„O wer einmal jemand Anders sein könnte!“ Das ... - Burgtheater
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vorfall<br />
Umgekehrte Natur und zauberische Zeichen<br />
Ist das, was in diesem Theaterstück sich<br />
darstellt, die Verzauberung der Liebe<br />
oder jene des Begehrens? Ist es der<br />
Himmel oder die Erde, welche solches<br />
geschehen läßt? Oder ist es die Kunst, die die<br />
Welt erst erfindet?<br />
Die bedingungslose Hingabe Käthchens an<br />
den Grafen Wetter vom Strahl ist nicht in<br />
konventionellen (auch klischierten) Kategorien<br />
der Geschlechterbeziehung zu fassen.<br />
Die Liebe, das Begehren und die<br />
Gesetze der Welt gehören verschiedenen<br />
Systemen an, deshalb<br />
auch unterläuft die Rede und die szenische<br />
Gegenwart der Personen die Ordnung der<br />
Dinge. Kleists Sprach- und Körperbilder weisen<br />
ins Innerste poetischer Konstruktion, sie<br />
lassen sich in ihrer Radikalität als Benennungen<br />
und Bezeichnungen einer<br />
gebrechlichen Welt erkennen, einer aus den<br />
Fugen geratenen Wirklichkeit, deren Scharniere<br />
aber gerade dadurch sichtbar <strong>wer</strong>den.<br />
Der Rahmen von Kunst bleibt gewahrt, aber<br />
innerhalb dessen ist der Bogen zum Äußersten<br />
gespannt, steht alles in Frage. Der Realität<br />
ist nicht mehr beizukommen mit Mitteln<br />
aufgeklärter Rationalität. Deshalb spielen bei<br />
Kleist Traumvisionen, der Schlaf,<br />
vielleicht der Wahn, göttliche<br />
Fügungen und der Cherub, jener<br />
himmlische Wächter des Paradieses und<br />
Schutzengel zugleich, eine so große Rolle.<br />
„In der Gestalt eines Jünglings, von Licht<br />
umflossen<strong>“</strong>, „mit Flügeln, weiß wie Schnee<strong>“</strong>,<br />
steht dieses Bild einer himmlischen Erscheinung<br />
Käthchen gegen alle Macht der Wirklichkeit<br />
zur Seite. <strong>Das</strong> Übernatürliche und<br />
Unerklärliche ist aber nicht in <strong>sein</strong>er Transzendenz<br />
von Bedeutung - wiewohl die<br />
Berührung mit dem Göttlichen Voraussetzung<br />
ist - sondern betont paradoxerweise<br />
die weltliche Gegenwärtigeit der Figuren und<br />
Geschehnisse. Die Ohnmacht - auch<br />
Käthchen fällt in Ohnmacht und erwacht mit<br />
einem „Ach<strong>“</strong> (ein verwirrendes, die Gefühle in<br />
Schwebe haltendes Wort) - bedeutet eine<br />
Abwesenheit, die das verdrängte unbewusste<br />
Anwesende umso deutlicher markiert.<br />
Ein Mädchen aus Schwaben,<br />
15 Jahre alt, Tochter zweier Väter (der<br />
Schmerz des Verlustes lässt Theobald, den<br />
einen Vater, dem Mädchen die „Worte kreuzweis,<br />
wie Messer, in die Brust<strong>“</strong> legen), verzückt<br />
und erschreckt zugleich beim ersten<br />
Anblick des Grafen Wetter vom Strahl, folgt<br />
ihm „hündisch<strong>“</strong> nach, trottet einer geheimnisvollen<br />
Bestimmung gemäß hinter ihm her,<br />
schläft in Stallungen, wird mit Peitschenschlägen<br />
bedroht und will nichts anderes als<br />
in <strong>sein</strong>er Nähe <strong>sein</strong>.<br />
Eine Kleistsche Frauenfigur in all<br />
ihrem Glanz und ihrer betörenden<br />
Zu Heinrich von Kleists Schauspiel „<strong>Das</strong> Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe<strong>“</strong><br />
Von Monika Meister<br />
Unschuld ist die Sch<strong>wer</strong>kraft<br />
dieses Schauspiels. Jenseits einer<br />
Ökonomie der Vernunft und mit traumwandlerischer<br />
Sicherheit geht dieses Käthchen<br />
ihren Weg, alle Attribute weiblicher Hörigkeit<br />
in reine Verausgabung verwandelnd. Die<br />
Gewissheit maßloser Hingabe, die<br />
diese Mädchenfigur umfasst, ist zu lesen als<br />
Einspruch gegen die Ordnung der Welt, als<br />
Gegenentwurf zu jener aus verengtem Blick<br />
sich konstituierenden Begrenzung des<br />
Maßes. Ein drittes Geschlecht, das<br />
die Trennung von Frau und Mann in sich aufhebt,<br />
kommt in den Blick, und sei es, um die<br />
Sprache der Liebe neu zu buchstabieren.<br />
Kleists Schauspiel erfindet einen Raum und<br />
eine Zeit, ein neues Mittelalter, worin eingelassen<br />
die Figuren über ihr Sprechen und<br />
Schweigen sich entdecken und verbergen<br />
zugleich. <strong>Das</strong>s die Versatzteile romantischer<br />
Ritterstücke - von mittelalterlichen<br />
Burgen, Wäldern, Klöstern,<br />
Höhlen und gotischen Grotten -<br />
ganz bedenkenlos zum Einsatz kommen,<br />
setzt die unglaublichen und geheimnisvollen<br />
Vorgänge in abermalige poetische Brechung.<br />
Die Differenz zwischen Gesagtem<br />
und Gezeigtem betrifft das Zentrum von Darstellung<br />
überhaupt. Die Verhör-Situationen in<br />
diesem Schauspiel sind beispielhaft: In der<br />
Eröffnungsszene findet ein Femegericht<br />
statt, irdische Instanz des Weltgerichts am<br />
Jüngsten Tag. Käthchen wird vergeblich einvernommen,<br />
ihre Antwort auf die Frage Wetter<br />
vom Strahls: „Was fesselt dich an meine<br />
Schritte an<strong>“</strong>, lautet schlicht und einfach:<br />
„Ich weiß es nicht<strong>“</strong>. Erst ihr Reden im<br />
Schlaf unterm Holunderstrauch,<br />
wo der Zeisig <strong>sein</strong> Nest gebaut, wird wissen,<br />
was bislang verborgen war, und wird das<br />
Rätsel dem Geliebten lösen: „Verliebt ja,<br />
wie ein Käfer, bist du mir.<strong>“</strong> Käthchen<br />
ist aber auch jenseits unschuldiger, weil<br />
unbewusster Mädchenhaftigkeit bestimmt<br />
durch ihre unerschrockene Tatkraft - sie handelt<br />
mit großer Zielgerichtetheit, wo andere<br />
versagen.<br />
Kleists Theaterstücke verstörten die Zeitgenossen<br />
so sehr, dass sie sich trotz aller Versuche<br />
des Dichters nicht auf den Bühnen<br />
<strong>sein</strong>er Zeit durchsetzten.<br />
Zwar wurde „<strong>Das</strong> Käthchen von Heilbronn<br />
oder Die Feuerprobe<strong>“</strong> im März 1810<br />
am Theater an der Wien uraufgeführt<br />
und einige Male gespielt, auch in<br />
Graz am 26. Dezember 1810 gegeben und<br />
schließlich, in bearbeiteter Form, zu Kleists<br />
erfolgreichstem Schauspiel, aber wie bitter<br />
und und für das Theater bezeichnend<br />
schreibt Kleist im Sommer 1811, wenige<br />
Monate vor <strong>sein</strong>em Tod am Wannsee:<br />
04<br />
„<strong>Das</strong> Urteil der Menschen hat mich bisher<br />
viel zu sehr beherrscht; besonders das<br />
Käthchen von Heilbronn ist voll Spuren<br />
davon. Es war von Anfang herein eine ganz<br />
treffliche Erfindung, und nur die Absicht,<br />
es für die Bühne passend zu machen,<br />
hat mich zu Mißgriffen verführt, die ich jetzt<br />
beweinen möchte.<strong>“</strong><br />
Die Schauspiele Kleists gehören einem<br />
„Theater der Zukunft<strong>“</strong> an, einem Theater,<br />
das jenseits illusionistischer Bebilderung<br />
auf den vieldeutigen und ambivalenten Vorgang<br />
der Darstellung verweist, auf das Spiel<br />
der Konfigurationen leiblicher und sprachlicher<br />
Gegenwärtigkeit. Nur so fügt sich das<br />
Unaussprechliche (als Teil von Sprache), das<br />
Abwesende ins Bild.<br />
Erst die letzten Jahrzehnte eröffneten neue<br />
Theater-Lektüren Kleists, welche im<br />
„Käthchen von Heilbronn<strong>“</strong> die<br />
„Kehrseite<strong>“</strong> der „Penthesilea<strong>“</strong> entdeckten,<br />
ein Skandalon, das freilich bei<br />
Kleist zugrunde gelegt ist. So vielfältig die<br />
modernen Deutungen dieses 1807/08<br />
unmittelbar nach der Penthesilea entstandenen<br />
„großen historischen Ritterschauspiels<strong>“</strong><br />
sind, sie setzen sich gegen die Bühnengeschichte<br />
des Schauspiels ab, gegen die biedere<br />
Verharmlosung durch vergangene<br />
Theaterbearbeitungen und -interpretationen<br />
des 19. und 20. Jahrhunderts.<br />
Der Text „K. v. H.<strong>“</strong> - so schreibt Kleist in<br />
Umkehrung <strong>sein</strong>er Initialen H. v. K. <strong>sein</strong><br />
„Käthchen<strong>“</strong> auch - ist zu lesen als Notation,<br />
ein Verweissystem von Zeichen, von sprachlichen<br />
und gestischen Wendungen. Kleists<br />
Sprache ist wörtlich zu nehmen,<br />
die Sätze nachzudenken, dann entsteht ein<br />
Welt-Theater, das bei genauester Auslotung<br />
seelischer Verfasstheit psychologische<br />
Kausalität hinter sich lässt, eine Darstellung,<br />
deren rätselhafte Verzauberung von weit her<br />
kommt, aber seltsam ins Herz trifft.<br />
(Dr. Monika Meister, a.o. Univ.Prof. am Institut<br />
für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der<br />
Universität Wien. Vorlesungen und Publikationen<br />
zu Theatergeschichte und Theorien des Theaters;<br />
Arbeitssch<strong>wer</strong>punkte: Antike, Klassik und Romantik,<br />
Kleist, Robert Musil, Theater der Moderne.)<br />
DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN ODER<br />
DIE FEUERPROBE von Heinrich von Kleist<br />
REGIE: Andrea Breth BÜHNE: Annette Murschetz<br />
KOSTÜME: Anna Eiermann MUSIK: Elena Chernin<br />
LICHT: Alexander Koppelmann<br />
MIT: Andrea Clausen, Ulli Fessl, Elisabeth Orth,<br />
Annette Paulmann, Kitty Speiser, Johanna<br />
Wokalek; Franz J. Csencsits, Heinz Frölich,<br />
Wolfgang Gasser, Florentin Groll, Benno lfland,<br />
Michael König, Johannes Krisch, Wolfgang<br />
Michael, Cornelius Obonya, Peter Simonischek,<br />
Johannes Terne, Johannes Zirner u.a.<br />
Premiere am 28. April im <strong>Burgtheater</strong>