />

Fällen werden neue Nervenzellen regeneriert,<br />

in andern die Verkabelung wieder hergestellt –<br />

hat das Gehirn die Möglichkeit, sich selbst<br />

„wieder in Ordnung zu bringen“. Wenn es uns<br />

gelingt, diese Prozesse zu fördern, dürfen wir<br />

hoffen, Patienten mit Rückenmarks- oder<br />

Kopfverletzungen heilen zu können.<br />

Verfahren, um die Degeneration des Nervensystems<br />

aufzuhalten oder ihr vorzubeugen.<br />

Viele Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer,<br />

Huntington und ALS sind die Folge<br />

einer Degeneration spezifischer Nervenzell-<br />

Populationen in bestimmten Hirnbereichen.<br />

Die heutigen Behandlungsmethoden beeinflussen<br />

zwar die Symptome einer Krankheit<br />

wie Parkinson, nicht aber den fortschreitenden<br />

Untergang der Nervenzellen. Techniken,<br />

die auf unseren Kenntnissen der Mechanismen<br />

des Zelltods aufbauen, werden vermutlich zu<br />

Methoden führen, die die Degeneration von<br />

Nervenzellen verhindern und damit ein Fortschreiten<br />

der Krankheit aufhalten können.<br />

Verfahren, um die Expression von Genen<br />

im Gehirn zu verändern. Es ist möglich, die<br />

Wirkung bestimmter Gene im Gehirn von<br />

Versuchstieren entweder zu verstärken oder<br />

zu blockieren. Mutierte Gene von Menschen,<br />

die neurologische Krankheiten wie Huntington<br />

und ALS verursachen, werden bei Versuchstieren<br />

eingesetzt, um die Entwicklung<br />

neuer Therapien zur Prävention der Neurodegeneration<br />

voranzutreiben. Solche Techniken<br />

haben uns bereits wertvolle Informationen<br />

über normale Vorgänge wie die Entwicklung<br />

des Gehirns, Lernen und die Bildung neuer<br />

Erinnerungen vermittelt. Diese Techniken bieten<br />

uns die Möglichkeit, normale und ab nor -<br />

me Hirnprozesse wesentlich intensiver als je<br />

zuvor zu untersuchen; sie werden wohl mit der<br />

Zeit auch klinisch zur Behandlung verschiedener<br />

Hirnkrankheiten angewendet werden.<br />

Verbesserte bildgebende Verfahren. Die Abbildungen<br />

sowohl der Hirnstrukturen wie<br />

auch der Hirnfunktionen wurden stark verbessert.<br />

Dank der Entwicklung von Verfahren,<br />

die Hirnfunktionen ebenso rasch und<br />

genau abbilden wie sie stattfinden, sind<br />

„Echtzeit“-Abbildungen von Hirnfunktionen<br />

möglich geworden. Diese Techniken erlauben<br />

es den Forschenden genau zu verfolgen,<br />

welche Teile des Gehirns am Denken, Lernen<br />

und Erleben von Emotionen beteiligt sind.<br />

Elektronische Hilfsmittel als Ersatz für nicht<br />

funktionstüchtige Hirnbahnen. Mit der Zeit<br />

wird es wohl möglich sein, verletzte Hirnbahnen<br />

zu umgehen. Wir hoffen, dass die Verwendung<br />

von Multielektroden-Implantaten<br />

und Mikro-Computer-Vorrichtungen – welche<br />

die Aktivität im Gehirn aufzeichnen und<br />

in Signale übersetzen, die ans Rückenmark,<br />

an die motorischen Nerven oder direkt an die<br />

Muskeln weitergeleitet werden – uns so weit<br />

bringen wird, dass Verletzte auf die Wiederherstellung<br />

ihrer Funktionstüchtigkeit hoffen<br />

dürfen.<br />

Neuartige Methoden um Heilmittel zu entdecken.<br />

Fortschritte der strukturellen Biologie,<br />

der Genomforschung und der rechnergestützen<br />

Chemie erlauben es Forschenden, neue<br />

Pharmaka in einem nie zuvor gekannten Ausmass<br />

hervorzubringen, von welchen viele in


der klinischen Anwendung von beträchtlichem<br />

Nutzen sein könnten. Die Entwicklung<br />

neuer, rascher Screening-Verfahren, die auf<br />

„Gen-Chips“ und anderen hochentwickelten<br />

Techniken beruhen, werden in gewissen Fällen<br />

das Zeitintervall zwischen der Entdeckung<br />

einer neuen Substanz und ihrer klinischen<br />

Erprobung von mehreren Jahren auf einige<br />

Monate reduzieren.<br />

Unsere Verpflichtung:<br />

Vom Labor zum Krankenbett<br />

Die heutige neurowissenschaftliche Forschung<br />

profitiert von einem nie dagewesenen Ausmass<br />

an Möglichkeiten. Unser Verständnis<br />

der Funktionsweise des Gehirns, vom Beginn<br />

und der Progredienz von Krankheiten hat<br />

zugenommen. Ein ausgeklügeltes Arsenal<br />

von Hilfsmitteln erlaubt es uns, unser Wissen<br />

anzuwenden und die Fortschritte der Hirnforschung<br />

zu beschleunigen.<br />

Als Wissenschaftler und Wissenschaftle -<br />

rinnen sind wir verpflichtet, am Laborplatz<br />

auch weiterhin Fortschritte zu erzielen. Zur<br />

Bekämp fung der schweren Hirnkrankheiten<br />

wie Alzheimer-Krankheit, Hirnschlag oder<br />

Parkinson-Krankheit ist es notwendig, die<br />

Grundlagenforschung kontinuierlich weiterzuführen,<br />

so dass Kliniker auf ihr aufbauen<br />

und neue Behandlungsmethoden und Therapien<br />

entwickeln können. Es ist unsere Verantwortung,<br />

die Forschungsarbeiten fortzusetzen<br />

und zu versuchen, die Unterstützung der<br />

Öffentlichkeit zu erlangen.<br />

Ausserdem ist es unsere Pflicht, jene Bereiche<br />

der wissenschaftlichen Forschung verständlich<br />

zu machen, die schon bald konkrete<br />

Anwendungsmöglichkeiten für den Menschen<br />

bieten könnten. Um über das Laboratorium<br />

hinaus Fortschritte zu erzielen, müssen wir<br />

die nächsten klinischen Schritte partnerschaftlich<br />

mit der Öffentlichkeit zusammen<br />

unternehmen – es gilt also, die wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse fruchtbar zu machen, um<br />

aus ihnen wirkliche und echte Fortschritte<br />

„am Krankenbett“ zu erzielen.<br />

Da unsere Methoden und Techniken immer<br />

raffinierter werden, können sie, wenn man<br />

den möglichen Missbrauch ins Auge fasst,<br />

auch als bedrohlich empfunden werden. Es ist<br />

wichtig, dass wir die verständlichen Ängste<br />

wahrnehmen, die Hirnforschung könnte zu<br />

Möglichkeiten führen, die zentralsten Aspekte<br />

unseres Gehirns und Verhaltens, also genau<br />

das, was unsere menschliche Einzigartigkeit<br />

ausmacht, zu verändern. Das Vertrauen der<br />

breiten Öffentlichkeit in die Integrität der wissenschaftlich<br />

Tätigen, in die Sicherheit der klinischen<br />

Versuche – den Eckstein angewandter<br />

Forschung – und in die Sicherstellung der<br />

Vertraulichkeit von Patientendaten muss ständig<br />

aufrecht erhalten werden.<br />

Die Wissenschaft in den Zusammenhang des<br />

wirklichen Lebens zu stellen, ist immer eine<br />

Herausforderung. Die Leute wollen nicht nur<br />

wissen, wie und warum Forschung betrieben<br />

wird, sie wollen auch wissen, inwieweit sie für<br />

sie von Belang ist. Es ist daher sehr wichtig,<br />

den Bedenken der Öffentlichkeit, die Erkenntnisse<br />

der Hirnforschung könnten auf schädigende<br />

oder ethisch fragwürdige Weise angewendet<br />

werden, entgegenzutreten. So gilt es,<br />

beiden Herausforderungen gerecht zu werden,<br />

damit die von einer neurologischen oder<br />

psychiatrischen Krankheit Betroffenen von<br />

den Errungenschaften der Hirnforschung voll<br />

profitieren können.<br />

Der Auftrag der Neurowissenschaftler und<br />

Neurowissenschaftlerinnen reicht über die<br />

Hirnforschung hinaus. Wir stellen uns auch<br />

der Verantwortung, in einer verständlichen<br />

Sprache zu erklären, wohin uns unsere Wissenschaft<br />

mit ihren neuen Verfahren und<br />

Techniken vermutlich führen wird. Wir, die<br />

Mitglieder der amerikanischen <strong>Dana</strong> Alliance<br />

und der Europäischen <strong>Dana</strong> Alliance, sind<br />

gerne bereit, beim Aufbruch in ein neues<br />

Jahrzehnt der Hoffnung, der harten Arbeit<br />

und der Partnerschaft mit der Öffentlichkeit<br />

diese Aufgabe zu übernehmen.<br />

Stelle Dir eine Welt vor ...<br />

123


Members of EDAB<br />

AGID Yves* Hôpital de la Salpêtrière, Paris, France<br />

AGUZZI Adriano University of Zurich, Switzerland<br />

AN<strong>DER</strong>SEN Per* University of Oslo, Norway<br />

ANTUNES João Lobo University of Lisbon, Portugal<br />

AUNIS Dominque <strong>IN</strong>SERM Strasbourg, France<br />

AVENDAÑO Carlos University of Madrid, Spain<br />

AZOUZ Rony Ben-Gurion University of the Negev,<br />

Israel, TM<br />

BADDELEY Alan University of York, UK<br />

BARDE Yves-Alain* University of Basel, Switzerland<br />

BATTAGL<strong>IN</strong>I Paolo University of Trieste, Italy, TM<br />

BELMONTE Carlos Instituto de Neurosciencias,<br />

Alicante, Spain<br />

BENABID Alim-Louis <strong>IN</strong>SERM and Joseph Fourier<br />

Universtiy of Grenoble, France<br />

BEN-ARI Yehezkel <strong>IN</strong>SERM-<strong>IN</strong>MED, Marseille,<br />

France<br />

BENFENATI Fabio University of Genova, Italy<br />

BERGER Michael University of Vienna, Austria<br />

BERLUCCHI Giovanni* Università degli Studi di<br />

Verona, Italy<br />

BERNARDI Giorgio University Tor Vergata-Roma,<br />

Italy<br />

BERTHOZ Alain* Collège de France, Paris, France<br />

BEYREUTHER Konrad* University of Heidelberg,<br />

Germany<br />

BJÖRKLUND Anders* Lund University, Sweden<br />

BLAKEMORE Colin* University of Oxford, UK<br />

BOCKAERT Joel CNRS, Montpellier, France<br />

BORBÉLY Alexander University of Zurich,<br />

Switzerland<br />

BRANDT Thomas University of Munich, Germany<br />

BRUND<strong>IN</strong> Patrik Lund University, Sweden<br />

BUDKA Herbert University of Vienna, Austria<br />

BUREˇS Jan* Academy of Sciences, Prague, Czech<br />

Republic<br />

BYSTRON Irina University of Saint Petersburg,<br />

Russia<br />

CARLSSON Arvid University of Gothenburg,<br />

Sweden<br />

CASTRO LOPES Jose University of Porto, Portugal<br />

CATTANEO Elena University of Milan, Italy<br />

CHANGEUX Jean-Pierre Institut Pasteur, Paris,<br />

France<br />

CHERNISHEVA Marina University of Saint<br />

Petersburg, Russia<br />

CHVATAL Alexandr Institute of Experimental<br />

Medicine ASCR, Prague, Czech Republic<br />

CLARAC François CNRS, Marseille, France<br />

CLARKE Stephanie University of Lausanne,<br />

Swiss Society for Neuroscience, TMP<br />

CLEMENTI Francesco* University of Milan, Italy<br />

COLL<strong>IN</strong>GRIDGE Graham* University of Bristol, UK<br />

British Neuroscience Association president, P<br />

CUÉNOD Michel* University of Lausanne,<br />

Switzerland<br />

CULIC Milka University of Belgrade, Yugoslavia<br />

DAVIES Kay* University of Oxford, UK<br />

DEHAENE Stanislas <strong>IN</strong>SERM, Paris, France<br />

DELGADO-GARCIA José Maria Universidad<br />

Pablo de Olavide, Seville, Spain<br />

DEXTER David Imperial College London, UK, TM<br />

DE ZEEUW Chris Erasmus University,<br />

The Netherlands, TM<br />

DICHGANS Johannes University of Tübingen,<br />

Germany<br />

DIETRICHS Espen University of Oslo, Norway, TM<br />

DOLAN Ray University College London, UK<br />

DUDAI Yadin* Weizmann Institute of Science,<br />

Rehovot, Israel<br />

ELEKES Károly Hungarian Academy of Sciences,<br />

Tihany, Hungary<br />

ESEN Ferhan Osmangazi University, Eskisehir,<br />

Turkey<br />

EYSEL Ulf Ruhr-Universität Bochum, Germany


FERRUS Alberto* Instituto Cajal, Madrid, Spain<br />

FIESCHI Cesare University of Rome, Italy<br />

FOSTER Russell University of Oxford, UK<br />

FRACKOWIAK Richard* University College<br />

London, UK<br />

FREUND Hans-Joachim* University of Düsseldorf,<br />

Germany<br />

FREUND Tamás University of Budapest,<br />

Hungary<br />

FRITSCHY Jean-Marc University of Zurich,<br />

Switzerland<br />

GARCIA-SEGURA Luis Instituto Cajal, Madrid,<br />

Spain<br />

GISPEN Willem* University of Utrecht,<br />

The Netherlands<br />

GJEDDE Albert* Aarhus University Hospital,<br />

Denmark<br />

GLOW<strong>IN</strong>SKI Jacques Collège de France, Paris,<br />

France<br />

GRAUER Ettie Israel Institute of Biological<br />

Research, Israel, TM<br />

GREENFIELD Susan The Royal Institution of Great<br />

Britain, UK<br />

GRIGOREV Igor Institute of Experimental Medicine,<br />

Saint Petersburg, Russia<br />

GRILLNER Sten* Karolinska Institute, Stockholm,<br />

Sweden<br />

HAGOORT Peter F.C. Donders Centre for Cognitive<br />

Neuroimaging, Nijmegen, The Netherlands, TM<br />

HARI Riitta* Helsinki University of Technology,<br />

Espoo, Finland<br />

HARIRI Nuran University of Ege, Izmir, Turkey<br />

HERMANN Anton University of Salzburg, Austria<br />

HERSCHKOWITZ Norbert* University of Bern,<br />

Switzerland<br />

HIRSCH Etienne Hôpital de la Salpêtrière, Paris,<br />

France, French Neuroscience Society, P<br />

HOLSBOER Florian* Max-Planck-Institute of<br />

Psychiatry, Germany<br />

HOLZER Peter University of Graz, Austria<br />

HUXLEY Sir Andrew* University of Cambridge, UK<br />

<strong>IN</strong>NOCENTI Giorgio Karolinska Institute,<br />

Stockholm, Sweden<br />

IVERSEN Leslie University of Oxford, UK<br />

IVERSEN Susan* University of Oxford, UK<br />

JACK Julian* University of Oxford, UK<br />

JEANNEROD Marc* Institut des Sciences<br />

Cognitives, Bron, France<br />

JOHANSSON Barbro Lund University, Sweden<br />

KACZMAREK Leszek Nencki Institute of<br />

Experimental Biology, Warsaw, Poland<br />

KASTE Markku University of Helsinki,<br />

Finland<br />

KATO Ann Centre Médical Universitaire, Geneva,<br />

Switzerland<br />

KENNARD Christopher Imperial College School<br />

of Medicine, UK<br />

KERSCHBAUM Hubert University of Salzburg,<br />

Austria<br />

KETTENMANN Helmut Max-Delbrück-Centre for<br />

Molecular Medicine, Berlin, Germany<br />

KORTE Martin Technical University Braunschweig,<br />

Germany<br />

KOSSUT Malgorzata* Nencki Institute of<br />

Experimental Biology, Warsaw, Poland<br />

KOUVELAS Elias University of Patras, Greece<br />

KRISHTAL Oleg* Bogomoletz Institute of<br />

Physiology, Kiev, Ukraine<br />

LANDIS Theodor* University Hospital Geneva,<br />

Switzerland<br />

LANNFELT Lars University of Uppsala, Sweden<br />

LAURITZEN Martin University of Copenhagen,<br />

Denmark<br />

LERMA Juan Instituto de Neurociencias, Alicante,<br />

Spain<br />

LEVELT Willem* Max-Planck-Institute for<br />

Psycholinguistics, Nijmegen, The Netherlands<br />

LEVI-MONTALC<strong>IN</strong>I Rita* EBRI, Rome, Italy<br />

LIMA Deolinda University of Porto, Portugal<br />

LOPEZ-BARNEO José* University of Seville, Spain<br />

LYTHGOE Mark University College London, UK, TM


MAGISTRETTI Pierre J* University of Lausanne,<br />

Switzerland<br />

MALACH Rafael Weizmann Institute of Science,<br />

Rehovot, Israel<br />

MALVA Joao, University of Coimbra, Portugal,<br />

Portuguese Society for Neuroscience, TMP<br />

MAR<strong>IN</strong> Oscar Universidad Miguel Hernandez-<br />

CSIC, Spain<br />

MATTHEWS Paul University of Oxford, UK<br />

MEHLER Jacques* SISSA, Trieste, Italy<br />

MELAMED Eldad Tel Aviv University, Israel<br />

MOHORKO Nina University of Ljubljana,<br />

Slovenia, TM<br />

MOLDOVAN Mihai University of Copenhagen, TM<br />

MONYER Hannah* University Hospital of<br />

Neurology, Heidelberg, Germany<br />

MORRIS Richard* University of Edinburgh,<br />

Scotland; President of FENS<br />

MOSER Edvard Norwegian University of Science<br />

and Technology<br />

NALECZ Katarzyna Nencki Institute of<br />

Experimental Biology, Warsaw, Poland<br />

NALEPA Irena Polish Academy of Sciences, TM<br />

NEHER Erwin Max-Planck-Institute for Biophysical<br />

Chemistry, Göttingen, Germany<br />

NIETO-SAMPEDRO Manuel* Instituto Cajal,<br />

Madrid, Spain<br />

NOZDRACHEV Alexander State University of<br />

Saint Petersburg, Russia<br />

OERTEL Wolfgang* Philipps-University, Marburg,<br />

Germany<br />

OLESEN Jes Glostrup Hospital, Copenhagen,<br />

Denmark; Chairman European Brain Council<br />

ORBAN Guy* Catholic University of Leuven, Belgium<br />

PARDUCZ Arpad Institute of Biophysics, Biological<br />

Research Centre of the Hungarian Academy of<br />

Sciences, Szeged, Hungary<br />

PEKER Gonul University of Ege Medical School,<br />

Izmir, Turkey. Turkish Neuroscience Society, P<br />

PETIT Christine Institut Pasteur & Collège de<br />

France, Paris<br />

POCHET Roland Université Libre de Bruxelles,<br />

Belgium<br />

POEWE Werner Universitätsklinik für Neurologie,<br />

Innsbruck, Austria<br />

POULA<strong>IN</strong> Dominique Université Victor Segalen,<br />

Bordeaux, France<br />

PROCHIANTZ Alain CNRS and Ecole Normale<br />

Supérieure, France<br />

PYZA Elzbieta Jagiellonian University, Krakow,<br />

Poland<br />

RAFF Martin* University College London, UK<br />

RAISMAN Geoffrey Institute of Neurology, UCL,<br />

London, UK<br />

REPOVS Grega University of Ljubljana, Slovenia.<br />

Slovenian Neuroscience Association (S<strong>IN</strong>APSA), TMP<br />

RIBEIRO Joaquim Alexandre University of Lisbon,<br />

Portugal<br />

RIZZOLATTI Giacomo* University of Parma, Italy<br />

ROSE Steven The Open University, Milton<br />

Keynes, UK<br />

ROTHWELL Nancy University of Manchester, UK<br />

RUTTER Michael King’s College London, UK<br />

SAKMANN Bert Max-Planck-Institute for Medical<br />

Research, Heidelberg, Germany<br />

SCHWAB Martin* University of Zurich, Switzerland<br />

SEGAL Menahem Weizmann Institute of Science,<br />

Rehovot, Israel<br />

SEGEV Idan Hebrew University, Jerusalem, Israel<br />

SHALLICE Tim* University College London, UK<br />

S<strong>IN</strong>GER Wolf* Max-Planck-Institute for Brain<br />

Research, Frankfurt, Germany<br />

SKALIORA Irini Biomedical Research <strong>Foundation</strong><br />

of the Academy of Athens, TM<br />

SMITH David University of Oxford, UK<br />

SPERK Günther University of Innsbruck, Austria<br />

STAMATAKIS Antonis University of Athens,<br />

Greece,TM<br />

STEWART Michael The Open University, UK<br />

STOERIG Petra* Heinrich-Heine University,<br />

Düsseldorf, Germany<br />

STOOP Ron University of Lausanne, Switzerland, TM<br />

STRATA Pierogiorgio* University of Turin, Italy


SYKOVA Eva Institute of Experimental Medicine<br />

ASCR, Prague, Czech Republic. Czech Neuroscience<br />

Society, P<br />

THOENEN Hans* Max-Planck-Institute for<br />

Psychiatry, Germany<br />

TOLDI József University of Szeged, Hungary<br />

TOLOSA Eduardo University of Barcelona, Spain<br />

TSAGARELI Merab Beritashvili Institute of<br />

Physiology, Tblisi, Republic of Georgia<br />

VETULANI Jerzy Institute of Pharmacology, Krakow,<br />

Poland<br />

VIZI Sylvester* Hungarian Academy of Sciences,<br />

Budapest<br />

WALTON Lord John of Detchant* University of<br />

Oxford, UK<br />

W<strong>IN</strong>KLER Hans* Austrian Academy of Sciences,<br />

Austria<br />

ZAGREAN Ana-Maria Carol Davila University of<br />

Medicine and Pharmacy, Romania, TM<br />

ZAGRODZKA Jolanta Nencki Institute of<br />

Experimental Biology, Warsaw, Poland, TM<br />

ZEKI Semir* University College London, UK<br />

ZILLES Karl* Heinrich-Heine-University,<br />

Düsseldorf, Germany<br />

* Original signatory to the EDAB Declaration<br />

P = Full Member and NSS president<br />

TMP = NSS president term member<br />

TM = BAW Term member<br />

Federation of European Neuroscience<br />

Societies Presidents<br />

ANTAL Miklós Hungarian Neuroscience Society,<br />

University of Debrecen, Hungary<br />

BÄHR Mathias German Neuroscience Society,<br />

University Hospital Göttingen, Germany<br />

BANDTLOW Christine Austrian Neuroscience<br />

Association, Innsbruck Medical University, Austria<br />

DE SCHUTTER Erik Belgian Society for<br />

Neuroscience, University of Antwerp, Belgium<br />

DI CHIARA Gaetano Italian Society for<br />

Neuroscience (S<strong>IN</strong>S) University of Cagliari, Italy<br />

EFTHYMIOPOULOS Spyros Hellenic Neuroscience<br />

Society, University of Athens, Greece<br />

FRANDSEN Aase Danish Society for Neuroscience,<br />

Copenhagen University Hospital, Denmark<br />

GALLEGO Roberto Spanish Neuroscience Society,<br />

Instituto de Neurociencias/Universidad Miguel<br />

Hernández, Spain<br />

GORACCI Gianfrancesco European Society for<br />

Neurochemistry, University of Perugia, Italy<br />

JOELS Marian Dutch Neurofederation, University of<br />

Amsterdam, The Netherlands<br />

KHECH<strong>IN</strong>ASHVILI Simon Georgian Neuroscience<br />

Association, Beritsashvili Institute of Physiology,<br />

Tblisi, Republic of Georgia<br />

KOSTOVIC Ivica Croatia Society for Neuroscience,<br />

Institute for Brain Research, Zagreb, Croatia<br />

NUTT David, European College of<br />

Neuropharmacology, University of Bristol, UK<br />

PITKANEN Asla FENS Secretary General University<br />

of Kuopio, Finland<br />

ROTSHENKER Shlomo Israel Society of<br />

Neuroscience, The Hebrew University of Jerusalem<br />

SAGVOLDEN Terje Norwegian Neuroscience<br />

Society, University of Oslo, Norway<br />

SKANGIEL-KRAMSKA Jolanta Polish Neuroscience<br />

Society, Nencki Institute of Experimental Biology,<br />

Warsaw, Poland<br />

STENBERG Tarja Finnish Brain Research Society,<br />

Institute of Biomedicine/Physiology Biomedicum<br />

Helsinki, Finland<br />

ZAGREAN Leon National Neuroscience Society of<br />

Romania, Carol Davila University of Medicine,<br />

Bucharest, Romania<br />

June 2008


A <strong>Dana</strong> Alliance for the Brain Inc Publication prepared by EDAB,<br />

the European subsidiary of DABI<br />

Gedruckt in der Schweiz 6.2008

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