medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
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medtropole Aktuelles<br />
Nr. 12 Januar 2008<br />
DIAGNOSTIK<br />
bei Schulterverletzungen<br />
HEIMBEATMUNG<br />
– einfach nur Beatmung zu H<strong>aus</strong>e?<br />
ADHS<br />
im Erwachsenenalter<br />
<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>einweisende</strong> <strong>Ärzte</strong>
Impressum<br />
Redaktion<br />
Jens Oliver Bonnet<br />
(verantw.)<br />
PD Dr. Oliver Detsch<br />
Dr. Birger Dulz<br />
PD Dr. Siegbert Faiss<br />
Dr. Christian Frerker<br />
Dr. Annette Hager<br />
PD Dr. Werner Hofmann<br />
Dr. Susanne Huggett<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Prof. Dr. Lutz Lachenmayer<br />
Dr. Jürgen Ma<strong>der</strong>t<br />
Dr. Ursula Scholz<br />
PD Dr. Karl Wagner<br />
Prof. Dr. Gerd Witte<br />
Cornelia Wolf<br />
Her<strong>aus</strong>geber<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />
Hamburg GmbH<br />
Pressestelle<br />
Rudi Schmidt V. i. S. d. P.<br />
Friedrichsberger Straße 56<br />
22081 Hamburg<br />
Tel.: (0 40) 18 18-84 20 08<br />
Fax: (0 40) 18 18-84 20 46<br />
E-Mail:<br />
medtropole@asklepios.com<br />
Auflage: 15.000<br />
Erscheinungsweise:<br />
4 x jährlich<br />
ISSN 1863-8341<br />
Editorial<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
das Titelbild <strong>der</strong> aktuellen medtropole gibt Rätsel auf, jedenfalls<br />
demjenigen, <strong>der</strong> nicht mit den Darstellungsformen <strong>der</strong><br />
Molekulargenetik vertraut ist: Wir sehen den Faktor V als<br />
Proteinstruktur in <strong>der</strong> sogenannten tertiären Darstellung.<br />
Der Artikel über Hereditäre Thromboserisiken klärt noch<br />
mehr auf.<br />
Rätseln kann man auch über das <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Luftfahrt in die<br />
Medizin übernommene Akronym CIRS. Critical Incident Reporting System ist<br />
eine Form <strong>der</strong> Weiterentwicklung von Qualitätsmanagement und interessiert<br />
am praktischen „Beinahe-Katastrophen-Ausgang“ eines Ereignisses, das beobachtet<br />
wird, aber nicht zum Schadensfall wurde und <strong>aus</strong> dem nun Ableitungen<br />
getroffen werden sollen, die seinen Eintritt künftig verhin<strong>der</strong>n werden. Nun ist<br />
alles gesagt – o<strong>der</strong>? Nein, das Hauptproblem ist: Wer traut sich einer Instanz<br />
innerhalb eines Unternehmens ein solch kritisches Ereignis zu berichten, ohne<br />
persönliche Nachteile o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e negative Konsequenzen zu <strong>für</strong>chten? Die<br />
Kulturentwicklung, insbeson<strong>der</strong>e die Entwicklung einer „Fehlerkultur“, hat<br />
auch bei allen an<strong>der</strong>en Unternehmungen lange gedauert, wie man <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Luftfahrt<br />
und auch Auto industrie weiß. Bisher gibt es in den <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />
Hamburg nur wenige Pionierprojekte, das soll sich än<strong>der</strong>n. Also fangen wir<br />
damit an!<br />
Angefangen haben wir aber auch mit <strong>der</strong> konsequenten Diagnostik und<br />
Behandlung von Schulterverletzungen, einem komplizierten Fachgebiet <strong>der</strong><br />
Orthopäden und Chirurgen, sowie mit <strong>der</strong> Laserbehandlung des Harnblasenkarzinoms.<br />
Beson<strong>der</strong>s <strong>aus</strong>führlich möchten wir über die Trigeminusneuralgie<br />
informieren, eine Erkrankung die doch viel häufiger ist, als gemeinhin angenommen.<br />
Dieses Heft wendet sich dann einer ganzen Reihe von Son<strong>der</strong>themen<br />
zu, zu denen Kardiologie, Herzchirurgie und Pneumologie gehören, wie auch<br />
ein Einblick in die Medizingeschichte: Die „Eiserne Lunge“; da fragt man sich,<br />
wie lange ist das eigentlich her und welche Erkrankungen wurden durch ihren<br />
Einsatz gelin<strong>der</strong>t und behandelt? (Man kann nur hoffen, dass die Impfmüdigkeit<br />
nachlässt und solche Ungetüme nie mehr zum Einsatz kommen müssen.)<br />
Ein gutes neues Jahr wünsche ich und verbleibe<br />
mit kollegialen Empfehlungen<br />
Dr. med. Jörg Weidenhammer
Inhalt<br />
484 | RECHT<br />
Doppelt hält doch nicht besser!<br />
Klinisches Risikomanagement<br />
487 | UROLOGIE<br />
Laserbehandlung beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom des alten Patienten<br />
489 | UNFALLCHIRURGIE<br />
Diagnostik bei Schulterverletzungen<br />
492 | NEUROCHIRURGIE<br />
Die klassische Trigeminusneuralgie – <strong>Klinik</strong>, Diagnostik, Therapie<br />
497 | KARDIOLOGIE<br />
Katheterablation ventrikulärer Tachykardien<br />
500 | HERZCHIRURGIE<br />
Das chirurgische Vorgehen bei akuten und chronischen Herzinfarktfolgen<br />
504 | LUNGENHEILKUNDE<br />
Heimbeatmung – einfach nur Beatmung zu H<strong>aus</strong>e?<br />
506 | PSYCHIATRIE<br />
ADHS im Erwachsenenalter<br />
508 | PERSONALIA<br />
Priv.-Doz. Dr. med. Thoralf Kerner<br />
Prof. Dr. Ulrich Treichel<br />
509 | MOLEKULARGENETIK<br />
Hereditäre Thrombophiliediathesen<br />
512 | GESCHICHTE DER MEDIZIN<br />
Retten<strong>der</strong> Luft-Sog – Die Geschichte <strong>der</strong> Eisernen Lunge<br />
S. 489<br />
S. 504<br />
S. 509
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Doppelt hält doch nicht besser!<br />
Klinisches Risikomanagement<br />
Dr. jur. Cornelia Süfke<br />
Patientensicherheit rückt in den Fokus: Zog im Gesundheitswesen noch bis vor einem Jahrzehnt praktisch<br />
niemand die Parallelität zu Luft- und Raumfahrt, Kernkraft o<strong>der</strong> Petrochemie als „ultrasafe industries“, wird<br />
dieser Vergleich heute im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Patientensicherheit immer häufiger bemüht.<br />
Seit den frühen 90er-Jahren beschäftigten<br />
sich wissenschaftliche Studien zunehmend<br />
mit den erheblichen medizinischen und<br />
wirtschaftlichen Auswirkungen vermeidbarer<br />
Medizinfehler. [1] Bahnbrechend und<br />
meistzitiert war 1999 <strong>der</strong> Report des angesehenen<br />
„Institute of Medicine“ <strong>der</strong> National<br />
Academy of Science. [2] Sie hatte sich<br />
zur Aufgabe gemacht, dem Thema Qualität<br />
klinischer Prozesse zu mehr Aufmerksamkeit<br />
zu verhelfen. „To Err Is Human. Building<br />
a Safer Health System“ erschien als<br />
umfassende Analyse und sorgte <strong>für</strong> deutliche<br />
Aufregung. Das Erschrecken über die<br />
Ergebnisse war auch bei nüchternster Würdigung<br />
nicht zu übersehen. Rechnet man<br />
zum Beispiel die konservativste Studie zur<br />
Fehlerhäufigkeit in <strong>der</strong> Krankenversorgung<br />
in den Staaten Colorado und Utah<br />
hoch, ist davon <strong>aus</strong>zugehen, dass in den<br />
USA pro Jahr 44.000 Patienten an den Folgen<br />
fehlerhafter Prozesse sterben – mehr<br />
als an Verkehrsunfällen, Brustkrebs o<strong>der</strong><br />
Aids.<br />
Auch in Deutschland wird das Thema<br />
zunehmend enttabuisiert und sachlich<br />
angegangen, verlässliche Zahlen zu den<br />
484<br />
bundesweiten Behandlungsfehlervorwürfen<br />
gibt es allerdings noch nicht. Nach <strong>der</strong><br />
Statistik <strong>der</strong> Bundesärztekammer (BÄK)<br />
<strong>aus</strong> 2006 wandten sich 10.000 Patienten mit<br />
einem Verdacht auf Behandlungsfehler an<br />
die Gutachter- und Schlichtungsstellen <strong>der</strong><br />
<strong>Ärzte</strong>kammern. Bei knapp einem Viertel<br />
stellten die Gutachter tatsächliche Fehler in<br />
<strong>der</strong> Behandlung o<strong>der</strong> Aufklärung fest, im<br />
weit überwiegenden Teil <strong>der</strong> Anspruchsanmeldungen<br />
wurde also keine Fehlbehandlung<br />
bestätigt. Dabei wurden in Krankenhäusern<br />
nahezu doppelt so viele Fehler<br />
nachgewiesen wie in Arztpraxen: Die<br />
BÄK-Statistik zeigt 1.336 Fehler in Krankenhäusern<br />
im Gegensatz zu 657 Fehlern<br />
bei Nie<strong>der</strong>gelassenen auf.<br />
Betrachtet man die Gründe <strong>für</strong> die bisherige<br />
Zunahme von Haftungsansprüchen,<br />
geht <strong>der</strong> Fortschritt in <strong>der</strong> Medizin einher<br />
mit dem sogenannten Haftungsfortschritt.<br />
Die Gerichte entwickelten die Patientenrechte<br />
weiter und unterstützt durch die<br />
zielgerichtete Informationsvielfalt <strong>der</strong><br />
Medien werden Misserfolge im Heilungsverlauf<br />
zunehmend weniger als schicksalhaft<br />
akzeptiert.<br />
Not<strong>aus</strong>gang<br />
klinisches Risikomanagement<br />
Nicht zuletzt veranlasst durch steigende<br />
Versicherungsprämien und drohende o<strong>der</strong><br />
bereits erfolgte Kündigungen von Haftpflichtverträgen<br />
durch die Versicherer<br />
betreiben Krankenhäuser bundesweit<br />
zunehmend klinisches Risikomanagement.<br />
Ziel ist, Risiken zu begrenzen und damit<br />
in dem beherrschbaren Segment Patientensicherheit<br />
Kosten in die Vermeidung von<br />
Risiken zu steuern. Damit wird das Risikomanagement<br />
als Treiber erachtet, <strong>der</strong> nachvollziehbare<br />
Akzeptanz bei den Beteiligten<br />
im immer stärker bürokratisierten <strong>Klinik</strong> -<br />
alltag schaffen soll. Konkret betrachtet<br />
werden Strukturen und Arbeitsabläufe im<br />
Blickwinkel früherer Schäden o<strong>der</strong> Beinaheschäden.<br />
Um dem Ganzen eine Systematik<br />
zu geben, werden terminologisch fein säuberlich<br />
„unerwünschte Ereignisse“ von<br />
„Behandlungsschäden“ und „vermeid -<br />
baren Behandlungsfehlern“, also vorwerfbaren<br />
Behandlungsfehlern unterschieden.<br />
Tatsächlich geht es darum, Schwachstellen,<br />
die zu Haftungsansprüchen führen könnten,<br />
sichtbar zu machen und zu benennen.
Abb. 1: Eisbergmodell<br />
In Modellanalysen wird von Stufe zu Stufe vom Faktor 10 <strong>aus</strong>gegangen, d. h. einem Schadensfall sollen 10 Beinahe-Schäden, 100 kritische Ereignisse und 1.000 Regelverletzungen<br />
und Störungen vor<strong>aus</strong>gehen (in Anlehnung an: A. Möllemann, M. Eberlein-Gonska, T. Koch, M. Hübler (2005) Klinisches Risikomanagement, Implementierung eines anonymen<br />
Fehlermeldesystems in <strong>der</strong> Anästhesie eines Universitätsklinikums. Der Anaesthesist 4 : 377-384)<br />
Klinisches Risikomanagement bedeutet<br />
daher juristische Qualitätssicherung (was<br />
ist rechtlich vorgegeben?). Die direkte Einflussnahme<br />
auf die klinischen Prozesse soll<br />
die Patientensicherheit stärken und auch<br />
die Mitarbeitersicherheit steigern, da diese<br />
vor zivil- und strafrechtlichen Verfahren<br />
geschützt bleiben.<br />
Wer Fehler vermeiden will, muss<br />
wissen wo sie gemacht werden<br />
Die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en in Hamburg ver -<br />
fügen über eine umfangreiche Accessgestützte<br />
Datenbank, in <strong>der</strong> alle berechtigten<br />
und unberechtigten Behandlungsfehlervorwürfe,<br />
unterschieden nach Abteilungen<br />
und einzelnen Kategorisierungen des Vorwurfes,<br />
erfasst werden. Nachdem in den<br />
vergangenen Jahren 35 Audits, also externe<br />
Prüfungen einzelner High-Risk-Abteilungen<br />
von <strong>der</strong> Aufnahme bis zur Entlassung<br />
durchgeführt wurden, erfuhr die Thematik<br />
eine zunehmende Durchdringung. Da es<br />
sich bei Arzthaftungsrisiken um „long-tail-<br />
Risiken“ handelt, die auch noch deutlich<br />
nach dem eigentlichen Eingriff geltend<br />
gemacht werden können, ist die Messbar-<br />
keit <strong>der</strong> durchgeführten Risikomanagement-Maßnahmen<br />
vorsichtig zu beurteilen.<br />
Angesichts des bisherigen Schadensverlaufes<br />
<strong>der</strong> jüngsten Vergangenheit lässt sich<br />
jedoch ableiten, dass bestimmte Präventionsmaßnahmen<br />
ihre Wirkung gezeigt<br />
haben.<br />
So wurde die Patientendokumentation in<br />
den vergangenen Jahren deutlich verbessert.<br />
Bot in <strong>der</strong> Vergangenheit die Lückenhaftigkeit<br />
<strong>der</strong> klinischen Dokumentation<br />
häufig Angriffsfläche <strong>für</strong> Patientenanwälte,<br />
hat die Einführung von TEMPA ® diese<br />
deutlich verbessert. In den <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />
Hamburg wurde seit 2004 die einheitliche,<br />
berufsgruppenübergreifende Patientendokumentation<br />
eingeführt. TEMPA ® ist<br />
die Kurzbezeichnung <strong>für</strong> „Teamorientierte<br />
Multiprofessionelle Patientendokumentation“<br />
und eine eingetragene Marke <strong>der</strong><br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg GmbH.<br />
TEMPA ® bedeutet einen Informationsgewinn<br />
auch über die Risikolage und damit<br />
eine Reduktion von Behandlungsfehlerquellen.<br />
Recht<br />
Auch die Akzeptanz, sich aktiv mit statt -<br />
gehabten Schadenssituationen zu konfrontieren<br />
und – wenn dies auch inzwischen<br />
etwas abgegriffen klingen mag – <strong>aus</strong> den<br />
Fehlern zu lernen, ist gestiegen. Auch um<br />
das Risikomanagement effektiv und passgenau<br />
in die <strong>Klinik</strong>en zu transportieren,<br />
sind die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg als<br />
Company Mitglied des 2005 gegründeten<br />
Aktionsbündnisses Patientensicherheit e. V.<br />
(APS). Gründungsmitglie<strong>der</strong> sind zum Beispiel<br />
die Deutsche Krankenh<strong>aus</strong>gesellschaft<br />
(DKG), die Deutsche <strong>Ärzte</strong>kammer<br />
und die Gesellschaft <strong>für</strong> Qualitätsmanagement<br />
in <strong>der</strong> Gesundheitsversorgung<br />
(GQMG).<br />
Das APS hat eine gemeinsame Plattform<br />
zur Verbesserung <strong>der</strong> Patientensicherheit<br />
in Deutschland aufgebaut. Die fachlich<br />
kompetent erarbeiteten Empfehlungen des<br />
APS werden im klinischen Risikomanagement<br />
<strong>der</strong> Hamburger <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />
zunehmend genutzt. Bisher stehen die von<br />
uns jüngst übertragene Empfehlung zur<br />
Vermeidung von Eingriffsverwechslungen<br />
(falsche Seite/falscher Patient), zur Einführung<br />
von Critical Incident Reporting Syste-<br />
485
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Abb. 2: Schweizer-Käse-Modell einer typischen Fehlerkette im Vorfeld eines Zwischenfalls nach JT. Reason, Human Error, 1990<br />
Grafik modifiziert: R. Heuzeroth<br />
men (CIRS) in Krankenhäusern und zur<br />
Medikationssicherheit zur Verfügung.<br />
Lernsystem CIRS<br />
Als ein B<strong>aus</strong>tein im Risikomanagement ist<br />
im H<strong>aus</strong>arztbereich das Fehlerberichtssys -<br />
tem <strong>für</strong> H<strong>aus</strong>ärzte des Instituts <strong>für</strong> Allgemeinmedizin<br />
<strong>der</strong> Universität Frankfurt/<br />
Main zu nennen. Unter dem Motto „Je<strong>der</strong><br />
Fehler zählt!“ können H<strong>aus</strong>ärzte über ihre<br />
Praxisgrenzen hinweg über eigene Fehler<br />
ano nym berichten und diese kommentieren<br />
lassen. [3] Analog dazu gibt es <strong>für</strong> viele<br />
Facharztgruppen ein Online-Portal <strong>der</strong><br />
Kassenärztlichen Bundesvereinigung. [4]<br />
Auch in den <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg<br />
gibt es bereits Abteilungen, die seit Jahren<br />
diesen Ansatz <strong>der</strong> Auswertung von Beinahe-Fehlern<br />
führen und damit Schäden <strong>aus</strong><br />
denselben Fehlerquellen weitestgehend<br />
vermeiden konnten. So blickt die Geburtshilfe<br />
in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord auf<br />
Erfahrungen seit dem Jahr 2000 zurück. [5]<br />
486<br />
Fazit<br />
Für die Weiterentwicklung von CIRS be -<br />
darf es eines hohen Vertrauensschutzes.<br />
Hier geht es um die Abkehr von <strong>der</strong> blame<br />
culture hin zur safety culture. Nicht WER,<br />
son<strong>der</strong>n WAS hat zu den Beinahe-Schäden<br />
geführt, soll die entscheidende Frage sein.<br />
Die Arbeit mit einer Beinahefehleranalyse<br />
im wirtschaftlichen und Patientenschutz -<br />
interesse geht also einher mit einem grundlegenden<br />
Kulturwechsel. Hier bleibt noch<br />
viel zu tun. Vergleicht man aber das Fehlerbewusstsein<br />
in <strong>der</strong> Medizin mit dem in<br />
<strong>der</strong> Anwaltschaft o<strong>der</strong> unter Architekten,<br />
lässt sich zusammenfassend sagen, dass<br />
sich dieses allen Unkenrufen zum Trotz<br />
deutlich entwickelt hat.<br />
Kontakt<br />
Dr. jur. Cornelia Süfke<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg GmbH<br />
Interner Versicherungsfonds (IVF)<br />
Hohenfel<strong>der</strong> Str. 13<br />
22087 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 41 26 30-0<br />
Fax (0 40) 41 26 30-29<br />
E-Mail: c.suefke@asklepios.com<br />
Literatur<br />
[1] Brennan TA, Leape LL, Laird NM, et. al. Incidents of<br />
adverse events and negligence in hospitalized patients:<br />
results of the Harvard Medival Practice study. NEngl J Med<br />
1991; 324: 370-6.<br />
[2] Kohn LT. Errors in health care: A leading c<strong>aus</strong>e of death<br />
and injury. In: Kohn KT, Corrigan JM, Donaldson MS (eds).<br />
To err is human. National Academy Press Washington/DC<br />
1999: 26-48.<br />
[3] www.je<strong>der</strong>-fehler-zaehlt.de<br />
[4] www.kbv.de<br />
[5] vgl. Bericht vom Ltd. Arzt Dr. Scheele und Risikoberaterin<br />
Sabine Kraft in Frauenarzt 2007; 48 (3): 6.
Es liegt in <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache, dass ältere<br />
Patienten neben ihren urologischen Problemen<br />
eine Reihe nicht-urologischer Begleit -<br />
erkrankungen haben, die den behandelnden<br />
Arzt zwingen, Wege jenseits von Leitlinien<br />
o<strong>der</strong> Empfehlungen <strong>der</strong> Fachgesellschaft<br />
zu gehen. Zum Beispiel bei <strong>der</strong> Therapie<br />
oberflächlicher Harnblasenkarzinome:<br />
Mehr als 80 Prozent <strong>der</strong> Harnblasenkarzinome<br />
sind oberflächlich. Als Goldstandard<br />
in <strong>der</strong> Therapie hat sich die transurethrale<br />
mono- o<strong>der</strong> bipolare Resektion bewährt.<br />
In unserer Abteilung bieten wir zusätzlich<br />
die vorherige Instillation photodynamischer<br />
Diagnostika an, um schlecht sicht -<br />
bare Tumoren o<strong>der</strong> ein Carcinoma in situ<br />
erkennbar zu machen. Lei<strong>der</strong> neigen Harnblasentumoren<br />
in einem sehr hohen Prozentsatz<br />
zu Rezidiven. Zudem kann es zu<br />
einer Verschlechterung im Grading kommen,<br />
weswegen invasivere Maßnahmen als<br />
eine transurethrale Resektion erfor<strong>der</strong>lich<br />
sein können.<br />
Folgen<strong>der</strong> Patient ist nun <strong>für</strong> den Urologen<br />
eine beson<strong>der</strong>e Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung: Betagter<br />
Mensch mit erheblichen Begleiterkrankun-<br />
gen und somit deutlich erhöhtem OP-Risiko,<br />
bei dem ein oberflächlicher Harnblasentumor<br />
als Rezidiv auftritt. Für einen<br />
solchen Patienten käme außer <strong>der</strong> lokalen<br />
Entfernung des Tumors keine alternative<br />
Behandlung infrage, sodass ein Shift im<br />
Grading keine Konsequenzen hätte. Es<br />
geht also allein um die Entfernung des<br />
Tumors und damit um die Behebung <strong>der</strong><br />
Begleitprobleme des Tumors, also im<br />
Wesentlichen um Hämaturie.<br />
Diese Patientengruppe sehen wir in unserer<br />
Abteilung sehr regelmäßig: Im Rahmen<br />
<strong>der</strong> Kontrollzystoskopie nach vorherigem<br />
oberflächlichen Harnblasenkarzinom<br />
(pTaG1) wird ein papilläres, exophytisch<br />
wachsendes Rezidiv gesehen. Es sollten<br />
weniger als drei Läsionen sein, keine<br />
davon größer als drei Zentimeter.<br />
Die Patienten erhalten zusätzlich zu einer<br />
Sedoanalgesie ein Lokalanästhetikum (2 %<br />
Lidocain). Die Zystoskopie wird mit einem<br />
flexiblen Instrument durchgeführt, durch<br />
das problemlos <strong>der</strong> Laserstrahl eines<br />
RevoLix ® Lasers (Thulium:YAG) über eine<br />
600 µm Quarz-Faser appliziert werden<br />
kann. Die eingesetzte Leistung beträgt<br />
zehn Watt.<br />
Urologie<br />
Laserbehandlung beim oberflächlichen<br />
Harnblasenkarzinom des alten Patienten<br />
Prof. Dr. Andreas Gross, Dr. Thorsten Bach<br />
Mehr als an<strong>der</strong>e Disziplinen ist die Urologie mit dem demografischen Wandel in <strong>der</strong> Bevölkerung konfrontiert.<br />
Lag in urologischen Hauptabteilungen bereits früher das Durchschnittsalter <strong>der</strong> Patienten bei über 60 Jahren, so<br />
sind heute regelmäßig 20 Prozent <strong>der</strong> Behandelten über 80 Jahre.<br />
Als Irrigationsflüssigkeit wird bei diesem<br />
Laser, genau wie bei <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong><br />
benignen Prostatahyperplasie mit dem<br />
RevoLix ® , Kochsalzlösung eingesetzt. Damit<br />
gibt es kein Risiko eines TUR-Syndroms,<br />
was in <strong>der</strong> oben beschriebenen Patientengruppe<br />
beson<strong>der</strong>s ge<strong>für</strong>chtet ist. Zunächst<br />
wird mit <strong>der</strong> Biopsiezange eine Gewebeprobe<br />
entnommen, die zur histologischen<br />
Bestätigung dient. Größere Tumorteile können<br />
gewonnen werden, indem <strong>der</strong> Stiel des<br />
Exophyten mit dem Laser abgetrennt wird.<br />
Dieses Material lässt sich zusätzlich zur<br />
histologischen Evaluation nutzen. Tumorgrund<br />
und -rän<strong>der</strong> werden bis zur lamina<br />
muscularis vaporisiert. Da <strong>der</strong> RevoLix ® -<br />
Laser eine sehr geringe Eindringtiefe von<br />
etwa 200 µm hat, ist die Gefahr einer Per -<br />
foration praktisch nicht gegeben. Nach<br />
abschließen<strong>der</strong> Kontrolle auf Bluttrockenheit<br />
wird ein Einmalkatheter eingelegt,<br />
über den zur Rezidivprophylaxe 40 mg<br />
Mitomycin instilliert werden können.<br />
Soweit möglich sollten die Patienten das<br />
Chemotherapeutikum <strong>für</strong> 90 Minuten in<br />
487
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Oberflächliches Harnblasenkarzinom<br />
<strong>der</strong> Harnblase belassen. Danach können sie<br />
Wasser lassen. Nach weiteren 90 Minuten<br />
ist <strong>der</strong> gesamte Vorgang beendet. Je nach<br />
Befinden und/o<strong>der</strong> sozialer Situation des<br />
Patienten kann er nun entlassen werden<br />
o<strong>der</strong> zur weiteren Beobachtung auf <strong>der</strong><br />
Station bleiben. Die Nachsorge erfolgt<br />
analog <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Patienten mit diesem<br />
Krankheitsbild. Bei Auftreten eines Rezidivs<br />
kommt – <strong>aus</strong> gleichen Gründen wie<br />
oben – wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Laser zum Einsatz.<br />
488<br />
Fazit<br />
Wir betrachten die Laserbehandlung des<br />
oberflächlichen Harnblasenkarzinoms als<br />
die bestmögliche Behandlung solcher<br />
Patienten, bei denen lediglich ein Kompromissverfahren<br />
möglich ist. Gleichwohl liegen<br />
Berichte an<strong>der</strong>er Gruppen vor, die die<br />
Indikation <strong>für</strong> dieses minimal invasive Vorgehen<br />
bereits sehr viel weiter stellen.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Andreas Gross,<br />
Dr. Thorsten Bach<br />
Abteilung <strong>für</strong> Urologie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Barmbek<br />
Rübenkamp 220<br />
22291 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-82 98 21<br />
Fax (0 40) 18 18-82 98 29<br />
E-Mail: an.gross@asklepios.com
Diagnostik bei Schulterverletzungen<br />
Dr. Ralf Gütschow<br />
Frakturen und Weichteilverletzungen des Schultergürtels gehören zu den<br />
häufigsten Folgen von Verkehrs-, Freizeit- und Sportunfällen. Verletzungen<br />
am Schultergürtel können unmittelbare sowie im weiteren Verlauf posttraumatische<br />
Beschwerden nach sich ziehen und sind zudem von degenerativen<br />
Vorschäden und Beschwerden abzugrenzen. Sie können sowohl die<br />
Knochen, den ligamentären Halteapparat als auch muskuläre (z. B. Rotatorenmanschette)<br />
o<strong>der</strong> aber neurovaskuläre Strukturen betreffen. Abb.1: Technik True-a.-p.-Aufnahme<br />
Prinzipiell gelten <strong>für</strong> die Behandlung akuter,<br />
posttraumatischer o<strong>der</strong> degenerativer<br />
Verän<strong>der</strong>ungen vergleichbare Behandlungsgrundsätze.<br />
Für die Diagnosestellung<br />
hingegen lassen sich <strong>aus</strong> rein pragmatischen<br />
Gründen Unterschiede in <strong>der</strong> Vor -<br />
gehensweise ableiten.<br />
Während bei chronischen und posttraumatischen<br />
Folgezuständen eine Vielzahl funktioneller<br />
Testungen und spezieller nativ -<br />
radiologischer Untersuchungen neben<br />
einer strukturierten Anamneseerhebung<br />
zur Diagnose führen können, stehen beim<br />
Akutverletzten die teils erhebliche<br />
Schmerzsymptomatik und die Funktionsbeeinträchtigung<br />
im Vor<strong>der</strong>grund. Das<br />
kann die klinischen und radiologischen<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> Diagnostik erheblich<br />
einschränken. Neben <strong>der</strong> strukturierten<br />
Erhebung <strong>der</strong> Unfallanamnese und des<br />
Unfallherganges sowie <strong>der</strong> klinischen<br />
Untersuchung dient <strong>der</strong> gezielte Einsatz<br />
bildgeben<strong>der</strong> Verfahren <strong>der</strong> Diagnose -<br />
sicherung wie auch <strong>der</strong> Therapieplanung.<br />
In <strong>der</strong> Praxis ist die korrekte Durchführung<br />
<strong>der</strong> möglichen und intraoperativ reproduzierbaren<br />
Standarduntersuchungen daher<br />
trotz verletzungsbedingter Einschränkungen<br />
anzustreben.<br />
Frakturen des proximalen Oberarms<br />
[1,2,4,6]<br />
Um die wichtigen anatomischen Strukturen<br />
wie Humeruskopf, -schaft, Tubercula<br />
und Pfannenrand <strong>aus</strong>reichend darzustellen<br />
und eine Luxation <strong>aus</strong>zuschließen, sollte<br />
bei jedem Patienten möglichst ein Bild in<br />
zwei besser drei Ebenen erstellt werden.<br />
Bei proximalen Oberarmfrakturen hängen<br />
Prognose und Versorgungsart vom Dislokationsgrad<br />
<strong>der</strong> vier „Neer-Fragmente“<br />
(Schaft, Kopf, Tuberculum minus et majus)<br />
ab, sodass diese exakt zu eruieren sind.<br />
1. Echte a.p.-Aufnahme<br />
(true-a.-p.- o<strong>der</strong> Grashey-Aufnahme):<br />
Hier wird <strong>der</strong> Patient so positioniert, dass<br />
seine unverletzte Seite um etwa 30 – 40°<br />
nach vorn gedreht ist (Abb. 1), um eine<br />
möglichst überlagerungsfreie Aufnahme<br />
des Glenoid und des Gelenkspaltes zu<br />
erhalten. Der Strahlengang ist dabei gering<br />
absteigend. Um die Zentrierung des Kopfes<br />
besser beurteilen zu können, sollten die<br />
Aufnahmen mit hängendem, nicht unterstütztem<br />
Arm (Abstand Humeruskopf/<br />
Acromion) in neutraler o<strong>der</strong> leichter<br />
Außenrotationstellung (Tuberculum-majus-<br />
Beurteilung) erfolgen (Abb. 2).<br />
Unfallchirurgie<br />
2. Y-Aufnahme (axiale, laterale o<strong>der</strong> transscapuläre<br />
Aufnahme o<strong>der</strong> supraspinatusoutlet-view):<br />
Der Patient wird so vor den Röntgenfilm<br />
gedreht, dass die Längsachse des Schulterblattes<br />
parallel zum Strahlengang verläuft<br />
(Abb. 3). Der Strahlengang ist dabei um<br />
10 – 20° abwärts gesenkt. Spina scapula,<br />
oberer und unterer Anteil des Scapulablattes<br />
bilden ein Zielkreuz <strong>für</strong> den Humeruskopf,<br />
sodass Luxationsfehlstellungen<br />
(Abb. 4) gut zu erkennen sind. Außerdem<br />
lässt sich die knöcherne Begrenzung des<br />
Supraspinatus-Kanals (Abb. 5) abgrenzen.<br />
3. Transaxilläre Aufnahme<br />
(axiale Aufnahme):<br />
Sie kann bei liegendem als auch sitzendem<br />
Patienten angefertigt werden (Abb. 6). Dargestellt<br />
wird <strong>der</strong> Humeruskopf umgeben<br />
von Gelenkpfanne, Acromion und Cora -<br />
coid. Beson<strong>der</strong>s gut sind vor<strong>der</strong>er und hinterer<br />
Pfannenrand sowie das Tuberculum<br />
minus zu erkennen (Abb. 7).<br />
4. Velpeauprojektion (Abb. 4):<br />
Lässt sich <strong>der</strong> Arm wegen eines Gilchrist-<br />
Verbandes o<strong>der</strong> Schmerzen nicht abduzieren,<br />
kann ersatzweise die Projektion nach<br />
489
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Abb. 2: Röntgen-Bild True-a.-p.-Aufnahme Abb. 3: Technik Y-Aufnahme Abb. 4: Velpeau-Aufnahme<br />
Velpeau durchgeführt werden. [1] Hier<br />
lehnt sich <strong>der</strong> sitzende Patient mit angelegtem<br />
Oberarm etwas zurück, damit <strong>der</strong><br />
schräg sagittal laufende Röntgenstrahl die<br />
Pfanne möglichst tangential trifft. Mit diesen<br />
Aufnahmen lassen sich auch intraoperativ<br />
bei sogenannter Beachchairlagerung<br />
(entspricht Velpeau) die oben genannten<br />
Strukturen gut darstellen.<br />
Schultergelenkluxation<br />
Die Diagnose <strong>der</strong> Luxation und die Luxationsrichtung<br />
erhält man zumeist durch die<br />
true-a.-p.- und Y-Aufnahme. Während vor<strong>der</strong>e<br />
Luxationen anamnestisch, klinisch<br />
und radiologisch gut zu diagnostizieren<br />
sind, werden dorsale Verrenkungen (häufig<br />
im Krampfanfall) immer wie<strong>der</strong> übersehen.<br />
Vorsicht ist bei fehlen<strong>der</strong> Freiprojektion des<br />
glenohumeralen Gelenkspaltes geboten<br />
(CT!)<br />
Frakturen <strong>der</strong> Scapula [1,4]<br />
Scapulafrakturen sind selten und aufgrund<br />
<strong>der</strong> Überlagerung durch Thoraxorgane<br />
manchmal schwer zu erkennen. Allerdings<br />
lassen sich die relevanten Gelenkverletzungen<br />
gut in <strong>der</strong> „Trauma“-Serie, vor allem<br />
in <strong>der</strong> true-a.-p. (wahre o<strong>der</strong> Grashey-Auf-<br />
490<br />
nahme) und <strong>der</strong> transaxillären Aufnahme<br />
<strong>aus</strong>machen.<br />
Prognostisch wichtig sind Kettenverletzungen<br />
des Schultergürtels und Gelenkfrakturen,<br />
weswegen hier die Indikation zum CT<br />
großzügig gestellt werden sollte.<br />
Frakturen <strong>der</strong> Clavicula [1,4]<br />
Claviculafrakturen machen etwa zehn<br />
Prozent aller Knochenbrüche <strong>aus</strong> und sind<br />
die häufigsten Frakturen überhaupt. Über<br />
80 Prozent sind im mittleren Drittel, rund<br />
15 Prozent lateral und fünf Prozent medial<br />
lokalisiert. Eine gute Beurteilung ermöglichen<br />
die ap- und eine um 45° geneigte<br />
tangentiale Aufnahme ergänzt durch die<br />
oben beschriebenen Technik nach Velpeau.<br />
[1] Mit dieser auch intraoperativ reproduzierbaren<br />
Einstellung sollten auch die<br />
selteneren lateralen und medialen Frakturen<br />
abgebildet werden können.<br />
Verletzungen des<br />
Acromioclaviculargelenkes [1,2]<br />
Üblicherweise werden diese Verletzungen<br />
nach Tossy o<strong>der</strong> Rockwood eingeteilt.<br />
Dabei wird <strong>der</strong> zunehmende Abstand <strong>der</strong><br />
Clavicula vom Acromion bzw. des Coracoi-<br />
des von <strong>der</strong> Clavicula in Abhängigkeit <strong>der</strong><br />
Anzahl und des Zerstörungsgrades <strong>der</strong><br />
Bän<strong>der</strong> zugrunde gelegt. [2] Diagnostiziert<br />
wird die vertikale Instabilität durch Belas -<br />
tungsaufnahmen („Wasserträger“). Die<br />
herabhängenden Arme werden mit<br />
Gewichten belastet (5 – 15 kg), wobei diese<br />
möglichst nicht mit den Händen gehalten<br />
werden sollten (Schlingen), um eine Kompensation<br />
durch die Muskelspannung zu<br />
vermeiden. Entscheidend <strong>für</strong> die OP-Indikation<br />
ist jedoch auch die horizontale<br />
Instabilität mit Verletzung <strong>der</strong> Deltoideus-<br />
Faszie, die am besten mit einer Y-Aufnahme<br />
nach Alexan<strong>der</strong> (also mit auf die Schulter<br />
<strong>der</strong> Gegenseite gelegter Hand) zu<br />
verifizieren ist. [2]<br />
Verletzungen des<br />
Sternoclaviculargelenkes [1,4]<br />
Bei dieser seltenen Verletzung kann es zu<br />
einer ventralen o<strong>der</strong> dorsalen Luxation<br />
kommen, <strong>der</strong>en nativradiologischer Nachweis<br />
nach Rockwood a. p. mit 30 Grad<br />
ansteigendem Strahlengang nicht immer<br />
gelingt. In <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle ist <strong>für</strong><br />
Diagnosestellung und OP-Indikation ein<br />
CT erfor<strong>der</strong>lich.
Abb. 5: Röntgen-Bild Y-Aufnahme Abb. 6: Technik transaxilläre Aufnahme Abb. 7: Röntgen-Bild transaxilläre Aufnahme<br />
Traumatische Weichteilverletzungen<br />
<strong>der</strong> Schulter [3,5]<br />
Bei frischem Trauma ist eine knöcherne<br />
Verletzung mit <strong>der</strong> „Trauma“-Serie <strong>aus</strong>zuschließen.<br />
Die Untersuchung möglicher<br />
Weichteilverletzungen im MRT sollte allerdings<br />
mit einer klaren Fragestellung in den<br />
Schnittebenen paracoronar (senkrecht zum<br />
Glenoid), parasagittal (parallel zur Gelenkfläche)<br />
sowie axial bis zum Proc. coracoideus<br />
erfolgen, insbeson<strong>der</strong>e auch bei Luxationen<br />
nach dem 50. Lebensjahr. [2,6] Die<br />
Indikation sollte gegebenenfalls mit dem<br />
potenziellen Operateur abgesprochen werden.<br />
Intraoperative Bildgebung<br />
Die intraoperative Erstellung von Röntgenbil<strong>der</strong>n<br />
in den üblichen und reproduzierbaren<br />
Standardprojektionen ist <strong>für</strong> die weitere<br />
Verlaufsbeurteilung unabdingbar und<br />
einzufor<strong>der</strong>n. Mittels Bildwandler erstellte<br />
„schöne Bil<strong>der</strong>“ außerhalb <strong>der</strong> üblichen<br />
und reproduzierbaren Standardprojektionen<br />
sind selten zweckdienlich und nur zur<br />
Dokumentation einer korrekten Implantatlage<br />
hinsichtlich Schrauben-/Bolzenlage<br />
und -länge sinnvoll.<br />
Postoperative Bildgebung<br />
Auch diese sollten wie<strong>der</strong>um in den be -<br />
schriebenen Standardprojektionen erfolgen.<br />
Bei fraglicher Implantatfehllage o<strong>der</strong> Fragmentfehlstellung<br />
ist in Einzelfällen ein CT<br />
erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Fazit<br />
Die Bildgebung bei Verletzungen des<br />
Schultergürtels reduziert sich in allen<br />
Behandlungsphasen im Prinzip auf wenige<br />
Standardaufnahmen. Optimale Einstellung<br />
vor<strong>aus</strong>gesetzt, lassen sich damit die komplexe<br />
Anatomie und die meisten ossären<br />
Verletzungen des Schultergürtels darstellen.<br />
[4] Weiterführende Diagnostik mittels<br />
mo<strong>der</strong>ner Schnittbildverfahren sollte bei<br />
bestehen<strong>der</strong> OP-Indikation in Absprache<br />
mit dem Operateur erfolgen, um unnötige<br />
Doppeluntersuchungen zu vermeiden.<br />
Kontakt<br />
Dr. Ralf Gütschow<br />
Literatur<br />
Unfallchirurgie<br />
II. Chirurgische Abteilung – Unfall-,<br />
Gefäß- und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Barmbek<br />
Rübenkamp 220<br />
22291 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-82 28 21<br />
Fax (0 40) 18 18-82 28 29<br />
E-Mail: r.guetschow@asklepios.com<br />
[1] Golser K, Resch H. Röntgenabklärung <strong>der</strong> Schulter<br />
einschl. CT. In: Habermeyer P, Schweiberer L. Schulter -<br />
chirurgie. Urban & Schwarzenberg Verlag 2. Auflage 2002:<br />
83-131.<br />
[2] Hedtmann A, Heers G, Hei<strong>der</strong>sdorf S. Bildgebende<br />
Verfahren an <strong>der</strong> Schulter. Arthroskopie 2001; 14: 74-93.<br />
[3] Hendricks P, Krahn-Peters V. Verletzungen des Schultergelenks.<br />
Trauma Berufskrankh 2001; 4: 512-8.<br />
[4] Philipp MO, Philipp-H<strong>aus</strong>er S, Breitenseher M. Das<br />
akute ossäre Trauma des Schultergürtels. Radiologie 2004;<br />
44: 562-8.<br />
[5] Rademacher G, Mutze S. Schultergelenkverletzung.<br />
Trauma Berufskrankh 2006; 3: 247-52.<br />
[6] Zeiler C, Wiedemann E, Brunner U, Mutschler W.<br />
Schulterdiagnostik. Trauma Berufskrankh 2003; 5: 108-13.<br />
491
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Die klassische Trigeminusneuralgie –<br />
<strong>Klinik</strong>, Diagnostik, Therapie<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler, PD Dr. Bernd Eckert, Prof. Dr. Axel Müller-Jensen<br />
Die Schmerzen <strong>der</strong> klassischen Trigeminusneuralgie gehören zu den stärksten <strong>für</strong> den Menschen vorstellbaren<br />
Schmerzen. Auf einer Schmerzskala von 0 bis 10 erreichen sie fast immer die höchste Stufe. Das macht eine fachgerechte<br />
und zügige Diagnostik sowie Einleitung einer meist außerordentlich erfolgreichen Therapie notwendig.<br />
<strong>Klinik</strong>, Pathophysiologie und<br />
Epidemiologie<br />
Die Trigeminusneuralgie ist gekennzeichnet<br />
durch einseitige, blitzartig einschießende<br />
Schmerzattacken im Versorgungsgebiet<br />
des I. – III. Trigeminusastes (Abb. 1). Die<br />
Attacken sind von Sekunden Dauer, treten<br />
häufig in Serien auf und können durch<br />
Reizung sogenannter Triggerzonen <strong>aus</strong> -<br />
gelöst werden (z. B. Berührung, Luftzug,<br />
Kauen). Synonym werden Begriffe wie Tic<br />
doloreux, typische, essentielle o<strong>der</strong> idiopathische<br />
Trigeminusneuralgie gebraucht.<br />
■ essentielle Trigeminusneuralgie<br />
■ typische Trigeminusneuralgie<br />
■ Tic doloreux<br />
■ idiopathische Trigeminusneuralgie<br />
Tab. 1: Synonyme <strong>der</strong> klassischen Trigeminusneuralgie<br />
Idiopathisch ist jedoch irreführend, da<br />
ursächlich ein Gefäß-Nerv-Konflikt im<br />
Übergang zwischen Trigeminusnerven und<br />
Brücke vorliegt. Der Gefäß-Nerven-Kontakt<br />
führt zu einer umschriebenen Atrophie <strong>der</strong><br />
Dendroglia/Myelinscheide. [6] Dieser<br />
Übergangsbereich ist beson<strong>der</strong>s sensibel.<br />
Durch die Atrophie können Impulse von<br />
den Fasern, die die Berührungsempfindung<br />
weiterleiten, auf die Schmerzfasern<br />
überspringen. Diese „Ephapsen“ erklären<br />
492<br />
die Triggerbarkeit sowie die blitzartig einschießenden<br />
Schmerzen.<br />
Die Trigeminusneuralgie beginnt in <strong>der</strong><br />
Regel nicht vor <strong>der</strong> 4. Lebensdekade, die<br />
Häufigkeit steigt mit dem Lebensalter. Die<br />
Inzidenz beträgt bei Männern 3,4/100.000,<br />
bei Frauen 5,9/100.000 pro Jahr. [1,4] Am<br />
häufigsten sind <strong>der</strong> II. und III. Trigeminus -<br />
ast zusammen be troffen, es folgen <strong>der</strong> II.<br />
und III. Ast jeweils allein. Die Beteiligung<br />
des I. Trige minus astes ist ebenso wie ein<br />
beidseitiger Befall so selten, dass an <strong>der</strong><br />
Diag nose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie ge -<br />
zweifelt werden muss. Der neurologische<br />
Befund erweist sich als regelrecht. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
lassen sich keine sensiblen Defizite<br />
und auch keine zusätzlichen neurologischen<br />
Herdsymptome feststellen.<br />
■ blitzartige einschießende Schmerzattacken im<br />
Versorgungsgebiet des I. – III. Trigeminusastes<br />
■ Attacken von Sekunden Dauer, häufig in Serien<br />
auftretend<br />
■ Attacken durch Reizung sog. Triggerzonen <strong>aus</strong>lösbar<br />
(z. B. Berührung, Luftzug, Kauen u. a.)<br />
■ kein Dauerschmerz, keine sensiblen Ausfälle,<br />
keine zusätzlichen neurologischen Herdsymptome<br />
Tab. 2: Klinische Symptomatologie <strong>der</strong> klassischen<br />
Trigeminusneuralgie<br />
Differentialdiagnostisch ist die Trigeminus -<br />
neuralgie von <strong>der</strong> Trigeminusneuropathie<br />
unterschiedlicher Ätiologie, vom atypischen<br />
Gesichtsschmerz sowie dem seltenen<br />
SUNCT-Syndrom (short-lasting unilateral<br />
neuralgiform headache attacks with conjunctival<br />
injection, tearing, sweating and<br />
rhinorrhoea) abzugrenzen.<br />
■ Trigeminusneuropathie<br />
■ Multiple Sklerose (MS)<br />
■ Raumfor<strong>der</strong>ung/Tumor <strong>der</strong> hinteren und<br />
mittleren Schädelgrube<br />
■ vaskuläre und/o<strong>der</strong> entzündliche Erkrankungen<br />
(vaskulär-diabetisch, Kollagenosen, Zoster,<br />
Borreliose, Sarkoidose, Lepra)<br />
■ atypischer Gesichtsschmerz (z. B. Kiefergelenkserkrankung,<br />
Karies etc.)<br />
■ SUNCT-Syndrom (selten): short-lasting uni lateral<br />
neuralgiform headache attacks with conjunctival<br />
injection, tearing, sweating and rhinorrhoea<br />
Tab. 3: Differentialdiagnose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie
Bildgebende Diagnostik<br />
Die Differentialdiagnose zwischen klassischer<br />
und symptomatischer Trigeminusneuralgie<br />
wird durch bildmorphologische<br />
Befunde gestützt, die vor allem mit <strong>der</strong><br />
Kernspintomographie erhoben werden.<br />
Organische Ursachen einer symptomatischen<br />
Trigeminusneuralgie sind mit einem<br />
kompletten MRT-Untersuchungsprotokoll<br />
■ MRT:<br />
Cerebrum: T2 transversal, sagittal,<br />
Diffusionswichtung<br />
KHBW: T1-/+ KM transversal<br />
CISS o<strong>der</strong> T2-Dünnschicht (1 mm)<br />
transversal evtl. coronar<br />
(KHBW = Kleinhirnbrückenwinkel)<br />
■ ggfs CCT:<br />
Knöcherne Läsion, Tumorverkalkung<br />
■ ggfs. Angiographie:<br />
Gefäßmalformation, Aneurysma, Tumorvaskularisation,<br />
Prä-OP Embolisation<br />
Tab. 4: Neuroradiologische Bildgebung bei <strong>der</strong><br />
Trigeminusneuralgie<br />
mit sehr großer Sicherheit zu erkennen. Die<br />
Ausschlussdiagnostik dient in erster Linie<br />
<strong>der</strong> Erfassung von Tumoren im Kleinhirnbrückenwinkel<br />
(häufig: Meningeome des<br />
Ligamentum petrosellare, Neurinome),<br />
entzündlichen Prozessen (ganz überwiegend<br />
Multiple Sklerose) sowie malignen<br />
Grun<strong>der</strong>krankungen (Schädelbasistumore,<br />
Metastasen, Meningeosis carcinomatosa).<br />
Abb. 1 – Schmerz<strong>aus</strong>breitung <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie:<br />
1. Ast: Stirn und Nasenrücken<br />
2. Ast: Oberkieferbereich<br />
3. Ast: Unterkieferbereich<br />
Die bildgebende Diagnostik muss den<br />
gesamten pontinen Abschnitt des Trigeminuskerngebietes,<br />
das arachnoidale Kompartiment<br />
des Nervus trigeminus, das<br />
Ganglion Gasseri im Cavum Meckeli sowie<br />
die peripheren Äste im Verlauf des Sinus<br />
cavernosus vollständig erfassen.<br />
Zur Darstellung des arachnoidalen Ver -<br />
laufes vom Hirnstamm bis zum Ganglion<br />
Gasseri eignen sich dünnschichtige Se -<br />
quenzen, die einen sehr hohen Kontrast<br />
zwischen den Hirnnerven und dem umgebenden<br />
Arachnoidalraum herstellen (T2-<br />
Dünnschicht – 0,9 bis 1 mm – Abb. 2) o<strong>der</strong><br />
eine 3-D-Gradientenechosequenz, CISS-<br />
Sequenz (Constructive Interference in<br />
Steady State, rekonstruierte Schichtdicke<br />
0,8 mm). Auch die Auffaserung des N. trigeminus<br />
im Ganglion Gasseri lässt sich in<br />
den dünnschichtigen Sequenzen gut erfassen.<br />
Die Sequenzen besitzen eine sehr hohe<br />
Sensitivität zur Erfassung raumfor<strong>der</strong>n<strong>der</strong><br />
Prozesse.<br />
Eine meningeale Anreicherung sowohl im<br />
Niveau <strong>der</strong> Arachnoidea als auch in <strong>der</strong><br />
Dura mater ist nur in <strong>der</strong> kontrastmittel -<br />
gestützten Sequenz zu erkennen und vor<br />
allem zur Erfassung einer Meningeosis carcinomatosa/leucaemica<br />
o<strong>der</strong> einer granulomatösen<br />
Meningitis unverzichtbar. Bei<br />
<strong>der</strong> DD von Raumfor<strong>der</strong>ungen im Kleinhirnbrückenwinkel<br />
kann eine Diffusions-<br />
Neurochirurgie<br />
Abb. 2 – MRT: T2-Dünnschicht, Trigeminusneurinom<br />
(schmaler Pfeil), li. am Übergang zum Ganglion Gasseri,<br />
Gefäß-Nerven-Kontakt (breiter Pfeil)<br />
Abb. 3a – Differentialdiagnose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie:<br />
Epi<strong>der</strong>moid – MRT<br />
oben: T1 nach KM, Asymmetrie mit erweitertem linken<br />
KHBW (Kleinhirnbrückenwinkel), keine KM-Anreicherung,<br />
kein erkennbarer Tumor;<br />
unten: Diffusionswichtung, Diffusionsstörung im linken<br />
KHBW: Pathognomonischer Befund <strong>für</strong> ein Epi<strong>der</strong>moid<br />
493
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Abb. 3b – Differentialdiagnose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie: Epi<strong>der</strong>moid – MRT<br />
links: T2 Dünnschicht transversal, <strong>der</strong> re. N. Trigeminus gut abgrenzbar, <strong>der</strong> li. Trigeminus<br />
wird durch das nahezu liquorisointense Epi<strong>der</strong>moid verlagert;<br />
rechts: T2 Dünnschicht coronar, <strong>der</strong> li. Trigeminus (Pfeil) wird durch das Epi<strong>der</strong>moid nach<br />
cranial verdrängt<br />
wichtung sehr hilfreich sein. Eine hier<br />
lokalisierte Diffusionsstörung ist pathognomonisch<br />
<strong>für</strong> ein Epi<strong>der</strong>moid insbeson<strong>der</strong>e<br />
in <strong>der</strong> Abgrenzung von einer Arachnoidalzyste<br />
(Abb. 3a, b). Eine umschriebene An -<br />
reicherung im N. trigeminus ohne Raumfor<strong>der</strong>ung<br />
entspricht dem Befund einer<br />
Neuritis und ist nur gelegentlich als<br />
Hyperintensität in <strong>der</strong> T2-Wichtung zu<br />
erkennen. Sehr viel häufiger ist <strong>der</strong> Nachweis<br />
von Demyelinisierungsherden im<br />
Hirnstamm bei einer Multiplen Sklerose.<br />
Bei knochendestruierenden Prozessen o<strong>der</strong><br />
Tumoren, die in die Schädelbasis einwachsen,<br />
ist die Computertomographie eine<br />
unverzichtbare Zusatzmethode, um das<br />
Ausmaß <strong>der</strong> Knochendestruktion o<strong>der</strong> eine<br />
Tumormatrix <strong>aus</strong>reichend darzustellen. Die<br />
Morphologie <strong>der</strong> Destruktion ist darüber<br />
hin<strong>aus</strong> ein wichtiges differentialdiagnostisches<br />
Kriterium (Abb. 4).<br />
Der Kontakt zwischen dem Trigeminus<strong>aus</strong>trittspunkt<br />
und einem Gefäß, vor allem <strong>der</strong><br />
A. cerebelli superior, ist ein häufiger<br />
Befund, <strong>der</strong> allein keine pathogene Bedeutung<br />
besitzt (Abb. 2). Gefäß-Nerven-Kontakte<br />
zeigen sich abhängig von <strong>der</strong> technischen<br />
Qualität <strong>der</strong> Untersuchung bei je<strong>der</strong><br />
vierten gesunden Kontrollperson. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
bei älteren Patienten mit einer<br />
hypertensiven Makrovaskulopathie sieht<br />
man häufig eine Elongation <strong>der</strong> A. basilaris<br />
mit direktem Kontakt zum N. trigeminus,<br />
ohne dass dies Symptome <strong>aus</strong> lösen würde.<br />
Nur in Verbindung mit <strong>der</strong> Symptomatik<br />
einer klassischen Trigemi nus neuralgie ist<br />
494<br />
<strong>der</strong> Nachweis eines Gefäß-Nerven-Kontaktes<br />
diagnostisch zu werten und bei <strong>der</strong><br />
Indikation zur operativen Therapie zu<br />
berücksichtigen.<br />
Medikamentöse Therapie<br />
In <strong>der</strong> Regel sollte zunächst ein Therapieversuch<br />
mit Carbamazepin in einschleichen<strong>der</strong><br />
Dosierung unternommen werden.<br />
[2] Wegen weniger Interaktionen<br />
könnte auch Oxcarbazepin primär Verwendung<br />
finden, welches in einem Verhältnis<br />
1,5:1 zum Carbamazepin steht. Vor allem<br />
bei älteren Pa-tienten ist hier aber eine<br />
gelegentlich auftretende Hyponatriämie<br />
als Nebenwirkung zu berücksichtigen.<br />
Bei therapierefraktären Schmerzen ist eine<br />
add-on-Therapie mit Lamotrigin o<strong>der</strong><br />
Gabapentin indiziert. In <strong>der</strong> letzten Zeit<br />
hat sich – auch bereits in <strong>der</strong> Monotherapie<br />
– Pregabalin in einer bereits effektiven<br />
Anfangsdosierung von 2 x 75 mg/d bei<br />
guter Verträglichkeit bewährt. Phenytoin<br />
kann parenteral bei Schluckunfähigkeit<br />
wertvoll sein. Bei anhaltenden Schmerzsalven<br />
im Akutfall kann hier 250 mg Phenytoin<br />
i. v. in 20 Mi nuten einen Durchbruch<br />
Abb. 4 – Differentialdiagnose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie: Schädelbasistumor – Sarkom –<br />
links MRT: T1 fettgesättigt nach KM, KM anreichern<strong>der</strong> Tumor in <strong>der</strong> rechten<br />
Felsenbeinspitze mit Hirnstammkompression am Austrittspunkt des re. Trigeminus<br />
und Infiltration <strong>der</strong> temporalen Dura<br />
rechts CCT: Maligne Knochendestruktion im Felsenbein und Os temporale re.<br />
sowie im Clivus<br />
ermöglichen. Generell ist eine Monotherapie<br />
zu bevorzugen in Verbindung mit konsequenter<br />
Aufsättigung. Umsetzen o<strong>der</strong><br />
Kombination sollte erst bei Refraktärität<br />
erwogen werden. Es gilt, die niedrigste<br />
noch wirksame Dosis zu finden. Eine<br />
Dosisreduktion sollte in <strong>der</strong> Regel erst<br />
nach vier bis sechs Wochen Schmerzfreiheit<br />
versucht werden.<br />
Operative Verfahren<br />
Nach Versagen o<strong>der</strong> Unverträglichkeit <strong>der</strong><br />
konservativen Therapie, aber auch bei<br />
berufsbedingten Bedenken gegen die medikamentöse<br />
Therapie (z. B. bei Kraftfahrern)<br />
ist an eine operative Therapie zu denken.<br />
Bevorzugt wird meist die k<strong>aus</strong>ale, nicht<br />
destruktive mikrovaskuläre Dekompres-<br />
■ Carbamazepin – 600 – 1.500 mg ➔ 75 % Effektivität<br />
■ Oxcarbazepin – 600 – 2.400 mg ➔ weniger Interaktionen<br />
■ Lamotrigin – 100 – 400 mg ➔ langsam aufdosieren (Exanthem)<br />
■ Gabapentin – 900 – 3.600 mg ➔ gute Verträglichkeit<br />
■ Pregabalin – 150 – 600 mg ➔ gute Verträglichkeit<br />
■ Phenytoin – 100 – 400 mg ➔ i. v. Gabe möglich<br />
■ Capsaicin – 0,03 % Flüssigkeit lokal ➔ Brennen als initiale Nebenwirkung<br />
Tab. 5: Medikamentöse Therapie <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie<br />
■ typische Trigeminusneuralgie<br />
■ Ausschluss an<strong>der</strong>er Ursachen (z. B. Kleinhirnbrückenwinkeltumoren)<br />
■ Pharmakoresistenz o<strong>der</strong> – Unverträglichkeit<br />
■ vertretbares Narkoserisiko<br />
Tab. 6: Indikationen zur Jannetta-Operation
sion nach Jannetta (Tab. 6). Alle perkutanen<br />
Verfahren sind destruktive Verfahren. Im<br />
Einzelfall muss eine individuelle Therapie<br />
in Abhängigkeit von Alter, Begleiterkrankungen<br />
und Patientenwunsch (z. B. Angst<br />
vor Schädeleröffnung) gesucht werden.<br />
Die häufigsten Verfahren sind die Thermoläsion<br />
des Ganglion Gasseri und die mikrovaskuläre<br />
Dekompression nach Jannetta.<br />
Thermoläsion des Ganglion Gasseri<br />
Die Schmerzfasern (Aδ- und C-Fasern)<br />
haben nur eine dünne bzw. gar keine Myelinschicht.<br />
Damit sollen sie gegenüber<br />
einer Erhitzung viel anfälliger sein als<br />
Fasern mit einer dickeren Myelinschicht.<br />
Tatsächlich kommt es bei einer Erhitzung<br />
auf 65 – 70 °C aber zu einer Schädigung<br />
praktisch aller Fasern, wobei die Entfernung<br />
zur Nadelspitze eine Rolle spielen<br />
dürfte. So sind nach einer Thermoläsion<br />
neben <strong>der</strong> Schmerzfreiheit doch auch ge -<br />
wisse Gefühlstörungen in Kauf zu nehmen.<br />
Technik: 2 – 3 cm lateral des Mundwinkels<br />
wird eine Thermosonde eingeführt und<br />
unter Röntgen-Bildwandler-Kontrolle<br />
durch das Foramen ovale bis zur Trigeminuswurzel<br />
geschoben (Abb. 5). Die exakte<br />
Position wird durch Stimulation beim<br />
wachen Patienten so lange variiert, bis eine<br />
Reizung genau in dem schmerzhaften<br />
Gesichtsbereich gelingt. Unter einer Kurznarkose<br />
wird dann die Nadelspitze auf<br />
65 – 70 °C <strong>für</strong> eine Minute erhitzt. [9] Ist die<br />
Stimulationsstärke zum Erzielen eines<br />
Foramen ovale<br />
Schmerzes verdreifacht o<strong>der</strong> bereits eine<br />
Analgesie im lädierten Bereich vorhanden,<br />
wird die Thermoläsion beendet und die<br />
Nadel entfernt. Der Patient kann in <strong>der</strong><br />
Regel 1 – 2 Tage später die <strong>Klinik</strong> verlassen.<br />
Die Erfolgsquote liegt bei über 90 Prozent,<br />
zum Teil werden auch sehr günstige Langzeitergebnisse<br />
mit 80 Prozent nach zehn<br />
Jahren angegeben. Bei einem Rezidiv kann<br />
die Thermoläsion wie<strong>der</strong>holt werden.<br />
Auch einige atypische Trigeminusneuralgien<br />
können mit den perkutanen Verfahren<br />
günstig, wenn auch deutlich weniger<br />
erfolgreich beeinflusst werden.<br />
Mikrovaskuläre Dekompression<br />
(Jannetta-Operation) [7]<br />
Prinzip <strong>der</strong> einzig k<strong>aus</strong>alen Behandlung<br />
<strong>der</strong> typischen Trigeminusneuralgie ist die<br />
Behebung des Gefäß-Nerven-Kontakts im<br />
präpontinen Trigeminusabschnitt durch<br />
Einbringen eines Polsters zwischen Nerven<br />
und Gefäß. Die Operation führen wir in<br />
<strong>der</strong> Regel in Rückenlage mit zur Gegen -<br />
seite gedrehtem Kopf durch. So „fällt“ das<br />
Kleinhirn nach Liquorentnahme mit <strong>der</strong><br />
Schwerkraft nach unten und gibt den<br />
Kleinhirnbrückenwinkel ohne Retraktion<br />
frei. Nach Durchtrennen einiger arachnoidaler<br />
Adhärenzen werden Trigeminus und<br />
komprimierendes Gefäß im Kleinhirnbrü -<br />
ckenwinkel freipräpariert. Häufig findet<br />
man eine erhebliche Druckusur am Nerven.<br />
Nach Abpräparation und evtl. Ver -<br />
lagerung des Gefäßes wird ein Polster<br />
★<br />
Neurochirurgie<br />
Abb. 5: Schema <strong>der</strong> Punktion des Ganglion Gasseri (★).<br />
Die Nadel wird etwa 2–3 cm lateral des Mundwinkels<br />
eingestochen und durch die Wange zur Schädelbasis und<br />
hier durch das Foramen ovale vorgeschoben. Diese Punktionstechnik<br />
wird <strong>für</strong> alle perkutanen Verfahren (Thermoläsion,<br />
Glycerolinjektion und Ballonkompression) angewandt.<br />
(Teflon o<strong>der</strong> Muskelstück) eingelegt, um<br />
den erneuten Konflikt zu verhin<strong>der</strong>n<br />
(Abb. 6). Danach wird die Wunde mittels<br />
Dura-, Muskel-, Subkutan- und Hautnaht<br />
verschlossen. Die kleine ca. 2 bis 2,5 cm<br />
große Trepanationsöffnung wird mit dem<br />
<strong>aus</strong>gesägten Knochenstück o<strong>der</strong> durch<br />
Knochenzement (Palacos) verschlossen.<br />
Der Krankenh<strong>aus</strong>aufenthalt liegt bei sieben<br />
Tagen.<br />
Die Erfolgsquote ist hoch: Schmerzfreiheit<br />
wird in über 80 Prozent erreicht, in gut<br />
15 Prozent eine Schmerzlin<strong>der</strong>ung. Die<br />
Patienten wachen in <strong>der</strong> Regel bereits<br />
schmerzfrei <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Narkose auf. Die Mortalitätsrate<br />
liegt bei 0,5 Prozent, Komplikationen<br />
werden in 3,6–34 Prozent angegeben,<br />
erwähnenswert sind hier die Hypästhesie<br />
im Trigeminusbereich, die Taubheit des<br />
ipsilateralen Ohres und die Liquorfistel.<br />
Operationsbedürftige Rezidive treten in<br />
einer Größenordnung von elf Prozent bei<br />
einer mittleren Nachbeobachtungszeit von<br />
sechs Jahren auf.<br />
Eine Reihe an<strong>der</strong>er Erkrankungen, die<br />
durch einen Gefäß-/Nervenkonflikt <strong>aus</strong>gelöst<br />
werden (z. B. Facialisspasmus, Glossopharyngeusneuralgie,<br />
Tinnitus [Kompression<br />
des N. statoacusticus], Torticollis<br />
spasticus [Kompression <strong>der</strong> 1. Cervikalwurzel],<br />
arterieller Hypertonus durch<br />
Kompression des linksseitigen N. vagus<br />
und <strong>der</strong> medulla oblongata), können ebenso<br />
erfolgreich mit einer mikrovaskulären<br />
Dekompression behandelt werden.<br />
495
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Abb. 6: Intraoperative Fotos einer mikrovaskulären Dekompression; a: <strong>der</strong> Trigeminusnerv ist präpontin freipräpariert und die Kompression durch die unter dem Nerv liegende<br />
Arterie ist erkennbar; b: die Arterie wurde freipräpariert und hervorluxiert; c: zwischen Nerv und Arterie wurde ein Teflonpolster eingelegt<br />
★: Trigeminusnerv; gepunktete Linie: unter dem Nerv liegende Arterie mit Ausbuchtung des Nervens<br />
❍: Hirnstamm; ➚: hervorluxiertes und in c, abgepolstertes Gefäß; ■: Teflonpolster<br />
Seltene Verfahren<br />
Glycerolinjektion<br />
Die Glycerolinjektion wird mit <strong>der</strong> gleichen<br />
Punktionstechnik wie die Thermoläsion<br />
durchgeführt. Die Nadelspitze wird in<br />
die Trigeminuszisterne (die das Ganglion<br />
Gasseri umgibt) platziert. Injiziert werden<br />
ca. 0,4 ml Glycerol, ein wasserfreier Alkohol.<br />
Die Erfolgsquote liegt über 90 Prozent,<br />
die Langzeiterfolge werden nach zehn Jahren<br />
mit 80 Prozent angegeben. [3] Gefühlstörungen<br />
sind häufig, störende Dysästhesien<br />
werden mit 20 – 40 Prozent angegeben.<br />
Die Anaesthesia dolorosa (Schmerz bei<br />
gleichzeitigem Ausfall <strong>der</strong> Oberflächen -<br />
sensibilität) wird mit 1,8 Prozent erwartet,<br />
aseptische Meningitiden sind möglich.<br />
Ballonkompression des Ganglion Gasseri<br />
Ein vier French aufblasbarer Ballonkatheter<br />
wird in oben beschriebener Punktionstechnik<br />
in die Trigeminuszisterne eingeführt<br />
und mit 0,75 – 1 ml (entsprechend einem<br />
intraluminalen Druck von ca. 1.000 – 1.500<br />
mmHg) gefüllt. Die anfänglichen Ergebnisse<br />
entsprechen denen an<strong>der</strong>er perkutaner<br />
Verfahren, die Rezidivquote ist jedoch<br />
höher. Die Anaesthesia dolorosa tritt dagegen<br />
nur extrem selten auf (0,1 Prozent). [8]<br />
Stereotaktische Bestrahlung<br />
Der Anfangserfolg <strong>der</strong> stereotaktischen<br />
Bestrahlung <strong>der</strong> Trigeminusnervenwurzel<br />
liegt bei über 85 Prozent und sinkt nach<br />
33 Monaten auf 75,4 Prozent. Nach <strong>der</strong><br />
Prozedur treten in zehn Prozent Gefühl -<br />
496<br />
★<br />
❍<br />
★<br />
➚<br />
❍<br />
a b c<br />
störungen auf, Langzeitergebnisse sind<br />
abzuwarten. [5]<br />
Die früher geübten läsionellen Therapien<br />
(Exhärese peripherer Trigeminusäste und<br />
die extradurale Durchtrennung von Trigeminusästen<br />
an <strong>der</strong> Schädelbasis) können<br />
mit den Erfolgs- und Komplikationsquoten<br />
<strong>der</strong> perkutanen Verfahren nicht mithalten<br />
und sollten heute nicht mehr durchgeführt<br />
werden. [1]<br />
Fazit<br />
Die klassische Trigeminusneuralgie ist<br />
klinisch bereits durch sorgfältige Schmerzanalyse<br />
mit hoher Sicherheit zu diagnostizieren.<br />
Symptomatische Trigeminusneuropathien<br />
sowie atypischer Gesichtsschmerz<br />
müssen differentialdiagnostisch <strong>aus</strong> geschlossen<br />
werden. Die bildgebende Diagnostik<br />
ist hier beson<strong>der</strong>s zum Tumor<strong>aus</strong>schluss<br />
wichtig. Der Gefäß-Nerven-Kontakt<br />
ist bei hochauflösenden NMR-Schichten<br />
bereits häufig zu erkennen, kann aber auch<br />
ohne entsprechende Symptomatik vorkommen.<br />
Nach Versagen bzw. bei Unverträglichkeit<br />
<strong>der</strong> medikamentösen konservativen<br />
Therapie sind die etabliertesten operativen<br />
Verfahren die k<strong>aus</strong>ale mikrovaskuläre<br />
Dekompression nach Jannetta o<strong>der</strong> die<br />
symptomatische Thermoläsion des Gang -<br />
lion Gasseri. Beide haben eine sehr günstige<br />
Prognose bei – in geübter Hand – sehr<br />
geringer Komplikationsrate. Erlaubt es <strong>der</strong><br />
klinische Zustand, ist die k<strong>aus</strong>ale mikrovaskuläre<br />
Dekompression vorzuziehen, da<br />
sie eine Heilung mit einer geringen Rezidivrate<br />
ohne zusätzliche Sensibilitätsstörungen<br />
verspricht.<br />
Kontakt<br />
➚<br />
■<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
★<br />
❍<br />
Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1<br />
22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 16 71<br />
Fax: (0 40) 18 18-81 49 11<br />
E-Mail: u.kehler@asklepios.com<br />
Literatur<br />
[1] AWMF-Leitlinien-Register Nr 030/016 Trigeminus -<br />
neuralgie<br />
[2] Al-Khalaf B, Loew F, Donauer E: Stufenplan zur<br />
Behandlung <strong>der</strong> essentiellen Trigeminusneuralgie,<br />
Dt <strong>Ärzte</strong>blatt 1999; 96A: 3177-81.<br />
[3] Jho H, Lundsford D: Percutaneous retrogasserian<br />
gylcerol rhizitomy. Neurosurg Clin N Amer 1997; 8: 63-74,<br />
[4] Kautusic S, Beard CM, et al: Incidence and clinical<br />
features of trigeminal neuralgia, Rochester, Minnesota<br />
1945-1984. Ann Neurol 1990; 27: 89-95.<br />
[5] Kondziolka D et al: Stereotactic radiosurgery for the<br />
treatment of trigeminal neuralgia. Clin J Pain 2002; 18: 42-7.<br />
[6] Love S, Coakham B: Trigeminal neuralgia: pathology<br />
and pathogenesis. Brain 2001; 124: 2347-60.<br />
[7] McLaughlin M, Jannetta PJ et al: Microvascular decompression<br />
of cranial nerves: lessons learned after 4400 operations.<br />
J Neurosurg 1999; 90:1-8.<br />
[8] Skirving D, Dan N. A 20-year review of percutaneous<br />
ballon compression of the trigeminal ganglion. J Neurosurg<br />
2001; 94: 913-7.<br />
[9] Sweet W. Trigeminal neuralgias, Lea & Felbinger,<br />
Philadelphia, 1968: 89-106.
Katheterablation<br />
ventrikulärer Tachykardien<br />
Dr. Boris Schmidt, Dr. KR Julian Chun, Dr. Feifan Ouyang, Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck<br />
VT bei Patienten ohne strukturelle<br />
Herzerkrankung<br />
VT <strong>aus</strong> dem Ausflusstrakt des rechten<br />
Ventrikels (RVOT)<br />
Die häufigste Form von VT bei Patienten<br />
ohne strukturelle Herzerkrankung stellt<br />
die VT <strong>aus</strong> dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt<br />
(RVOT) dar. [1] Sie hat generell<br />
eine günstige Prognose, kann aber erheb -<br />
liche klinische Beschwerden verursachen.<br />
Ursprung sind arrhythmogene Myozyten,<br />
die abhängig von Katecholaminspiegel<br />
und intrazellulärem Kalzium-Gehalt<br />
schnelle VT (Herzfrequenz 200 – 250 min-1 )<br />
generieren können. Im EKG zeigen diese<br />
fokalen VT typischerweise einen Linksschenkelblock<br />
(LSB)-artig deformierten<br />
QRS-Komplex und eine inferiore Achse. Sie<br />
treten häufig bei körperlicher Anstrengung<br />
(hoher Katecholaminspiegel) auf und lassen<br />
sich medikamentös mit Betablockern<br />
o<strong>der</strong> Kalziumantagonisten behandeln.<br />
Aufgrund <strong>der</strong> günstigen anatomischen<br />
Lage unterhalb <strong>der</strong> Pulmonalklappe im<br />
Ausfluss trakt des RV sind die Substrate<br />
<strong>der</strong> RVOT-VT aber auch einer kurativen<br />
Katheterablation sehr gut zugänglich. Um<br />
den sonst meist gesunden, jungen Patienten<br />
eine dauerhafte medikamentöse Therapie<br />
zu ersparen o<strong>der</strong> bei Versagen <strong>der</strong>sel-<br />
ben, sollte daher die Indikation zur Katheterablation<br />
großzügig gestellt werden.<br />
VT mit Ursprung <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Tasche des<br />
Aortenklappensegels<br />
Eine seltene Variante stellt die Gruppe <strong>der</strong><br />
VT <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Tasche des linken Segels <strong>der</strong><br />
Aortenklappe dar. [2] Hierbei handelt es<br />
sich ebenfalls um fokale VT, <strong>der</strong>en Substrat<br />
arrhythmogene Zellverbände bilden. Die<br />
EKG-Morphologie ähnelt <strong>der</strong> RVOT-VT<br />
mit komplettem LSB und inferiorer Achse.<br />
Die medikamentöse Therapie ist meist<br />
unbefriedigend, somit bietet die Katheterablation<br />
eine kurative Therapieoption<br />
(Abb. 2). Trotz <strong>der</strong> unmittelbaren Nähe <strong>der</strong><br />
Koronararterien ist die Komplikationsrate<br />
in erfahrenen Zentren sehr gering.<br />
Idiopathische linksventrikuläre<br />
Tachykardie (ILVT)<br />
Elektroanatomische Mappinguntersuchungen<br />
haben den Mechanismus <strong>der</strong> ILVT als<br />
Mikro-Reentrytachykardie im distalen Purkinje-System<br />
identifiziert. [3] Eine Leitungsverzögerung<br />
in bestimmten Purkinje-<br />
Fasern ermöglicht den Wie<strong>der</strong>eintritt<br />
retrograd in bereits wie<strong>der</strong> erregbare Purkinje-Fasern,<br />
eine kreisende Erregung entsteht.<br />
Es resultieren schnelle VT (Herzfre-<br />
Kardiologie<br />
Pro Jahr sterben in Deutschland rund 100.000 Menschen am plötzlichen Herztod, meist verursacht durch<br />
ventrikuläre Tachykardien (VT) und Kammerflimmern (Abb. 1). Den sichersten und effektivsten Schutz vor<br />
dem plötzlichen Herztod stellt <strong>der</strong> implantierbare Kardioverter/Defibrillator (ICD) dar. Er kann VT zuverlässig<br />
erkennen und mittels Überstimulation o<strong>der</strong> Schockentladung terminieren. Der ICD ist jedoch keine k<strong>aus</strong>ale<br />
Therapie <strong>der</strong> VT und kann folglich <strong>der</strong>en Auftreten nicht verhin<strong>der</strong>n.<br />
quenz 200 – 250 min-1 ) mit Rechtsschenkelblock<br />
(RSB)-Morphologie und superiorer<br />
Achse im EKG. Durch Ablation <strong>der</strong> betroffenen<br />
Purkinje-Fasern kann die VT mit<br />
sehr gutem Langzeit-Erfolg behandelt<br />
werden.<br />
Schenkelblock-Tachykardien<br />
(engl. Bundle-branch-Reentry; BBRT)<br />
BBRT treten in <strong>der</strong> Regel bei Patienten mit<br />
struktureller Herzerkankung und komplettem<br />
LSB auf, finden sich aber auch bei<br />
„Herzgesunden“ ohne bestehende Erregungs<strong>aus</strong>breitungsstörung.<br />
Während <strong>der</strong><br />
VT kommt es zur antegraden Erregung des<br />
rechten Tawara-Schenkels und retrograden<br />
Impuls<strong>aus</strong>breitung über den linken Tawara-<br />
Schenkel o<strong>der</strong> umgekehrt. [4] Dadurch entstehen<br />
schnelle Makro-Reentrytachykardien<br />
mit Herzfrequenzen von 200 – 250 min-1 und<br />
LSB-artig deformierten QRS-Komplexen im<br />
EKG. Die Therapie <strong>der</strong> Wahl besteht in <strong>der</strong><br />
Ablation des rechten Tawara-Schenkels.<br />
Erstaunlicherweise benötigt anschließend<br />
nur ein geringer Teil <strong>der</strong> Patienten einen<br />
Herzschrittmacher aufgrund eines kompletten<br />
AV-Blocks. Die überwiegende<br />
Mehrheit weist einen kompletten RSB auf.<br />
Dies beweist, dass <strong>der</strong> linke Tawara-Schenkel<br />
zuvor lediglich eine Leitungsverzögerung<br />
aufgewiesen hat und nicht einen tota-<br />
497
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
len Leitungsblock. In einer eigenen Untersuchung<br />
stellten wir fest, dass die Häufigkeit<br />
im Anschluss auftreten<strong>der</strong> VT von <strong>der</strong><br />
zugrunde liegenden Herzerkrankung<br />
abhängt: Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung<br />
wiesen keine VT mehr auf,<br />
während Patienten mit struktureller Herzerkrankung<br />
weiterhin durch myokardiale<br />
VT gefährdet sind und sich einer ICD-<br />
Implantation unterziehen sollten.<br />
VT bei Patienten mit struktureller<br />
Herzerkrankung<br />
Patienten mit struktureller Herzerkrankung<br />
stellen das größte Kollektiv <strong>der</strong> Patienten<br />
mit VT im klinischen Alltag dar. Das größte<br />
Risiko tragen Patienten mit ischämischer<br />
Kardiomyopathie (ICM) o<strong>der</strong> dilatativer<br />
Kardiomyopathie (DCM) und eingeschränkter<br />
linksventrikulärer Pumpfunktion.<br />
Große klinische Untersuchungen zeigten,<br />
dass dieses Patientenkollektiv nur<br />
durch Implantation eines ICD sicher vor<br />
dem arrhythmogenen plötzlichen Herztod<br />
geschützt werden kann (Primärprophylaxe).<br />
[5,6] Das gilt beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> die Sekundärprophylaxe<br />
nach überlebtem plötz-<br />
498<br />
Abb. 1: 12-Kanal-EKG (25 ms/mm) einer ventrikulären Tachykardie (VT) mit Rechtsschenkelblock-Morphologie<br />
(Herzfrequenz ~140 min-1 )<br />
lichen Herztod o<strong>der</strong> dokumentierter VT.<br />
Durch die kardiale Grun<strong>der</strong>krankung entstehen<br />
myokardiale Narben (z. B. nach<br />
Myokardinfarkt, aber auch bei DCM), die<br />
das Substrat <strong>für</strong> Reentry-Tachykardien<br />
bilden. In den Narben überleben kleinste<br />
Areale mit <strong>der</strong> Fähigkeit <strong>der</strong> elektrischen<br />
Leitung. So entstehen Zonen langsamer<br />
Erregungs<strong>aus</strong>breitung, die dem elektrischen<br />
Impuls den Eintritt in eine Kreis -<br />
erregung ermöglichen.<br />
Ziel <strong>der</strong> Katheterablation ist die Identifikation<br />
und Elimination dieser Areale. Häufig<br />
lassen sich bei <strong>der</strong> elektrophysiologischen<br />
Untersuchung durch programmierte<br />
Elektrostimulation mehrere unterschied -<br />
liche VT in einem Patienten induzieren.<br />
Unter Umständen werden die VT zudem<br />
hämodynamisch nicht toleriert. Daher<br />
wurde die Strategie des „Substratmappings“<br />
entwickelt, mit <strong>der</strong> sich durch ein<br />
elektroanatomisches Mappingsystem<br />
anhand <strong>der</strong> intrakardialen Elektrogramme<br />
gesundes Myokard von Narben unterscheiden<br />
lässt (Abb. 3). [7] Diese Areale werden<br />
dann elektrisch isoliert o<strong>der</strong> die überlebenden<br />
Myokardfasern abladiert. Da eine<br />
Narbe ein dreidimensionales Gebilde ist,<br />
kann in einigen Fällen eine epikardiale<br />
Ablation erfor<strong>der</strong>lich werden. Hierzu wird<br />
<strong>der</strong> Mappingkatheter über einen subxyphoidalen<br />
Zugang in den Perikardbeutel<br />
eingebracht und elektrophysiologisch<br />
untersucht. [8]<br />
Da es sich bei <strong>der</strong> ICM und <strong>der</strong> DCM in<br />
<strong>der</strong> Regel um progrediente Erkrankungen<br />
handelt, kann die Katheterablation keine<br />
kurative Maßnahme sein, die Patienten<br />
sollten also trotz primär erfolgreicher Ab -<br />
lation mit einem ICD versorgt werden.<br />
Hauptindikation <strong>für</strong> eine Ablation bei diesen<br />
Patienten ist das Auftreten multipler<br />
Schockentladungen durch den ICD bei therapierefraktären<br />
VT-Rezidiven.<br />
Patienten mit genetischer<br />
Herzerkrankung<br />
Bei Patienten mit elektrischer Kardiomyopathie<br />
(Brugada-Syndrom, Long-QT-Syndrom<br />
u. a.) ist die Katheterablation <strong>der</strong>zeit<br />
nur bei <strong>der</strong> arrhythmogenen rechtsventrikulären<br />
Dysplasie (ARVD) indiziert. [9]<br />
Durch den fettigen Umbau des Myokards
Abb. 2: Fluoroskopische Darstellung des Ablationsortes einer VT vom Aortenklappensegel.<br />
Links in RAO 30°, rechts in LAO 45°. LCA: linke Koronararterie, JC: Judkins-Katheter im<br />
Ostium <strong>der</strong> LCA, His: His-Bündel-Katheter, CS: Koronarvenensinus-Katheter. AS: Ablations -<br />
katheter am Aortenklappensegel<br />
entsteht das Substrat <strong>für</strong> eine Reentry-VT.<br />
Je nach Ausmaß <strong>der</strong> Erkrankung können<br />
diese <strong>aus</strong> dem rechten und/o<strong>der</strong> linken<br />
Ventrikel stammen. Ziel <strong>der</strong> Katheterablation<br />
ist die Identifikation und Ablation dieser<br />
Substrate. Da die ARVD ebenfalls eine<br />
progrediente Erkrankung ist, sollte hier <strong>aus</strong><br />
sekundärprophylaktischer Indikation ebenfalls<br />
ein ICD implantiert werden.<br />
Fazit<br />
Die Katheterablation von VT stellt bei<br />
Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung<br />
meist eine kurative Maßnahme dar,<br />
bei Patienten mit struktureller Herzerkrankung<br />
eine symptomatische Therapie. Vor<br />
<strong>der</strong> Indikationsstellung sollte eine <strong>aus</strong>führliche<br />
Diagnostik mit körperlicher Untersuchung,<br />
Echokardiografie, 12-Kanal-Ruhe-<br />
EKG und ggf. Koronarangiografie erfolgt<br />
sein. Die Dokumentation <strong>der</strong> VT im 12-<br />
Kanal-EKG ermöglicht eine erste Lokalisation<br />
des Ursprungsortes und erleichtert so<br />
die Planung <strong>der</strong> Strategie <strong>für</strong> die invasive<br />
elektrophysiologische Untersuchung.<br />
Literatur<br />
[1] Joshi S, Wilber DJ. Ablation of idiopathic right ventricular<br />
outflow tract tachycardia: current perspectives. J Cardiovasc<br />
Electrophysiol 2005; 16 Suppl 1: S52-S58.<br />
[2] Ouyang F, Fotuhi P, Ho SY, et al. Repetitive monomorphic<br />
ventricular tachycardia originating from the aortic<br />
sinus cusp: electrocardiographic characterization for guiding<br />
catheter ablation. J Am Coll Cardiol 2002; 39(3): 500-<br />
8.<br />
[3] Ouyang F, Cappato R, Ernst S, et al. Electroanatomic<br />
substrate of idiopathic left ventricular tachycardia: unidirectional<br />
block and macroreentry within the purkinje network.<br />
Circulation 2002; 105(4): 462-9.<br />
[4] Tang M, Schmidt B, Shi H, et al. The Left Bundle<br />
Branch-Purkinje System in Patients with Bundle Branch<br />
Reentrant Tachycardia: Lessons from Electroanatomical<br />
Mapping and Catheter Ablation. Submitted to J Cardiovasc<br />
Electrophysiol.<br />
[5] Moss AJ, Zareba W, Hall WJ, et al. Prophylactic implantation<br />
of a defibrillator in patients with myocardial infarction<br />
and reduced ejection fraction. N Engl J Med 2002;<br />
346(12): 877-83.<br />
[6] Bardy GH, Lee KL, Mark DB, et al. Amiodarone or an<br />
implantable cardioverter-defibrillator for congestive heart<br />
failure. N Engl J Med 2005; 352(3): 225-37.<br />
Kontakt<br />
Dr. Boris Schmidt<br />
Hanseatisches Herzzentrum<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />
Lohmühlenstraße 5<br />
20099 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 44 87<br />
Fax (0 40) 18 18-85 44 35<br />
E-Mail bor.schmidt@asklepios.com<br />
Kardiologie<br />
Abb. 3: Elektroanatomisches Map (Substratmap) des linken Ventrikels bei<br />
einem Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie nach Vor<strong>der</strong>wandinfarkt<br />
(RAO 30°). Je nach Höhe <strong>der</strong> lokalen Signalamplituden werden die Areale<br />
in unterschiedlichen Farben wie<strong>der</strong>gegeben. Die Areale in Lila stellen gesundes<br />
Myokard dar (Amplitude > 1 mV), die bunten Areale sind elektrisch<br />
„krank“ (Amplitude < 1 mV). In Grau stellt sich eine elektrische Narbe dar<br />
(kein Potenzial).<br />
[7] Marchlinski FE, Callans DJ, Gottlieb CD, Zado E. Linear<br />
ablation lesions for control of unmappable ventricular<br />
tachycardia in patients with ischemic and nonischemic<br />
cardiomyopathy. Circulation 2000; 101(11): 1288-96.<br />
[8] Soejima K, Stevenson WG, Sapp JL, Selwyn AP, Couper<br />
G, Epstein LM. Endocardial and epicardial radiofrequency<br />
ablation of ventricular tachycardia associated with dilated<br />
cardiomyopathy: the importance of low-voltage scars. J Am<br />
Coll Cardiol 2004; 43(10): 1834-42.<br />
[9] Dalal D, Jain R, Tandri H, et al. Long-term efficacy of<br />
catheter ablation of ventricular tachycardia in patients with<br />
arrhythmogenic right ventricular dysplasia/cardio myo -<br />
pathy. J Am Coll Cardiol 2007; 50(5): 432-40.<br />
499
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Das chirurgische Vorgehen bei akuten<br />
und chronischen Herzinfarktfolgen<br />
Dr. Stephan Geidel, PD Dr. Michael Laß, Prof. Dr. Jörg Ostermeyer<br />
Pro Jahr erleiden in Deutschland mehr als 250.000 Menschen einen Herzinfarkt. [1] Dabei geht die Ischämiezone<br />
innerhalb weniger Stunden in eine Myokardnekrose über. Grundsätzlich existieren <strong>für</strong> alle direkten Folgen des<br />
Infarkts beziehungsweise <strong>der</strong> Myokardnekrose herzchirurgische Therapieoptionen. Man unterscheidet akute<br />
(Herzwandruptur, postinfarktieller Ventrikelseptumdefekt und Papillarmuskelruptur mit akuter Mitralinsuffizienz)<br />
und chronische Auswirkungen als Resultat einer späteren Narbenbildung (chronisch ischämische Mitral -<br />
insuffizienz, linksventrikuläres Aneurysma und „maligne“ ventrikuläre Tachykardie). Die Therapie beinhaltet in<br />
<strong>der</strong> Regel, vor allem bei chronischen Infarktfolgen, abhängig vom koronarmorphologischen Befund die koronare<br />
Bypassversorgung.<br />
Herzwandruptur<br />
Bezogen auf alle Herzinfarkte liegt die in<br />
<strong>der</strong> Literatur angegebene Häufigkeit einer<br />
Herzwandruptur bei 5 – 10 Prozent (nach<br />
Kammerflimmern und Pumpversagen<br />
dritthäufigste Todesursache bei akutem<br />
Infarkt [2,3] ). Eine akute Zerreißung führt<br />
durch Perikardtamponade rasch zum Tode,<br />
während eine mehrzeitige Ruptur (2 – 5<br />
Tage) chirurgisch behandelbar ist. Rupturen<br />
<strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>wand des linken Ventrikels<br />
(LV) sind etwa doppelt so häufig wie <strong>der</strong><br />
Hinterwand. Methode <strong>der</strong> Wahl ist die<br />
Übernähung <strong>der</strong> Perforationsstelle, gegebenenfalls<br />
mit Infarktektomie. Der Verschluss<br />
kann im Sinne einer Plikatur unter Verwendung<br />
von Filzstreifen erfolgen (Abb. 1),<br />
bei großem Defekt muss ein Patch (z. B.<br />
Dacron) eingesetzt werden. Aus <strong>der</strong> Literatur<br />
ist eine Sterblichkeit von etwa 50 Prozent<br />
zu entnehmen, die längerfristige Prog -<br />
nose hängt vom Ausmaß <strong>der</strong> koronaren<br />
Herzerkrankung ab.<br />
500<br />
Postinfarktieller Ventrikelseptumdefekt<br />
Bei 1 – 2 Prozent aller Infarktpatienten<br />
kommt es zwei bis vier Tage (selten bis<br />
zwei Wochen) nach einem Infarkt mit Septumbeteiligung<br />
und Ruptur zur Ausbildung<br />
einer interventrikulären Kommunikation<br />
(Ventrikelseptumdefekt = VSD). [2,3] Meist<br />
liegt <strong>der</strong> Defekt im Bereich des anterioren/<br />
apikalen Septums und ist mit einer Vor<strong>der</strong>wand-Spitzen-Dyskinesie<br />
vergesellschaftet.<br />
Durch die Ruptur entsteht akut ein Linksrechts-Shunt<br />
mit Fluss- und Druckbelas tung<br />
<strong>der</strong> Lungenstrombahn sowie LV-Volumenbelastung.<br />
Die Prognose ohne chirurgische<br />
Behandlung ist ungünstig: 24 Stunden<br />
nach VSD-Entstehung betragen die Über -<br />
lebensraten 75 Prozent, nach einer Woche<br />
50 Prozent, nach zwei Wochen 30 Prozent<br />
und nach mehr als einem Monat 20 Prozent.<br />
Todesursache ist meist ein akutes/sub -<br />
akutes Linksherzversagen. Bei stabilen<br />
Verhältnissen (ohne Lungenstauung und<br />
Katecholaminbedarf sowie bei guter Urin -<br />
<strong>aus</strong>scheidung) wird die Operation auf 3 – 4<br />
Wochen nach dem Infarkt verschoben, da<br />
die beginnende Narbenbildung günstigere<br />
operationstechnische (festere) Gewebsverhältnisse<br />
ergibt (Abb. 2). Ein Postinfarkt-<br />
VSD stellt wegen seiner hämodynamischen<br />
Relevanz praktisch immer eine dringliche<br />
OP-Indikation dar. Bei akuter Linksherz -<br />
insuffizienz, nachlassen<strong>der</strong> Diurese und<br />
steigenden Katecholamindosen ist ein notfallmäßiger<br />
Eingriff indiziert. Dabei wird<br />
<strong>der</strong> LV durch die infarzierte Wand bzw.<br />
das Aneurysma eröffnet und <strong>der</strong> VSD mit<br />
einem primär dichten Kunststoffpatch verschlossen.<br />
Gleichzeitig erfolgen (bei gegebener<br />
Indikation) eine Aneurysmaresektion<br />
und eine koronararterielle Revaskularisation.<br />
Die OP-Sterblichkeit beträgt 5 – 40<br />
Prozent. Das Risiko ist beson<strong>der</strong>s hoch,<br />
wenn innerhalb <strong>der</strong> frühen Postinfarktphase<br />
operiert werden muss und die Patienten<br />
im kardiogenen Schock zur Operation<br />
kommen (Abb. 3). Nach Überleben des<br />
Eingriffs sind die Fünf-Jahres-Überlebensraten<br />
mit 75 – 80 Prozent relativ günstig.
Ischämische Mitralinsuffizienz<br />
Auf einen Myokardinfarkt mit Papillar -<br />
muskel-(PPM-)beteiligung kann ein PPM-<br />
Abriss (= akute ischämische Mitralklappen -<br />
insuffizienz [MI]) folgen (Abb. 4).<br />
Protrahiert kann es zu Kontraktilitätsverlust,<br />
Dilatation des linksventrikulären<br />
Myokards, Fibrosierung und Verkürzung<br />
(Restriktion) des Tensorapparates mit einer<br />
resultierenden chronisch ischämischen MI<br />
kommen (Abb. 5). [4,5] Dabei entsteht eine<br />
akute/chronische systolische Mitralklappenregurgitation<br />
mit LV-Volumenüberlas -<br />
tung und möglichem Rückstau in die Lungenvenen.<br />
Bei PPM-Abriss und akuter<br />
schwerer MI überlebt ohne chirurgische<br />
Therapie nur etwa je<strong>der</strong> vierte Patient die<br />
ersten 24 Stunden. Bei partiellem Abriss<br />
und gering <strong>aus</strong>geprägtem Reflux ist die<br />
Prognose besser (70 Prozent überleben<br />
24 Stunden, 50 Prozent über einen Monat).<br />
Eine wesentlich günstigere Prognose haben<br />
Patienten mit ischämischer PPM-Dysfunktion.<br />
Bei akuter MI durch PPM-Abriss ist<br />
Herzchirurgie<br />
Abb. 1: Bei mehrzeitiger Myokardruptur 2 – 5 Tage nach dem Infarktereignis (klinisch i. d. R. Dekompensation,<br />
Lungenstauung, hier mit großem Pleuraerguss rechts) finden sich meist Koagel und frische perikardiale Adhäsionen<br />
des gesamten Herzens. Bei <strong>aus</strong>reichen<strong>der</strong> Gewebestabilität und eher kleinem Infarktareal kann <strong>der</strong> Verschluss im<br />
Sinne einer Plikatur unter Verwendung von Filzstreifen erfolgen.<br />
somit meist eine dringliche bis notfallmäßige<br />
Operationsindikation gegeben. Bei chronischer<br />
MI sollte eine Operation ab dem<br />
klinischen Schweregrad II – III (NYHA)<br />
erwogen werden. Häufig muss die akut<br />
geschädigte Mitralklappe durch eine Klappenprothese<br />
ersetzt werden, in einigen<br />
Fällen ist ein klappenerhaltendes Vorgehen<br />
möglich. Eine chronische MI mit gefestigten<br />
Gewebeverhältnissen ermöglicht dagegen<br />
nahezu <strong>aus</strong>nahmslos eine Rekonstruktion.<br />
Meist erfolgt die Implantation eines Mitralklappenringes<br />
geringer Größe (restriktive<br />
Ringannuloplastie als „Down sizing“ o<strong>der</strong><br />
mittels geometrischem Annuloplastiering<br />
mit reduzierter Höhendimension), um<br />
einen kompetenten Klappenschluss zu<br />
erzielen. Die Operationssterblichkeit <strong>für</strong><br />
den Eingriff bei PPM-Abriss in <strong>der</strong> akuten<br />
Postinfarktphase liegt bei 10 – 15 Prozent,<br />
bei chronischer MI in Abhängigkeit von<br />
<strong>der</strong> Pumpfunktion und <strong>der</strong> Komorbidität<br />
mit koronararterieller Bypassversorgung<br />
inzwischen bei nur 2 – 4 Prozent. Nach<br />
überstandener Operation ist die Prognose<br />
als günstig einzuschätzen. Auch Patienten<br />
mit schwerer chronisch ischämischer MI<br />
und eingeschränkter Kammerfunktion<br />
haben nach chirurgischer Therapie (restriktive<br />
Ringannuloplastie + Revaskularisation)<br />
eine gute Prognose. [5]<br />
Ventrikelaneurysma<br />
Eine großflächige transmurale Vernarbung<br />
<strong>der</strong> linksventrikulären Wandung, die morphologisch<br />
und ventrikulographisch als<br />
gut markierte Aussackung imponiert, wird<br />
als Ventrikelaneurysma bezeichnet. Damit<br />
ist <strong>der</strong> Ventrikel morphologisch und funktionell<br />
in ein aneurysmatisches und ein<br />
kontraktiles („Restventrikel“) Segment aufgeteilt.<br />
Die Linie dazwischen ist die so genannte<br />
„Aneurysmapforte“. Aneurysmen entstehen<br />
mit einer Häufigkeit von 10 – 30% innerhalb<br />
von 2 – 8 Wochen nach einem <strong>aus</strong>gedehnten<br />
Herzinfarkt. [2,3] Sie finden sich<br />
zu 85 Prozent im LV-Vor<strong>der</strong>wand-Spitzen-<br />
Septumbereich. Das aneurysmatische Seg-<br />
501
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Abb. 2: Postinfarktieller VSD (3 – 4 Wochen alt): Durch Ausbildung eines relativ stabilen Narbengewebes und gute Abgrenzung zum gesunden Myokard gelingt <strong>der</strong> chirurgische<br />
Verschluss in diesem Stadium fast immer.<br />
Abb. 3: Postinfarktieller VSD (20 Stunden alt): Das frische Nekroseareal ist <strong>aus</strong>gedehnt mit inhomogener Abgrenzung zum gesunden Myokard. Der VSD-Verschluss gestaltet sich<br />
in diesem frühen Stadium mitunter als äußerst schwierig.<br />
ment nimmt nicht an <strong>der</strong> Ventrikelkontraktion<br />
teil. Beim typischen Aneurysma findet<br />
sich hier eine paradoxe Pulsation. Die Globalfunktion<br />
ist häufig deutlich eingeschränkt<br />
(enddiastolischer Druck über 20 mmHg;<br />
linksventrikuläre Auswurffraktion unter<br />
35 Prozent). Wesentliche Operationsindikationen<br />
sind progrediente Linksherzinsuffizienz,<br />
„maligne“ ventrikuläre Tachykardie,<br />
Thrombembolieereignisse durch Thrombenmaterial<br />
<strong>aus</strong> dem Aneurysma und drohende<br />
Ruptur. Bei <strong>der</strong> Operation werden<br />
<strong>der</strong> LV im Aneurysmabereich eröffnet, die<br />
aneurysmatischen Wandanteile reseziert<br />
und <strong>der</strong> Ventrikel im Bereich <strong>der</strong> Aneurysmapforte<br />
verschlossen (Abb. 6). Dies kann<br />
direkt mittels Filzstreifen, U-Nahtreihe und<br />
zusätzlich überwendlicher Naht erfolgen<br />
o<strong>der</strong> im Sinne <strong>der</strong> Implantation eines<br />
Dacronpatchs als LV-Rekonstruktionsoperation<br />
nach Dor durchgeführt werden. [6]<br />
Die Wegnahme des Aneurysmas verbessert<br />
die Pumpeffizienz des LV, bei entsprechen<strong>der</strong><br />
Indikation findet zusätzlich eine koronararterielle<br />
Revaskularisation statt. Das<br />
502<br />
Operationsrisiko hängt vom Ausmaß <strong>der</strong><br />
koronaren Herzkrankheit und dem Funktionszustand<br />
des kontraktilen Restventrikels<br />
ab (2 – 10 Prozent), die Fünf-Jahres-<br />
Überlebensrate liegt bei 60 – 80 Prozent.<br />
„Maligne“ ventrikuläre Tachykardie<br />
Eine „maligne“ ventrikuläre Tachykardie<br />
(VT) ist eine Rhythmusstörung mit potenziell<br />
lebensbedrohlichem Charakter.<br />
Ursprung sind arrhythmogene Gewebe,<br />
d. h. ischämisch geschädigte Myokardareale,<br />
die meist im Grenzbereich zwischen<br />
einer Infarktzone (meist Aneurysma) und<br />
<strong>der</strong> erhaltenen Muskulatur liegen. Bis<br />
Anfang <strong>der</strong> 90er-Jahre wurde das arrhythmogene<br />
Gewebe in entsprechend <strong>aus</strong>gerichteten<br />
herzchirurgischen Zentren im<br />
Anschluss an eine intraoperative elektrophysiologische<br />
„Mapping-Untersuchung“<br />
<strong>aus</strong> dem „elektrophysiologischen Gesamtverbund“<br />
des Herzens durch Resektion,<br />
Umschneidung, Kryo- o<strong>der</strong> Laserablation<br />
eliminiert, meist in Zusammenhang mit<br />
einer Aneurysmaresektion und einer koronaren<br />
Bypassversorgung. Dieses über viele<br />
Jahre etablierte chirurgische Verfahren<br />
wurde durch implantierbare Defibrillationssysteme<br />
(ICD) und interventionelle<br />
elektrophysiologische Ablationstechniken<br />
fast vollständig abgelöst. Patienten mit<br />
malignen VTs werden heute in rhythmologisch-elekrophysiologisch<br />
<strong>aus</strong>gerichteten<br />
Zentren zunächst elektrophysiologisch<br />
untersucht (EPU, wenn möglich mit interventionellen<br />
elektrophysiologischen Ablationstechniken)<br />
und bei gegebener Indikation<br />
einer ICD-Implantation zugeführt. [3]
Abb. 4: Akute ischämische Mitralinsuffizienz mit Papillarmuskelabriss: Meist ist ein Mitralklappenersatz notwendig, in Einzelfällen gelingt eine Rekonstruktion<br />
(z. B. Goretex-Sehnenfadenersatz mit Verankerung im gesunden Papillarmuskelgewebe).<br />
Abb. 5: Chronisch ischämische Mitralinsuffizienz: Rekonstruktion mittels 3-dimensionalem (geometrischem) Annuloplastiering<br />
Literatur<br />
[1] Bruckenberger E. Herzbericht 2006 mit Transplantationschirurgie;<br />
http://www.herzbericht.de.<br />
[2] Kouchoukos NT, Blackstone EH, Doty DB et al. In:<br />
Kirklin JW/Barratt-Boyes B: Cardiac Surgery, Third Edition<br />
(Churchill Livingstone, Philadelphia, USA). Ischemic heart<br />
disease. 2003: Volume 1: 351-497.<br />
[3] Geidel S, Ostermeyer J: In: Berger M, Domschke W,<br />
Hohenberger W, Meinertz T, Possinger K, Reinhardt D.<br />
Therapie-Handbuch. Koronare Herzkrankheit: Chirurgische<br />
Therapie. Urban & Fischer München, Jena 2007;<br />
C1.2: 1-13.<br />
[4] Geidel S, Laß M, Ostermeyer J. Operative Techniken<br />
<strong>der</strong> rekonstruktiven Mitralklappenchirurgie. Hamburger<br />
<strong>Ärzte</strong>blatt 2005; 2: 60-4.<br />
[5] Geidel S, Lass M, Schnei<strong>der</strong> C, Groth G, Boczor S,<br />
Kuck KH, Ostermeyer J. Downsizing of the mitral valve<br />
and coronary revascularization in severe ischemic mitral<br />
regurgitation results in reverse left ventricular and left atrial<br />
remodeling. Eur J Cardiothorac Surg 2005; 27: 1011-6.<br />
[6] Dor V, Saab M, Coste P, Lornaszewska M, Montiglio F.<br />
Left ventricular aneurysm: a new surgical approach. Thorac<br />
Cardiovasc Surg 1989; 37: 11-7.<br />
Kontakt<br />
Oberarzt Dr. Stephan Geidel<br />
Ltd. Oberarzt PD Dr. Michael Laß<br />
Chefarzt Prof. Dr. Jörg Ostermeyer<br />
Hanseatisches Herzzentrum<br />
Abteilung <strong>für</strong> Herzchirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />
Lohmühlenstraße 5<br />
20099 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 41 50/41 51<br />
(Sekretariat <strong>der</strong> Herzchirurgie)<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 22 61<br />
(Herzchirurgische Normalstation)<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 22 62<br />
(Herzchirurgische Intensivstation)<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 22 85 (Privatstation)<br />
Fax (0 40) 18 18-85 41 84<br />
E-Mail: s.geidel@asklepios.com<br />
Herzchirurgie<br />
Abb. 6: Postinfarktielles Ventrikelaneurysma:<br />
Resektion und Verschluss im Sinne einer Plikatur unter<br />
Verwendung von Filzstreifen<br />
503
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Heimbeatmung<br />
– einfach nur Beatmung zu H<strong>aus</strong>e?<br />
Dr. Martin Bachmann<br />
Die Zahl <strong>der</strong> Patienten, die in häuslicher Umgebung eine Beatmungs -<br />
therapie durchführen, stieg in den vergangenen Jahren deutlich, daher<br />
werden nie<strong>der</strong>gelassene H<strong>aus</strong>- und Fachärzte wie auch Krankenh<strong>aus</strong>ärzte<br />
immer häufiger mit dieser Therapieform konfrontiert.<br />
Die Heimbeatmung ist eine inzwischen gut<br />
etablierte Therapieform, die am häufigsten<br />
bei Patienten mit COPD, <strong>aus</strong>geprägter Adipositas<br />
o<strong>der</strong> neuromuskulären Erkrankungen<br />
eingesetzt wird. Ihre konsequente<br />
Anwendung führt meist zu einer Lebensverlängerung<br />
und Steigerung <strong>der</strong> Lebensqualität.<br />
Bei richtiger Indikationsstellung<br />
und guter Betreuung lassen sich schwerwiegende<br />
Komplikationen <strong>der</strong> Grund -<br />
erkrankungen verhin<strong>der</strong>n.<br />
Heimbeatmung kann über zwei Wege<br />
erfolgen: den häufig angewandten „nicht<br />
invasiven Zugang“, meist mit einer Naseno<strong>der</strong><br />
Mund-Nasenmaske, o<strong>der</strong> den „invasiven<br />
Zugang“ über eine Trachealkanüle.<br />
Der nicht invasive Zugang ist unkomplizierter,<br />
<strong>für</strong> den Patienten angenehmer und<br />
komplikationsärmer. In <strong>der</strong> Regel führen<br />
die Patienten die nicht invasive Heimbeatmung<br />
selbstständig o<strong>der</strong> mithilfe ihrer<br />
Angehörigen durch.<br />
504<br />
Wesentliche Heimbeatmungsindikation ist<br />
die symptomatische, chronisch ventilatorische<br />
Insuffizienz (CVI). Sie ist durch eine<br />
CO2-Erhöhung (Hyperkapnie) zunächst<br />
während des Schlafes, später auch während<br />
des Wachzustands, gekennzeichnet.<br />
Die Erkrankungsbil<strong>der</strong>, <strong>für</strong> die eine Heimbeatmung<br />
infrage kommt, sind vielfältig<br />
und entstammen verschiedenen Fachgebieten<br />
(Tab. 1).<br />
Die Indikation <strong>für</strong> eine Beatmungstherapie<br />
richtet sich nach zugrunde liegenden Er -<br />
krankungen, klinischer Beschwerdesymptomatik<br />
und den Ergebnissen <strong>der</strong> Funktionsuntersuchungen.<br />
Entscheidend <strong>für</strong><br />
den Therapiebeginn ist die subjektive<br />
Beeinträchtigung durch beispielsweise<br />
Ruhedyspnoe, Tagesmüdigkeit mit Einschlafneigung<br />
und morgendliche Kopfschmerzen.<br />
Zur Diagnostik gehören Blutgasanalysen<br />
am Tag und in <strong>der</strong> Nacht,<br />
nächtliche Pulsoxymetrie und Kapnometrie<br />
sowie schlafmedizinische Untersuchungen<br />
wie Polygraphie und Polysomnographie.<br />
Ein weiterer diagnostischer B<strong>aus</strong>tein ist<br />
die Lungenfunktion mit Atemmuskel -<br />
funktionstestung, Messung des maximalen<br />
Hustenstoßes (PCF) und <strong>der</strong> maximal in -<br />
sufflierbaren Kapazität (MIC). Ist Beatmung<br />
indiziert, werden die Patienten unter stationären<br />
Bedingungen zunächst tagsüber<br />
an ein Heimbeatmungsgerät gewöhnt.<br />
Bei guter Toleranz <strong>der</strong> Beatmung kann an -<br />
schließend die nächtliche Beatmung beginnen.<br />
Angestrebt wird die kontrollierte o<strong>der</strong><br />
assistiert-kontollierte Beamtung, die eine<br />
möglichst vollständige Entlastung <strong>der</strong><br />
Atemmuskulatur (Atempumpe) gewähr -<br />
leistet. Patient und Angehörige erlernen<br />
während des stationären Aufenthalts die<br />
selbstständige Handhabung <strong>der</strong> Maske<br />
und des Geräts.<br />
Etwa 20 – 30 Prozent langzeitbeatmeter<br />
Patienten auf Intensivstationen mit schwieriger<br />
Entwöhnbarkeit vom Beatmungsgerät<br />
(„schwieriges o<strong>der</strong> prolongiertes Weaning“)
Heimbeatmeter Patient<br />
■ COPD / Lungenemphysem<br />
■ Brustwan<strong>der</strong>krankungen, wie z. B.<br />
– Kyphoskoliose<br />
– Folgezustände nach Thorakoplastik bei Tbc<br />
■ Neuromuskuläre Erkrankungen, wie z. B.<br />
– Muskeldystrophie Duchenne<br />
– Spinale Muskelatrophie<br />
– Amyotrophe Lateralsklerose<br />
– Myotone Dystrophie Curschmann Steinert<br />
■ Obesitas-Hypoventilationssyndrom<br />
■ Hohe Querschnittslähmung<br />
mit Beeinträchtigung <strong>der</strong> Zwerchfellaktivität<br />
■ Zwerchfellparese verschiedener Ursachen<br />
Tab. 1: Erkrankungen, die zur chronisch ventilatorischen<br />
Insuffizienz führen können<br />
benötigen eine Heimbeatmungstherapie,<br />
um dauerhaft stabil zu bleiben. Daher sollte<br />
bei diesen Patienten die Notwendigkeit<br />
einer langfristig erfor<strong>der</strong>lichen Heimbeatmung<br />
abgeklärt werden.<br />
Gelingt die Entwöhnung von <strong>der</strong> invasiven<br />
Beatmung auch in einem spezialisierten<br />
Zentrum nicht, muss die Beatmung lang -<br />
fristig über ein Tracheostoma als invasive<br />
Heimbeatmung weitergeführt werden.<br />
Dies ist deutlich aufwendiger und erfor<strong>der</strong>t<br />
eine umfassende Weiterversorgung,<br />
die dezidiert geplant und koordiniert werden<br />
muss. Abhängig davon, ob <strong>der</strong> Patient<br />
in die häusliche Umgebung o<strong>der</strong> in eine<br />
Betreuungseinrichtung entlassen wird,<br />
müssen ein kompetenter Pflegedienst organisiert,<br />
Angehörige o<strong>der</strong> betreuende Pflegekräfte<br />
bezüglich <strong>der</strong> Beatmungsmodalitäten<br />
geschult und eingewiesen werden.<br />
Heimbeatmete Patienten sind schwer kranke<br />
Patienten. Sie bewegen sich potenziell<br />
Abb. 1: Versorgungskonzept Beatmungszentrum<br />
Hamburg-Harburg<br />
immer zwischen häuslicher Umgebung<br />
und stationärer Krankenh<strong>aus</strong>aufnahme<br />
mit Behandlung auf einer peripheren Be -<br />
atmungsstation o<strong>der</strong> Intensivstation. Da<strong>für</strong><br />
muss ein umfassendes Netzwerk mit allen<br />
Versorgungsmöglichkeiten, Ansprechpartnern,<br />
Notfallversorgungskonzepten und<br />
spezifischen Aufnahme- und Behandlungsmöglichkeiten<br />
zur Verfügung stehen (Abb.<br />
2). Kompetente Beatmungsmediziner des<br />
betreuenden Beatmungszentrums müssen<br />
<strong>für</strong> Patienten und betreuende H<strong>aus</strong>ärzte<br />
kurzfristig erreichbar sein. Daneben kann<br />
eine Spezialsprechstunde <strong>für</strong> tracheotomierte<br />
und nicht-tracheotomierte, heimbeatmete<br />
Patienten wie im Beatmungszentrum<br />
Hamburg-Harburg die Kooperation<br />
zwischen ambulanter und stationärer Versorgung<br />
erleichtern. Nie<strong>der</strong>gelassene Fachärzte<br />
<strong>für</strong> Innere Medizin/Pneumologie<br />
o<strong>der</strong> Neurologie können hier Patienten mit<br />
<strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Einleitung einer Heimbeatmungstherapie<br />
o<strong>der</strong> Heimbeatmungsproblemen<br />
ambulant vorstellen o<strong>der</strong> überwei-<br />
Lungenheilkunde<br />
Abb. 2: Beatmungszentrum Hamburg-Harburg<br />
sen. In Kooperation mit den nie<strong>der</strong>gelassenen<br />
Kollegen wird so eine Rundumversorgung<br />
gewährleistet, die medizinische<br />
Aspekte <strong>der</strong> Versorgung sowie die Lebensqualität<br />
<strong>der</strong> Patienten berücksichtigt und<br />
sie mit ihrer Heimbeatmung zu H<strong>aus</strong>e<br />
nicht allein lässt.<br />
Kontakt<br />
Dr. Martin Bachmann<br />
Lungenabteilung<br />
Oberarzt, Leiter des Beamtungszentrums<br />
Hamburg-Harburg<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />
Eißendorfer Pferdeweg 52<br />
21075 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-86 22 41<br />
Fax (0 40) 18 18-86 33 22<br />
E-Mail: ma.bachmann@asklepios.com<br />
505
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
ADHS im Erwachsenenalter<br />
Dipl.-Psych. Karina Günther<br />
Kennzeichnend <strong>für</strong> die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />
(ADHS) sind vermin<strong>der</strong>te Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.<br />
[4] Früher wurde ADHS mit den minimalen zerebralen Dysfunktionen<br />
gleichgesetzt. Darunter wurden die Symptome <strong>der</strong> ADHS und die <strong>der</strong> Teil -<br />
leistungsschwächen gefasst. Erstmals als eigenständiges Krankheitsbild ab -<br />
gegrenzt wurde die ADHS im ICD-9 (1978) und im DSM-III (1980), wobei<br />
<strong>der</strong> DSM-III dem Persistieren von Symptomen bis ins Erwachsenenalter mit<br />
<strong>der</strong> Bezeichnung „Attention Defizit Disor<strong>der</strong> Residual Type“ Rechnung trug.<br />
Mit einer Prävalenz von 5 – 9 Prozent ist<br />
die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />
die häufigste kin<strong>der</strong>psychiatrische<br />
Störung. Bis Ende <strong>der</strong> 1990er-Jahre<br />
wurde sie in Deutschland nur im Kindesund<br />
Jugendalter diagnostiziert. Im Erwachsenenalter<br />
liegt die Prävalenzrate bei 1 – 6<br />
Prozent, wobei Männer drei Mal häufiger<br />
betroffen sind als Frauen. Man geht heute<br />
davon <strong>aus</strong>, dass keine Erstmanifestationen<br />
im Erwachsenenalter auftreten, son<strong>der</strong>n<br />
dass die Symptome über die Adoleszenz<br />
hin<strong>aus</strong> bestehen bleiben. Bei bis zu 2 /3 <strong>der</strong><br />
betroffenen Kin<strong>der</strong> treten auch im Erwachsenenalter<br />
Störungen auf. [1]<br />
Symptomatik<br />
Patienten im Erwachsenenalter werden<br />
meist wegen depressiver Verstimmungen<br />
vorstellig, Angstproblematiken o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Sorge, den Überblick über ihr Leben zu<br />
verlieren. Meist wird eine <strong>aus</strong>geprägte<br />
Selbstwertproblematik mit Depressionen<br />
und psychosomatischen Symptomen sichtbar.<br />
Aufgrund fehlen<strong>der</strong> motorischer Un -<br />
ruhe können diese Symptome dem Bereich<br />
<strong>der</strong> Persönlichkeitsstörungen zugeordnet<br />
werden, sodass unter Umständen eine adäquate<br />
Behandlung <strong>aus</strong>bleibt. [1] Allerdings<br />
sind die Zusammenhänge zwischen ADHS<br />
und Persönlichkeitsstörungen (vor allem<br />
<strong>der</strong> Dissozialen und <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung)<br />
noch nicht hinreichend<br />
geklärt. Als wichtige Merkmale gelten<br />
506<br />
abnorme Ausmaße an Unaufmerksamkeit,<br />
Überaktivität und Impulsivität – und zwar<br />
über die Zeit stabil und situationsübergreifend.<br />
[3] Hauptmerkmal <strong>der</strong> Aufmerksamkeits-<br />
und Konzentrationsstörung ist die<br />
geringe Aufmerksamkeitsspanne auch im<br />
Erwachsenenalter. Häufig treten kurze<br />
Lernzeiten auf, sodass Schwierigkeiten bei<br />
alltäglichen Tätigkeiten deutlich werden,<br />
wie dem Anhören von Vorträgen o<strong>der</strong><br />
beim Zeitungslesen. Die leichte Ab lenkbar -<br />
keit kann Arbeitsstörungen <strong>aus</strong>lösen. Da die<br />
Betroffenen häufig stark auf die Störquellen<br />
fokussieren, kann eine Vermeidung von<br />
Reizüberflutung in fast allen Lebensbereichen<br />
die Folge sein. Die sozialen Rückzugstendenzen<br />
können fälschlich zur Diagnose<br />
einer sozialen Phobie führen.<br />
Die Störung <strong>der</strong> motorischen Aktivität bzw.<br />
Überaktivität ist ein weiteres Kennzeichen<br />
<strong>der</strong> ADHS. Sie ist im Erwachsenenalter<br />
weniger sichtbar. Betroffene haben aber<br />
Probleme, wenn sie länger sitzen bleiben<br />
müssen; zeigen generell Entspannungs -<br />
probleme. Als Ausgleich zu sitzenden<br />
Tätigkeiten treiben sie häufig mehrfach<br />
pro Woche Sport.<br />
Die Desorganisation <strong>der</strong> Betroffenen kann<br />
sich in <strong>der</strong> Unordnung aufgrund fehlen<strong>der</strong><br />
Selbststrukturierung zeigen. Diese fällt<br />
wegen <strong>der</strong> ständig wechselnden Inhalte<br />
<strong>der</strong> Aufmerksamkeitsfokussierung und<br />
damit einhergehen<strong>der</strong> fehlen<strong>der</strong> Selbstkon-<br />
trolle schwer. Die chaotische Organisation<br />
kann vermehrt Selbstwertzweifel hervor -<br />
rufen. Bei hyper-, aber auch hypoaktiven<br />
Menschen scheint die negative Selbsteinschätzung<br />
sogar an <strong>der</strong> Tagesordnung zu<br />
sein. Eigene Leistungen werden selten als<br />
positiv gewertet, häufig erleben sie sich als<br />
vermin<strong>der</strong>t leistungsfähig, was in einer<br />
Destabilisierung des Selbstwertgefühls<br />
münden kann.<br />
Die Störung <strong>der</strong> Impulskontrolle kann<br />
sich auf verschiedenen Ebenen zeigen.<br />
Kennzeichnend hier<strong>für</strong> ist die Neigung zu<br />
unüberlegtem Handeln, ohne die Konsequenzen<br />
abzuschätzen. Betroffene scheinen<br />
sich häufiger motorische Aktivitäten zu<br />
suchen, ohne die Risiken abzuschätzen.<br />
Außerdem zeigt sich eine aggressive<br />
Impulsivität in Stresssituationen, die im<br />
Wi<strong>der</strong>spruch zu <strong>der</strong> möglichen Fürsorglichkeit<br />
in Entspannungssituationen zu<br />
stehen scheint. Die Scheidungsrate ist im<br />
Vergleich zur Allgemeinbevölkerung höher<br />
(28 % vs. 15 %). [1]<br />
Diagnostik<br />
Die Erstdiagnose einer ADHS im Erwachsenenalter<br />
ist wegen des jahrelangen An -<br />
passungsprozesses an die Symptomatik<br />
meist schwierig. Im ersten Schritt sollte ein<br />
semistrukturiertes Interview erfolgen, in<br />
dem die aktuellen Beschwerden exploriert<br />
werden. Daten über Familienangehörige
sollten erfragt werden, da eine genetische<br />
Disposition als wahrscheinlich gilt. Des<br />
Weiteren ist eine Kindheitsanamnese erfor<strong>der</strong>lich,<br />
da <strong>für</strong> die Diagnose ADHS gezeigt<br />
werden muss, dass typische Symptome<br />
bereits im Kindesalter auftraten und bis ins<br />
Erwachsenenalter persistieren. Dabei helfen<br />
fremdanamnestische Daten von Eltern<br />
o<strong>der</strong> Lehrern. Sind diese nicht verfügbar,<br />
können Beurteilungen <strong>aus</strong> Schulzeugnissen<br />
wichtige Hinweise liefern. Weiterhin werden<br />
Selbstbeurteilungsskalen und testpsychologische<br />
Untersuchungen <strong>für</strong> die Diag -<br />
nostik herangezogen. Sie kommen zur<br />
Erfassung des Arbeitsverhaltens und <strong>der</strong><br />
individuellen Möglichkeiten <strong>der</strong> Betroffenen<br />
zum Einsatz. Hauptaugenmerk sollte<br />
dabei auf <strong>der</strong> geteilten Aufmerksamkeit<br />
und <strong>der</strong> Dauerbelastbarkeit bei subjektiv<br />
als langweilig erlebten Situationen liegen. [1]<br />
Zur Abgrenzung o<strong>der</strong> Bestätigung einer<br />
Komorbidität können die parallele Anwendung<br />
beispielsweise von SKID-II und<br />
DIB-R (Diagnostisches Interview <strong>für</strong> das<br />
Bor<strong>der</strong>line-Syndrom) erfor<strong>der</strong>lich sein.<br />
Behandlungsmöglichkeiten<br />
Bei <strong>der</strong> ADHS-Therapie sollten verschiedene<br />
Elemente verknüpft werden (multimodales<br />
Therapiekonzept). Dies kann Psychoedukation,<br />
medikamentöse Behandlung,<br />
Psychotherapie, Arbeit mit Bezugspersonen,<br />
Selbsthilfegruppen und Therapie bei<br />
komorbiden Störungen beinhalten. [4]<br />
Störungen im Katecholaminh<strong>aus</strong>halt und<br />
möglicherweise auch im Serotoninh<strong>aus</strong>halt<br />
werden als eine Ursache <strong>der</strong> ADHS angesehen.<br />
Methylphenidat ist neben dem Kindes-<br />
und Jugendalter auch bei Erwachsenen<br />
das Mittel <strong>der</strong> ersten Wahl. In Deutschland<br />
ist es noch nicht <strong>für</strong> die Indikation im Er -<br />
wachsenenalter zugelassen (off-label-use).<br />
Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 20 –<br />
30 mg/Tag auf 2 – 3 Dosen verteilt, unter<br />
Umständen sind 80 mg/Tag erfor<strong>der</strong>lich.<br />
[5]<br />
Atomoxetin als selektiver Noradrenalinwie<strong>der</strong>aufnahmehemmer<br />
erwies sich als<br />
wirksam bezüglich <strong>der</strong> Reduktion von<br />
Impulsivität, motorischer Unruhe und <strong>der</strong><br />
Verbesserung <strong>der</strong> Aufmerksamkeit. Bei<br />
Jugendlichen/Erwachsenen über 70 kg<br />
Kör pergewicht liegt die empfohlene<br />
An fangsdosis bei 40 mg/Tag, die nach<br />
mindes tens drei Tagen auf 80 mg/Tag<br />
erhöht werden darf. [2]<br />
Grundsätzlich sollte die Verordnung von<br />
Psychopharmaka nicht ohne eine Psychotherapie<br />
stattfinden.<br />
Psychotherapie kann notwendig werden,<br />
da im dritten Lebensjahrzehnt die Kompensationsmechanismen<br />
nachzulassen<br />
scheinen, sodass die Betroffenen den<br />
Alltag als belasten<strong>der</strong> erleben. Aus den<br />
Unzulänglichkeitsgefühlen kann sich eine<br />
anhaltende depressive Verstimmung entwickeln,<br />
die Anlass geben kann, sich in<br />
Psychotherapie zu begeben. In <strong>der</strong> Verhaltenstherapie<br />
stehen die Anleitung zum<br />
Selbstmanagement und die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Selbstkognition auch in Verbindung mit<br />
geeigneter Medikation im Vor<strong>der</strong>grund.<br />
Bei bestehen<strong>der</strong> Selbstwertproblematik<br />
könnte eine <strong>aus</strong>schließlich verhaltenstherapeutisch<br />
orientierte Psychotherapie nicht<br />
<strong>aus</strong>reichend sein. Erstes Ziel <strong>der</strong> psychoanalytisch<br />
interaktionellen Methode ist die<br />
Unterstützung <strong>der</strong> Betroffenen bei <strong>der</strong> Entwicklung<br />
eines Arbeitsbündnisses. Durch<br />
die Interaktion mit dem Therapeuten er -<br />
fahren sie eine Wertschätzung <strong>der</strong> eigenen<br />
Person, die zu einem stabileren Selbstwertgefühl<br />
beitragen kann. In <strong>der</strong> tiefenpsychologisch<br />
fundierten Psychotherapie stehen<br />
die Beziehungs- und Entwicklungsangebote<br />
eines Therapeuten im Vor<strong>der</strong>grund, <strong>der</strong> die<br />
unbefriedigt gebliebenen Entwicklungs -<br />
bedürfnisse empathisch anerkennt und den<br />
Auf- und Ausbau einer Welt ohne bedrohliche<br />
Erfahrungen unterstützt. [3] Durch<br />
Einbeziehung <strong>der</strong> Partner in die Therapie<br />
werden die Bemühungen des Angehörigen<br />
Psychiatrie<br />
gewürdigt. Das Aufdecken <strong>der</strong> Kommunikationsmuster<br />
kann wie<strong>der</strong> Verständnis <strong>für</strong><br />
den an<strong>der</strong>en schaffen. Gemeinsam lassen<br />
sich strukturelle Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Alltagsroutine<br />
planen. [1]<br />
In vielen Fällen ist eine ambulante Psychotherapie<br />
<strong>aus</strong>reichend. Sind hingegen die<br />
sozialen Bezüge bereits weggebrochen, ist<br />
eine Suizidalität ambulant nicht beherrschbar,<br />
ist die Symptomatik beson<strong>der</strong>s <strong>aus</strong>geprägt<br />
und ein kontinuierliches Aufsuchen<br />
einer Praxis nicht mehr möglich, dann sollte<br />
eine stationäre Behandlung beginnen.<br />
Unsere Station <strong>für</strong> „Junge Erwachsene“<br />
verfügt <strong>für</strong> Patienten mit <strong>der</strong> dargestellten<br />
Problematik über gezielte therapeutische<br />
Angebote.<br />
Literatur<br />
[1] Kr<strong>aus</strong>e J, Kr<strong>aus</strong>e KH. ADHS im Erwachsenenalter.<br />
Stuttgart: Schattauer 2005.<br />
[2] Sevecke K, Battel S, Dittmann R, Lehmkuhl G, Döpfner<br />
M. Wirksamkeit von Atomoxetin bei Kin<strong>der</strong>n, Jugendlichen<br />
und Erwachsenen mit ADHS. Eine systematische Übersicht.<br />
Nervenarzt 2005; 77: 294-308.<br />
[3] Streeck-Fischer A. „Neglekt“ bei <strong>der</strong> Aufmerksamkeitsdefizit-<br />
und Hyperaktivitäts-Störung. Psychotherapeut<br />
2006; 51: 80-90.<br />
[4] ADHS bei Erwachsenen. Sichtweisen und Empfehlungen.<br />
Firma Lilly.<br />
[5] Rote Liste. Arzneimittelverzeichnis <strong>für</strong> Deutschland<br />
(2007). Rote Liste Service GmbH Frankfurt/Main.<br />
Kontakt<br />
Dipl.-Psych. Karina Günther<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord Ochsenzoll<br />
Station Psy 46<br />
Langenhorner Ch<strong>aus</strong>see 560<br />
22419 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 16 88<br />
Fax (0 40) 18 18-87 16 84<br />
E-Mail: k.guenther@asklepios.com<br />
507
Medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Personalia<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg: Neuer Chefarzt <strong>der</strong> Abteilung<br />
<strong>für</strong> Anästhesiologie und operative Intensivmedizin<br />
Seit dem 1. Januar 2008 leitet Priv.-Doz. Dr. Thoralf Kerner die<br />
Abteilung <strong>für</strong> Anästhesiologie und operative Intensivmedizin an<br />
<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg. Kerner wurde 1966 in Berlin geboren,<br />
studierte Humanmedizin an <strong>der</strong> Freien Universität Berlin und<br />
absolvierte seine Ausbildung zum Facharzt <strong>für</strong> Anästhesiologie an<br />
<strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Anästhesiologie und operative Intensivmedizin am<br />
Campus Virchow-<strong>Klinik</strong>um <strong>der</strong> Charité. Er wurde 2000 Oberarzt<br />
<strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>, habilitierte 2003 und war dort zuletzt Mitglied <strong>der</strong><br />
erweiterten <strong>Klinik</strong>leitung. Kerners wissenschaftliche Schwerpunkte<br />
liegen in den Bereichen Trauma, Kreislaufregulation, Immun -<br />
system und Notfallmedizin. Er erwarb u. a. die Zusatz bezeichnung<br />
<strong>für</strong> Ärztliches Qualitätsmanagement und war in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong><br />
leitenden Notärzte Berlins aktiv. Kerner ist verheiratet und Vater<br />
von zwei Töchtern. In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg wird Kerner<br />
mit seinem Team die Bereiche Kin<strong>der</strong>anästhesie, Regionalanästhesie<br />
und OP-Management weiterentwickeln.<br />
508<br />
Kontakt<br />
Priv.-Doz. Dr. Thoralf Kerner<br />
Abteilung <strong>für</strong> Anästhesiologie und<br />
operative Intensivmedizin<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />
Eißendorfer Pferdeweg 52<br />
21075 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-86 25 01<br />
Fax (0 40) 18 18-86 30 73<br />
E-Mail: t.kerner@asklepios.com<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek:<br />
Neuer Chefarzt <strong>der</strong> II. Medizinischen Abteilung<br />
Am 1. Januar 2008 übernahm Prof. Dr. Ulrich Treichel als Nachfolger<br />
von Prof. Dr. Michael Otte die Leitung <strong>der</strong> II. Medizinischen<br />
Abteilung in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek. Treichel wurde in<br />
Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr geboren, ist verheiratet und Vater von fünf<br />
Kin<strong>der</strong>n. Er studierte Humanmedizin an <strong>der</strong> Heinrich-Heine-Universität<br />
in Düsseldorf und promovierte dort zu einem Thema über<br />
die zellbiologische Funktion <strong>der</strong> Leberzellmembran. Die Weiter -<br />
bildung zum Facharzt <strong>für</strong> Innere Medizin und zum Gastroenterologen<br />
absolvierte Treichel an <strong>der</strong> I. Medizinischen <strong>Klinik</strong> und Poliklinik<br />
im <strong>Klinik</strong>um <strong>der</strong> Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
unter Prof. Meyer zum Büschenfelde. Zwischenzeitlich war er als<br />
DFG-Stipendiat am Liver Research Center, AECOM in New York<br />
und habilitierte sich anschließend in Mainz mit einem Thema zur<br />
immunologischen Erkennung <strong>der</strong> Leberzellmembran. 1998 wechselte<br />
Treichel als leiten<strong>der</strong> Oberarzt an die Abteilung <strong>für</strong> Gastro -<br />
enterologie und Hepatologie des Universitätsklinikums Essen.<br />
Anfang 2006 übernahm er von Dr. Volker Cautius die Leitung <strong>der</strong><br />
<strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Innere Medizin am Dominikus-Krankenh<strong>aus</strong> in Düsseldorf.<br />
Treichels wissenschaftliche Schwerpunkte liegen im Bereich<br />
<strong>der</strong> experimentellen und klinischen Hepatologie, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />
chronischen Hepatitis und im Bereich <strong>der</strong> interventionellen Endo -<br />
skopie. Er ist Mitglied mehrerer nationaler und internationaler<br />
Fachgesellschaften und <strong>der</strong> Arzneimittelkommission <strong>der</strong> Bundesärzteschaft.<br />
In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek wird Treichel mit<br />
seinem Team die Schwerpunkte chronisch entzündlicher Erkrankungen<br />
des Magen-Darm-Traktes und <strong>der</strong> Leber sowie die interventionelle<br />
Endoskopie weiterentwickeln. Beson<strong>der</strong>s wichtig ist<br />
ihm die Fortentwicklung <strong>der</strong> interdisziplinären Viszeralmedizin<br />
einschließlich des Tumorschwerpunktes. Dabei legt er beson<strong>der</strong>en<br />
Wert auf zielorientiertes, persönlich verbindliches Arbeiten.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Ulrich Treichel<br />
II. Medizinische Abteilung<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek<br />
Alphonsstraße 14, 22043 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-83 12 56<br />
Fax (0 40) 18 18-83 16 30<br />
E-Mail: u.treichel@asklepios.com
Hereditäre Thrombophiliediathesen<br />
Dr. rer. nat. Thomas Brodegger<br />
Hereditäre Thromboserisiken<br />
Die beiden häufigsten genetischen Verän<strong>der</strong>ungen,<br />
die zu einer Risikoerhöhung<br />
eines thromboembolischen Ereignisses führen,<br />
sind die Faktor V Leiden-Mutation mit<br />
einer Prävalenz in <strong>der</strong> europäischen Bevölkerung<br />
von etwa 5–7% und die Prothrombinmutation<br />
(2–3%). [1] Bei weiteren Proteinen<br />
mit geringerer Prävalenz bei den<br />
genetischen Varianten wurden ebenfalls<br />
pathologisch relevante Mutationen nachgewiesen.<br />
Tab. 1 zeigt eine Übersicht <strong>der</strong><br />
bedeutendsten hereditären Risikofaktoren<br />
<strong>für</strong> Thrombosen.<br />
Faktor V<br />
Der Faktor V (FV) spielt sowohl im koagulatorischen<br />
als auch im anti-koagulatorischen<br />
Gerinnungsprozess eine Rolle. In<br />
seiner aktiven Form (FVa) dient er im ko -<br />
agulatorischen System als Co-Faktor des<br />
aktivierten Faktor X (FXa) im Prothrombinasekomplex,<br />
<strong>der</strong> die Konversion des Prothrombins<br />
zu Thrombin katalysiert. Die<br />
Aktivität des FVa wird durch die proteolytische<br />
Spaltung an drei Arginin-Aminosäureresten<br />
an Position 306, 506 und 679 durch<br />
das aktivierte Protein C (aPC) drastisch<br />
reduziert. Die häufigste genetische Verän<strong>der</strong>ung<br />
repräsentiert die Faktor V Leiden-<br />
Mutation. [4] Die Punktmutation bewirkt<br />
einen Aminosäure<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch an Position<br />
506 von Arginin zu Glutamin, wodurch<br />
diese Spaltungsstelle zerstört wird und <strong>der</strong><br />
FVa nicht mehr <strong>aus</strong>reichend inaktiviert<br />
werden kann. Abb. 1 zeigt die Struktur des<br />
Faktor V mit <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Mutation betroffenen<br />
Aminosäure Arg506 (blau). Neben<br />
<strong>der</strong> Faktor V Leiden-Mutation sind weitere<br />
Punktmutationen beschrieben (z. B. FV<br />
Cambridge, FV Hong Kong), die aufgrund<br />
ihrer geringen Prävalenz aber eine unter -<br />
geordnete Rolle spielen.<br />
Prothrombin<br />
Prothrombin ist die Vorstufe des Thrombins<br />
(Faktor IIa), einem Vitamin K-abhängigen<br />
Faktor im Gerinnungssystem, <strong>der</strong><br />
die Umwandlung des Fibrinogens zu<br />
Fibrin katalysiert und somit pro-koagulatorisch<br />
wirkt. Die Mutation im Prothrombin-<br />
Gen (G20210A) umfasst eine definierte<br />
Punktmutation von Guanin zu Adenin an<br />
Position 20210 im 3’-untranslatierten<br />
Bereich des Gens, die somit nicht die Aminosäuresequenz<br />
des Proteins beeinflusst. [5]<br />
Ihre Auswirkung liegt wahrscheinlich in<br />
Molekulargenetik<br />
Die Gerinnung ist ein komplexes, multifaktorielles Ereignis, dem ein Gleichgewicht zwischen koagulatorischen<br />
und anti-koagulatorischen Faktoren zugrunde liegt. Die Störung dieses Hämostasesystems kann zum einen<br />
Blutungsneigung steigern, zum an<strong>der</strong>en das Risiko erhöhen, einem thromboembolischen Ereignis zu erliegen.<br />
Die Ursachen <strong>für</strong> eine Störung des Hämostasesystems können hereditären Ursprungs sein o<strong>der</strong> durch an<strong>der</strong>e<br />
Krankheiten, wie z. B. Karzinom, erworben sein.<br />
einer effektiveren Katalyse <strong>der</strong> Prozessierung,<br />
die in einer Anhäufung von mRNA<br />
und einer Steigerung <strong>der</strong> Proteinbiosynthese<br />
resultiert, was zu einem erhöhten Prothrombinspiegel<br />
führt. [1]<br />
Protein C, Protein S, Antithrombin<br />
Im Gegensatz zu den Punktmutationen im<br />
Faktor V- und im Prothrombin-Gen sind die<br />
Verän<strong>der</strong>ungen in den Genen <strong>für</strong> Protein<br />
C, Protein S und Antithrombin, bei denen<br />
eine entsprechende Familien- und Eigen -<br />
anamnese vorliegen, sehr viel heterogener<br />
verteilt und die Prävalenz <strong>der</strong> einzelnen<br />
Mutation deutlich geringer. Die Diversität<br />
<strong>der</strong> Mutationen stellt die molekulargenetische<br />
Diagnostik vor Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen in<br />
<strong>der</strong> Testung und <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong><br />
Ergebnisse. Da eine unbekannte Verän<strong>der</strong>ung<br />
vorliegen kann, muss das gesamte<br />
Gen analysiert werden. Hier<strong>für</strong> steht beispielsweise<br />
die Sequenziertechnik zur Verfügung.<br />
Sie ist in <strong>der</strong> Lage, die meisten<br />
Mutationen zu detektieren, <strong>der</strong>zeit allerdings<br />
noch relativ teuer und aufwendig.<br />
Wird eine genetische Verän<strong>der</strong>ung erkannt,<br />
muss die pathologische Relevanz geklärt<br />
werden. Nicht jede Verän<strong>der</strong>ung führt<br />
automatisch zu einer Beeinträchtigung des<br />
509
medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />
Abb. 1: Faktor V-Proteinstruktur mit den proteolytischen Spaltungsstellen <strong>für</strong> das aktivierte Protein C Arginin 306<br />
und 679 (grün) sowie bei dem Faktor V Leiden verän<strong>der</strong>tem Arginin 506 (blau). (a) Proteinoberfläche;<br />
(b) Tertiärstruktur (Strukturdaten <strong>aus</strong> Brookhaven-Datenbank, 1y61.pdb).<br />
Proteins. Während ein Aminosäure<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch<br />
durch eine Mutation an einer<br />
bestimmten Position des Proteins fatale<br />
Auswirkungen haben kann, ist <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch<br />
an einer an<strong>der</strong>en Position <strong>der</strong> Aminosäurekette<br />
unter Umständen unproblematisch.<br />
Wie wirken sich beispielsweise<br />
kleine „in frame“-Deletionen o<strong>der</strong> -Insertionen<br />
auf die Funktionalität des Proteins<br />
<strong>aus</strong>?<br />
Sind die Verän<strong>der</strong>ungen bisher noch nicht<br />
untersucht, kann es schwierig sein, die<br />
Auswirkungen zu prognostizieren, sodass<br />
eine Unsicherheit in <strong>der</strong> Relevanz <strong>der</strong><br />
gefundenen genetischen Verän<strong>der</strong>ung<br />
besteht.<br />
Methylentetrahydrofolatreduktase<br />
(MTHFR)<br />
Ein erhöhter Homocysteinspiegel im Plasma<br />
gilt als unabhängiger Risikofaktor <strong>für</strong><br />
venöse [6] sowie arterielle Thrombosen.<br />
Ursachen können erworbene Hyperhomocysteinämien<br />
durch Mangel an Vitamin B6,<br />
Vitamin B12 o<strong>der</strong> Folsäure sein, aber auch<br />
genetische Ursachen sind in <strong>der</strong> Diskussion.<br />
Eine Mutation, die mit einem erhöhten<br />
Homocysteinspiegel assoziiert wurde,<br />
510<br />
a b<br />
ist die C677T-Mutation im MTHFR-Gen.<br />
Neuere Daten konnten aber keinerlei<br />
Zusammenhang zwischen dieser Mutation<br />
und einer Hyperhomocysteinämie herstellen.<br />
Neben den aufgeführten Faktoren haben<br />
auch weitere genetische Faktoren einen<br />
Einfluss auf das Thromboserisiko. Im<br />
Gegensatz zu Mutationen/Polymorphis -<br />
men, die eine Erhöhung des Risikos bedeuten,<br />
stehen weiterhin auch Verän<strong>der</strong>ungen<br />
wie beim Faktor XIII-Gen im Fokus, die<br />
eine Schutzfunktion <strong>aus</strong>üben könnten. [7]<br />
Diagnostik<br />
Die Mutationsuntersuchungen auf Faktor<br />
V Leiden und im Prothrombin-Gen sind im<br />
Zuge eines individualisierten Screenings<br />
angesiedelt (Abb. 2). Für das Prothrombin<br />
ist kein funktioneller Test in <strong>der</strong> Routine -<br />
diagnostik verfügbar, daher kann statt -<br />
dessen die genetische Testung als geeignete<br />
Methode eingesetzt werden. Für die aPC-<br />
Resistenz sind funktionelle Tests in Ge -<br />
brauch (aPTT-Methoden), die Hinweise auf<br />
eine pathologische aPC-Resistenz zulassen.<br />
Die molekulargenetische Testung auf Faktor<br />
V Leiden kann hier unterstützend wir-<br />
Abb. 3: Teststreifen zur Diagnostik <strong>der</strong> Faktor V Leiden-<br />
Mutation und <strong>der</strong> Prothrombin-Genmutation (G20210A).<br />
Linker Streifen: kein Faktor V Leiden, heterezygote<br />
Mutation <strong>für</strong> das Prothrombin-Gen. Rechter Streifen:<br />
heterozygote Mutation <strong>für</strong> Faktor V Leiden, keine<br />
Prothrombin-Genmutation.<br />
Abkürzungen: WT = Wildtyp, Mut = Mutation<br />
FV = Faktor V, FVL = Faktor V Leiden, FII = Faktor II<br />
(Prothrombin), KK = Konjugatkontrolle,<br />
AK = Amplifikationskontrolle<br />
ken. Denn obwohl mo<strong>der</strong>ne Funktionstests<br />
gut zwischen pathologischen und normalen<br />
Werten diskriminieren können, konnte<br />
bei pathologisch auffälligen Proben in den<br />
Funktionstests nicht immer zuverlässig auf<br />
eine heterozygote bzw. homozygote Trägerschaft<br />
<strong>der</strong> Mutation geschlossen werden.<br />
Die molekulargenetische Testung schafft in<br />
diesen Fällen Klarheit (Abb. 3).<br />
Weiter kann <strong>der</strong> molekulargenetische Testansatz<br />
<strong>für</strong> Familienuntersuchungen herangezogen<br />
werden, um bei einem Patienten<br />
mit Mutation eine Trägerschaft innerhalb<br />
<strong>der</strong> Familie aufzuklären. Hierbei sind<br />
jedoch die Leitlinien <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> Humangenetik zu beachten. [9]<br />
Die molekulargenetische Untersuchung auf<br />
Verän<strong>der</strong>ungen in den Genen <strong>für</strong> Protein C<br />
und S sowie im Antithrombin-Gen ist bisher<br />
lediglich in Einzelfällen sinnvoll, da<br />
das Kosten-Nutzen-Verhältnis mit <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen<br />
Diagnostik noch nicht <strong>aus</strong>gewogen<br />
ist und die Aussagekraft in Bezug auf<br />
die Pathogenität sehr eingeschränkt sein<br />
kann. Hier<strong>für</strong> stehen funktionelle Tests zur<br />
Verfügung, die eine thromboembolische<br />
Risikoeinschätzung erlauben.
Literatur<br />
[1] Zivelin A, Mor-Cohen R, Kovalsky V et al. Prothrombin<br />
20210G>A is an ancestral prothrombotic mutation that<br />
occurred in whites approximately 24000 years ago. Blood<br />
2006; 107: 4666-8.<br />
[2] Hach-Wun<strong>der</strong>le V, Müller MM, Pabinger J, Seifried E.<br />
Thrombophile Diathesen. DGHO 2005.<br />
www.dgho.de; Rubrik: Leitlinien/Studien<br />
[3] Khan S, Dickerman JD. Hereditary thrombophilia.<br />
Thromb J 2006; 4: 15-31.<br />
[4] Bertina RM, Koeleman BP, Koster T et al. Mutation in<br />
blood coagulation factor V associated with resistance to<br />
activated protein C. Nature 1994; 369: 64-7.<br />
[5] Poort SR, Rosendaal FR, Reitsma PH, Bertina RM. A<br />
common genetic variation in the 3’-untranslated region of<br />
the prothrombin gene is associated with elevated plasma<br />
prothrombin levels and an increase in venous thrombosis.<br />
Blood 1996; 88: 3698-703.<br />
[6] Eichinger S, Stümpflen A, Hirschl M et al. Hyperhomocysteinemia<br />
is a risk factor of recurrent venous thrombo -<br />
embolism. Thromb Haemost 1998; 80: 566-9.<br />
[7] Cushman M, Cornell A, Folsom AR et al. Association of<br />
the beta-fibrinogen Hae III and factor XIII Val34Leu gene<br />
variants with venous thrombosis. Thromb Res 2007 (im<br />
Druck).<br />
[8] Willeke A, Gerdsen F, Bauersachs RM, Lindhoff-Last E.<br />
Rationelle Thrombophiliediagnostik. Deutsches Ärtzeblatt<br />
1999; 31-32: A2111-A2118.<br />
[9] Deutsche Gesellschaft <strong>für</strong> Humangenetik e.V.<br />
www.gfhev.de/de/leitlinien/index.htm<br />
Abb. 2: Auszug des Algorithmus einer rationellen Thrombophiliediagnostik (Willeke, DÄ 1999). [8]<br />
Die Therapieoptionen sind nicht dargestellt.<br />
Molekulargenetik<br />
Defekt aPC-Resistenz Prothrombin-Genmutation Protein C-Mangel [3] Protein S-Mangel [3] Antithrombinmangel [3]<br />
(modifiziert nach [2] ) (modifiziert nach [2] )<br />
Mutationstyp Punktmutation G1691A Punktmutation verschiedene Mutationen verschiedene Mutationen verschiedene Mutationen<br />
(R506Q) G20210A<br />
Prävalenz het: 5–7% 2–3% 0,2–0,5% 0,1–1% 0,02–0,04%<br />
(Normalbevölkerung) hom: 0,02 – 0,1 %<br />
Prävalenz het: 20–30% 4–10% 2–5% 1–3% 1–2%<br />
(Thrombosepatient) hom: 3 %<br />
Risikoerhöhung het: 3 – 7fach het: 2 – 3-fach het: 6 – 10-fach het: 2-fach het: 5-fach<br />
<strong>für</strong> Thrombosen hom: 80-fach hom: nicht lebensfähig hom: nicht lebensfähig hom: nicht lebensfähig<br />
(außer Heparin-<br />
Bindungsvariante)<br />
het = heterozygote Mutation: ein Allel unverän<strong>der</strong>t, ein Allel trägt die Mutation<br />
hom = homozygote Mutation: beide Allel tragen die Mutation<br />
Tab. 1: Angeborene Thromboserisiken und <strong>der</strong>en Prävalenz in <strong>der</strong> kaukasischen Bevölkerung<br />
Kontakt<br />
Dr. rer. nat. Thomas Brodegger<br />
Molekulargenetik<br />
MEDILYS c/o <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1<br />
22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 59 74<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 37<br />
E-Mail: t.brodegger@asklepios.com<br />
511
ISSN 1863-8341<br />
Retten<strong>der</strong> Luft-Sog –<br />
die Geschichte <strong>der</strong> Eisernen Lunge<br />
Jens O. Bonnet<br />
In <strong>der</strong> Genesis vollendet <strong>der</strong> Schöpfer die<br />
Erschaffung Adams, indem er ihm „in<br />
seine Nase Atem des Lebens hauchte“. [1]<br />
Auch die Mund-zu-Mund-Beatmung zur<br />
Reanimation von Kin<strong>der</strong>n wird im alten<br />
Testament mehrfach erwähnt. [2,3]<br />
Technische Hilfsmittel zur Beatmung<br />
kamen vermehrt im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t zum<br />
Einsatz. So empfahl 1782 die Royal Humane<br />
Society in England den Gebrauch von<br />
Blasebalgen als effektivstes Mittel zur<br />
künstlichen Beatmung [4] , <strong>der</strong> Franzose<br />
François Ch<strong>aus</strong>sier propagierte 1791 die<br />
Sauerstoffgabe und 1806 die Larynx-Intubation.<br />
[5] Die Kritik des Franzosen Leroy<br />
D’Etailles 1829 und weiterer <strong>Ärzte</strong> an <strong>der</strong><br />
mangelhaften Regulierbarkeit des Luftstromes<br />
ließ die Blasebalgbeatmung um 1837<br />
<strong>aus</strong> <strong>der</strong> Mode kommen. [4] Probleme wie<br />
häufige Überblähungen o<strong>der</strong> gar Magenrupturen<br />
nach nasopharyngealer Intubation<br />
und Beatmung ließen die Forscher<br />
nach Alternativen suchen. Als beson<strong>der</strong>s<br />
erfolgreich und schonend erwiesen sich<br />
schließlich Unterdruckkammern, die den<br />
Patienten von außen bei <strong>der</strong> Atmung<br />
unterstützten und we<strong>der</strong> Intubation noch<br />
Sedierung des Patienten erfor<strong>der</strong>ten. Dabei<br />
lag <strong>der</strong> Patient mit dem gesamten Körper<br />
o<strong>der</strong> nur dem Rumpf in einem Hohlzylin<strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> Kopf blieb außerhalb des Zylin<strong>der</strong>s.<br />
Rhythmische Druckschwankungen<br />
im Zylin<strong>der</strong> bewegten den Thorax des<br />
Patienten passiv mit und imitierten so die<br />
normale Atemtätigkeit: Zur Inspiration<br />
wurde ein Unterdruck im Zylin<strong>der</strong> aufgebaut,<br />
zur Expiration ein Überdruck. Nach<br />
diesem Prinzip entwickelte <strong>der</strong> schottische<br />
Arzt John Dalziel bereits 1832 eine Anlage<br />
zur Beatmung ertrunkener Seeleute, die als<br />
erster Tank-Respirator gilt. [6] 1876 präsentierte<br />
Eugène Joseph Woillez in Paris die<br />
röhrenförmige und über einen Hebel angetriebene<br />
„Spirophore“ zur Behandlung <strong>der</strong><br />
www.medtropole.de<br />
Links: Untersuchung eines Polio-Patienten in <strong>der</strong> Eisernen Lunge während <strong>der</strong> Epidemie auf Rhode Island 1960<br />
(Foto: CDC) Rechts: Geöffnete Eiserne Lunge <strong>aus</strong> den 1950er Jahren (Foto: CDC/GHO/Mary Hilpertsh<strong>aus</strong>er)<br />
Asphyxie. [6] Nach dem Tod seines neugeborenen<br />
Sohnes aufgrund von Atemproblemen<br />
beschäftigte sich sogar <strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong><br />
des Telefons, Alexan<strong>der</strong> Graham Bell, mit<br />
diesem Thema und entwarf 1881 eine<br />
eiserne Vakuumjacke zur Erleichterung <strong>der</strong><br />
Atmung. [7] Den Durchbruch <strong>für</strong> die künstliche<br />
Beatmung brachten schließlich 1928<br />
<strong>der</strong> Chemie-Ingenieur Philip Drinker und<br />
<strong>der</strong> Pädiater Charles F. McKhann mit dem<br />
erfolgreichen Einsatz des „Drinker-Respirators“<br />
bei <strong>der</strong> Langzeitbeatmung eines<br />
Poliomyelitispatienten. [8] Das später als<br />
„Eiserne Lunge“ bekannte Gerät war <strong>für</strong><br />
kleine Kin<strong>der</strong> ebenso geeignet wie <strong>für</strong><br />
Erwachsene mit einer Länge von bis zu<br />
zwei Metern und einem Gewicht von bis<br />
zu 110 Kilogramm. Beatmungsparameter<br />
wie Atemfrequenz und -volumen ließen<br />
sich einstellen, <strong>der</strong> Gummikragen um den<br />
Hals ermöglichte eine gute Abdichtung <strong>der</strong><br />
Druckkammer bei höchstmöglichem Komfort<br />
<strong>für</strong> den Patienten, zur Pflege und<br />
Untersuchung ließ sich das Bett <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
Druckkammer her<strong>aus</strong>ziehen. [8] Eiserne<br />
Lungen kamen vor allem bei Polio-Patienten<br />
zum Einsatz, von denen viele die<br />
Atemunterstützung nur in <strong>der</strong> Akutphase<br />
benötigten. Einige Patienten benutzten die<br />
Maschine nur über Nacht, an<strong>der</strong>e über<br />
lange Zeit. In Leipzig gab es in den 1950er-<br />
Jahren sogar eine ganze Station mit Eisernen<br />
Lungen. Die Polio-Impfung und neue<br />
Beatmungstechniken ließen die Eiserne<br />
Lunge beinahe <strong>aus</strong> dem medizinischen<br />
Repertoire verschwinden, die Produktion<br />
wurde 1970 eingestellt, Wartung und Er -<br />
satzteilversorgung 2004. Doch noch immer<br />
leben in den USA rund 40 Überlebende <strong>der</strong><br />
Polioepidemie in Eisernen Lungen, so wie<br />
Dianne Odell <strong>aus</strong> Jackson. Odell erkrankte<br />
mit drei Jahren an Poliomyelitis und ist seit<br />
58 Jahren rund um die Uhr auf ihre Eiserne<br />
Lunge angewiesen, die im H<strong>aus</strong> ihrer<br />
Eltern steht. [9]<br />
Literatur<br />
[1] Gen 2, 7<br />
[2] 1 Kön 17, 8-24<br />
[3] 2 Kön 4, 18-37<br />
[4] Keith A. The mechanism un<strong>der</strong>lying the various<br />
methods of artificial respiration. Lancet 1909; 1: 745-9<br />
[5] Stofft H. La mort apparente du nouveau-né en 1781 et<br />
en 1806. L'oeuvre de François Ch<strong>aus</strong>sier. Hist Sci Med.<br />
1997 Oct-Dec; 31 (3-4): 341-9.<br />
[6] Woollam CH. (1976) The development of apparatus for<br />
intermittent negative pressure respiration (1) 1832-1918.<br />
Anaesthesia. 1976; 31 (4): 537-47.<br />
[7] Baskett TF. Alexan<strong>der</strong> Graham Bell and the vacuum<br />
jacket for assisted respiration. Resuscitation. 2004; 63 (2):<br />
115-7.<br />
[8] Drinker P, McKhann CF. The use of a new apparatus for<br />
the prolonged administration of artificial respiration: I. A<br />
fatal case of poliomyelitis. JAMA. 1929; 92 (20): 1658-60.<br />
[9] http://www.wthfoundation.org