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medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios

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medtropole Aktuelles<br />

Nr. 12 Januar 2008<br />

DIAGNOSTIK<br />

bei Schulterverletzungen<br />

HEIMBEATMUNG<br />

– einfach nur Beatmung zu H<strong>aus</strong>e?<br />

ADHS<br />

im Erwachsenenalter<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>einweisende</strong> <strong>Ärzte</strong>


Impressum<br />

Redaktion<br />

Jens Oliver Bonnet<br />

(verantw.)<br />

PD Dr. Oliver Detsch<br />

Dr. Birger Dulz<br />

PD Dr. Siegbert Faiss<br />

Dr. Christian Frerker<br />

Dr. Annette Hager<br />

PD Dr. Werner Hofmann<br />

Dr. Susanne Huggett<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Prof. Dr. Lutz Lachenmayer<br />

Dr. Jürgen Ma<strong>der</strong>t<br />

Dr. Ursula Scholz<br />

PD Dr. Karl Wagner<br />

Prof. Dr. Gerd Witte<br />

Cornelia Wolf<br />

Her<strong>aus</strong>geber<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

Hamburg GmbH<br />

Pressestelle<br />

Rudi Schmidt V. i. S. d. P.<br />

Friedrichsberger Straße 56<br />

22081 Hamburg<br />

Tel.: (0 40) 18 18-84 20 08<br />

Fax: (0 40) 18 18-84 20 46<br />

E-Mail:<br />

medtropole@asklepios.com<br />

Auflage: 15.000<br />

Erscheinungsweise:<br />

4 x jährlich<br />

ISSN 1863-8341<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

das Titelbild <strong>der</strong> aktuellen medtropole gibt Rätsel auf, jedenfalls<br />

demjenigen, <strong>der</strong> nicht mit den Darstellungsformen <strong>der</strong><br />

Molekulargenetik vertraut ist: Wir sehen den Faktor V als<br />

Proteinstruktur in <strong>der</strong> sogenannten tertiären Darstellung.<br />

Der Artikel über Hereditäre Thromboserisiken klärt noch<br />

mehr auf.<br />

Rätseln kann man auch über das <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Luftfahrt in die<br />

Medizin übernommene Akronym CIRS. Critical Incident Reporting System ist<br />

eine Form <strong>der</strong> Weiterentwicklung von Qualitätsmanagement und interessiert<br />

am praktischen „Beinahe-Katastrophen-Ausgang“ eines Ereignisses, das beobachtet<br />

wird, aber nicht zum Schadensfall wurde und <strong>aus</strong> dem nun Ableitungen<br />

getroffen werden sollen, die seinen Eintritt künftig verhin<strong>der</strong>n werden. Nun ist<br />

alles gesagt – o<strong>der</strong>? Nein, das Hauptproblem ist: Wer traut sich einer Instanz<br />

innerhalb eines Unternehmens ein solch kritisches Ereignis zu berichten, ohne<br />

persönliche Nachteile o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e negative Konsequenzen zu <strong>für</strong>chten? Die<br />

Kulturentwicklung, insbeson<strong>der</strong>e die Entwicklung einer „Fehlerkultur“, hat<br />

auch bei allen an<strong>der</strong>en Unternehmungen lange gedauert, wie man <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Luftfahrt<br />

und auch Auto industrie weiß. Bisher gibt es in den <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

Hamburg nur wenige Pionierprojekte, das soll sich än<strong>der</strong>n. Also fangen wir<br />

damit an!<br />

Angefangen haben wir aber auch mit <strong>der</strong> konsequenten Diagnostik und<br />

Behandlung von Schulterverletzungen, einem komplizierten Fachgebiet <strong>der</strong><br />

Orthopäden und Chirurgen, sowie mit <strong>der</strong> Laserbehandlung des Harnblasenkarzinoms.<br />

Beson<strong>der</strong>s <strong>aus</strong>führlich möchten wir über die Trigeminusneuralgie<br />

informieren, eine Erkrankung die doch viel häufiger ist, als gemeinhin angenommen.<br />

Dieses Heft wendet sich dann einer ganzen Reihe von Son<strong>der</strong>themen<br />

zu, zu denen Kardiologie, Herzchirurgie und Pneumologie gehören, wie auch<br />

ein Einblick in die Medizingeschichte: Die „Eiserne Lunge“; da fragt man sich,<br />

wie lange ist das eigentlich her und welche Erkrankungen wurden durch ihren<br />

Einsatz gelin<strong>der</strong>t und behandelt? (Man kann nur hoffen, dass die Impfmüdigkeit<br />

nachlässt und solche Ungetüme nie mehr zum Einsatz kommen müssen.)<br />

Ein gutes neues Jahr wünsche ich und verbleibe<br />

mit kollegialen Empfehlungen<br />

Dr. med. Jörg Weidenhammer


Inhalt<br />

484 | RECHT<br />

Doppelt hält doch nicht besser!<br />

Klinisches Risikomanagement<br />

487 | UROLOGIE<br />

Laserbehandlung beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom des alten Patienten<br />

489 | UNFALLCHIRURGIE<br />

Diagnostik bei Schulterverletzungen<br />

492 | NEUROCHIRURGIE<br />

Die klassische Trigeminusneuralgie – <strong>Klinik</strong>, Diagnostik, Therapie<br />

497 | KARDIOLOGIE<br />

Katheterablation ventrikulärer Tachykardien<br />

500 | HERZCHIRURGIE<br />

Das chirurgische Vorgehen bei akuten und chronischen Herzinfarktfolgen<br />

504 | LUNGENHEILKUNDE<br />

Heimbeatmung – einfach nur Beatmung zu H<strong>aus</strong>e?<br />

506 | PSYCHIATRIE<br />

ADHS im Erwachsenenalter<br />

508 | PERSONALIA<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Thoralf Kerner<br />

Prof. Dr. Ulrich Treichel<br />

509 | MOLEKULARGENETIK<br />

Hereditäre Thrombophiliediathesen<br />

512 | GESCHICHTE DER MEDIZIN<br />

Retten<strong>der</strong> Luft-Sog – Die Geschichte <strong>der</strong> Eisernen Lunge<br />

S. 489<br />

S. 504<br />

S. 509


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Doppelt hält doch nicht besser!<br />

Klinisches Risikomanagement<br />

Dr. jur. Cornelia Süfke<br />

Patientensicherheit rückt in den Fokus: Zog im Gesundheitswesen noch bis vor einem Jahrzehnt praktisch<br />

niemand die Parallelität zu Luft- und Raumfahrt, Kernkraft o<strong>der</strong> Petrochemie als „ultrasafe industries“, wird<br />

dieser Vergleich heute im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Patientensicherheit immer häufiger bemüht.<br />

Seit den frühen 90er-Jahren beschäftigten<br />

sich wissenschaftliche Studien zunehmend<br />

mit den erheblichen medizinischen und<br />

wirtschaftlichen Auswirkungen vermeidbarer<br />

Medizinfehler. [1] Bahnbrechend und<br />

meistzitiert war 1999 <strong>der</strong> Report des angesehenen<br />

„Institute of Medicine“ <strong>der</strong> National<br />

Academy of Science. [2] Sie hatte sich<br />

zur Aufgabe gemacht, dem Thema Qualität<br />

klinischer Prozesse zu mehr Aufmerksamkeit<br />

zu verhelfen. „To Err Is Human. Building<br />

a Safer Health System“ erschien als<br />

umfassende Analyse und sorgte <strong>für</strong> deutliche<br />

Aufregung. Das Erschrecken über die<br />

Ergebnisse war auch bei nüchternster Würdigung<br />

nicht zu übersehen. Rechnet man<br />

zum Beispiel die konservativste Studie zur<br />

Fehlerhäufigkeit in <strong>der</strong> Krankenversorgung<br />

in den Staaten Colorado und Utah<br />

hoch, ist davon <strong>aus</strong>zugehen, dass in den<br />

USA pro Jahr 44.000 Patienten an den Folgen<br />

fehlerhafter Prozesse sterben – mehr<br />

als an Verkehrsunfällen, Brustkrebs o<strong>der</strong><br />

Aids.<br />

Auch in Deutschland wird das Thema<br />

zunehmend enttabuisiert und sachlich<br />

angegangen, verlässliche Zahlen zu den<br />

484<br />

bundesweiten Behandlungsfehlervorwürfen<br />

gibt es allerdings noch nicht. Nach <strong>der</strong><br />

Statistik <strong>der</strong> Bundesärztekammer (BÄK)<br />

<strong>aus</strong> 2006 wandten sich 10.000 Patienten mit<br />

einem Verdacht auf Behandlungsfehler an<br />

die Gutachter- und Schlichtungsstellen <strong>der</strong><br />

<strong>Ärzte</strong>kammern. Bei knapp einem Viertel<br />

stellten die Gutachter tatsächliche Fehler in<br />

<strong>der</strong> Behandlung o<strong>der</strong> Aufklärung fest, im<br />

weit überwiegenden Teil <strong>der</strong> Anspruchsanmeldungen<br />

wurde also keine Fehlbehandlung<br />

bestätigt. Dabei wurden in Krankenhäusern<br />

nahezu doppelt so viele Fehler<br />

nachgewiesen wie in Arztpraxen: Die<br />

BÄK-Statistik zeigt 1.336 Fehler in Krankenhäusern<br />

im Gegensatz zu 657 Fehlern<br />

bei Nie<strong>der</strong>gelassenen auf.<br />

Betrachtet man die Gründe <strong>für</strong> die bisherige<br />

Zunahme von Haftungsansprüchen,<br />

geht <strong>der</strong> Fortschritt in <strong>der</strong> Medizin einher<br />

mit dem sogenannten Haftungsfortschritt.<br />

Die Gerichte entwickelten die Patientenrechte<br />

weiter und unterstützt durch die<br />

zielgerichtete Informationsvielfalt <strong>der</strong><br />

Medien werden Misserfolge im Heilungsverlauf<br />

zunehmend weniger als schicksalhaft<br />

akzeptiert.<br />

Not<strong>aus</strong>gang<br />

klinisches Risikomanagement<br />

Nicht zuletzt veranlasst durch steigende<br />

Versicherungsprämien und drohende o<strong>der</strong><br />

bereits erfolgte Kündigungen von Haftpflichtverträgen<br />

durch die Versicherer<br />

betreiben Krankenhäuser bundesweit<br />

zunehmend klinisches Risikomanagement.<br />

Ziel ist, Risiken zu begrenzen und damit<br />

in dem beherrschbaren Segment Patientensicherheit<br />

Kosten in die Vermeidung von<br />

Risiken zu steuern. Damit wird das Risikomanagement<br />

als Treiber erachtet, <strong>der</strong> nachvollziehbare<br />

Akzeptanz bei den Beteiligten<br />

im immer stärker bürokratisierten <strong>Klinik</strong> -<br />

alltag schaffen soll. Konkret betrachtet<br />

werden Strukturen und Arbeitsabläufe im<br />

Blickwinkel früherer Schäden o<strong>der</strong> Beinaheschäden.<br />

Um dem Ganzen eine Systematik<br />

zu geben, werden terminologisch fein säuberlich<br />

„unerwünschte Ereignisse“ von<br />

„Behandlungsschäden“ und „vermeid -<br />

baren Behandlungsfehlern“, also vorwerfbaren<br />

Behandlungsfehlern unterschieden.<br />

Tatsächlich geht es darum, Schwachstellen,<br />

die zu Haftungsansprüchen führen könnten,<br />

sichtbar zu machen und zu benennen.


Abb. 1: Eisbergmodell<br />

In Modellanalysen wird von Stufe zu Stufe vom Faktor 10 <strong>aus</strong>gegangen, d. h. einem Schadensfall sollen 10 Beinahe-Schäden, 100 kritische Ereignisse und 1.000 Regelverletzungen<br />

und Störungen vor<strong>aus</strong>gehen (in Anlehnung an: A. Möllemann, M. Eberlein-Gonska, T. Koch, M. Hübler (2005) Klinisches Risikomanagement, Implementierung eines anonymen<br />

Fehlermeldesystems in <strong>der</strong> Anästhesie eines Universitätsklinikums. Der Anaesthesist 4 : 377-384)<br />

Klinisches Risikomanagement bedeutet<br />

daher juristische Qualitätssicherung (was<br />

ist rechtlich vorgegeben?). Die direkte Einflussnahme<br />

auf die klinischen Prozesse soll<br />

die Patientensicherheit stärken und auch<br />

die Mitarbeitersicherheit steigern, da diese<br />

vor zivil- und strafrechtlichen Verfahren<br />

geschützt bleiben.<br />

Wer Fehler vermeiden will, muss<br />

wissen wo sie gemacht werden<br />

Die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en in Hamburg ver -<br />

fügen über eine umfangreiche Accessgestützte<br />

Datenbank, in <strong>der</strong> alle berechtigten<br />

und unberechtigten Behandlungsfehlervorwürfe,<br />

unterschieden nach Abteilungen<br />

und einzelnen Kategorisierungen des Vorwurfes,<br />

erfasst werden. Nachdem in den<br />

vergangenen Jahren 35 Audits, also externe<br />

Prüfungen einzelner High-Risk-Abteilungen<br />

von <strong>der</strong> Aufnahme bis zur Entlassung<br />

durchgeführt wurden, erfuhr die Thematik<br />

eine zunehmende Durchdringung. Da es<br />

sich bei Arzthaftungsrisiken um „long-tail-<br />

Risiken“ handelt, die auch noch deutlich<br />

nach dem eigentlichen Eingriff geltend<br />

gemacht werden können, ist die Messbar-<br />

keit <strong>der</strong> durchgeführten Risikomanagement-Maßnahmen<br />

vorsichtig zu beurteilen.<br />

Angesichts des bisherigen Schadensverlaufes<br />

<strong>der</strong> jüngsten Vergangenheit lässt sich<br />

jedoch ableiten, dass bestimmte Präventionsmaßnahmen<br />

ihre Wirkung gezeigt<br />

haben.<br />

So wurde die Patientendokumentation in<br />

den vergangenen Jahren deutlich verbessert.<br />

Bot in <strong>der</strong> Vergangenheit die Lückenhaftigkeit<br />

<strong>der</strong> klinischen Dokumentation<br />

häufig Angriffsfläche <strong>für</strong> Patientenanwälte,<br />

hat die Einführung von TEMPA ® diese<br />

deutlich verbessert. In den <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

Hamburg wurde seit 2004 die einheitliche,<br />

berufsgruppenübergreifende Patientendokumentation<br />

eingeführt. TEMPA ® ist<br />

die Kurzbezeichnung <strong>für</strong> „Teamorientierte<br />

Multiprofessionelle Patientendokumentation“<br />

und eine eingetragene Marke <strong>der</strong><br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg GmbH.<br />

TEMPA ® bedeutet einen Informationsgewinn<br />

auch über die Risikolage und damit<br />

eine Reduktion von Behandlungsfehlerquellen.<br />

Recht<br />

Auch die Akzeptanz, sich aktiv mit statt -<br />

gehabten Schadenssituationen zu konfrontieren<br />

und – wenn dies auch inzwischen<br />

etwas abgegriffen klingen mag – <strong>aus</strong> den<br />

Fehlern zu lernen, ist gestiegen. Auch um<br />

das Risikomanagement effektiv und passgenau<br />

in die <strong>Klinik</strong>en zu transportieren,<br />

sind die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg als<br />

Company Mitglied des 2005 gegründeten<br />

Aktionsbündnisses Patientensicherheit e. V.<br />

(APS). Gründungsmitglie<strong>der</strong> sind zum Beispiel<br />

die Deutsche Krankenh<strong>aus</strong>gesellschaft<br />

(DKG), die Deutsche <strong>Ärzte</strong>kammer<br />

und die Gesellschaft <strong>für</strong> Qualitätsmanagement<br />

in <strong>der</strong> Gesundheitsversorgung<br />

(GQMG).<br />

Das APS hat eine gemeinsame Plattform<br />

zur Verbesserung <strong>der</strong> Patientensicherheit<br />

in Deutschland aufgebaut. Die fachlich<br />

kompetent erarbeiteten Empfehlungen des<br />

APS werden im klinischen Risikomanagement<br />

<strong>der</strong> Hamburger <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

zunehmend genutzt. Bisher stehen die von<br />

uns jüngst übertragene Empfehlung zur<br />

Vermeidung von Eingriffsverwechslungen<br />

(falsche Seite/falscher Patient), zur Einführung<br />

von Critical Incident Reporting Syste-<br />

485


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Abb. 2: Schweizer-Käse-Modell einer typischen Fehlerkette im Vorfeld eines Zwischenfalls nach JT. Reason, Human Error, 1990<br />

Grafik modifiziert: R. Heuzeroth<br />

men (CIRS) in Krankenhäusern und zur<br />

Medikationssicherheit zur Verfügung.<br />

Lernsystem CIRS<br />

Als ein B<strong>aus</strong>tein im Risikomanagement ist<br />

im H<strong>aus</strong>arztbereich das Fehlerberichtssys -<br />

tem <strong>für</strong> H<strong>aus</strong>ärzte des Instituts <strong>für</strong> Allgemeinmedizin<br />

<strong>der</strong> Universität Frankfurt/<br />

Main zu nennen. Unter dem Motto „Je<strong>der</strong><br />

Fehler zählt!“ können H<strong>aus</strong>ärzte über ihre<br />

Praxisgrenzen hinweg über eigene Fehler<br />

ano nym berichten und diese kommentieren<br />

lassen. [3] Analog dazu gibt es <strong>für</strong> viele<br />

Facharztgruppen ein Online-Portal <strong>der</strong><br />

Kassenärztlichen Bundesvereinigung. [4]<br />

Auch in den <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg<br />

gibt es bereits Abteilungen, die seit Jahren<br />

diesen Ansatz <strong>der</strong> Auswertung von Beinahe-Fehlern<br />

führen und damit Schäden <strong>aus</strong><br />

denselben Fehlerquellen weitestgehend<br />

vermeiden konnten. So blickt die Geburtshilfe<br />

in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord auf<br />

Erfahrungen seit dem Jahr 2000 zurück. [5]<br />

486<br />

Fazit<br />

Für die Weiterentwicklung von CIRS be -<br />

darf es eines hohen Vertrauensschutzes.<br />

Hier geht es um die Abkehr von <strong>der</strong> blame<br />

culture hin zur safety culture. Nicht WER,<br />

son<strong>der</strong>n WAS hat zu den Beinahe-Schäden<br />

geführt, soll die entscheidende Frage sein.<br />

Die Arbeit mit einer Beinahefehleranalyse<br />

im wirtschaftlichen und Patientenschutz -<br />

interesse geht also einher mit einem grundlegenden<br />

Kulturwechsel. Hier bleibt noch<br />

viel zu tun. Vergleicht man aber das Fehlerbewusstsein<br />

in <strong>der</strong> Medizin mit dem in<br />

<strong>der</strong> Anwaltschaft o<strong>der</strong> unter Architekten,<br />

lässt sich zusammenfassend sagen, dass<br />

sich dieses allen Unkenrufen zum Trotz<br />

deutlich entwickelt hat.<br />

Kontakt<br />

Dr. jur. Cornelia Süfke<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg GmbH<br />

Interner Versicherungsfonds (IVF)<br />

Hohenfel<strong>der</strong> Str. 13<br />

22087 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 41 26 30-0<br />

Fax (0 40) 41 26 30-29<br />

E-Mail: c.suefke@asklepios.com<br />

Literatur<br />

[1] Brennan TA, Leape LL, Laird NM, et. al. Incidents of<br />

adverse events and negligence in hospitalized patients:<br />

results of the Harvard Medival Practice study. NEngl J Med<br />

1991; 324: 370-6.<br />

[2] Kohn LT. Errors in health care: A leading c<strong>aus</strong>e of death<br />

and injury. In: Kohn KT, Corrigan JM, Donaldson MS (eds).<br />

To err is human. National Academy Press Washington/DC<br />

1999: 26-48.<br />

[3] www.je<strong>der</strong>-fehler-zaehlt.de<br />

[4] www.kbv.de<br />

[5] vgl. Bericht vom Ltd. Arzt Dr. Scheele und Risikoberaterin<br />

Sabine Kraft in Frauenarzt 2007; 48 (3): 6.


Es liegt in <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache, dass ältere<br />

Patienten neben ihren urologischen Problemen<br />

eine Reihe nicht-urologischer Begleit -<br />

erkrankungen haben, die den behandelnden<br />

Arzt zwingen, Wege jenseits von Leitlinien<br />

o<strong>der</strong> Empfehlungen <strong>der</strong> Fachgesellschaft<br />

zu gehen. Zum Beispiel bei <strong>der</strong> Therapie<br />

oberflächlicher Harnblasenkarzinome:<br />

Mehr als 80 Prozent <strong>der</strong> Harnblasenkarzinome<br />

sind oberflächlich. Als Goldstandard<br />

in <strong>der</strong> Therapie hat sich die transurethrale<br />

mono- o<strong>der</strong> bipolare Resektion bewährt.<br />

In unserer Abteilung bieten wir zusätzlich<br />

die vorherige Instillation photodynamischer<br />

Diagnostika an, um schlecht sicht -<br />

bare Tumoren o<strong>der</strong> ein Carcinoma in situ<br />

erkennbar zu machen. Lei<strong>der</strong> neigen Harnblasentumoren<br />

in einem sehr hohen Prozentsatz<br />

zu Rezidiven. Zudem kann es zu<br />

einer Verschlechterung im Grading kommen,<br />

weswegen invasivere Maßnahmen als<br />

eine transurethrale Resektion erfor<strong>der</strong>lich<br />

sein können.<br />

Folgen<strong>der</strong> Patient ist nun <strong>für</strong> den Urologen<br />

eine beson<strong>der</strong>e Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung: Betagter<br />

Mensch mit erheblichen Begleiterkrankun-<br />

gen und somit deutlich erhöhtem OP-Risiko,<br />

bei dem ein oberflächlicher Harnblasentumor<br />

als Rezidiv auftritt. Für einen<br />

solchen Patienten käme außer <strong>der</strong> lokalen<br />

Entfernung des Tumors keine alternative<br />

Behandlung infrage, sodass ein Shift im<br />

Grading keine Konsequenzen hätte. Es<br />

geht also allein um die Entfernung des<br />

Tumors und damit um die Behebung <strong>der</strong><br />

Begleitprobleme des Tumors, also im<br />

Wesentlichen um Hämaturie.<br />

Diese Patientengruppe sehen wir in unserer<br />

Abteilung sehr regelmäßig: Im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Kontrollzystoskopie nach vorherigem<br />

oberflächlichen Harnblasenkarzinom<br />

(pTaG1) wird ein papilläres, exophytisch<br />

wachsendes Rezidiv gesehen. Es sollten<br />

weniger als drei Läsionen sein, keine<br />

davon größer als drei Zentimeter.<br />

Die Patienten erhalten zusätzlich zu einer<br />

Sedoanalgesie ein Lokalanästhetikum (2 %<br />

Lidocain). Die Zystoskopie wird mit einem<br />

flexiblen Instrument durchgeführt, durch<br />

das problemlos <strong>der</strong> Laserstrahl eines<br />

RevoLix ® Lasers (Thulium:YAG) über eine<br />

600 µm Quarz-Faser appliziert werden<br />

kann. Die eingesetzte Leistung beträgt<br />

zehn Watt.<br />

Urologie<br />

Laserbehandlung beim oberflächlichen<br />

Harnblasenkarzinom des alten Patienten<br />

Prof. Dr. Andreas Gross, Dr. Thorsten Bach<br />

Mehr als an<strong>der</strong>e Disziplinen ist die Urologie mit dem demografischen Wandel in <strong>der</strong> Bevölkerung konfrontiert.<br />

Lag in urologischen Hauptabteilungen bereits früher das Durchschnittsalter <strong>der</strong> Patienten bei über 60 Jahren, so<br />

sind heute regelmäßig 20 Prozent <strong>der</strong> Behandelten über 80 Jahre.<br />

Als Irrigationsflüssigkeit wird bei diesem<br />

Laser, genau wie bei <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong><br />

benignen Prostatahyperplasie mit dem<br />

RevoLix ® , Kochsalzlösung eingesetzt. Damit<br />

gibt es kein Risiko eines TUR-Syndroms,<br />

was in <strong>der</strong> oben beschriebenen Patientengruppe<br />

beson<strong>der</strong>s ge<strong>für</strong>chtet ist. Zunächst<br />

wird mit <strong>der</strong> Biopsiezange eine Gewebeprobe<br />

entnommen, die zur histologischen<br />

Bestätigung dient. Größere Tumorteile können<br />

gewonnen werden, indem <strong>der</strong> Stiel des<br />

Exophyten mit dem Laser abgetrennt wird.<br />

Dieses Material lässt sich zusätzlich zur<br />

histologischen Evaluation nutzen. Tumorgrund<br />

und -rän<strong>der</strong> werden bis zur lamina<br />

muscularis vaporisiert. Da <strong>der</strong> RevoLix ® -<br />

Laser eine sehr geringe Eindringtiefe von<br />

etwa 200 µm hat, ist die Gefahr einer Per -<br />

foration praktisch nicht gegeben. Nach<br />

abschließen<strong>der</strong> Kontrolle auf Bluttrockenheit<br />

wird ein Einmalkatheter eingelegt,<br />

über den zur Rezidivprophylaxe 40 mg<br />

Mitomycin instilliert werden können.<br />

Soweit möglich sollten die Patienten das<br />

Chemotherapeutikum <strong>für</strong> 90 Minuten in<br />

487


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Oberflächliches Harnblasenkarzinom<br />

<strong>der</strong> Harnblase belassen. Danach können sie<br />

Wasser lassen. Nach weiteren 90 Minuten<br />

ist <strong>der</strong> gesamte Vorgang beendet. Je nach<br />

Befinden und/o<strong>der</strong> sozialer Situation des<br />

Patienten kann er nun entlassen werden<br />

o<strong>der</strong> zur weiteren Beobachtung auf <strong>der</strong><br />

Station bleiben. Die Nachsorge erfolgt<br />

analog <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Patienten mit diesem<br />

Krankheitsbild. Bei Auftreten eines Rezidivs<br />

kommt – <strong>aus</strong> gleichen Gründen wie<br />

oben – wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Laser zum Einsatz.<br />

488<br />

Fazit<br />

Wir betrachten die Laserbehandlung des<br />

oberflächlichen Harnblasenkarzinoms als<br />

die bestmögliche Behandlung solcher<br />

Patienten, bei denen lediglich ein Kompromissverfahren<br />

möglich ist. Gleichwohl liegen<br />

Berichte an<strong>der</strong>er Gruppen vor, die die<br />

Indikation <strong>für</strong> dieses minimal invasive Vorgehen<br />

bereits sehr viel weiter stellen.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Andreas Gross,<br />

Dr. Thorsten Bach<br />

Abteilung <strong>für</strong> Urologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Barmbek<br />

Rübenkamp 220<br />

22291 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-82 98 21<br />

Fax (0 40) 18 18-82 98 29<br />

E-Mail: an.gross@asklepios.com


Diagnostik bei Schulterverletzungen<br />

Dr. Ralf Gütschow<br />

Frakturen und Weichteilverletzungen des Schultergürtels gehören zu den<br />

häufigsten Folgen von Verkehrs-, Freizeit- und Sportunfällen. Verletzungen<br />

am Schultergürtel können unmittelbare sowie im weiteren Verlauf posttraumatische<br />

Beschwerden nach sich ziehen und sind zudem von degenerativen<br />

Vorschäden und Beschwerden abzugrenzen. Sie können sowohl die<br />

Knochen, den ligamentären Halteapparat als auch muskuläre (z. B. Rotatorenmanschette)<br />

o<strong>der</strong> aber neurovaskuläre Strukturen betreffen. Abb.1: Technik True-a.-p.-Aufnahme<br />

Prinzipiell gelten <strong>für</strong> die Behandlung akuter,<br />

posttraumatischer o<strong>der</strong> degenerativer<br />

Verän<strong>der</strong>ungen vergleichbare Behandlungsgrundsätze.<br />

Für die Diagnosestellung<br />

hingegen lassen sich <strong>aus</strong> rein pragmatischen<br />

Gründen Unterschiede in <strong>der</strong> Vor -<br />

gehensweise ableiten.<br />

Während bei chronischen und posttraumatischen<br />

Folgezuständen eine Vielzahl funktioneller<br />

Testungen und spezieller nativ -<br />

radiologischer Untersuchungen neben<br />

einer strukturierten Anamneseerhebung<br />

zur Diagnose führen können, stehen beim<br />

Akutverletzten die teils erhebliche<br />

Schmerzsymptomatik und die Funktionsbeeinträchtigung<br />

im Vor<strong>der</strong>grund. Das<br />

kann die klinischen und radiologischen<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Diagnostik erheblich<br />

einschränken. Neben <strong>der</strong> strukturierten<br />

Erhebung <strong>der</strong> Unfallanamnese und des<br />

Unfallherganges sowie <strong>der</strong> klinischen<br />

Untersuchung dient <strong>der</strong> gezielte Einsatz<br />

bildgeben<strong>der</strong> Verfahren <strong>der</strong> Diagnose -<br />

sicherung wie auch <strong>der</strong> Therapieplanung.<br />

In <strong>der</strong> Praxis ist die korrekte Durchführung<br />

<strong>der</strong> möglichen und intraoperativ reproduzierbaren<br />

Standarduntersuchungen daher<br />

trotz verletzungsbedingter Einschränkungen<br />

anzustreben.<br />

Frakturen des proximalen Oberarms<br />

[1,2,4,6]<br />

Um die wichtigen anatomischen Strukturen<br />

wie Humeruskopf, -schaft, Tubercula<br />

und Pfannenrand <strong>aus</strong>reichend darzustellen<br />

und eine Luxation <strong>aus</strong>zuschließen, sollte<br />

bei jedem Patienten möglichst ein Bild in<br />

zwei besser drei Ebenen erstellt werden.<br />

Bei proximalen Oberarmfrakturen hängen<br />

Prognose und Versorgungsart vom Dislokationsgrad<br />

<strong>der</strong> vier „Neer-Fragmente“<br />

(Schaft, Kopf, Tuberculum minus et majus)<br />

ab, sodass diese exakt zu eruieren sind.<br />

1. Echte a.p.-Aufnahme<br />

(true-a.-p.- o<strong>der</strong> Grashey-Aufnahme):<br />

Hier wird <strong>der</strong> Patient so positioniert, dass<br />

seine unverletzte Seite um etwa 30 – 40°<br />

nach vorn gedreht ist (Abb. 1), um eine<br />

möglichst überlagerungsfreie Aufnahme<br />

des Glenoid und des Gelenkspaltes zu<br />

erhalten. Der Strahlengang ist dabei gering<br />

absteigend. Um die Zentrierung des Kopfes<br />

besser beurteilen zu können, sollten die<br />

Aufnahmen mit hängendem, nicht unterstütztem<br />

Arm (Abstand Humeruskopf/<br />

Acromion) in neutraler o<strong>der</strong> leichter<br />

Außenrotationstellung (Tuberculum-majus-<br />

Beurteilung) erfolgen (Abb. 2).<br />

Unfallchirurgie<br />

2. Y-Aufnahme (axiale, laterale o<strong>der</strong> transscapuläre<br />

Aufnahme o<strong>der</strong> supraspinatusoutlet-view):<br />

Der Patient wird so vor den Röntgenfilm<br />

gedreht, dass die Längsachse des Schulterblattes<br />

parallel zum Strahlengang verläuft<br />

(Abb. 3). Der Strahlengang ist dabei um<br />

10 – 20° abwärts gesenkt. Spina scapula,<br />

oberer und unterer Anteil des Scapulablattes<br />

bilden ein Zielkreuz <strong>für</strong> den Humeruskopf,<br />

sodass Luxationsfehlstellungen<br />

(Abb. 4) gut zu erkennen sind. Außerdem<br />

lässt sich die knöcherne Begrenzung des<br />

Supraspinatus-Kanals (Abb. 5) abgrenzen.<br />

3. Transaxilläre Aufnahme<br />

(axiale Aufnahme):<br />

Sie kann bei liegendem als auch sitzendem<br />

Patienten angefertigt werden (Abb. 6). Dargestellt<br />

wird <strong>der</strong> Humeruskopf umgeben<br />

von Gelenkpfanne, Acromion und Cora -<br />

coid. Beson<strong>der</strong>s gut sind vor<strong>der</strong>er und hinterer<br />

Pfannenrand sowie das Tuberculum<br />

minus zu erkennen (Abb. 7).<br />

4. Velpeauprojektion (Abb. 4):<br />

Lässt sich <strong>der</strong> Arm wegen eines Gilchrist-<br />

Verbandes o<strong>der</strong> Schmerzen nicht abduzieren,<br />

kann ersatzweise die Projektion nach<br />

489


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Abb. 2: Röntgen-Bild True-a.-p.-Aufnahme Abb. 3: Technik Y-Aufnahme Abb. 4: Velpeau-Aufnahme<br />

Velpeau durchgeführt werden. [1] Hier<br />

lehnt sich <strong>der</strong> sitzende Patient mit angelegtem<br />

Oberarm etwas zurück, damit <strong>der</strong><br />

schräg sagittal laufende Röntgenstrahl die<br />

Pfanne möglichst tangential trifft. Mit diesen<br />

Aufnahmen lassen sich auch intraoperativ<br />

bei sogenannter Beachchairlagerung<br />

(entspricht Velpeau) die oben genannten<br />

Strukturen gut darstellen.<br />

Schultergelenkluxation<br />

Die Diagnose <strong>der</strong> Luxation und die Luxationsrichtung<br />

erhält man zumeist durch die<br />

true-a.-p.- und Y-Aufnahme. Während vor<strong>der</strong>e<br />

Luxationen anamnestisch, klinisch<br />

und radiologisch gut zu diagnostizieren<br />

sind, werden dorsale Verrenkungen (häufig<br />

im Krampfanfall) immer wie<strong>der</strong> übersehen.<br />

Vorsicht ist bei fehlen<strong>der</strong> Freiprojektion des<br />

glenohumeralen Gelenkspaltes geboten<br />

(CT!)<br />

Frakturen <strong>der</strong> Scapula [1,4]<br />

Scapulafrakturen sind selten und aufgrund<br />

<strong>der</strong> Überlagerung durch Thoraxorgane<br />

manchmal schwer zu erkennen. Allerdings<br />

lassen sich die relevanten Gelenkverletzungen<br />

gut in <strong>der</strong> „Trauma“-Serie, vor allem<br />

in <strong>der</strong> true-a.-p. (wahre o<strong>der</strong> Grashey-Auf-<br />

490<br />

nahme) und <strong>der</strong> transaxillären Aufnahme<br />

<strong>aus</strong>machen.<br />

Prognostisch wichtig sind Kettenverletzungen<br />

des Schultergürtels und Gelenkfrakturen,<br />

weswegen hier die Indikation zum CT<br />

großzügig gestellt werden sollte.<br />

Frakturen <strong>der</strong> Clavicula [1,4]<br />

Claviculafrakturen machen etwa zehn<br />

Prozent aller Knochenbrüche <strong>aus</strong> und sind<br />

die häufigsten Frakturen überhaupt. Über<br />

80 Prozent sind im mittleren Drittel, rund<br />

15 Prozent lateral und fünf Prozent medial<br />

lokalisiert. Eine gute Beurteilung ermöglichen<br />

die ap- und eine um 45° geneigte<br />

tangentiale Aufnahme ergänzt durch die<br />

oben beschriebenen Technik nach Velpeau.<br />

[1] Mit dieser auch intraoperativ reproduzierbaren<br />

Einstellung sollten auch die<br />

selteneren lateralen und medialen Frakturen<br />

abgebildet werden können.<br />

Verletzungen des<br />

Acromioclaviculargelenkes [1,2]<br />

Üblicherweise werden diese Verletzungen<br />

nach Tossy o<strong>der</strong> Rockwood eingeteilt.<br />

Dabei wird <strong>der</strong> zunehmende Abstand <strong>der</strong><br />

Clavicula vom Acromion bzw. des Coracoi-<br />

des von <strong>der</strong> Clavicula in Abhängigkeit <strong>der</strong><br />

Anzahl und des Zerstörungsgrades <strong>der</strong><br />

Bän<strong>der</strong> zugrunde gelegt. [2] Diagnostiziert<br />

wird die vertikale Instabilität durch Belas -<br />

tungsaufnahmen („Wasserträger“). Die<br />

herabhängenden Arme werden mit<br />

Gewichten belastet (5 – 15 kg), wobei diese<br />

möglichst nicht mit den Händen gehalten<br />

werden sollten (Schlingen), um eine Kompensation<br />

durch die Muskelspannung zu<br />

vermeiden. Entscheidend <strong>für</strong> die OP-Indikation<br />

ist jedoch auch die horizontale<br />

Instabilität mit Verletzung <strong>der</strong> Deltoideus-<br />

Faszie, die am besten mit einer Y-Aufnahme<br />

nach Alexan<strong>der</strong> (also mit auf die Schulter<br />

<strong>der</strong> Gegenseite gelegter Hand) zu<br />

verifizieren ist. [2]<br />

Verletzungen des<br />

Sternoclaviculargelenkes [1,4]<br />

Bei dieser seltenen Verletzung kann es zu<br />

einer ventralen o<strong>der</strong> dorsalen Luxation<br />

kommen, <strong>der</strong>en nativradiologischer Nachweis<br />

nach Rockwood a. p. mit 30 Grad<br />

ansteigendem Strahlengang nicht immer<br />

gelingt. In <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle ist <strong>für</strong><br />

Diagnosestellung und OP-Indikation ein<br />

CT erfor<strong>der</strong>lich.


Abb. 5: Röntgen-Bild Y-Aufnahme Abb. 6: Technik transaxilläre Aufnahme Abb. 7: Röntgen-Bild transaxilläre Aufnahme<br />

Traumatische Weichteilverletzungen<br />

<strong>der</strong> Schulter [3,5]<br />

Bei frischem Trauma ist eine knöcherne<br />

Verletzung mit <strong>der</strong> „Trauma“-Serie <strong>aus</strong>zuschließen.<br />

Die Untersuchung möglicher<br />

Weichteilverletzungen im MRT sollte allerdings<br />

mit einer klaren Fragestellung in den<br />

Schnittebenen paracoronar (senkrecht zum<br />

Glenoid), parasagittal (parallel zur Gelenkfläche)<br />

sowie axial bis zum Proc. coracoideus<br />

erfolgen, insbeson<strong>der</strong>e auch bei Luxationen<br />

nach dem 50. Lebensjahr. [2,6] Die<br />

Indikation sollte gegebenenfalls mit dem<br />

potenziellen Operateur abgesprochen werden.<br />

Intraoperative Bildgebung<br />

Die intraoperative Erstellung von Röntgenbil<strong>der</strong>n<br />

in den üblichen und reproduzierbaren<br />

Standardprojektionen ist <strong>für</strong> die weitere<br />

Verlaufsbeurteilung unabdingbar und<br />

einzufor<strong>der</strong>n. Mittels Bildwandler erstellte<br />

„schöne Bil<strong>der</strong>“ außerhalb <strong>der</strong> üblichen<br />

und reproduzierbaren Standardprojektionen<br />

sind selten zweckdienlich und nur zur<br />

Dokumentation einer korrekten Implantatlage<br />

hinsichtlich Schrauben-/Bolzenlage<br />

und -länge sinnvoll.<br />

Postoperative Bildgebung<br />

Auch diese sollten wie<strong>der</strong>um in den be -<br />

schriebenen Standardprojektionen erfolgen.<br />

Bei fraglicher Implantatfehllage o<strong>der</strong> Fragmentfehlstellung<br />

ist in Einzelfällen ein CT<br />

erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Fazit<br />

Die Bildgebung bei Verletzungen des<br />

Schultergürtels reduziert sich in allen<br />

Behandlungsphasen im Prinzip auf wenige<br />

Standardaufnahmen. Optimale Einstellung<br />

vor<strong>aus</strong>gesetzt, lassen sich damit die komplexe<br />

Anatomie und die meisten ossären<br />

Verletzungen des Schultergürtels darstellen.<br />

[4] Weiterführende Diagnostik mittels<br />

mo<strong>der</strong>ner Schnittbildverfahren sollte bei<br />

bestehen<strong>der</strong> OP-Indikation in Absprache<br />

mit dem Operateur erfolgen, um unnötige<br />

Doppeluntersuchungen zu vermeiden.<br />

Kontakt<br />

Dr. Ralf Gütschow<br />

Literatur<br />

Unfallchirurgie<br />

II. Chirurgische Abteilung – Unfall-,<br />

Gefäß- und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Barmbek<br />

Rübenkamp 220<br />

22291 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-82 28 21<br />

Fax (0 40) 18 18-82 28 29<br />

E-Mail: r.guetschow@asklepios.com<br />

[1] Golser K, Resch H. Röntgenabklärung <strong>der</strong> Schulter<br />

einschl. CT. In: Habermeyer P, Schweiberer L. Schulter -<br />

chirurgie. Urban & Schwarzenberg Verlag 2. Auflage 2002:<br />

83-131.<br />

[2] Hedtmann A, Heers G, Hei<strong>der</strong>sdorf S. Bildgebende<br />

Verfahren an <strong>der</strong> Schulter. Arthroskopie 2001; 14: 74-93.<br />

[3] Hendricks P, Krahn-Peters V. Verletzungen des Schultergelenks.<br />

Trauma Berufskrankh 2001; 4: 512-8.<br />

[4] Philipp MO, Philipp-H<strong>aus</strong>er S, Breitenseher M. Das<br />

akute ossäre Trauma des Schultergürtels. Radiologie 2004;<br />

44: 562-8.<br />

[5] Rademacher G, Mutze S. Schultergelenkverletzung.<br />

Trauma Berufskrankh 2006; 3: 247-52.<br />

[6] Zeiler C, Wiedemann E, Brunner U, Mutschler W.<br />

Schulterdiagnostik. Trauma Berufskrankh 2003; 5: 108-13.<br />

491


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Die klassische Trigeminusneuralgie –<br />

<strong>Klinik</strong>, Diagnostik, Therapie<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler, PD Dr. Bernd Eckert, Prof. Dr. Axel Müller-Jensen<br />

Die Schmerzen <strong>der</strong> klassischen Trigeminusneuralgie gehören zu den stärksten <strong>für</strong> den Menschen vorstellbaren<br />

Schmerzen. Auf einer Schmerzskala von 0 bis 10 erreichen sie fast immer die höchste Stufe. Das macht eine fachgerechte<br />

und zügige Diagnostik sowie Einleitung einer meist außerordentlich erfolgreichen Therapie notwendig.<br />

<strong>Klinik</strong>, Pathophysiologie und<br />

Epidemiologie<br />

Die Trigeminusneuralgie ist gekennzeichnet<br />

durch einseitige, blitzartig einschießende<br />

Schmerzattacken im Versorgungsgebiet<br />

des I. – III. Trigeminusastes (Abb. 1). Die<br />

Attacken sind von Sekunden Dauer, treten<br />

häufig in Serien auf und können durch<br />

Reizung sogenannter Triggerzonen <strong>aus</strong> -<br />

gelöst werden (z. B. Berührung, Luftzug,<br />

Kauen). Synonym werden Begriffe wie Tic<br />

doloreux, typische, essentielle o<strong>der</strong> idiopathische<br />

Trigeminusneuralgie gebraucht.<br />

■ essentielle Trigeminusneuralgie<br />

■ typische Trigeminusneuralgie<br />

■ Tic doloreux<br />

■ idiopathische Trigeminusneuralgie<br />

Tab. 1: Synonyme <strong>der</strong> klassischen Trigeminusneuralgie<br />

Idiopathisch ist jedoch irreführend, da<br />

ursächlich ein Gefäß-Nerv-Konflikt im<br />

Übergang zwischen Trigeminusnerven und<br />

Brücke vorliegt. Der Gefäß-Nerven-Kontakt<br />

führt zu einer umschriebenen Atrophie <strong>der</strong><br />

Dendroglia/Myelinscheide. [6] Dieser<br />

Übergangsbereich ist beson<strong>der</strong>s sensibel.<br />

Durch die Atrophie können Impulse von<br />

den Fasern, die die Berührungsempfindung<br />

weiterleiten, auf die Schmerzfasern<br />

überspringen. Diese „Ephapsen“ erklären<br />

492<br />

die Triggerbarkeit sowie die blitzartig einschießenden<br />

Schmerzen.<br />

Die Trigeminusneuralgie beginnt in <strong>der</strong><br />

Regel nicht vor <strong>der</strong> 4. Lebensdekade, die<br />

Häufigkeit steigt mit dem Lebensalter. Die<br />

Inzidenz beträgt bei Männern 3,4/100.000,<br />

bei Frauen 5,9/100.000 pro Jahr. [1,4] Am<br />

häufigsten sind <strong>der</strong> II. und III. Trigeminus -<br />

ast zusammen be troffen, es folgen <strong>der</strong> II.<br />

und III. Ast jeweils allein. Die Beteiligung<br />

des I. Trige minus astes ist ebenso wie ein<br />

beidseitiger Befall so selten, dass an <strong>der</strong><br />

Diag nose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie ge -<br />

zweifelt werden muss. Der neurologische<br />

Befund erweist sich als regelrecht. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

lassen sich keine sensiblen Defizite<br />

und auch keine zusätzlichen neurologischen<br />

Herdsymptome feststellen.<br />

■ blitzartige einschießende Schmerzattacken im<br />

Versorgungsgebiet des I. – III. Trigeminusastes<br />

■ Attacken von Sekunden Dauer, häufig in Serien<br />

auftretend<br />

■ Attacken durch Reizung sog. Triggerzonen <strong>aus</strong>lösbar<br />

(z. B. Berührung, Luftzug, Kauen u. a.)<br />

■ kein Dauerschmerz, keine sensiblen Ausfälle,<br />

keine zusätzlichen neurologischen Herdsymptome<br />

Tab. 2: Klinische Symptomatologie <strong>der</strong> klassischen<br />

Trigeminusneuralgie<br />

Differentialdiagnostisch ist die Trigeminus -<br />

neuralgie von <strong>der</strong> Trigeminusneuropathie<br />

unterschiedlicher Ätiologie, vom atypischen<br />

Gesichtsschmerz sowie dem seltenen<br />

SUNCT-Syndrom (short-lasting unilateral<br />

neuralgiform headache attacks with conjunctival<br />

injection, tearing, sweating and<br />

rhinorrhoea) abzugrenzen.<br />

■ Trigeminusneuropathie<br />

■ Multiple Sklerose (MS)<br />

■ Raumfor<strong>der</strong>ung/Tumor <strong>der</strong> hinteren und<br />

mittleren Schädelgrube<br />

■ vaskuläre und/o<strong>der</strong> entzündliche Erkrankungen<br />

(vaskulär-diabetisch, Kollagenosen, Zoster,<br />

Borreliose, Sarkoidose, Lepra)<br />

■ atypischer Gesichtsschmerz (z. B. Kiefergelenkserkrankung,<br />

Karies etc.)<br />

■ SUNCT-Syndrom (selten): short-lasting uni lateral<br />

neuralgiform headache attacks with conjunctival<br />

injection, tearing, sweating and rhinorrhoea<br />

Tab. 3: Differentialdiagnose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie


Bildgebende Diagnostik<br />

Die Differentialdiagnose zwischen klassischer<br />

und symptomatischer Trigeminusneuralgie<br />

wird durch bildmorphologische<br />

Befunde gestützt, die vor allem mit <strong>der</strong><br />

Kernspintomographie erhoben werden.<br />

Organische Ursachen einer symptomatischen<br />

Trigeminusneuralgie sind mit einem<br />

kompletten MRT-Untersuchungsprotokoll<br />

■ MRT:<br />

Cerebrum: T2 transversal, sagittal,<br />

Diffusionswichtung<br />

KHBW: T1-/+ KM transversal<br />

CISS o<strong>der</strong> T2-Dünnschicht (1 mm)<br />

transversal evtl. coronar<br />

(KHBW = Kleinhirnbrückenwinkel)<br />

■ ggfs CCT:<br />

Knöcherne Läsion, Tumorverkalkung<br />

■ ggfs. Angiographie:<br />

Gefäßmalformation, Aneurysma, Tumorvaskularisation,<br />

Prä-OP Embolisation<br />

Tab. 4: Neuroradiologische Bildgebung bei <strong>der</strong><br />

Trigeminusneuralgie<br />

mit sehr großer Sicherheit zu erkennen. Die<br />

Ausschlussdiagnostik dient in erster Linie<br />

<strong>der</strong> Erfassung von Tumoren im Kleinhirnbrückenwinkel<br />

(häufig: Meningeome des<br />

Ligamentum petrosellare, Neurinome),<br />

entzündlichen Prozessen (ganz überwiegend<br />

Multiple Sklerose) sowie malignen<br />

Grun<strong>der</strong>krankungen (Schädelbasistumore,<br />

Metastasen, Meningeosis carcinomatosa).<br />

Abb. 1 – Schmerz<strong>aus</strong>breitung <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie:<br />

1. Ast: Stirn und Nasenrücken<br />

2. Ast: Oberkieferbereich<br />

3. Ast: Unterkieferbereich<br />

Die bildgebende Diagnostik muss den<br />

gesamten pontinen Abschnitt des Trigeminuskerngebietes,<br />

das arachnoidale Kompartiment<br />

des Nervus trigeminus, das<br />

Ganglion Gasseri im Cavum Meckeli sowie<br />

die peripheren Äste im Verlauf des Sinus<br />

cavernosus vollständig erfassen.<br />

Zur Darstellung des arachnoidalen Ver -<br />

laufes vom Hirnstamm bis zum Ganglion<br />

Gasseri eignen sich dünnschichtige Se -<br />

quenzen, die einen sehr hohen Kontrast<br />

zwischen den Hirnnerven und dem umgebenden<br />

Arachnoidalraum herstellen (T2-<br />

Dünnschicht – 0,9 bis 1 mm – Abb. 2) o<strong>der</strong><br />

eine 3-D-Gradientenechosequenz, CISS-<br />

Sequenz (Constructive Interference in<br />

Steady State, rekonstruierte Schichtdicke<br />

0,8 mm). Auch die Auffaserung des N. trigeminus<br />

im Ganglion Gasseri lässt sich in<br />

den dünnschichtigen Sequenzen gut erfassen.<br />

Die Sequenzen besitzen eine sehr hohe<br />

Sensitivität zur Erfassung raumfor<strong>der</strong>n<strong>der</strong><br />

Prozesse.<br />

Eine meningeale Anreicherung sowohl im<br />

Niveau <strong>der</strong> Arachnoidea als auch in <strong>der</strong><br />

Dura mater ist nur in <strong>der</strong> kontrastmittel -<br />

gestützten Sequenz zu erkennen und vor<br />

allem zur Erfassung einer Meningeosis carcinomatosa/leucaemica<br />

o<strong>der</strong> einer granulomatösen<br />

Meningitis unverzichtbar. Bei<br />

<strong>der</strong> DD von Raumfor<strong>der</strong>ungen im Kleinhirnbrückenwinkel<br />

kann eine Diffusions-<br />

Neurochirurgie<br />

Abb. 2 – MRT: T2-Dünnschicht, Trigeminusneurinom<br />

(schmaler Pfeil), li. am Übergang zum Ganglion Gasseri,<br />

Gefäß-Nerven-Kontakt (breiter Pfeil)<br />

Abb. 3a – Differentialdiagnose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie:<br />

Epi<strong>der</strong>moid – MRT<br />

oben: T1 nach KM, Asymmetrie mit erweitertem linken<br />

KHBW (Kleinhirnbrückenwinkel), keine KM-Anreicherung,<br />

kein erkennbarer Tumor;<br />

unten: Diffusionswichtung, Diffusionsstörung im linken<br />

KHBW: Pathognomonischer Befund <strong>für</strong> ein Epi<strong>der</strong>moid<br />

493


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Abb. 3b – Differentialdiagnose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie: Epi<strong>der</strong>moid – MRT<br />

links: T2 Dünnschicht transversal, <strong>der</strong> re. N. Trigeminus gut abgrenzbar, <strong>der</strong> li. Trigeminus<br />

wird durch das nahezu liquorisointense Epi<strong>der</strong>moid verlagert;<br />

rechts: T2 Dünnschicht coronar, <strong>der</strong> li. Trigeminus (Pfeil) wird durch das Epi<strong>der</strong>moid nach<br />

cranial verdrängt<br />

wichtung sehr hilfreich sein. Eine hier<br />

lokalisierte Diffusionsstörung ist pathognomonisch<br />

<strong>für</strong> ein Epi<strong>der</strong>moid insbeson<strong>der</strong>e<br />

in <strong>der</strong> Abgrenzung von einer Arachnoidalzyste<br />

(Abb. 3a, b). Eine umschriebene An -<br />

reicherung im N. trigeminus ohne Raumfor<strong>der</strong>ung<br />

entspricht dem Befund einer<br />

Neuritis und ist nur gelegentlich als<br />

Hyperintensität in <strong>der</strong> T2-Wichtung zu<br />

erkennen. Sehr viel häufiger ist <strong>der</strong> Nachweis<br />

von Demyelinisierungsherden im<br />

Hirnstamm bei einer Multiplen Sklerose.<br />

Bei knochendestruierenden Prozessen o<strong>der</strong><br />

Tumoren, die in die Schädelbasis einwachsen,<br />

ist die Computertomographie eine<br />

unverzichtbare Zusatzmethode, um das<br />

Ausmaß <strong>der</strong> Knochendestruktion o<strong>der</strong> eine<br />

Tumormatrix <strong>aus</strong>reichend darzustellen. Die<br />

Morphologie <strong>der</strong> Destruktion ist darüber<br />

hin<strong>aus</strong> ein wichtiges differentialdiagnostisches<br />

Kriterium (Abb. 4).<br />

Der Kontakt zwischen dem Trigeminus<strong>aus</strong>trittspunkt<br />

und einem Gefäß, vor allem <strong>der</strong><br />

A. cerebelli superior, ist ein häufiger<br />

Befund, <strong>der</strong> allein keine pathogene Bedeutung<br />

besitzt (Abb. 2). Gefäß-Nerven-Kontakte<br />

zeigen sich abhängig von <strong>der</strong> technischen<br />

Qualität <strong>der</strong> Untersuchung bei je<strong>der</strong><br />

vierten gesunden Kontrollperson. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei älteren Patienten mit einer<br />

hypertensiven Makrovaskulopathie sieht<br />

man häufig eine Elongation <strong>der</strong> A. basilaris<br />

mit direktem Kontakt zum N. trigeminus,<br />

ohne dass dies Symptome <strong>aus</strong> lösen würde.<br />

Nur in Verbindung mit <strong>der</strong> Symptomatik<br />

einer klassischen Trigemi nus neuralgie ist<br />

494<br />

<strong>der</strong> Nachweis eines Gefäß-Nerven-Kontaktes<br />

diagnostisch zu werten und bei <strong>der</strong><br />

Indikation zur operativen Therapie zu<br />

berücksichtigen.<br />

Medikamentöse Therapie<br />

In <strong>der</strong> Regel sollte zunächst ein Therapieversuch<br />

mit Carbamazepin in einschleichen<strong>der</strong><br />

Dosierung unternommen werden.<br />

[2] Wegen weniger Interaktionen<br />

könnte auch Oxcarbazepin primär Verwendung<br />

finden, welches in einem Verhältnis<br />

1,5:1 zum Carbamazepin steht. Vor allem<br />

bei älteren Pa-tienten ist hier aber eine<br />

gelegentlich auftretende Hyponatriämie<br />

als Nebenwirkung zu berücksichtigen.<br />

Bei therapierefraktären Schmerzen ist eine<br />

add-on-Therapie mit Lamotrigin o<strong>der</strong><br />

Gabapentin indiziert. In <strong>der</strong> letzten Zeit<br />

hat sich – auch bereits in <strong>der</strong> Monotherapie<br />

– Pregabalin in einer bereits effektiven<br />

Anfangsdosierung von 2 x 75 mg/d bei<br />

guter Verträglichkeit bewährt. Phenytoin<br />

kann parenteral bei Schluckunfähigkeit<br />

wertvoll sein. Bei anhaltenden Schmerzsalven<br />

im Akutfall kann hier 250 mg Phenytoin<br />

i. v. in 20 Mi nuten einen Durchbruch<br />

Abb. 4 – Differentialdiagnose <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie: Schädelbasistumor – Sarkom –<br />

links MRT: T1 fettgesättigt nach KM, KM anreichern<strong>der</strong> Tumor in <strong>der</strong> rechten<br />

Felsenbeinspitze mit Hirnstammkompression am Austrittspunkt des re. Trigeminus<br />

und Infiltration <strong>der</strong> temporalen Dura<br />

rechts CCT: Maligne Knochendestruktion im Felsenbein und Os temporale re.<br />

sowie im Clivus<br />

ermöglichen. Generell ist eine Monotherapie<br />

zu bevorzugen in Verbindung mit konsequenter<br />

Aufsättigung. Umsetzen o<strong>der</strong><br />

Kombination sollte erst bei Refraktärität<br />

erwogen werden. Es gilt, die niedrigste<br />

noch wirksame Dosis zu finden. Eine<br />

Dosisreduktion sollte in <strong>der</strong> Regel erst<br />

nach vier bis sechs Wochen Schmerzfreiheit<br />

versucht werden.<br />

Operative Verfahren<br />

Nach Versagen o<strong>der</strong> Unverträglichkeit <strong>der</strong><br />

konservativen Therapie, aber auch bei<br />

berufsbedingten Bedenken gegen die medikamentöse<br />

Therapie (z. B. bei Kraftfahrern)<br />

ist an eine operative Therapie zu denken.<br />

Bevorzugt wird meist die k<strong>aus</strong>ale, nicht<br />

destruktive mikrovaskuläre Dekompres-<br />

■ Carbamazepin – 600 – 1.500 mg ➔ 75 % Effektivität<br />

■ Oxcarbazepin – 600 – 2.400 mg ➔ weniger Interaktionen<br />

■ Lamotrigin – 100 – 400 mg ➔ langsam aufdosieren (Exanthem)<br />

■ Gabapentin – 900 – 3.600 mg ➔ gute Verträglichkeit<br />

■ Pregabalin – 150 – 600 mg ➔ gute Verträglichkeit<br />

■ Phenytoin – 100 – 400 mg ➔ i. v. Gabe möglich<br />

■ Capsaicin – 0,03 % Flüssigkeit lokal ➔ Brennen als initiale Nebenwirkung<br />

Tab. 5: Medikamentöse Therapie <strong>der</strong> Trigeminusneuralgie<br />

■ typische Trigeminusneuralgie<br />

■ Ausschluss an<strong>der</strong>er Ursachen (z. B. Kleinhirnbrückenwinkeltumoren)<br />

■ Pharmakoresistenz o<strong>der</strong> – Unverträglichkeit<br />

■ vertretbares Narkoserisiko<br />

Tab. 6: Indikationen zur Jannetta-Operation


sion nach Jannetta (Tab. 6). Alle perkutanen<br />

Verfahren sind destruktive Verfahren. Im<br />

Einzelfall muss eine individuelle Therapie<br />

in Abhängigkeit von Alter, Begleiterkrankungen<br />

und Patientenwunsch (z. B. Angst<br />

vor Schädeleröffnung) gesucht werden.<br />

Die häufigsten Verfahren sind die Thermoläsion<br />

des Ganglion Gasseri und die mikrovaskuläre<br />

Dekompression nach Jannetta.<br />

Thermoläsion des Ganglion Gasseri<br />

Die Schmerzfasern (Aδ- und C-Fasern)<br />

haben nur eine dünne bzw. gar keine Myelinschicht.<br />

Damit sollen sie gegenüber<br />

einer Erhitzung viel anfälliger sein als<br />

Fasern mit einer dickeren Myelinschicht.<br />

Tatsächlich kommt es bei einer Erhitzung<br />

auf 65 – 70 °C aber zu einer Schädigung<br />

praktisch aller Fasern, wobei die Entfernung<br />

zur Nadelspitze eine Rolle spielen<br />

dürfte. So sind nach einer Thermoläsion<br />

neben <strong>der</strong> Schmerzfreiheit doch auch ge -<br />

wisse Gefühlstörungen in Kauf zu nehmen.<br />

Technik: 2 – 3 cm lateral des Mundwinkels<br />

wird eine Thermosonde eingeführt und<br />

unter Röntgen-Bildwandler-Kontrolle<br />

durch das Foramen ovale bis zur Trigeminuswurzel<br />

geschoben (Abb. 5). Die exakte<br />

Position wird durch Stimulation beim<br />

wachen Patienten so lange variiert, bis eine<br />

Reizung genau in dem schmerzhaften<br />

Gesichtsbereich gelingt. Unter einer Kurznarkose<br />

wird dann die Nadelspitze auf<br />

65 – 70 °C <strong>für</strong> eine Minute erhitzt. [9] Ist die<br />

Stimulationsstärke zum Erzielen eines<br />

Foramen ovale<br />

Schmerzes verdreifacht o<strong>der</strong> bereits eine<br />

Analgesie im lädierten Bereich vorhanden,<br />

wird die Thermoläsion beendet und die<br />

Nadel entfernt. Der Patient kann in <strong>der</strong><br />

Regel 1 – 2 Tage später die <strong>Klinik</strong> verlassen.<br />

Die Erfolgsquote liegt bei über 90 Prozent,<br />

zum Teil werden auch sehr günstige Langzeitergebnisse<br />

mit 80 Prozent nach zehn<br />

Jahren angegeben. Bei einem Rezidiv kann<br />

die Thermoläsion wie<strong>der</strong>holt werden.<br />

Auch einige atypische Trigeminusneuralgien<br />

können mit den perkutanen Verfahren<br />

günstig, wenn auch deutlich weniger<br />

erfolgreich beeinflusst werden.<br />

Mikrovaskuläre Dekompression<br />

(Jannetta-Operation) [7]<br />

Prinzip <strong>der</strong> einzig k<strong>aus</strong>alen Behandlung<br />

<strong>der</strong> typischen Trigeminusneuralgie ist die<br />

Behebung des Gefäß-Nerven-Kontakts im<br />

präpontinen Trigeminusabschnitt durch<br />

Einbringen eines Polsters zwischen Nerven<br />

und Gefäß. Die Operation führen wir in<br />

<strong>der</strong> Regel in Rückenlage mit zur Gegen -<br />

seite gedrehtem Kopf durch. So „fällt“ das<br />

Kleinhirn nach Liquorentnahme mit <strong>der</strong><br />

Schwerkraft nach unten und gibt den<br />

Kleinhirnbrückenwinkel ohne Retraktion<br />

frei. Nach Durchtrennen einiger arachnoidaler<br />

Adhärenzen werden Trigeminus und<br />

komprimierendes Gefäß im Kleinhirnbrü -<br />

ckenwinkel freipräpariert. Häufig findet<br />

man eine erhebliche Druckusur am Nerven.<br />

Nach Abpräparation und evtl. Ver -<br />

lagerung des Gefäßes wird ein Polster<br />

★<br />

Neurochirurgie<br />

Abb. 5: Schema <strong>der</strong> Punktion des Ganglion Gasseri (★).<br />

Die Nadel wird etwa 2–3 cm lateral des Mundwinkels<br />

eingestochen und durch die Wange zur Schädelbasis und<br />

hier durch das Foramen ovale vorgeschoben. Diese Punktionstechnik<br />

wird <strong>für</strong> alle perkutanen Verfahren (Thermoläsion,<br />

Glycerolinjektion und Ballonkompression) angewandt.<br />

(Teflon o<strong>der</strong> Muskelstück) eingelegt, um<br />

den erneuten Konflikt zu verhin<strong>der</strong>n<br />

(Abb. 6). Danach wird die Wunde mittels<br />

Dura-, Muskel-, Subkutan- und Hautnaht<br />

verschlossen. Die kleine ca. 2 bis 2,5 cm<br />

große Trepanationsöffnung wird mit dem<br />

<strong>aus</strong>gesägten Knochenstück o<strong>der</strong> durch<br />

Knochenzement (Palacos) verschlossen.<br />

Der Krankenh<strong>aus</strong>aufenthalt liegt bei sieben<br />

Tagen.<br />

Die Erfolgsquote ist hoch: Schmerzfreiheit<br />

wird in über 80 Prozent erreicht, in gut<br />

15 Prozent eine Schmerzlin<strong>der</strong>ung. Die<br />

Patienten wachen in <strong>der</strong> Regel bereits<br />

schmerzfrei <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Narkose auf. Die Mortalitätsrate<br />

liegt bei 0,5 Prozent, Komplikationen<br />

werden in 3,6–34 Prozent angegeben,<br />

erwähnenswert sind hier die Hypästhesie<br />

im Trigeminusbereich, die Taubheit des<br />

ipsilateralen Ohres und die Liquorfistel.<br />

Operationsbedürftige Rezidive treten in<br />

einer Größenordnung von elf Prozent bei<br />

einer mittleren Nachbeobachtungszeit von<br />

sechs Jahren auf.<br />

Eine Reihe an<strong>der</strong>er Erkrankungen, die<br />

durch einen Gefäß-/Nervenkonflikt <strong>aus</strong>gelöst<br />

werden (z. B. Facialisspasmus, Glossopharyngeusneuralgie,<br />

Tinnitus [Kompression<br />

des N. statoacusticus], Torticollis<br />

spasticus [Kompression <strong>der</strong> 1. Cervikalwurzel],<br />

arterieller Hypertonus durch<br />

Kompression des linksseitigen N. vagus<br />

und <strong>der</strong> medulla oblongata), können ebenso<br />

erfolgreich mit einer mikrovaskulären<br />

Dekompression behandelt werden.<br />

495


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Abb. 6: Intraoperative Fotos einer mikrovaskulären Dekompression; a: <strong>der</strong> Trigeminusnerv ist präpontin freipräpariert und die Kompression durch die unter dem Nerv liegende<br />

Arterie ist erkennbar; b: die Arterie wurde freipräpariert und hervorluxiert; c: zwischen Nerv und Arterie wurde ein Teflonpolster eingelegt<br />

★: Trigeminusnerv; gepunktete Linie: unter dem Nerv liegende Arterie mit Ausbuchtung des Nervens<br />

❍: Hirnstamm; ➚: hervorluxiertes und in c, abgepolstertes Gefäß; ■: Teflonpolster<br />

Seltene Verfahren<br />

Glycerolinjektion<br />

Die Glycerolinjektion wird mit <strong>der</strong> gleichen<br />

Punktionstechnik wie die Thermoläsion<br />

durchgeführt. Die Nadelspitze wird in<br />

die Trigeminuszisterne (die das Ganglion<br />

Gasseri umgibt) platziert. Injiziert werden<br />

ca. 0,4 ml Glycerol, ein wasserfreier Alkohol.<br />

Die Erfolgsquote liegt über 90 Prozent,<br />

die Langzeiterfolge werden nach zehn Jahren<br />

mit 80 Prozent angegeben. [3] Gefühlstörungen<br />

sind häufig, störende Dysästhesien<br />

werden mit 20 – 40 Prozent angegeben.<br />

Die Anaesthesia dolorosa (Schmerz bei<br />

gleichzeitigem Ausfall <strong>der</strong> Oberflächen -<br />

sensibilität) wird mit 1,8 Prozent erwartet,<br />

aseptische Meningitiden sind möglich.<br />

Ballonkompression des Ganglion Gasseri<br />

Ein vier French aufblasbarer Ballonkatheter<br />

wird in oben beschriebener Punktionstechnik<br />

in die Trigeminuszisterne eingeführt<br />

und mit 0,75 – 1 ml (entsprechend einem<br />

intraluminalen Druck von ca. 1.000 – 1.500<br />

mmHg) gefüllt. Die anfänglichen Ergebnisse<br />

entsprechen denen an<strong>der</strong>er perkutaner<br />

Verfahren, die Rezidivquote ist jedoch<br />

höher. Die Anaesthesia dolorosa tritt dagegen<br />

nur extrem selten auf (0,1 Prozent). [8]<br />

Stereotaktische Bestrahlung<br />

Der Anfangserfolg <strong>der</strong> stereotaktischen<br />

Bestrahlung <strong>der</strong> Trigeminusnervenwurzel<br />

liegt bei über 85 Prozent und sinkt nach<br />

33 Monaten auf 75,4 Prozent. Nach <strong>der</strong><br />

Prozedur treten in zehn Prozent Gefühl -<br />

496<br />

★<br />

❍<br />

★<br />

➚<br />

❍<br />

a b c<br />

störungen auf, Langzeitergebnisse sind<br />

abzuwarten. [5]<br />

Die früher geübten läsionellen Therapien<br />

(Exhärese peripherer Trigeminusäste und<br />

die extradurale Durchtrennung von Trigeminusästen<br />

an <strong>der</strong> Schädelbasis) können<br />

mit den Erfolgs- und Komplikationsquoten<br />

<strong>der</strong> perkutanen Verfahren nicht mithalten<br />

und sollten heute nicht mehr durchgeführt<br />

werden. [1]<br />

Fazit<br />

Die klassische Trigeminusneuralgie ist<br />

klinisch bereits durch sorgfältige Schmerzanalyse<br />

mit hoher Sicherheit zu diagnostizieren.<br />

Symptomatische Trigeminusneuropathien<br />

sowie atypischer Gesichtsschmerz<br />

müssen differentialdiagnostisch <strong>aus</strong> geschlossen<br />

werden. Die bildgebende Diagnostik<br />

ist hier beson<strong>der</strong>s zum Tumor<strong>aus</strong>schluss<br />

wichtig. Der Gefäß-Nerven-Kontakt<br />

ist bei hochauflösenden NMR-Schichten<br />

bereits häufig zu erkennen, kann aber auch<br />

ohne entsprechende Symptomatik vorkommen.<br />

Nach Versagen bzw. bei Unverträglichkeit<br />

<strong>der</strong> medikamentösen konservativen<br />

Therapie sind die etabliertesten operativen<br />

Verfahren die k<strong>aus</strong>ale mikrovaskuläre<br />

Dekompression nach Jannetta o<strong>der</strong> die<br />

symptomatische Thermoläsion des Gang -<br />

lion Gasseri. Beide haben eine sehr günstige<br />

Prognose bei – in geübter Hand – sehr<br />

geringer Komplikationsrate. Erlaubt es <strong>der</strong><br />

klinische Zustand, ist die k<strong>aus</strong>ale mikrovaskuläre<br />

Dekompression vorzuziehen, da<br />

sie eine Heilung mit einer geringen Rezidivrate<br />

ohne zusätzliche Sensibilitätsstörungen<br />

verspricht.<br />

Kontakt<br />

➚<br />

■<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

★<br />

❍<br />

Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 16 71<br />

Fax: (0 40) 18 18-81 49 11<br />

E-Mail: u.kehler@asklepios.com<br />

Literatur<br />

[1] AWMF-Leitlinien-Register Nr 030/016 Trigeminus -<br />

neuralgie<br />

[2] Al-Khalaf B, Loew F, Donauer E: Stufenplan zur<br />

Behandlung <strong>der</strong> essentiellen Trigeminusneuralgie,<br />

Dt <strong>Ärzte</strong>blatt 1999; 96A: 3177-81.<br />

[3] Jho H, Lundsford D: Percutaneous retrogasserian<br />

gylcerol rhizitomy. Neurosurg Clin N Amer 1997; 8: 63-74,<br />

[4] Kautusic S, Beard CM, et al: Incidence and clinical<br />

features of trigeminal neuralgia, Rochester, Minnesota<br />

1945-1984. Ann Neurol 1990; 27: 89-95.<br />

[5] Kondziolka D et al: Stereotactic radiosurgery for the<br />

treatment of trigeminal neuralgia. Clin J Pain 2002; 18: 42-7.<br />

[6] Love S, Coakham B: Trigeminal neuralgia: pathology<br />

and pathogenesis. Brain 2001; 124: 2347-60.<br />

[7] McLaughlin M, Jannetta PJ et al: Microvascular decompression<br />

of cranial nerves: lessons learned after 4400 operations.<br />

J Neurosurg 1999; 90:1-8.<br />

[8] Skirving D, Dan N. A 20-year review of percutaneous<br />

ballon compression of the trigeminal ganglion. J Neurosurg<br />

2001; 94: 913-7.<br />

[9] Sweet W. Trigeminal neuralgias, Lea & Felbinger,<br />

Philadelphia, 1968: 89-106.


Katheterablation<br />

ventrikulärer Tachykardien<br />

Dr. Boris Schmidt, Dr. KR Julian Chun, Dr. Feifan Ouyang, Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck<br />

VT bei Patienten ohne strukturelle<br />

Herzerkrankung<br />

VT <strong>aus</strong> dem Ausflusstrakt des rechten<br />

Ventrikels (RVOT)<br />

Die häufigste Form von VT bei Patienten<br />

ohne strukturelle Herzerkrankung stellt<br />

die VT <strong>aus</strong> dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt<br />

(RVOT) dar. [1] Sie hat generell<br />

eine günstige Prognose, kann aber erheb -<br />

liche klinische Beschwerden verursachen.<br />

Ursprung sind arrhythmogene Myozyten,<br />

die abhängig von Katecholaminspiegel<br />

und intrazellulärem Kalzium-Gehalt<br />

schnelle VT (Herzfrequenz 200 – 250 min-1 )<br />

generieren können. Im EKG zeigen diese<br />

fokalen VT typischerweise einen Linksschenkelblock<br />

(LSB)-artig deformierten<br />

QRS-Komplex und eine inferiore Achse. Sie<br />

treten häufig bei körperlicher Anstrengung<br />

(hoher Katecholaminspiegel) auf und lassen<br />

sich medikamentös mit Betablockern<br />

o<strong>der</strong> Kalziumantagonisten behandeln.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> günstigen anatomischen<br />

Lage unterhalb <strong>der</strong> Pulmonalklappe im<br />

Ausfluss trakt des RV sind die Substrate<br />

<strong>der</strong> RVOT-VT aber auch einer kurativen<br />

Katheterablation sehr gut zugänglich. Um<br />

den sonst meist gesunden, jungen Patienten<br />

eine dauerhafte medikamentöse Therapie<br />

zu ersparen o<strong>der</strong> bei Versagen <strong>der</strong>sel-<br />

ben, sollte daher die Indikation zur Katheterablation<br />

großzügig gestellt werden.<br />

VT mit Ursprung <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Tasche des<br />

Aortenklappensegels<br />

Eine seltene Variante stellt die Gruppe <strong>der</strong><br />

VT <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Tasche des linken Segels <strong>der</strong><br />

Aortenklappe dar. [2] Hierbei handelt es<br />

sich ebenfalls um fokale VT, <strong>der</strong>en Substrat<br />

arrhythmogene Zellverbände bilden. Die<br />

EKG-Morphologie ähnelt <strong>der</strong> RVOT-VT<br />

mit komplettem LSB und inferiorer Achse.<br />

Die medikamentöse Therapie ist meist<br />

unbefriedigend, somit bietet die Katheterablation<br />

eine kurative Therapieoption<br />

(Abb. 2). Trotz <strong>der</strong> unmittelbaren Nähe <strong>der</strong><br />

Koronararterien ist die Komplikationsrate<br />

in erfahrenen Zentren sehr gering.<br />

Idiopathische linksventrikuläre<br />

Tachykardie (ILVT)<br />

Elektroanatomische Mappinguntersuchungen<br />

haben den Mechanismus <strong>der</strong> ILVT als<br />

Mikro-Reentrytachykardie im distalen Purkinje-System<br />

identifiziert. [3] Eine Leitungsverzögerung<br />

in bestimmten Purkinje-<br />

Fasern ermöglicht den Wie<strong>der</strong>eintritt<br />

retrograd in bereits wie<strong>der</strong> erregbare Purkinje-Fasern,<br />

eine kreisende Erregung entsteht.<br />

Es resultieren schnelle VT (Herzfre-<br />

Kardiologie<br />

Pro Jahr sterben in Deutschland rund 100.000 Menschen am plötzlichen Herztod, meist verursacht durch<br />

ventrikuläre Tachykardien (VT) und Kammerflimmern (Abb. 1). Den sichersten und effektivsten Schutz vor<br />

dem plötzlichen Herztod stellt <strong>der</strong> implantierbare Kardioverter/Defibrillator (ICD) dar. Er kann VT zuverlässig<br />

erkennen und mittels Überstimulation o<strong>der</strong> Schockentladung terminieren. Der ICD ist jedoch keine k<strong>aus</strong>ale<br />

Therapie <strong>der</strong> VT und kann folglich <strong>der</strong>en Auftreten nicht verhin<strong>der</strong>n.<br />

quenz 200 – 250 min-1 ) mit Rechtsschenkelblock<br />

(RSB)-Morphologie und superiorer<br />

Achse im EKG. Durch Ablation <strong>der</strong> betroffenen<br />

Purkinje-Fasern kann die VT mit<br />

sehr gutem Langzeit-Erfolg behandelt<br />

werden.<br />

Schenkelblock-Tachykardien<br />

(engl. Bundle-branch-Reentry; BBRT)<br />

BBRT treten in <strong>der</strong> Regel bei Patienten mit<br />

struktureller Herzerkankung und komplettem<br />

LSB auf, finden sich aber auch bei<br />

„Herzgesunden“ ohne bestehende Erregungs<strong>aus</strong>breitungsstörung.<br />

Während <strong>der</strong><br />

VT kommt es zur antegraden Erregung des<br />

rechten Tawara-Schenkels und retrograden<br />

Impuls<strong>aus</strong>breitung über den linken Tawara-<br />

Schenkel o<strong>der</strong> umgekehrt. [4] Dadurch entstehen<br />

schnelle Makro-Reentrytachykardien<br />

mit Herzfrequenzen von 200 – 250 min-1 und<br />

LSB-artig deformierten QRS-Komplexen im<br />

EKG. Die Therapie <strong>der</strong> Wahl besteht in <strong>der</strong><br />

Ablation des rechten Tawara-Schenkels.<br />

Erstaunlicherweise benötigt anschließend<br />

nur ein geringer Teil <strong>der</strong> Patienten einen<br />

Herzschrittmacher aufgrund eines kompletten<br />

AV-Blocks. Die überwiegende<br />

Mehrheit weist einen kompletten RSB auf.<br />

Dies beweist, dass <strong>der</strong> linke Tawara-Schenkel<br />

zuvor lediglich eine Leitungsverzögerung<br />

aufgewiesen hat und nicht einen tota-<br />

497


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

len Leitungsblock. In einer eigenen Untersuchung<br />

stellten wir fest, dass die Häufigkeit<br />

im Anschluss auftreten<strong>der</strong> VT von <strong>der</strong><br />

zugrunde liegenden Herzerkrankung<br />

abhängt: Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung<br />

wiesen keine VT mehr auf,<br />

während Patienten mit struktureller Herzerkrankung<br />

weiterhin durch myokardiale<br />

VT gefährdet sind und sich einer ICD-<br />

Implantation unterziehen sollten.<br />

VT bei Patienten mit struktureller<br />

Herzerkrankung<br />

Patienten mit struktureller Herzerkrankung<br />

stellen das größte Kollektiv <strong>der</strong> Patienten<br />

mit VT im klinischen Alltag dar. Das größte<br />

Risiko tragen Patienten mit ischämischer<br />

Kardiomyopathie (ICM) o<strong>der</strong> dilatativer<br />

Kardiomyopathie (DCM) und eingeschränkter<br />

linksventrikulärer Pumpfunktion.<br />

Große klinische Untersuchungen zeigten,<br />

dass dieses Patientenkollektiv nur<br />

durch Implantation eines ICD sicher vor<br />

dem arrhythmogenen plötzlichen Herztod<br />

geschützt werden kann (Primärprophylaxe).<br />

[5,6] Das gilt beson<strong>der</strong>s <strong>für</strong> die Sekundärprophylaxe<br />

nach überlebtem plötz-<br />

498<br />

Abb. 1: 12-Kanal-EKG (25 ms/mm) einer ventrikulären Tachykardie (VT) mit Rechtsschenkelblock-Morphologie<br />

(Herzfrequenz ~140 min-1 )<br />

lichen Herztod o<strong>der</strong> dokumentierter VT.<br />

Durch die kardiale Grun<strong>der</strong>krankung entstehen<br />

myokardiale Narben (z. B. nach<br />

Myokardinfarkt, aber auch bei DCM), die<br />

das Substrat <strong>für</strong> Reentry-Tachykardien<br />

bilden. In den Narben überleben kleinste<br />

Areale mit <strong>der</strong> Fähigkeit <strong>der</strong> elektrischen<br />

Leitung. So entstehen Zonen langsamer<br />

Erregungs<strong>aus</strong>breitung, die dem elektrischen<br />

Impuls den Eintritt in eine Kreis -<br />

erregung ermöglichen.<br />

Ziel <strong>der</strong> Katheterablation ist die Identifikation<br />

und Elimination dieser Areale. Häufig<br />

lassen sich bei <strong>der</strong> elektrophysiologischen<br />

Untersuchung durch programmierte<br />

Elektrostimulation mehrere unterschied -<br />

liche VT in einem Patienten induzieren.<br />

Unter Umständen werden die VT zudem<br />

hämodynamisch nicht toleriert. Daher<br />

wurde die Strategie des „Substratmappings“<br />

entwickelt, mit <strong>der</strong> sich durch ein<br />

elektroanatomisches Mappingsystem<br />

anhand <strong>der</strong> intrakardialen Elektrogramme<br />

gesundes Myokard von Narben unterscheiden<br />

lässt (Abb. 3). [7] Diese Areale werden<br />

dann elektrisch isoliert o<strong>der</strong> die überlebenden<br />

Myokardfasern abladiert. Da eine<br />

Narbe ein dreidimensionales Gebilde ist,<br />

kann in einigen Fällen eine epikardiale<br />

Ablation erfor<strong>der</strong>lich werden. Hierzu wird<br />

<strong>der</strong> Mappingkatheter über einen subxyphoidalen<br />

Zugang in den Perikardbeutel<br />

eingebracht und elektrophysiologisch<br />

untersucht. [8]<br />

Da es sich bei <strong>der</strong> ICM und <strong>der</strong> DCM in<br />

<strong>der</strong> Regel um progrediente Erkrankungen<br />

handelt, kann die Katheterablation keine<br />

kurative Maßnahme sein, die Patienten<br />

sollten also trotz primär erfolgreicher Ab -<br />

lation mit einem ICD versorgt werden.<br />

Hauptindikation <strong>für</strong> eine Ablation bei diesen<br />

Patienten ist das Auftreten multipler<br />

Schockentladungen durch den ICD bei therapierefraktären<br />

VT-Rezidiven.<br />

Patienten mit genetischer<br />

Herzerkrankung<br />

Bei Patienten mit elektrischer Kardiomyopathie<br />

(Brugada-Syndrom, Long-QT-Syndrom<br />

u. a.) ist die Katheterablation <strong>der</strong>zeit<br />

nur bei <strong>der</strong> arrhythmogenen rechtsventrikulären<br />

Dysplasie (ARVD) indiziert. [9]<br />

Durch den fettigen Umbau des Myokards


Abb. 2: Fluoroskopische Darstellung des Ablationsortes einer VT vom Aortenklappensegel.<br />

Links in RAO 30°, rechts in LAO 45°. LCA: linke Koronararterie, JC: Judkins-Katheter im<br />

Ostium <strong>der</strong> LCA, His: His-Bündel-Katheter, CS: Koronarvenensinus-Katheter. AS: Ablations -<br />

katheter am Aortenklappensegel<br />

entsteht das Substrat <strong>für</strong> eine Reentry-VT.<br />

Je nach Ausmaß <strong>der</strong> Erkrankung können<br />

diese <strong>aus</strong> dem rechten und/o<strong>der</strong> linken<br />

Ventrikel stammen. Ziel <strong>der</strong> Katheterablation<br />

ist die Identifikation und Ablation dieser<br />

Substrate. Da die ARVD ebenfalls eine<br />

progrediente Erkrankung ist, sollte hier <strong>aus</strong><br />

sekundärprophylaktischer Indikation ebenfalls<br />

ein ICD implantiert werden.<br />

Fazit<br />

Die Katheterablation von VT stellt bei<br />

Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung<br />

meist eine kurative Maßnahme dar,<br />

bei Patienten mit struktureller Herzerkrankung<br />

eine symptomatische Therapie. Vor<br />

<strong>der</strong> Indikationsstellung sollte eine <strong>aus</strong>führliche<br />

Diagnostik mit körperlicher Untersuchung,<br />

Echokardiografie, 12-Kanal-Ruhe-<br />

EKG und ggf. Koronarangiografie erfolgt<br />

sein. Die Dokumentation <strong>der</strong> VT im 12-<br />

Kanal-EKG ermöglicht eine erste Lokalisation<br />

des Ursprungsortes und erleichtert so<br />

die Planung <strong>der</strong> Strategie <strong>für</strong> die invasive<br />

elektrophysiologische Untersuchung.<br />

Literatur<br />

[1] Joshi S, Wilber DJ. Ablation of idiopathic right ventricular<br />

outflow tract tachycardia: current perspectives. J Cardiovasc<br />

Electrophysiol 2005; 16 Suppl 1: S52-S58.<br />

[2] Ouyang F, Fotuhi P, Ho SY, et al. Repetitive monomorphic<br />

ventricular tachycardia originating from the aortic<br />

sinus cusp: electrocardiographic characterization for guiding<br />

catheter ablation. J Am Coll Cardiol 2002; 39(3): 500-<br />

8.<br />

[3] Ouyang F, Cappato R, Ernst S, et al. Electroanatomic<br />

substrate of idiopathic left ventricular tachycardia: unidirectional<br />

block and macroreentry within the purkinje network.<br />

Circulation 2002; 105(4): 462-9.<br />

[4] Tang M, Schmidt B, Shi H, et al. The Left Bundle<br />

Branch-Purkinje System in Patients with Bundle Branch<br />

Reentrant Tachycardia: Lessons from Electroanatomical<br />

Mapping and Catheter Ablation. Submitted to J Cardiovasc<br />

Electrophysiol.<br />

[5] Moss AJ, Zareba W, Hall WJ, et al. Prophylactic implantation<br />

of a defibrillator in patients with myocardial infarction<br />

and reduced ejection fraction. N Engl J Med 2002;<br />

346(12): 877-83.<br />

[6] Bardy GH, Lee KL, Mark DB, et al. Amiodarone or an<br />

implantable cardioverter-defibrillator for congestive heart<br />

failure. N Engl J Med 2005; 352(3): 225-37.<br />

Kontakt<br />

Dr. Boris Schmidt<br />

Hanseatisches Herzzentrum<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />

Lohmühlenstraße 5<br />

20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 44 87<br />

Fax (0 40) 18 18-85 44 35<br />

E-Mail bor.schmidt@asklepios.com<br />

Kardiologie<br />

Abb. 3: Elektroanatomisches Map (Substratmap) des linken Ventrikels bei<br />

einem Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie nach Vor<strong>der</strong>wandinfarkt<br />

(RAO 30°). Je nach Höhe <strong>der</strong> lokalen Signalamplituden werden die Areale<br />

in unterschiedlichen Farben wie<strong>der</strong>gegeben. Die Areale in Lila stellen gesundes<br />

Myokard dar (Amplitude > 1 mV), die bunten Areale sind elektrisch<br />

„krank“ (Amplitude < 1 mV). In Grau stellt sich eine elektrische Narbe dar<br />

(kein Potenzial).<br />

[7] Marchlinski FE, Callans DJ, Gottlieb CD, Zado E. Linear<br />

ablation lesions for control of unmappable ventricular<br />

tachycardia in patients with ischemic and nonischemic<br />

cardiomyopathy. Circulation 2000; 101(11): 1288-96.<br />

[8] Soejima K, Stevenson WG, Sapp JL, Selwyn AP, Couper<br />

G, Epstein LM. Endocardial and epicardial radiofrequency<br />

ablation of ventricular tachycardia associated with dilated<br />

cardiomyopathy: the importance of low-voltage scars. J Am<br />

Coll Cardiol 2004; 43(10): 1834-42.<br />

[9] Dalal D, Jain R, Tandri H, et al. Long-term efficacy of<br />

catheter ablation of ventricular tachycardia in patients with<br />

arrhythmogenic right ventricular dysplasia/cardio myo -<br />

pathy. J Am Coll Cardiol 2007; 50(5): 432-40.<br />

499


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Das chirurgische Vorgehen bei akuten<br />

und chronischen Herzinfarktfolgen<br />

Dr. Stephan Geidel, PD Dr. Michael Laß, Prof. Dr. Jörg Ostermeyer<br />

Pro Jahr erleiden in Deutschland mehr als 250.000 Menschen einen Herzinfarkt. [1] Dabei geht die Ischämiezone<br />

innerhalb weniger Stunden in eine Myokardnekrose über. Grundsätzlich existieren <strong>für</strong> alle direkten Folgen des<br />

Infarkts beziehungsweise <strong>der</strong> Myokardnekrose herzchirurgische Therapieoptionen. Man unterscheidet akute<br />

(Herzwandruptur, postinfarktieller Ventrikelseptumdefekt und Papillarmuskelruptur mit akuter Mitralinsuffizienz)<br />

und chronische Auswirkungen als Resultat einer späteren Narbenbildung (chronisch ischämische Mitral -<br />

insuffizienz, linksventrikuläres Aneurysma und „maligne“ ventrikuläre Tachykardie). Die Therapie beinhaltet in<br />

<strong>der</strong> Regel, vor allem bei chronischen Infarktfolgen, abhängig vom koronarmorphologischen Befund die koronare<br />

Bypassversorgung.<br />

Herzwandruptur<br />

Bezogen auf alle Herzinfarkte liegt die in<br />

<strong>der</strong> Literatur angegebene Häufigkeit einer<br />

Herzwandruptur bei 5 – 10 Prozent (nach<br />

Kammerflimmern und Pumpversagen<br />

dritthäufigste Todesursache bei akutem<br />

Infarkt [2,3] ). Eine akute Zerreißung führt<br />

durch Perikardtamponade rasch zum Tode,<br />

während eine mehrzeitige Ruptur (2 – 5<br />

Tage) chirurgisch behandelbar ist. Rupturen<br />

<strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>wand des linken Ventrikels<br />

(LV) sind etwa doppelt so häufig wie <strong>der</strong><br />

Hinterwand. Methode <strong>der</strong> Wahl ist die<br />

Übernähung <strong>der</strong> Perforationsstelle, gegebenenfalls<br />

mit Infarktektomie. Der Verschluss<br />

kann im Sinne einer Plikatur unter Verwendung<br />

von Filzstreifen erfolgen (Abb. 1),<br />

bei großem Defekt muss ein Patch (z. B.<br />

Dacron) eingesetzt werden. Aus <strong>der</strong> Literatur<br />

ist eine Sterblichkeit von etwa 50 Prozent<br />

zu entnehmen, die längerfristige Prog -<br />

nose hängt vom Ausmaß <strong>der</strong> koronaren<br />

Herzerkrankung ab.<br />

500<br />

Postinfarktieller Ventrikelseptumdefekt<br />

Bei 1 – 2 Prozent aller Infarktpatienten<br />

kommt es zwei bis vier Tage (selten bis<br />

zwei Wochen) nach einem Infarkt mit Septumbeteiligung<br />

und Ruptur zur Ausbildung<br />

einer interventrikulären Kommunikation<br />

(Ventrikelseptumdefekt = VSD). [2,3] Meist<br />

liegt <strong>der</strong> Defekt im Bereich des anterioren/<br />

apikalen Septums und ist mit einer Vor<strong>der</strong>wand-Spitzen-Dyskinesie<br />

vergesellschaftet.<br />

Durch die Ruptur entsteht akut ein Linksrechts-Shunt<br />

mit Fluss- und Druckbelas tung<br />

<strong>der</strong> Lungenstrombahn sowie LV-Volumenbelastung.<br />

Die Prognose ohne chirurgische<br />

Behandlung ist ungünstig: 24 Stunden<br />

nach VSD-Entstehung betragen die Über -<br />

lebensraten 75 Prozent, nach einer Woche<br />

50 Prozent, nach zwei Wochen 30 Prozent<br />

und nach mehr als einem Monat 20 Prozent.<br />

Todesursache ist meist ein akutes/sub -<br />

akutes Linksherzversagen. Bei stabilen<br />

Verhältnissen (ohne Lungenstauung und<br />

Katecholaminbedarf sowie bei guter Urin -<br />

<strong>aus</strong>scheidung) wird die Operation auf 3 – 4<br />

Wochen nach dem Infarkt verschoben, da<br />

die beginnende Narbenbildung günstigere<br />

operationstechnische (festere) Gewebsverhältnisse<br />

ergibt (Abb. 2). Ein Postinfarkt-<br />

VSD stellt wegen seiner hämodynamischen<br />

Relevanz praktisch immer eine dringliche<br />

OP-Indikation dar. Bei akuter Linksherz -<br />

insuffizienz, nachlassen<strong>der</strong> Diurese und<br />

steigenden Katecholamindosen ist ein notfallmäßiger<br />

Eingriff indiziert. Dabei wird<br />

<strong>der</strong> LV durch die infarzierte Wand bzw.<br />

das Aneurysma eröffnet und <strong>der</strong> VSD mit<br />

einem primär dichten Kunststoffpatch verschlossen.<br />

Gleichzeitig erfolgen (bei gegebener<br />

Indikation) eine Aneurysmaresektion<br />

und eine koronararterielle Revaskularisation.<br />

Die OP-Sterblichkeit beträgt 5 – 40<br />

Prozent. Das Risiko ist beson<strong>der</strong>s hoch,<br />

wenn innerhalb <strong>der</strong> frühen Postinfarktphase<br />

operiert werden muss und die Patienten<br />

im kardiogenen Schock zur Operation<br />

kommen (Abb. 3). Nach Überleben des<br />

Eingriffs sind die Fünf-Jahres-Überlebensraten<br />

mit 75 – 80 Prozent relativ günstig.


Ischämische Mitralinsuffizienz<br />

Auf einen Myokardinfarkt mit Papillar -<br />

muskel-(PPM-)beteiligung kann ein PPM-<br />

Abriss (= akute ischämische Mitralklappen -<br />

insuffizienz [MI]) folgen (Abb. 4).<br />

Protrahiert kann es zu Kontraktilitätsverlust,<br />

Dilatation des linksventrikulären<br />

Myokards, Fibrosierung und Verkürzung<br />

(Restriktion) des Tensorapparates mit einer<br />

resultierenden chronisch ischämischen MI<br />

kommen (Abb. 5). [4,5] Dabei entsteht eine<br />

akute/chronische systolische Mitralklappenregurgitation<br />

mit LV-Volumenüberlas -<br />

tung und möglichem Rückstau in die Lungenvenen.<br />

Bei PPM-Abriss und akuter<br />

schwerer MI überlebt ohne chirurgische<br />

Therapie nur etwa je<strong>der</strong> vierte Patient die<br />

ersten 24 Stunden. Bei partiellem Abriss<br />

und gering <strong>aus</strong>geprägtem Reflux ist die<br />

Prognose besser (70 Prozent überleben<br />

24 Stunden, 50 Prozent über einen Monat).<br />

Eine wesentlich günstigere Prognose haben<br />

Patienten mit ischämischer PPM-Dysfunktion.<br />

Bei akuter MI durch PPM-Abriss ist<br />

Herzchirurgie<br />

Abb. 1: Bei mehrzeitiger Myokardruptur 2 – 5 Tage nach dem Infarktereignis (klinisch i. d. R. Dekompensation,<br />

Lungenstauung, hier mit großem Pleuraerguss rechts) finden sich meist Koagel und frische perikardiale Adhäsionen<br />

des gesamten Herzens. Bei <strong>aus</strong>reichen<strong>der</strong> Gewebestabilität und eher kleinem Infarktareal kann <strong>der</strong> Verschluss im<br />

Sinne einer Plikatur unter Verwendung von Filzstreifen erfolgen.<br />

somit meist eine dringliche bis notfallmäßige<br />

Operationsindikation gegeben. Bei chronischer<br />

MI sollte eine Operation ab dem<br />

klinischen Schweregrad II – III (NYHA)<br />

erwogen werden. Häufig muss die akut<br />

geschädigte Mitralklappe durch eine Klappenprothese<br />

ersetzt werden, in einigen<br />

Fällen ist ein klappenerhaltendes Vorgehen<br />

möglich. Eine chronische MI mit gefestigten<br />

Gewebeverhältnissen ermöglicht dagegen<br />

nahezu <strong>aus</strong>nahmslos eine Rekonstruktion.<br />

Meist erfolgt die Implantation eines Mitralklappenringes<br />

geringer Größe (restriktive<br />

Ringannuloplastie als „Down sizing“ o<strong>der</strong><br />

mittels geometrischem Annuloplastiering<br />

mit reduzierter Höhendimension), um<br />

einen kompetenten Klappenschluss zu<br />

erzielen. Die Operationssterblichkeit <strong>für</strong><br />

den Eingriff bei PPM-Abriss in <strong>der</strong> akuten<br />

Postinfarktphase liegt bei 10 – 15 Prozent,<br />

bei chronischer MI in Abhängigkeit von<br />

<strong>der</strong> Pumpfunktion und <strong>der</strong> Komorbidität<br />

mit koronararterieller Bypassversorgung<br />

inzwischen bei nur 2 – 4 Prozent. Nach<br />

überstandener Operation ist die Prognose<br />

als günstig einzuschätzen. Auch Patienten<br />

mit schwerer chronisch ischämischer MI<br />

und eingeschränkter Kammerfunktion<br />

haben nach chirurgischer Therapie (restriktive<br />

Ringannuloplastie + Revaskularisation)<br />

eine gute Prognose. [5]<br />

Ventrikelaneurysma<br />

Eine großflächige transmurale Vernarbung<br />

<strong>der</strong> linksventrikulären Wandung, die morphologisch<br />

und ventrikulographisch als<br />

gut markierte Aussackung imponiert, wird<br />

als Ventrikelaneurysma bezeichnet. Damit<br />

ist <strong>der</strong> Ventrikel morphologisch und funktionell<br />

in ein aneurysmatisches und ein<br />

kontraktiles („Restventrikel“) Segment aufgeteilt.<br />

Die Linie dazwischen ist die so genannte<br />

„Aneurysmapforte“. Aneurysmen entstehen<br />

mit einer Häufigkeit von 10 – 30% innerhalb<br />

von 2 – 8 Wochen nach einem <strong>aus</strong>gedehnten<br />

Herzinfarkt. [2,3] Sie finden sich<br />

zu 85 Prozent im LV-Vor<strong>der</strong>wand-Spitzen-<br />

Septumbereich. Das aneurysmatische Seg-<br />

501


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Abb. 2: Postinfarktieller VSD (3 – 4 Wochen alt): Durch Ausbildung eines relativ stabilen Narbengewebes und gute Abgrenzung zum gesunden Myokard gelingt <strong>der</strong> chirurgische<br />

Verschluss in diesem Stadium fast immer.<br />

Abb. 3: Postinfarktieller VSD (20 Stunden alt): Das frische Nekroseareal ist <strong>aus</strong>gedehnt mit inhomogener Abgrenzung zum gesunden Myokard. Der VSD-Verschluss gestaltet sich<br />

in diesem frühen Stadium mitunter als äußerst schwierig.<br />

ment nimmt nicht an <strong>der</strong> Ventrikelkontraktion<br />

teil. Beim typischen Aneurysma findet<br />

sich hier eine paradoxe Pulsation. Die Globalfunktion<br />

ist häufig deutlich eingeschränkt<br />

(enddiastolischer Druck über 20 mmHg;<br />

linksventrikuläre Auswurffraktion unter<br />

35 Prozent). Wesentliche Operationsindikationen<br />

sind progrediente Linksherzinsuffizienz,<br />

„maligne“ ventrikuläre Tachykardie,<br />

Thrombembolieereignisse durch Thrombenmaterial<br />

<strong>aus</strong> dem Aneurysma und drohende<br />

Ruptur. Bei <strong>der</strong> Operation werden<br />

<strong>der</strong> LV im Aneurysmabereich eröffnet, die<br />

aneurysmatischen Wandanteile reseziert<br />

und <strong>der</strong> Ventrikel im Bereich <strong>der</strong> Aneurysmapforte<br />

verschlossen (Abb. 6). Dies kann<br />

direkt mittels Filzstreifen, U-Nahtreihe und<br />

zusätzlich überwendlicher Naht erfolgen<br />

o<strong>der</strong> im Sinne <strong>der</strong> Implantation eines<br />

Dacronpatchs als LV-Rekonstruktionsoperation<br />

nach Dor durchgeführt werden. [6]<br />

Die Wegnahme des Aneurysmas verbessert<br />

die Pumpeffizienz des LV, bei entsprechen<strong>der</strong><br />

Indikation findet zusätzlich eine koronararterielle<br />

Revaskularisation statt. Das<br />

502<br />

Operationsrisiko hängt vom Ausmaß <strong>der</strong><br />

koronaren Herzkrankheit und dem Funktionszustand<br />

des kontraktilen Restventrikels<br />

ab (2 – 10 Prozent), die Fünf-Jahres-<br />

Überlebensrate liegt bei 60 – 80 Prozent.<br />

„Maligne“ ventrikuläre Tachykardie<br />

Eine „maligne“ ventrikuläre Tachykardie<br />

(VT) ist eine Rhythmusstörung mit potenziell<br />

lebensbedrohlichem Charakter.<br />

Ursprung sind arrhythmogene Gewebe,<br />

d. h. ischämisch geschädigte Myokardareale,<br />

die meist im Grenzbereich zwischen<br />

einer Infarktzone (meist Aneurysma) und<br />

<strong>der</strong> erhaltenen Muskulatur liegen. Bis<br />

Anfang <strong>der</strong> 90er-Jahre wurde das arrhythmogene<br />

Gewebe in entsprechend <strong>aus</strong>gerichteten<br />

herzchirurgischen Zentren im<br />

Anschluss an eine intraoperative elektrophysiologische<br />

„Mapping-Untersuchung“<br />

<strong>aus</strong> dem „elektrophysiologischen Gesamtverbund“<br />

des Herzens durch Resektion,<br />

Umschneidung, Kryo- o<strong>der</strong> Laserablation<br />

eliminiert, meist in Zusammenhang mit<br />

einer Aneurysmaresektion und einer koronaren<br />

Bypassversorgung. Dieses über viele<br />

Jahre etablierte chirurgische Verfahren<br />

wurde durch implantierbare Defibrillationssysteme<br />

(ICD) und interventionelle<br />

elektrophysiologische Ablationstechniken<br />

fast vollständig abgelöst. Patienten mit<br />

malignen VTs werden heute in rhythmologisch-elekrophysiologisch<br />

<strong>aus</strong>gerichteten<br />

Zentren zunächst elektrophysiologisch<br />

untersucht (EPU, wenn möglich mit interventionellen<br />

elektrophysiologischen Ablationstechniken)<br />

und bei gegebener Indikation<br />

einer ICD-Implantation zugeführt. [3]


Abb. 4: Akute ischämische Mitralinsuffizienz mit Papillarmuskelabriss: Meist ist ein Mitralklappenersatz notwendig, in Einzelfällen gelingt eine Rekonstruktion<br />

(z. B. Goretex-Sehnenfadenersatz mit Verankerung im gesunden Papillarmuskelgewebe).<br />

Abb. 5: Chronisch ischämische Mitralinsuffizienz: Rekonstruktion mittels 3-dimensionalem (geometrischem) Annuloplastiering<br />

Literatur<br />

[1] Bruckenberger E. Herzbericht 2006 mit Transplantationschirurgie;<br />

http://www.herzbericht.de.<br />

[2] Kouchoukos NT, Blackstone EH, Doty DB et al. In:<br />

Kirklin JW/Barratt-Boyes B: Cardiac Surgery, Third Edition<br />

(Churchill Livingstone, Philadelphia, USA). Ischemic heart<br />

disease. 2003: Volume 1: 351-497.<br />

[3] Geidel S, Ostermeyer J: In: Berger M, Domschke W,<br />

Hohenberger W, Meinertz T, Possinger K, Reinhardt D.<br />

Therapie-Handbuch. Koronare Herzkrankheit: Chirurgische<br />

Therapie. Urban & Fischer München, Jena 2007;<br />

C1.2: 1-13.<br />

[4] Geidel S, Laß M, Ostermeyer J. Operative Techniken<br />

<strong>der</strong> rekonstruktiven Mitralklappenchirurgie. Hamburger<br />

<strong>Ärzte</strong>blatt 2005; 2: 60-4.<br />

[5] Geidel S, Lass M, Schnei<strong>der</strong> C, Groth G, Boczor S,<br />

Kuck KH, Ostermeyer J. Downsizing of the mitral valve<br />

and coronary revascularization in severe ischemic mitral<br />

regurgitation results in reverse left ventricular and left atrial<br />

remodeling. Eur J Cardiothorac Surg 2005; 27: 1011-6.<br />

[6] Dor V, Saab M, Coste P, Lornaszewska M, Montiglio F.<br />

Left ventricular aneurysm: a new surgical approach. Thorac<br />

Cardiovasc Surg 1989; 37: 11-7.<br />

Kontakt<br />

Oberarzt Dr. Stephan Geidel<br />

Ltd. Oberarzt PD Dr. Michael Laß<br />

Chefarzt Prof. Dr. Jörg Ostermeyer<br />

Hanseatisches Herzzentrum<br />

Abteilung <strong>für</strong> Herzchirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />

Lohmühlenstraße 5<br />

20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 41 50/41 51<br />

(Sekretariat <strong>der</strong> Herzchirurgie)<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 22 61<br />

(Herzchirurgische Normalstation)<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 22 62<br />

(Herzchirurgische Intensivstation)<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 22 85 (Privatstation)<br />

Fax (0 40) 18 18-85 41 84<br />

E-Mail: s.geidel@asklepios.com<br />

Herzchirurgie<br />

Abb. 6: Postinfarktielles Ventrikelaneurysma:<br />

Resektion und Verschluss im Sinne einer Plikatur unter<br />

Verwendung von Filzstreifen<br />

503


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Heimbeatmung<br />

– einfach nur Beatmung zu H<strong>aus</strong>e?<br />

Dr. Martin Bachmann<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Patienten, die in häuslicher Umgebung eine Beatmungs -<br />

therapie durchführen, stieg in den vergangenen Jahren deutlich, daher<br />

werden nie<strong>der</strong>gelassene H<strong>aus</strong>- und Fachärzte wie auch Krankenh<strong>aus</strong>ärzte<br />

immer häufiger mit dieser Therapieform konfrontiert.<br />

Die Heimbeatmung ist eine inzwischen gut<br />

etablierte Therapieform, die am häufigsten<br />

bei Patienten mit COPD, <strong>aus</strong>geprägter Adipositas<br />

o<strong>der</strong> neuromuskulären Erkrankungen<br />

eingesetzt wird. Ihre konsequente<br />

Anwendung führt meist zu einer Lebensverlängerung<br />

und Steigerung <strong>der</strong> Lebensqualität.<br />

Bei richtiger Indikationsstellung<br />

und guter Betreuung lassen sich schwerwiegende<br />

Komplikationen <strong>der</strong> Grund -<br />

erkrankungen verhin<strong>der</strong>n.<br />

Heimbeatmung kann über zwei Wege<br />

erfolgen: den häufig angewandten „nicht<br />

invasiven Zugang“, meist mit einer Naseno<strong>der</strong><br />

Mund-Nasenmaske, o<strong>der</strong> den „invasiven<br />

Zugang“ über eine Trachealkanüle.<br />

Der nicht invasive Zugang ist unkomplizierter,<br />

<strong>für</strong> den Patienten angenehmer und<br />

komplikationsärmer. In <strong>der</strong> Regel führen<br />

die Patienten die nicht invasive Heimbeatmung<br />

selbstständig o<strong>der</strong> mithilfe ihrer<br />

Angehörigen durch.<br />

504<br />

Wesentliche Heimbeatmungsindikation ist<br />

die symptomatische, chronisch ventilatorische<br />

Insuffizienz (CVI). Sie ist durch eine<br />

CO2-Erhöhung (Hyperkapnie) zunächst<br />

während des Schlafes, später auch während<br />

des Wachzustands, gekennzeichnet.<br />

Die Erkrankungsbil<strong>der</strong>, <strong>für</strong> die eine Heimbeatmung<br />

infrage kommt, sind vielfältig<br />

und entstammen verschiedenen Fachgebieten<br />

(Tab. 1).<br />

Die Indikation <strong>für</strong> eine Beatmungstherapie<br />

richtet sich nach zugrunde liegenden Er -<br />

krankungen, klinischer Beschwerdesymptomatik<br />

und den Ergebnissen <strong>der</strong> Funktionsuntersuchungen.<br />

Entscheidend <strong>für</strong><br />

den Therapiebeginn ist die subjektive<br />

Beeinträchtigung durch beispielsweise<br />

Ruhedyspnoe, Tagesmüdigkeit mit Einschlafneigung<br />

und morgendliche Kopfschmerzen.<br />

Zur Diagnostik gehören Blutgasanalysen<br />

am Tag und in <strong>der</strong> Nacht,<br />

nächtliche Pulsoxymetrie und Kapnometrie<br />

sowie schlafmedizinische Untersuchungen<br />

wie Polygraphie und Polysomnographie.<br />

Ein weiterer diagnostischer B<strong>aus</strong>tein ist<br />

die Lungenfunktion mit Atemmuskel -<br />

funktionstestung, Messung des maximalen<br />

Hustenstoßes (PCF) und <strong>der</strong> maximal in -<br />

sufflierbaren Kapazität (MIC). Ist Beatmung<br />

indiziert, werden die Patienten unter stationären<br />

Bedingungen zunächst tagsüber<br />

an ein Heimbeatmungsgerät gewöhnt.<br />

Bei guter Toleranz <strong>der</strong> Beatmung kann an -<br />

schließend die nächtliche Beatmung beginnen.<br />

Angestrebt wird die kontrollierte o<strong>der</strong><br />

assistiert-kontollierte Beamtung, die eine<br />

möglichst vollständige Entlastung <strong>der</strong><br />

Atemmuskulatur (Atempumpe) gewähr -<br />

leistet. Patient und Angehörige erlernen<br />

während des stationären Aufenthalts die<br />

selbstständige Handhabung <strong>der</strong> Maske<br />

und des Geräts.<br />

Etwa 20 – 30 Prozent langzeitbeatmeter<br />

Patienten auf Intensivstationen mit schwieriger<br />

Entwöhnbarkeit vom Beatmungsgerät<br />

(„schwieriges o<strong>der</strong> prolongiertes Weaning“)


Heimbeatmeter Patient<br />

■ COPD / Lungenemphysem<br />

■ Brustwan<strong>der</strong>krankungen, wie z. B.<br />

– Kyphoskoliose<br />

– Folgezustände nach Thorakoplastik bei Tbc<br />

■ Neuromuskuläre Erkrankungen, wie z. B.<br />

– Muskeldystrophie Duchenne<br />

– Spinale Muskelatrophie<br />

– Amyotrophe Lateralsklerose<br />

– Myotone Dystrophie Curschmann Steinert<br />

■ Obesitas-Hypoventilationssyndrom<br />

■ Hohe Querschnittslähmung<br />

mit Beeinträchtigung <strong>der</strong> Zwerchfellaktivität<br />

■ Zwerchfellparese verschiedener Ursachen<br />

Tab. 1: Erkrankungen, die zur chronisch ventilatorischen<br />

Insuffizienz führen können<br />

benötigen eine Heimbeatmungstherapie,<br />

um dauerhaft stabil zu bleiben. Daher sollte<br />

bei diesen Patienten die Notwendigkeit<br />

einer langfristig erfor<strong>der</strong>lichen Heimbeatmung<br />

abgeklärt werden.<br />

Gelingt die Entwöhnung von <strong>der</strong> invasiven<br />

Beatmung auch in einem spezialisierten<br />

Zentrum nicht, muss die Beatmung lang -<br />

fristig über ein Tracheostoma als invasive<br />

Heimbeatmung weitergeführt werden.<br />

Dies ist deutlich aufwendiger und erfor<strong>der</strong>t<br />

eine umfassende Weiterversorgung,<br />

die dezidiert geplant und koordiniert werden<br />

muss. Abhängig davon, ob <strong>der</strong> Patient<br />

in die häusliche Umgebung o<strong>der</strong> in eine<br />

Betreuungseinrichtung entlassen wird,<br />

müssen ein kompetenter Pflegedienst organisiert,<br />

Angehörige o<strong>der</strong> betreuende Pflegekräfte<br />

bezüglich <strong>der</strong> Beatmungsmodalitäten<br />

geschult und eingewiesen werden.<br />

Heimbeatmete Patienten sind schwer kranke<br />

Patienten. Sie bewegen sich potenziell<br />

Abb. 1: Versorgungskonzept Beatmungszentrum<br />

Hamburg-Harburg<br />

immer zwischen häuslicher Umgebung<br />

und stationärer Krankenh<strong>aus</strong>aufnahme<br />

mit Behandlung auf einer peripheren Be -<br />

atmungsstation o<strong>der</strong> Intensivstation. Da<strong>für</strong><br />

muss ein umfassendes Netzwerk mit allen<br />

Versorgungsmöglichkeiten, Ansprechpartnern,<br />

Notfallversorgungskonzepten und<br />

spezifischen Aufnahme- und Behandlungsmöglichkeiten<br />

zur Verfügung stehen (Abb.<br />

2). Kompetente Beatmungsmediziner des<br />

betreuenden Beatmungszentrums müssen<br />

<strong>für</strong> Patienten und betreuende H<strong>aus</strong>ärzte<br />

kurzfristig erreichbar sein. Daneben kann<br />

eine Spezialsprechstunde <strong>für</strong> tracheotomierte<br />

und nicht-tracheotomierte, heimbeatmete<br />

Patienten wie im Beatmungszentrum<br />

Hamburg-Harburg die Kooperation<br />

zwischen ambulanter und stationärer Versorgung<br />

erleichtern. Nie<strong>der</strong>gelassene Fachärzte<br />

<strong>für</strong> Innere Medizin/Pneumologie<br />

o<strong>der</strong> Neurologie können hier Patienten mit<br />

<strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Einleitung einer Heimbeatmungstherapie<br />

o<strong>der</strong> Heimbeatmungsproblemen<br />

ambulant vorstellen o<strong>der</strong> überwei-<br />

Lungenheilkunde<br />

Abb. 2: Beatmungszentrum Hamburg-Harburg<br />

sen. In Kooperation mit den nie<strong>der</strong>gelassenen<br />

Kollegen wird so eine Rundumversorgung<br />

gewährleistet, die medizinische<br />

Aspekte <strong>der</strong> Versorgung sowie die Lebensqualität<br />

<strong>der</strong> Patienten berücksichtigt und<br />

sie mit ihrer Heimbeatmung zu H<strong>aus</strong>e<br />

nicht allein lässt.<br />

Kontakt<br />

Dr. Martin Bachmann<br />

Lungenabteilung<br />

Oberarzt, Leiter des Beamtungszentrums<br />

Hamburg-Harburg<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />

Eißendorfer Pferdeweg 52<br />

21075 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-86 22 41<br />

Fax (0 40) 18 18-86 33 22<br />

E-Mail: ma.bachmann@asklepios.com<br />

505


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

ADHS im Erwachsenenalter<br />

Dipl.-Psych. Karina Günther<br />

Kennzeichnend <strong>für</strong> die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />

(ADHS) sind vermin<strong>der</strong>te Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.<br />

[4] Früher wurde ADHS mit den minimalen zerebralen Dysfunktionen<br />

gleichgesetzt. Darunter wurden die Symptome <strong>der</strong> ADHS und die <strong>der</strong> Teil -<br />

leistungsschwächen gefasst. Erstmals als eigenständiges Krankheitsbild ab -<br />

gegrenzt wurde die ADHS im ICD-9 (1978) und im DSM-III (1980), wobei<br />

<strong>der</strong> DSM-III dem Persistieren von Symptomen bis ins Erwachsenenalter mit<br />

<strong>der</strong> Bezeichnung „Attention Defizit Disor<strong>der</strong> Residual Type“ Rechnung trug.<br />

Mit einer Prävalenz von 5 – 9 Prozent ist<br />

die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />

die häufigste kin<strong>der</strong>psychiatrische<br />

Störung. Bis Ende <strong>der</strong> 1990er-Jahre<br />

wurde sie in Deutschland nur im Kindesund<br />

Jugendalter diagnostiziert. Im Erwachsenenalter<br />

liegt die Prävalenzrate bei 1 – 6<br />

Prozent, wobei Männer drei Mal häufiger<br />

betroffen sind als Frauen. Man geht heute<br />

davon <strong>aus</strong>, dass keine Erstmanifestationen<br />

im Erwachsenenalter auftreten, son<strong>der</strong>n<br />

dass die Symptome über die Adoleszenz<br />

hin<strong>aus</strong> bestehen bleiben. Bei bis zu 2 /3 <strong>der</strong><br />

betroffenen Kin<strong>der</strong> treten auch im Erwachsenenalter<br />

Störungen auf. [1]<br />

Symptomatik<br />

Patienten im Erwachsenenalter werden<br />

meist wegen depressiver Verstimmungen<br />

vorstellig, Angstproblematiken o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Sorge, den Überblick über ihr Leben zu<br />

verlieren. Meist wird eine <strong>aus</strong>geprägte<br />

Selbstwertproblematik mit Depressionen<br />

und psychosomatischen Symptomen sichtbar.<br />

Aufgrund fehlen<strong>der</strong> motorischer Un -<br />

ruhe können diese Symptome dem Bereich<br />

<strong>der</strong> Persönlichkeitsstörungen zugeordnet<br />

werden, sodass unter Umständen eine adäquate<br />

Behandlung <strong>aus</strong>bleibt. [1] Allerdings<br />

sind die Zusammenhänge zwischen ADHS<br />

und Persönlichkeitsstörungen (vor allem<br />

<strong>der</strong> Dissozialen und <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung)<br />

noch nicht hinreichend<br />

geklärt. Als wichtige Merkmale gelten<br />

506<br />

abnorme Ausmaße an Unaufmerksamkeit,<br />

Überaktivität und Impulsivität – und zwar<br />

über die Zeit stabil und situationsübergreifend.<br />

[3] Hauptmerkmal <strong>der</strong> Aufmerksamkeits-<br />

und Konzentrationsstörung ist die<br />

geringe Aufmerksamkeitsspanne auch im<br />

Erwachsenenalter. Häufig treten kurze<br />

Lernzeiten auf, sodass Schwierigkeiten bei<br />

alltäglichen Tätigkeiten deutlich werden,<br />

wie dem Anhören von Vorträgen o<strong>der</strong><br />

beim Zeitungslesen. Die leichte Ab lenkbar -<br />

keit kann Arbeitsstörungen <strong>aus</strong>lösen. Da die<br />

Betroffenen häufig stark auf die Störquellen<br />

fokussieren, kann eine Vermeidung von<br />

Reizüberflutung in fast allen Lebensbereichen<br />

die Folge sein. Die sozialen Rückzugstendenzen<br />

können fälschlich zur Diagnose<br />

einer sozialen Phobie führen.<br />

Die Störung <strong>der</strong> motorischen Aktivität bzw.<br />

Überaktivität ist ein weiteres Kennzeichen<br />

<strong>der</strong> ADHS. Sie ist im Erwachsenenalter<br />

weniger sichtbar. Betroffene haben aber<br />

Probleme, wenn sie länger sitzen bleiben<br />

müssen; zeigen generell Entspannungs -<br />

probleme. Als Ausgleich zu sitzenden<br />

Tätigkeiten treiben sie häufig mehrfach<br />

pro Woche Sport.<br />

Die Desorganisation <strong>der</strong> Betroffenen kann<br />

sich in <strong>der</strong> Unordnung aufgrund fehlen<strong>der</strong><br />

Selbststrukturierung zeigen. Diese fällt<br />

wegen <strong>der</strong> ständig wechselnden Inhalte<br />

<strong>der</strong> Aufmerksamkeitsfokussierung und<br />

damit einhergehen<strong>der</strong> fehlen<strong>der</strong> Selbstkon-<br />

trolle schwer. Die chaotische Organisation<br />

kann vermehrt Selbstwertzweifel hervor -<br />

rufen. Bei hyper-, aber auch hypoaktiven<br />

Menschen scheint die negative Selbsteinschätzung<br />

sogar an <strong>der</strong> Tagesordnung zu<br />

sein. Eigene Leistungen werden selten als<br />

positiv gewertet, häufig erleben sie sich als<br />

vermin<strong>der</strong>t leistungsfähig, was in einer<br />

Destabilisierung des Selbstwertgefühls<br />

münden kann.<br />

Die Störung <strong>der</strong> Impulskontrolle kann<br />

sich auf verschiedenen Ebenen zeigen.<br />

Kennzeichnend hier<strong>für</strong> ist die Neigung zu<br />

unüberlegtem Handeln, ohne die Konsequenzen<br />

abzuschätzen. Betroffene scheinen<br />

sich häufiger motorische Aktivitäten zu<br />

suchen, ohne die Risiken abzuschätzen.<br />

Außerdem zeigt sich eine aggressive<br />

Impulsivität in Stresssituationen, die im<br />

Wi<strong>der</strong>spruch zu <strong>der</strong> möglichen Fürsorglichkeit<br />

in Entspannungssituationen zu<br />

stehen scheint. Die Scheidungsrate ist im<br />

Vergleich zur Allgemeinbevölkerung höher<br />

(28 % vs. 15 %). [1]<br />

Diagnostik<br />

Die Erstdiagnose einer ADHS im Erwachsenenalter<br />

ist wegen des jahrelangen An -<br />

passungsprozesses an die Symptomatik<br />

meist schwierig. Im ersten Schritt sollte ein<br />

semistrukturiertes Interview erfolgen, in<br />

dem die aktuellen Beschwerden exploriert<br />

werden. Daten über Familienangehörige


sollten erfragt werden, da eine genetische<br />

Disposition als wahrscheinlich gilt. Des<br />

Weiteren ist eine Kindheitsanamnese erfor<strong>der</strong>lich,<br />

da <strong>für</strong> die Diagnose ADHS gezeigt<br />

werden muss, dass typische Symptome<br />

bereits im Kindesalter auftraten und bis ins<br />

Erwachsenenalter persistieren. Dabei helfen<br />

fremdanamnestische Daten von Eltern<br />

o<strong>der</strong> Lehrern. Sind diese nicht verfügbar,<br />

können Beurteilungen <strong>aus</strong> Schulzeugnissen<br />

wichtige Hinweise liefern. Weiterhin werden<br />

Selbstbeurteilungsskalen und testpsychologische<br />

Untersuchungen <strong>für</strong> die Diag -<br />

nostik herangezogen. Sie kommen zur<br />

Erfassung des Arbeitsverhaltens und <strong>der</strong><br />

individuellen Möglichkeiten <strong>der</strong> Betroffenen<br />

zum Einsatz. Hauptaugenmerk sollte<br />

dabei auf <strong>der</strong> geteilten Aufmerksamkeit<br />

und <strong>der</strong> Dauerbelastbarkeit bei subjektiv<br />

als langweilig erlebten Situationen liegen. [1]<br />

Zur Abgrenzung o<strong>der</strong> Bestätigung einer<br />

Komorbidität können die parallele Anwendung<br />

beispielsweise von SKID-II und<br />

DIB-R (Diagnostisches Interview <strong>für</strong> das<br />

Bor<strong>der</strong>line-Syndrom) erfor<strong>der</strong>lich sein.<br />

Behandlungsmöglichkeiten<br />

Bei <strong>der</strong> ADHS-Therapie sollten verschiedene<br />

Elemente verknüpft werden (multimodales<br />

Therapiekonzept). Dies kann Psychoedukation,<br />

medikamentöse Behandlung,<br />

Psychotherapie, Arbeit mit Bezugspersonen,<br />

Selbsthilfegruppen und Therapie bei<br />

komorbiden Störungen beinhalten. [4]<br />

Störungen im Katecholaminh<strong>aus</strong>halt und<br />

möglicherweise auch im Serotoninh<strong>aus</strong>halt<br />

werden als eine Ursache <strong>der</strong> ADHS angesehen.<br />

Methylphenidat ist neben dem Kindes-<br />

und Jugendalter auch bei Erwachsenen<br />

das Mittel <strong>der</strong> ersten Wahl. In Deutschland<br />

ist es noch nicht <strong>für</strong> die Indikation im Er -<br />

wachsenenalter zugelassen (off-label-use).<br />

Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 20 –<br />

30 mg/Tag auf 2 – 3 Dosen verteilt, unter<br />

Umständen sind 80 mg/Tag erfor<strong>der</strong>lich.<br />

[5]<br />

Atomoxetin als selektiver Noradrenalinwie<strong>der</strong>aufnahmehemmer<br />

erwies sich als<br />

wirksam bezüglich <strong>der</strong> Reduktion von<br />

Impulsivität, motorischer Unruhe und <strong>der</strong><br />

Verbesserung <strong>der</strong> Aufmerksamkeit. Bei<br />

Jugendlichen/Erwachsenen über 70 kg<br />

Kör pergewicht liegt die empfohlene<br />

An fangsdosis bei 40 mg/Tag, die nach<br />

mindes tens drei Tagen auf 80 mg/Tag<br />

erhöht werden darf. [2]<br />

Grundsätzlich sollte die Verordnung von<br />

Psychopharmaka nicht ohne eine Psychotherapie<br />

stattfinden.<br />

Psychotherapie kann notwendig werden,<br />

da im dritten Lebensjahrzehnt die Kompensationsmechanismen<br />

nachzulassen<br />

scheinen, sodass die Betroffenen den<br />

Alltag als belasten<strong>der</strong> erleben. Aus den<br />

Unzulänglichkeitsgefühlen kann sich eine<br />

anhaltende depressive Verstimmung entwickeln,<br />

die Anlass geben kann, sich in<br />

Psychotherapie zu begeben. In <strong>der</strong> Verhaltenstherapie<br />

stehen die Anleitung zum<br />

Selbstmanagement und die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Selbstkognition auch in Verbindung mit<br />

geeigneter Medikation im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

Bei bestehen<strong>der</strong> Selbstwertproblematik<br />

könnte eine <strong>aus</strong>schließlich verhaltenstherapeutisch<br />

orientierte Psychotherapie nicht<br />

<strong>aus</strong>reichend sein. Erstes Ziel <strong>der</strong> psychoanalytisch<br />

interaktionellen Methode ist die<br />

Unterstützung <strong>der</strong> Betroffenen bei <strong>der</strong> Entwicklung<br />

eines Arbeitsbündnisses. Durch<br />

die Interaktion mit dem Therapeuten er -<br />

fahren sie eine Wertschätzung <strong>der</strong> eigenen<br />

Person, die zu einem stabileren Selbstwertgefühl<br />

beitragen kann. In <strong>der</strong> tiefenpsychologisch<br />

fundierten Psychotherapie stehen<br />

die Beziehungs- und Entwicklungsangebote<br />

eines Therapeuten im Vor<strong>der</strong>grund, <strong>der</strong> die<br />

unbefriedigt gebliebenen Entwicklungs -<br />

bedürfnisse empathisch anerkennt und den<br />

Auf- und Ausbau einer Welt ohne bedrohliche<br />

Erfahrungen unterstützt. [3] Durch<br />

Einbeziehung <strong>der</strong> Partner in die Therapie<br />

werden die Bemühungen des Angehörigen<br />

Psychiatrie<br />

gewürdigt. Das Aufdecken <strong>der</strong> Kommunikationsmuster<br />

kann wie<strong>der</strong> Verständnis <strong>für</strong><br />

den an<strong>der</strong>en schaffen. Gemeinsam lassen<br />

sich strukturelle Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Alltagsroutine<br />

planen. [1]<br />

In vielen Fällen ist eine ambulante Psychotherapie<br />

<strong>aus</strong>reichend. Sind hingegen die<br />

sozialen Bezüge bereits weggebrochen, ist<br />

eine Suizidalität ambulant nicht beherrschbar,<br />

ist die Symptomatik beson<strong>der</strong>s <strong>aus</strong>geprägt<br />

und ein kontinuierliches Aufsuchen<br />

einer Praxis nicht mehr möglich, dann sollte<br />

eine stationäre Behandlung beginnen.<br />

Unsere Station <strong>für</strong> „Junge Erwachsene“<br />

verfügt <strong>für</strong> Patienten mit <strong>der</strong> dargestellten<br />

Problematik über gezielte therapeutische<br />

Angebote.<br />

Literatur<br />

[1] Kr<strong>aus</strong>e J, Kr<strong>aus</strong>e KH. ADHS im Erwachsenenalter.<br />

Stuttgart: Schattauer 2005.<br />

[2] Sevecke K, Battel S, Dittmann R, Lehmkuhl G, Döpfner<br />

M. Wirksamkeit von Atomoxetin bei Kin<strong>der</strong>n, Jugendlichen<br />

und Erwachsenen mit ADHS. Eine systematische Übersicht.<br />

Nervenarzt 2005; 77: 294-308.<br />

[3] Streeck-Fischer A. „Neglekt“ bei <strong>der</strong> Aufmerksamkeitsdefizit-<br />

und Hyperaktivitäts-Störung. Psychotherapeut<br />

2006; 51: 80-90.<br />

[4] ADHS bei Erwachsenen. Sichtweisen und Empfehlungen.<br />

Firma Lilly.<br />

[5] Rote Liste. Arzneimittelverzeichnis <strong>für</strong> Deutschland<br />

(2007). Rote Liste Service GmbH Frankfurt/Main.<br />

Kontakt<br />

Dipl.-Psych. Karina Günther<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord Ochsenzoll<br />

Station Psy 46<br />

Langenhorner Ch<strong>aus</strong>see 560<br />

22419 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 16 88<br />

Fax (0 40) 18 18-87 16 84<br />

E-Mail: k.guenther@asklepios.com<br />

507


Medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Personalia<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg: Neuer Chefarzt <strong>der</strong> Abteilung<br />

<strong>für</strong> Anästhesiologie und operative Intensivmedizin<br />

Seit dem 1. Januar 2008 leitet Priv.-Doz. Dr. Thoralf Kerner die<br />

Abteilung <strong>für</strong> Anästhesiologie und operative Intensivmedizin an<br />

<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg. Kerner wurde 1966 in Berlin geboren,<br />

studierte Humanmedizin an <strong>der</strong> Freien Universität Berlin und<br />

absolvierte seine Ausbildung zum Facharzt <strong>für</strong> Anästhesiologie an<br />

<strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Anästhesiologie und operative Intensivmedizin am<br />

Campus Virchow-<strong>Klinik</strong>um <strong>der</strong> Charité. Er wurde 2000 Oberarzt<br />

<strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>, habilitierte 2003 und war dort zuletzt Mitglied <strong>der</strong><br />

erweiterten <strong>Klinik</strong>leitung. Kerners wissenschaftliche Schwerpunkte<br />

liegen in den Bereichen Trauma, Kreislaufregulation, Immun -<br />

system und Notfallmedizin. Er erwarb u. a. die Zusatz bezeichnung<br />

<strong>für</strong> Ärztliches Qualitätsmanagement und war in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong><br />

leitenden Notärzte Berlins aktiv. Kerner ist verheiratet und Vater<br />

von zwei Töchtern. In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg wird Kerner<br />

mit seinem Team die Bereiche Kin<strong>der</strong>anästhesie, Regionalanästhesie<br />

und OP-Management weiterentwickeln.<br />

508<br />

Kontakt<br />

Priv.-Doz. Dr. Thoralf Kerner<br />

Abteilung <strong>für</strong> Anästhesiologie und<br />

operative Intensivmedizin<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />

Eißendorfer Pferdeweg 52<br />

21075 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-86 25 01<br />

Fax (0 40) 18 18-86 30 73<br />

E-Mail: t.kerner@asklepios.com<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek:<br />

Neuer Chefarzt <strong>der</strong> II. Medizinischen Abteilung<br />

Am 1. Januar 2008 übernahm Prof. Dr. Ulrich Treichel als Nachfolger<br />

von Prof. Dr. Michael Otte die Leitung <strong>der</strong> II. Medizinischen<br />

Abteilung in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek. Treichel wurde in<br />

Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr geboren, ist verheiratet und Vater von fünf<br />

Kin<strong>der</strong>n. Er studierte Humanmedizin an <strong>der</strong> Heinrich-Heine-Universität<br />

in Düsseldorf und promovierte dort zu einem Thema über<br />

die zellbiologische Funktion <strong>der</strong> Leberzellmembran. Die Weiter -<br />

bildung zum Facharzt <strong>für</strong> Innere Medizin und zum Gastroenterologen<br />

absolvierte Treichel an <strong>der</strong> I. Medizinischen <strong>Klinik</strong> und Poliklinik<br />

im <strong>Klinik</strong>um <strong>der</strong> Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

unter Prof. Meyer zum Büschenfelde. Zwischenzeitlich war er als<br />

DFG-Stipendiat am Liver Research Center, AECOM in New York<br />

und habilitierte sich anschließend in Mainz mit einem Thema zur<br />

immunologischen Erkennung <strong>der</strong> Leberzellmembran. 1998 wechselte<br />

Treichel als leiten<strong>der</strong> Oberarzt an die Abteilung <strong>für</strong> Gastro -<br />

enterologie und Hepatologie des Universitätsklinikums Essen.<br />

Anfang 2006 übernahm er von Dr. Volker Cautius die Leitung <strong>der</strong><br />

<strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Innere Medizin am Dominikus-Krankenh<strong>aus</strong> in Düsseldorf.<br />

Treichels wissenschaftliche Schwerpunkte liegen im Bereich<br />

<strong>der</strong> experimentellen und klinischen Hepatologie, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />

chronischen Hepatitis und im Bereich <strong>der</strong> interventionellen Endo -<br />

skopie. Er ist Mitglied mehrerer nationaler und internationaler<br />

Fachgesellschaften und <strong>der</strong> Arzneimittelkommission <strong>der</strong> Bundesärzteschaft.<br />

In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek wird Treichel mit<br />

seinem Team die Schwerpunkte chronisch entzündlicher Erkrankungen<br />

des Magen-Darm-Traktes und <strong>der</strong> Leber sowie die interventionelle<br />

Endoskopie weiterentwickeln. Beson<strong>der</strong>s wichtig ist<br />

ihm die Fortentwicklung <strong>der</strong> interdisziplinären Viszeralmedizin<br />

einschließlich des Tumorschwerpunktes. Dabei legt er beson<strong>der</strong>en<br />

Wert auf zielorientiertes, persönlich verbindliches Arbeiten.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Ulrich Treichel<br />

II. Medizinische Abteilung<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek<br />

Alphonsstraße 14, 22043 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-83 12 56<br />

Fax (0 40) 18 18-83 16 30<br />

E-Mail: u.treichel@asklepios.com


Hereditäre Thrombophiliediathesen<br />

Dr. rer. nat. Thomas Brodegger<br />

Hereditäre Thromboserisiken<br />

Die beiden häufigsten genetischen Verän<strong>der</strong>ungen,<br />

die zu einer Risikoerhöhung<br />

eines thromboembolischen Ereignisses führen,<br />

sind die Faktor V Leiden-Mutation mit<br />

einer Prävalenz in <strong>der</strong> europäischen Bevölkerung<br />

von etwa 5–7% und die Prothrombinmutation<br />

(2–3%). [1] Bei weiteren Proteinen<br />

mit geringerer Prävalenz bei den<br />

genetischen Varianten wurden ebenfalls<br />

pathologisch relevante Mutationen nachgewiesen.<br />

Tab. 1 zeigt eine Übersicht <strong>der</strong><br />

bedeutendsten hereditären Risikofaktoren<br />

<strong>für</strong> Thrombosen.<br />

Faktor V<br />

Der Faktor V (FV) spielt sowohl im koagulatorischen<br />

als auch im anti-koagulatorischen<br />

Gerinnungsprozess eine Rolle. In<br />

seiner aktiven Form (FVa) dient er im ko -<br />

agulatorischen System als Co-Faktor des<br />

aktivierten Faktor X (FXa) im Prothrombinasekomplex,<br />

<strong>der</strong> die Konversion des Prothrombins<br />

zu Thrombin katalysiert. Die<br />

Aktivität des FVa wird durch die proteolytische<br />

Spaltung an drei Arginin-Aminosäureresten<br />

an Position 306, 506 und 679 durch<br />

das aktivierte Protein C (aPC) drastisch<br />

reduziert. Die häufigste genetische Verän<strong>der</strong>ung<br />

repräsentiert die Faktor V Leiden-<br />

Mutation. [4] Die Punktmutation bewirkt<br />

einen Aminosäure<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch an Position<br />

506 von Arginin zu Glutamin, wodurch<br />

diese Spaltungsstelle zerstört wird und <strong>der</strong><br />

FVa nicht mehr <strong>aus</strong>reichend inaktiviert<br />

werden kann. Abb. 1 zeigt die Struktur des<br />

Faktor V mit <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Mutation betroffenen<br />

Aminosäure Arg506 (blau). Neben<br />

<strong>der</strong> Faktor V Leiden-Mutation sind weitere<br />

Punktmutationen beschrieben (z. B. FV<br />

Cambridge, FV Hong Kong), die aufgrund<br />

ihrer geringen Prävalenz aber eine unter -<br />

geordnete Rolle spielen.<br />

Prothrombin<br />

Prothrombin ist die Vorstufe des Thrombins<br />

(Faktor IIa), einem Vitamin K-abhängigen<br />

Faktor im Gerinnungssystem, <strong>der</strong><br />

die Umwandlung des Fibrinogens zu<br />

Fibrin katalysiert und somit pro-koagulatorisch<br />

wirkt. Die Mutation im Prothrombin-<br />

Gen (G20210A) umfasst eine definierte<br />

Punktmutation von Guanin zu Adenin an<br />

Position 20210 im 3’-untranslatierten<br />

Bereich des Gens, die somit nicht die Aminosäuresequenz<br />

des Proteins beeinflusst. [5]<br />

Ihre Auswirkung liegt wahrscheinlich in<br />

Molekulargenetik<br />

Die Gerinnung ist ein komplexes, multifaktorielles Ereignis, dem ein Gleichgewicht zwischen koagulatorischen<br />

und anti-koagulatorischen Faktoren zugrunde liegt. Die Störung dieses Hämostasesystems kann zum einen<br />

Blutungsneigung steigern, zum an<strong>der</strong>en das Risiko erhöhen, einem thromboembolischen Ereignis zu erliegen.<br />

Die Ursachen <strong>für</strong> eine Störung des Hämostasesystems können hereditären Ursprungs sein o<strong>der</strong> durch an<strong>der</strong>e<br />

Krankheiten, wie z. B. Karzinom, erworben sein.<br />

einer effektiveren Katalyse <strong>der</strong> Prozessierung,<br />

die in einer Anhäufung von mRNA<br />

und einer Steigerung <strong>der</strong> Proteinbiosynthese<br />

resultiert, was zu einem erhöhten Prothrombinspiegel<br />

führt. [1]<br />

Protein C, Protein S, Antithrombin<br />

Im Gegensatz zu den Punktmutationen im<br />

Faktor V- und im Prothrombin-Gen sind die<br />

Verän<strong>der</strong>ungen in den Genen <strong>für</strong> Protein<br />

C, Protein S und Antithrombin, bei denen<br />

eine entsprechende Familien- und Eigen -<br />

anamnese vorliegen, sehr viel heterogener<br />

verteilt und die Prävalenz <strong>der</strong> einzelnen<br />

Mutation deutlich geringer. Die Diversität<br />

<strong>der</strong> Mutationen stellt die molekulargenetische<br />

Diagnostik vor Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen in<br />

<strong>der</strong> Testung und <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong><br />

Ergebnisse. Da eine unbekannte Verän<strong>der</strong>ung<br />

vorliegen kann, muss das gesamte<br />

Gen analysiert werden. Hier<strong>für</strong> steht beispielsweise<br />

die Sequenziertechnik zur Verfügung.<br />

Sie ist in <strong>der</strong> Lage, die meisten<br />

Mutationen zu detektieren, <strong>der</strong>zeit allerdings<br />

noch relativ teuer und aufwendig.<br />

Wird eine genetische Verän<strong>der</strong>ung erkannt,<br />

muss die pathologische Relevanz geklärt<br />

werden. Nicht jede Verän<strong>der</strong>ung führt<br />

automatisch zu einer Beeinträchtigung des<br />

509


medtropole | Ausgabe Januar 2008<br />

Abb. 1: Faktor V-Proteinstruktur mit den proteolytischen Spaltungsstellen <strong>für</strong> das aktivierte Protein C Arginin 306<br />

und 679 (grün) sowie bei dem Faktor V Leiden verän<strong>der</strong>tem Arginin 506 (blau). (a) Proteinoberfläche;<br />

(b) Tertiärstruktur (Strukturdaten <strong>aus</strong> Brookhaven-Datenbank, 1y61.pdb).<br />

Proteins. Während ein Aminosäure<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch<br />

durch eine Mutation an einer<br />

bestimmten Position des Proteins fatale<br />

Auswirkungen haben kann, ist <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch<br />

an einer an<strong>der</strong>en Position <strong>der</strong> Aminosäurekette<br />

unter Umständen unproblematisch.<br />

Wie wirken sich beispielsweise<br />

kleine „in frame“-Deletionen o<strong>der</strong> -Insertionen<br />

auf die Funktionalität des Proteins<br />

<strong>aus</strong>?<br />

Sind die Verän<strong>der</strong>ungen bisher noch nicht<br />

untersucht, kann es schwierig sein, die<br />

Auswirkungen zu prognostizieren, sodass<br />

eine Unsicherheit in <strong>der</strong> Relevanz <strong>der</strong><br />

gefundenen genetischen Verän<strong>der</strong>ung<br />

besteht.<br />

Methylentetrahydrofolatreduktase<br />

(MTHFR)<br />

Ein erhöhter Homocysteinspiegel im Plasma<br />

gilt als unabhängiger Risikofaktor <strong>für</strong><br />

venöse [6] sowie arterielle Thrombosen.<br />

Ursachen können erworbene Hyperhomocysteinämien<br />

durch Mangel an Vitamin B6,<br />

Vitamin B12 o<strong>der</strong> Folsäure sein, aber auch<br />

genetische Ursachen sind in <strong>der</strong> Diskussion.<br />

Eine Mutation, die mit einem erhöhten<br />

Homocysteinspiegel assoziiert wurde,<br />

510<br />

a b<br />

ist die C677T-Mutation im MTHFR-Gen.<br />

Neuere Daten konnten aber keinerlei<br />

Zusammenhang zwischen dieser Mutation<br />

und einer Hyperhomocysteinämie herstellen.<br />

Neben den aufgeführten Faktoren haben<br />

auch weitere genetische Faktoren einen<br />

Einfluss auf das Thromboserisiko. Im<br />

Gegensatz zu Mutationen/Polymorphis -<br />

men, die eine Erhöhung des Risikos bedeuten,<br />

stehen weiterhin auch Verän<strong>der</strong>ungen<br />

wie beim Faktor XIII-Gen im Fokus, die<br />

eine Schutzfunktion <strong>aus</strong>üben könnten. [7]<br />

Diagnostik<br />

Die Mutationsuntersuchungen auf Faktor<br />

V Leiden und im Prothrombin-Gen sind im<br />

Zuge eines individualisierten Screenings<br />

angesiedelt (Abb. 2). Für das Prothrombin<br />

ist kein funktioneller Test in <strong>der</strong> Routine -<br />

diagnostik verfügbar, daher kann statt -<br />

dessen die genetische Testung als geeignete<br />

Methode eingesetzt werden. Für die aPC-<br />

Resistenz sind funktionelle Tests in Ge -<br />

brauch (aPTT-Methoden), die Hinweise auf<br />

eine pathologische aPC-Resistenz zulassen.<br />

Die molekulargenetische Testung auf Faktor<br />

V Leiden kann hier unterstützend wir-<br />

Abb. 3: Teststreifen zur Diagnostik <strong>der</strong> Faktor V Leiden-<br />

Mutation und <strong>der</strong> Prothrombin-Genmutation (G20210A).<br />

Linker Streifen: kein Faktor V Leiden, heterezygote<br />

Mutation <strong>für</strong> das Prothrombin-Gen. Rechter Streifen:<br />

heterozygote Mutation <strong>für</strong> Faktor V Leiden, keine<br />

Prothrombin-Genmutation.<br />

Abkürzungen: WT = Wildtyp, Mut = Mutation<br />

FV = Faktor V, FVL = Faktor V Leiden, FII = Faktor II<br />

(Prothrombin), KK = Konjugatkontrolle,<br />

AK = Amplifikationskontrolle<br />

ken. Denn obwohl mo<strong>der</strong>ne Funktionstests<br />

gut zwischen pathologischen und normalen<br />

Werten diskriminieren können, konnte<br />

bei pathologisch auffälligen Proben in den<br />

Funktionstests nicht immer zuverlässig auf<br />

eine heterozygote bzw. homozygote Trägerschaft<br />

<strong>der</strong> Mutation geschlossen werden.<br />

Die molekulargenetische Testung schafft in<br />

diesen Fällen Klarheit (Abb. 3).<br />

Weiter kann <strong>der</strong> molekulargenetische Testansatz<br />

<strong>für</strong> Familienuntersuchungen herangezogen<br />

werden, um bei einem Patienten<br />

mit Mutation eine Trägerschaft innerhalb<br />

<strong>der</strong> Familie aufzuklären. Hierbei sind<br />

jedoch die Leitlinien <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft<br />

<strong>für</strong> Humangenetik zu beachten. [9]<br />

Die molekulargenetische Untersuchung auf<br />

Verän<strong>der</strong>ungen in den Genen <strong>für</strong> Protein C<br />

und S sowie im Antithrombin-Gen ist bisher<br />

lediglich in Einzelfällen sinnvoll, da<br />

das Kosten-Nutzen-Verhältnis mit <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen<br />

Diagnostik noch nicht <strong>aus</strong>gewogen<br />

ist und die Aussagekraft in Bezug auf<br />

die Pathogenität sehr eingeschränkt sein<br />

kann. Hier<strong>für</strong> stehen funktionelle Tests zur<br />

Verfügung, die eine thromboembolische<br />

Risikoeinschätzung erlauben.


Literatur<br />

[1] Zivelin A, Mor-Cohen R, Kovalsky V et al. Prothrombin<br />

20210G>A is an ancestral prothrombotic mutation that<br />

occurred in whites approximately 24000 years ago. Blood<br />

2006; 107: 4666-8.<br />

[2] Hach-Wun<strong>der</strong>le V, Müller MM, Pabinger J, Seifried E.<br />

Thrombophile Diathesen. DGHO 2005.<br />

www.dgho.de; Rubrik: Leitlinien/Studien<br />

[3] Khan S, Dickerman JD. Hereditary thrombophilia.<br />

Thromb J 2006; 4: 15-31.<br />

[4] Bertina RM, Koeleman BP, Koster T et al. Mutation in<br />

blood coagulation factor V associated with resistance to<br />

activated protein C. Nature 1994; 369: 64-7.<br />

[5] Poort SR, Rosendaal FR, Reitsma PH, Bertina RM. A<br />

common genetic variation in the 3’-untranslated region of<br />

the prothrombin gene is associated with elevated plasma<br />

prothrombin levels and an increase in venous thrombosis.<br />

Blood 1996; 88: 3698-703.<br />

[6] Eichinger S, Stümpflen A, Hirschl M et al. Hyperhomocysteinemia<br />

is a risk factor of recurrent venous thrombo -<br />

embolism. Thromb Haemost 1998; 80: 566-9.<br />

[7] Cushman M, Cornell A, Folsom AR et al. Association of<br />

the beta-fibrinogen Hae III and factor XIII Val34Leu gene<br />

variants with venous thrombosis. Thromb Res 2007 (im<br />

Druck).<br />

[8] Willeke A, Gerdsen F, Bauersachs RM, Lindhoff-Last E.<br />

Rationelle Thrombophiliediagnostik. Deutsches Ärtzeblatt<br />

1999; 31-32: A2111-A2118.<br />

[9] Deutsche Gesellschaft <strong>für</strong> Humangenetik e.V.<br />

www.gfhev.de/de/leitlinien/index.htm<br />

Abb. 2: Auszug des Algorithmus einer rationellen Thrombophiliediagnostik (Willeke, DÄ 1999). [8]<br />

Die Therapieoptionen sind nicht dargestellt.<br />

Molekulargenetik<br />

Defekt aPC-Resistenz Prothrombin-Genmutation Protein C-Mangel [3] Protein S-Mangel [3] Antithrombinmangel [3]<br />

(modifiziert nach [2] ) (modifiziert nach [2] )<br />

Mutationstyp Punktmutation G1691A Punktmutation verschiedene Mutationen verschiedene Mutationen verschiedene Mutationen<br />

(R506Q) G20210A<br />

Prävalenz het: 5–7% 2–3% 0,2–0,5% 0,1–1% 0,02–0,04%<br />

(Normalbevölkerung) hom: 0,02 – 0,1 %<br />

Prävalenz het: 20–30% 4–10% 2–5% 1–3% 1–2%<br />

(Thrombosepatient) hom: 3 %<br />

Risikoerhöhung het: 3 – 7fach het: 2 – 3-fach het: 6 – 10-fach het: 2-fach het: 5-fach<br />

<strong>für</strong> Thrombosen hom: 80-fach hom: nicht lebensfähig hom: nicht lebensfähig hom: nicht lebensfähig<br />

(außer Heparin-<br />

Bindungsvariante)<br />

het = heterozygote Mutation: ein Allel unverän<strong>der</strong>t, ein Allel trägt die Mutation<br />

hom = homozygote Mutation: beide Allel tragen die Mutation<br />

Tab. 1: Angeborene Thromboserisiken und <strong>der</strong>en Prävalenz in <strong>der</strong> kaukasischen Bevölkerung<br />

Kontakt<br />

Dr. rer. nat. Thomas Brodegger<br />

Molekulargenetik<br />

MEDILYS c/o <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 59 74<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 37<br />

E-Mail: t.brodegger@asklepios.com<br />

511


ISSN 1863-8341<br />

Retten<strong>der</strong> Luft-Sog –<br />

die Geschichte <strong>der</strong> Eisernen Lunge<br />

Jens O. Bonnet<br />

In <strong>der</strong> Genesis vollendet <strong>der</strong> Schöpfer die<br />

Erschaffung Adams, indem er ihm „in<br />

seine Nase Atem des Lebens hauchte“. [1]<br />

Auch die Mund-zu-Mund-Beatmung zur<br />

Reanimation von Kin<strong>der</strong>n wird im alten<br />

Testament mehrfach erwähnt. [2,3]<br />

Technische Hilfsmittel zur Beatmung<br />

kamen vermehrt im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t zum<br />

Einsatz. So empfahl 1782 die Royal Humane<br />

Society in England den Gebrauch von<br />

Blasebalgen als effektivstes Mittel zur<br />

künstlichen Beatmung [4] , <strong>der</strong> Franzose<br />

François Ch<strong>aus</strong>sier propagierte 1791 die<br />

Sauerstoffgabe und 1806 die Larynx-Intubation.<br />

[5] Die Kritik des Franzosen Leroy<br />

D’Etailles 1829 und weiterer <strong>Ärzte</strong> an <strong>der</strong><br />

mangelhaften Regulierbarkeit des Luftstromes<br />

ließ die Blasebalgbeatmung um 1837<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong> Mode kommen. [4] Probleme wie<br />

häufige Überblähungen o<strong>der</strong> gar Magenrupturen<br />

nach nasopharyngealer Intubation<br />

und Beatmung ließen die Forscher<br />

nach Alternativen suchen. Als beson<strong>der</strong>s<br />

erfolgreich und schonend erwiesen sich<br />

schließlich Unterdruckkammern, die den<br />

Patienten von außen bei <strong>der</strong> Atmung<br />

unterstützten und we<strong>der</strong> Intubation noch<br />

Sedierung des Patienten erfor<strong>der</strong>ten. Dabei<br />

lag <strong>der</strong> Patient mit dem gesamten Körper<br />

o<strong>der</strong> nur dem Rumpf in einem Hohlzylin<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> Kopf blieb außerhalb des Zylin<strong>der</strong>s.<br />

Rhythmische Druckschwankungen<br />

im Zylin<strong>der</strong> bewegten den Thorax des<br />

Patienten passiv mit und imitierten so die<br />

normale Atemtätigkeit: Zur Inspiration<br />

wurde ein Unterdruck im Zylin<strong>der</strong> aufgebaut,<br />

zur Expiration ein Überdruck. Nach<br />

diesem Prinzip entwickelte <strong>der</strong> schottische<br />

Arzt John Dalziel bereits 1832 eine Anlage<br />

zur Beatmung ertrunkener Seeleute, die als<br />

erster Tank-Respirator gilt. [6] 1876 präsentierte<br />

Eugène Joseph Woillez in Paris die<br />

röhrenförmige und über einen Hebel angetriebene<br />

„Spirophore“ zur Behandlung <strong>der</strong><br />

www.medtropole.de<br />

Links: Untersuchung eines Polio-Patienten in <strong>der</strong> Eisernen Lunge während <strong>der</strong> Epidemie auf Rhode Island 1960<br />

(Foto: CDC) Rechts: Geöffnete Eiserne Lunge <strong>aus</strong> den 1950er Jahren (Foto: CDC/GHO/Mary Hilpertsh<strong>aus</strong>er)<br />

Asphyxie. [6] Nach dem Tod seines neugeborenen<br />

Sohnes aufgrund von Atemproblemen<br />

beschäftigte sich sogar <strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong><br />

des Telefons, Alexan<strong>der</strong> Graham Bell, mit<br />

diesem Thema und entwarf 1881 eine<br />

eiserne Vakuumjacke zur Erleichterung <strong>der</strong><br />

Atmung. [7] Den Durchbruch <strong>für</strong> die künstliche<br />

Beatmung brachten schließlich 1928<br />

<strong>der</strong> Chemie-Ingenieur Philip Drinker und<br />

<strong>der</strong> Pädiater Charles F. McKhann mit dem<br />

erfolgreichen Einsatz des „Drinker-Respirators“<br />

bei <strong>der</strong> Langzeitbeatmung eines<br />

Poliomyelitispatienten. [8] Das später als<br />

„Eiserne Lunge“ bekannte Gerät war <strong>für</strong><br />

kleine Kin<strong>der</strong> ebenso geeignet wie <strong>für</strong><br />

Erwachsene mit einer Länge von bis zu<br />

zwei Metern und einem Gewicht von bis<br />

zu 110 Kilogramm. Beatmungsparameter<br />

wie Atemfrequenz und -volumen ließen<br />

sich einstellen, <strong>der</strong> Gummikragen um den<br />

Hals ermöglichte eine gute Abdichtung <strong>der</strong><br />

Druckkammer bei höchstmöglichem Komfort<br />

<strong>für</strong> den Patienten, zur Pflege und<br />

Untersuchung ließ sich das Bett <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

Druckkammer her<strong>aus</strong>ziehen. [8] Eiserne<br />

Lungen kamen vor allem bei Polio-Patienten<br />

zum Einsatz, von denen viele die<br />

Atemunterstützung nur in <strong>der</strong> Akutphase<br />

benötigten. Einige Patienten benutzten die<br />

Maschine nur über Nacht, an<strong>der</strong>e über<br />

lange Zeit. In Leipzig gab es in den 1950er-<br />

Jahren sogar eine ganze Station mit Eisernen<br />

Lungen. Die Polio-Impfung und neue<br />

Beatmungstechniken ließen die Eiserne<br />

Lunge beinahe <strong>aus</strong> dem medizinischen<br />

Repertoire verschwinden, die Produktion<br />

wurde 1970 eingestellt, Wartung und Er -<br />

satzteilversorgung 2004. Doch noch immer<br />

leben in den USA rund 40 Überlebende <strong>der</strong><br />

Polioepidemie in Eisernen Lungen, so wie<br />

Dianne Odell <strong>aus</strong> Jackson. Odell erkrankte<br />

mit drei Jahren an Poliomyelitis und ist seit<br />

58 Jahren rund um die Uhr auf ihre Eiserne<br />

Lunge angewiesen, die im H<strong>aus</strong> ihrer<br />

Eltern steht. [9]<br />

Literatur<br />

[1] Gen 2, 7<br />

[2] 1 Kön 17, 8-24<br />

[3] 2 Kön 4, 18-37<br />

[4] Keith A. The mechanism un<strong>der</strong>lying the various<br />

methods of artificial respiration. Lancet 1909; 1: 745-9<br />

[5] Stofft H. La mort apparente du nouveau-né en 1781 et<br />

en 1806. L'oeuvre de François Ch<strong>aus</strong>sier. Hist Sci Med.<br />

1997 Oct-Dec; 31 (3-4): 341-9.<br />

[6] Woollam CH. (1976) The development of apparatus for<br />

intermittent negative pressure respiration (1) 1832-1918.<br />

Anaesthesia. 1976; 31 (4): 537-47.<br />

[7] Baskett TF. Alexan<strong>der</strong> Graham Bell and the vacuum<br />

jacket for assisted respiration. Resuscitation. 2004; 63 (2):<br />

115-7.<br />

[8] Drinker P, McKhann CF. The use of a new apparatus for<br />

the prolonged administration of artificial respiration: I. A<br />

fatal case of poliomyelitis. JAMA. 1929; 92 (20): 1658-60.<br />

[9] http://www.wthfoundation.org

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