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Geburten und Geburtshilfe in Deutschland - Barmer GEK

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tisch unerschütterlichen Gewissheiten. So stützt sich etwa der Bevölkerungswissenschaftler<br />

Birg auf e<strong>in</strong> „Phänomen der demographischen Trägheit“, das ihn die zukünftige <strong>Geburten</strong>entwicklung<br />

als e<strong>in</strong>e Art naturwissenschaftlich determ<strong>in</strong>ierten Prozess verstehen <strong>und</strong><br />

prognostizieren läst: „E<strong>in</strong>e Abnahme der absoluten <strong>Geburten</strong>zahl, die auf e<strong>in</strong>er Änderung<br />

des Fortpflanzungsverhaltens beruht (...) hat e<strong>in</strong>e Generation später unausweichlich e<strong>in</strong>e<br />

weitere Abnahme der <strong>Geburten</strong>zahl zur Folge (...) die sich anschließenden Abwärtsbewegungen<br />

der absoluten <strong>Geburten</strong>zahl <strong>in</strong> Form von Wellentälern (...) Die Auswirkungen der<br />

verr<strong>in</strong>gerten K<strong>in</strong>derzahl bzw. der abnehmenden Zahl der späteren, potentiellen Eltern auf<br />

die <strong>Geburten</strong>zahl <strong>in</strong> der nächsten <strong>und</strong> den folgenden Generationen tritt mit ähnlicher Sicherheit<br />

e<strong>in</strong> wie e<strong>in</strong>e Aussage über den Wechsel der Jahreszeiten <strong>in</strong> der Zukunft, also<br />

praktisch mit 100 Prozent“ (Birg 2001, 100).<br />

Spätestens wenn Verhaltensweisen, die <strong>in</strong> hohem Maße sozial <strong>und</strong> kulturell bee<strong>in</strong>flusst <strong>und</strong><br />

variabel s<strong>in</strong>d, so hart mit hoch determ<strong>in</strong>ierten naturwissenschaftlichen Prozessen gleichgesetzt<br />

werden, lohnt es, sich auf e<strong>in</strong>ige erkenntnistheoretische Eigenarten von Prognosen<br />

sowie ihre potenziellen technischen Mängel zu bes<strong>in</strong>nen.<br />

Statt demografische Prognosen zu quasi naturwissenschaftlichen Wirkungen zu stilisieren,<br />

ist es hilfreich, über e<strong>in</strong>e zentrale Paradoxie der Erkenntnisform Prognose nachzudenken.<br />

Für M<strong>in</strong>ois, der sich systematisch mit dieser Art von Erkenntnisformen beschäftigt hat,<br />

ähneln die Bemühungen um Prognosen „stark der Jagd nach e<strong>in</strong>er Chimäre. Von Anfang<br />

an krankt es an e<strong>in</strong>em Widerspruch. Denn wenn man versucht, die Zukunft zu kennen,<br />

setzt man voraus, dass sie erkennbar ist, d.h. schon heute unausweichlich feststeht. Wozu<br />

würde es sonst nützen, sie zu kennen (...)? Die Zukunft zu verkünden hat also nur dann<br />

e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, wenn sie nicht feststeht, d.h. wenn sie unvorhersehbar ist. In welchem Fall die<br />

‚Vorhersage‘ zu e<strong>in</strong>er magischen Tätigkeit wird, dazu bestimmt, die gewünschte Zukunft<br />

herbeizuführen“(M<strong>in</strong>ois 1998, 18).<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong>verständnis folgert M<strong>in</strong>ois, es g<strong>in</strong>ge bei e<strong>in</strong>er Prognose nicht um „die<br />

Genauigkeit der Vorhersage“, sondern darum, das „sie die Role e<strong>in</strong>er geselschaftlichen<br />

oder <strong>in</strong>dividuelen Therapie spielt“ (M<strong>in</strong>ois 1998, 20). Darüber h<strong>in</strong>aus gilt: „Tatsächlich ist<br />

die Vorhersage niemals neutral oder passiv. Immer entspricht sie e<strong>in</strong>er Absicht, e<strong>in</strong>em<br />

Wunsch oder e<strong>in</strong>er Befürchtung; sie br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en Kontext sowie e<strong>in</strong>e Geisteshaltung zum<br />

Ausdruck. Die Vorhersage klärt uns nicht über die Zukunft auf, sondern spiegelt die Gegenwart<br />

wider“ (M<strong>in</strong>ois 1998, 20).<br />

Zusätzlich zu diesen erkenntnistheoretischen Limitierungen gibt es aber auch Probleme der<br />

praktischen Aussagefähigkeit demografischer Prognosen. Dies gilt z.B. für die u.a. bei<br />

Birg zu beobachtende Vernachlässigung der realen Freiheitsgrade <strong>und</strong> damit der graduellen<br />

Variabilität von Prognosen zur künftigen <strong>Geburten</strong>entwicklung. So ist selbst die Feststellung,<br />

alle Frauen, die <strong>in</strong> den nächsten 40-50 Jahren potenziell K<strong>in</strong>der bekommen<br />

könnten, lebten bereits <strong>und</strong> <strong>in</strong>sofern wäre an diesem Teil der Input-Bed<strong>in</strong>gungen der <strong>Geburten</strong>entwicklung<br />

nichts mehr zu ändern, nicht richtig. Sie schließt z.B. die Möglichkeit<br />

der Zuwanderung von bereits erwachsenen Frauen im gebärfähigen Alter aus dem Ausland<br />

aus. Falsch, unzulässig <strong>und</strong> <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall zu belastbaren Ergebnissen führend ist die<br />

Annahme oder das Szenario, damit stünde die Anzahl der künftig geborenen K<strong>in</strong>der fest.<br />

26 <strong>GEK</strong>-Edition

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