Script (PDF) - Bildungswerk Irsee
Script (PDF) - Bildungswerk Irsee
Script (PDF) - Bildungswerk Irsee
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
Kreatives und therapeutisches Schreiben – Kurzdarstellung<br />
„Jeder Mensch verkörpert eine Silbe, ein einmaliges, unverwechselbares Gewächs aus<br />
Konsonanten und Vokalen, eine lebende Silbe, unterwegs zum Wort, zum Text.“<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
I. Definition der Poesietherapie<br />
II. Geschichte der Poesietherapie<br />
III. Anwendung der Poesietherapie<br />
IV. Wirkungen der Poesietherapie<br />
V. Schreibübungen<br />
VI. Achtsamkeitsübungen<br />
VII. Imaginationsübungen<br />
VIII. Zusätzliches Übungsmaterial<br />
IX. Literaturhinweise<br />
(Peter Sloterdijk)<br />
Die Mehrzahl der in diesem <strong>Script</strong> verwendeten Texte und Übungsbeispiele sind Auszüge aus dem<br />
Buch: Heimes S., Kreatives und therapeutisches Schreiben. Ein Arbeitsbuch. Vandenhoeck & Ruprecht,<br />
Göttingen 2008 und dem Buch: Heimes, S., Warum Schreiben hilft. Die Wirksamkeitsnachweise zur<br />
Poesietherapie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012<br />
© Dr. med. Silke Heimes 1
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
I. Definition der Poesietherapie<br />
Unter Poesietherapie kann jedes therapeutische oder selbstanalytische Verfahren<br />
verstanden werden, das durch Schreiben den subjektiven Zustand eines Individuums<br />
zu bessern versucht.<br />
Der Ausdruck Poesietherapie ist dem amerikanischen Begriff poetry therapy entlehnt,<br />
der von Leedy und Lerner geprägt wurde.<br />
Die Poesietherapie ist keiner klassischen Psychotherapieschule verpflichtet, sondern<br />
zählt wie die Musik-‐, Mal-‐ und Gestalttherapien zu den expressiven und kreativen<br />
Therapien, die über Förderung der schöpferischen Potentiale, der Wahrnehmungs-‐<br />
und Erlebnisfähigkeit und der Einsicht in relevante lebensgeschichtliche Konflikte zur<br />
Heilung und Persönlichkeitsentwicklung beitragen. Sie nimmt unter den kreativen<br />
Therapien eine besondere Stellung ein, weil sie mittels der Sprache auf eines der älte-‐<br />
sten therapeutischen Medien zurückgreift.<br />
Schreiben hat, durch den Aspekt der Selbsterforschung und Selbsterkenntnis, gleich<br />
wie es benannt wird, immer auch therapeutischen, beziehungsweise selbsttherapeu-‐<br />
tischen Charakter und birgt, sowohl im Prozess, den es auslöst, als auch als Vorgang<br />
selbst, eine gewisse Nachhaltigkeit. Obwohl sich die Psychotherapie als sprechende<br />
Therapie versteht, ist die Beschäftigung mit der Heilkraft der Schrift im deutschspra-‐<br />
chigen Raum noch in den Randbereichen zu suchen.<br />
Neben dem Begriff der Poesietherapie finden sich in der Literatur vor allem die Be-‐<br />
griffe Schreibtherapie, Kreatives Schreiben, Literarisches Schreiben, Therapeutisches<br />
Schreiben und (Auto-‐)Biographisches Schreiben. Es gibt keine klaren Abgrenzungen,<br />
der kleinste gemeinsame Nenner ist das Schreiben, zuweilen werden die Begriffe<br />
synonym verwendet.<br />
Das Kreative Schreiben, Creative writing, kann als Ursprung der neuen Schreibbe-‐<br />
wegung in Deutschland verstanden werden. Im Zentrum der so bezeichneten Semina-‐<br />
re steht die sprachliche und literarische Entwicklung der Teilnehmer. Angewendet<br />
werden Methoden, die das kreative Erleben fördern, Erinnerungen und Erlebnisse<br />
freisetzen, diese sprachlich fassen und gestalterisch bearbeiten.<br />
Das Kreative Schreiben wird zuweilen auch als Literarisches Schreiben bezeichnet,<br />
was diese Bezeichnung insofern verdient, als sich an den Primärprozess des Schrei-‐<br />
bens, in dem es vor allem um den Selbstausdruck und die Selbstfindung geht, ein Se-‐<br />
kundärprozess anschließt, in dem die erarbeiteten Texte in eine literarische Form ge-‐<br />
bracht werden. Im Literarischen Schreiben geht es in erster Linie um literarische und<br />
ästhetische Qualität.<br />
Wird das Schreiben als Mittel zur Selbsterforschung und Selbstreflexion eingesetzt,<br />
ist in der Regel vom Therapeutischen Schreiben, der Schreib-‐ oder Poesietherapie<br />
die Rede. In den auf diese Weise bezeichneten Seminaren wird der Versuch unter-‐<br />
nommen, sich mittels Sprache auf den Weg zu sich selbst zu begeben. Durch das<br />
© Dr. med. Silke Heimes 2
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
Schreiben wird ein therapeutischer Prozess in Gang gebracht, der mit therapeuti-‐<br />
schen Gesprächen begleitet wird.<br />
Dem Therapeutischen Schreiben eng verwandt ist das Autobiographische Schreiben,<br />
bei dem der Beschäftigung mit der Vergangenheit und Kindheit eine zentrale<br />
Bedeutung zukommt. Beim Autobiographischen Schreiben liegt der Fokus auf Erleb-‐<br />
nissen aus der Vergangenheit, den Assoziationen, die das Erinnern auslöst und den<br />
Emotionen und Gedanken, die im Verlauf des Prozesses zutage treten.<br />
Das Biographische Schreiben beschäftigt sich in erster Linie ebenfalls mit der Ver-‐<br />
gangenheit und kann sowohl therapeutisch genutzt werden als auch rein publizisti-‐<br />
sche Zwecke verfolgen.<br />
II. Geschichte der Poesietherapie<br />
Schreiben ist eine uralte Form der Kommunikation und reicht bis 500 v. Chr. zurück.<br />
Die ersten archaischen Dichter waren die Götter, Zeus war der Vater der Musen,<br />
Mnemosyne die Mutter. Apollo, Vater des Asklepios, war nicht nur der Gott der Heil-‐<br />
kunst, sondern zugleich der Gott der Dichtkunst, versehen mit dem Attribut der<br />
Schönheit, die damals dem Zustand der Gesundheit gleichgesetzt wurde.<br />
Aristoteles, ein Verfechter der normativen Poetik, beschrieb die Dichtkunst als eine<br />
Sache des Talents; seine Lehre fußte auf der durch das Drama bewirkten Katharsis,<br />
der befreienden und heilenden Wirkung durch das gesprochene Wort, wobei sich die<br />
Katharsis in seiner Vorstellung mehr auf den Rezipient als auf den Dichter bezog.<br />
Geistliche wie Philosophen widmeten sich dem Thema der Selbstanalyse, zu Beginn<br />
der Neuzeit vornehmlich Descartes, Kant, Hegel und Jaspers. Mit der Renaissance ent-‐<br />
faltete sich neben der philosophischen Selbstanalyse das Genre des literarischen Ta-‐<br />
gebuchs, das neben einer Ereignischronik zunehmend zur Analyse von Tagesnöten<br />
und Träumen genutzt wurde. Die moderne Autobiographie lässt große Ähnlichkeiten<br />
mit den autobiographischen Schriften des heiligen Augustinus erkennen, die den Cha-‐<br />
rakter der Beichte und Reflexion hatten.<br />
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts griff der russische Arzt und Psychologe Iljine den the-‐<br />
rapeutischen Aspekt der Sprache im Drama auf. Er initiierte ein therapeutisches<br />
Theater und schrieb für seine Patienten Rahmenstücke, die auf ihrer Biographie ba-‐<br />
sierten. Als Fortsetzung ermunterte er die Patienten, eigene Stücke zu schreiben, um<br />
auf diese Weise intensive Gefühle zum Ausdruck zu bringen und Hemmungen abzu-‐<br />
bauen.<br />
Auf die befreiende und heilende Wirkung des Wortes baute auch Moreno, der in den<br />
30er Jahren des 19. Jahrhunderts den Begriff des Psychodramas prägte. Daneben be-‐<br />
diente er sich eines Verfahrens, das er als Psychopoetry bezeichnete, und das sich vor<br />
allem dadurch auszeichnete, aus dem Stegreif Verse zu bilden. Großen Wert legte er<br />
darauf, dass die gebildeten Verse keinen Sinn ergeben müssten und sprach von Non-<br />
© Dr. med. Silke Heimes 3
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
sense-Poetry. Eine solche unsinnige Versbildung stehe dem Erleben näher, als geform-‐<br />
te Verse.<br />
Sigmund Freud war ein Verfechter der Selbstanalyse, der freien Assoziation und<br />
Traumdeutung, die sich seiner Ansicht nach sowohl mit einem Gegenüber in mündli-‐<br />
cher Form, als auch alleine in schriftlicher Form durchführen lasse. Durch das Schrei-‐<br />
ben gelange der Dichter aus einer unbefriedigenden Welt in eine Welt der Phantasie,<br />
und finde, durch kreative Textgestaltung, in die Realität zurück.<br />
Als Meister der poetischen Selbstanalyse erwies sich Strindberg, der seine Gefühle<br />
mittels freier Assoziation und Imagination erforschte. Rilke bekannte in einem Brief,<br />
dass seine Schreibarbeit letztlich nichts anderes sei als Selbstanalyse, und Kafka<br />
schrieb, dass sein Schreiben besser als jede Psychotherapie an den Ursachen seiner<br />
Neurosen rühre. Sowohl Rilke als auch Kafka lehnten, aus Sorge, ihre Schreibenergie<br />
zu verlieren, eine klassische Psychoanalyse ab.<br />
Parallel zu der von Freud ins Schreiben transportierten Methode des freien Assoziie-‐<br />
rens, die noch heute eine wichtige Technik in der Poesietherapie darstellt, eröffneten<br />
die in dieser Zeit aufkeimenden Methoden des Expressionismus, Dadaismus und Sur-‐<br />
realismus neue experimentelle und therapeutische Schreibmöglichkeiten.<br />
In Europa verdankt die Poesietherapie ihren Aufschwung in erster Linie Farrow,<br />
Thomas und Petzold. Farrow, der in England geborene Biologe, litt selbst an einer<br />
durch den ersten Weltkrieg verursachten Depression. Durch Jungs Assoziationsexpe-‐<br />
rimente auf die Psychoanalyse aufmerksam geworden, begann er zunächst mit einer<br />
klassischen mündlichen Psychoanalyse, um diese als poetische Selbstanalyse fortzu-‐<br />
führen.<br />
Ebenfalls unter Berücksichtigung der amerikanischen Poesietherapie entwickelte<br />
Petzold am Fritz-‐Perls-‐Institut (FPI) der Europäischen Akademie für psychosoziale<br />
Gesundheit (EAG) ein Konzept für Poesie-‐ und Bibliotherapeuten mit festgelegtem<br />
Ausbildungscurriculum, wodurch die Schreibtherapie in Deutschland ihre Professio-‐<br />
nalisierung und berufliche Institutionalisierung erlangte.<br />
Ein weiterer Wegbereiter der Poesietherapie in Deutschland ist von Werder, unter<br />
dessen Leitung seit 1982 an der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik<br />
in Berlin das Projekt Kreatives Schreiben an der FHSS Berlin läuft, in dem zahlreiche<br />
Schreibgruppen sowie Schreibgruppensupervisionen durchgeführt werden.<br />
In Amerika hat die Poesietherapie neben anderen expressiven Therapien wie Tanz-‐,<br />
Musik-‐, Gestalt-‐ und Dramatherapie schon lange einen anerkannten Platz, es existiert<br />
ein eigener Berufsverband für Poesietherapeuten, und es finden jährlich zahlreiche<br />
Kongresse zur Poesietherapie statt. Wegbereiter der Poesietherapie waren in Ameri-‐<br />
ka unter anderem Lerner, Leedy und Rico.<br />
© Dr. med. Silke Heimes 4
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
III. Anwendung der Poesietherapie<br />
Im Prinzip steht die Möglichkeit der Poesietherapie jedem Menschen offen, der aus<br />
Buchstaben Worte bilden kann, die Grundregeln des Satzbaus beherrscht, in der Lage<br />
ist einen Brief zu schreiben oder sich Notizen zu machen, sprechen kann und ver-‐<br />
steht, was andere sagen. Es bedarf keiner besonderen literarischen Fähigkeiten und<br />
keiner speziellen Grammatikkenntnisse; vielmehr ist in jedem Menschen ein sprachli-‐<br />
ches Ausdrucksvermögen vorhanden, das es ermöglicht, Gedanken und Gefühle in<br />
Worten auszudrücken.<br />
Die Poesietherapie kann ambulant oder stationär, Einzeln oder in Gruppen, mit oder<br />
ohne Anleitung, durchgeführt werden. Allerdings ist der Gedankenaustausch mit an-‐<br />
deren ein wichtiger Bestandteil der schreibenden Selbstreflexion, der unter anderem<br />
der Orientierung in der Welt und der Relativierung eigener Gedanken, Ideen und An-‐<br />
sichten dient. Mit Gedanken und Gefühlen in Kommunikation zu treten, ermöglicht<br />
die Entwicklung eines eigenen Standpunktes und die Formulierung und Prüfung des-‐<br />
selben. Gruppenteilnehmer und Leiter fungieren als Spiegel und Korrektiv. In der<br />
schriftlichen Selbstanalyse kann diese Funktion von einem späteren oder imaginier-‐<br />
ten Leser, beziehungsweise Therapeuten, übernommen werden.<br />
IV. Wirkungen der Poesietherapie<br />
Der Versuch einer Annäherung an innerpsychische Vorgänge und die damit verbun-‐<br />
denen Wirkungen der Poesietherapie kann nur exemplarischen Charakter haben. Bei<br />
jedem Menschen laufen ganz individuelle, komplexe psychische Prozesse ab.<br />
• Eine durch das Schreiben veränderte Sprach-‐ und Ausdruckskompetenz führt<br />
von einer routinierten Wahrnehmung zu einem neuen, erweiterten Blick.<br />
• Sprache ist sinnlich, haptisch und rhythmisch und aktiviert Körper und Geist.<br />
Sie entsteht im Körper und nutzt diesen zum Ausdruck.<br />
• Die poetisch verdichtete Sprache stellt, im Unterschied zu der oft verzerren-‐<br />
den, inhaltsleeren Alltagssprache, die Vielfalt der Lebenswelt dar, in der sie<br />
wirkt.<br />
• Die durch den kreativen Akt geförderte Kooperation der linken, rationalen mit<br />
der rechten, emotionalen Hemisphäre eröffnet neue Denkmuster und Lö-‐<br />
sungsansätze.<br />
• Schreiben als ernsthaftes Spiel mit Worten befreit vom Leistungsdenken und<br />
Funktionalität.<br />
• Durch Überschreitung verbaler Kommunikationsgrenzen und einer spieleri-‐<br />
schen Haltung, die phantastische Imagination erlaubt, werden Gefühle, Gedan-‐<br />
ken und Erinnerungen geweckt.<br />
• Im Akt des Schreibens kommt es zur Verlangsamung, zum Innehalten und zur<br />
Selbstbesinnung.<br />
© Dr. med. Silke Heimes 5
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
• Wie jede kreative Tätigkeit lebt auch das Schreiben von einer positiven Hal-‐<br />
tung sich selbst und dem Schreiben gegenüber.<br />
• Schreiben öffnet einen Raum sensibler Wahrnehmung, scheinbar Banales er-‐<br />
hält Aufmerksamkeit und wird zu etwas Besonderem.<br />
• Achtsamkeit wird zu einem wichtigsten Instrument zur Erfassung des Selbst<br />
und der Welt.<br />
• Schreiben kann zum Ordnen und Formen von Gedanken, Gefühlen und Ideen<br />
beitragen.<br />
• Durch das Schreiben kommt es zum produktiven Austausch zwischen Bewuss-‐<br />
tem und Unbewusstem, wodurch im gelungenen Fall am Ende des Prozesses<br />
ein poetisches Selbst sichtbar wird und hervortreten kann.<br />
• Die kreative Eigentätigkeit des Schreibens kann helfen, ein autonomes Selbst-‐<br />
wertgefühl zu wecken und psychische Leistungen über ästhetische Simulation<br />
wieder aufzubauen.<br />
• An der Konsequenz künstlerischer, literarischer Tätigkeit kann es gelingen, zu<br />
erkennen, dass Zustände, die Leidensdruck erzeugen, durch kreative Prozesse<br />
produktiv genutzt werden können.<br />
• Der schreibende Mensch ist nicht länger passiver Rezipient von Ratschlägen<br />
und Deutungen, sondern produziert etwas, auf das er stolz sein kann.<br />
• Es entsteht ein neues Selbstbewusstsein, der Schreibende wird sich zuneh-‐<br />
mend seiner Selbst bewusst, erkennt Stärken und Schwächen, Vorlieben und<br />
Abneigungen und integriert sie.<br />
• Die differenzierte Selbstwahrnehmung ist ein entscheidender Schritt zur radi-‐<br />
kalen Akzeptanz der eigenen Person, die der Schreibende im Schreiben als ei-‐<br />
gene entdeckt.<br />
• Die Poesietherapie eröffnet die Möglichkeit, am Ende der Therapie ein konkre-‐<br />
tes Ergebnis mitzunehmen, einen Text, der so oft lesen, überarbeitet und fort-‐<br />
geführt werden kann, wie es dem Schreibenden einfällt.<br />
• Schreiben vermittelt ein Gefühl der Selbstkontrolle und bildet somit ein Ge-‐<br />
gengewicht zu den Gefühlen der Ohnmacht und Resignation, mit dem zahlrei-‐<br />
che psychische Leiden einhergehen.<br />
Die meisten wissenschaftlichen Nachweise existieren für das Expressive Schreiben,<br />
was mehrere Gründe hat. Erstens ist die Methode klar strukturiert und standardisiert,<br />
weswegen sie gut untersucht werden kann. Zweitens handelt es sich um eine Kurz-‐<br />
zeitintervention, wodurch die Untersuchungszeiträume und der Forschungsaufwand<br />
überschaubar bleiben. Drittens wurden zur Untersuchung der Methode For-‐<br />
schungsgelder zur Verfügung gestellt. Dass im deutschsprachigen Raum so gut wie<br />
keine Forschungsergebnisse für die Poesietherapie vorliegen, ist auf ihre mangelnde<br />
© Dr. med. Silke Heimes 6
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
Anerkennung und Etablierung zurückzuführen. Es ist nahezu unmöglich, Studien zu<br />
einem Therapieverfahren durchzuführen, das in den Kliniken nicht etabliert ist und<br />
für das es nur wenige ausgebildete Therapeuten gibt, die in der Lage und Willens wä-‐<br />
ren, die Untersuchungen zu leiten. Zudem hat die Poesietherapie in Deutschland bis-‐<br />
her keine Lobby, so dass wenig Aussicht auf Drittmittel besteht, was bedeutet, dass<br />
die Untersuchungen mit privaten Mitteln finanziert und Kollegen, die wissenschaft-‐<br />
lich arbeiten wollen, ihre Arbeitszeit kostenfrei zur Verfügung stellen müssten, was<br />
nur in begrenztem Maß möglich und überdies nicht sinnvoll und erwünscht ist, da es<br />
im Rahmen der Professionalisierung der Poesietherapie als kontraproduktiv verstan-‐<br />
den werden kann. Um die Poesietherapie in Klinik und Praxis einzuführen und wis-‐<br />
senschaftlich fundiert zu untersuchen, bedarf es der Bereitstellung finanzieller Mittel<br />
und der Ausbildung von Fachleuten nach einheitlichen Curricula.<br />
Obwohl die unterschiedlichen Wirkungen des Schreibens in zahlreichen Untersu-‐<br />
chungen anhand verschiedener Parameter beschrieben wurden, sind die einzelnen<br />
Mechanismen, die den Wirkungen zugrunde liegen und die multiplen Faktoren, die zu<br />
den Wirkungen beitragen, bisher weder hinreichend formuliert noch ausreichend<br />
präzisiert und miteinander in Beziehung gesetzt worden. Eine Zusammenführung der<br />
Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen, die Generierung von Hypothesen und das<br />
Auffinden geeigneter poesietherapiespezifischer Evaluationsinstrumente sind wichti-‐<br />
ge Schritte auf dem Weg zur Professionalisierung der Poesietherapie. Wie in Kapitel 3<br />
erläutert, bedarf es dafür eines mehrgleisigen Vorgehens, das sich quantitativer und<br />
qualitativer Untersuchungsmethoden bedient. So lange allerdings keine poesiethera-‐<br />
piespezifischen Evaluationsinstrumente zur Verfügung stehen, kann auf standardi-‐<br />
sierte, validierte Fragebögen aus dem medizinisch-‐psychologischen Kontext zurück-‐<br />
gegriffen werden.<br />
Vermutete Wirkungen und Wirkfaktoren:<br />
• Emotionsregulation<br />
• Selbstoffenbarung<br />
• Verarbeitung belastender Erlebnisse<br />
• Selbstwirksamkeit<br />
• Kognitionsförderung<br />
• Kohärenzerleben<br />
• Selbstkonzept und Lebensziele<br />
• Neubewertung<br />
• Soziale Integration und Unterstützung<br />
• Kommunikationsförderung<br />
© Dr. med. Silke Heimes 7
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
Die meisten Wirksamkeitsnachweise existieren für folgende Krankheitsbilder:<br />
• Posttraumatische Belastungsstörungen<br />
• Depressionen<br />
• Essstörungen<br />
• Suchterkrankungen<br />
• Erkrankungen des Immunsystems<br />
• Schmerzassoziierte Krankheiten<br />
• Krebserkrankungen<br />
• Herzkreislauferkrankungen<br />
• Atemwegserkrankungen<br />
V. Schreibübungen<br />
Übung 1<br />
Begleiten Sie sich innerhalb der nächsten sieben Tage jeden Tag ganz bewusst zehn<br />
Minuten lang, indem Sie sich zehn Minuten achtsam mit sich und Ihrer Umgebung be-‐<br />
schäftigen. Führen Sie die Übung an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedli-‐<br />
chen Zeiten durch und sammeln ein Spektrum an Eindrücken. Sie können in einem<br />
Café, in der Straßenbahn oder auf einer Parkbank schreiben, in dem Sie auf Geräusche<br />
und Gerüche achten oder beobachten Sie die Menschen um sich herum. Wichtig ist,<br />
dass Sie sich ganz bewusst Ihren Wahrnehmungen und Gedanken zuwenden und die-‐<br />
se notieren. Es empfiehlt sich, zu diesem Zweck ein Notizbuch und einen Stift mit sich<br />
zu führen. Verzichten Sie darauf, das Geschriebene direkt im Anschluss zu lesen, zu<br />
zensieren und zu korrigieren, sondern schreiben Sie zunächst sieben Tage lang zehn<br />
Minuten und lesen die Texte erst am Ende der Woche. Verfassen Sie dann einen Text<br />
darüber, was die Zeilen an Gedanken und Gefühlen in Ihnen auslösen.<br />
Übung 2<br />
Eine Fee kommt zu Ihnen und sagt, dass Sie drei Wünsche frei haben. Notieren Sie die<br />
Wünsche, die Sie der Fee nennen würden und fragen sich, wie alt diese Wünsche sind,<br />
wie lange Sie diese schon mit sich herum tragen. In einem zweiten Schritt notieren<br />
Sie, was es bräuchte, um Ihre Wünsche zu verwirklichen und was Sie selbst zur Ver-‐<br />
wirklichung beitragen könnten. Notieren Sie Ihre bisherigen Erfahrungen mit Wün-‐<br />
schen, welche sich verwirklicht haben, oder ob Ihre Wünsche in der Vergangenheit<br />
eher enttäuscht wurden. In einem dritten Schritt beschreiben Sie, was sich in Ihrem<br />
Leben verändern würde, sollten sich die Wünsche erfüllen.<br />
Übung 3<br />
Bewegen Sie sich frei durch den Raum, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und<br />
mit unterschiedlichen Bewegungen. Konzentrieren Sie sich dabei zunächst ganz auf<br />
© Dr. med. Silke Heimes 8
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
sich selbst, dann nehmen Sie Ihre Umgebung und Ihre Mitmenschen wahr und achten<br />
darauf, was sich an Ihren Bewegungen verändert. Dann konzentrieren Sie sich wieder<br />
auf sich selbst und beobachten, was mit Ihrem Körper passiert, wenn Sie sich in ma-‐<br />
ximaler Geschwindigkeit bewegen. Machen Sie diese Übung etwa 5 Minuten lang und<br />
schreiben dann über Ihre Erfahrungen.<br />
Übung 4<br />
Schließen Sie in Ihrer Wohnung die Augen. Versuchen Sie, sich mit Händen und Füßen<br />
und allen anderen Sinnen zu orientieren. Tasten Sie sich vorwärts. Gehen Sie dabei<br />
bitte langsam und passen auf, dass Sie sich nicht verletzen. Nachdem Sie sich eine Zeit<br />
lang mit geschlossenen Augen in Ihrer Wohnung bewegt haben, notieren Sie, was Sie<br />
erlebt, gedacht und gefühlt haben.<br />
VI. Achtsamkeitsübungen<br />
Achtsamkeit ist die Fähigkeit, bewusst und ohne Wertung im gegenwärtigen Augen-‐<br />
blick, im Hier und Jetzt, zu sein und zu erkennen, dass das Leben eine Folge von Au-‐<br />
genblicken ist, in jedem Augenblick stattfindet und so anzunehmen ist, wie es ist, weil<br />
es ist. Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit, ein neutrales Beo-‐<br />
bachten, ein Wahrnehmen dessen, was in jedem Augenblick ist, eine unter Einsatz al-‐<br />
ler Sinne stattfindende, intensionslose Konzentration auf das, was ist, ohne etwas<br />
verändern zu wollen.<br />
In Schreibgruppen hat es sich bewährt, vor Beginn der Schreibübungen, eine Acht-‐<br />
samkeitsübung durchzuführen, um in Raum und Zeit anzukommen und sich auf die<br />
nachfolgenden Schreibübungen einlassen zu können.<br />
Für eine achtsame Sitzhaltung sollte man sich möglichst aufrecht auf einen Stuhl set-‐<br />
zen, ohne sich anzulehnen, was dazu führt, dass man die eigene Muskelkraft wahr-‐<br />
nimmt. Am besten, man stellt sich einen Faden vor, der von der Decke zum Kopf führt,<br />
und an dem der Körper in einer flexiblen Mittellage fixiert ist. Beide Füße stehen auf<br />
dem Boden, die Hände ruhen auf den Oberschenkeln, wobei die Handflächen zu den<br />
Oberschenkeln oder zur Decke zeigen können. Die Augen sind geschlossen oder fixie-‐<br />
ren einen Punkt in der Ferne. Vor Beginn der Übung empfiehlt es sich, ein paar Mal<br />
tief und bewusst ein und aus zu atmen. Wichtig ist ferner, dass man sich während der<br />
Übung nicht von Gedanken oder Gefühlen irritieren lässt, sondern diese registriert,<br />
sich dennoch weiterhin auf die Atmung konzentriert. Nach Beendigung der Achtsam-‐<br />
keitsübung kommt jeder Teilnehmer gedanklich in seiner Geschwindigkeit in den<br />
Raum zurück und nimmt sich die Zeit, die Dinge um sich herum wieder in Erschei-‐<br />
nung treten zu lassen. Mitunter kann es hilfreich sein, sich zu dehnen und zu strecken,<br />
um sich für die folgenden Aufgaben bereit zu machen.<br />
© Dr. med. Silke Heimes 9
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
Übung 1<br />
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Spüren Sie, wie die Luft in Ihren<br />
Körper hinein und wieder heraus strömt. Sagen Sie bei jedem Einatmen ruhig und<br />
sanft eins. Wenn Sie ausatmen, sagen Sie ebenfalls eins. Sagen Sie eins beim Einatmen<br />
und eins beim Ausatmen. Versuchen Sie, Ihre ganze Aufmerksamkeit in dieses Wort<br />
zu legen. Wenn Ihre Gedanken abschweifen, kehren Sie zurück und sagen eins. Dann<br />
atmen Sie auf eins ein und zählen beim Ausatmen bis zwei. Einatmen: eins. Ausatmen:<br />
eins, zwei. Atmen Sie eine Weile in diesem Rhythmus. Falls Sie mögen, können Sie auf<br />
eins einatmen und auf drei ausatmen. Kehren Sie danach wieder zu dem anfänglichen<br />
Rhythmus zurück und atmen auf eins ein und auf eins aus. Dann atmen Sie ein letztes<br />
Mal bewusst ein und aus und beenden die Übung.<br />
Übung 2<br />
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Spüren Sie, wie die Luft in Ihren<br />
Körper hinein und wieder heraus strömt. Stellen Sie sich für Ihren Atem eine Farbe<br />
vor. Eine, die Ihnen gefällt, oder eine, mit der Sie bestimmte Gedanken verbinden, wie<br />
beispielsweise Blau für das Meer oder Gelb für die Sonne. Stellen Sie sich vor, wie Sie<br />
mit jedem Atemzug die von Ihnen gewählte Farbe in Ihren Körper atmen. Verfolgen<br />
Sie den Weg Ihres farbigen Atems durch die Nase und den Mund in die Luftröhre, in<br />
die Lungenflügel, in die Verzweigungen der Bronchien, bis in die Lungenbläschen.<br />
Denken Sie dabei an die Farbe, die Ihr Atem hat. Atmen Sie die Farbe mit jedem<br />
Atemzug in Ihren Körper. Spüren Sie, wie die Farbe in Ihren Körper strömt und sich<br />
angenehm ausbreitet. Mit jedem Atemzug strömt die Farbe in Ihren Körper und ent-‐<br />
spannt Ihre Muskeln. Genießen Sie es, von Ihrer Lieblingsfarbe ausgefüllt zu sein.<br />
Speichern Sie das angenehme Gefühl, das Ihre Lieblingsfarbe in Ihrem Körper hinter-‐<br />
lässt. Dann atmen Sie ein letztes Mal bewusst ein und aus und beenden die Übung.<br />
VII. Imaginationsübungen<br />
Imagination ist die Fähigkeit, Ideen oder Bilder zu entwickeln oder zu erinnern, die<br />
materiell nicht vorhanden sind. Im psychotherapeutischen Sinne bezeichnet Imagina-‐<br />
tion das Vermögen, bei wachem Bewusstsein vermittels der Phantasie innere, menta-‐<br />
le Bilder zu schaffen und wahrzunehmen, und durch das Erleben der mit diesen Bil-‐<br />
dern gekoppelten Affekte innerseelische Prozesse in Gang zu setzen, die im gelunge-‐<br />
nen Fall bewirken, dass abgespaltene oder verdrängte psychische Persönlichkeitsan-‐<br />
teile ins Bewusstsein integriert werden können.<br />
Die meisten Übungen sind im detaillierten Programmablauf zu finden. An dieser Stel-‐<br />
le nur zwei weitere Anregungen.<br />
Übung 1<br />
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Spüren Sie, wie die Luft in Ihren<br />
Körper hinein und wieder heraus strömt. Stellen Sie sich einen Baum vor. Einen, den<br />
Sie kennen oder einen, den Sie erfinden. Stellen Sie sich vor, in welcher Landschaft<br />
© Dr. med. Silke Heimes 10
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
der Baum steht. Auf einer Wiese, im Wald, am See. Gehen Sie zu Ihrem Baum, nehmen<br />
Sie seinen Stamm wahr, die Rinde, die Zweige und Blätter. Sie können sich an den<br />
Baum lehnen oder vor ihn setzen. Stellen Sie sich vor, wie das Licht durch die Blätter<br />
fällt, wie es sich verändert, wenn die Blätter sich bewegen. Genießen Sie die Wärme<br />
des Lichts und die Kraft des Baumes. Nehmen Sie die Kraft, die Wärme und das Licht<br />
in sich auf. Dann atmen Sie ein letztes Mal bewusst ein und aus und beenden die<br />
Übung.<br />
Übung 2<br />
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Spüren Sie, wie die Luft in Ihren<br />
Körper hinein und wieder heraus strömt. Sie sind in einem angenehm kühlen Wald<br />
und machen einen Spaziergang. Es ist ruhig und friedlich. Sie gehen auf einem Wald-‐<br />
weg, der Boden ist weich, Ihre Schritte sind federnd und leicht, ab und zu knackt ein<br />
Zweig unter Ihren Füßen. Die Luft strömt ungehindert und frisch in Ihre Lungen. In<br />
den Baumwipfeln singen Vögel. Zwischen den Blättern scheint die Sonne hindurch,<br />
ihr Licht sprenkelt den Boden. Sie fühlen sich frei und geborgen zugleich. Sie atmen<br />
tief und ruhig und fühlen sich wohl und entspannt. Dann atmen Sie ein letztes Mal<br />
bewusst ein und aus und beenden die Übung.<br />
VIII. Zusätzliches Übungsmaterial<br />
1. Analoges Gestalten von Gedichten<br />
Lyrikbeispiel 1:<br />
Manchmal<br />
Manchmal spricht ein Baum<br />
durch das Fenster<br />
mir Mut zu<br />
Manchmal<br />
leuchtet ein Buch<br />
als Stern<br />
auf meinem Himmel<br />
Manchmal<br />
ein Mensch<br />
den ich nicht kenne<br />
der meine Worte<br />
erkennt<br />
(Rose Ausländer)<br />
© Dr. med. Silke Heimes 11
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
Lyrikbeispiel 2:<br />
Hinter meinen Augen steht Wasser<br />
Die muss ich alle weinen<br />
Immer möchte ich auffliegen,<br />
Mit den Zugvögeln fort;<br />
Bunt atmen mit den Winden<br />
In der großen Luft.<br />
O ich bin traurig...<br />
Das Gesicht im Mond weiß es.<br />
Drum ist viel samtne Andacht<br />
Und nahender Frühmorgen um mich.<br />
Als an deinen steinernen Herzen<br />
Meine Flügel brachen,<br />
Fielen die Amseln wie Trauerrosen<br />
Hoch vom blauen Gebüsch.<br />
Alles verhaltene Zwitschern<br />
Will wieder jubeln,<br />
Und ich möchte auffliegen<br />
Mit den Zugvögeln fort.<br />
2. Gedicht mit acht Zeilen<br />
(Else Lasker-Schüler)<br />
Einen alltäglichen Gegenstand, eine Person, Gewohnheit, Jahreszeit kann man in ei-‐<br />
nem Achtzeiler beschreiben und dabei eine neue, farbigere Sichtweise vermitteln.<br />
„Zutaten“:<br />
1. eine Farbe<br />
2. eine Jahreszeit<br />
3. ein Ort<br />
4. eine Wetterlage<br />
5. ein Kleidungsstück<br />
© Dr. med. Silke Heimes 12
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
6. eine Fernseh-‐ oder Radiosendung (oder „Joker“)<br />
7. ein Lebensmittel<br />
8. ein Geruch<br />
Beispiel für 1 Gedicht mit 8 Zeilen<br />
Du bist mein<br />
Bist mein grünes Herz, im tiefen, tiefen See versunken.<br />
Bist mein Frühling, bist mein Herbst, mein Ost und West.<br />
Bist meine Sonne, die den Nebeltag durchbricht.<br />
Bist Mantel mir im Regen und im Sturm.<br />
Bist mein Literarisches Quartett, mein Werther, Hölder, Handke, Ivan Goll.<br />
Bist mein täglich Brot, mein Sonntagsbraten und mein roter Wein.<br />
Bist meine duftende Vanille, mein Zimt, mein Kardamon.<br />
Bist mein einzig grünes Herz, im tiefen, tiefen See versunken.<br />
4. Haiku<br />
- vermutlich älteste Kurzform der Dichtung<br />
- seit 1600 in Japan verwendet<br />
- Haiku bedeutet im Jap. „Uta“ – abgeleitet von „uta-‐u“ – bedeutet etwa Gesang<br />
- der Haiku wurde im Japanischen meist singend vorgetragen<br />
Versform<br />
3 Zeilen<br />
1. Zeile: 5 Silben<br />
2. Zeile: 7 Silben<br />
3. Zeile: 5 silben<br />
Insgesamt 17 Silben: Diese Begrenzung lässt sich damit erklären, dass wir einen<br />
Atemzug benötigen, um 17 Silben auszusprechen.<br />
Beispiel 1:<br />
apokalypse<br />
in den nachrichten der welt<br />
und laub fällt vom baum<br />
© Dr. med. Silke Heimes 13
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
1. Zeile : a/po/ka/lyp/se (5 Silben)<br />
2. Zeile: in/den/nach/rich/ten/der/welt (7Silben)<br />
3. Zeile: und/laub/fällt/vom/baum (5 Silben)<br />
Beispiel 2:<br />
blätter winken grün<br />
früchte süss und reif – nehmen<br />
abschied im sommer<br />
Eigenes Haiku:<br />
1. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />
2. Zeile ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____<br />
3. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />
5. Vierzeiler<br />
Nehmen Sie den Ausgangstext „Lenz“ von Georg Büchner und machen ein vierzeiliges Ge-‐<br />
dicht daraus.<br />
„Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die<br />
Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war nasskalt; das<br />
Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen<br />
schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht -‐ und<br />
dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg,<br />
so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-‐, bald abwärts.<br />
Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem<br />
Kopf gehn konnte.“<br />
6. Ausdrucksmalen<br />
Lesen Sie das Gedicht, lassen es einen Augenblick auf sich wirken und malen dann ein Bild.<br />
Weißes Nichts<br />
blauer Grund<br />
und Weiß<br />
ein buntes Windrad<br />
dreht sich<br />
Weiß<br />
© Dr. med. Silke Heimes 14
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
das Nichts<br />
Farben<br />
verändern sich<br />
Nichts<br />
bringt sie zum Leuchten<br />
das weiße Nichts<br />
Nichts<br />
ist unwichtig<br />
alles ist<br />
(Quelle unbekannt)<br />
IX. Literaturhinweise:<br />
Affolter F.D.: Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache. 10. Auflage, Neckar Verlag,<br />
Villingen -‐ Schwenningen 2006<br />
Bender H.,: Mein Gedicht ist mein Messer. Lyriker zu ihren Gedichten. Paul List Ver-‐<br />
lag, München 1961<br />
Breton A.: Die Manifeste des Surrealismus. 11. Auflage, Rowohlt Verlag, Reinbek bei<br />
Hamburg 2004<br />
Cameron J.: Der Weg des Künstlers. Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer<br />
Kreativität. Droemer Knaur Verlag, München 2000<br />
Cameron J.: Von der Kunst des Schreibens. Und der spielerischen Freude, die Worte<br />
fließen zu lassen. Droemer Knaur Verlag, München 2003<br />
Domin H.: Das Gedicht als Augenblick von Freiheit. Frankfurter Poetikvorlseungen.<br />
Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1999<br />
Fröchling J.: Was beim Schreiben so passiert und wie man damit umgehen kann. In:<br />
PTI-‐Info, Nr. 9:74, 1989<br />
Fry, S., Feigen die fusseln. Entfessele den Dichter in dir. Aufbau Verlagsgruppe, Berlin<br />
2008<br />
Genazino W., Die Belebung der toten Winkel. Frankfurter Poetikvorlesung. Hanser<br />
Verlag, München 2006<br />
Gesind F.: Kreativ Schreiben. Handwerk und Techniken des Erzählens. DuMont Buch-‐<br />
verlag, Köln 1994<br />
Gordimer N.: Schreiben und Sein. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995<br />
© Dr. med. Silke Heimes 15
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
Heimes, S.: Warum Schreiben hilft. Die Wirksamkeitsnachweise zur Poesietherapie.<br />
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012<br />
Heimes, S.: Schreiben im Studium: das PiiP-‐Prinzip. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttin-‐<br />
gen 2011<br />
Heimes, S.: Regenbogenbandwurmhüpfer. Kreatives Schreiben für Kinder und Ju-‐<br />
gendliche. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011<br />
Heimes, S.: Künstlerische Therapien. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010<br />
Heimes, S.: Schreib es dir von der Seele. Kreatives Schreiben leicht gemacht. Vanden-‐<br />
hoeck & Ruprecht, Göttingen 2010<br />
Heimes S.: Kreatives und therapeutisches Schreiben. Ein Arbeitsbuch. Verlag Vanden-‐<br />
hoeck & Ruprecht, Göttingen 2008<br />
Heimes S.: Schreiben als Selbstheilung? Ein Versuch über zwei Werke von Peter<br />
Handke mittels einer endo/exopoetischen Untersuchung. Dissertation. Frank-‐<br />
furt am Main 1998<br />
Janssen U., Krupp U.C.: Zuerst bin ich immer Leser. Prosa schreiben heute. Suhrkamp<br />
Verlag, Frankfurt am Main 2000<br />
Jung I.: Schreiben und Selbstreflexion. Eine literaturpsychologische Untersuchung li-‐<br />
terarischer Produktivität. Westdeutscher Verlag, Opladen 1989<br />
Koch HH., Kessler N.: ... fast wie Phönix. Literarische Grenzgänge. Paranus Verlag,<br />
Bonn 1998<br />
Koch HH., Kessler N.: Schreiben und Lesen in psychischen Krisen. Gespräche zwischen<br />
Wissenschaft und Praxis. Paranus Verlag, Bonn 1998<br />
Krechel U.: In Zukunft schreiben. Handbuch für alle, die schreiben wollen. Jung und<br />
Jung Verlag, Salzburg 2003<br />
Kundera M.: Die Kunst des Romans. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main<br />
1992<br />
Leitner F.: Die Venus streikt. Gesund durch die Kraft der Poesie. Daedalus Verlag,<br />
Münster 2004<br />
Lodge, D.: Die Kunst des Erzählens. Haffmans Verlag, Zürich 1993<br />
Maron M.: Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem versuche. Fischer<br />
Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2005<br />
Marschik,M.: Poesietherapie. Therapie durch Schreiben? Verlag Turia & Kant, Wien<br />
1993<br />
Moser T.: Romane als Krankengeschichten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main<br />
1985<br />
© Dr. med. Silke Heimes 16
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
Muschg A.: Literatur als Therapie? Ein Exkurs über das Heilsame und das Unheilbare.<br />
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981<br />
Nadolny S.: Das Erzählen und die guten Ideen. Die Göttinger und Münchner Poetik-‐<br />
Vorlesungen. Piper Verlag, München 2001<br />
Oz A.: So fangen die Geschichten an. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997<br />
Petzold H.G., Orth I.: Poesie und Therapie. Über die Heilkraft der Sprache. Poesiethe-‐<br />
rapie, Bibliotherapie, Literarische Werkstätten. Edition Sirius, Bielefeld 2005<br />
Porombka S., Kutzmutz O.: Erst lesen. Dann schreiben. 22 Autoren und ihre Lehrmei-‐<br />
ster. Luchterhand Verlag, München 2007<br />
Reddemann L.: Imagination als heilsame Kraft. Verlag Klett-‐Cotta, Stuttgart 2001<br />
Rest-‐Hartjes G.: Wörter bauen Brücken. Handbuch zur Poesietherapie. BoD. Norder-‐<br />
stedt 2005<br />
Rico G.L.: Garantiert Schreiben lernen. Sprachliche Kreativität methodisch entwickeln.<br />
Ein Intensivkurs auf der Grundlage der modernen Gehirnforschung. Rowohlt Verlag,<br />
Reinbek 1984<br />
Rinne O.: Und wer küsst mich, fragt die Muse. Frauen finden ihre eigene Kreativität.<br />
Kreuz Verlag, Zürich 1989<br />
Scheidt vom J.: Kreatives Schreiben. Texte zu sich selbst und zu anderen. Fischer Ta-‐<br />
schenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002<br />
Sloterdijk P.: Zur Welt kommen – Zur Sprache kommen. Frankfurter Vorlesungen.<br />
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1988<br />
Starobinsky, J.: Psychoanalyse und Literatur., Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main<br />
1973<br />
Stein S., Über das Schreiben. Verlag Zweitausenunddeins. Frankfurt am Main 1997<br />
Streeruwitz M.: Sein. Und Schein. Und Erscheinen. Tübinger Poetikvorlesungen. Suhr-‐<br />
kamp Verlag, Frankfurt am Main 1997<br />
Treichel H.U.: Der Entwurf des Autors. Frankfurter Poetikvorlesungen. Suhrkamp<br />
Verlag Frankfurt am Main 2000<br />
Weber M., Zwischen Handwerk und Inspiration. Lyrik schreiben und veröffentlichen.<br />
Federwelt Verlag, Söhlde 2004<br />
Werder von L.: Schreib-‐ und Poesietherapie. Eine Einführung. Beltz Verlag, München<br />
und Weinheim 1986<br />
Werder von L.: Sich in die Worte zu verwandeln. Therapeutische und pädagogische<br />
Aspekte des Kreativen Schreibens. Verlag Schelzky & Jeep, Berlin 1991<br />
Werder von L.: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten. Die eigene Lebensgeschichte<br />
kreativ schreiben. Schibri Verlag, Berlin und Milow 1996<br />
© Dr. med. Silke Heimes 17
<strong>Script</strong>: Kreatives und therapeutisches Schreiben<br />
Werder von L.: Lehrbuch des Kreativen Schreibens. Schibri Verlag, Berlin und Milow<br />
1996<br />
Werder von L., Schulte-‐Steinicke, B.: Schreiben von Tag zu Tag. Wie das Tagebuch<br />
zum kreativen Begleiter wird. Übungen für Einzelne und Gruppen. Walter Ver-‐<br />
lag, Zürich und Düsseldorf 1998<br />
© Dr. med. Silke Heimes 18