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2 Zeit für eine Bestandsaufnahme Wie geschlechtergerecht ist die ...

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2 <strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> <strong>Bestandsaufnahme</strong><br />

<strong>Wie</strong> <strong>geschlechtergerecht</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />

Politik in Bremen? <strong>Wie</strong> weit sind<br />

wir bei der Berücksichtigung des<br />

Prinzips des Gender<br />

Mainstreaming vorangekommen?<br />

Welche Ergebnisse zeigt <strong>die</strong><br />

geschlechtsspezifische Nachhaltigkeitspolitik in den Bereichen<br />

Haushalt, Stadtentwicklung oder Gesundheit? <strong>Wie</strong> lassen sich<br />

in Bremen verschiedene Lebensbereiche wie Erwerb, Familie<br />

und gesellschaftliches Engagement vereinbaren? Fragen über<br />

Fragen, <strong>die</strong> den Bremer Grünen Landesverband und <strong>die</strong> Grüne<br />

Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft veranlasst haben, <strong>eine</strong><br />

Tagung zur <strong>Bestandsaufnahme</strong> durchzuführen. Denn wir sind<br />

davon überzeugt: Geschlechterdemokratie <strong>ist</strong> erst dann<br />

erreicht, wenn sich Menschen, gleich welchen Geschlechts, auf<br />

Augenhöhe begegnen, <strong>für</strong> ihre Arbeit den gleichen Lohn<br />

erhalten und ihr Leben frei von tra<strong>die</strong>rten Rollenmustern<br />

gestalten können. <strong>Wie</strong> weit Bremen auf dem Weg zur<br />

Geschlechterdemokratie <strong>ist</strong> und welche Aufgaben noch zu<br />

erfüllen sind, stand deshalb im Mittelpunkt der Tagung.<br />

Wir danken allen ReferentInnen <strong>für</strong> <strong>die</strong> spannenden Beiträge,<br />

den Beteiligten und Gästen <strong>für</strong> <strong>die</strong> interessanten Debatten und<br />

hoffen, dass <strong>die</strong> vielen Anregungen der Tagung weiterhin<br />

Eingang in Diskussionen und politische Entscheidungsprozesse<br />

finden werden. Denn wir sind auf dem Weg zur <strong>eine</strong>r<br />

Geschlechterdemokratie in Bremen, aber erreicht <strong>ist</strong> sie längst<br />

noch nicht.<br />

Henrike Müller<br />

Landesvorsitzende


Doris Hoch: Auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie?<br />

Die frauenpolitische<br />

Sprecherin der Grünen<br />

Bürgerschaftsfraktion stellte<br />

ins Zentrum ihrer Begrüßung<br />

<strong>die</strong> Frage: <strong>Wie</strong> weit sind wir<br />

inzwischen in Bremen mit<br />

dem Anspruch <strong>eine</strong>r<br />

<strong>geschlechtergerecht</strong>en Politik<br />

<strong>für</strong> Frauen und Männer? Sie erinnerte an Waltraud<br />

Schoppe, <strong>die</strong> bereits in den 1980er Jahren <strong>eine</strong> stärkere<br />

Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnis- und<br />

Interessenslagen von Frauen und Männern anmahnte. Seit<br />

Beginn der Grünen Parteigeschichte sei Geschlechtergerechtigkeit<br />

<strong>eine</strong>r der Grundpfeiler grüner Programmatik und<br />

grünen Selbstverständnisses. Gemessen daran, seien wir noch<br />

nicht genügend voran gekommen. Dies zeigen <strong>die</strong><br />

arbeitsmarktpolitischen Daten ebenso wie <strong>die</strong> nach wie vor<br />

vorherrschenden traditionellen Arbeitsteilungen in den<br />

Familien. Insbesondere <strong>die</strong> nicht durchgängige Anwendung des<br />

Gender Mainstreaming zeige, dass <strong>die</strong> Notwendigkeit <strong>eine</strong>r<br />

genderspezifischen Perspektive auf politische Vorhaben noch<br />

nicht überall angekommen sei. Zu oft wird unter Anwendung<br />

von Gender Mainstreaming lediglich <strong>die</strong> zahlenmäßige<br />

Aufstellung von betroffenen/ beteiligten Frauen und Männern<br />

verstanden. Hier <strong>ist</strong> in allen Politikfeldern noch viel<br />

Handlungsbedarf zu verzeichnen, insbesondere in den<br />

vermeintlich geschlechterneutralen Feldern wie Haushalt,<br />

Finanzen, Bau und Verkehr.<br />

3<br />

4 Ulrich Mückenberger: Ein Recht auf <strong>Zeit</strong><br />

„<strong>Zeit</strong>politische Bedingungen<br />

<strong>für</strong> <strong>eine</strong> gerechte<br />

und nachhaltige Politik <strong>für</strong><br />

Frauen und Männer“ war<br />

das Thema des Vortrags<br />

von Ulrich Mückenberger.<br />

Er stellte heraus, dass<br />

<strong>Zeit</strong>politik als Querschnittsthema<br />

zu verstehen sei, da sie <strong>die</strong> <strong>die</strong> Menschen umgebenden<br />

gesellschaftlichen Verhältnisse thematisiere, seien sie<br />

baulicher, finanzieller, bürokratischer oder sonstiger Art. Heute<br />

verbreite sich <strong>die</strong> Erkenntnis, dass <strong>die</strong> gesellschaftliche<br />

Organisation von <strong>Zeit</strong>verteilung und <strong>Zeit</strong>konflikten nach<br />

Gerechtigkeitsmaßstäben zu erfolgen habe. So könne<br />

<strong>Zeit</strong>politik als zweite Generation des Sozialstaats verstanden<br />

werden. Zur ersten Generation, <strong>die</strong> im Wesentlichen<br />

materiellen Wohlstand gestaltet und (um)verteilt, tritt <strong>die</strong><br />

zweite hinzu, <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> gestaltet und (um)verteilt. Dabei stellt<br />

Mückenberger 5 Gebote ins Zentrum der <strong>Zeit</strong>politik:<br />

(1) k<strong>eine</strong> illegitime Fremdbestimmung über <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> anderer;<br />

(2) k<strong>eine</strong> Diskriminierung im <strong>Zeit</strong>gebrauch;<br />

(3) k<strong>eine</strong> gesellschaftliche Entwertung von <strong>Zeit</strong>;<br />

(4) Recht auf <strong>Zeit</strong>kultur, d. h. <strong>die</strong> Befähigung, mit <strong>Zeit</strong> im Sinne<br />

selbst gefundener Sinnkriterien umzugehen;<br />

(5) Recht auf kollektive („gemeinsame“) <strong>Zeit</strong>en.<br />

Bei den Bereichen, <strong>die</strong> zeitpolitisch beurteilt und gestaltet<br />

werden (z. B. <strong>Zeit</strong>en der Pflege, Arbeitszeiten, Schulzeiten,<br />

Familienzeiten), spielen diverse Kriterien <strong>eine</strong> Rolle. Auf <strong>die</strong><br />

Stadtentwicklung werden sie unter dem Stichwort „<strong>Zeit</strong>en der<br />

Stadt“ oder „lokale <strong>Zeit</strong>politik“ angewendet. Dabei handelt es


Ulrich Mückenberger: Ein Recht auf <strong>Zeit</strong><br />

sich um politische Planungs-, Aushandlungs- und Beteiligungsprozesse,<br />

<strong>die</strong> zu <strong>eine</strong>r den Alltagslagen und Alltagsartikulationen<br />

von Stadtnutzern angemessenen städtischen <strong>Zeit</strong>organisation<br />

führen bzw. beitragen. Sie reichen von bürgerfreundlicher<br />

Dienstle<strong>ist</strong>ungs- und Öffnungszeitenorganisation<br />

(Kita, Bibliotheken, ÖPNV, Bürgerämter) über <strong>die</strong> Integration<br />

von Nutzeranliegen („voice“) in Planungsprozessen bis hin zur<br />

Entwicklung neuer städtebaulicher Konzepte, wie dynamischer<br />

Baugenehmigungen, und der Integration <strong>eine</strong>r <strong>Zeit</strong>leitplanung<br />

in <strong>die</strong> Bauleitplanung. Das <strong>ist</strong> ein großes konkretisierungs- und<br />

durchsetzungsbedürftiges Zukunftsprojekt der Stadtentwicklung.<br />

Eines, das Räume und <strong>Zeit</strong>en einschließt. Das Leitbild der<br />

zeitbewussten Stadt fällt in <strong>eine</strong> Situation, in der heterogene<br />

Diskurse – Geschlechterverhältnis, <strong>Zeit</strong> und Differenzierung der<br />

Lebenslagen, Verkehrsinfarkt in den Städten und Bedeutung<br />

sowie Stellung von Kommune und Region – miteinander<br />

verschmelzen. Zunehmend wird <strong>die</strong> Geschlechtsspezifik der<br />

<strong>Zeit</strong>erfahrung und -not herausgearbeitet. Vieles spricht <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Annahme, dass <strong>die</strong> Diskrepanzen zwischen <strong>Zeit</strong>angeboten und<br />

5<br />

6 Ulrich Mückenberger: Ein Recht auf <strong>Zeit</strong><br />

-nachfragen – unter den gegenwärtigen Bedingungen der<br />

Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern – besonders den<br />

weiblichen Alltag trifft, dass der Bedarf nach Einheit des Alltags<br />

und <strong>Zeit</strong>souveränität folglich vornehmlich von ihnen ausgeht.<br />

Obwohl Frauen <strong>eine</strong> größere Teilhabe an Erwerbs- und anderer<br />

außerhäuslicher Tätigkeit durchgesetzt haben, <strong>ist</strong> <strong>die</strong> familiäre<br />

Rollen- und Aufgabenzuordnung weithin <strong>die</strong> alte geblieben.<br />

Dies gibt dem "Recht auf Arbeit" der Frauen <strong>eine</strong> bittere<br />

Ambivalenz: Treten doch neben das fremdbestimmte<br />

<strong>Zeit</strong>regime der Erwerbsarbeit noch <strong>die</strong> fremdbestimmten (und<br />

dazu in sich zersplitterten) <strong>Zeit</strong>regimes der Erziehungs-,<br />

Versorgungs-, Handels- und Dienstle<strong>ist</strong>ungsinstanzen hinzu,<br />

mit deren Hilfe <strong>die</strong> häusliche Reproduktionstätigkeit verrichtet<br />

wird. Dies bedeutet <strong>eine</strong> systematische Überziehung des<br />

<strong>Zeit</strong>haushaltes, <strong>die</strong> zulasten des Reservoirs von Freizeit geht<br />

und <strong>Zeit</strong>souveränität und Einheit des Alltags nicht zu lebbaren<br />

Größen werden lassen. Eine zeitbewusste Politik wird deshalb<br />

gerade den <strong>Zeit</strong>nachfragen von Personen nachgehen, <strong>die</strong> sich<br />

in <strong>eine</strong>m solchen <strong>Zeit</strong>notstand befinden. Beim gegebenen


Ulrich Mückenberger: Ein Recht auf <strong>Zeit</strong><br />

Stand der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wird<br />

dabei den <strong>Zeit</strong>budgets teil- und vollzeitbeschäftigter Mütter<br />

besondere Aufmerksamkeit zukommen.<br />

Ziel sollte sein, das <strong>Zeit</strong>angebot <strong>für</strong> Le<strong>ist</strong>ungen, <strong>die</strong><br />

Reproduktionstätigkeit unterstützen, zu erweitern und der<br />

Nachfrage entsprechend angemessener zu gestalten. Wenn es<br />

stimmt, dass Frauen bereits vermischte <strong>Zeit</strong>en leben und rasch<br />

zwischen ihren ohnehin gemischten <strong>Zeit</strong>mustern wechseln,<br />

dann wäre <strong>die</strong> Aufrechterhaltung <strong>die</strong>ser Vermischung <strong>eine</strong><br />

wichtige Perspektive <strong>für</strong> <strong>Zeit</strong>politik wie auch <strong>für</strong> Stadtpolitik<br />

allgemein. Neuregelungsperspektiven sind in den Bereichen<br />

Arbeitszeit, Atypische Beschäftigung, Geschlechter- und<br />

Generationenverhältnis, Externe Flexibilität und<br />

Grundsicherung zu finden. Insbesondere steht dabei das<br />

Normalarbeitsverhältnis im Fokus. <strong>Wie</strong> sehen also<br />

zeitpolitische Perspektiven zur Arbeitszeitgestaltung aus? Hier<br />

sind zwei Bereiche zentral: <strong>die</strong> Ziehungsrechte (Supiot-Bericht)<br />

und <strong>die</strong> Ideen <strong>eine</strong>r sog. Life-course-policy. Notwendig wäre<br />

7<br />

8 Ulrich Mückenberger: Ein Recht auf <strong>Zeit</strong><br />

ein neues Konzept von „Vereinbarkeit“: statt Teilzeitarbeit von<br />

Frauen, hohe Transferle<strong>ist</strong>ungen und Anrechnung von<br />

Versicherungszeiten, jetzt: elterngerechte Arbeitszeiten und<br />

Elterngeld. Wenn <strong>Zeit</strong>politik als Lebenslaufpolitik verstanden<br />

wird, dann <strong>ist</strong> folgendes notwendig:<br />

1. Institutioneller Rahmen, der Beschäftigten erlaubt, Eltern zu<br />

sein, Eltern erlaubt, Beschäftigte zu sein, und mit<br />

Chancengleichheit beider Geschlechter einhergeht.<br />

2. Im öffentlichen Diskurs muss optionalen <strong>Zeit</strong>gestaltungen<br />

Beschäftigter <strong>die</strong>selbe Legitimität zuerkannt werden wie<br />

flexible <strong>Zeit</strong>muster <strong>für</strong> Unternehmen.<br />

3. <strong>Zeit</strong>liche “Ziehungsrechte” (Supiot 1999): Sichere und<br />

nachteilsfreie Optionen, Teile der Beschäftigungszeit anderen<br />

gesellschaftlichen Zielen zu widmen (“care”, Ausbildung,<br />

Gesundheit, Ehrenamt). Notwendig auch: ein System von<br />

Kostentragung und Einkommensersatz.<br />

4. Zu entwickelnde Arbeitszeitkonzepte, <strong>die</strong> beides –<br />

Flexibilität und Verlässlichkeit – sichern, <strong>die</strong>nen Arbeitgebern


Ulrich Mückenberger: Ein Recht auf <strong>Zeit</strong><br />

und Arbeitnehmern.<br />

5. Arbeitsplätze müssen alternsgerecht werden und Älteren<br />

erlauben, Fähigkeiten und Erfahrungen Jüngeren zu<br />

übermitteln.<br />

6. Lokale <strong>Zeit</strong>- und Mobilitätspakte: Abstimmung zwischen<br />

Dienstle<strong>ist</strong>ungsangebot und entsprechender Nutzernachfrage.<br />

7. Zivilgesellschaftliches Ehrenamt (als Voraussetzung des<br />

sozialen Zusammenhalts) muss unter <strong>eine</strong>r <strong>Zeit</strong>politik-<br />

Perspektive gefördert werden.<br />

8. Ein System garantierten Grundeinkommens.<br />

9<br />

10 Dietmar Strehl: Bremer Arbeitszeitmodelle<br />

Dietmar Strehl, Staatsrat bei der<br />

Senatorin <strong>für</strong> Finanzen, nahm <strong>die</strong><br />

Frage nach der Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf auf und stellte<br />

verschiedene Arbeiszeitmodelle<br />

vor, <strong>die</strong> in der Personalpolitik der<br />

bremischen öffentlichen Verwaltung<br />

zur Anwendung kommen.<br />

Dabei betont er, dass in Bremen zwei Grundprinzipien gelten,<br />

um <strong>die</strong> Gleichstellung der Geschlechter v.a. in der Arbeitswelt<br />

zu erreichen: spezifische Frauenförderung und <strong>die</strong><br />

konsequente Anwendung des Gender Mainstreaming. Für <strong>die</strong><br />

Personalpolitik bedeutet <strong>die</strong>s, dass <strong>die</strong>se Doppelstrategie in<br />

diverse betriebliche Handlungsfelder eingebunden <strong>ist</strong>, wie z.B.<br />

der Schaffung diskriminierungsfreier und gesundheitsfördernder<br />

Arbeitsräume <strong>für</strong> Frauen und Männer. Er we<strong>ist</strong><br />

darauf hin, dass <strong>die</strong> Senatorin <strong>für</strong> Finanzen, Karoline Linnert,<br />

<strong>die</strong> breite Einführung familienfreundlicher Personalpolitik<br />

nachdrücklich unterstütze. So bieten viele Dienststellen und<br />

Betriebe <strong>für</strong> <strong>die</strong> jeweiligen Mitarbeiter_innen passgenaue<br />

familienfreundliche Arbeitsbedingungen an. Je nach Größe,<br />

Aufgabenbereich und Beschäftigtenprofil könnten aus <strong>eine</strong>r<br />

ganzen Reihe von Maßnahmen kreative Einzellösungen<br />

gefunden werden. Bremen sei hier im Vergleich zu anderen<br />

Bundesländern besonders gut aufgestellt.<br />

Input: Ulrich Mückenberger, Universität Bremen<br />

Bremer Perspektive: Dietmar Strehl, Senatorin <strong>für</strong> Finanzen<br />

Moderation: Ulrike Bendrat, Bremer Me<strong>die</strong>nbüro


Chr<strong>ist</strong>iane Börger: : Gendergerechter Sprachgebrauch<br />

Kann sich ein gendergerechter<br />

Gebrauch der<br />

deutschen Sprache durchsetzen?<br />

Wenn ja, auf<br />

welche Weise lässt sich<br />

<strong>die</strong>ses Ziel verwirklichen?<br />

Diesen Fragen widmen<br />

sich <strong>die</strong> Teilnehmer_innen<br />

des Workshops „Gendergerechter Sprachgebrauch: ein (Un-)<br />

Möglichkeit?“ Die Referentin arbeitet anhand diverser<br />

Beispiele aus Printme<strong>die</strong>n heraus, dass im traditionellen<br />

deutschen Sprachgebrauch noch immer „Männerdeutsch“<br />

gesprochen wird (1 Politikerin + 1 Politiker = 2 Politiker,<br />

mannshoch, bemannt, Ein-Mann-Betrieb usw.). „Unsere<br />

Sprache denkt den Menschen männlich“ stellt sie fest und<br />

macht <strong>die</strong>s an folgender Erfahrung deutlich: Erleben wir in<br />

Gesprächen solche Gesprächspartner, <strong>die</strong> bewusst oder<br />

unbewusst jenem traditionellen Sprachgebrauch anhängen<br />

und ausschließlich <strong>die</strong> männliche Form verwenden, und weisen<br />

<strong>die</strong>se darauf hin, ernten wir zume<strong>ist</strong> <strong>eine</strong> der folgenden<br />

Reaktionen: (1) Überraschtheit in Kombination mit dem<br />

Hinweis, „dass <strong>die</strong> Frauen doch mitgemeint“ seien. (2)<br />

Ablehnung in Kombination mit demselben Hinweis, wobei<br />

<strong>die</strong>ser <strong>eine</strong> stille, geheime Abwertung darstelle. (3)<br />

Wohlwollen in Kombination mit dem Hinweis, sie/er „ja gerne<br />

würde, es aber so umständlich sei“.<br />

<strong>Wie</strong> erklären sich <strong>die</strong> negativen Antworten? Der<br />

Sprachgebrauch rüttele „an den Mauern unseres sprachlichen<br />

Bewusstseins“ und verunsichere somit ganz allgemein, so<br />

Boerger. Im Übrigen fühlen sich viele (zu Unrecht) durch den<br />

11<br />

12 Chr<strong>ist</strong>iane Börger: Gendergerechter Sprachgebrauch<br />

bloßen Hinweis auf ihren sex<strong>ist</strong>ischen Sprachgebrauch zugleich<br />

als Sex<strong>ist</strong>en beschuldigt. Chr<strong>ist</strong>iane Börgers allgem<strong>eine</strong><br />

Antwort, verbunden mit <strong>eine</strong>m allgem<strong>eine</strong>n Apell, lautet<br />

sinngemäß: Ja, es <strong>ist</strong> schwer. Aber wer zur Gendergerechtigkeit<br />

beitragen will muss sich anstrengen – auch in der Sprache!<br />

Die Workshop-Teilnehmer_innen diskutieren anschließend<br />

darüber, auf welche Weise sprachliche Gendergerechtigkeit<br />

hergestellt werden kann. Weitgehende Einigkeit herrscht von<br />

Beginn an darüber, dass ein gendergerechter Sprachgebrauch<br />

ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichheit aller<br />

Geschlechter und Menschen <strong>ist</strong>. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang<br />

sprechen sich einige Teilnehmer_innen <strong>für</strong> Umsetzungformen<br />

aus, <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> neben „weiblich“ und „männlich“<br />

ex<strong>ist</strong>ierenden Geschlechteridentitäten erfassen („Gender gap“<br />

oder „Gender star“), um Menschen auch sprachlich <strong>die</strong><br />

Möglichkeit zu geben, sich selbst zu definieren, anderen<br />

erscheint <strong>die</strong> Dichotomie von „weiblich“ und „männlich“<br />

wichtig zu sein („Großes I“). Chr<strong>ist</strong>iane Börger wiederholt zum<br />

Schluss ihr Plädoyer <strong>für</strong> <strong>eine</strong>n gendergerechten<br />

Sprachgebrauch und<br />

betont, dass <strong>die</strong>s kein<br />

Selbstzweck sei,<br />

sondern ein zentrales<br />

Element <strong>für</strong> <strong>eine</strong><br />

gendergerechte<br />

Bewusstseinsbildung.<br />

Input: Chr<strong>ist</strong>iane Börger, Gendertrainerin und Coach, Bremen<br />

Moderation: Matthias Güldner,Fraktionsvorsitzender


Marion Böker: Geschlechtergerechte Haushaltspolitik<br />

Marion Böker führt im Workshop zum Thema „Geschlechtersensible<br />

Haushaltspolitik am Beispiel der Stadtentwicklung“ in<br />

das Konzept des Gender Budgeting (GB) ein, zeichnet <strong>die</strong><br />

Entwicklungsprozesse nach (UN-Frauenkonferenz, Grundrechtecharta<br />

der EU) und erläutert, dass sowie in welcher<br />

Weise <strong>die</strong>ses Konzept in verschiedenen Ländern (z.B.<br />

Südafrika) angewandt wird. GB soll demnach sicherstellen,<br />

dass bei Haushaltsaufstellungen Transparenz und <strong>eine</strong><br />

gerechte Ausgabenverteilung hergestellt wird. Bezogen auf <strong>die</strong><br />

Situation in Bremen stellt <strong>die</strong> Referentin klar, dass der<br />

Bremischen Verwaltung <strong>die</strong> Notwendigkeit klar <strong>ist</strong>, dass <strong>die</strong><br />

Berücksichtigung des GB auch als politische Absicht formuliert<br />

<strong>ist</strong> – allerdings in der praktischen Anwendung starke Defizite zu<br />

erkennen seien. Auch Ralph Saxe, der den Workshop<br />

moderiert, bestätigt, dass der Anspruch an das Konzept – auch<br />

in der Stadtentwicklung – vorhanden sei, doch in der Praxis<br />

kaum Anwendung findet. In der Diskussion wird darauf<br />

13<br />

14 Marion Böker: Geschlechtergerechte Haushaltspolitik<br />

hingewiesen, dass <strong>die</strong> Arbeitssituation in der öffentlichen<br />

Verwaltung <strong>die</strong> konsequente Berücksichtigung von GB kaum<br />

zulasse. So seien vereinzelt Projekte unter Berücksichtigung<br />

von GB durchgeführt worden (Soziale Stadt), flächendeckend<br />

sei <strong>die</strong>s aber durch <strong>die</strong> hohe Arbeitsbelastung bei zu wenigem<br />

Personal nicht le<strong>ist</strong>bar.<br />

Marion Böker verdeutlicht, dass <strong>die</strong>s auch nicht primär <strong>die</strong><br />

Aufgabe der Admin<strong>ist</strong>ration sei, sondern vielmehr in <strong>die</strong><br />

parlamentarische Arbeit bei den Haushaltsplanungsprozessen<br />

berücksichtigt werden müsse.<br />

Input: Marion Böker, Beraterin <strong>für</strong> Menschenrechte und<br />

Genderfragen, Berlin<br />

Moderation: Ralph Saxe, Sprecher <strong>für</strong> Wirtschaft- und Verkehrspolitik<br />

der Grünen Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft


Henrike Müller: Rollenkonflikte und Gesundheit<br />

Die Frage nach den Folgen von Rollenkonflikten in <strong>Zeit</strong>en des<br />

sozialen Wandels versuchte Henrike Müller zu beantworten.<br />

Sie betonte zunächst, dass bei der Berücksichtung der jüngsten<br />

Analysen in den Bereichen Erwerbstätigkeit und Familie vor<br />

allem <strong>eine</strong> starke Diskrepanz zwischen Anspruch und<br />

Wirklichkeit zu verzeichnen sei. So zeigen aktuelle Stu<strong>die</strong>n,<br />

dass Junge Frauen und Männer über <strong>eine</strong> starke Ausprägung<br />

egalitärer Wertevorstellungen verfügen, wobei <strong>die</strong>se in<br />

Ostdeutschland stärker ausgeprägt sind. Allerdings verfallen<br />

junge Paare – verstärkt in Westdeutschland – mit Geburt des<br />

ersten Kindes in <strong>eine</strong>n Prozess der Retraditionalisierung.<br />

Gemessen an den Wertevorstellungen junger Menschen,<br />

haben sie zu wenige Möglichkeiten, Familie so zu gestalten,<br />

dass sich beide Partner_innen in gleicher Weise beruflichen<br />

und familiären Aufgaben widmen können. Für den Bereich<br />

Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie sind daher<br />

folgende aktuelle Herausforderungen zu beschreiben:<br />

(1) Vollzeiterwerbstätige stehen durch verstärkte Deregulierung<br />

des Arbeitsmarktes unter verschärfter Konkurrenz.<br />

(2) Die Zuständigkeit der Frauen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kinderbetreuung<br />

beeinträchtigt <strong>die</strong> Karrierechancen von Frauen mit Kindern und<br />

führt u.a. zu <strong>eine</strong>m Anstieg von alleinstehenden Frauen ohne<br />

15<br />

16 Henrike Müller: Rollenkonflikte und Gesundheit<br />

Kinder (insb. bei Akademikerinnen).<br />

Müller behauptet, dass <strong>die</strong> „Flexibilität“ des Arbeitsmarktes zu<br />

geschlechterübergreifender Normalität werde, von der auch<br />

Männer stärker betroffen seien (häufiger Arbeitsplatzwechsel<br />

durch befr<strong>ist</strong>ete Arbeitsverträge, Statusverlust).<br />

Für <strong>die</strong> gesundheitlichen Folgen heißt das, Frauen befinden<br />

sich vor allem in <strong>eine</strong>m <strong>Zeit</strong>konflikt: Berufstätige Mütter (mit<br />

<strong>eine</strong>m Kind) in niedrig qualifizierten Bereichen tragen ein<br />

hohes Krankheitsrisiko (Doppel- und Dreifachbelastungen). Bei<br />

steigender Kinderzahl und in besseren bezahlten Berufssparten<br />

verringert sich Krankheitsrisiko (Entlastungseffekt entweder<br />

durch größere Geschw<strong>ist</strong>er oder Dienstle<strong>ist</strong>ung). Häufigste<br />

Krankheitsbilder: Depressionen, Ängste und Phobien,<br />

Brustkrebs, rheumatoide Arthritis, Migräne.<br />

Für Männer <strong>ist</strong> eher ein Rollenkonflikt auszumachen: Die<br />

Flexibilisierung des Arbeitsmarktes führt zu <strong>eine</strong>m<br />

Identitätsverlust (Anforderung des Haupternährers <strong>ist</strong> nicht<br />

ohne Risiken erfüllbar). Häufigste Krankheitsbilder:<br />

Alkoholismus, Persönlichkeitsstörungen und Suizid,<br />

Herzinfarkt, Lungen- oder Prostatakrebs.<br />

Diskutiert wurde <strong>die</strong> Frage, ob neue Arbeitsmarktstrukturen<br />

verschärfend auf beide Geschlechtergruppen wirken.<br />

Input: Henrike Müller, Universität Bremen<br />

Moderation: Kirsten Kappert-Gonther, gesundheitspolitische<br />

Sprecherin der Fraktion


Podiumsdiskussion: Gender, Glück und Politik<br />

Die abschließende Podiumsdiskussion versucht, der<br />

Herausforderung gerecht zu werden, <strong>eine</strong>n Zusammenhang<br />

zwischen Gender, Glück und Politik unter Berücksichtigung der<br />

Diskussionsergebnisse aus den Workshops herzustellen.<br />

Timo Koch betont aus Sicht der Grünen Jugend, dass es vor<br />

allem an der <strong>Zeit</strong> sei, anzuerkennen, dass „Gender“ nicht<br />

Zweigeschlechtlichkeit m<strong>eine</strong> und Diskriminierung in den<br />

seltensten Fällen ausschließlich aufgrund des Geschlechts<br />

geschehe – <strong>die</strong>s zu berücksichtigen, sei Aufgabe der Politik.<br />

Hermann Kuhn verdeutlicht dagegen <strong>die</strong> Schwierigkeiten mit<br />

der Anwendung des Gender Budgeting. So sei bereits das<br />

"Gendern" (nach Frauen und Männern) <strong>eine</strong> Sache unter vielen<br />

<strong>für</strong> das <strong>die</strong> Verwaltung nicht <strong>die</strong> Kapazitäten habe. Er schlägt<br />

deshalb vor, es weniger als <strong>eine</strong> Routinesache zu behandeln,<br />

<strong>die</strong> oft nur abgehakt werden könne, sondern zu versuchen,<br />

auch mit Hilfe der bremischen Wissenschaft (bspw. durch<br />

Promovierende) exemplarische vertiefte Untersuchungen<br />

anzufertigen. Anhand des Beispiels Sportstätten wies Hermann<br />

17<br />

18 Podiumsdiskussion: Gender, Glück und Politik<br />

Kuhn darauf hin, dass oft <strong>eine</strong> zu statische Sichtweise<br />

vorherrsche, <strong>die</strong> Sportstätten und Sportarten als "typisch<br />

weiblich" oder "typisch männlich" behandeln, statt bei der<br />

Planung zwar den Stand zu berücksichtigen, aber <strong>die</strong> Sache<br />

dynamisch anzulegen – Ziel müsse <strong>die</strong> Auflösung solcher<br />

geschlechtsspezifischen Zuweisungen sein.<br />

Anja Stahmann betont den starken gesellschaftlichen Wandel,<br />

der inzwischen festzustellen sei. So zeige sich heute bei jungen<br />

Menschen ein viel egalitäreres Wertefundament, welches sich<br />

stark auswirke auf <strong>die</strong> Wünsche an <strong>die</strong> Lebensrealitäten. Unter<br />

Berücksichtigung der noch immer schwierigen Vereinbarkeit<br />

von Beruf und Famile sei es höchste <strong>Zeit</strong>, <strong>die</strong>sem Wertewandel<br />

mit entsprechenden Maßnahmen Rechnung zu tragen, <strong>die</strong><br />

<strong>eine</strong>n grundlegenden Abschied von traditionellen<br />

Rollenvorstellungen und <strong>eine</strong>r Neuausrichtung der Sphären:<br />

Erwerb/ Beruf – Privat/ Familie entsprechen müßten.<br />

Ulrike Hauffe teilt im Grundatz <strong>die</strong> Einschätzungen, we<strong>ist</strong> aber<br />

darauf hin, dass <strong>die</strong> egalitären Wertevorstellungen nicht so<br />

weit verbreitet seien, wie es wünschenwert wäre.<br />

Insbesondere unter jungen Männern sei des Öfteren ein sehr<br />

traditionelles Rollenbild vorzufinden. Zum Thema Gender<br />

Budgeting kritisiert sie <strong>die</strong> noch anhaltenden Ausgaben, <strong>die</strong><br />

nicht genderspezifisch getätigt werden. Dies gehe mehrheitlich<br />

zu Lasten weiblicher Bedürfnis- und Interessenslagen. Hier<br />

trete sie <strong>für</strong> <strong>eine</strong> stärkere Berücksichtung bei den<br />

Haushaltsaufstellungen und vor allem auch <strong>für</strong> <strong>eine</strong> höhere<br />

Transparenz bei den Ausgabenaufstellungen ein.


Podiumsdiskussion: Gender, Glück und Politik<br />

Alle Podiumsteilnehmer_innen sind sich einig, dass im Bereich<br />

der <strong>geschlechtergerecht</strong>en Politikgestaltung noch viel<br />

Handlungsbedarf zu verzeichnen sei. Denn: Glück stelle sich vor<br />

allem durch Gleichbehandlung und Anerkennung der<br />

Lebensrealitäten ein.<br />

Auf dem Podium:<br />

Timo Koch, Sprecher der Grünen Jugend<br />

Anja Stahmann, Senatorin <strong>für</strong> Soziales, Kinder, Jugend und Frauen<br />

Hermann Kuhn, Landesvorsitzender der Bremer Grünen<br />

Ulrike Hauffe, Landesfrauenbeauftragte<br />

Moderation: Ulrike Bendrat, Bremer Me<strong>die</strong>nbüro<br />

19<br />

20 Fragen, Anregungen, Kontakte<br />

Für Nachfragen und weitere Informationen stehen folgende<br />

Ansprechpartnerinnen zur Verfügung:<br />

Henrike Müller, Landesvorsitzende<br />

henrike.mueller@gruene-bremen.de<br />

LAG Frauenpolitik, Irmgard Lindenthal und Margret Nitsche<br />

irmgard.lindenthal@t-online.de<br />

mag.nitsche@t-online.de<br />

Doris Hoch, Frauenpolitische Sprecherin der Fraktion<br />

doris.hoch@gruene-bremen.de<br />

Andrea Quick, Parlamentsreferentin <strong>für</strong> Frauen, Gesundheit,<br />

Weiterbildung und Wissenschaft, andrea.quick@gruene-bremen.de<br />

Informationen erhalten Sie auch in der Landesgeschäftsstelle:<br />

Bündnis 90/ Die Grünen<br />

Schlachte 19/20<br />

28199 Bremen<br />

Tel.: 0421-3011-100<br />

lv.bremen@gruene.de

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