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Tom Cruise - Der Star und die Scientology-Verschwörung - Projekt ...

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Andrew Morton<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>Star</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Scientology</strong>-<strong>Verschwörung</strong><br />

Aus dem Englischen von<br />

Volker Zenwachs <strong>und</strong><br />

Johanna Reischmann<br />

Droemer<br />

-1-


Originaltitel: <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

Originalverlag: St. Martin’s Press, New York<br />

Besuchen Sie uns im Internet:<br />

www.droemer.de<br />

Die Folie des Schutzumschlags sowie <strong>die</strong> Einschweißfolie sind<br />

PE-Folien <strong>und</strong> biologisch abbaubar.<br />

Dieses Buch wurde auf chlor- <strong>und</strong> säurefreiem Papier gedruckt.<br />

Copyright © 2008 by Andrew Morton<br />

Copyright © 2008 der deutschsprachigen Ausgabe bei Droemer<br />

Verlag<br />

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt<br />

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München<br />

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit<br />

Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.<br />

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München<br />

Umschlagfoto: Alessandra Benedetti / Corbis<br />

Satz: Adobe InDesign im Verlag<br />

Printed in Germany<br />

Scan by crazy2001 @ März 2008<br />

k-leser: unke<br />

ISBN 978-3-426-27.462-0<br />

-2-


For Max and new beginnings<br />

-3-


1<br />

Um der Wahrheit <strong>die</strong> Ehre zu geben: <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> Mapother<br />

IV ist immer schon ein Mann der Frauen gewesen.<br />

Hier eine Liebschaft, dort eine Fre<strong>und</strong>in, Geliebte<br />

<strong>und</strong> Ehefrauen – es gibt wohl kaum einen Tag in seinem<br />

Leben, an dem er nicht eine junge Frau umwarb,<br />

ihr Versprechungen machte oder mit ihr verheiratet<br />

war. Das erste Mal soll er als Bräutigam im Alter von<br />

elf Jahren aufgetreten sein, bei einer spontanen Hochzeitszeremonie<br />

unter einer weit ausladenden Eiche im<br />

Schulhof. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, wer<br />

<strong>die</strong> Trauung vollzog oder ob es Brautjungfern <strong>und</strong><br />

Trauzeugen gab. Aber <strong>die</strong> Braut, ein schönes junges<br />

Mädchen mit blonden Locken <strong>und</strong> einem offenen Gesicht,<br />

war sich ihrer Sache sicher genug, dass sie im<br />

Poesiealbum einer Fre<strong>und</strong>in mit Rowan Mapother Hopkins<br />

unterschrieb.<br />

Vielleicht war es der Schuss irischer Schmäh in seinem<br />

Wesen <strong>und</strong> natürlich sein gewinnendes Lachen,<br />

<strong>die</strong> ihn bei den Frauen so beliebt machten. Trotz einer<br />

etwas unklaren Familiengeschichte weiß man, dass es<br />

auf beiden Seiten der Eltern keltische Vorfahren gab.<br />

Einige Autoren behaupten, der erste aus dem Clan der<br />

Mapother, der seinen Fuß in <strong>die</strong> Neue Welt setzte, sei<br />

ein irischer Ingenieur namens Dillon Henry Mapother<br />

gewesen. Es handelte sich bei ihm um den jüngeren<br />

von zwei Söhnen, gerade mal 18 Jahre alt, der seine<br />

Heimat im Südosten Irlands 1849 auf der Flucht vor<br />

Armut <strong>und</strong> Hungersnöten verließ. <strong>Der</strong> Beleg findet sich<br />

in der Passagierliste der Wisconsin, <strong>die</strong> am 2. Juni<br />

1849 in New York anlegte. Ein gewisser Dillon Mapother,<br />

der als Beruf Ingenieur angab, gehörte zu den<br />

-4-


vielen Auswanderern, <strong>die</strong> in der Neuen Welt ein neues<br />

Leben suchten. Andere Ahnenforscher, auf <strong>die</strong> sich <strong>die</strong><br />

Autoren der Fernsehsendung Inside the Actors Studio<br />

berufen, erzählen eine andere Geschichte. Sie behaupten,<br />

eben <strong>die</strong>ser Dillon Henry Mapother sei ein<br />

Waliser aus Flint im Norden von Wales gewesen, der<br />

einige Jahrzehnte früher in Amerika ankam – im Jahr<br />

1816. Alle stimmen darin überein, dass der erste Mapother<br />

sich in Louisville, Kentucky, niederließ <strong>und</strong> eine<br />

Frau mit Namen Mary <strong>Cruise</strong> heiratete, <strong>die</strong> ihm sechs<br />

Kinder gebar. <strong>Der</strong> Vater, der als Landvermesser arbeitete,<br />

nahm 1874 ein tragisches Ende. Er starb an einer<br />

schweren Lebensmittelvergiftung <strong>und</strong> ließ Mary, damals<br />

gerade 31 Jahre alt, allein mit ihrer großen<br />

Nachkommenschaft zurück.<br />

Mary blieb nicht lange allein. Sie lernte Thomas<br />

O’Mara kennen, der als Großhändler für chemische<br />

Substanzen in der Stadt lebte <strong>und</strong> damit gut ver<strong>die</strong>nte.<br />

Zwar kam er 1835 in Kentucky auf <strong>die</strong> Welt, aber<br />

der Name lässt vermuten, dass <strong>die</strong> Familie der<br />

O’Maras aus Irland zugewandert war. Das Paar heiratete<br />

<strong>und</strong> gründete sofort eine neue Familie. Ihr erster<br />

Sohn, Thomas O’Mara, kam gerade mal neun Monate<br />

nach der Hochzeit, am 29. Dezember 1876, zur Welt.<br />

In der Volkszählung von 1880 ist das Kleinkind noch<br />

unter dem Namen Thomas O’Mara zu finden. Es heißt<br />

dort, er lebe bei seinen Eltern mit zwei Halbbrüdern,<br />

Wible <strong>und</strong> deHenry, <strong>die</strong> beide noch zur Schule gingen,<br />

<strong>und</strong> einer Halbschwester, Dellia, damals 18 Jahre alt,<br />

<strong>die</strong> als Verkäuferin in einem Laden arbeitete. Auf unerklärliche<br />

Weise wurde Thomas O’Mara während seiner<br />

Kindheit umbenannt in Thomas <strong>Cruise</strong> Mapother.<br />

Vielleicht sollte er den gleichen Namen wie seine Halbgeschwister<br />

haben, vielleicht ließen sich seine Eltern<br />

scheiden, <strong>und</strong> seine Mutter änderte seinen Namen.<br />

Wie der Ahnenforscher Williams Addams Reitwiesner<br />

-5-


feststellt: »Die Gründe für <strong>die</strong> Namensänderung sind<br />

nicht ganz klar ersichtlich.« In gewisser Weise ist <strong>die</strong>ser<br />

konfuse Familienstammbaum eine passende Metapher<br />

für das widersprüchliche <strong>und</strong> schwer fassbare<br />

Leben des Schauspielers.<br />

Während also der Familienname Mapother eher irischer<br />

als walisischer Abstammung zu sein scheint,<br />

lässt sich <strong>die</strong> väterliche Verwandtschaftslinie zum Clan<br />

der O’Maras nach Irland zurückverfolgen. Was blieb,<br />

ist der Familienname Mapother, <strong>und</strong> in den folgenden<br />

Generationen hießen alle – der Vater, Großvater <strong>und</strong><br />

Urgroßvater des Schauspielers Thomas – <strong>Cruise</strong> Mapother.<br />

Nicht nur, dass sie alle den gleichen Namen hatten,<br />

sie lebten auch alle am gleichen Ort <strong>und</strong> schlugen tiefe<br />

Wurzeln in der fruchtbaren Erde von Kentucky. Uber<br />

<strong>die</strong> Jahre hinweg brachten <strong>die</strong> Mapothers, sowohl in<br />

der Linie der O’Maras als auch in jener der Mapothers,<br />

einige gutsituierte Geschäftsleute hervor: im Wesentlichen<br />

Anwälte, aber auch Ingenieure, Wissenschaftler –<br />

<strong>und</strong> sogar einen Präsidenten einer Eisenbahngesellschaft.<br />

<strong>Der</strong> erste Thomas <strong>Cruise</strong> Mapother (geboren als<br />

Thomas O’Mara) wurde zu einem der jüngsten Anwälte<br />

in Louisville. Er heiratete Anna Stewart Bateman, <strong>die</strong><br />

ihm zwei Söhne gebar: Paul <strong>und</strong> Thomas <strong>Cruise</strong> Mapother<br />

II. »Es war eine gute solide Familie. Stützen<br />

der Gesellschaft von Louisville, sehr loyal <strong>und</strong> zuverlässig«,<br />

erinnerte sich Caroline Mapother, eine Cousine<br />

der Familie.<br />

<strong>Der</strong> jüngere Sohn, Thomas <strong>Cruise</strong> Mapother, geboren<br />

1908, trat in <strong>die</strong> Fußstapfen seines Vaters. Er wurde<br />

Anwalt <strong>und</strong> später Richter am Bezirksgericht <strong>und</strong> war<br />

ein bekannter Aktivist <strong>und</strong> Anhänger der Republikaner.<br />

Aus seiner Ehe mit Catherine Reibert gingen zwei Söhne<br />

hervor. <strong>Der</strong> jüngere der beiden, William – Vater des<br />

-6-


Schauspielers William Mapother –, wurde Anwalt <strong>und</strong><br />

spezialisierte sich auf Konkursverwaltung. Später wurde<br />

er, wie zuvor sein Vater, Richter. Thomas, der ältere<br />

Sohn, geboren 1934, erbte hingegen das wissenschaftliche<br />

Talent der Familie. Sein Cousin, Dillon Mapother,<br />

ehemals Vizekanzler für Forschung an der Universität<br />

von Illinois, ist vermutlich der bekannteste<br />

Wissenschaftler in der Familie. Er wurde bekannt<br />

durch seine Forschungen zur Supraleitfähigkeit <strong>und</strong><br />

Festkörperphysik. Die akademischen Publikationen des<br />

Professors füllen mehrere Regale in der Bibliothek der<br />

Universität.<br />

Als Jugendlicher folgte Thomas Mapother <strong>die</strong>ser Familientradition.<br />

Nachdem er in den frühen fünfziger<br />

Jahren seinen Abschluss an der katholischen Privatschule<br />

St. Xavier in Louisville gemacht hatte, schrieb<br />

er sich für ein Studium der Elektrotechnik an der Universität<br />

von Kentucky ein. Sie galt damals als eine der<br />

besseren Universitäten im Lande, war aber in erster<br />

Linie den Kindern aus weißen Familien vorbehalten -<br />

bis 1954 wurde dort <strong>die</strong> Rassentrennung eingehalten.<br />

Als er Mitte der fünfziger Jahre <strong>die</strong> Universität verließ,<br />

umwarb er mit durchaus ernsten Absichten eine attraktive<br />

Brünette, Mary Lee Pfeiffer, <strong>die</strong> zwei Jahre jünger<br />

war als er <strong>und</strong> auch aus einer alteingesessenen<br />

Familie im Jefferson County in Kentucky stammte. Wie<br />

ihr zukünftiger Gatte konnte auch sie ihre Familiengeschichte<br />

bis nach Irland zurückverfolgen; ihre<br />

Wurzeln in Louisville reichten bis ins frühe 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

zurück. Ihr Vater Charles starb im März 1953,<br />

<strong>und</strong> so waren bei ihrer Hochzeit kurz nach Weihnachten<br />

am 28. Dezember 1957 in einer katholischen Kirche<br />

in Jefferson County nur ihre Mutter, <strong>die</strong> das gesegnete<br />

Alter von 92 Jahren erreichte, <strong>und</strong> ihr Bruder<br />

Jack dabei. Die Braut war gerade 21 Jahre alt.<br />

-7-


Für einen jungen Elektroingenieur wie Thomas Mapother<br />

waren es aufregende Zeiten. Er fand Arbeit bei<br />

General Electric, einem riesigen Unternehmen, <strong>und</strong><br />

interessierte sich dort vor allem für <strong>die</strong> Lasertechnologie,<br />

<strong>die</strong> zuvor nur in einer wissenschaftlichen Publikation<br />

von Townes <strong>und</strong> Schawlow aus dem Jahr 1958<br />

beschrieben worden war. Die Pionierarbeit <strong>die</strong>ser beiden<br />

revolutionierte <strong>die</strong> Welt der Medizin- <strong>und</strong> der<br />

Kommunikationstechnik. »Thomas war von den neuesten<br />

technologischen Entwicklungen fasziniert«, stellte<br />

Professor Dillon Mopather später fest. »Er verbrachte<br />

jede freie Minute mit der Arbeit an neuen <strong>Projekt</strong>en.«<br />

Er fasste in seiner neuen Firma Fuß, <strong>und</strong> bald darauf<br />

gründeten <strong>die</strong> beiden frisch Vermählten eine Familie.<br />

Sie bekamen vier Kinder in nur vier Jahren. Das erste<br />

Kind war Lee Anne, geboren 1959 in Louisville, das<br />

zweite, Marian, kam zwei Jahre später in Syracuse im<br />

Staat New York zur Welt, wohin <strong>die</strong> Familie inzwischen<br />

übersiedelt war. Thomas <strong>Cruise</strong> Mapother IV wurde am<br />

3. Juli 1962 geboren – am Tag vor dem Unabhängigkeitstag.<br />

Seine jüngere Schwester Catherine – benannt<br />

nach der Großmutter väterlicherseits – kam ein<br />

Jahr später.<br />

Es war deutlich, dass der kleine <strong>Tom</strong> nach seiner<br />

Mutter schlug. Er hatte dunkles Haar, einen ausgeprägten<br />

Kiefer, war blauäugig <strong>und</strong> hatte dicke Backen<br />

voller Sommersprossen. Sein Körperbau war wohl proportioniert,<br />

<strong>und</strong> auch ihr gewinnendes Lächeln erbte<br />

er. Die beiden hatten eine enge, von Liebe <strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erung<br />

getragene Beziehung <strong>und</strong> scheuten sich<br />

nicht, das auch zu zeigen. »Meine Mutter ist eine sehr<br />

warme, charismatische Frau, sehr fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> großzügig«,<br />

sagte er später in einem Fernsehinterview mit<br />

James Lipton. Als der einzige Junge in der Familie<br />

wurde er sowohl von seinen Schwestern als auch von<br />

seiner Mutter umschwärmt. Beim Mittagessen machte<br />

-8-


er gerne kleine Vorführungen <strong>und</strong> brachte seine Familie<br />

mit Imitationen von Comicfiguren wie Woody<br />

Woodpecker <strong>und</strong> Donald Duck zum Lachen. Später<br />

verlegte er sich auf <strong>die</strong> Imitation von Stimmen: Elvis<br />

Presley, Humphrey Bogart <strong>und</strong> James Cagney. Seine<br />

Mutter, <strong>die</strong> das Theater liebte, ermunterte <strong>Tom</strong> <strong>und</strong><br />

seine Schwestern, kleine Sketche aufzuführen, <strong>die</strong> sie<br />

geschrieben hatte. Schon im zarten Alter von vier Jahren<br />

träumte er davon, Schauspieler zu werden. »Es<br />

ergab sich einfach so«, erinnerte er sich später, <strong>und</strong> es<br />

war nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass er von klein auf von<br />

Dramen, Action <strong>und</strong> Abenteuer des Kinos fasziniert<br />

war. Ein besonderes Ereignis für <strong>die</strong> Familie war der<br />

Ausflug ins Autokino. Es wurde Popcorn gekauft, <strong>und</strong><br />

der kleine <strong>Tom</strong> lag dann oben auf dem Familien-Kombi<br />

<strong>und</strong> schaute sich <strong>die</strong> Filme an. Er war wie hypnotisiert<br />

von dem Kriegsdrama Lawrence von Arabien, obwohl<br />

er in seinen jungen Jahren mit der Vorstellung einer<br />

endlos sich ausdehnenden Wüste wohl noch nichts anfangen<br />

konnte.<br />

Als Jugendlicher mit einer lebendigen Phantasie – der<br />

oft vor sich hinträumte, statt den Tisch abzuräumen –<br />

erfand er ständig seine eigenen Abenteuer im richtigen<br />

Leben <strong>und</strong> erforschte <strong>die</strong> Welt hinter dem Haus mit<br />

seinem Dreirad. Gelegentlich führte sein Entdeckerdrang<br />

zu Verstimmungen im Haushalt der Mapothers.<br />

Die Mutter musste ihren Sprössling regelmäßig von<br />

den Bäumen herunterlocken, auf <strong>die</strong> er geklettert war.<br />

Und es trug nicht gerade zur Beruhigung seiner Mutter<br />

bei, als der kleine Junge erzählte, er träume davon,<br />

wie sein Held G.I. Joe zu werden – eine Plastikfigur,<br />

<strong>die</strong> komplett mit Fallschirm geliefert wurde. Damals,<br />

im Alter von drei oder vier Jahren, setze er seine Ambitionen<br />

mit potenziell tragischen Folgen um. Er erinnert<br />

sich noch, wie er das Betttuch von seinem Bett<br />

nahm <strong>und</strong> dann mit Klettereisen auf <strong>die</strong> Garage stieg,<br />

-9-


um von dort abzuspringen. »Ich hab mich dabei selbst<br />

k.o. geschlagen. Ich lag am Boden <strong>und</strong> sah Sterne vor<br />

den Augen.«<br />

<strong>Tom</strong>s Erfahrungen mit der Schule waren jedoch in<br />

gewisser Weise noch schmerzhafter. Als er noch im<br />

Kleinkindalter war, brach <strong>die</strong> Familie häufig ihre Zelte<br />

ab, lebte ein Zeitlang in New Jersey, zog dann nach<br />

St. Louis in Missouri, <strong>und</strong> als er sechs Jahre alt war,<br />

ging es zurück nach New Jersey, wo er 1969 in der<br />

Packanack Elementary School in Wayne Township eingeschult<br />

wurde. Seine Lehrer merkten bald, dass der<br />

junge <strong>Tom</strong> Schwierigkeiten mit den gr<strong>und</strong>legenden<br />

Fähigkeiten des Lesens hatte. Es war erniedrigend <strong>und</strong><br />

frustrierend; er fühlte sich blamiert, wenn er in der<br />

Klasse laut vorlesen musste. Man stellte bald fest,<br />

dass er unter einer Leseschwäche litt, eine Lernstörung,<br />

<strong>die</strong> er offensichtlich von seiner Mutter geerbt<br />

hatte <strong>und</strong> <strong>die</strong> auch seine drei Schwestern in mehr oder<br />

weniger großem Ausmaß aufwiesen. Legastheniker<br />

haben Schwierigkeiten, Buchstaben zu unterscheiden,<br />

beim Lesen Worte zu formen, zu buchstabieren oder<br />

mit einem halbwegs guten Verständnis einen Text zu<br />

lesen. Auch wenn <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> unter <strong>die</strong>ser Störung<br />

leiden, von durchschnittlicher oder überdurchschnittlicher<br />

Intelligenz sind, kann <strong>die</strong>se Behinderung,<br />

wenn sie nicht erkannt wird, zu schweren psychischen<br />

Traumatisierungen führen. Die Betroffenen fühlen sich<br />

dann isoliert, fehl am Platz <strong>und</strong> entwickeln kein<br />

Selbstwertgefühl.<br />

<strong>Tom</strong> hat mehrmals über <strong>die</strong> Scham gesprochen, <strong>die</strong><br />

er empfand, während er mit <strong>die</strong>ser Störung zu kämpfen<br />

hatte. »Mir fiel nichts ein. Ich hatte Angst, war<br />

nervös, gelangweilt, frustriert, fühlte mich taub. Ich<br />

wurde dann wütend. Mir taten meine Beine weh, wenn<br />

ich dasaß <strong>und</strong> versuchte zu lernen. Ich bekam Kopfschmerzen.<br />

Während der ganzen Schulzeit <strong>und</strong> auch<br />

-10-


noch während meiner späteren Karriere hatte ich das<br />

Gefühl, <strong>die</strong>ses Geheimnis mit mir herumzutragen.«<br />

Wie andere Betroffene auch, entwickelte er Strategien<br />

des Umgangs mit seinen Problemen. Er meldete sich<br />

nicht freiwillig, um Fragen des Lehrers an <strong>die</strong> Klasse zu<br />

beantworten, oder führte sich auf wie der Klassenclown,<br />

um <strong>die</strong> Aufmerksamkeit von seinen schulischen<br />

Misserfolgen abzulenken. Seine Darstellungen von<br />

Woody Woodpecker erheiterten jetzt nicht mehr nur<br />

seine Familie, sondern auch seine Mitschüler.<br />

<strong>Tom</strong>s Frustration spiegelte sich in der Ungeduld seiner<br />

Lehrer. Später sollte er dann behaupten, dass im<br />

Alter von sieben Jahren – er ging damals in <strong>die</strong> Packanack<br />

Elementary School - ein Lehrer vor der Klasse<br />

einen Stuhl nach ihm warf; offensichtlich aus Ärger,<br />

weil Klein <strong>Tom</strong> nicht in der Lage war, den Stoff zu verstehen.<br />

Andere Lehrer, so erinnerte er sich später,<br />

waren ähnlich verwirrt. <strong>Der</strong> derzeitige Rektor der<br />

Schule, Dr. Kevin McGrath, der seit über dreißig Jahren<br />

dort unterrichtet, findet <strong>die</strong> Vorwürfe des Schauspielers<br />

absurd. »Ein derartiges Verhalten eines Lehrers<br />

gegenüber einem Schüler wäre weder damals<br />

noch heute akzeptabel«, sagt er. »Es ist, als würde<br />

man ein Kind in einen Schrank einsperren oder mit der<br />

Rute traktieren.«<br />

Im Winter des Jahres 1971, als er <strong>die</strong> dritte Klasse<br />

zur Hälfte hinter sich hatte, packte <strong>die</strong> Familie wieder<br />

ihre Sachen <strong>und</strong> machte sich auf nach Norden, Richtung<br />

Ottawa, in <strong>die</strong> kanadische Hauptstadt, wo sein<br />

Vater offensichtlich eine Stelle hatte <strong>und</strong> für das kanadische<br />

Militär arbeitete. Sie zogen in ein schindelgedecktes<br />

Holzhaus in 2116 Monson Crescent in Beacon<br />

Hill North, einem grünen Vorort, bewohnt von Mittelschichtangehörigen,<br />

Regierungsbeamten, Diplomaten<br />

<strong>und</strong> anderen beruflich hochmobilen Professionals.<br />

»Hallo, ich bin Thomas Mapother der Zweite«, erklärte<br />

-11-


<strong>Tom</strong> stolz, wenn auch unzutreffend, als er bei seinen<br />

neuen Nachbarn, der Familie Lawrie, anklopfte, um<br />

sich vorzustellen.<br />

»Ich mochte ihn«, erinnert sich Irene Lawrie, deren<br />

Söhne Alan <strong>und</strong> Scott Spielkameraden von <strong>Tom</strong> waren.<br />

»Er war immer sehr aktiv, immer unterwegs, aber<br />

auch ein bisschen ein Einzelgänger.«<br />

Unter der Oberfläche des Draufgängers verbarg sich,<br />

wie er später erzählte, ein amerikanischer Jugendlicher,<br />

der sich verständlicherweise Sorgen machte, ob<br />

er in der neuen Schule ankommen <strong>und</strong> in einem fremden<br />

Land Fre<strong>und</strong>e finden würde. »Wissen Sie, ich hatte<br />

nicht <strong>die</strong> richtigen Schuhe, <strong>die</strong> falschen Klamotten,<br />

ja sogar mein Akzent war verkehrt.« Für sein Alter<br />

relativ klein geraten, nannten ihn Schüler <strong>und</strong> Lehrer<br />

»Little <strong>Tom</strong>my Mapother«, <strong>und</strong> bald schubste man ihn<br />

auf dem Spielplatz herum. Er musste lernen, seinen<br />

Mann zu stehen. »Oft kam einer der Größeren auf<br />

mich zu <strong>und</strong> schubste mich herum. Dein Herz fängt an<br />

zu klopfen, du schwitzt <strong>und</strong> hast das Gefühl, du musst<br />

kotzen«, erzählte er später. »Ich bin nun nicht gerade<br />

großgewachsen, <strong>und</strong> ich mag mich auch nicht mit anderen<br />

prügeln. Aber wenn ich nicht zurückschlage,<br />

dann wird mich der Kerl das ganze Jahr über immer<br />

wieder angehen.«<br />

Seine innere Widerstandsfähigkeit erwarb er auch<br />

durch <strong>die</strong> harten Lektionen, <strong>die</strong> er bei seinem Vater zu<br />

Hause lernte. Dies <strong>und</strong> seine von Natur aus angelegte<br />

Halsstarrigkeit wappneten ihn für <strong>die</strong> Auseinandersetzungen<br />

mit seinen Gegnern. Auch sein Vater war in<br />

der Schule immer herumgeschubst worden, was ihn<br />

sein Leben lang verfolgte. Er hatte sich in den Kopf<br />

gesetzt, seinem Sohn <strong>die</strong>ses Schicksal zu ersparen,<br />

<strong>und</strong> so drängte er ihn immer wieder dazu, Kontra zu<br />

geben. Wenn <strong>Tom</strong> bei einer Schlägerei unterlegen war,<br />

bestand sein Vater darauf, dass er noch mal loszog<br />

-12-


<strong>und</strong> den Gegner ein weiteres Mal stellte. <strong>Tom</strong> senior<br />

ging mit seinem einzigen Sohn »sehr, sehr ruppig« um<br />

<strong>und</strong> überschritt dabei offensichtlich mehr als einmal<br />

<strong>die</strong> Grenze zwischen einer harten Erziehung <strong>und</strong> einer<br />

Kindsmisshandlung. »Als Kind hatte ich einen ziemlichen<br />

inneren Groll deswegen. Ich bekam Prügel, <strong>und</strong><br />

ich wusste nicht, warum«, erzählte der Schauspieler<br />

später dem Autor Kevin Sessums.<br />

Seine harte Haltung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Weigerung, nachzugeben,<br />

brachten dem jungen <strong>Tom</strong> bald den Respekt<br />

der Jugendlichen in der Gegend ein. »<strong>Tom</strong> war der<br />

harte Bursche in der Schule«, erinnert sich Scott Lawrie,<br />

der heute als Polizist arbeitet. »Er war kaum kleinzukriegen<br />

<strong>und</strong> nahm <strong>die</strong> Sachen selbst in <strong>die</strong> Hand.«<br />

Und sein Bruder Alan merkt dazu an: »Wenn es in der<br />

Nachbarschaft Ärger mit anderen Kindern gab, dann<br />

war er der Erste, der sagte: >Los, da mischen wir uns<br />

ein.


Jim Brown auf <strong>die</strong> diversen Lernschwierigkeiten ihrer<br />

Kinder hin. <strong>Der</strong> Direktor erklärte, dass man <strong>die</strong> Kinder<br />

von einem Schulpsychologen begutachten lassen würde,<br />

bevor man sie in eine gesonderte Förderklasse überweise.<br />

In der Schule, deren Gebäude ohne viele Zwischenwände<br />

gebaut war, gingen <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> andere Jugendliche<br />

mit ähnlichen Problemen – normalerweise eine<br />

Gruppe von etwa acht Kindern – in einen kleineren<br />

Raum etwas abseits des allgemeinen Lärms, um gezielt<br />

<strong>und</strong> intensiv unterrichtet zu werden. Sie lernten<br />

Lesen, Schreiben, Buchstabieren <strong>und</strong> Mathematik unter<br />

den aufmerksamen Blicken der Förderlehrerin Asta<br />

Arnot. Selbst gemäß heutigen Standards gab es hier<br />

ein hochwertiges pädagogisches Angebot. Zu Hause<br />

wurde <strong>Tom</strong> von seiner Mutter unterstützt: Er diktierte<br />

ihr <strong>die</strong> Antwort auf seine Hausaufgaben, <strong>und</strong> sie gab<br />

ihm dann ihre Texte, <strong>die</strong> er sorgfältig abschrieb.<br />

Zwar gibt es keine anerkannte Heilmethode für Legasthenie,<br />

aber entsprechende Lernprogramme können<br />

das alltägliche Leiden an <strong>die</strong>ser Störung lindern –<br />

angefangen vom Entziffern der Zahlen auf Münzen <strong>und</strong><br />

Geldscheinen bis hin zur Lektüre einer Speisenkarte.<br />

In <strong>die</strong>sem Alter – <strong>Tom</strong> besuchte <strong>die</strong> Robert-Hopkins-<br />

Schule im Alter zwischen acht <strong>und</strong> elf Jahren – ist das<br />

Gehirn am anpassungsfähigsten; selbst Legastheniker<br />

können in <strong>die</strong>ser Phase <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>begriffe des Lesens,<br />

Schreibens <strong>und</strong> Rechnens speichern.<br />

Obwohl <strong>die</strong> Schule gut ausgestattet war, um entsprechende<br />

Lernschwierigkeiten zu behandeln, beschwerte<br />

sich der Schauspieler später über <strong>die</strong> Behandlung, <strong>die</strong><br />

ihm dort widerfuhr: »Ich hatte immer das Gefühl, dass<br />

ich Hürden überwinden musste… Man zwang mich, mit<br />

der rechten Hand zu schreiben, wenn ich es mit der<br />

linken tun wollte. Ich drehte Buchstaben um, <strong>und</strong> das<br />

erschwerte das Lesen.« Verständlicherweise werden<br />

-14-


<strong>die</strong>se Beschwerden von seinen früheren Lehrern nicht<br />

bestätigt. Sowohl Pennyann Styles, <strong>die</strong> ihn an der Robert-Hopkins-Schule<br />

unterrichtete, als auch <strong>die</strong> Sonderpädagogin<br />

Asta Arnot weisen <strong>die</strong>se Vorwürfe entschieden<br />

zurück. Pennyann Styles, selbst Linkshänderin,<br />

war eine bekennende »Eiferin«, wenn es darum<br />

ging, Linkshändern das Schreiben nach ihren eigenen<br />

Vorstellungen zu ermöglichen – sie brachte sogar<br />

Scheren für Linkshänder mit in <strong>die</strong> Schule.<br />

Trotz seiner Lernschwierigkeiten erinnern sich <strong>die</strong><br />

Lehrer an der Robert-Hopkins-Schule an <strong>Tom</strong> als einen<br />

kreativen Schüler, der einfach ein bisschen mehr Aufmerksamkeit<br />

<strong>und</strong> Zeit brauchte. »Er war einer, bei<br />

dem <strong>die</strong> rechte Gehirnhälfte <strong>die</strong> Führung hatte – sehr<br />

kreativ, aber nicht im akademischen Bereich. Es ist<br />

sehr aufwendig, mit <strong>die</strong>sen Kindern zu arbeiten.« Wie<br />

andere Schüler mit ähnlichen Problemen auch, ermunterte<br />

man ihn, sich in den nichtakademischen Fächern<br />

wie Sport, Schauspiel oder Kunst zu engagieren,<br />

um sein Selbstvertrauen zu stärken. Er wurde Mitglied<br />

in der Schauspielgruppe der Schule <strong>und</strong> hatte bald<br />

immer eine Rolle, wenn es Aufführungen gab. Das<br />

kam nicht ganz überraschend, denn <strong>Tom</strong> war hinsichtlich<br />

der Schauspielerei von beiden Seiten der Familie<br />

vorbelastet. Im Mapother-Clan waren seine Cousins<br />

William, Katherine <strong>und</strong> Amy begeisterte Schauspieler<br />

in ihrer Jugend; William <strong>und</strong> Amy machten später <strong>die</strong><br />

Schauspielerei sogar zu ihrem Beruf, während Kathy<br />

heute in Louisville bei den Blue Apple Players mitarbeitet.<br />

Während ihrer Zeit in Ottawa waren <strong>Tom</strong>s Eltern<br />

dermaßen vom Theater begeistert, dass sie als Neuankömmlinge<br />

aus Amerika <strong>die</strong> Gründung des Gloucester<br />

Laienspieltheaters unterstützten <strong>und</strong> beide in der ersten<br />

Aufführung <strong>die</strong>ses Ensembles auftraten.<br />

Ein anderes Gründungsmitglied <strong>die</strong>ser Laienspielgruppe,<br />

der Schauspiellehrer George Steinburg, för-<br />

-15-


derte, zusammen mit <strong>Tom</strong>s Mutter, sein Interesse am<br />

Theater. »Er hatte eine gute ungestüme Energie, <strong>die</strong><br />

man nur in eine Richtung lenken musste«, erinnert<br />

sich Steinburg. »Man merkte, dass er Talent hatte.«<br />

Im Juni 1972, am Ende seines ersten Schuljahres, vertraten<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> sechs seiner Mitschüler <strong>die</strong> Robert-<br />

Hopkins-Schule beim Carlton Elementary School Drama<br />

Festival. Mit Tuniken <strong>und</strong> Strumpfhosen verkleidet,<br />

führte <strong>die</strong> Truppe ein improvisiertes Stück zu Tanz <strong>und</strong><br />

Musik mit dem Titel IT auf. Ihr Ziel war <strong>die</strong> Darstellung<br />

der zentralen Aussage, <strong>die</strong> auch den vollständigen Titel<br />

des Stückes bildete: »<strong>Der</strong> Mensch macht sich auf<br />

<strong>und</strong> entdeckt eine unbekannte Macht <strong>und</strong> neue Dinge.<br />

Das wirkt auf ihn ein.«<br />

Im Publikum saß <strong>die</strong> Theatermanagerin Val Wright.<br />

Obwohl sie bereits H<strong>und</strong>erte von Jugendlichen gesehen<br />

<strong>und</strong> bewertet hatte, blieb ihr <strong>die</strong>se »süperbe«<br />

Darstellung für immer in Erinnerung. »Die Bewegung<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Improvisation waren hervorragend. Es war ein<br />

klassisches Ensemblestück.«<br />

Andere Auftritte waren ebenso beeindruckend. Die<br />

Lehrerin Wendy Santo erinnert sich noch heute an den<br />

Fünftklässler, wie er in einem Stück <strong>die</strong> Sonne darstellte,<br />

starr in einer seitlich gebeugten Haltung.<br />

»Selbst nach dreißig Jahren kriege ich immer noch<br />

Gänsehaut. Er war zwar nur eines der Kinder, aber es<br />

war beeindruckend«, sagte sie.<br />

Wenn <strong>Tom</strong> Rollen spielte, bei denen er den Text lesen<br />

<strong>und</strong> lernen musste, unterstützten ihn <strong>die</strong> Lehrer.<br />

Eine seiner Lehrerinnen, Marylin Richardson, erinnert<br />

sich, dass man sie bat, ihm seinen Text vorzulesen,<br />

damit er ihn auswendig lernen konnte. »Er konnte<br />

zwar lesen, aber er brauchte ziemlich lange dafür«,<br />

erinnert sie sich. Zwar waren seine Auftritte immer<br />

beeindruckend – nur manchmal nicht wegen seiner<br />

schauspielerischen Leistungen. Seine Mitschülerin<br />

-16-


Louise Giannoccaro (geborene Funke) erinnert sich an<br />

eine Begebenheit, als der »wirklich coole« <strong>Tom</strong> Mapother<br />

bei einer Aufführung in der Schule – bei einem<br />

Stück, das von Indianern handelte – auftrat <strong>und</strong> vor<br />

Publikum einen Scherz machte, um <strong>die</strong> Lacher auf seiner<br />

Seite zu haben. »Er hätte einen Apfel aufheben<br />

sollen, <strong>und</strong> dann sollte er sagen: >Ein Apfel, was ist<br />

das, ein Apfel?< Stattdessen biss er in den Apfel <strong>und</strong><br />

konnte natürlich seinen Text nicht mehr sprechen.«<br />

Die Lehrerin Marilyn Richardson erzählt: »Er war ein<br />

Witzbold. Alles war immer irgendwie zum Lachen.«<br />

Während seine schauspielerischen Leistungen Aufmerksamkeit<br />

erregten, fiel <strong>Tom</strong> im Sport eher durch<br />

ungebremste Aggression <strong>und</strong> Härte als durch natürliche<br />

Begabung auf. Er arbeitete sich in <strong>die</strong> zweite Hockeymannschaft<br />

der Schule hoch <strong>und</strong> hatte dort den<br />

Ruf, zielstrebig <strong>und</strong> mit Mumm zu spielen; er warf sich<br />

in <strong>die</strong> »unmöglichsten Situationen« hinein, wenn <strong>die</strong><br />

Schläger nur so um ihn herumflogen. »Er war ein harter<br />

Hockeyspieler«, berichtet sein Schulfre<strong>und</strong> Glen<br />

Gobel, »ein harter, aber kein begabter Spieler.« In<br />

einem der Spiele verlor er bei einem Zweikampf einen<br />

Schneidezahn, eine schmerzhafte Angelegenheit. Seine<br />

kriegerische Ader brachte ihm auch ziemlichen Ärger<br />

beim Spielen auf dem Schulhof ein. Wenn <strong>die</strong> Kinder<br />

»British Bulldogs« spielten (zwei Kinder werfen<br />

sich einen Ball zu, <strong>und</strong> das dritte Kind in der Mitte<br />

muss versuchen, den Ball abzufangen), lag Klein <strong>Tom</strong><br />

oft zusammengekauert <strong>und</strong> wütend auf dem Boden,<br />

weil er den Ball nicht erwischte. Einmal musste er mit<br />

dem Krankenwagen in <strong>die</strong> Ambulanz gebracht werden,<br />

weil er sich das Knie aufgestoßen hatte, was dazu<br />

führte, dass der Direktor der Schule, Jim Brown, das<br />

Spiel verbot.<br />

Dieser Vorfall machte seinen Vater zweifelsohne<br />

stolz. Die sportliche Erziehung von <strong>Tom</strong> senior basierte<br />

-17-


darauf, dass man Schläge einsteckte, ohne sich zu beschweren.<br />

Wenn <strong>die</strong> beiden im Garten den Baseball<br />

hin- <strong>und</strong> herwarfen, warf der Vater den harten Ball<br />

absichtlich mit großer Wucht auf den Kopf oder den<br />

Körper seines neunjährigen Sohnes. »Manchmal kriegte<br />

ich Nasenbluten, wenn mich der Ball am Kopf traf,<br />

<strong>und</strong> ich musste weinen«, erinnert er sich später. »Mein<br />

Vater war nicht sehr rücksichtsvoll.« Bemerkenswerterweise<br />

war es aber <strong>Tom</strong>s Mutter – nicht sein Vater –,<br />

<strong>die</strong> ihn zum ersten Mal zu einem Baseballspiel ins Stadion<br />

mitnahm.<br />

Dank <strong>die</strong>ses harten Trainings wurde <strong>Tom</strong> in das North<br />

Gloucester Baseball Team aufgenommen, <strong>und</strong> in der<br />

lokalen Sportszene entwickelte er seine Fähigkeiten.<br />

Als sein Nachbar Scott Lawrie einmal gegen ihn im<br />

Eishockey spielte, konnte er kaum glauben, wie gut<br />

<strong>Tom</strong> geworden war. »Ich kriegte den Puck nicht an<br />

ihm vorbei«, erzählt er. »Er wurde ein guter Hockeyspieler,<br />

immer bereit, neue Dinge auszuprobieren.«<br />

Es ist also nicht weiter verw<strong>und</strong>erlich, dass <strong>Tom</strong> <strong>und</strong><br />

seine Fre<strong>und</strong>e, darunter Scott <strong>und</strong> Alan Lawrie, Lionel<br />

Aucoin, Scott Miller, Glen Gobel <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> Gray, im<br />

Sommer st<strong>und</strong>enlang auf der Straße Hockey oder<br />

Baseball <strong>und</strong> im Winter Eishockey spielten. Zur Abwechslung<br />

legten sie gelegentlich eine R<strong>und</strong>e Poolbillard<br />

ein. <strong>Tom</strong> hatte vom Fre<strong>und</strong> seiner Schwester Lee<br />

einen Minipooltisch geschenkt bekommen. Manchmal<br />

radelten sie zum nahe gelegenen Ottawa River oder<br />

gingen angeln im Green’s Creek.<br />

Das gleiche rücksichtslose Draufgängertum, das er<br />

im Sport entwickelte, legte er auch an den Tag, wenn<br />

er mit seinen Fre<strong>und</strong>en loszog. <strong>Tom</strong> galt als der harte<br />

Kerl, einer, der das Abenteuer suchte <strong>und</strong> auch dann<br />

noch einen draufsetzte, wenn seine Fre<strong>und</strong>e schon den<br />

Schwanz einzogen. »Er war keck, selbstsicher <strong>und</strong><br />

-18-


cool«, erinnert sich Alan Lawrie. »Wenn wir uns trafen,<br />

bestimmte er, was gemacht wurde.« Auf <strong>Tom</strong>s Anregung<br />

schlossen <strong>die</strong> Jungen Blutsbrüderschaft, stachen<br />

sich mit einer Nadel in den Finger <strong>und</strong> vermischten<br />

dann ihr Blut. Wenn sie mit den Rädern unterwegs<br />

waren, baute er Rampen, über <strong>die</strong> man mit dem Rad<br />

springen konnte, um dabei <strong>die</strong> waghalsigsten Kunststücke<br />

auszuprobieren. Er hängte <strong>die</strong> Netze der Hockeytore<br />

in <strong>die</strong> Bäume, um sich daran wie Tarzan entlangzuhangeln,<br />

oder er versuchte, einen Salto rückwärts<br />

vom Hausdach zu machen, kam aber nicht wie<br />

geplant auf dem Schneehaufen vor dem Haus auf,<br />

sondern brach sich dabei den Fuß, weil er auf dem<br />

Gehsteig landete. Solche Missgeschicke zähmten jedoch<br />

keineswegs sein Draufgängertum. An einer nahe<br />

gelegenen Baustelle kletterte er aufs Dach oder startete<br />

den dort geparkten Bulldozer, während seine<br />

Fre<strong>und</strong>e davonliefen. »Er wollte immer sehen, wo <strong>die</strong><br />

Grenzen sind«, erinnert sich Alan Lawrie. »Ich hätte<br />

mir nie vorstellen können, dass aus ihm jemals ein<br />

Schauspieler wird. Er war eher der Typ von Al Capone,<br />

ein Wilder – der Typ von Jugendlichem, der nie aufgibt.«<br />

<strong>Tom</strong> hatte <strong>die</strong>se kriegerische Seite, etwas irgendwie<br />

Unbezwingbares – etwas, das ihn davon abhielt aufzuhören,<br />

wenn es genug war. Es gibt eine Episode, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong>sen Charakterzug des Alphamännchens in <strong>Tom</strong> Mapother<br />

deutlich zeigt. Er war gerade auf dem Heimweg<br />

mit seinem Fre<strong>und</strong> Glen Gobel, als zwei ältere <strong>und</strong><br />

größere Jungs sich über seinen neuen Haarschnitt lustig<br />

machten. Er leugnete lauthals, dass er sich <strong>die</strong><br />

Haare überhaupt hatte schneiden lassen, <strong>und</strong> nur das<br />

Eingreifen seines alten Schulfre<strong>und</strong>s verhinderte eine<br />

Schlägerei – bei der <strong>Tom</strong> mit Sicherheit den Kürzeren<br />

gezogen hätte. Als Glen ihn danach fragte, warum er<br />

so auf seiner Position bestanden habe, antwortete<br />

-19-


<strong>Tom</strong>: »Ich habe mir nicht <strong>die</strong> Haare schneiden lassen.<br />

Ich habe eine neue Frisur.« Glen erinnert sich: »Auch<br />

wenn er sehr beliebt war, es war <strong>die</strong>se Haltung des<br />

>Entweder bist du für mich oder für <strong>die</strong> anderen


<strong>die</strong> Jungs, <strong>die</strong> mit ihm befre<strong>und</strong>et waren, gestehen<br />

heute ein, dass er etwas hatte, was ihnen fehlte. »Alle<br />

Mädchen mochten ihn, <strong>und</strong> er hielt sich auch selbst für<br />

den größten Casanova«, erinnert sich sein früherer<br />

Schulfre<strong>und</strong> Lionel Aucoin deutlich. <strong>Tom</strong> hatte gegenüber<br />

seinen Fre<strong>und</strong>en einen klaren Vorteil: Da er mit<br />

drei Schwestern aufgewachsen war, verstand er das<br />

schöne Geschlecht weit besser als sie. »Frauen sind<br />

für mich kein Geheimnis«, sagte er einmal. »Ich<br />

komme mit ihnen gut aus.« Da seine zwei Jahre ältere<br />

Schwester Lee Anne ihn an ihre Fre<strong>und</strong>in verlieh, um<br />

Küssen zu üben, hatte er rein technisch einen gewissen<br />

Vorsprung im ewigen Kampf der Geschlechter. »Es<br />

war phantastisch, <strong>und</strong> es gab nie Beschwerden«,<br />

meinte er.<br />

Eine seiner ersten Fre<strong>und</strong>innen war ein Mädchen aus<br />

seiner Klasse, Carol Trumpler. Er war ihr erster<br />

Schwärm, <strong>und</strong> noch heute – nach zwei Ehen <strong>und</strong> vier<br />

Kindern – wird ihr Blick verklärt, wenn sie über ihren<br />

ersten Kuss spricht. »Wenn <strong>die</strong> Leute von der ersten<br />

Liebe reden, muss ich immer an meine ersten Erfahrungen<br />

denken… <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>«, sagt sie. »Er küsste<br />

sehr gut, es machte ihm viel Spaß. Aber was weiß man<br />

schon, wenn man elf Jahre alt ist.«<br />

Carol bekam Schwierigkeiten, als man <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> sie<br />

eines Tages hinter dem Zaun des Spielplatzes beim<br />

Knutschen erwischte. Die beiden Turteltauben mussten<br />

vor dem Direktor Jim Brown antreten. Carol bekam<br />

von ihren Eltern Hausarrest <strong>und</strong> musste in ihrem<br />

Zimmer bleiben. <strong>Tom</strong> ließ sich davon nicht abschrecken<br />

<strong>und</strong> klopfte ein paar Tage später an ihre Tür. Er<br />

hatte ein altes Zelt über der Schulter <strong>und</strong> fragte, ob<br />

sie mit ihm in den Wald zum Camping kommen wolle.<br />

»Wie es aussah, wollte er mich den ganzen Tag küssen«,<br />

erinnert sie sich. »Er war ziemlich frühreif <strong>und</strong><br />

promisk, sofern man das in <strong>die</strong>sem Alter sagen kann.<br />

-21-


Er wollte mich immer nur küssen.« Obwohl ihr Vater<br />

Rene <strong>Tom</strong> davonjagte, zögerte er <strong>und</strong> wollte sich mit<br />

<strong>die</strong>ser Abweisung nicht zufriedengeben.<br />

Nach Carol – »Ich wollte ein braves Mädchen sein,<br />

<strong>und</strong> als ich mich ihm nicht hingab, zog er weiter« –<br />

kamen Heather, Louise, Linda, Sheila <strong>und</strong> natürlich<br />

seine »Braut« Rowan Hopkins. Sportlich, abenteuerlustig<br />

– sie ging gern wandern <strong>und</strong> campen – <strong>und</strong> mit<br />

einer lebendigen Vorstellungskraft gesegnet, war Rowan<br />

in ihrem Jahrgang sehr beliebt. Wie Lionel Aucoin<br />

sich erinnert: »Wenn man so zurückblickt, war es<br />

schon lustig, <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> heiratete <strong>die</strong> Dame seines<br />

Herzens auf dem Schulhof.«<br />

Auf dem offiziellen Klassenfoto aus dem Jahr 1974,<br />

als er <strong>und</strong> seine Klassenkameraden aus der Robert-<br />

Hopkins-Schule in <strong>die</strong> Henry-Munro-Mittelschule übergewechselt<br />

waren, kann man deutlich sehen, warum<br />

<strong>die</strong>ser elfjährige amerikanische Junge als das coolste<br />

Kind in der Schule galt. Er hält den Kopf schräg zur<br />

Kamera <strong>und</strong> schaut ziemlich provokativ <strong>und</strong> frech<br />

drein, das Haar modisch halblang im Pagenschnitt <strong>und</strong><br />

sein kariertes Hemd weit offen, wie es damals in den<br />

Siebzigern modern war. Man sieht, dass er selbstbewusster<br />

ist als <strong>die</strong> anderen Kinder neben ihm <strong>und</strong> sich<br />

offensichtlich in <strong>die</strong>ser Position wohl fühlt. »Er war<br />

schon als Kind berühmt, bevor er richtig berühmt wurde,<br />

wenn man das so sagen kann«, erinnert sich Scott<br />

Lawrie. »Er war einer von denen, mit denen man gerne<br />

zusammen sein wollte. Ich fand es ziemlich cool,<br />

dass <strong>Tom</strong> Mapother mein Nachbar war.« (Allerdings<br />

hatte <strong>Tom</strong> Konkurrenz als Hahn im Korb. In der nächsten<br />

Straße wohnte Bruce Adams, heute besser bekannt<br />

als Rockstar Bryan Adams, der damals auch <strong>die</strong><br />

Henry-Munro-Mittelschule besuchte.)<br />

Cool, selbstbewusst, charismatisch <strong>und</strong> voller Energie;<br />

ein beliebter, gelegentlich zur Gemeinheit neigen-<br />

-22-


der Junge: Das ist das Bild, das man von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

Mapother IV zu Beginn seiner Teenagerzeit bekommt.<br />

Seine schulischen Leistungen waren mittelmäßig, <strong>und</strong><br />

seine Legasthenie schien er so weit im Griff zu haben,<br />

dass er auf der Henry-Munro-Schule keine zusätzliche<br />

Unterstützung oder Förderunterricht mehr brauchte.<br />

Sein Klassenlehrer, Byron Boucher, der sich später auf<br />

Sonderschulpädagogik spezialisierte, unterrichtete ihn<br />

in verschiedenen Fächern, darunter auch Englisch <strong>und</strong><br />

Mathematik, <strong>und</strong> soweit er es beurteilen konnte, hatte<br />

der zwölfjährige <strong>Tom</strong> Mapother keine ungewöhnlichen<br />

Lernstörungen. Hätte er Lese- <strong>und</strong> Schreibschwäche<br />

gezeigt, wäre automatisch der Direktor der Schule informiert<br />

worden, um entsprechende Fördermaßnahmen<br />

einzuleiten.<br />

In seiner neuen Schule stach <strong>Tom</strong> wieder als Schauspieler<br />

hervor <strong>und</strong> beteiligte sich an der Schauspielgruppe,<br />

<strong>die</strong> immer am Freitagnachmittag zusammenkam.<br />

Wenn sie dort hart arbeiteten, durften <strong>die</strong> Schüler<br />

vor der Klasse auftreten. »Das gefiel ihm sehr, <strong>und</strong><br />

er war sehr überzeugend in seinen Darstellungen«,<br />

erinnert sich Byron Boucher.<br />

Weniger überzeugend hingegen war sein Benehmen.<br />

Als er von der Robert-Hopkins- in <strong>die</strong> Henry-Munro-<br />

Schule wechselte, änderte sich sein Ruf als einer, der<br />

sich zwar danebenbenimmt, aber keinen Ärger macht,<br />

zum Schlechteren. Nicht nur <strong>die</strong> Eltern seiner Angebeteten<br />

Carol Trumpler betrachteten ihn jetzt misstrauisch.<br />

Er erwarb sich den Ruf eines Rabauken, eines<br />

Jungen, dessen Gesellschaft man nach Möglichkeit<br />

meiden sollte. »Die Ehern sagten damals: >Hüte dich<br />

vor <strong>die</strong>sem Jungem«, erinnert sich Alan Lawrie.<br />

Gegen Ende seiner Volksschulzeit war er zusehends<br />

in ernstere Schwierigkeiten gekommen. Seine Lehrerin<br />

Sharon Waters wurde zum Direktor zitiert <strong>und</strong> erhielt<br />

eine Abmahnung, als <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> ein anderer Schüler <strong>die</strong><br />

-23-


Schule schwänzten. Die Polizei brachte <strong>die</strong> beiden elfjährigen<br />

Jungen in <strong>die</strong> Klasse zurück, <strong>und</strong> Sharon wurde<br />

deutlich verwarnt, weil sie offensichtlich nicht auf<br />

<strong>die</strong> beiden aufgepasst hatte. Ein andermal fanden <strong>Tom</strong><br />

<strong>und</strong> Lionel Aucoin eine Schachtel mit Feuerwerkskörpern,<br />

<strong>die</strong> sie in der Nachbarschaft in <strong>die</strong> Gärten warfen<br />

<strong>und</strong> dann davonliefen. Ein wütender Bewohner verfolgte<br />

sie, stellte <strong>die</strong> beiden <strong>und</strong> drohte ihnen mit der Polizei.<br />

Ein andermal zog ihm Alan Lawries Vater Murray<br />

<strong>die</strong> Ohren lang, als er ihn dabei erwischte, wie er drei<br />

frisch gepflanzte Pinien im Garten der Lawries für seine<br />

Hochsprungübungen nutzte. (Die Bäume trugen<br />

keinen dauerhaften Schaden davon <strong>und</strong> sind heute<br />

über zehn Meter hoch.) <strong>Tom</strong> gestand später selbst ein:<br />

»Ich war als Kind ein ziemlicher Wildfang. Ich<br />

schwänzte <strong>die</strong> Schule. All das geht darauf zurück, dass<br />

ich immer an <strong>die</strong> Grenze gehen wollte, um herauszufinden,<br />

wo ich eigentlich stehe <strong>und</strong> wie weit ich gehen<br />

kann.«<br />

Sein widerspenstiges Auftreten fiel zusammen mit<br />

dem Scheitern der Ehe seiner Eltern, <strong>und</strong> seine wilderen<br />

Exzesse waren wohl eher Ausdruck seiner Verwirrung<br />

<strong>und</strong> seiner Trauer über <strong>die</strong> Trennung. Sein Vater<br />

ging in Therapie, um mit seinen persönlichen Problemen<br />

zurechtzukommen. »Nach dem Zusammenbruch<br />

der Ehe der Eltern konnte man deutliche Veränderungen<br />

wahrnehmen«, erinnert sich George Steinburg.<br />

»<strong>Tom</strong>my war ein Problem. Sein Vater kam aus der<br />

Therapiesitzung nach Hause <strong>und</strong> brachte ihm bei, aus<br />

sich herauszugehen, nichts zu verdrängen. <strong>Tom</strong>my<br />

nahm das begierig auf <strong>und</strong> bekam in der Schule ziemliche<br />

Schwierigkeiten. Er schimpfte <strong>und</strong> fluchte wie ein<br />

Rohrspatz.«<br />

In den drei Jahren, in denen <strong>die</strong> Familie in Ottawa<br />

lebte, gab es mit der Zeit immer mehr Probleme <strong>und</strong><br />

schwere Belastungen, mit denen niemand gerechnet<br />

-24-


hatte. Schließlich hatte sich zunächst alles so gut angelassen.<br />

Als <strong>die</strong> Familie in Ottawa ankam, gaben sie<br />

sich alle Mühe, sich in der neuen Umgebung gut einzuleben.<br />

<strong>Tom</strong>s Mutter bekam wegen ihres sonnigen Gemüts<br />

den Spitznamen »Merry Mary Lee«. Eine Zeitlang<br />

arbeitete sie im lokalen Krankenhaus <strong>und</strong> half in der<br />

Schule ihrer Kinder aus, wenn es darum ging, Ausflüge<br />

<strong>und</strong> andere Aktivitäten zu organisieren. »Die ersten<br />

anderthalb Jahre waren aus meiner Sicht für <strong>die</strong> Familie<br />

eine sehr glückliche Zeit«, erinnert sich George<br />

Steinburg. »Sie waren sehr beliebt.« Auch <strong>die</strong> Kinder<br />

kamen gut an. <strong>Tom</strong> erinnert sich, wie er <strong>und</strong> eine seiner<br />

Schwestern sich einmal an einem Marsch über<br />

sechzig Kilometer beteiligten (bei der Distanz dürfte er<br />

allerdings etwas übertrieben haben), um Geld für einen<br />

guten Zweck zu sammeln. <strong>Tom</strong> erinnert sich an<br />

<strong>die</strong>sen Gewaltmarsch vor allem deswegen, weil eine<br />

Frau ihm einen Vierteldollar gab, damit er sich eine<br />

Limonade kaufen konnte, <strong>und</strong> das gerade in dem Augenblick,<br />

als er im Stillen darum betete, von irgendwoher<br />

möge ein kaltes Getränk auftauchen. In der<br />

Nachbarschaft galten er <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>e als hilfsbereite<br />

Jugendliche, <strong>die</strong> fürs Rasenmähen immer wieder<br />

mal zwei Dollar bekamen. <strong>Tom</strong> ver<strong>die</strong>nte sich immer<br />

wieder etwas dazu, indem er bei den Nachbarn den<br />

Hof aufräumte. Nach <strong>die</strong>ser ersten Phase der guten<br />

Nachbarschaft verbreitete sich allgemein <strong>die</strong> Ansicht,<br />

<strong>Tom</strong>s Vater sei ein sehr distanzierter <strong>und</strong> unkommunikativer<br />

Mensch – eine düstere, ausweichende Person.<br />

»Er war wenig kontaktfreudig«, erinnert sich Irene<br />

Lawrie, <strong>die</strong> Nachbarin. »Er brachte nicht mal eine<br />

fre<strong>und</strong>liche Begrüßung zustande.« Es ging das Gerücht<br />

um, er habe seine Stelle gekündigt, um ein Buch zu<br />

schreiben. Fest steht jedenfalls, dass <strong>die</strong> Familie nie<br />

Geld hatte; manche behaupteten, er sei ein schwerer<br />

Trinker <strong>und</strong> angeblich seien auch schon <strong>die</strong> Sozialar-<br />

-25-


eiter von der Familienfürsorge aufgetaucht, um bei<br />

der Familie nach dem Rechten zu sehen.<br />

Nach den ersten Versuchen, in der neuen Umgebung<br />

in Kanada Kontakte zu knüpfen, war es allen klar, dass<br />

<strong>die</strong> Ehe der Mapothers den Bach hinunterging. Fre<strong>und</strong>e,<br />

Lehrer <strong>und</strong> Nachbarn bekamen mit, was hier passierte.<br />

»Es war für <strong>die</strong> Familie keine glückliche Zeit«,<br />

erinnert sich <strong>Tom</strong>s ehemalige Lehrerin Shirley<br />

Gaudreau.<br />

Die Meinungen am Ort über <strong>die</strong> Mapothers gingen<br />

auseinander, <strong>und</strong> <strong>die</strong>se Polarisierung fand sich auch<br />

innerhalb der Familie wieder. Während <strong>Tom</strong> nie ein<br />

schlechtes Wort über seine »schöne, fürsorgliche <strong>und</strong><br />

liebevolle« Mutter, <strong>die</strong> für ihren einzigen Sohn<br />

schwärmte, geäußert hat, fiel von ihm für seinen Vater<br />

kaum ein gutes Wort ab. Ihre Beziehung schien von<br />

gegenseitiger <strong>und</strong> ziemlich verwirrender Ablehnung<br />

getragen gewesen zu sein. <strong>Der</strong> Vater brachte seinem<br />

Sohn <strong>Tom</strong> eine Zuneigung entgegen, <strong>die</strong> man als hart,<br />

fast brutal bezeichnen könnte. Während <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> seine<br />

Schwestern um ihre starke, joviale Mutter herumscharwenzelten<br />

<strong>und</strong> alles für sie taten, was sie konnten,<br />

machten sie um ihren unberechenbaren Vater einen<br />

großen Bogen.<br />

Einmal baten <strong>die</strong> Mapother-Kinder <strong>die</strong> Nachbarin Irene<br />

Lawrie um Unterstützung, weil sie für ihre Mutter<br />

insgeheim einen Geburtstagskuchen backen wollten.<br />

<strong>Der</strong> Backofen im Haus funktionierte nicht, <strong>und</strong> sie hatten<br />

auch keine Kuchenform, also rechneten sie auf<br />

ihre Unterstützung. Am Ende backte Irene den Kuchen,<br />

aber in der Aufregung, mit der <strong>die</strong> Kinder bei der<br />

Sache waren, merkte man, wie sehr sie ihre Mutter<br />

liebten. Im Gegensatz dazu ihr Vater. Als der mit seinem<br />

Sohn <strong>Tom</strong> zum Skifahren ging, weigerte er sich,<br />

während der zweistündigen Anfahrt mit dem Auto anzuhalten,<br />

damit <strong>Tom</strong> sich etwas zu essen kaufen konn-<br />

-26-


te. Er gab ihm den perversen Tipp, sich vorzustellen,<br />

wie er etwas esse, <strong>und</strong> <strong>die</strong> beiden saßen im Auto <strong>und</strong><br />

stellten sich vor, wie sie einen Sandwich zubereiteten<br />

<strong>und</strong> dann verzehrten, mit allem Drum <strong>und</strong> Dran, einschließlich<br />

Chips <strong>und</strong> Limonade. »Aber wir hatten in<br />

Wirklichkeit gar nichts zu essen«, erinnert sich <strong>Tom</strong><br />

später an das bizarre Verhalten seines Vaters.<br />

Schließlich bezeichnete er seinen Vater als einen<br />

»Händler des Chaos« <strong>und</strong> das Leben mit ihm als eine<br />

»Fahrt auf der Achterbahn«; man hätte ihm nie vertrauen<br />

oder sich bei ihm sicher fühlen können. Für einen<br />

Jungen, der einmal von sich selbst sagte, alles,<br />

was er sich wünsche, sei, »akzeptiert zu werden« <strong>und</strong><br />

»Liebe <strong>und</strong> Aufmerksamkeit« zu bekommen, muss das<br />

Leben mit einem Vater, der ein »Tyrann <strong>und</strong> Feigling«<br />

war, fast unerträglich gewesen sein. Eine seiner ergreifenden<br />

Erinnerungen ist mit dem Film <strong>Der</strong> Clou<br />

verb<strong>und</strong>en, in dem Robert Redford <strong>und</strong> Paul Newman<br />

<strong>die</strong> Hauptrollen spielen. Dieser Film sprach ihn nicht<br />

nur wegen der eingängigen Titelmelo<strong>die</strong> <strong>und</strong> der dreisten<br />

Geschichte zweier Hochstapler an, sondern weil<br />

der Kinobesuch eines der wenigen angenehmen Ereignisse<br />

mit seinem Vater war, an <strong>die</strong> er sich erinnern<br />

kann. Das Urteil über seinen alten Herrn ist ansonsten<br />

vernichtend: »Er war ein Mensch, der, wenn etwas<br />

schiefgeht, dich dafür schlägt. Er war eine antisoziale<br />

Persönlichkeit, unberechenbar <strong>und</strong> widersprüchlich.«<br />

Möglicherweise erklärt <strong>die</strong> Angst, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong> in der Gegenwart<br />

seines Vaters empfand, seine natürliche Neigung<br />

zur Schauspielerei, denn eine wichtige Fähigkeit<br />

für ein Kind in einer von Ablehnung <strong>und</strong> Missbrauch<br />

geprägten Familie ist <strong>die</strong> Phantasie, <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

sich in eine andere Welt zu versetzen, sich davonzustehlen,<br />

wenn <strong>die</strong> Dinge unerträglich werden. Mit anderen<br />

Worten: Wichtig ist es, sich verstellen zu können.<br />

Diese Fähigkeit kann Menschen später im Leben<br />

-27-


in <strong>die</strong> Quere kommen, da sie nicht in der Lage sind,<br />

sich auf zentrale Gefühle wie Liebe <strong>und</strong> Glück einzulassen,<br />

da <strong>die</strong>se immer mit Angst gekoppelt sind. Als<br />

Erwachsene können <strong>die</strong>se Menschen zwar Gefühle<br />

ausdrücken, sie aber nicht empfinden.<br />

Zur gleichen Zeit bildete sich, möglicherweise aufgr<strong>und</strong><br />

der Zuneigung seiner Mutter zu ihrem einzigen<br />

Sohn, ein ursprüngliches Gefühl der Eifersucht <strong>und</strong><br />

Ablehnung, das sich gegen seinen Vater wendete –<br />

eine Wut, <strong>die</strong> darauf ausgerichtet war, dessen Autorität<br />

zu untergraben <strong>und</strong> <strong>die</strong> Bindung an seine Mutter<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Geschwister zu festigen. Jeder unberechenbare<br />

Ausbruch seines Vaters, jede böse Schimpftirade<br />

gegen seinen Sohn führte lediglich dazu, dass<br />

man <strong>Tom</strong> noch mehr schützende Sympathie zukommen<br />

ließ, was wiederum seinen Vater immer weiter an<br />

den Rand des gemeinsamen Familienlebens drängte.<br />

Je mehr <strong>Tom</strong> senior in der eigenen Familie in <strong>die</strong> Isolation<br />

geriet, desto stärker wurde er auch in der Öffentlichkeit<br />

zum Außenseiter. Allmählich verwandelte<br />

er sich in einen zornigen jungen Mann, der mit dem<br />

Establishment nichts zu tun haben wollte. Aufgr<strong>und</strong><br />

seiner katholischen Erziehung lehnte er jede Form organisierter<br />

Gläubigkeit ab; er äußerte Misstrauen gegenüber<br />

Ärzten <strong>und</strong> jeder Form von konventioneller<br />

Medizin. Er war eine ruhelose, unzufriedene Seele, gab<br />

seine Arbeit auf <strong>und</strong> hoffte darauf, mit diversen eigenen<br />

Erfindungen reich zu werden. Sein geheimer Alkoholismus<br />

verstärkte seine Ausfälle, seine torkelnden<br />

Tiraden <strong>und</strong> unberechenbaren Anfälle von Wut <strong>und</strong><br />

Brutalität, <strong>die</strong> alsbald immer wieder Reue aufkommen<br />

ließen. »Er war eine komplexe Persönlichkeit <strong>und</strong> sorgte<br />

in der Familie für ziemliches Chaos«, bemerkte <strong>Tom</strong><br />

später einmal. Schließlich wurde es Mary Lee zu viel.<br />

Es zeigt, wie schwer das Leben mit Thomas Mapother<br />

III gewesen sein muss, dass sogar eine Person wie<br />

-28-


Mary Lee – eine handfeste, starke, gläubige Katholikin,<br />

<strong>die</strong> regelmäßig in <strong>die</strong> Kirche ging -sich schließlich von<br />

ihrem Gatten trennte. »Es war eine Zeit der Veränderung,<br />

eine Zeit voller Konflikte«, weitere Kommentare<br />

über <strong>die</strong>ses bedauerliche Ereignis ersparte sie sich.<br />

Für eine Frau mit einem Hang zum Theatralischen<br />

war das Ende der Familie in der Tat ein dramatisches<br />

Ereignis. Mary Lee plante den Auszug von zu Hause<br />

mit der Präzision einer militärischen Operation. Sie<br />

sagte <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> seinen Schwestern, sie sollten ihre Koffer<br />

packen <strong>und</strong> neben den Betten für den Fall der<br />

Flucht bereithalten. Eines Morgens im Frühjahr 1974,<br />

um halb fünf, als ihr Mann aus irgendeinem Gr<strong>und</strong>e<br />

nicht zu Hause war, packte Mary Lee ihre Kinder in<br />

den Kombi <strong>und</strong> machte sich auf den Weg zur Grenze.<br />

»Wir kamen uns vor wie Flüchtlinge«, erinnert sich<br />

<strong>Tom</strong>. Die Geheimnistuerei, <strong>die</strong> mit der ganzen Sache<br />

verb<strong>und</strong>en war, basierte auf der irrtümlichen Annahme,<br />

dass Mary Lees Gatte sie nach kanadischem Recht<br />

am Verlassen des Landes hätte hindern können.<br />

Sie fuhren <strong>die</strong> 1200 Kilometer von Ottawa nach<br />

Louisville, wo Mary Lees Mutter Comala <strong>und</strong> ihr Bruder<br />

Jack bereits auf sie warteten. Die Kinder der Mapothers<br />

kannten <strong>die</strong> Strecke; <strong>die</strong> Familie war oft in den<br />

Sommerferien nach Kentucky gefahren, um dort <strong>die</strong><br />

Verwandtschaft zu besuchen. Während sie also jetzt<br />

im Auto saßen <strong>und</strong> zur Musik aus dem Radio sangen,<br />

um <strong>die</strong> Stimmung ein bisschen zu heben, dachte vermutlich<br />

keines der Kinder, dass sie ihren Vater nur<br />

noch dreimal in ihrem Leben Wiedersehen würden. Sie<br />

hatten sich nicht von ihm verabschiedet, auch von ihren<br />

Schulfre<strong>und</strong>en nicht. Später machte sich <strong>Tom</strong>s<br />

jüngere Schwester Cass <strong>die</strong> Mühe, ihrer Lehrerin eine<br />

»liebreizende« Nachricht zu schicken, um sich für all<br />

<strong>die</strong> Hilfe zu bedanken, <strong>die</strong> sie ihr hatte angedeihen lassen.<br />

-29-


Nachdem <strong>die</strong> erste Aufregung vorüber war, dämmerte<br />

ihnen allmählich, worauf sie sich eingelassen hatten.<br />

Mary Lee <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kinder hatten eine sichere, gut<br />

beleum<strong>und</strong>ete Wohngegend verlassen, wo es hervorragende<br />

Schulen gab; sie hatten ihre Fre<strong>und</strong>e zurückgelassen,<br />

<strong>und</strong> das alles im Hinblick auf eine höchst<br />

ungewisse Zukunft. Zudem wurde ihnen das volle<br />

Ausmaß ihrer problematischen finanziellen Situation<br />

erst klar, als sich <strong>Tom</strong>s Vater weigerte, Unterhalt für<br />

<strong>die</strong> Kinder zu zahlen. Zunächst sprang Mary Lees Familie<br />

ein. Ihr Bruder, ihre Mutter <strong>und</strong> andere Familienmitglieder<br />

unterstützten sie <strong>und</strong> zahlten <strong>die</strong> Miete<br />

für das Haus, das sie in der Taylorsville Road in den<br />

östlichen Vororten gemietet hatten. Offensichtlich legten<br />

sie <strong>und</strong> <strong>die</strong> Familie Mapother auch zusammen, um<br />

das Schulgeld für <strong>Tom</strong>s katholische Privatschule St.<br />

Raphael zu zahlen, <strong>die</strong> Kinder bis zur achten Klasse<br />

unterrichtet.<br />

Wenigstens einen Vorteil hatte der Umzug nach Süden<br />

für <strong>Tom</strong>. Als er in <strong>die</strong> Schuleishockeymannschaft<br />

aufgenommen wurde, war er der <strong>Star</strong> aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

Erfahrungen in Kanada. Während eines Spiels in Indiana<br />

war ein Spieler der gegnerischen Mannschaft dermaßen<br />

frustriert von <strong>Tom</strong>s Fertigkeiten auf dem Eis,<br />

dass er ihn beim Trikot packte <strong>und</strong> von der Spielfläche<br />

schmiss.<br />

Allerdings ließen sich <strong>die</strong> Schwierigkeiten, in denen<br />

<strong>die</strong> Familie jetzt steckte, nicht mehr verbergen. Auf <strong>die</strong><br />

Großzügigkeit der Verwandtschaft konnte man sich<br />

nicht ewig verlassen. Jeder musste etwas beitragen.<br />

Die beiden ältesten Töchter, Lee Anne <strong>und</strong> Marian, arbeiteten<br />

nebenher als Kellnerinnen, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> tat das,<br />

was er früher gemacht hatte: Er trug Zeitungen aus,<br />

mähte den Rasen der Nachbarn <strong>und</strong> machte ihnen den<br />

Hof sauber. Diesmal gab er das Geld, das er ver<strong>die</strong>nte,<br />

nicht fürs Kino aus oder kaufte sich Süßigkeiten, son-<br />

-30-


dern erbrachte damit seinen Beitrag zur Haushaltskasse.<br />

»Keine Arbeit war ihm zu schwer oder zu schmutzig,<br />

solange er damit Geld ver<strong>die</strong>nen <strong>und</strong> seine Mutter<br />

unterstützen konnte«, erinnert sich der Nachbar Bill<br />

Lewis, ein ehemaliger Soldat der Marines, der sich mit<br />

dem jungen <strong>Tom</strong> anfre<strong>und</strong>ete. Nicht, dass <strong>Tom</strong> der<br />

Heilige war, als den man ihn porträtierte. Er prahlte<br />

damit, dass er vierzehnmal den Film <strong>Star</strong> Wars gesehen<br />

habe <strong>und</strong> den Eintritt jedes Mal von seinem<br />

selbstver<strong>die</strong>nten Geld bezahlte. Einmal machte er auch<br />

den Hof seines Nachbarn nur sehr oberflächlich sauber,<br />

weil er dringend ins Kino wollte, wo sein Lieblingskriegsfilm<br />

Midway lief, ein Spielfilm über <strong>die</strong> See-<br />

<strong>und</strong> Luftschlachten im Zweiten Weltkrieg im Pazifik.<br />

Seine Mutter war im Wesentlichen <strong>die</strong> Alleinver<strong>die</strong>nerin,<br />

sie hatte drei Teilzeitjobs, um <strong>die</strong> Rechnungen bezahlen<br />

zu können. »Meine Mutter hätte auch jeden<br />

Morgen heulend am Tisch sitzen können«, erinnert<br />

sich <strong>Tom</strong>. »Aber das tat sie nicht. Mama war sehr<br />

stolz. Sie hatte ihre Würde. Sie arbeitete hart für<br />

uns.« Zwar bekam <strong>die</strong> Familie Sozialhilfe in Form von<br />

Essensgutscheinen, aber auf eine volle Unterstützung<br />

hatte Mary Lee keinen Anspruch, da sie zu viele Arbeitsstellen<br />

hatte.<br />

Das Jonglieren mit den drei Arbeitsstellen hatte natürlich<br />

seinen Preis. Einmal rutschte sie auf einer<br />

Scheibe aus, als ihr Chef in dem Elektroladen, in dem<br />

sie arbeitete, sie bat, alleine eine Waschmaschine<br />

wegzuschieben. Sie war daraufhin acht Monate in Gips<br />

<strong>und</strong> dermaßen unbeweglich, dass eine Fre<strong>und</strong>in der<br />

Familie bei ihnen einziehen musste, um im Haushalt<br />

behilflich zu sein. Aus dem Elektrogeschäft kam nie<br />

eine Entschuldigung, geschweige denn, dass man ihr<br />

Schadensersatz oder Schmerzensgeld anbot.<br />

<strong>Der</strong> neue junge Haushaltsvorstand war über den Umgang<br />

mit seiner Mutter verärgert <strong>und</strong> von einer ohn-<br />

-31-


mächtigen Wut gepackt. Noch heute bringt ihn <strong>die</strong> Erinnerung<br />

an <strong>die</strong>sen Vorfall in Rage. »Er [der Geschäftsführer<br />

des Ladens] kümmerte sich einen Dreck<br />

um seine Angestellten. Meine Mutter ist sicherlich keine<br />

verbitterte Person, aber ich erinnere mich, dass ich<br />

mich wahnsinnig über <strong>die</strong>sen Vorfall aufgeregt habe.«<br />

Besorgt um seine Mutter <strong>und</strong> darauf bedacht, sich um<br />

seine Schwestern zu kümmern, nahm <strong>Tom</strong> seine neue<br />

Rolle sehr ernst. In einem Alter, in dem Teenager für<br />

gewöhnlich wenig Zeit <strong>und</strong> Aufmerksamkeit für ihre<br />

Mütter haben, kam <strong>Tom</strong> der seinen sogar näher. Er<br />

bew<strong>und</strong>erte Mary Lee für ihre bedingungslose Liebe,<br />

ihre Standhaftigkeit <strong>und</strong> ihren Optimismus: Sie war<br />

der Mensch, für den das Glas immer halbvoll <strong>und</strong> nicht<br />

halbleer war, <strong>die</strong> morgens sang <strong>und</strong> sich Fremden gegenüber<br />

gastfre<strong>und</strong>lich zeigte. Als Mary Lee schließlich<br />

wieder anfing zu arbeiten, wurde sie von <strong>Tom</strong> verwöhnt,<br />

zumindest während der Fastenzeit. Sechs Wochen<br />

lang wusch er ihr jeden Tag <strong>die</strong> Füße <strong>und</strong> massierte<br />

sie eine halbe St<strong>und</strong>e lang, wenn sie nach Hause<br />

kam.<br />

Was seine älteren Schwestern anbelangt, so war er<br />

auch hier sehr einnehmend. Ihre Fre<strong>und</strong>e mussten vor<br />

seinem kritischen Auge bestehen, <strong>und</strong> mehrmals drohte<br />

er ihnen, falls sie <strong>die</strong> Linie des Anstands im Umgang<br />

mit seinen Schwestern überschreiten sollten. Einmal<br />

soll er sogar dem Fre<strong>und</strong> seiner Schwester Marian gedroht<br />

haben, ihn »umzubringen«, falls er es wagen<br />

sollte, sie zu berühren, da er wusste, dass der Junge<br />

etwas mit einem anderen Mädchen hatte. »Es war mir<br />

egal, ich bin absolut loyal«, sagte er. Seine älteste<br />

Schwester, Lee Anne, meinte, er habe immer eher wie<br />

ein älterer Bruder reagiert <strong>und</strong> nicht wie der jüngere.<br />

»Er hat sich sehr um uns gekümmert <strong>und</strong> war immer<br />

besorgt«, erinnert sie sich. »Immer wenn eines von<br />

uns Mädchen mit einem neuen Jungen ausging, war<br />

-32-


das erste Treffen mit <strong>Tom</strong> eine große Sache. Seine<br />

Meinung war für uns alle immer sehr wichtig.«<br />

Zwar fühlte er sich in der Gegenwart von Frauen immer<br />

sehr wohl <strong>und</strong> meinte einmal, er vertraue ihnen<br />

mehr als Männern, doch manchmal wurde es ihm auch<br />

zu viel, <strong>und</strong> er rief seinen Cousin „William Mapother<br />

an, der ihm dann Gesellschaft leistete. »Er hatte nur<br />

Schwestern, <strong>und</strong> ich hatte auch nur Schwestern. Also<br />

taten wir uns manchmal als eine Art Schutzgemeinschaft<br />

zusammen. In unser beider Leben gibt es starke<br />

Frauen, <strong>die</strong> nicht auf den M<strong>und</strong> gefallen sind.«<br />

Für seine völlig unkritische Mutter war er der Held,<br />

<strong>und</strong> seine Schwestern bew<strong>und</strong>erten ihn, während der<br />

Vater mit Verachtung gestraft wurde. All das stieg ihm<br />

ziemlich zu Kopf. Wie ein Fre<strong>und</strong> der Familie unter<br />

dem Siegel der Verschwiegenheit anmerkte: »Er meinte,<br />

alle Rechte zu haben. Er war immer der König,<br />

wenn er sich mit anderen verglich.«<br />

<strong>Tom</strong>s Autorität dehnte sich bald über den engeren<br />

Familienkreis hinaus aus. <strong>Der</strong> Junge zeigte jene draufgängerische<br />

Führernatur, <strong>die</strong> ihn bei seinen Schulkameraden<br />

in Ottawa so beliebt gemacht hatte. Seine<br />

Geschichten über seine Erlebnisse jenseits des engen<br />

Horizonts von Kentucky in Kombination mit seiner geradezu<br />

gefährlich anmutenden Dreistigkeit gaben ihm<br />

eine strahlende <strong>und</strong> aufregende Aura. »Für <strong>die</strong> Kinder<br />

in der Nachbarschaft war er der Anführer«, erinnert<br />

sich sein ehemaliger Jugendfre<strong>und</strong> <strong>Tom</strong>my Puckett.<br />

»Er belohnte unsere Loyalität mit Zigaretten aus dem<br />

Laden an der Ecke, so dass wir alle etwas zu rauchen<br />

hatten.« Die Jungens zogen los in <strong>die</strong> Felder, <strong>und</strong> Puckett<br />

nahm sein Luftgewehr mit, mit dem sie auf <strong>die</strong><br />

Tiere schossen, <strong>die</strong> sie sahen. <strong>Tom</strong> soll ein guter<br />

Schütze gewesen sein.<br />

Aber er war doch nicht ganz der Meister aller Klassen<br />

in seinem Umfeld. Einmal hätte er sich beinahe ernste<br />

-33-


Verletzungen zugezogen, als er mit einem Motorrad<br />

gegen eine Hauswand fuhr. Er hatte gegenüber seinen<br />

älteren Fre<strong>und</strong>en damit angegeben, dass er sich mit<br />

Motorrädern gut auskenne <strong>und</strong> ein erfahrener Fahrer<br />

sei, dabei war er noch nie auf einem gesessen. Er<br />

verwechselte das Gaspedal mit der Bremse <strong>und</strong> raste<br />

durch <strong>die</strong> Büsche hindurch auf eine Ziegelwand. »Ich<br />

hätte mich beinahe selbst umgebracht, nur um auch<br />

einer von den Jungs zu sein«, gab er später zu.<br />

Näher an seinen heimatlichen Gefilden, traf der neue<br />

Herrscher unerwartet auf den abgesetzten König, seinen<br />

Vater. Es war ein eher unangenehmes Zusammentreffen<br />

auf der Straße in Louisville. <strong>Tom</strong>s Vater<br />

war irgendwann seiner Familie nach Kentucky hinterhergereist<br />

<strong>und</strong> soll dort angeblich versucht haben, sich<br />

mit seiner Frau wieder zu versöhnen, was ihm jedoch<br />

nicht gelang. <strong>Tom</strong>s Vater versuchte gar nicht mehr,<br />

den Eindruck zu erwecken, dass er einer beruflichen<br />

Tätigkeit nachginge. Er lebte von der Hand in den<br />

M<strong>und</strong> <strong>und</strong> nahm jeden erdenklichen Billigjob an. Er soll<br />

sogar einmal beim Bau einer Autobahn mitgearbeitet<br />

haben. Bei seinem eher unangenehmen Zusammentreffen<br />

mit seiner Familie nach Monaten der Trennung<br />

fragte <strong>Tom</strong> senior seinen Sohn <strong>und</strong> dessen Schwester,<br />

ob sie mit ihm in ein Autokino fahren wollten, womit er<br />

wohl an glücklichere Tage eines gemeinsamen Familienlebens<br />

erinnern wollte. <strong>Tom</strong> hat von <strong>die</strong>ser Konfrontation<br />

nie gesprochen, aber sein Vater erzählte später<br />

einem Lokalreporter, sein Sohn habe ihm lediglich gesagt,<br />

er solle »sich zum Teufel noch mal hier raushalten«.<br />

Die Art, wie er im Leben seines Sohnes auftauchte,<br />

erschien vielen in Louisville unverständlich. Am 1. August<br />

1975, gerade mal drei Wochen nach <strong>Tom</strong>s dreizehntem<br />

Geburtstag, wurde <strong>die</strong> Ehe von Mary Lee <strong>und</strong><br />

Thomas Mapother geschieden, <strong>und</strong> Mary Lee nahm<br />

-34-


wieder ihren Mädchennamen an. Sie hieß jetzt Pfeiffer.<br />

Gerade mal sechs Wochen später, nachdem er zwei<br />

Wochen eine neue Flamme umworben hatte, heiratete<br />

sein Vater wieder. Im August, dem Monat der offiziellen<br />

Scheidung, hatte er Joan Lebendiger kennengelernt,<br />

<strong>die</strong> Witwe eines angesehenen Arztes aus der<br />

Gegend, der im November des vergangenen Jahres im<br />

Alter von 46 Jahren gestorben war. Die Anziehung<br />

zwischen den beiden basierte auf Gegenseitigkeit <strong>und</strong><br />

war offensichtlich sehr spontan, denn innerhalb weniger<br />

Tage beschlossen sie zu heiraten. Joan Lebendiger<br />

machte ihrem Namen alle Ehre. Die Familie der Mapothers<br />

war überrascht, aber <strong>die</strong> vier Kinder der Lebendigers<br />

waren total schockiert. »Meine Mutter erzählte<br />

mir am Dienstag beim Abendessen, dass sie<br />

vorhabe zu heiraten, <strong>und</strong> am Samstag haben <strong>die</strong> beiden<br />

dann wirklich geheiratet«, erinnert sich Jonathan<br />

Lebendiger, der damals mit dreizehn so alt war wie<br />

sein zukünftiger Stiefbruder. <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> seine Schwestern<br />

waren bei der standesamtlichen Trauungszeremonie<br />

mit dabei, <strong>die</strong> in ihrem Haus in der Newburg<br />

Road 2811 stattfand. Abgesehen von dem üblichen<br />

Small Talk anlässlich der Hochzeitsfeier, hatte <strong>Tom</strong> mit<br />

seiner »zweiten Familie« nie wieder Kontakt.<br />

Die Hochzeit war sehr überstürzt gekommen, <strong>und</strong><br />

kaum hatten Jonathan Lebendiger, sein Bruder Gary<br />

<strong>und</strong> seine Schwestern Jamie <strong>und</strong> Leslie <strong>die</strong> Neuigkeit<br />

verdaut, dass ihre Mutter zum zweiten Male geheiratet<br />

hatte, standen sie plötzlich im wahrsten Sinne des<br />

Wortes verlassen <strong>und</strong> allein da. Ihre Mutter <strong>und</strong> ihr<br />

neuer Gatte machten sich davon nach Florida, wo sie<br />

ein neues Leben beginnen wollten.<br />

In <strong>die</strong>ser Situation kümmerten sich Verwandte <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>e der Familie um <strong>die</strong> Kinder der Lebendigers.<br />

Das einzige Geld, das ihnen blieb, war <strong>die</strong> Hinterlassenschaft<br />

ihres verstorbenen Vaters. Weder ihre Mut-<br />

-35-


ter noch ihr neuer Stiefvater steuerten für ihren Lebensunterhalt<br />

etwas bei. <strong>Tom</strong> Mapother unterstützte<br />

darüber hinaus auch seine eigene Familie finanziell<br />

nicht.<br />

Es ist kein W<strong>und</strong>er, dass der Nachwuchs der Lebendigers<br />

verärgert <strong>und</strong> verbittert auf jenen Mann reagierte,<br />

der ihr Leben aus dem Lot gebracht hatte. »Er<br />

war das schwarze Schaf der Familie Mapother«, sagt<br />

Jonathan Lebendiger, der heute als Immobilienmakler<br />

in Philadelphia lebt. »Ich weiß nicht, was er für ein<br />

Verhältnis zu seinem Sohn hatte, aber ich weiß, dass<br />

mit ihm etwas faul war. In der Familie gab es viele<br />

Rechtsanwälte, <strong>und</strong> er widersetzte sich allem, wofür<br />

<strong>die</strong>se Familie stand. Damals war ich ziemlich wütend.<br />

Heute ist es mir egal.« Die Verbindung zwischen <strong>Tom</strong>s<br />

Vater <strong>und</strong> der Mutter von Jonathan Lebendiger – eine<br />

große Leidenschaft oder Akt eines verzweifelten Leidens<br />

– hielt gerade mal vier Jahre. Dann trennten sich<br />

<strong>die</strong> beiden. Joan, <strong>die</strong> für ihr Leben gerne Bridge spielte,<br />

zog nach Los Angeles. Kurz vor ihrem Tod im Jahr<br />

2005 versöhnte sie sich mit ihren Kindern. »Sie sagte<br />

immer, sie habe alles getan, was sie konnte, aber sie<br />

sei eben nicht als Mutter geeignet«, erinnert sich Jonathan.<br />

»Dabei sollte man es belassen.«<br />

Die Verwandtschaft der Lebendigers war durch das<br />

Verhalten von <strong>Tom</strong>s Vater gekränkt, aber <strong>die</strong> Familie<br />

der Mapothers war »entsetzt«. »Ich kann mir nicht<br />

vorstellen, dass ein normaler Mensch seine Frau mit<br />

vier Kindern auf <strong>die</strong>se Art sitzenlässt«, sagte Caroline<br />

Mapother im Interview mit dem Schriftsteller Wesley<br />

Clarkson. Jahrelang hörte man nichts von <strong>Tom</strong> Mapother<br />

III – keine Nachricht, kein Brief, nicht einmal<br />

eine Weihnachtskarte. Bezeichnenderweise ist für <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> das Weihnachtsfest nach der Scheidung im Jahr<br />

1975 eine bleibende Erinnerung. Da sie gerade mal<br />

genügend Geld hatten, um etwas zu essen zu kaufen,<br />

-36-


schlug seine Mutter vor, ein jeder solle im Vorhinein<br />

aus einem Hut einen Zettel mit einem Namen ziehen<br />

<strong>und</strong> dem Betreffenden dann insgeheim etwas Gutes<br />

tun. Erst am Weihnachtstag dürften sich <strong>die</strong> Wohltäter<br />

dann zu erkennen geben. An <strong>die</strong>sem Tag lasen sie sich<br />

dann Gedichte vor <strong>und</strong> spielten sich gegenseitig kleine<br />

Paro<strong>die</strong>n der jeweils anderen vor. »Wir hatten praktisch<br />

kein Geld, aber es war phantastisch«, erzählt<br />

<strong>Tom</strong> seither, wenn er von <strong>die</strong>ser Zeit des Lebens aus<br />

dem Secondhandladen <strong>und</strong> des morgendlichen Zeitungsaustragens<br />

erzählt. Trotzdem lebte <strong>die</strong> Familie<br />

damals in einem schmucken Haus mit vier Schlafzimmern<br />

am Cardwell Way – in einem Viertel, in dem man<br />

im Garten seinen eigenen Swimmingpool hatte. Die<br />

Familie der Mapothers hat immer betont, dass sie darauf<br />

bedacht war, Mary Lee <strong>und</strong> ihren Kindern ein Leben<br />

in Armut zu ersparen. Wie Caroline Mapother feststellt:<br />

»Wenn es heißt, wir hätten uns nicht gekümmert,<br />

ärgert mich das, denn <strong>Tom</strong>s Großmutter tat<br />

alles, um <strong>die</strong> Kinder zu unterstützen <strong>und</strong> ihnen zu helfen,<br />

besonders nachdem sich <strong>Tom</strong> III aus dem Staub<br />

gemacht hatte.«<br />

<strong>Tom</strong> hatte ein besonders enges Verhältnis zu seinem<br />

Großvater, <strong>Tom</strong> Mapother II, einem pensionierten<br />

Rechtsanwalt, der Tausende von Geschichten über <strong>die</strong><br />

schrägen Figuren aus seiner Zeit als Anwalt zu erzählen<br />

wusste. Auch kannte er viele Geschichten aus der<br />

Jugendzeit von <strong>Tom</strong>s Vater. Einmal nahm er <strong>Tom</strong> <strong>und</strong><br />

seinen Cousin William im Sommer mit nach Washington,<br />

um dort <strong>die</strong> Sehenswürdigkeiten anzuschauen,<br />

<strong>und</strong> nachdem <strong>Tom</strong> 1976 von der St.-Raphaels-Schule<br />

abgegangen war, erbot er sich, sein Schuldgeld für <strong>die</strong><br />

renommierte St. Xavier’s Highschool zu übernehmen,<br />

eine katholische Schule für Jungen, auf <strong>die</strong> auch William<br />

gehen sollte.<br />

-37-


<strong>Tom</strong> lehnte das großzügige Angebot seines Großvaters<br />

mit der Begründung ab, dass er nicht auf eine solche<br />

Schule gehen wolle, solange seine Schwestern<br />

nicht auch dazu Gelegenheit hätten; er wolle nicht als<br />

Junge gegenüber den Mädchen bevorzugt werden.<br />

Dieses Argument erscheint allerdings recht komisch,<br />

da <strong>die</strong> St.-Xavier’s-Schule ohnehin eine reine Jungenschule<br />

war <strong>und</strong> seine beiden älteren Schwestern<br />

Lee Anne <strong>und</strong> Marian bereits auf eine Highschool gingen<br />

<strong>und</strong> dort kurz vor ihrem Abschluss standen. Später<br />

erzählte <strong>Tom</strong> James Lipton in einem Fernsehinterview,<br />

dass <strong>die</strong>s der entscheidende Gr<strong>und</strong> für ihn gewesen<br />

sei, sich h<strong>und</strong>ert Meilen weiter nördlich in Cincinnati<br />

in einem katholischen Seminar einzuschreiben.<br />

Sein einjähriger Aufenthalt in dem Internat von St.<br />

Francis wurde gemeinhin als Hinweis auf seinen<br />

Wunsch, Priester zu werden, interpretiert. Später<br />

nannte er dafür einen weit weniger romantischen<br />

Gr<strong>und</strong>: »Wir hatten damals nicht das Geld, <strong>und</strong> ich<br />

ging dorthin, weil <strong>die</strong> Schule im ersten Jahr gratis<br />

war.« Aber er spielte in <strong>die</strong>ser Zeit durchaus mit dem<br />

Gedanken, einem Orden beizutreten. »Ich sah mir <strong>die</strong><br />

Priester an <strong>und</strong> sagte mir: >Das könntest du auch machen


Zeit mit einh<strong>und</strong>ert anderen Jungen, von denen viele<br />

aus geschiedenen Ehen stammten, als <strong>die</strong> beste Phase<br />

seiner Schulzeit beschrieben.<br />

<strong>Tom</strong> schätzte möglicherweise <strong>die</strong> Disziplin <strong>und</strong> das<br />

klare Reglement eines kirchlichen Internats; jeden Tag<br />

wurde <strong>die</strong> Messe gelesen. Darüber hinaus mag er Gefallen<br />

an dem stürmischen kameradschaftlichen Gedränge<br />

eines Schlafsaals mit zwanzig anderen Jungen<br />

gef<strong>und</strong>en haben. Das Gefühl der Gemeinschaft <strong>und</strong><br />

das Bedürfnis, zu einer Gruppe zu gehören, ist ein<br />

durchgängiges Motiv in <strong>Tom</strong>s Erzählungen über sein<br />

eigenes Gefühlsleben. Normalerweise erfüllte <strong>die</strong> Familie<br />

einen Teil <strong>die</strong>ser Bedürfnisse, <strong>und</strong> weit weg von<br />

der Heimat war ihm das klösterliche Leben ein guter<br />

Ersatz für <strong>die</strong>se emotionale Wärme. »Er hatte immer<br />

ein Lächeln im Gesicht«, erinnert sich Pater John<br />

Boehman, der Rektor <strong>und</strong> Leiter des heute geschlossenen<br />

Seminars war. »Aber er fiel auf, weil er<br />

der Kleinste in seiner Klasse war, <strong>und</strong> wir ließen ihm<br />

hier nicht alles durchgehen.«<br />

<strong>Tom</strong> wurde Mitglied im Gesangsverein, spielte Basketball,<br />

auch wenn er der kleinste Spieler des Teams<br />

der ersten Klassen war, <strong>und</strong> er war zudem Mitglied der<br />

Fußballmannschaft der Saints. Es gab Bastelst<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> ferngesteuerte Boote <strong>und</strong> Modellflugzeuge – genau<br />

das Richtige für einen Jungen, der eine Passion für<br />

das Fliegen hatte. Und was eine noch viel größere<br />

Freude war: Zum ersten Mal in seiner Schulkarriere<br />

bestand er ein Jahr mit Auszeichnung.<br />

Angesichts <strong>die</strong>ser sehr positiven Erinnerungen ist es<br />

verw<strong>und</strong>erlich, dass er nur ein Jahr an <strong>die</strong>sem Seminar<br />

blieb <strong>und</strong> im Sommer des Jahres 1977 beschloss, zurück<br />

auf <strong>die</strong> Schule nach Louisville zu gehen – besonders<br />

wenn man bedenkt, dass er dort bei den Barratts,<br />

seinem Onkel <strong>und</strong> seiner Tante, leben musste, da Mary<br />

Lee <strong>und</strong> seine Schwestern sich <strong>die</strong> Miete für das<br />

-39-


Haus nicht mehr leisten konnten <strong>und</strong> bei ihrer Mutter<br />

untergeschlüpft waren. Er schrieb sich an der katholischen<br />

St. Xavier’s Highschool ein <strong>und</strong> ver<strong>die</strong>nte gemäß<br />

seiner eigenen Aussage das Schulgeld mit Zeitungsaustragen<br />

<strong>und</strong> als Aushilfskraft in einem Eissalon in<br />

der Innenstadt von Louisville. Das klingt nach einer<br />

nicht sehr vernünftigen Entscheidung. <strong>Tom</strong> wusste,<br />

dass sein Großvater ihm angeboten hatte, das Schulgeld<br />

zu zahlen, <strong>und</strong> jetzt, wo Lee Anne <strong>die</strong> Schule verlassen<br />

hatte <strong>und</strong> seine anderen Schwestern in ihren<br />

jeweiligen Schulen untergebracht waren, war sein ursprünglicher<br />

Gr<strong>und</strong>, <strong>die</strong>ses großzügige Angebot abzulehnen,<br />

ebenfalls entfallen.<br />

<strong>Der</strong> Stolz des Teenagers <strong>und</strong> <strong>die</strong> Einsicht, dass Modellflugzeuge<br />

kein Ersatz für das schöne Geschlecht<br />

sind, können vielleicht seine Rückkehr nach Louisville<br />

erklären. In seiner Zeit im Seminar besuchten <strong>die</strong> Jungen<br />

Mädchen aus der Gegend zu Hause; man unterhielt<br />

sich <strong>und</strong> spielte Flaschendrehen. »Ich merkte,<br />

dass mir Frauen zu wichtig waren, um sie vollständig<br />

aufzugeben«, erinnert er sich später. Mit seinen<br />

Fre<strong>und</strong>en zog er durch Louisville auf der Suche nach<br />

Abwechslung, hing in der lokalen Shopping-Mall herum<br />

<strong>und</strong> spielte Flipper. Sein Glück bei den Frauen, das<br />

sich schon in seinen vielen Eroberungen in Ottawa gezeigt<br />

hatte, verließ ihn auch in seiner neuen Heimatstadt<br />

nicht. Jahrelang gab Laurie Hobbs, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong> als<br />

Schülerin der Sacred Heart School in Louisville kennengelernt<br />

hatte, damit an, sie sei es gewesen, <strong>die</strong><br />

dem größten männlichen Sexsymbol das Küssen beigebracht<br />

hatte. Vermutlich war er zu sehr Gentleman,<br />

um über seine früheren Erfahrungen zu reden, doch<br />

eigentlich hätte sie, wenn man sie so reden hört, auch<br />

von selbst darauf kommen können. »Ich weiß noch,<br />

wie ich mir dachte, es ist erstaunlich, wie gut er küssen<br />

konnte. Wir flossen geradezu ineinander <strong>und</strong> hin-<br />

-40-


gen zusammen. Ich musste ihm sogar sagen, dass er<br />

seine Hände bei sich behalten solle.«<br />

Das kräftige Fummeln gehörte zum Leben der Teenager<br />

dazu. Wenn <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>e nicht gerade<br />

auf der Suche nach irgendwelchen Mädchen waren,<br />

ließ es sich meist nicht vermeiden, dass sie irgendwie<br />

in Schwierigkeiten kamen. Zwar war er mit fünfzehn<br />

zu jung, um den Führerschein zu machen, aber er fuhr<br />

mit geliehenen Autos in der Stadt herum. Einmal kam<br />

er in eine Polizeikontrolle, als er eine Einbahnstraße in<br />

verkehrter Richtung fuhr. Die Beamten sahen ihm ungerührt<br />

zu, wie er versuchte, das Auto zu wenden, bevor<br />

sie ihn stoppten.<br />

Er ließ keine Gelegenheit aus, sich <strong>und</strong> anderen etwas<br />

zu beweisen. Einmal zog er sich nackt aus <strong>und</strong> lief<br />

<strong>die</strong> Straße hinunter, während seine Fre<strong>und</strong>e zuschauten.<br />

Er rannte dabei im wahrsten Sinne des Wortes in<br />

sein Unglück, denn er wurde beim Überqueren der<br />

Straße von einem vorbeifahrenden Polizeiauto auf <strong>die</strong><br />

Stoßstange genommen. Einer seiner ehemaligen<br />

Fre<strong>und</strong>e erzählt, er hätte <strong>die</strong> Frechheit besessen, den<br />

Beamten zu erzählen, dass er sich aus seiner Wohnung<br />

ausgesperrt habe, nachdem er in der Badewanne<br />

gewesen sei. Sehr zu seinem Ärger packten ihn <strong>die</strong><br />

Beamten in einen Uniformmantel <strong>und</strong> fuhren ihn nach<br />

Hause. <strong>Tom</strong>my Puckett erinnert sich an eine Halloweenfeier,<br />

bei der <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> anderen sich zum<br />

Spaß als Mädchen verkleideten.<br />

Allerdings verging <strong>Tom</strong> das Lachen, als er feststellen<br />

musste, dass seine Mutter eine Affäre mit Jack South,<br />

einem Vertreter für Plastikwaren, hatte, den sie bei<br />

einer Messe für elektronische Geräte kennengelernt<br />

hatte. Für einen jungen Mann, der es gewohnt war, <strong>die</strong><br />

Rolle des Haushaltsvorstands zu spielen, der seine<br />

Mutter verwöhnte <strong>und</strong> ein Auge auf <strong>die</strong> Verehrer seiner<br />

Schwestern hatte, war <strong>die</strong>ser Eindringling eine Bedro-<br />

-41-


hung der eigenen Autorität. Jack South war jedoch<br />

hart, grob <strong>und</strong> nahm kein Blatt vor den M<strong>und</strong>; insofern<br />

war er für den jungen Besserwisser eine ziemliche<br />

Herausforderung. Es kam zur unvermeidlichen Konfrontation<br />

zwischen den beiden, <strong>und</strong> um ihre Beziehung<br />

stand es lange Zeit ziemlich schlecht. Doch ihre<br />

gemeinsamen Interessen – Sport, Filme <strong>und</strong> »Männersachen«,<br />

besonders Glücksspiele – führten sie schließlich<br />

zusammen. Dass <strong>Tom</strong> bei den Wetten, <strong>die</strong> sie gegeneinander<br />

abschlossen, immer <strong>die</strong> richtige Wahl<br />

traf, schien ihre Fre<strong>und</strong>schaft etwas zu befördern. Und<br />

zudem war Jack South nun ein Dauergast in seinem<br />

Leben. Er heiratete Mary Lee 1978 <strong>und</strong> nahm kurz<br />

darauf eine Arbeit in New Jersey an. Die Familie zog<br />

also wieder einmal um. Diesmal aber reisten alle gemeinsam.<br />

-42-


2<br />

Jeder an der Schule bekam Herzklopfen, wenn er<br />

Lorraine Gauli sah. Sie war <strong>die</strong> Anführerin der Cheerleader,<br />

<strong>und</strong> normalerweise war es in der Hierarchie der<br />

Schülerschaft klar, dass sie mit dem bestaussehenden<br />

Footballspieler ging. Ihr Ruhm reichte über <strong>die</strong> gut abgeschottete<br />

Grenze ihrer Highschool, <strong>die</strong> von den Kindern<br />

gutbetuchter Eltern besucht wurde, hinaus. Lorraine<br />

Gauli war der <strong>Star</strong> der Fernsehshow für Teenager<br />

The New Voice – ein Vorläufer von Dawson’s Creek<br />

–, für <strong>die</strong> sie regelmäßig zu Aufnahmen nach Boston<br />

fuhr. Für ihre Mitschüler war <strong>die</strong> gutaussehende blonde<br />

Schauspielerin das Mädchen, das auf dem Weg zum<br />

Erfolg war. Sie musste nur zugreifen. So sah es zumindest<br />

aus.<br />

Wäre nur Lorraine Gaulis Liebesleben ebenso reibungslos<br />

verlaufen. Sie <strong>und</strong> der Footballspieler Frank<br />

Gerard galten zwar als das Traumpaar der Schule, aber<br />

sie stritten sich wie H<strong>und</strong> <strong>und</strong> Katze. Er war besitzergreifend<br />

<strong>und</strong> eifersüchtig -ein strammer Kerl von<br />

ein Meter achtzig, mit aufbrausendem Temperament.<br />

Bei einer Party im Haus seines Mitschülers Kevin Forster<br />

stritt sich das Traumpaar wieder einmal. Das war<br />

nichts Ungewöhnliches. Jeder wusste, dass sie sich<br />

später wieder vertragen würden. Sie heulte <strong>und</strong> ging<br />

nach draußen, um frische Luft zu schnappen. <strong>Der</strong> neue<br />

Mitschüler war auch gerade draußen. Klein, drahtig,<br />

mit etwas zu großen Zähnen <strong>und</strong> selbst mit nassen<br />

Klamotten nicht schwerer als fünfzig Kilo, war der<br />

sechzehnjährige <strong>Tom</strong> Mapother – oder Maypo, wie<br />

man ihn nannte – alles andere als das lokale Objekt<br />

der Begierde. Aber der neu an <strong>die</strong> Schule gekommene<br />

-43-


Zweitklässler war nichtsdestotrotz ein angenehmer<br />

Kerl. Mit Lorraine arbeitete er im Chemieunterricht in<br />

einer Gruppe zusammen. Er redete gern <strong>und</strong> viel; man<br />

konnte sich gut mit ihm unterhalten, <strong>und</strong> zudem war<br />

er lustig.<br />

<strong>Tom</strong> fragte Lorraine, ob alles mit ihr in Ordnung sei,<br />

<strong>und</strong> versuchte, sie zu trösten. Dann machte er seinen<br />

ersten großen Fehler. Er legte den Arm um sie, gerade<br />

als ihr Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> seine Kumpel nach draußen kamen,<br />

um nach dem Mädchen zu sehen. Das fehlte dem großen<br />

Zampano gerade noch. Es flogen <strong>die</strong> Fäuste, <strong>und</strong><br />

ein Schwall von Beschimpfungen ergoss sich in den<br />

Garten. »Seitdem du hier aufgetaucht bist, hast du<br />

nichts als Ärger gebracht.« Das war noch eine der<br />

harmloseren Beschimpfungen von Franks Sportkameraden,<br />

<strong>die</strong> über dem kleingewachsenen Leichtgewicht<br />

niedergingen, während Frank ihn vermöbelte. Lorraine<br />

lief ins Haus <strong>und</strong> schrie hysterisch, Klein Maypo blieb<br />

draußen in den Büschen liegen, fast bewusstlos geprügelt.<br />

Schließlich raffte er sich wieder auf, untersuchte<br />

seine Gliedmaßen <strong>und</strong> machte sich auf den<br />

Heimweg. Willkommen in Glen Ridge.<br />

Glen Ridge ist das Beverly Hills von New Jersey, eine<br />

überschaubare, von Angehörigen der oberen weißen<br />

Mittelschicht bewohnte Vorstadt von Montclair, wo<br />

man für gewöhnlich mit einem Porsche oder einem<br />

BMW herumfährt. Die Straßen sind baumbestanden,<br />

dazwischen altmodische Gaslaternen, <strong>und</strong> <strong>die</strong> meisten<br />

der stattlichen Wohnhäuser stammen aus der viktorianischen<br />

Zeit – ein eleganter Ort der Gutbetuchten.<br />

Chirurgen, Steuerberater, Anwälte <strong>und</strong> Leute aus der<br />

Me<strong>die</strong>nbranche wohnen gerne dort, da man von hier<br />

aus schnell nach Manhattan kommt; viele der 7500<br />

Einwohner sind auch wegen der guten Schulen<br />

hierhergezogen. Die Glen Ridge Highschool gilt als eine<br />

der besten des ganzen B<strong>und</strong>esstaates.<br />

-44-


Das ausladende viktorianische Haus an der Washington<br />

Street in dem gefragten South Ender Distrikt, das<br />

<strong>Tom</strong>s Stiefvater für <strong>die</strong> Mapothers 1978 gemietet hatte,<br />

war größer, als sie es gewohnt waren, aber <strong>die</strong><br />

Nachbarschaft von bessergestellten Mittelschichtfamilien<br />

war ihnen durchaus vertraut. Das kannten sie aus<br />

Ottawa <strong>und</strong> Louisville. Zwar lebte man hier in einer<br />

angenehmen Umgebung, aber der Familie ging es finanziell<br />

nicht sehr gut, <strong>und</strong> oft war <strong>die</strong> Speisekammer<br />

gähnend leer. <strong>Tom</strong>s Stiefvater arbeitete als Vertreter<br />

für Plastikwaren, <strong>und</strong> seine Mutter verkaufte Häuser.<br />

Die Schwester hatte Teilzeitstellen als Kellnerin in Glen<br />

Ridge <strong>und</strong> in einem nahe gelegenen Vorort von Bloomfield.<br />

<strong>Tom</strong> arbeitete nebenher in dem schicken Glen<br />

Ridge Country Club, wo sich <strong>die</strong> Ridgers – so nannte<br />

man <strong>die</strong> Bewohner des Ortes – an den Wochenenden<br />

trafen. Dort be<strong>die</strong>nte er <strong>die</strong> Eltern seiner Mitschüler<br />

<strong>und</strong> zum Teil auch <strong>die</strong>se selbst.<br />

Wenn <strong>die</strong> Einkünfte der Familie auch bescheiden waren,<br />

so konnte wenigstens <strong>die</strong> Straße, in der sie wohnten,<br />

auf eine reiche Vergangenheit zurückblicken.<br />

Nach der Schlacht von Monmouth hatte George Washington<br />

in einem der Häuser übernachtet, <strong>und</strong> eines<br />

der anderen stattlichen Anwesen hatte dem Komponisten<br />

William Bradbury gehört, der so bekannte Kirchenlieder<br />

wie Jesus Loves Me sowie Savior, Like a Shepard<br />

Lead Us <strong>und</strong> Just As I Am komponiert hatte.<br />

Aber es gab auch eine weit unchristlichere Seite an<br />

Glen Ridge, mit der <strong>Tom</strong> bald Bekanntschaft machen<br />

sollte: Man war hier völlig in den Sport vernarrt.<br />

Sportler waren <strong>die</strong> ungekrönten Könige; sie gaben alles<br />

auf dem Spielfeld, aber noch mehr bei den anschließenden<br />

Feiern. Zehn Jahre später zeigte sich <strong>die</strong><br />

dunkle Seite <strong>die</strong>ser Vergötterung der Sportskanonen in<br />

den Schulen <strong>und</strong> der Öffentlichkeit. Eine Gruppe allseits<br />

beliebter Athleten der Glen Ridge Highschool<br />

-45-


wurde beschuldigt, ein siebzehnjähriges geistig behindertes<br />

Mädchen vergewaltigt zu haben. Über <strong>die</strong>sen<br />

Vorfall entzweite sich <strong>die</strong> Öffentlichkeit des Ortes. Die<br />

Geschichte wurde in einem Buch verarbeitet, das später<br />

fürs Fernsehen verfilmt wurde. <strong>Der</strong> Autor der Geschichte,<br />

Bernhard Lefkowitz, untersucht darin <strong>die</strong><br />

dunklen <strong>und</strong> geheimen Seiten <strong>die</strong>ser scheinbar perfekten<br />

Kleinstadt.<br />

Für <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> seine Schwestern, <strong>die</strong> in einer wichtigen<br />

Phase ihrer Jugend wieder einmal umziehen mussten,<br />

hieß es jetzt, sich wieder neue Fre<strong>und</strong>e zu suchen.<br />

Wieder mussten sie sich in einer neuen Umgebung<br />

beweisen, mussten sich neuen Gegebenheiten anpassen.<br />

Und das war in Glen Ridge nicht einfach. Die<br />

meisten der sechsh<strong>und</strong>ert Schüler der Glen Ridge<br />

Highschool kannten sich seit dem Kindergarten. Jeder<br />

kannte jeden. Wenn ein Neuer auftauchte, besonders<br />

wenn er klein, dürr <strong>und</strong> sechzehn Jahre alt war <strong>und</strong><br />

auch nicht so aussah, als würde er es in der heiligen<br />

Dreifaltigkeit der Sportarten – Football, Baseball <strong>und</strong><br />

Basketball – zu etwas bringen, dann hatte er es nicht<br />

leicht, da er schlichtweg mit spontaner Ablehnung<br />

rechnen musste. <strong>Tom</strong> konnte nichts richtig machen,<br />

egal was er tat, <strong>und</strong> seine Mitschüler sezierten akribisch<br />

alles, was er machte, <strong>und</strong> maßen es an den hier<br />

herrschenden sozialen Standards. »Er war zu Anfang<br />

bei mir in der Klasse«, erinnert sich Philip Travisano,<br />

ein ehemaliger Schüler der Glen Ridge Highschool. »Er<br />

sprach <strong>die</strong> Lehrerin mit >Ma’am< an, <strong>und</strong> ich dachte,<br />

mein Gott, was für ein Arschkriecher. Später merkte<br />

ich, dass er einfach von Natur aus höflich war.«<br />

Einer, der es gewohnt war, immer der große Anführer<br />

zu sein, muss sich in der Rolle des kleinen Fischs im<br />

feindlichen Teich besonders schwergetan haben. Aber<br />

<strong>Tom</strong> hatte in der Beziehung zu seinem Vater gelernt,<br />

sich zu verstellen, <strong>und</strong> so spielte er eine Rolle <strong>und</strong> ver-<br />

-46-


steckte sich hinter der Maske der Leutseligkeit, um in<br />

<strong>die</strong>sem Dschungel vor der Schultafel zu überleben.<br />

Seine Mitschülerin Nancy Ärmel, deren Onkel stellvertretender<br />

Direktor der Schule war, sollte <strong>Tom</strong> in der<br />

neuen Schule herumführen <strong>und</strong> ihm alles zeigen. Als<br />

sie ihn zum ersten Mal traf, merkte sie seine Unsicherheit.<br />

»Er legte es drauf an, andere zu beeindrucken«,<br />

erinnert sie sich.<br />

Und er hinterließ Eindruck. Da Nancy gleich um <strong>die</strong><br />

Ecke wohnte, kam er vorbei unter dem Vorwand, mit<br />

ihr zusammen Hausaufgaben zu machen; eigentlich<br />

aber wollte er bei ihr herumhängen. In kurzer Folge<br />

stieg sie von der Schulführerin über <strong>die</strong> Mitschülerin<br />

zur Fre<strong>und</strong>in auf. Sie hingen dermaßen zusammen,<br />

dass man sie in der Englischst<strong>und</strong>e trennen musste,<br />

weil sie <strong>die</strong> ganze Zeit miteinander redeten. Das junge<br />

Paar ging zusammen zum Reiten, <strong>und</strong> da sie zu jung<br />

waren, um selbst Auto zu fahren, wurden sie von den<br />

Eltern ins Kino gebracht. Die meiste Zeit aber verbrachten<br />

sie zu Hause – entweder bei ihr oder bei ihm.<br />

Sie mochte <strong>Tom</strong>, weil er Humor hatte <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich<br />

war, sicher nicht wegen seines Aussehens. »Er war<br />

alles andere als der Don Juan des Jahres«, erinnert sie<br />

sich etwas herablassend an ihren ehemaligen Fre<strong>und</strong>.<br />

Aber sie blieben dennoch lange genug zusammen,<br />

dass sie nach drei Jahren seine erste Liebe wurde. Sie<br />

dachten sogar ans Heiraten.<br />

Zu <strong>die</strong>ser Zeit musste <strong>Tom</strong> sich ausschließlich auf<br />

seine persönlichen Fähigkeiten verlassen. »Er war<br />

zwar ein neuer Typ an der Schule, aber er sah irgendwie<br />

ein bisschen eigenartig aus«, erinnert sich seine<br />

Mitschülerin Diane Van Zoeren. Bei der ersten Tanzveranstaltung<br />

an der Schule merkten <strong>die</strong> anderen jedoch,<br />

dass der Neue aus Kentucky mehr draufhatte,<br />

als es zunächst schien. Beim Tanzen bildeten sich<br />

Kreise, <strong>und</strong> jeder landete irgendwann allein in der Mit-<br />

-47-


te, um seine Tanzschritte vorzuführen. Als <strong>Tom</strong> an der<br />

Reihe war, schlug er <strong>die</strong> Umstehenden mit Ausfallschritten,<br />

Drehungen <strong>und</strong> Sprüngen in den Bann.<br />

»Plötzlich merkten wir, dass <strong>die</strong>ser Kerl etwas Besonderes<br />

hatte«, erinnert sich Travisano. »Er hatte Charisma.<br />

Nach <strong>die</strong>sem Auftritt fing er langsam an, Fre<strong>und</strong>e<br />

zu finden, <strong>und</strong> es wurde allen klar, dass er ein<br />

ziemlich cooler Typ war.« Bevor er zu der Tanzveranstaltung<br />

ging, hatte <strong>Tom</strong> st<strong>und</strong>enlang seinen Auftritt<br />

geübt, so dass er sehr entspannt <strong>und</strong> natürlich wirkte.<br />

Diesen Trick wandte er im Lauf seiner Karriere immer<br />

wieder an. Er schaute sich im Fernsehen Shows wie<br />

Soul Train an <strong>und</strong> kopierte <strong>die</strong> Tanzschritte der Teenager<br />

im Publikum. »Ich brachte mir selbst bei, wie<br />

man den Roboterdreh <strong>und</strong> andere Schritte macht«,<br />

sagte er einmal.<br />

Aber wie sehr er sich auch anstrengte, er war nie<br />

cool genug, um wirklich zum inneren Zirkel der echt<br />

Angesagten zu gehören. Die Cheerleader <strong>und</strong> Sportskanonen,<br />

<strong>die</strong> Lorraines <strong>und</strong> Franks <strong>die</strong>ser kleinen Welt,<br />

waren <strong>die</strong> Kings des Schulhofs.<br />

<strong>Tom</strong> war lediglich eine Randfigur, mischte sich zwar<br />

unter <strong>die</strong> Sportler, aber stach selbst im Sport nicht<br />

hervor.<br />

Er wurde Mitglied in der neugegründeten Fußballmannschaft<br />

der Schule. Diese Sportart, <strong>die</strong> zumindest<br />

in Glen Ridge damals gerade im Aufwind war, stand<br />

unter der Obhut des Geschichtslehrers der Schule, Dr.<br />

Don Voskian, genannt »Doc Voc«. <strong>Der</strong> junge <strong>Tom</strong> war<br />

ein Spieler, der in der Mannschaft mithalten konnte,<br />

<strong>die</strong> aber war, wie ein Beobachter es einmal formulierte,<br />

»ziemlich hoffnungslos«.<br />

Im Winter hatte er mehr Glück. Er nahm an der Ringergruppe<br />

teil, <strong>und</strong> jeden Tag nach dem Unterricht<br />

trainierte er unter den aufmerksamen Blicken des<br />

Trainers Angelo Corbo. Hier hatte er als kleingewach-<br />

-48-


sener Junge – er maß damals in der zehnten Klasse<br />

gerade mal eins sechzig – nicht nur <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

sich mit anderen in seiner Gewichtsklasse zu messen;<br />

hier konnte er auch neue Fre<strong>und</strong>schaften schließen.<br />

»Ich glaube, er war ziemlich einsam <strong>und</strong> hatte Schwierigkeiten,<br />

sich anzupassen«, erinnert sich Corbo.<br />

Dennoch war er ein gleichbleibend höflicher Mensch,<br />

engagiert <strong>und</strong> zielstrebig. <strong>Der</strong> Sport gewann einen<br />

dermaßen starken Einfluss auf ihn, dass seine Mutter<br />

gegenüber Corbo einmal meinte, dass <strong>die</strong> psychologische<br />

Konstellation des Ringkampfs, der koordinierte<br />

Kampf Mann gegen Mann, ihm später in seiner Karriere<br />

als Schauspieler viel geholfen hätte. Allerdings waren<br />

seine späteren Sparringspartner nicht <strong>die</strong> Schüler<br />

der anderen Schulen aus Hillside oder Jefferson<br />

Township, sondern Figuren wie Dustin Hoffman, Paul<br />

Newman <strong>und</strong> Jack Nicholson. Was ihm an Technik fehlte,<br />

machte er durch seinen Enthusiasmus wett, <strong>und</strong> er<br />

war völlig aus dem Häuschen, als sein Bild im Januar<br />

1979 in der Lokalzeitung von Glen Ridge erschien,<br />

nachdem er einen Kämpfer der gegnerischen Mannschaft<br />

besiegt hatte. Selbstverständlich kam seine<br />

Mutter Mary Lee zu den Kämpfen, um ihn anzufeuern.<br />

Später wurde seine jüngere Schwester Cass Managerin<br />

der Ringermannschaft.<br />

Die Siege waren süß, aber Niederlagen konnte er nur<br />

schwer verkraften. »Er war eine sehr starke Persönlichkeit«,<br />

erinnert sich seine ehemalige Fre<strong>und</strong>in Nancy<br />

Ärmel. »Er nahm <strong>die</strong> Dinge sehr ernst. Wenn er einen<br />

Ringkampf verlor, konnte man st<strong>und</strong>enlang nicht<br />

mit ihm reden. Man musste ihn dann allein lassen.«<br />

Während er das Ringen ziemlich ernst nahm, hatte er<br />

bezüglich seiner schulischen Fähigkeiten nicht <strong>die</strong> gleichen<br />

Ansprüche. Er war nach wie vor ein mittelmäßiger<br />

Schüler, der in keinem Fach besonders auffiel. Aber<br />

in den drei Jahren, in denen er zusammen mit<br />

-49-


Nancy den Englischkurs besuchte – <strong>und</strong> sie gemeinsam<br />

ihre Hausaufgaben machten –, fiel ihr nie auf,<br />

dass er irgendwelche Lernschwierigkeiten hatte. Als<br />

Mädchen aus New Jersey, das kein Blatt vor den M<strong>und</strong><br />

nimmt, glaubt Nancy nicht, dass er, wie er selbst sagte,<br />

damals ein »funktionaler Analphabet« war: »Wir<br />

waren während der Highschool ein Paar, <strong>und</strong> das war<br />

nie ein Thema. Es w<strong>und</strong>ert mich. Vielleicht wollte er<br />

mit der Geschichte über seine Legasthenie <strong>die</strong> eigene<br />

Karriere fördern. Ich konnte jedenfalls <strong>die</strong>sbezüglich<br />

nichts Auffälliges feststellen. Ich kann mich nicht erinnern,<br />

dass er jemals in den Förderunterricht gegangen<br />

wäre, das wäre mir nicht entgangen. Er war ein durchschnittlicher<br />

Schüler, so wie ich auch – immer Zweier<br />

<strong>und</strong> Dreier. Diesbezüglich fiel er nicht aus dem Rahmen.«<br />

Auch seine Mitschüler weisen darauf hin, dass<br />

in einer kleinen Schule wie der in Glen Ridge jeder<br />

noch so kleine Makel nicht verborgen bleibt <strong>und</strong><br />

schnell zur Zielscheibe des Spotts wird. Als eine, <strong>die</strong><br />

damals mit dabei war, bemerkt Pamela Senif. »Er ging<br />

nicht in <strong>die</strong> Klassen für <strong>die</strong> lerngestörten Kinder. Die<br />

anderen hätten sich zweifellos über ihn lustig gemacht.<br />

Wenn er wirklich Legastheniker war, dann hat<br />

es niemand bemerkt.«<br />

Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass es ihm gelungen<br />

ist, seine Leseschwäche über drei Jahre hinweg<br />

vor seiner Fre<strong>und</strong>in zu verbergen. Seine sonstigen akademischen<br />

Fehlleistungen aber waren allseits bekannt.<br />

Auf der Homepage der Glen Ridge Highschool<br />

finden sich eine Reihe boshafter Bemerkungen ehemaliger<br />

Schüler, <strong>die</strong> sich sehr abschätzig über den wohl<br />

berühmtesten Absolventen <strong>die</strong>ser Schule äußern. Andere<br />

waren gnädiger, so ein ehemaliger Klassenkamerad,<br />

der anmerkt, dass er »zwar weder Tolstoi noch<br />

Trollope las, aber er konnte lesen, schreiben, ad<strong>die</strong>ren<br />

<strong>und</strong> subtrahieren«. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang sei al-<br />

-50-


lerdings darauf hingewiesen, dass <strong>die</strong> Lektüre der europäischen<br />

Klassiker nicht unbedingt zur typischen<br />

literarischen Kost amerikanischer Teenager gehört.<br />

Hinsichtlich seiner schulischen Leistungen mag <strong>Tom</strong><br />

nur Durchschnitt gewesen sein, aber er war ein Junge<br />

mit Ambitionen. „Wenn er <strong>und</strong> Nancy am Küchentisch<br />

über ihre Zukunft diskutierten, brachte <strong>Tom</strong> immer<br />

wieder seinen sehnlichsten Wunsch vor: Er wollte Pilot<br />

bei einer Fluggesellschaft werden. Diesen Berufswunsch<br />

hegte er seit seiner Kindheit. Als Kind war er<br />

verrückt nach Flugzeugen <strong>und</strong> sammelte jedes Modellflugzeug,<br />

das er in <strong>die</strong> Finger bekam. Jedes Mal, wenn<br />

<strong>die</strong> Familie umzog, nahm er zwei Modelle der berühmtesten<br />

Jagdflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg mit,<br />

eine Spitfire <strong>und</strong> eine P51 Mustang. Seine Spielzeugschachtel<br />

mit der Aufschrift »<strong>Tom</strong>s Modellflugzeuge«<br />

steht heute noch auf dem Speicher seines Hauses in<br />

Glen Ridge in der Washington Street <strong>und</strong> legt von seiner<br />

Faszination ein beredtes Zeugnis ab.<br />

Es gab weitere Ambitionen, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nancy umtrieben.<br />

Gegen Ende seiner Schulzeit gestand er ihr<br />

seine Liebe, schrieb Gedichte für sie <strong>und</strong> verfasste Liebesbriefe.<br />

Als er einmal zu Ostern kein Geld hatte, um<br />

ihr Blumen zu kaufen, stahl er ein paar Narzissen aus<br />

dem Garten eines Nachbarn. Die beiden verband eine<br />

typische Highschool-Romanze: intensiv, gefühlsbetont<br />

<strong>und</strong> voller phantastischer Pläne. Inzwischen konnten<br />

sie beide Auto fahren, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> lieh sich von seinen<br />

Eltern den Wagen, um abends mit ihr auszugehen. Mit<br />

dem verschämten Blick, mit dem man oft auf seine<br />

Jugendsünden zurückblickt, merkt sie hierzu an: »Ja,<br />

er war mein Liebhaber. Absolut. Ich war <strong>die</strong> Erste für<br />

ihn. Zumindest glaube ich das. Ich hoffe, ich war ihm<br />

eine gute Lehrerin. Wir haben im Auto auf dem Parkplatz<br />

herumgemacht wie alle Jugendlichen in dem Al-<br />

-51-


ter. Ich kann Ihnen sagen, ich hatte blaue Flecken<br />

vom Hebel der Gangschaltung.«<br />

Wenn sie nicht zusammen ausgingen, besprachen sie<br />

ihre gemeinsame Zukunft. Er wollte auf <strong>die</strong> berühmte<br />

Embry-Riddle-Flugschule in Florida gehen, um sich als<br />

Pilot ausbilden zu lassen. Nancy sollte Flugbegleiterin<br />

werden – was sie später übrigens auch wurde – <strong>und</strong><br />

ihn auf seinen Flügen begleiten. »Wir wollten den Rest<br />

des Lebens zusammen verbringen, wollten Kinder haben,<br />

einen weißen Gartenzaun – <strong>die</strong> ganze Nummer«,<br />

erinnert sich Nancy, <strong>die</strong> heute zwei Kinder aus zwei<br />

Ehen hat. »Damals hätte ich ihn geheiratet, wir waren<br />

eben zwei verliebte Schulkinder.«<br />

Aber selbst mitten in ihren Träumen fielen Nancy <strong>die</strong><br />

Veränderungen an ihrem Fre<strong>und</strong> auf. Und was sie sah,<br />

gefiel ihr nicht unbedingt. Im Jahr 1979, seinem letzten<br />

Schuljahr, hing er <strong>die</strong> ganze Zeit mit den Sportskanonen<br />

herum, <strong>die</strong> ihn jetzt als einen der Ihren akzeptierten.<br />

Zu der Truppe gehörte auch Michael LaForte,<br />

der später bei den Marines landete, Randy Macintosh,<br />

Mark Worthington, Joe Carty, Mario Ponce, heute<br />

ein angesehener Anwalt in Manhattan, Steve Pansulla,<br />

John Jordan, der heute als Fotomodell arbeitet, <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Travisano-Brüder Vinnie <strong>und</strong> Phil. Mit vielen von<br />

ihnen verband <strong>Tom</strong> eine noch heute anhaltende<br />

Fre<strong>und</strong>schaft. Sie gingen ins Stadion, um das Footballteam<br />

der Giants zu sehen, hoben danach einen im<br />

<strong>Star</strong> Tavern – in den Zeiten, als man noch ab 18 Jahren<br />

Alkohol trinken konnte. Gemeinsam gingen sie in<br />

das nahe gelegene Regency-Kino in Bloomfield oder<br />

hingen einfach auf dem Parkplatz der Schule herum.<br />

Sie waren in <strong>die</strong> üblichen Auseinandersetzungen <strong>und</strong><br />

Prügeleien verwickelt, <strong>die</strong> sich dort entwickeln, wo<br />

Teenager ihr Territorium haben. Sam LaForte, Michaels<br />

älterer Bruder, erinnert sich an <strong>die</strong>se Zeit: »Sie<br />

wussten, wie man Spaß hat; sie waren eine einge-<br />

-52-


schworene Truppe – wie das Rat Pack. Wenn sie irgendwo<br />

auftauchten, standen sie immer im Mittelpunkt,<br />

aber wenn sie Schwierigkeiten bekamen, kamen<br />

sie immer bei mir, dem älteren Bruder, angelaufen.«<br />

Natürlich war es wieder einmal <strong>Tom</strong> Mapother, den<br />

man mit einem Bier vor einem Footballspiel der Schule<br />

erwischte -in seinem Abschlussjahr hatte er es in <strong>die</strong><br />

dritte Mannschaft geschafft –, <strong>und</strong> man schloss ihn<br />

ohne weiteres Federlesen aus der Mannschaft aus. Er<br />

war nicht der Einzige, der trank, nur der Einzige, den<br />

man dabei erwischt hatte. Vom Footballteam ausgeschlossen<br />

<strong>und</strong> ohne irgendwelche Hoffnungen auf<br />

sonstige akademische Meriten, schien er zu schwimmen.<br />

Nancy Ärmel stellte besorgt fest, dass andere<br />

Schüler sich für das College bewarben, während Maypo<br />

sich nicht einmal um <strong>die</strong> Bewerbungsunterlagen<br />

seiner Flugschule in Florida gekümmert hatte.<br />

Selbst seine Karriere bei den Ringern geriet ins Trudeln.<br />

Lustigerweise hatte der dürre Junge im letzten<br />

Jahr so viel zugelegt, dass er nun das Limit seiner Gewichtsklasse<br />

überschritten hatte. Wenn er in der folgenden<br />

Wintersaison bei den Einzelwettkämpfen statt<br />

bei den Mannschaftswettbewerben antreten wollte,<br />

dann, so sagte ihm sein Trainer, müsste er deutlich<br />

abnehmen. Bei <strong>die</strong>sen Wettkämpfen hätte er keine<br />

allzu großen Chancen gehabt, da viel erfahrenere Ringer<br />

antraten, aber er wollte seine Chance unbedingt<br />

nutzen. Um abzunehmen, lief er im Haus in der Washington<br />

Street <strong>die</strong> Treppen hinauf <strong>und</strong> hinunter. Beim<br />

Hinunterlaufen stolperte er über einen Stapel von<br />

Schulpapieren, den seine Schwester Cass auf der<br />

Treppe abgestellt hatte, <strong>und</strong> zog sich einen Bänderriss<br />

am Knöchel zu. Geknickt teilte er seinem Trainer mit,<br />

dass er an den Wettkämpfen nicht würde teilnehmen<br />

können. »Es ging ihm ziemlich schlecht, denn er wollte<br />

-53-


unbedingt raus <strong>und</strong> auf <strong>die</strong> Matte«, erinnert sich der<br />

Trainer Corbo. Es sah aus, als würden <strong>die</strong> letzten Monate<br />

seiner Schulzeit einfach so dahinplätschern.<br />

<strong>Tom</strong> war immer noch Mitglied im Schulchor; er hatte<br />

eine gute Stimme <strong>und</strong> trat zusammen mit seinem<br />

Fre<strong>und</strong> Steve Pansulla <strong>und</strong> anderen Sängerinnen wie<br />

Cathy Carella <strong>und</strong> Kathy Gauli, Lorraines Schwester,<br />

im Weihnachtskonzert auf. Steve hatte ihn in den ersten<br />

Monaten an der neuen Schule ein wenig unter seine<br />

Fittiche genommen <strong>und</strong> ihn animiert, dem Chor<br />

beizutreten <strong>und</strong> in <strong>die</strong> Ringergruppe zu gehen. Jetzt<br />

schlug er ihm vor, er solle doch für eine Rolle in dem<br />

Musical Guys and Dolls vorsingen, das man in der<br />

Schule aufführen wollte. Cathy Carella <strong>und</strong> Kathy Gaudi<br />

ermunterten ihn ebenfalls, es wenigstens einmal zu<br />

probieren. »Versuch es doch, es macht sicher Spaß«,<br />

sagte Steve Pansulla. Da <strong>Tom</strong> nun nicht mehr an den<br />

Ringerwettkämpfen teilnehmen konnte, hatte er sonst<br />

nichts zu tun. Lange Zeit konnte er sich nicht für <strong>die</strong>se<br />

Idee erwärmen. Seinen Fre<strong>und</strong>en sagte er, er könne<br />

weder singen noch schauspielern, <strong>und</strong> in einem Stück<br />

sei er auch noch nie aufgetreten, geschweige denn in<br />

einem Musical. <strong>Der</strong> zaudernde Schauspieler war viel zu<br />

bescheiden – wie <strong>die</strong> Tradition der Schauspielerei in<br />

seiner Familie <strong>und</strong> seine Auftritte im Rampenlicht bei<br />

früheren Schulaufführungen nahelegen.<br />

Es ist ein weiterer Beleg für <strong>die</strong> Fähigkeit des Schauspielers,<br />

sein wahres Selbst zu verstecken <strong>und</strong> in eine<br />

Rolle zu schlüpfen, dass selbst heute <strong>die</strong> gleichen<br />

Schulfre<strong>und</strong>e, <strong>die</strong> ihn damals ermutigten, sich zum<br />

Vorspielen für das Musical zu melden, erstaunt sind,<br />

wenn sie hören, dass er <strong>die</strong> meiste Zeit seines Lebens<br />

aktiv auf der Bühne stand. »Ich hatte keine Ahnung,<br />

dass er schon mal in einem Stück aufgetreten war«,<br />

sagt seine ehemalige Klassenkameradin Pamela Senif,<br />

<strong>und</strong> andere aus der Schauspieltruppe der Schule zeig-<br />

-54-


ten sich ebenso erstaunt. »Wow, das habe ich nicht<br />

gewusst. Für uns war es das erste Mal, dass er in einem<br />

Stück auftrat«, kommt es wie aus einem M<strong>und</strong><br />

von seinen Fre<strong>und</strong>en.<br />

Schließlich gelang es, <strong>Tom</strong> zu überreden, beim Vorsingen<br />

anzutreten. Unter den kritischen Blicken der<br />

Musicalregisseurin Nancy Tiritilli <strong>und</strong> des Regisseurs<br />

Bill D’Andrea sang er ein paar Songs <strong>und</strong> las den Text<br />

der Rolle vom Script ab. Seine Fre<strong>und</strong>in Cathy Carella<br />

beobachtete seinen Auftritt <strong>und</strong> wusste sofort, dass er<br />

<strong>die</strong> Hauptrolle des Nathan Detroit bekommen würde.<br />

»Die Leute waren hin <strong>und</strong> weg, so gut war er. Er ist<br />

ein Naturtalent. Ich wusste, dass er eines Tages berühmt<br />

werden würde.« Sie meinte, <strong>Tom</strong> habe ohne zu<br />

zögern den Text vom Script abgelesen, was zu den<br />

Darstellungen der anderen passt, dass er seine Leseschwierigkeiten,<br />

wenn er denn welche hatte, sehr gut<br />

zu verbergen wusste.<br />

Bevor <strong>Tom</strong> offiziell <strong>die</strong> Rolle des Nathan übernahm,<br />

fragte er seinen Trainer bei den Ringern um Erlaubnis,<br />

um sicherzugehen, dass man ihn nicht bei der Mannschaft<br />

benötigte. Dann begann eine Verwandlung, <strong>die</strong><br />

seinen Status an der Schule -<strong>und</strong> sein Leben – für<br />

immer verändern sollte. Am Anfang gaben ihm <strong>die</strong> bereits<br />

erfahrenen Darsteller – Steve Pansulla, der <strong>die</strong><br />

Rolle des Nicely-Nicely Johnson übernahm, <strong>und</strong> Kathy<br />

Gauli, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Agatha spielte – noch Tipps, wie er sich<br />

auf der Bühne bewegen sollte. »Sei ganz du selbst,<br />

bleib natürlich. Denk nicht an das Publikum <strong>und</strong> sei<br />

nicht nervös«, ermunterte ihn Steve, sein selbsternannter<br />

Mentor, selbst dann noch, als <strong>Tom</strong> bereits<br />

meinte, er könne <strong>die</strong> Rolle nicht meistern.<br />

Aber bald schwand <strong>Tom</strong>s Zurückhaltung. Die Truppe<br />

hatte noch gar nicht richtig mit den Proben angefangen,<br />

da wurde allen klar, dass sie gerade mitbekamen,<br />

wie ein neuer <strong>Star</strong> geboren wurde. »Jeder war von<br />

-55-


Anfang an überzeugt, dass er ein Naturtalent ist«, erinnert<br />

sich Kathy Gauli. »Er konnte singen <strong>und</strong> schauspielern;<br />

es war für ihn nahezu mühelos. Es war unglaublich.<br />

Es war toll, wenn man zusehen konnte, wie<br />

<strong>die</strong>se kreative Saat aufging <strong>und</strong> sich sein natürliches<br />

Talent entfaltete.«<br />

Es dauerte nicht lange, <strong>und</strong> <strong>die</strong>se Fähigkeiten wurden<br />

zu <strong>Tom</strong>s Markenzeichen – seine Fähigkeit, sich zu fokussieren,<br />

eine glühende Intensität <strong>und</strong> eine unerbittliche<br />

Professionalität traten hier zum ersten Mal zutage.<br />

Ebenso wie er mit Leichtigkeit <strong>die</strong> Bühne einnahm,<br />

wuchs seine Selbstsicherheit unter den Gleichaltrigen.<br />

Da war er wieder, der eingebildete Anführer der Bande<br />

in Ottawa <strong>und</strong> Louisville. Selbst sein ehemaliger Mentor<br />

Steve Pansulla kriegte jetzt <strong>Tom</strong>s neuen Ton zu<br />

spüren. Während einer Probe, <strong>die</strong> in der Cafeteria der<br />

Schule stattfand, verpasste Steve, der den Nicely-<br />

Nicely Johnson spielte, sein Stichwort. Ohne mit der<br />

Wimper zu zucken, kam es von <strong>Tom</strong> als Nathan Detroit:<br />

»Nicely sieh zu, dass du deinen fetten Arsch hier<br />

rauskriegst.« Die anderen wussten nicht, ob das jetzt<br />

nur gespielt war, oder ob <strong>Tom</strong> seinen Fre<strong>und</strong> wirklich<br />

beleidigen wollte. Man fand Steve dann in der Küche,<br />

wie er auf <strong>die</strong> Eismaschine eindrosch. »Er machte<br />

nicht einfach nur rum wie <strong>die</strong> anderen«, erinnert sich<br />

Phil Travisano. »Es war ihm todernst.«<br />

Als das Musical Guys and Dolls im April 1980 aufgeführt<br />

wurde, war das Theater der Schule voll bis auf<br />

den letzten Platz mit Angehörigen, Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Gönnern.<br />

Phil Travisanos Vater Ronald, der Regisseur von<br />

Werbefilmen war, kam, um seinen Sohn zu unterstützen.<br />

<strong>Der</strong> Filmprofi war von <strong>Tom</strong> Mapothers Auftritt<br />

dermaßen »hingerissen«, dass er hinter <strong>die</strong> Bühne<br />

ging <strong>und</strong> ihm empfahl, sich ernsthaft auf <strong>die</strong> Schauspielerei<br />

zu verlegen. »Er war großartig. Die meisten<br />

Schüler in <strong>die</strong>sem Alter sind ziemlich eingebildet oder<br />

-56-


einfach ungehobelt. Er aber war offen, ganz außer sich<br />

<strong>und</strong> machte nicht groß etwas her aus seinen Leistungen.«<br />

Die Meinungen über <strong>Tom</strong> Mapothers erste Schritte<br />

auf den Sprossen des Erfolgs am Theater widersprechen<br />

einander. Einer Version zufolge hatte Lorraine<br />

Gauli, das <strong>Star</strong>let an der Schule, ihre Agentin Tobe<br />

Gibson zu der Aufführung mitgebracht – in der Hoffnung,<br />

sie könne damit ihrer Schwester zu einem Vertrag<br />

verhelfen. »Er wäre an <strong>die</strong>sem Abend gar nicht<br />

entdeckt worden, wäre nicht <strong>die</strong> Agentin meiner<br />

Schwester da gewesen <strong>und</strong> hätte ihn gesehen«, erinnert<br />

sich Kathy <strong>und</strong> gesteht wehmütig ein, dass sie<br />

selbst es nie zu einem Vertrag mit der Agentin gebracht<br />

hat. Lorraine, <strong>die</strong> damals groß im Fernsehen<br />

herausgekommen war, saß mit ihrer Agentin im Publikum<br />

<strong>und</strong> merkte vom ersten Moment an, als <strong>Tom</strong> <strong>die</strong><br />

Bühne betrat, dass er über alle Voraussetzungen verfügte,<br />

ein <strong>Star</strong> zu werden. Ihrer Agentin ging es ähnlich.<br />

»Sie flippte vollkommen aus«, erinnert sie sich.<br />

»Er war unglaublich charismatisch.«<br />

Während Tobe sich selbst an <strong>die</strong>sen Abend gar nicht<br />

mehr erinnern kann, hat sie noch sehr lebhafte Erinnerungen<br />

an ihr erstes Zusammentreffen mit dem Teenager<br />

in ihrem Büro in Manhattan. Sie hatte Lorraine<br />

gefragt, ob sie nicht gutaussehende talentierte junge<br />

Männer kenne, <strong>und</strong> <strong>die</strong> empfahl, unter anderem, <strong>Tom</strong><br />

Mapother. <strong>Tom</strong> brachte den Gauli-Schwestern sogar<br />

Fotos von sich nach Hause, damit Tobe ihn vorab begutachten<br />

konnte. Kaum hatte er ihr Büro in der 57.<br />

Straße betreten, wusste sie, dass sie <strong>die</strong> Goldader gef<strong>und</strong>en<br />

hatte, von der alle Agenten träumen – einen<br />

charismatischen Jugendlichen mit einem noch unbehauenen<br />

Talent. »Ich glaube an Vorahnungen, <strong>und</strong> als<br />

er kam, um mich zu treffen, <strong>und</strong> mir <strong>die</strong> Hand gab,<br />

-57-


sagte ich ihm: >Hören Sie zu. Sie werden ein großer<br />

<strong>Star</strong> werden.


lang durch Manhattan irrte, bis er einen Agenten gef<strong>und</strong>en<br />

hatte. »Das stimmt nicht«, sagt sie. »Lorraine<br />

war eine Klientin von mir, <strong>und</strong> sie empfahl ihn mir. Sie<br />

war sein Türöffner zum Erfolg.« Tobes ehemalige<br />

Klientin Lorraine Gauli nimmt es ihm nicht übel, dass<br />

er sie aus der Geschichte seines Wegs zum Ruhm gestrichen<br />

hat. Heute ist sie eine vielbeschäftigte Strafverteidigerin<br />

<strong>und</strong> glaubt, er wäre so oder so irgendwann<br />

entdeckt worden. »Er war ein talentierter gutaussehender<br />

junger Mann, <strong>und</strong> das ist in <strong>die</strong>sem Gewerbe<br />

höchst selten.«<br />

Möglicherweise war es unvermeidlich, dass nun, wo<br />

Jung-Maypo glaubte, dass ihm <strong>die</strong> Welt zu Füßen liegen<br />

würde, <strong>die</strong> kecke Seite seines Charakters – sein<br />

Drang, alles zu kontrollieren – deutlich sichtbar wurde.<br />

Seine damalige Fre<strong>und</strong>in Nancy Ärmel sah dem Treiben<br />

eine Weile zu <strong>und</strong> beschloss dann, dass auch andere<br />

Väter schöne Söhne haben. Sie fuhr während der<br />

Frühjahrsferien nach Florida <strong>und</strong> ging hinter seinem<br />

Rücken ein Verhältnis mit einem älteren Jungen ein.<br />

Als sie es ihm gestand, wurde er schrecklich wütend.<br />

»Man sollte sich von <strong>die</strong>sem blendend weißen Lächeln<br />

nicht täuschen lassen«, erinnert sie sich. »Er hatte<br />

wirklich üble Züge an sich <strong>und</strong> konnte sehr gemein zu<br />

Menschen sein. Gegen Ende des letzten Schuljahres<br />

glaubte er, er könne jeden unter seine Kontrolle bringen,<br />

<strong>und</strong> begann, seine dunklen Seiten zu zeigen. Er<br />

dachte, er könne keine Fehler machen.«<br />

Zwar hatte <strong>Tom</strong> allen Gr<strong>und</strong>, sich über ihr Benehmen<br />

zu ärgern, aber er war nicht der Typ, der lange trauerte.<br />

Während einer »wilden« Party des Ensembles tanzte<br />

er <strong>die</strong> ganze Nacht mit einer Reihe neuer Verehrerinnen.<br />

Damals ging auf dem Schulhof gerade das Gerücht<br />

um, dass Vitamin E <strong>die</strong> sexuelle Leistungskraft<br />

stärken soll. Die Jungs, <strong>die</strong> in der Küche standen,<br />

schauten verdutzt drein, als er ankam <strong>und</strong> den Gast-<br />

-59-


geber Andrew Falk nach Vitamintabletten fragte.<br />

Nachdem er sich eine Handvoll davon gegriffen hatte,<br />

verschwand er wieder, während <strong>die</strong> anderen grinsten<br />

<strong>und</strong> mit den Augen rollten. »Es gab keine Anhaltspunkte,<br />

dass ihm in <strong>die</strong>ser Hinsicht etwas fehlte«, erinnert<br />

sich Phil Travisano. »Er war ein ganz normaler<br />

männlicher Highschool-Student.«<br />

Gelegentlich lag zu viel Testosteron in der Luft. Gegen<br />

Ende einer anderen Party des Ensembles, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong>smal bei Kim Thorne stattfand, saß er im Keller mit<br />

ein paar Nachzüglern <strong>und</strong> versuchte, zwei der Mädchen<br />

ziemlich grob anzumachen, indem er sie an den<br />

Knöcheln packte. Eines der Mädchen war Cathy Tevlin.<br />

Während er <strong>und</strong> <strong>die</strong> anderen Jungs sich vor Lachen<br />

nicht mehr einkriegen konnten, fanden Cathy <strong>und</strong> ihre<br />

Fre<strong>und</strong>in das weniger lustig. Sie machten sich aus seiner<br />

Umklammerung frei, verabschiedeten sich <strong>und</strong><br />

gingen. Einer der Teilnehmer an <strong>die</strong>sem spontanen<br />

spätabendlichen Ringkampf erinnert sich an <strong>die</strong>se Szene:<br />

»Es waren irgendwie linkische Versuche, jemanden<br />

anzumachen. Heute würden sich Frauen, glaube ich,<br />

so etwas nicht mehr gefallen lassen.«<br />

Nicht alle waren von <strong>Tom</strong>s neuen Ruhm begeistert.<br />

Nachdem ihm Nancy Ärmel den Laufpass gegeben hatte,<br />

suchte er dringend nach einer Begleiterin für den<br />

Abschlussball seines Jahrgangs. Ellen Hurley ließ ihn<br />

abblitzen. »Wissen Sie, der richtige Frauenheld war er<br />

eigentlich nicht. Die Mädchen fanden ihn nicht so toll«,<br />

sagt ihre Fre<strong>und</strong>in Pamela Senif. Es gelang ihm, Ann<br />

Stoughton als Partnerin für <strong>die</strong>sen Abend zu gewinnen<br />

– aber »auf rein fre<strong>und</strong>schaftlicher Basis«. Am Schluss<br />

wurde es einer <strong>die</strong>ser theatralischen, tränenschwangeren,<br />

intensiv aufwühlenden Abende, auf <strong>die</strong> man als<br />

Teenager hinlebt. Er verbrachte zwei beklemmende<br />

St<strong>und</strong>en draußen im Garten, wo er sich mit seiner ehemaligen<br />

Fre<strong>und</strong>in Nancy Ärmel unterhielt, <strong>und</strong><br />

-60-


machte sich dann in seinem verbeulten grünen Auto<br />

auf <strong>die</strong> Suche nach Diane Van Zoeren. Zwar war sie<br />

eine Klasse unter ihm, aber länger schon hatte er ein<br />

Auge auf sie geworfen. An <strong>die</strong>sem Abend fuhr <strong>Tom</strong> <strong>die</strong><br />

menschenleeren Straßen von Glen Ridge auf <strong>und</strong> ab –<br />

ein vor Liebeskummer vergehender Jüngling auf der<br />

vergeblichen Suche nach der Adresse seiner Angebeteten.<br />

Kurze Zeit später spürte er Diane auf, <strong>und</strong> sie<br />

wurde seine Fre<strong>und</strong>in, während er von der Schule abging<br />

<strong>und</strong> den riskanten Sprung ins Filmgeschäft machte.<br />

Nach seinem Erfolg in Guys and Dolls hatte ihn <strong>die</strong><br />

Schauspielerei ernsthaft gepackt. <strong>Tom</strong> hatte nur noch<br />

Hollywood im Sinn, <strong>und</strong> so schwänzte er den Großteil<br />

des Unterrichts im zweiten Semester seines letzten<br />

Schuljahres, da er dauernd nach Manhattan fuhr, um<br />

für Rollen vorzusprechen. Seine nächste Rolle aber<br />

war weniger »off Broadway« als vielmehr »off Broad<br />

Street« – so <strong>die</strong> scherzhafte Bezeichnung für ein winziges<br />

Theater in der Nähe von Glen Ridge in Bloomfield,<br />

wo Produktionen von Amateurensembles auf <strong>die</strong><br />

Bühne gebracht wurden. Wenige Wochen nach seinem<br />

Auftritt als Nathan Detroit übte er <strong>die</strong> Rolle des Herb in<br />

dem Musical Godspell, das auf dem Matthäusevangelium<br />

basiert. Es war nicht gerade ein Riesenhit, aber<br />

auch wenn es sich nur um eine Produktion von Amateuren<br />

handelte, bei der engagierte Schauspieler des<br />

Bloomfield Community College zum Zuge kamen, so<br />

war <strong>die</strong>ses Musical für <strong>Tom</strong> doch der nächste Schritt in<br />

Richtung auf ein Leben, mit dem er seit seiner Kindheit<br />

vertraut war.<br />

Wie so oft stehen <strong>die</strong> Erinnerungen seines damaligen<br />

Umfelds im Widerspruch zu <strong>Tom</strong>s eigenen Schilderungen<br />

der Vergangenheit. Während er sich auf seinen<br />

Auftritt in Godspell vorbereitete, erzählte er mehreren<br />

Fre<strong>und</strong>en, dass er bereit wäre, der Abschlussfeier<br />

-61-


fernzubleiben, um in dem Stück aufzutreten. Seine<br />

Bekannte Lorraine Gaudi versuchte ihn umzustimmen.<br />

Es sei verrückt, sagte sie ihm, den krönenden Abschluss<br />

des gesamten Schuljahres zu verpassen. Er<br />

zuckte nur mit den Schultern <strong>und</strong> grinste. Erst später<br />

bemerkte sie, dass er etwas besaß, das ihr fehlte: Er<br />

hatte den brennenden Ehrgeiz, erfolgreich zu sein, <strong>und</strong><br />

war bereit, dafür auf Dinge in der Gegenwart zu verzichten,<br />

wenn es seinem langfristigen Ziel <strong>die</strong>nte. Phil<br />

Travisano, der eine der Aufführungen besuchte, um<br />

ihn auf der Bühne zu sehen, erinnert sich: »Er war<br />

zielstrebig, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Schauspielerei war für ihn etwas<br />

dermaßen Aufregendes, dass er bereit war, der Abschlussfeier<br />

fernzubleiben.« Während man also bei der<br />

Zeremonie auf der Rasenfläche vor der Schule <strong>die</strong><br />

Namen der Absolventen vorlas, arbeitete <strong>Tom</strong> an der<br />

Verwirklichung seiner Träume bei einer anderen Zeremonie:<br />

Er sang, tanzte <strong>und</strong> animierte das Publikum<br />

mit Liedern <strong>und</strong> Geschichten, <strong>die</strong> christliches Gedankengut<br />

unter <strong>die</strong> Leute bringen sollten. »Hat es dir gefallen?<br />

War ich gut?«, fragte er ganz aufgeregt seine<br />

neue Fre<strong>und</strong>in Diane Van Zoeren, als sie mit ihrer Mutter<br />

eine Aufführung besuchte. Die Brust schwoll ihm<br />

deutlich, als er ihr positives Urteil entgegennahm.<br />

Anlässlich des Schulabschlusses schmissen Eltern der<br />

frisch gebackenen Absolventen jede Menge Feste für<br />

ihre Zöglinge. In <strong>die</strong>sem Sommer sah man <strong>Tom</strong> bei<br />

den verschiedenen Zusammenkünften salopp mit T-<br />

Shirt <strong>und</strong> Shorts bekleidet <strong>und</strong> mit einem Bier in der<br />

Hand. Bei einer <strong>die</strong>ser Partys fragte Sam LaForte ihn<br />

nach seinen Zukunftsplänen. Seine Antwort war ebenso<br />

forsch wie entlarvend: »Sam, ich werde nach New<br />

York gehen, <strong>und</strong> ich werde ein <strong>Star</strong> sein.«<br />

3<br />

-62-


Es war ein Abend wie geschaffenen für romantische<br />

Gefühle. Hand in Hand spazierten <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> Diane<br />

Van Zoeren am Meer entlang <strong>und</strong> schauten den<br />

mondbeschienenen Wellen zu, wie sie an den Strand<br />

von New Jersey rollten. Als sie an einem der Hochsitze<br />

der Wasserwacht haltmachten, war <strong>Tom</strong> jedoch nicht<br />

nach einem zärtlichen Flüstern zumute. Ihn beschäftigte<br />

eher, dass er blank war – kein Geld, kein Job,<br />

keine Kontakte. An <strong>die</strong>sem Sommerabend des Jahres<br />

1980 fühlte sich der achtzehnjährige <strong>Tom</strong>, nachdem er<br />

gerade einige Wochen zuvor seinen Abschluss an der<br />

Glen Ridge Highschool gemacht hatte, verletzlich <strong>und</strong><br />

frustriert. Er war den Tränen nahe <strong>und</strong> schüttete seiner<br />

Liebsten das Herz aus.<br />

An Ambitionen mangelte es ihm nicht – nur zehn Jahre<br />

wollte er sich geben, um als Schauspieler nach oben<br />

zu kommen, bevor er daran dachte, Pilot zu werden –,<br />

aber dafür war sein materieller Mangel umso größer.<br />

Er war pleite. Geld – oder genauer gesagt: der Mangel<br />

daran – war für ihn ein Problem gewesen, solange er<br />

denken konnte. Jetzt trieb ihn <strong>die</strong>ses Problem ganz<br />

besonders um. Er sprach oft davon, es mit dreißig aus<br />

eigener Kraft zum Millionär gebracht zu haben, <strong>und</strong><br />

hatte <strong>die</strong>sbezüglich mit seinem Fre<strong>und</strong> Michael LaForte<br />

eine Wette laufen: Wer <strong>die</strong> erste Million ver<strong>die</strong>nt hätte,<br />

müsste dem anderen einen Mercedes kaufen. Diese<br />

Wette ist nie eingelöst worden, was noch heute bei<br />

einigen aus der alten Clique von Glen Ridge kritisch<br />

angemerkt wird.<br />

Aber hier, am Strand von Lavallette, einem beliebten<br />

Ausflugsort in New Jersey, trieb ihn weniger <strong>die</strong> Frage<br />

um, was mit den zukünftigen Millionen geschehen sollte.<br />

Sein Problem war jetzt, genügend Geld zusammen-<br />

-63-


zukratzen, um sich in New York eine kleine Wohnung<br />

zu mieten. Mit seiner Agentin Tobe Gibson hatte er<br />

überlegt, dass er in der Stadt sein müsste, um schnell<br />

für Termine zum Vorsprechen zur Verfügung zu stehen<br />

<strong>und</strong> um dort Schauspielunterricht zu nehmen. Es war<br />

nicht nur das Geld, das ihm Sorgen bereitete. Obwohl<br />

er eine Agentin hatte, sorgte sich <strong>Tom</strong>, weil er im<br />

Filmgeschäft weder <strong>die</strong> Erfahrung noch ausreichende<br />

Kontakte hatte, um so schnell nach oben zu kommen,<br />

wie er es sich vorstellte. Das Selbstvertrauen, das er<br />

nach seinem Erfolg in Guys and Dolls an der Schule<br />

gezeigt hatte, schien dahinzuschwinden.<br />

Als das Paar aus Lavallette zurückkam, versucht <strong>Tom</strong><br />

mit dem zurechtzukommen, was er hatte. Einen Teil<br />

des Sommers pendelte er zwischen dem Haus seiner<br />

Familie in Glen Ridge <strong>und</strong> Manhattan. Man sah ihn<br />

damals immer in seinem schmutzig grünen Ford Pinto,<br />

seinem T-Shirt, das er kaum wechselte <strong>und</strong> auf dem<br />

der Spruch stand: »Eving Ice Cold Girl«. Wenn sein<br />

Wagen kaputt war, lieh er sich den seiner Mutter aus<br />

oder fragte Diane Van Zoeren oder seine Schauspielerkollegin<br />

Lorraine Gauli, <strong>die</strong> gleich nebenan lebte, ob<br />

sie ihn in <strong>die</strong> Stadt mitnehmen könnten. Wenn er einen<br />

sehr frühen Termin zum Vorsprechen hatte,<br />

schlief er in der Nacht davor auf der Couch im Wohnzimmer<br />

von Tobe Gibsons Appartement in der 62.<br />

Straße. Tobes Töchter Amy <strong>und</strong> Babydol w<strong>und</strong>erten<br />

sich über den Enthusiasmus ihrer Mutter, denn an <strong>die</strong>sem<br />

jungen Mann schien »nichts Besonderes« zu sein.<br />

Zumindest nicht, was sein Aussehen anbelangte. Sie<br />

schauten nur auf <strong>die</strong> Oberfläche, sahen seine knubbelige<br />

gedrungene Gestalt <strong>und</strong> seine unauffällige Fre<strong>und</strong>lichkeit<br />

<strong>und</strong> übersahen dabei, was ihre Mutter instinktiv<br />

erfasst hatte: <strong>die</strong> Qualitäten eines zukünftigen<br />

<strong>Star</strong>s.<br />

-64-


Nachdem er einen Tag in der Stadt verbracht hatte,<br />

fuhr er mit dem Pendlerbus zurück nach Glen Ridge.<br />

An der Bushaltestelle bei der Hafenbehörde traf er auf<br />

alte Bekannte aus der Schule <strong>und</strong> auf Nachbarn, <strong>die</strong><br />

ebenfalls aus der Stadt zurückfuhren. <strong>Tom</strong>s Darstellung<br />

der damaligen Zeiten klingt wesentlich exotischer.<br />

Er erzählte später, dass er so wenig Geld hatte,<br />

dass er manchmal zu Fuß durch den Holland-Tunnel<br />

laufen musste, der Manhattan mit New Jersey verbindet.<br />

Damals gab es einen Straßenstrich, wo <strong>die</strong> Prostituierten<br />

den Pendlern ihre Dienste anboten. »In dem<br />

Tunnel standen Prostituierte, <strong>die</strong> mich kannten«, erzählte<br />

er dem Autor Dotson Rader. »Sie sahen mich<br />

<strong>und</strong> meinten: >Warte hier, wenn ich einen Typen aufhalte,<br />

kannst du im Auto mitfahren.< So kam ich<br />

durch den Tunnel nach New Jersey. Die Typen in dem<br />

Auto meinten dann immer: >Was macht der Kerl da<br />

auf dem Rücksitz?< Aber sie sahen, dass ich nur ein<br />

Jugendlicher war, nicht älter als achtzehn. Und in meiner<br />

Gegenwart kam es nie zum Sex. Ich bin dann in<br />

New Jersey ausgestiegen <strong>und</strong> sagte: >Vielen Dank.<<br />

Den Rest der Strecke bin ich dann getrampt.«<br />

Diese außergewöhnliche Geschichte ist so unplausibel<br />

wie unrealistisch. Warum sollte eine Prostituierte auf<br />

einen Freier verzichten, nur damit ein Teenager gratis<br />

durch den Holland-Tunnel kommt? Und welcher nervöse<br />

Autofahrer, der befürchtet, überfallen oder ausgeraubt<br />

zu werden, würde ihm überhaupt erlauben, mit<br />

ins Auto zu steigen? Es ist daher nicht weiter verw<strong>und</strong>erlich,<br />

dass sich Diane van Zoeren an <strong>die</strong>se ungewöhnliche<br />

Art der Fortbewegung nicht erinnern<br />

kann. »<strong>Tom</strong> lieh sich den Wagen seiner Mutter aus,<br />

aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass er getrampt<br />

wäre oder mit Prostituierten mitgefahren ist«,<br />

sagte sie.<br />

-65-


Irgendwann während des Sommers überwand <strong>Tom</strong><br />

seinen Stolz <strong>und</strong> fragte seinen Stiefvater Jack South,<br />

ob er ihm ein Darlehen gewähren könne, um seine<br />

Miete in Manhattan zahlen <strong>und</strong> dort endlich professionell<br />

Fuß fassen zu können. »Was soll mich das Ganze<br />

kosten?«, fragte sein Stiefvater resigniert, als <strong>Tom</strong><br />

ihm seine Zukunftspläne darlegte. Er lieh sich etwa<br />

850 Dollar, <strong>die</strong> er nach einem grob vereinbarten Plan<br />

zurückzahlen wollte. Heute gehört <strong>die</strong>se Geschichte zu<br />

den üblichen alten Witzen, <strong>die</strong> man sich in der Familie<br />

erzählt, aber damals, so erinnert sich Diane Van Zoeren,<br />

hatte <strong>Tom</strong> keine Lust, seinen »furchteinflößenden«<br />

Stiefvater um irgendetwas zu bitten. Er wollte<br />

aus eigener Kraft auf eigenen Füßen stehen <strong>und</strong> nicht<br />

von der nur widerwillig gewährten Großzügigkeit eines<br />

Mannes abhängen, mit dem er des öfteren zusammenkrachte.<br />

Jetzt hatte er Geld in der Tasche <strong>und</strong> fand eine kleine<br />

Wohnung in der Upper West Side, <strong>die</strong> er sich mit einem<br />

anderen, hart um seinen Aufstieg kämpfenden<br />

Schauspieler teilte. Das Darlehen seines Schwiegervaters<br />

besserte er durch Nebenjobs auf. Er arbeitete in<br />

dem Appartementhaus, in dem er wohnte, als Portier<br />

<strong>und</strong> Putzmann, bekam eine Teilzeitbeschäftigung als<br />

Tellerabräumer in Mortimer’s Restaurant, das es heute<br />

nicht mehr gibt, <strong>und</strong> im Sommer half er beim Entladen<br />

von LKWs. »Jedenfalls schaute er nicht mehr so idiotisch<br />

drein«, erinnert sich Diane. »Er ging zum Joggen<br />

<strong>und</strong> machte seine Workouts. Ehrlich gesagt, es war<br />

bew<strong>und</strong>ernswert.« Eines ihrer liebsten Erinnerungsstücke<br />

aus <strong>die</strong>sen Tagen ist eine Aufnahme von <strong>Tom</strong>, <strong>die</strong><br />

während eines ihrer gemeinsamen Wochenenden in<br />

Lavallette gemacht wurde. Man sieht ihn – oben ohne,<br />

damit sein »geschliffener« Oberkörper zur Geltung<br />

kommt, <strong>und</strong> in der Hand ein Bier – neben einem seiner<br />

Fre<strong>und</strong>e stehen. Die beiden hatten sich aus Jux <strong>und</strong><br />

-66-


Tollerei das Gesicht mit Rasierschaum eingeschmiert,<br />

bevor sie sich fotografieren ließen.<br />

Eigentlich aber sah er sein Leben weitaus düsterer,<br />

als es auf dem Foto den Anschein machte. In jenem<br />

Sommer in Manhattan, so erinnerte er sich, lebte er<br />

von billigen Hotdogs <strong>und</strong> Reis <strong>und</strong> war oft hungrig –<br />

ein Leben, so nannte er es später, »wie das eines Tiers<br />

im Dschungel«. Auch wenn es sich dabei um ein wildes<br />

Dschungeltier handelte, das an den Wochenenden<br />

nach Hause zu Muttern fuhr, um gebratene Hühner zu<br />

verzehren. Wie ein typischer Dschungelunterschlupf<br />

war seine Wohnung, »nett <strong>und</strong> sauber«, <strong>und</strong> der romantische<br />

junge Mann achtete darauf, dass immer<br />

Blumen in der Wohnung <strong>und</strong> Erdbeereis im Kühlschrank<br />

waren, wenn Diane ihn besuchte.<br />

All seine tierischen Instinkte waren auf seine Karriere<br />

beim Film gerichtet. Wenn er es sich leisten konnte,<br />

besuchte er, insgesamt etwa ein halbes Dutzend Mal,<br />

<strong>die</strong> Schauspielklassen, <strong>die</strong> der altge<strong>die</strong>nte Schauspieler<br />

Phil Gushee in der Neighborhood Playhouse School<br />

des Theaters an der 54. Straße abhielt. Seine Agentin<br />

hielt das für rausgeschmissenes Geld. In Tobes Augen<br />

war <strong>Tom</strong> ein Naturtalent, das man durch <strong>die</strong> Formung<br />

in einer Schauspielschule nur verderben konnte. Auch<br />

seine Bekannte Lorraine Gauli sah das so; zögernd<br />

musste sie anerkennen, dass seine Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

seine Leidenschaft für das Theater weit über das hinausgingen,<br />

was sie zu bieten hatte. Als er sie eines<br />

Tages besuchte, um eine Szene aus David Mamets<br />

Stück American Buffalo zu üben, war sie von seiner<br />

instinktiven Natürlichkeit als Schauspieler überwältigt.<br />

»<strong>Der</strong> Typ war von innen heraus gut. Er brauchte keinerlei<br />

Methode oder Ausbildung«, erinnert sie sich<br />

heute. Und er fand auch ihre Entscheidung für den<br />

konventionellen Weg – sie hatte sich für eine dreijährige<br />

Ausbildung an einer Schauspielschule in New York<br />

-67-


eingeschrieben – völlig falsch. <strong>Tom</strong> meinte, sie solle es<br />

wie er machen <strong>und</strong> sofort einfach zum Vorsprechen für<br />

Theater- <strong>und</strong> Filmrollen gehen. <strong>Der</strong> zielstrebige junge<br />

Mann war der Meinung, er könne <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Schauspielerei<br />

notwendige Erfahrung auch über <strong>die</strong>se Praxis<br />

erwerben.<br />

Selbst <strong>die</strong>jenigen von <strong>Tom</strong>s Fre<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> nichts mit<br />

dem Theater zu tun hatten, erkannten, wie das Talent<br />

gleichsam aus ihm herausbrach. An einem Wochenende<br />

in Glen Ridge stand er mit seinem Bekannten Vinnie<br />

Travisano im Flur des Hauses seiner Familie <strong>und</strong><br />

spielte eine Szene aus dem Film Wie ein Stier (Raging<br />

Bull) aus dem Jahr 1980. »Er steigerte sich dermaßen<br />

hinein, wurde unglaublich emotional <strong>und</strong> auf<br />

den unmittelbaren Moment fixiert; man merkte, dass<br />

er hier seine Berufung gef<strong>und</strong>en hatte«, meint Vinnie.<br />

»Es war irre.«<br />

<strong>Tom</strong> hatte sich selbst zehn Jahre gegeben, um zum<br />

König des Dschungels der Schauspieler aufzusteigen,<br />

aber bereits nach zehn Wochen machte er dort viel<br />

Rabatz. »Vom ersten Tag an, an dem er begann, für<br />

Rollen vorzusprechen, war er einfach ein Hit«, so Tobe<br />

Gibson. Er kriegte eine Rolle in einem Werbespot für<br />

Hershey’s Schokolade, <strong>und</strong> sofort kamen mehrere Angebote<br />

für weitere Werbespots. Geradlinig <strong>und</strong> hochmotiviert<br />

suchte er mit allen Mitteln, sich gegenüber<br />

den anderen jungen Nachwuchstalenten auf dem Weg<br />

zum <strong>Star</strong>ruhm einen Vorteil zu verschaffen. Eine Zeitlang<br />

nahm er sogar Gitarreunterricht bei Laura Davies,<br />

einer Musikerin von der Glen Ridge Highschool, um<br />

damit seine Chancen auf eine Rolle in einer Fernsehfassung<br />

des erfolgreichen Kinofilms Farne zu verbessern.<br />

Die Produzenten hatten Vorspieltermine für mögliche<br />

Kandidaten in Hollywood organisiert, <strong>und</strong> es gelang<br />

Tobe, dass man <strong>Tom</strong>s Namen auf eine ohnehin<br />

schon sehr lange Liste von Aspiranten setzte. Er kratz-<br />

-68-


te irgendwie das Geld für den Flug von New York nach<br />

Los Angeles zusammen, packte seine Tasche <strong>und</strong><br />

machte sich auf den Weg, um aus erster Hand <strong>die</strong><br />

Realität jener indifferenten, ungehobelten Industrie<br />

kennenzulernen, <strong>die</strong> zu erobern er sich in den Kopf<br />

gesetzt hatte.<br />

Diese Erfahrung war für den Jungen von der Ostküste<br />

doch etwas verwirrend. Er traf im Büro des Regisseurs<br />

ein <strong>und</strong> lieferte, wie er sich später erinnerte, eine<br />

»schreckliche« Vorstellung ab. Als der Regisseur ihn<br />

fragte, wie lange er in der Stadt sein würde, sagte unser<br />

junger Schauspieler, in der Annahme, man wolle<br />

ihn zurückrufen, dass er beabsichtige, ein paar Tage<br />

hierzubleiben. »Gut, dann sehen Sie zu, dass Sie etwas<br />

Farbe kriegen«, kam <strong>die</strong> Antwort, <strong>und</strong> danach<br />

komplimentierte man ihn aus dem Büro hinaus. Später<br />

erinnerte er sich: »Ich ging aus dem Büro <strong>und</strong> dachte,<br />

das war das Komischste, was dir je passiert ist. Ich<br />

musste dermaßen lachen. Mir standen <strong>die</strong> Tränen in<br />

den Augen, <strong>und</strong> ich dachte: >Das ist also Hollywood.<br />

Willkommen <strong>Cruise</strong>!


nen weiteren Termin für eine Nebenrolle in Endlose<br />

Liebe (Endless Love), einer Herz-Schmerz-Teenager-<br />

Romanze mit Brooke Shields in der Hauptrolle. Tobe<br />

musste ihre ganze Überredungskunst einsetzen, um<br />

ihm einen Termin bei dem Regisseur Franco Zefirelli zu<br />

verschaffen. Die für das Casting verantwortliche Agentin<br />

Sally Dennison wollte einen größeren, schmaleren<br />

Typen für <strong>die</strong> Rolle eines Footballspielers an der Highschool,<br />

aber Tobe konnte sie dazu bewegen, dass sie<br />

sich ihren Schützling wenigstens einmal ansah, der,<br />

wie sie zugeben musste, eher <strong>die</strong> Figur eines kompakten<br />

Ringkämpfers hatte.<br />

Bevor er sich auf den Weg zu <strong>die</strong>sem Termin machte,<br />

erinnerte ihn Tobe noch einmal an <strong>die</strong> goldenen Regeln<br />

für junge Schauspieler. Beim ersten Treffen immer<br />

schön Danke sagen, Augenkontakt halten <strong>und</strong><br />

frisch <strong>und</strong> frohen Mutes auftreten. Wenn du <strong>die</strong> Rolle<br />

kriegst, achte auf jede Bewegung des Regisseurs am<br />

Drehort, <strong>und</strong> bitte: keine Feiern, bevor <strong>die</strong> Dreharbeiten<br />

beendet sind. Ihre Worte trafen bei ihm auf<br />

taube Ohren. Später gestand <strong>Tom</strong>, dass er den Kardinalfehler<br />

schlechthin gemacht <strong>und</strong> am Abend vor seinem<br />

Termin kräftig einen getrunken hatte, so dass er<br />

mit einem ziemlichen Kater zum Vorsprechen erschien.<br />

Schließlich bat man ihn, ein paar Zeilen aus Romeo<br />

<strong>und</strong> Julia zu rezitieren <strong>und</strong> in dem Zimmer auf <strong>und</strong> ab<br />

zu gehen, vermutlich um dem Regisseur ein Gefühl für<br />

seine Bühnenpräsenz zu vermitteln. Für einen wie ihn,<br />

der sich dermaßen mit seinem Gewerbe identifiziert,<br />

klingt das Bekenntnis, er habe am Abend vor seiner<br />

ersten wirklich großen Chance zu viel getrunken, etwas<br />

seltsam. Waren es <strong>die</strong> Nerven, war es Draufgängertum<br />

oder nur eine Übertreibung im Nachhinein?<br />

Egal, ob nun mit oder ohne Kater: <strong>Tom</strong> kriegte <strong>die</strong><br />

Rolle des Billy, <strong>und</strong> ein anderer Klient von Tobe, Sean<br />

Gauli, der kleinere Bruder von <strong>Tom</strong>s Bekannter <strong>und</strong><br />

-70-


Schauspielkollegin Lorraine, ergatterte eine jener Nebenrollen,<br />

<strong>die</strong> man als Zuschauer nicht mitkriegt,<br />

wenn man während des Films für eine Sek<strong>und</strong>e mal<br />

<strong>die</strong> Augen zumacht. Gefilmt wurde in Chicago im<br />

Herbst 1980, <strong>und</strong> bevor er das Flugzeug bestieg,<br />

kümmerte sich seine Mutter noch um <strong>die</strong> Ausstattung<br />

ihres jungen Löwen; schließlich sollte er auch ordentlich<br />

angezogen sein. Also ging sie mit ihm einkaufen –<br />

T-Shirts, neue Shorts <strong>und</strong> Unterwäsche. Diese Vorsichtsmaßnahme<br />

war keineswegs voreilig, denn sein<br />

erster Auftritt auf der Leinwand blieb eher in Erinnerung<br />

wegen der knappsitzenden Shorts, <strong>die</strong> er bei einem<br />

abgefilmten Fußballspiel trug, als wegen irgendwelcher<br />

Texte, <strong>die</strong> er in der Rolle von sich gegeben<br />

hätte. In seiner Rolle musste er sein Unterhemd ausziehen,<br />

bevor er eine Unterhaltung mit dem männlichen<br />

Hauptdarsteller David beginnt. In <strong>die</strong>ser kurzen<br />

Sequenz schlägt er David in neckischem Tonfall vor, er<br />

solle doch das Haus der Eltern seiner Fre<strong>und</strong>in anzünden<br />

– ein Vorschlag, der für das Liebespaar, das ohnehin<br />

unter einem schlechten Stern steht, dann tragische<br />

Konsequenzen hat.<br />

Zwar war <strong>Tom</strong> zeit seines Lebens ein Filmfan gewesen,<br />

aber von der Praxis des Filmemachens hatte er<br />

keinen blassen Schimmer. Als er am Drehort ankam,<br />

merkte er, dass das Ganze ein hochtechnischer Prozess<br />

war. Später erinnerte er sich, dass er mehr Zeit<br />

damit verbrachte, den richtigen Winkel zur Kamera zu<br />

finden <strong>und</strong> sich entlang der vorgeschriebenen Strecke<br />

zu bewegen, als seine paar Zeilen Text aufzusagen.<br />

<strong>Der</strong> Film kam nicht besonders an <strong>und</strong> erntete zum Teil<br />

bösartige Kritiken, aber für <strong>Tom</strong> war <strong>die</strong> ganze Aktion<br />

ein ziemliches Erlebnis. Während der Dreharbeiten in<br />

Chicago hatte er darüber hinaus noch einen Auftritt in<br />

einem Dokumentarfilm über den Regisseur Franco Zefirelli,<br />

der für 60 Minutes gedreht wurde.<br />

-71-


Als <strong>die</strong>se Dokumentation gesendet wurde, sprang er<br />

wie wild vom Sofa auf, auf dem er mit seiner Fre<strong>und</strong>in<br />

<strong>und</strong> der Familie vor dem kleinen Fernsehschirm saß,<br />

um seinen ersten Auftritt zu verfolgen. Es handelte<br />

sich hier um den Vorläufer eines öffentlichen Auftritts,<br />

der 25 Jahre später stattfinden sollte.<br />

Als Endlose Liebe anlief, war <strong>Tom</strong> einer der Ersten,<br />

der sich an der Kinokasse anstellte, um den Film zu<br />

sehen. Er <strong>und</strong> einige seiner Fre<strong>und</strong>e gingen dazu ins<br />

Regency nach Bloomfield. Als sie das Kino verließen,<br />

stand sein Kollege <strong>und</strong> Mitschauspieler Sean Gauli an<br />

der Kasse, um sich Karten für <strong>die</strong> Abendvorstellung zu<br />

kaufen.<br />

Irgendwie spiegelte sich in <strong>die</strong>ser Szene der Unterschied<br />

in den Karrieren, <strong>die</strong> beide vor sich hatten. Für<br />

<strong>Tom</strong> öffneten sich <strong>die</strong> Türen, während sie vor Sean<br />

zuschlugen. Sean verkauft heute Caravans in Florida.<br />

Es ärgert ihn, dass sein alter Schulfre<strong>und</strong> immer so<br />

übertreibt, wenn er seinen Aufstieg in der Filmbranche<br />

als großen Kampf beschreibt. Dadurch treten all jene<br />

in den Hintergr<strong>und</strong>, <strong>die</strong> ihm zu Beginn geholfen haben,<br />

<strong>und</strong> ironischerweise leugnet er in gewisser Weise damit<br />

auch sein Talent, seine unglaubliche Fähigkeit, <strong>die</strong><br />

Dinge leicht wirken zu lassen.<br />

Als <strong>Tom</strong> der Autorin Jennet Conant erzählte: »Ich<br />

war Monate lang ein Schauspieler, der am Hungertuch<br />

nagte«, fand Sean Gauli <strong>die</strong>se Darstellung höchst<br />

problematisch. »Was er erzählt <strong>und</strong> was er wirklich<br />

gemacht hat, das sind zwei Paar Stiefel.« Für ihn sind<br />

<strong>Tom</strong>s Geschichten, er sei im Land herumgetrampt auf<br />

der Suche nach Ruhm <strong>und</strong> Glück, der reinste Mythos.<br />

»Tatsache ist, dass er ein Naturtalent war <strong>und</strong> nie<br />

wirklich kämpfen musste. Ich weiß das, denn ich war<br />

selbst bei H<strong>und</strong>erten von Vorsprechterminen; er musste<br />

sich <strong>die</strong>se Tortur nie antun. Es wäre gut, wenn endlich<br />

mal <strong>die</strong> Wahrheit an den Tag käme, statt dass<br />

-72-


man immer nur <strong>die</strong>sen erf<strong>und</strong>enen Mist verbreitet. Wir<br />

waren alle Schauspieler, <strong>die</strong> um Anerkennung kämpften,<br />

<strong>und</strong> nachdem er es geschafft hatte, hat er nie einem<br />

von uns geholfen.« Man hört hier noch einen gewissen<br />

Ärger darüber, dass <strong>Tom</strong> nie <strong>die</strong> Unterstützung<br />

durch seine Schulfre<strong>und</strong>e aus Glen Ridge, wie Steve<br />

Pansulla oder Lorraine Gauli, wirklich anerkannt hat,<br />

oder auch <strong>die</strong> Unterstützung, <strong>die</strong> ihm seine erste Agentin<br />

Tobe Gibson angedeihen ließ, indem sie seine<br />

Karriere förderte.<br />

Vinnie Travisano, <strong>Tom</strong>s ehemaliger Bekannter <strong>und</strong><br />

heute erfolgreicher Artdirector, w<strong>und</strong>ert das nicht. »Er<br />

ist ein sehr talentierter Typ, <strong>und</strong> sehr talentierte Leute<br />

glauben, dass sie alles alleine geschafft haben, <strong>und</strong><br />

gehen ihren Weg.« Das ist der Lauf der Dinge in <strong>die</strong>ser<br />

Welt. <strong>Star</strong>s neigen dazu, sich bestenfalls bei der Entgegennahme<br />

des Oscars zu einem Dankeschön hinreißen<br />

zu lassen.<br />

Im Herbst des Jahres 1980, als er von den Dreharbeiten<br />

zu Endlose Liebe zurückkehrte, lag jede Art<br />

von Erfolg für ihn jedoch noch in weiter Ferne. Zwar<br />

waren <strong>die</strong> paar Tage in Chicago eine Bestätigung seiner<br />

Ambitionen gewesen, aber als er wieder nach New<br />

York zurückkehrte, war er lediglich einer von vielen<br />

jungen arbeitslosen Schauspielern, <strong>die</strong> Tische in Restaurants<br />

abräumten <strong>und</strong> damit gerade so über <strong>die</strong><br />

R<strong>und</strong>en kamen. Nichtsdestotrotz scheint ihn <strong>die</strong> Erfahrung<br />

mit <strong>die</strong>sem Film in seinem Selbstvertrauen bestärkt<br />

zu haben, <strong>und</strong> sie verstärkte seinen Drang, sich<br />

zu beweisen. Er war wütend auf seine Agentin, <strong>die</strong><br />

Werbefotos von ihm an <strong>die</strong> populären Jugendzeitschriften<br />

Tiger Beat <strong>und</strong> Teen Beat verschickt<br />

hatte. Zwar tauchte er in einem späteren Stadium seiner<br />

Karriere auf dem Titelbild von Tiger Beat auf, aber<br />

es war ihm wichtig, nicht in <strong>die</strong> Ecke irgendeines<br />

käsigen Pin-up-Knaben gestellt zu werden. Darauf leg-<br />

-73-


te er in späteren Interviews immer wieder Wert. »Ich<br />

möchte nicht auf den Typ des Teenie-Idols festgelegt<br />

werden«, sagte er. Was ihn jedoch viel mehr ärgerte,<br />

waren eine Reihe von Schwarzweißaufnahmen, <strong>die</strong><br />

<strong>Tom</strong> in einem Gymnastikhemd <strong>und</strong> engsitzenden<br />

Shorts zeigen <strong>und</strong> <strong>die</strong> angeblich in der Schwulenzeitschrift<br />

Parlee abgedruckt wurden, <strong>die</strong> in New York <strong>und</strong><br />

Long Island verbreitet war. Diane Van Zoeren erinnert<br />

sich, dass ihn <strong>die</strong>se Sache dermaßen aufregte, dass er<br />

persönlich ins Büro seiner Agentin fuhr, um sie von<br />

Angesicht zu Angesicht zur Rede zu stellen. »Es war<br />

ihm sehr ernst, als er zu ihr ging«, erinnert sie sich,<br />

<strong>und</strong> wir sehen hier einen jungen Schauspieler, der bereits<br />

sehr früh alles daransetzte, sein Image selbst<br />

unter Kontrolle zu behalten.<br />

Diane musste bald feststellen, dass er mehr als nur<br />

sein Image kontrollieren wollte. Er wollte für alles <strong>und</strong><br />

jedes verantwortlich sein. Sie empfand sein Verhalten<br />

als Unterdrückung <strong>und</strong> beschwerte sich sogar bei seiner<br />

jüngeren Schwester Cass darüber. »Wir hatten<br />

eine sehr instabile Beziehung«, meint Diane im Rückblick,<br />

<strong>die</strong> zu <strong>die</strong>ser Zeit das letzte Schuljahr an der<br />

Glen Ridge High School absolvierte. »Ich verstand<br />

nicht, dass er so aufdringlich <strong>und</strong> dramatisch sein<br />

konnte. Er war richtig kontrollfixiert, <strong>und</strong> ich war so<br />

etwas nicht gewohnt.«<br />

Aber er war auch romantisch <strong>und</strong> fürsorglich – wenn<br />

er es sich leisten konnte. Sie hatte sich an <strong>die</strong> billigen<br />

chinesischen Restaurants gewöhnt <strong>und</strong> an <strong>die</strong> Fummeleien<br />

auf dem Rücksitz des Autos ihres Vaters – »Kinderkram<br />

halt. Man macht <strong>die</strong> Dinge, <strong>die</strong> man nicht<br />

machen soll«, meint Diane –, aber als er von den<br />

Dreharbeiten zu Endlose Liebe zurückkam, kaufte er<br />

ihr eine schöne Halskette, verziert mit einem Schloss<br />

<strong>und</strong> einem Schlüssel. <strong>Der</strong> sei, so meinte er romantisch,<br />

»der Schlüssel zu ihrem Herzen«. Zwischen den<br />

-74-


omantischen Phasen lagen Zeiten der Auseinandersetzung<br />

<strong>und</strong> gegenseitiger Schuldzuweisungen. Beim<br />

Candy Kane Ball im Dezember 1980 hatten sie eine<br />

riesige Auseinandersetzung, weil sie mit einem anderen<br />

Jungen getanzt hatte. Am nächsten Tag schickte<br />

er ihr zwölf gelbe Rosen als Entschuldigung. Zielstrebig,<br />

wie er war, <strong>und</strong> immer auf dem Sprung, hielt <strong>die</strong><br />

versöhnliche Stimmung bei <strong>Tom</strong> nie lange an. Einige<br />

Wochen später war er wütend, weil sie keine Zeit hatte,<br />

das Drehbuch für einen Film mit dem Titel Die Kadetten<br />

von Bunker Hill (Taps) zu lesen, ein Stück<br />

übers Erwachsenwerden, in dem es um einen gewalttätigen<br />

Aufstand von Kadetten geht, deren Militärakademie<br />

geschlossen werden soll.<br />

Anfang 1981 suchte <strong>die</strong> altge<strong>die</strong>nte Casting-Agentin<br />

Shirley Rieh nach jungen Talenten für <strong>die</strong>se Produktion,<br />

bei der bereits der legendäre George C. Scott <strong>und</strong><br />

der frisch gebackene Oscargewinner Timothy Hutton<br />

unter Vertrag waren. Sie suchten einen Schwarzen als<br />

Schauspieler <strong>und</strong> einen »WASP-Typen«, um einige Nebenrollen<br />

zu besetzen. Bisher hatten sie noch keine<br />

passenden Kandidaten gef<strong>und</strong>en. »Ich sagte ihr, dass<br />

ich genau den hätte, den sie suchte«, erinnert sich<br />

Tobe Gibson <strong>und</strong> schickte <strong>Tom</strong> am folgenden Freitag<br />

nachmittags zum Vorsprechen.<br />

Dieses Mal hatte er einen klaren Kopf, während er<br />

vor dem Regisseur Harold Becker seinen Text vorlas.<br />

Becker bat ihn, <strong>die</strong> Haare hochzustecken, weil er sehen<br />

wollte, wie er als kurzgeschorener Armeekadett<br />

aussehen könnte. Das Vorsprechen dauerte nicht lange,<br />

<strong>und</strong> <strong>Tom</strong> war sich unsicher, ob er angenommen<br />

wurde. Als er in Glen Ridge ankam, machte das strahlende<br />

Grinsen seiner Mutter seiner Unsicherheit ein<br />

Ende. Sie sagte ihm: »Du hast <strong>die</strong> Rolle gekriegt!«<br />

Diesen Moment wird er nie in seinem Leben vergessen,<br />

denn in <strong>die</strong>sem Augenblick änderte sich sein Le-<br />

-75-


en. Diese Gage von angeblich 50.000 Dollar ermöglichte<br />

ihm nicht nur <strong>die</strong> Rückzahlung seines Kredits<br />

über 850 Dollar an seinen Stiefvater; mit <strong>die</strong>sem Film<br />

erklomm er auch <strong>die</strong> erste Sprosse auf der Leiter des<br />

Erfolgs zum <strong>Star</strong>ruhm. In der Rolle, <strong>die</strong> er ergattert<br />

hatte, spielte er den Fre<strong>und</strong> von einer der Hauptfiguren<br />

– David Shawn, einen etwas verklemmten Kadetten<br />

in einer Militärakademie, der ausrastet <strong>und</strong> während<br />

des Protests der Studenten gewalttätig wird.<br />

»Ihm war klar, dass <strong>die</strong>se Rolle für seine Karriere in<br />

Hollywood extrem wichtig war. Entweder es klappte,<br />

oder er wäre weg vom Fenster, <strong>und</strong> so nahm er sie<br />

sehr ernst«, erzählt Diane Van Zoeren.<br />

Harold Becker war in mehrfacher Hinsicht der ideale<br />

Regisseur für einen noch ungeformten, unerfahrenen<br />

Schauspieler wie <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>. Er bestand auf langen<br />

Proben, ließ <strong>die</strong> Jungen 45 Tage lang in einem echten<br />

Boot-Camp trainieren – in der Valley-Forge-<br />

Militärakademie in Wayne in Pennsylvania –, um ihnen<br />

ein Gefühl für <strong>die</strong> Brutalität der übersteigerten Kameraderie<br />

des Kadettenlebens zu vermitteln. Den halben<br />

Tag übten sie ihre Rollen, den Rest der Zeit nahmen<br />

sie an der militärischen Ausbildung teil, lernten marschieren<br />

<strong>und</strong> den Umgang mit Waffen <strong>und</strong> vertieften<br />

sich in <strong>die</strong> unendlichen Feinheiten der militärischen<br />

Umgangsformen. Am Ende, so Beckers Kalkül, würden<br />

sie sich mit den Charakteren, <strong>die</strong> sie darstellen sollten,<br />

völlig identifizieren, <strong>und</strong> das würde dem Film <strong>die</strong> Aura<br />

des Authentischen vermitteln. Später dann, während<br />

der Dreharbeiten, ließ er <strong>Tom</strong> <strong>die</strong> Aufnahmen des Tages<br />

zeigen <strong>und</strong> ging mit ihm <strong>die</strong> ganzen technischen<br />

Prozesse durch.<br />

Die jungen Kadettenschauspieler blühten in der militärischen<br />

Umgebung richtig auf – alle bis auf einen,<br />

ein junges Talent aus einem Shakespeare-<br />

Jugendtheater in Tennessee. Er war für <strong>die</strong> Rolle des<br />

-76-


David Shawn vorgesehen, den übereifrigen Kriegsfanatiker,<br />

der den Gegenpart zu den eher beschwichtigenden<br />

Stimmen während des Aufstands der Studenten<br />

der Militärakademie übernehmen sollte. »Aber<br />

er kriegte das nicht hin, es war herzzerreißend«, erinnert<br />

sich Becker. Da der Junge aus Tennessee nun aus<br />

dem Rennen war, schaute sich Becker <strong>die</strong> anderen<br />

Schauspieler genauer an, um einen zu finden, auf den<br />

<strong>die</strong> Rolle passte, einen Typen, der, wie er es sagte,<br />

»<strong>die</strong> Wände hochgehen konnte«. Ein junger Mann mit<br />

dem Körperbau eines Ringers fiel ihm ein, der schon<br />

beim Exerzieren auf dem Hof der Militärakademie <strong>die</strong><br />

anderen ausgestochen hatte. Es war <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>.<br />

»<strong>Tom</strong> hatte etwas, das mich anzog«, erinnert sich Becker.<br />

»Er ist ein H<strong>und</strong>ertprozentiger. Er konnte über<br />

den Exerzierplatz stolzieren <strong>und</strong> machte dabei eine<br />

Figur, für <strong>die</strong> manche der Jungs an der Militärakademie<br />

drei oder vier Jahre arbeiten müssen. Ich kann<br />

nicht sagen, dass ich damals gedacht hätte: >Aus dem<br />

Jungen wird mal was.< Aber ich habe ihn für <strong>die</strong> Rolle<br />

genommen.«<br />

Man muss zu <strong>Tom</strong>s Ehrenrettung hier anführen, dass<br />

er sich mehr um das Schicksal des Jungen sorgte, der<br />

ursprünglich <strong>die</strong> Rolle des David Shawn hätte spielen<br />

sollen, als um <strong>die</strong> Gelegenheit, <strong>die</strong> ihm hier geboten<br />

wurde. Wie Becker ihm erklärte, wisse er zwar, dass er<br />

sich mit dem anderen angefre<strong>und</strong>et habe, aber er<br />

müsse ihn nun einmal ersetzen <strong>und</strong> wenn er, <strong>Tom</strong>, <strong>die</strong><br />

Rolle nicht haben wolle, müsste er sich eben woanders<br />

umschauen. Also nahm <strong>Cruise</strong> <strong>die</strong> Rolle an.<br />

Am Rande <strong>die</strong>ses Dramas abseits der Leinwand stand<br />

ein junger ironischer Sean Penn, der das Ganze mit<br />

Vergnügen beobachtete. Penn sollte <strong>die</strong> Rolle des Alex<br />

spielen, ein nachdenklicher Soldat, der zum Dreh- <strong>und</strong><br />

Angelpunkt der miteinander verfeindeten Kadettengruppen<br />

wird. Als Sohn des Regisseurs Leo Penn <strong>und</strong><br />

-77-


der Schauspielerin Eileen Ryan war der aus Kalifornien<br />

stammende Schauspieler, obwohl nur zwei Jahre älter<br />

als <strong>Cruise</strong>, schon ein alter Hase auf der Bühne <strong>und</strong><br />

beim Film. Er hatte bereits als Student an der Santa<br />

Moncia Highschool bei seinem ersten Film Echoes of<br />

an Era, der von den Erfahrungen eines Vietnamveteranen<br />

erzählt, Regie geführt. Das Drehbuch zu dem<br />

Film stammte von seinem Schulfre<strong>und</strong> Emilio Estevez,<br />

dessen Vater Gulfstream Sheen der <strong>Star</strong> des berühmten<br />

Films Apocalypse Now war – das vereinfachte <strong>die</strong><br />

Sache erheblich.<br />

Nachdem er von der Highschool abgegangen war, wo<br />

er <strong>die</strong> skurrile Fächerkombination Automechanik <strong>und</strong><br />

Sprechtechnik gewählt hatte, bekam er zunächst einige<br />

kleinere Rollen in verschiedenen Fernsehserien,<br />

darunter Barnaby Jones <strong>und</strong> Ehe Killing of Randy<br />

Webster. Dann kaufte er sich ein Ticket nach New<br />

York ohne Rückflug, um dort in der Off-Theaterszene<br />

sein Glück zu versuchen. Einerseits kannte er sich in<br />

Hollywood aus <strong>und</strong> war entsprechend zynisch – sein<br />

Vater stand in der McCarthy-Ära in den fünfziger Jahren<br />

auf der schwarzen Liste, weil er sich geweigert<br />

hatte, an der Hexenjagd auf Kommunisten teilzunehmen<br />

–, andererseits war er aber auch ein engagierter,<br />

talentierter <strong>und</strong> sehr präsenter Schauspieler mit einem<br />

irgendwie griesgrämig wirkenden Selbstbewusstsein,<br />

das ihn zur Kritik gegenüber Regisseuren <strong>und</strong> Kollegen<br />

befähigte, aber durchaus auch zur Selbstkritik.<br />

Bei seinem Vorsprechtermin für Die Kadetten von<br />

Bunker Hill beispielsweise sprang Sean auf den Tisch,<br />

um zu demonstrieren, wie er vor einer Versammlung<br />

von Rekruten eine Rede halten würde. Als er <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> in Aktion sah, erkannte er in ihm eine verwandte<br />

Seele – einen wilden, getriebenen jungen Mann.<br />

»<strong>Cruise</strong> führte sich auf, als würde er für <strong>die</strong> Scheißolympiade<br />

trainieren«, erzählte Penn. »Ich glaube, er<br />

-78-


war der erste Mensch, zu dem ich sagte: >Komm wieder<br />

runter.< Irgendwie war er auch ein lustiger Kerl.«<br />

<strong>Tom</strong>, Sean <strong>und</strong> Timothy Hutton wurden bald dicke<br />

Fre<strong>und</strong>e. <strong>Der</strong> Junge aus Glen Ridge ließ den beiden<br />

Älteren aufgr<strong>und</strong> ihrer Erfahrung <strong>und</strong> ihrer Erfolge den<br />

Vortritt. Dieses testosterongeschwängerte Trio führte<br />

ein hartes Partyleben, <strong>und</strong> alle drei wohnten auf demselben<br />

Stockwerk des Hotels Valley Lodge, das bald<br />

den Spitznamen Gang der Bruderschaft erhielt. »Ja,<br />

auf <strong>die</strong>sem Stockwerk ging es wirklich ziemlich zur<br />

Sache«, erinnert sich Sean Penn. Am Drehort stellte<br />

man <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>schaft jedoch hintan. Penn <strong>und</strong> <strong>Cruise</strong><br />

spielten völlig gegensätzliche Charaktere, <strong>die</strong> jederzeit<br />

bereit waren, dem anderen an <strong>die</strong> Gurgel zu gehen.<br />

Was <strong>die</strong> Intensität ihrer Darstellung anbelangte, stand<br />

keiner dem anderen nach. Penn bestand sogar darauf,<br />

dass man ihn mit Alex – so der Name der Figur, <strong>die</strong> er<br />

darstellte – ansprach, auch wenn <strong>die</strong> Kameras abgeschaltet<br />

waren. In einer Szene, in der <strong>Tom</strong> einen<br />

Schuss aus einem Gewehr abfeuern sollte, fürchtete<br />

Regisseur Harold Becker, dass Sean <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> sich gegenseitig<br />

umbringen würden. Sean hatte irgendwas zu<br />

<strong>Tom</strong> gesagt, worauf der ihm plötzlich wütend hinterherlief<br />

<strong>und</strong> über den ganzen Set verfolgte. Erst als andere<br />

Mitglieder des Teams intervenierten, nahm der<br />

Aufruhr ein Ende. »Sean provoziert gern andere Leute,<br />

<strong>und</strong> er hatte irgendwas zu <strong>Tom</strong> gesagt«, erinnert sich<br />

Becker. »Es war ihm gelungen, dass <strong>Tom</strong> ihn eine<br />

Zeitlang nicht ausstehen konnte.«<br />

Auch <strong>Tom</strong> vertiefte sich in <strong>die</strong> Rolle, <strong>die</strong> er übernommen<br />

hatte, <strong>und</strong> erforschte den grausamen <strong>und</strong><br />

manischen Charakter eines psychotischen Kadetten.<br />

»Ich erinnere mich, dass ich nervös war, wirklich nervös,<br />

denn wenn man jung ist, möchte man nicht gefeuert<br />

werden«, erzählte er später dem Regisseur Cameron<br />

Crowe. Diese Nervosität erwuchs aus dem An-<br />

-79-


spruch, den er selbst an sich stellte, aus dem Willen<br />

zum Erfolg. Die Erfahrungen, <strong>die</strong> er hier machte, waren<br />

offensichtlich dermaßen eindringlich, dass er danach<br />

Monate brauchte, um wieder aus seiner Rolle herauszukommen.<br />

»Ich hatte jeden Sinn für Humor verloren«,<br />

gestand er später einem Profiler, <strong>und</strong> der<br />

meinte nur trocken: »Das kann ich mir gut vorstellen.«<br />

Während <strong>die</strong>ser Zeit der völligen Absorption im Kreise<br />

seiner Kollegen machten sowohl <strong>die</strong> Rolle als auch<br />

der Schauspieler <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> eine nachhaltige Wandlung<br />

durch. <strong>Tom</strong>s privates <strong>und</strong> berufliches Leben änderte<br />

sich. <strong>Tom</strong> wurde insgeheim von einem neuen<br />

Agenten umworben, von Gerry Silver, dem Neffen seiner<br />

damaligen Agentin Tobe Gibson. Da <strong>die</strong>ser ihm<br />

jetzt Versprechungen von größeren <strong>und</strong> besseren Angeboten<br />

ins Ohr flüsterte, beschloss <strong>Tom</strong>, sich von<br />

seiner alten Agentin, <strong>die</strong> ihm zum Durchbruch verholfen<br />

hatte, zu trennen. Mitten während der Dreharbeiten<br />

zu Die Kadetten von Bunker Hill, erhielt Tobe<br />

ein knappes Telegramm ihres Klienten, in dem er ihr<br />

unverblümt mitteilte, dass ihre Dienste nicht länger<br />

benötigt würden. Tobe, <strong>die</strong> sich gewissermaßen als<br />

<strong>Tom</strong>s zweite Mutter verstand, war niedergeschmettert<br />

-nicht zuletzt deswegen, weil es ihr eigener Neffe war,<br />

der ihr <strong>die</strong>sen Klienten weggeschnappt hatte. Sie<br />

sprach daraufhin vier Jahre lang nicht mehr mit ihrem<br />

Neffen, <strong>und</strong> noch heute hat sie Probleme, über <strong>die</strong>sen<br />

Vorfall zu reden. »Er hat sich hinter meinem Rücken<br />

mit <strong>Tom</strong> getroffen, ist mit ihm ausgegangen <strong>und</strong> hat<br />

ihm alles Mögliche versprochen«, sagt sie. »Ich habe<br />

<strong>Tom</strong> wie meinen Sohn behandelt.«<br />

Später erzählte <strong>Tom</strong> Lorraine, er habe Tobe gefeuert,<br />

weil sie ihn nicht dorthin bringen konnte, wo er hinwollte.<br />

»Ihr hat es das Herz gebrochen«, erzählt Lorraine.<br />

»Sie wusste, dass aus ihm ein <strong>Star</strong> werden wür-<br />

-80-


de <strong>und</strong> dass damit auch ihre Agentur nach oben katapultiert<br />

werden könnte.« Agenten, <strong>die</strong> neue Talente<br />

entdecken, müssen <strong>die</strong>sen Preis oft zahlen, <strong>und</strong> Tobes<br />

Tochter Babydol, <strong>die</strong> Jahre später in <strong>die</strong> Schlagzeilen<br />

kam, weil sie einen Callgirlring in Hollywood betrieb,<br />

versteht das voll <strong>und</strong> ganz. »Damit muss meine Mutter<br />

leben«, sagt sie. »Sie findet Leute, bringt sie auf den<br />

Weg, <strong>und</strong> später wird sie dann von ihnen verlassen.<br />

Dennoch hat sie für <strong>die</strong> Entwicklung seiner Karriere<br />

Entscheidendes geleistet.«<br />

Zur gleichen Zeit, als er sich von seiner »Ersatzmutter«<br />

trennte, gab <strong>Tom</strong> auch seiner langjährigen Fre<strong>und</strong>in<br />

Diane Van Zoeren den Laufpass. Während seiner<br />

Abwesenheit hatte Diane, <strong>die</strong> schon seit langem das<br />

Gefühl hatte, dass sie eines Tages getrennte Wege<br />

gehen würden, sich wieder mit einem Verflossenen<br />

getroffen. Als <strong>Tom</strong>s Fre<strong>und</strong> Michael LaForte sie stellte<br />

<strong>und</strong> fragte, ob sie <strong>Tom</strong> betrüge, leugnete sie. In einem<br />

verzweifelten letzten Versuch, ihre achtzehnmonatige<br />

Romanze zu retten, fuhr sie mit dem Taxi zum Bahnhof<br />

nach Newark <strong>und</strong> stieg in den Zug nach Valley<br />

Forge, wo <strong>Tom</strong> für seine Rolle übte. Sie war dermaßen<br />

übereilt aufgebrochen, dass sie nicht einmal das Geld<br />

für das Taxi hatte, als sie in seinem Hotel ankam. Sie<br />

verbrachten zwei Tage zusammen, aber beide wussten<br />

sie, dass <strong>die</strong>s nur ein letztes Aufbäumen war. Durch<br />

seine kurzgeschorenen Haare, den muskelbepackten<br />

Körper, sein ernstes Benehmen <strong>und</strong> <strong>die</strong> problemlos<br />

sich entwickelnde Fre<strong>und</strong>schaft mit Tim Hutton <strong>und</strong><br />

Sean Penn war <strong>Tom</strong> quasi über Nacht ein anderer<br />

Mensch geworden. Er sah gut aus <strong>und</strong> war sich dessen<br />

bewusst. Darüber hinaus war ihm jetzt klar geworden,<br />

dass er seine eigentliche Berufung gef<strong>und</strong>en hatte.<br />

Diane hatte in <strong>die</strong>ser Welt keinen Platz mehr.<br />

Diane war geblendet von der Gegenwart Tim Huttons,<br />

der damals ein bekanntes Teenie-Idol war. Ihre<br />

-81-


Trennung von <strong>Tom</strong> verlief fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> war endgültig.<br />

Sie erinnert sich an <strong>die</strong> Situation: »Er sagte: >Ich<br />

liebe dich, aber ich bin nicht mehr in dich verliebt.<<br />

Ich hatte ihn mit einem anderen betrogen, <strong>und</strong> wir<br />

hatten uns auseinandergelebt. Er konnte sehr kühl<br />

sein; wenn er mit dir durch war, dann war es vorbei<br />

<strong>und</strong> basta.« In gewisser Weise hatte sie mit ihrem<br />

Verhalten beiden etwas Gutes getan. Sie gingen beide<br />

ihrer Wege, sie aufs College <strong>und</strong> er nach Hollywood.<br />

<strong>Tom</strong> verschwendete keine Zeit mit der Suche nach<br />

einem Ersatz für Diane. Kurz danach nahm er eine<br />

Auszeit von den Dreharbeiten, um Melissa Gilbert –<br />

eine ehemalige Fre<strong>und</strong>in von Timothy Hutton, <strong>die</strong> das<br />

sommersprossige Kind in Linie Home on the Prairie<br />

gespielt hatte – in eine Aufführung des Musicals Sophisticated<br />

La<strong>die</strong>s am Broadway zu begleiten. Mit<br />

seiner adretten Sportjacke <strong>und</strong> Krawatte sah der unbekannte<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> ziemlich peinlich aus <strong>und</strong> wirkte<br />

auf den Fotos, <strong>die</strong> man von dem jungen Paar im Foyer<br />

machte, etwas linkisch. Im Gegensatz dazu wirkte Melissa,<br />

<strong>die</strong> damals ein bekannter Kinderstar war, entspannt<br />

<strong>und</strong> im Umgang mit ihrer Publicity ziemlich locker.<br />

»Ich gehe mit den unterschiedlichsten Leuten<br />

aus, aber das ist alles nichts Ernstes«, sagte sie später.<br />

Möglicherweise war das ein erster Vorgeschmack auf<br />

das Leben, das vor ihm lag. Nach einem kurzen Urlaub,<br />

den er nach den Dreharbeiten in der Ferienwohnung<br />

eines Onkels in Kentucky verbrachte, flog er<br />

nach Hollywood, wo er Sean <strong>und</strong> Tim traf. Tim war<br />

gerade am Flughafen angekommen, mit dem Oscar für<br />

seine Rolle in dem Film Eine ganz normale Familie<br />

(Ordinary People), den er achtlos in eine Reisetasche<br />

gestopft hatte. Um Geld zu sparen, verbrachte <strong>Tom</strong><br />

einen Teil seiner Zeit in Seans Haus am Zumirez Drive<br />

in Malibu, ansonsten lebte er in West Hollywood bei<br />

-82-


dem Komponisten Joseph Vitarelli, einem langjährigen<br />

Fre<strong>und</strong> der Penns.<br />

Diejenigen, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong> damals trafen, sagen, es sei eine<br />

sehr spartanische Existenz gewesen. Er lebte in einem<br />

leeren Zimmer, auf dem Boden eine Matratze, <strong>und</strong> neben<br />

dem Kopfkissen stand ein Telefon. Die einzige Dekoration<br />

in dem Raum bildeten leere Bierdosen <strong>und</strong><br />

Pizzaschachteln sowie ein Stapel von Drehbüchern. Die<br />

Unterkunft mag sehr einfach gewesen sein, aber <strong>Tom</strong>s<br />

Adresse war <strong>die</strong> beste, <strong>die</strong> es auf der ganzen Welt für<br />

ihn geben konnte – Hollywood.<br />

Für den Jungen aus Glen Ridge entstand hier ein sehr<br />

giftiges Gebräu. Nicht nur, dass er jetzt im Zentrum<br />

der Filmindustrie war; Sean Penn führte ihn in <strong>die</strong><br />

Szene der gierigen jungen Typen ein, <strong>die</strong> alle auf dem<br />

Sprung waren, Karriere zu machen. Man traf sich in<br />

dem damals sehr beliebten Hard Rock Cafe oder im On<br />

the Rox, einem privaten Club am Sunset Boulevard.<br />

Sie verbrachten viel Zeit mit Seans Bruder Chris, den<br />

<strong>Tom</strong> in <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>züge des Ringens einführte. Auch<br />

andere Fre<strong>und</strong>e von Sean waren damals mit von der<br />

Partie, etwa Emilio Estevez oder Rob <strong>und</strong> Chad Lowe.<br />

Tim Hutton kannte er bereits. Sean Penns ehemalige<br />

Lebensgefährtin Elizabeth McGovern meinte: »Ich<br />

glaube, Sean ist ein absolutes Hollywoodtier.« Später<br />

wurde <strong>die</strong> Truppe bekannt unter dem Namen Brat<br />

Pack, eine etwas abschätzige Verballhornung des Namens<br />

Rat Pack, mit dem man in den fünfziger Jahren<br />

das Trio Frank Sinatra, Dean Martin <strong>und</strong> Sammy Davis<br />

jr. bezeichnete. Sie fanden <strong>die</strong>sen Namen nicht sonderlich<br />

gut – nicht nur, weil sie ihre Feiergewohnheiten<br />

<strong>und</strong> Partys für nicht so spektakulär hielten, sondern<br />

vor allem auch, weil jeder Einzelne von ihnen sich für<br />

einen <strong>Star</strong> hielt <strong>und</strong> nicht für das Mitglied einer solchen<br />

Gruppe. Emilio Estevez, den man für den Anführer<br />

<strong>die</strong>ser Bruderschaft hielt, bemerkte hierzu spä-<br />

-83-


ter einmal: »Wir waren Jungs, <strong>die</strong> einfach das taten,<br />

was Jungs nun mal tun. Wir trafen uns, um Dampf abzulassen.<br />

Das war alles.« Dazu gehörte auch, so gut<br />

auszusehen, dass man am Abend ein Playmate des<br />

Playboy aus dem Hard Rock Cafe abschleppen konnte,<br />

was Emilio einmal gelang.<br />

<strong>Tom</strong> zögerte sicher nicht, es seinen Fre<strong>und</strong>en gleichzutun.<br />

Als er in Hollywood eintraf, ging der Neunzehnjährige<br />

wieder mit Melissa Gilbert aus. Melissa, <strong>die</strong><br />

später ein Verhältnis mit einem anderen Mitglied des<br />

Brat Pack hatte, meint: »Ich kann Ihnen ehrlich sagen,<br />

dass er ein sehr sexueller Mensch ist. Ich hatte<br />

Schmetterlinge im Bauch, <strong>und</strong> wir haben ziemlich rumgemacht<br />

auf der Couch im Wohnzimmer meiner Mutter.«<br />

Ihre kurze Affäre endete, als er Heather Locklear<br />

kennenlernte, ein schönes blondes Model, <strong>die</strong> auch als<br />

Schauspielerin arbeitete <strong>und</strong> bereits diverse kleinere<br />

Rollen in Fernsehserien bekommen hatte, unter anderem<br />

auch in der Serie ChiPs. Eines Tages stand <strong>Tom</strong><br />

gerade unter der Dusche in seiner Wohnung in Hollywood,<br />

als Heather ihn anrief. Damals hatte er gerade<br />

Besuch von Michael LaForte, seinem besten Fre<strong>und</strong><br />

aus Glen Ridge. Michael ging ans Telefon, meldete sich<br />

als <strong>Tom</strong>s attraktiverer »Cousin« – so stellten <strong>die</strong> beiden<br />

sich immer im Spaß gegenseitig vor – <strong>und</strong> begann<br />

sie anzumachen. <strong>Tom</strong> sagte er später, es sei alles nur<br />

ein harmloser Scherz gewesen… aber er erzählte <strong>die</strong><br />

Geschichte über Jahre hinweg, besonders nachdem<br />

Heather im Herbst 1981 zum <strong>Star</strong> wurde, als der Produzent<br />

Aaron Spelling mit ihr <strong>die</strong> Rolle der Sammy Jo<br />

Dean in der Fernsehserie <strong>Der</strong> Denver-Clan besetzte.<br />

Es waren alles junge eingebildete Schauspieler, <strong>und</strong><br />

so schien mit dem Brat Pack <strong>die</strong> neue Dynastie von<br />

Hollywood heranzuwachsen. Seans Vater, Leo Penn,<br />

erkannte das Potenzial <strong>die</strong>ser Truppe, besonders bei<br />

seinem Sohn <strong>und</strong> <strong>Tom</strong>. Zu Joseph Vitarelli sagte er,<br />

-84-


wenn <strong>die</strong>ses Duo in Hollywood den Durchbruch schafft,<br />

dann »könntet ihr alle ziemlich erfolgreich sein«.<br />

Aber nicht jeder war von <strong>die</strong>ser Mischung aus Talent<br />

<strong>und</strong> Täuschung so fasziniert. <strong>Tom</strong>s Fre<strong>und</strong> Vinnie Travisano,<br />

der <strong>Cruise</strong> im Sommer 1981 für ein paar Tage<br />

besuchte, merkte deutlich <strong>die</strong> Veränderungen an ihm,<br />

als er <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>in zu den Aufnahmen von<br />

Diff’rent Strokes gingen, wo er mit seinem alten<br />

Schulfre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Sean Penn bei den Dreharbeiten zusah.<br />

Weder er noch seine Fre<strong>und</strong>in waren von <strong>die</strong>sen<br />

großen Leuchten des Brat Pack sonderlich beeindruckt.<br />

»Ich merkte, was Sean Penn damals für ein Arschloch<br />

war«, erinnert sich Vinnie. Und sein alter Schulkamerad<br />

kam nicht besser weg.<br />

Sowohl Vinnie als auch seine Fre<strong>und</strong>in empfanden<br />

den neuen <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> als »unerträglich arrogant, mit<br />

sich selbst beschäftigt <strong>und</strong> unnahbar.«<br />

Als <strong>Tom</strong> den Vorschlag machte, zu viert auszugehen<br />

– Vinnie, seine Fre<strong>und</strong>in, Heather <strong>und</strong> er –, lehnte<br />

Vinnies Fre<strong>und</strong>in das r<strong>und</strong>weg ab. Im Rückblick merkt<br />

Vinnie hierzu an: »Sie hasste ihn. Sie sah nur <strong>die</strong>sen<br />

jungen Gockel, der sich selbst so wichtig nahm.« Vinnie,<br />

der <strong>Tom</strong> schon seit Jahren kannte, war da viel<br />

nachsichtiger. »Er war ein junger Mann, der sich gerade<br />

<strong>die</strong> Hörner abstoßen musste«, sagt er. Dennoch<br />

war auch er über <strong>Tom</strong>s Veränderung erstaunt.<br />

Vinnie <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>in waren jedoch nicht <strong>die</strong><br />

Einzigen. Selbst <strong>Tom</strong>s Familie, <strong>die</strong> immer loyal zu ihm<br />

gestanden war, zeigte sich besorgt. Seine Mutter <strong>und</strong><br />

seine Schwestern – <strong>die</strong> damals in Restaurants in Glen<br />

Ridge arbeiteten – hatten das Gefühl, dass <strong>Tom</strong>s Karriere<br />

zu schnell verlief. Immer seltener hatte er seine<br />

Familie angerufen. Er war ziemlich »eingebildet« geworden<br />

<strong>und</strong> »kaum mehr auszuhalten«, wie seine<br />

Schwester gegenüber Fre<strong>und</strong>en gestand. Dies erwies<br />

sich aber angesichts seines vollen Terminkalenders<br />

-85-


nicht mehr allzu oft als ein Problem. <strong>Tom</strong> war sich ausreichend<br />

dessen bewusst, wie er später zugab, dass er<br />

damals »der unangenehmste Mensch« war, was er<br />

zum Teil auf seine Rolle in Die Kadetten von Bunker<br />

Hill zurückführte.<br />

Auch sein Fre<strong>und</strong> Sean Penn machte sich Sorgen um<br />

ihn -nicht wegen seines Benehmens, sondern wegen<br />

seiner Entscheidung bezüglich des nächsten Karriereschritts.<br />

<strong>Tom</strong> war Seans Vorbild gefolgt <strong>und</strong> war jetzt<br />

bei der einflussreichen Creative Artists Agency in Hollywood<br />

unter Vertrag. Während Sean bei Todd Smith<br />

gelandet war, hatte sich <strong>Tom</strong> für Paula Wagner entschieden,<br />

eine ehemalige Broadway-Schauspielerin<br />

<strong>und</strong> Dramatikerin. Die beiden wurden einander im Juli<br />

1981 vorgestellt, unverbindlich. Aber <strong>die</strong>se Verbindung<br />

hielt länger als <strong>die</strong> meisten Ehen in Hollywood. »Wie<br />

geht es Ihnen, Miss Wagner«, sagte der höfliche junge<br />

Mann, der in derselben Sportjacke auftrat, <strong>die</strong> er bei<br />

seinem Rendezvous mit Melissa Gilbert am Broadway<br />

getragen hatte. »Niemand hatte eine Ahnung, wer er<br />

war«, erzählte Wagner dem Schriftsteller Fred<br />

Schruers. »Aber vom ersten Moment an merkte ich,<br />

dass er etwas in seinem Blick hatte. Da war <strong>die</strong>se Präsenz.<br />

Er war einfach da.«<br />

Sean begrüßte zwar <strong>Tom</strong>s Entscheidung für <strong>die</strong>se<br />

Agentin, aber seinen nächsten Film mochte er nicht.<br />

<strong>Tom</strong> unterschrieb für eine Produktion, <strong>die</strong> ein in <strong>die</strong>ser<br />

Saison in Hollywood sehr beliebtes Thema behandelte<br />

– einen Film über <strong>die</strong> Probleme heranwachsender Teenager.<br />

Dieser Film mit dem Titel Die Aufreißer von<br />

der High School (Losin’ It) gehörte ins Genre der<br />

erfolgreichen Porky-Serie, wo sexuell überstimulierte<br />

Jugendliche neunzig Minuten lang versuchen, das Publikum<br />

zum Lachen zu bringen <strong>und</strong> nebenher ihre Unschuld<br />

zu verlieren. »Das war der Punkt, an dem <strong>die</strong><br />

innere Spannung bei ihm nachließ«, erinnert sich Sean<br />

-86-


Penn in der Haltung eines Punktrichters. »Ich fragte<br />

ihn: >Was machst du da? Du wirst deine Karriere zerstören.


Unabhängig von <strong>Tom</strong>s bösen Vorahnungen – <strong>und</strong> denen<br />

seines Fre<strong>und</strong>es Sean Penn – war der Film ein<br />

Karrieresprung für Shelley Long, <strong>die</strong> in der Fernsehkomö<strong>die</strong><br />

Cheers eine Hauptrolle spielte, ebenso wie<br />

für den Regisseur Curtis Hanson, der später L.A. Confidential<br />

drehte, eine Produktion in der Tradition des<br />

Film Noir. Drabinsky war sicherlich stärker von dem<br />

Film <strong>und</strong> <strong>Tom</strong>s Beitrag angetan als der Schauspieler<br />

<strong>Cruise</strong> selbst. »Er war phantastisch«, sagte er. »Immer<br />

respektvoll, harte Arbeit <strong>und</strong> sehr zurückhaltend<br />

<strong>und</strong> bescheiden beim Dreh.«<br />

Aber wie so oft während seiner Schulzeit bekam <strong>Tom</strong><br />

auch jetzt wieder Ärger. Als es eines Nachts in der Nähe<br />

seines Trailers am Drehort von Die Aufreißer von<br />

der High School zu einer Schlägerei kam, versuchte<br />

<strong>Tom</strong>, <strong>die</strong> Situation alleine zu schlichten, statt Verstärkung<br />

zu holen. Später behauptete er, er sei dabei<br />

»beinahe umgebracht« worden. Während der Schauspieler<br />

einen der Beteiligten am Boden festhielt, musste<br />

er dessen um sich schlagenden Fäusten ausweichen,<br />

<strong>und</strong> als andere Mitglieder des Filmteams <strong>die</strong><br />

Schreie hörten <strong>und</strong> zu Hilfe eilten, sahen sie, dass der<br />

Typ versuchte, <strong>Tom</strong> mit einem Eispickel zu verletzen.<br />

Selbst als <strong>die</strong> Produktion aus der Grenzstadt Calexico<br />

zurück nach Los Angeles zog, wurde <strong>Tom</strong> in weitere<br />

Händel verwickelt. So soll man ihn angeblich eines Abends<br />

mit einer Pistole bedroht haben, als er mit anderen<br />

aus dem Team den ziemlich verrufenen Lingerie<br />

Club am Sunset Strip in Hollywood aufsuchte. <strong>Der</strong> junge<br />

Schauspieler tanzte dort mit einer attraktiven jungen<br />

Asiatin, während <strong>die</strong> anderen an der Bar standen.<br />

Plötzlich sahen sie, dass <strong>Tom</strong>s Tanzpartnerin eine Pistole<br />

auf ihn richtete. »Wir packten <strong>Tom</strong>my <strong>und</strong> sahen<br />

zu, dass wir aus dem Laden so schnell wie möglich<br />

rauskamen«, erzählte ein ungenannt bleibendes Mit-<br />

-88-


glied aus der Gruppe der Darsteller dem Schriftsteller<br />

Wesley Clarkson.<br />

Als <strong>Tom</strong> im selben Jahr nach Osten fuhr, um sich dort<br />

mit seinen alten Fre<strong>und</strong>en aus Glen Ridge zu treffen,<br />

kostete ihn sein Hang zum Flirten beinahe <strong>die</strong> Karriere.<br />

Er zog mit seinen Fre<strong>und</strong>en Michael LaForte <strong>und</strong><br />

Vinnie Travisano durch <strong>die</strong> Bars in Manhattan <strong>und</strong> irgendwann<br />

landeten <strong>die</strong> drei im Nachtclub des Ritz, wo<br />

damals Hip-Hop-Bands wie Rock Steady Crew <strong>und</strong> Bow<br />

Wow Wow auftraten. Wie immer war <strong>Tom</strong> hinter jedem<br />

Rock her, <strong>und</strong> er flirtete mit zwei Mädchen, <strong>die</strong> an<br />

der Bar standen, wobei er allerdings <strong>die</strong> Tatsache ignorierte,<br />

dass <strong>die</strong> beiden mit zwei ziemlich muskulösen<br />

Kerlen unterwegs waren, <strong>die</strong> seinem Auftritt nur wenig<br />

abgewinnen konnten. Vinnie sah, wie einer der beiden<br />

aus der Hosentasche einen Schlagring zog <strong>und</strong> ihn über<br />

<strong>die</strong> Finger stülpte, um dem quasselnden Filmstar<br />

damit eins überzuziehen. Michael <strong>und</strong> Vinnie gingen<br />

dazwischen <strong>und</strong> befreiten ihren Fre<strong>und</strong> aus der bedrohlichen<br />

Situation. Vinnie meint: »Wir haben immer<br />

gesagt, dass wir seine Karriere gerettet haben, weil<br />

wir damals dafür gesorgt haben, dass man ihm sein<br />

schönes Gebiss nicht einschlägt.«<br />

In der Tat wäre <strong>Tom</strong>s Karriere beinahe zu Ende gewesen,<br />

bevor sie richtig begonnen hatte. Als Drabinsky<br />

versuchte, seinen Film zu verkaufen, musste er feststellen,<br />

dass <strong>die</strong> Studios kühl bis abweisend reagierten.<br />

Fox Studios hatten <strong>die</strong> erste Option auf den Streifen,<br />

aber als Norman Levy, der Chef von Fox, den Film<br />

gesehen hatte, war sein Urteil vernichtend. Auch für<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> hatte er kaum ein gutes Wort übrig. Er<br />

sagte Drabinsky offen heraus: »Dieser Film wird sich<br />

nie verkaufen <strong>und</strong> aus <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> wird nie ein wichtiger<br />

Schauspieler werden.« Drabinsky hat <strong>die</strong>ses Treffen<br />

verständlicherweise nie vergessen – ebenso wenig<br />

wie das Urteil über <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>.<br />

-89-


Was seine Karriere dann rettete, war der Film Die<br />

Kadetten von Bunker Hill, der 1981 kurz vor Weihnachten<br />

in <strong>die</strong> Kinos kam, einige Monate vor dem<br />

fürchterlichen Streifen Die Aufreißer von der High<br />

School. Zwar reagierten <strong>die</strong> Kritiker zunächst zurückhaltend,<br />

aber der Film spielte einiges ein. Er fand sein<br />

Publikum auf dem Markt des immer sehr unberechenbar<br />

reagierenden jugendlichen Publikums, <strong>und</strong> <strong>die</strong> beiden<br />

Hauptdarsteller Tim Hutton <strong>und</strong> Sean Penn ernteten<br />

Applaus für ihre Rollen. Obwohl keiner ihn bei seinem<br />

ersten Auftritt anlässlich einer richtigen Galapremiere<br />

wahrnahm, wo er neben Berühmtheiten wie Michael<br />

Douglas <strong>und</strong> Ali MacGraw sowie den Darstellern<br />

des Films im AVCO-Filmtheater in Westwood auftrat,<br />

erregte er in der Rolle des psychotischen David Shawn<br />

unter den Insidern in Hollywood einiges Aufsehen.<br />

Bei einer Party, <strong>die</strong> anlässlich der Verfilmung seines<br />

Buches Fast Times at Ridgemont High gegeben<br />

wurde, durch <strong>die</strong> Sean Penn zum <strong>Star</strong> wurde, fiel dem<br />

Autor <strong>und</strong> Regisseur Cameron Crowe der Rummel um<br />

den jungen Schauspieler auf. »Alle redeten von Die<br />

Kadetten von Bunker Hill«, erinnert sich Crowe.<br />

»Sean <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> hatten jeder auf seine Art ihre Anerkennung<br />

gef<strong>und</strong>en. Sean galt als eine Art Sean De Niro,<br />

ein ausgeprägter Charakterdarsteller. <strong>Tom</strong> hatte<br />

beide Züge, er war Charakterdarsteller <strong>und</strong> Hauptdarsteller<br />

in einem. Er war der kommende Typ.«<br />

Damals leckte <strong>die</strong>ser kommende Typ noch seine<br />

W<strong>und</strong>en nach dem beruflichen Desaster mit Die Aufreißer<br />

von der High School. Diese Erfahrung lehrte<br />

den Neunzehnjährigen ein Stück weit Bescheidenheit.<br />

Zwar war sein Name dank <strong>die</strong>ses Films nun groß auf<br />

den Plakaten zu lesen, aber er merkte, wie unerfahren<br />

er eigentlich war. »Man hatte mir ein paar Hauptrollen<br />

angeboten, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich<br />

einen ganzen Film tragen konnte«, erzählt er über <strong>die</strong>-<br />

-90-


se Phase seiner Karriere. »Ich hatte genug gelernt <strong>und</strong><br />

das Gefühl, man würde mich bei lebendigem Leibe<br />

zerreißen, sollte ich versuchen, <strong>die</strong> tragende Rolle in<br />

einem Film zu übernehmen.« Aber Fortuna lächelte<br />

dem jungen Mann, wie so oft, wieder einmal zu.<br />

Als er erfuhr, dass Francis Ford Coppola, das Genie<br />

hinter dem Film <strong>Der</strong> Pate, Darsteller für eine Verfilmung<br />

von S. E. Hintons Buch Die Outsider, einem<br />

Bestseller über das Teenagerleben, suchte, war <strong>Tom</strong><br />

fest entschlossen, eine der Rollen zu ergattern. Bei<br />

den Vorsprechterminen nahm er Coppola beiseite, zog<br />

ihn förmlich am Ärmel <strong>und</strong> sagte: »Ich tue alles, was<br />

erforderlich ist. Ich übernehme jede Rolle in dem<br />

Film.« Seine Taktik zahlte sich aus: Man bot <strong>Tom</strong> <strong>die</strong><br />

kleine Nebenrolle des Steve Rändle an, eines smarten<br />

Jungen, der an einer Tankstelle arbeitet. Er gehört zur<br />

Greaser Gang, einer Bande von Jugendlichen, <strong>die</strong> auf<br />

der falschen Seite der Gleise leben <strong>und</strong> deren Gegner<br />

<strong>die</strong> Socs sind, Kinder, denen es im Leben immer schon<br />

besser gegangen ist.<br />

<strong>Tom</strong> war hier in guter Gesellschaft. Die Liste der Darsteller<br />

liest sich wie ein Who’s who zukünftiger Hollywoodstars,<br />

mit Matt Dillon, Patrick Swayze, Ralph<br />

Macchio, Diane Lane <strong>und</strong> C. Thomas Howell in größeren<br />

Rollen. Gut war, dass auch seine Fre<strong>und</strong>e Emilion<br />

Estevez <strong>und</strong> Rob Lowe mitspielten. Für den Neuling im<br />

Geschäft aber war das eigentliche Gute, dass Coppola,<br />

ebenso wie der Regisseur von Die Kadetten von<br />

Bunker Hill, Harold Becker, seine Darsteller ermunterte,<br />

sich über mehrere Wochen gemeinsam ihre Charaktere<br />

zu erarbeiten. Da Coppola <strong>die</strong> Finanzierung für<br />

den Film noch nicht aufgestellt hatte, verlängerte man<br />

<strong>die</strong>se Übungsphase, bis <strong>die</strong> Verträge abgeschlossen<br />

waren. Anfang März 1982 traf man sich in der Turnhalle<br />

einer Schule in Tulsa in Oklahoma, wo der Film abgedreht<br />

werden sollte. Einen Monat lang konnten <strong>die</strong><br />

-91-


Darsteller ihre Rollen in einerseits sehr geselligen, andererseits<br />

aber auch sehr intensiven täglichen<br />

Workshops erproben. Das war genau das, was <strong>Tom</strong><br />

brauchte. »Ich weiß noch, dass ich mich sehr wohl gefühlt<br />

habe«, erzählte er später. »Und ich verstand allmählich<br />

mehr von den unterschiedlichen Ebenen. Ich<br />

lernte viel über Filmschauspielerei, <strong>und</strong> mir wurde<br />

klar, was ich eigentlich wollte.« Während er so seine<br />

Stärken <strong>und</strong> Schwächen als Schauspieler austestete,<br />

merkte er, dass er gut in der Improvisation war <strong>und</strong><br />

ein Talent für komisch wirkendes Timing hatte.<br />

Coppola, der von Matt Dillon den Beinamen »Vater<br />

Film« bekam, trieb seine Schauspieler zu den ungewöhnlichsten<br />

Aktionen. Matt Dillon ermunterte er zum<br />

Laden<strong>die</strong>bstahl, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Darsteller der Habenichtse<br />

von der Greaser Gang forderte er auf, sich für ein paar<br />

Tage mit wirklichen Habenichtsen einzulassen, um <strong>die</strong><br />

Figuren, <strong>die</strong> sie darstellen sollten, besser zu verstehen.<br />

Zur Vorbereitung auf seine Rolle ging <strong>Tom</strong> dreimal<br />

am Tag ins Fitnessstudio; er entfernte <strong>die</strong> Zahnkrone<br />

an dem Schneidezahn, den er sich bei einem<br />

Hockeyspiel abgebrochen hatte, puderte sein normalerweise<br />

glatt nach hinten gekämmtes Haar <strong>und</strong> ließ<br />

sich ein Tattoo auf den Arm malen, um heruntergekommen<br />

<strong>und</strong> ungepflegt zu wirken.<br />

Aber Coppola ging noch weiter. Außerhalb des Drehs<br />

erhielten <strong>die</strong> Darsteller der bessergestellten Socs<br />

schönere Hotelzimmer <strong>und</strong> auch mehr Geld für ihre<br />

täglichen Ausgaben, während man <strong>die</strong> Habenichtse<br />

von den Greasers in schmuddligen Zimmern unterbrachte<br />

<strong>und</strong> sie mit dem Geld für ihre täglichen Ausgaben<br />

knapp hielt. Auch ihr Sozialleben gestaltete sich<br />

unterschiedlich. Während <strong>die</strong> Socs in den Glitzerclubs<br />

von Tulsa an schicken Cocktails nippten, mussten <strong>die</strong><br />

Greaser ihr Bier in billigen Bars trinken, wo sie dann<br />

Schlammringen im Fernsehen anschauen konnten.<br />

-92-


Diese unterschiedliche Behandlung führte zu Spannungen<br />

zwischen den Darstellern, <strong>und</strong> während einer<br />

überenthusiastischen Probe für eine Keilerei im Regen<br />

schlug <strong>die</strong> miese Stimmung durch. Emilio Estevez zog<br />

sich eine aufgeplatzte Lippe zu, <strong>Tom</strong> Howell hatte ein<br />

blaues Auge <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> brach sich den Daumen.<br />

Die Rivalität setzte sich auch nach dem Dreh fort. <strong>Tom</strong><br />

beteiligte sich an einer Reihe von Streichen, <strong>die</strong> man<br />

am 1. April den Mitgliedern der Truppe spielte. Es<br />

heißt, er sei es gewesen, der <strong>die</strong> Klobrille im Bad von<br />

Diane Lanes Hotelzimmer mit Honig bestrich <strong>und</strong> auf<br />

den Spiegel »Helter Skelter« schrieb – <strong>die</strong> Worte, <strong>die</strong><br />

von Charles Manson <strong>und</strong> seinen Fre<strong>und</strong>en bei ihren<br />

Ritualmorden verwendet wurden. Diane Lane erinnerte<br />

sich später: »Sie durchwühlten eine Reihe von Hotelzimmern<br />

am 1. April. Die Schlüssel hatten sie von dem<br />

Zimmermädchen bekommen, weil sie so nette Jungs<br />

waren.« Nicht alle waren über <strong>die</strong> Scherze der Schauspieler<br />

erfreut, <strong>und</strong> einige Gäste des Excelsior Hotels,<br />

in dem <strong>die</strong> Crew abgestiegen war, beschwerten sich<br />

mehrmals über den Lärm. An einem Abend kam <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> an <strong>die</strong> Rezeption <strong>und</strong> nahm theatralisch einen<br />

seiner falschen Zähne aus dem M<strong>und</strong>, um ihn vor dem<br />

Nachtportier auf den Tresen fallen zu lassen – worauf<br />

der ruhig entgegnete, man akzeptiere hier nur Bargeld<br />

oder Kreditkarten.<br />

Am Ende der Dreharbeiten war Coppola von <strong>Cruise</strong><br />

beeindruckt <strong>und</strong> bot ihm eine kleine Rolle in seinem<br />

nächsten Film Rumble Fish an. Das war das dritte<br />

Buch von S.E. Hinton, das für das Kino bearbeitet<br />

wurde. Zu Coppolas Überraschung lehnte der Teenager<br />

<strong>die</strong>ses Angebot ab, obwohl es ihm <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

geboten hätte, mit Schauspielern vom Format eines<br />

Dennis Hopper oder Mickey Rouke sowie einigen der<br />

Darsteller aus Die Outsider zusammenzuarbeiten.<br />

-93-


Zwanzig Jahre später erinnert sich <strong>Cruise</strong> immer<br />

noch an den Ausdruck der Ungläubigkeit auf Coppolas<br />

Gesicht, als er ihm erklärte, dass er <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

mit dem Regisseur von Apocalypse Now zusammenzuarbeiten,<br />

ablehne, um in einem Film über einen Jungen<br />

mitzuspielen, der zu Hause ein Bordell betreibt,<br />

während seine Eltern übers Wochenende weggefahren<br />

sind. »Da stehe ich also <strong>und</strong> lehne das Angebot ab,<br />

um stattdessen einen Film über Zuhälter zu drehen«,<br />

erinnert er sich. Er gab das Angebot einer Mitarbeit in<br />

einem Ensemblefilm dran, weil er auf den Ruhm als<br />

Einzeldarsteller hoffte.<br />

Es war jedoch eine riskante Entscheidung. <strong>Der</strong> Film,<br />

um den es dabei ging, hatte den passenden Titel Lockere<br />

Geschäfte (Risky Business). Es war <strong>die</strong> erste<br />

Regiearbeit von Paul Brickman. Das Budget war dermaßen<br />

klein, dass <strong>die</strong> Hauptdarsteller in ihrer eigenen<br />

Garderobe auftraten, ihre Flugtickets selbst bezahlten<br />

<strong>und</strong> in billigen Hotels abstiegen. Darüber hinaus war<br />

Brickman, der auch das Drehbuch geschrieben hatte,<br />

strikt gegen <strong>Tom</strong> als Darsteller in dem Film. Er hatte<br />

sich bereits vorläufig für <strong>die</strong> männlichen <strong>und</strong> weiblichen<br />

Hauptdarsteller entschieden, <strong>und</strong> Kevin Anderson<br />

<strong>und</strong> Megan Mullally hatten bereits erste Proben mit<br />

anderen Darstellern hinter sich gebracht.<br />

Brickman fand, dass <strong>Tom</strong>, den er in Die Kadetten<br />

von Bunker Hill gesehen hatte, viel zu muskulös <strong>und</strong><br />

grob für <strong>die</strong> Rolle eines eher weichen <strong>und</strong> schwächlichen<br />

Jungen war, der sich in einer sexuellen Zwickmühle<br />

befindet, <strong>die</strong> nicht einer gewissen Komik entbehrt.<br />

<strong>Tom</strong>s Agentin hatte da andere Neuigkeiten. Die<br />

Buschtrommeln in Hollywood vermeldeten, dass <strong>die</strong><br />

Co-Produzenten Steve Tisch <strong>und</strong> Jon Avnet mit der<br />

Besetzung der männlichen Hauptrolle ihre Probleme<br />

hatten, egal was sich der Regieanfänger Paul Brickman<br />

-94-


dachte. Sie ging mit Tisch <strong>und</strong> Avnet zum Abendessen,<br />

lud sie auf ein Steak ein <strong>und</strong> arrangierte ein Treffen<br />

zwischen dem jungen Schauspieler <strong>und</strong> den Geldgebern.<br />

»<strong>Tom</strong> streckte seinen Kopf in das Besetzungsbüro,<br />

schenkte uns sein 25-Millionen-Dollar-Lächeln, <strong>und</strong><br />

das war’s im Wesentlichen«, erinnert sich Tisch.<br />

Als er <strong>die</strong> Dreharbeiten zu Die Outsider für Probeaufnahmen<br />

unterbrach, hatte er immer noch seine<br />

Tattoos <strong>und</strong> war ziemlich muskelbepackt. Selbst sein<br />

berühmtes Lächeln kam nicht voll zur Geltung, nachdem<br />

er <strong>die</strong> Krone von seinem Schneidezahn entfernt<br />

hatte, um schmuddliger zu wirken.<br />

Dem Autor <strong>Tom</strong> Shales erzählte er: »Ich wirkte<br />

schmutzig <strong>und</strong> ungepflegt. Ich stank <strong>und</strong> mein Haar<br />

war fettig… <strong>und</strong> da stehe ich <strong>und</strong> erkläre Paul Brickman,<br />

wie ich <strong>die</strong> Rolle spielen möchte, dass ich abnehmen<br />

<strong>und</strong> mich anders anziehen würde. Es ist schon<br />

erstaunlich, dass sie mich für <strong>die</strong>se Rolle genommen<br />

haben.«<br />

<strong>Tom</strong> war viel zu bescheiden. Die Art, wie er sich mit<br />

dem Drehbuch auseinandersetzte, am Dialog kleine<br />

Veränderungen vornahm <strong>und</strong> <strong>die</strong> zentralen Stellen in<br />

einer Szene identifizierte, beeindruckten den Regisseur<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Produzenten außerordentlich. Er hatte hier ein<br />

kritisches Publikum von sich überzeugt. Da er am<br />

nächsten Morgen wieder zurück musste, bat man ihn,<br />

eine Probeaufnahme mit Rebecca De Mornay zu machen.<br />

Sie war eine junge Schauspielerin, mit der man<br />

eine der Hauptrollen besetzen wollte, wovon man dann<br />

aber Abstand genommen hatte, weil nicht klar war, ob<br />

sie <strong>die</strong>ser Herausforderung gewachsen sein würde.<br />

Bevor sie <strong>die</strong> Rolle des Flittchens mit dem goldenen<br />

Herzen ergatterte, beschränkte sich ihre Filmerfahrung<br />

auf einen einzigen Satz im Drehbuch -»Entschuldigen<br />

Sie, <strong>die</strong>se Waffeln gehören mir« –, den sie in dem sehr<br />

erfolgreichen Film Einer mit Herz (One from the<br />

-95-


Heart) unter der Regie von Francis Ford Coppola in<br />

<strong>die</strong> Kamera sprach. Da in dem schmalen Budget keine<br />

Mittel für Probeaufnahmen vorgesehen waren, fuhren<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Rebecca zum Haus von Tisch; Avnet hielt <strong>die</strong><br />

Videokamera <strong>und</strong> <strong>die</strong> beiden Schauspieler spielten<br />

sechs kurze Szenen. Bevor man mit den Aufnahmen<br />

begann, wusch <strong>Tom</strong> sich <strong>die</strong> Haare, duschte <strong>und</strong> zog<br />

ein adrettes Hemd an. Als <strong>die</strong> Probeaufnahmen morgens<br />

um fünf beendet waren, wussten Regisseur <strong>und</strong><br />

Produzenten, dass sie das richtige Paar für <strong>die</strong> Hauptrollen<br />

gef<strong>und</strong>en hatten. Auch Geffen war schwer beeindruckt.<br />

Er war dermaßen angetan, dass er sich eine<br />

Kopie von der Videokassette mit dem gutaussehenden<br />

jungen Mann machen ließ, <strong>die</strong> er dann in seinem Büro<br />

aufbewahrte, beschriftet mit dem Text »<strong>Tom</strong> Cruz«.<br />

Ihr Besetzungsproblem hatten <strong>die</strong> Produzenten nun<br />

gelöst, obwohl Paula Wagner den vollen Satz des Honorars<br />

für <strong>Tom</strong>s Auftritt verlangte – 75.000 Dollar.<br />

Damit musste Brickmans Kandidat für <strong>die</strong> Hauptrolle,<br />

Kevin Anderson, sich mit einer kleineren Rolle begnügen.<br />

<strong>Tom</strong> fuhr zurück nach Oklahoma mit der Zusage, <strong>die</strong><br />

Rolle des Joel Goodsen zu spielen, eines eher konventionellen<br />

jungen Mannes, der unbedingt sexuelle Erfahrungen<br />

machen möchte, was schließlich damit endet,<br />

dass er im Haus seiner Eltern ein Bordell betreibt.<br />

Nachdem Die Outsider abgedreht waren, flog er für<br />

ein paar Wochen nach Glen Ridge. Danach machte er<br />

sich nach Florida auf, wo er sich von seinem Fre<strong>und</strong><br />

Michael LaForte, der jetzt im Marine Corps war, ein<br />

Trainingsprogramm ausarbeiten ließ, um sechs Kilo<br />

Muskelgewicht abzubauen. Er musste in seiner neuen<br />

Rolle einen eher sanften <strong>und</strong> adretten Jungen aus der<br />

Mittelschicht spielen, der in den Vorstädten von Chicago<br />

aufwuchs.<br />

-96-


Eines Tages, als er in Glen Ridge beim Joggen war,<br />

traf er zufällig seine alte Flamme Nancy Ärmel, <strong>die</strong> inzwischen<br />

ihren Traum realisiert hatte <strong>und</strong> als Flugbegleiterin<br />

bei der Fluggesellschaft People Express arbeitete.<br />

Sie begannen wieder zusammen auszugehen,<br />

<strong>und</strong> eines Abends rief er sie an, er habe zwei Karten<br />

für ein neues Musical am Broadway, La Cage aux Folles.<br />

<strong>Tom</strong> kannte <strong>die</strong> Story nicht – es handelt von zwei<br />

Schwulen, <strong>die</strong> in Saint-Tropez zusammenleben, wobei<br />

einer der beiden einen Nachtclub betreibt, in dem<br />

Transvestiten auftreten – <strong>und</strong> merkte erst, als er im<br />

Theater saß, worum es in <strong>die</strong>sem Stück eigentlich<br />

ging. Nancy erinnert sich: »Männer, <strong>die</strong> als Frauen<br />

verkleidet waren – das packte er nicht. Wir mussten<br />

noch vor der Pause gehen. Es regte ihn richtig auf. Er<br />

war ein absoluter Homophobiker.«<br />

Wesentlich wohler fühlte er sich unter den Jungs, mit<br />

denen er blödeln konnte, so wie mit Michael LaForte,<br />

zu dem er jetzt nach Sarasota in Florida flog, um<br />

ernsthaft an seiner Figur für seine zweite Hauptrolle zu<br />

arbeiten. Michael war einerseits ein ziemlich ehrgeiziger<br />

Typ, andererseits ziemlich bodenständig <strong>und</strong> hatte<br />

einen ausgeprägten Sinn für Humor. Es gab keinen<br />

Scherz oder sonstigen Unsinn, für den er nicht zu haben<br />

gewesen wäre. Er lebte nach dem Motto »Life is a<br />

Cabaret«. »Wenn <strong>die</strong> beiden nach einer langen Trennung<br />

wieder zusammen waren, dann wirkte es, als<br />

hätten sie sich erst gestern verabschiedet«, erinnert<br />

sich Michaels älterer Bruder Sam. »So waren <strong>die</strong> beiden.<br />

Ihre Fre<strong>und</strong>schaft konnte durch nichts gestört<br />

werden.«<br />

Gnädigerweise machte sich Michael nach Möglichkeit<br />

rar <strong>und</strong> überließ <strong>die</strong> gemeinsame Wohnung in Sarasota<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nancy Ärmel, <strong>die</strong> er für ein verlängertes Wochenende<br />

eingeladen hatte. Während <strong>Tom</strong> an seiner<br />

Figur arbeitete, ging sie an den Strand oder traf<br />

-97-


Fre<strong>und</strong>e an der Bar. Nach den Jahren der Trennung<br />

erschien <strong>Tom</strong> ihr ziemlich verändert; er wirkte nun<br />

selbstsicherer. Er war zwar ziemlich blasiert, aber man<br />

konnte es immer noch gut mit ihm aushalten. Bevor er<br />

zu den Dreharbeiten nach Chicago flog, hatten seine<br />

ehemaligen Mitschüler noch einmal <strong>die</strong> Gelegenheit,<br />

den neuen <strong>Tom</strong> in Augenschein zu nehmen. Er tauchte<br />

bei einer Strandparty in La Vallette auf, auf dem Kopf<br />

ein keck schrägsitzendes Barett <strong>und</strong> ansonsten herausgeputzt<br />

im »Hollywood-Stil«, wie es einige bezeichneten.<br />

Er ließ jeden spüren, dass er den Anwesenden<br />

mit seinem Erscheinen eigentlich eine große<br />

Ehre erwies. Allerdings machte der coole Dandy von<br />

der Westküste offensichtlich nicht den gewünschten<br />

Eindruck. »Er sah einfach bescheuert aus«, erinnert<br />

sich seine ehemalige Fre<strong>und</strong>in Diane Van Zoeren.<br />

Sieht man einmal von seiner eigenartigen Kopfbedeckung<br />

ab, so wirkte er selbstbewusst wie einer, der<br />

alles unter Kontrolle hat <strong>und</strong> ziemlich »aufgedreht« ist,<br />

voller Energie <strong>und</strong> anspruchsvoll. Das war nicht mehr<br />

der etwas beschränkte Schuljunge, der er zwei Jahre<br />

zuvor noch gewesen war. Und er nahm sich selbst<br />

ziemlich ernst. Im Laufe <strong>die</strong>ses Abends nahm er seine<br />

ehemalige Fre<strong>und</strong>in zur Seite <strong>und</strong> erklärte feierlich:<br />

»Ich habe Hollywood bei den Hörnern genommen.«<br />

Für <strong>Tom</strong> selbst, den selbsternannten Streber aus der<br />

Schulzeit, war <strong>die</strong>se Verwandlung zum coolen Dandy<br />

verwirrend. Er fühlte sich nicht richtig wohl in <strong>die</strong>ser<br />

Rolle, <strong>und</strong> möglicherweise war seine abweisende Art<br />

nur ein Versuch, mit dem Leben im Rampenlicht umzugehen.<br />

Nancy <strong>und</strong> er verließen einmal ein Restaurant<br />

frühzeitig, weil irgendjemand am Nebentisch <strong>Tom</strong><br />

als den Schauspieler aus Die Kadetten von Bunker<br />

Hill erkannt hatte. »Am Anfang belastete ihn <strong>die</strong>se<br />

Aufmerksamkeit, <strong>die</strong> ihm plötzlich widerfuhr«, erzählt<br />

Nancy.<br />

-98-


Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass es in<br />

der Rolle des Joel Goodsen <strong>die</strong> Darstellung eines solchen<br />

Strebers war, des netten Jungen aus der Vorstadt,<br />

<strong>die</strong> ihn weiter hinauf ins Rampenlicht katapultierte.<br />

Zu Beginn der Dreharbeiten zu Lockere Geschäfte<br />

in Highland Park in Chicago deutete nichts<br />

darauf hin, dass <strong>die</strong>ser Film seine Karriere raketenartig<br />

vorantreiben würde. Man sorgte sich beim Drehen sogar,<br />

dass <strong>Tom</strong> trotz eines Gewichtsverlusts von sechs<br />

Kilo dank des Trainings in Florida immer noch zu klobig<br />

rüberkam, um als Teenie-Idol glaubwürdig zu wirken.<br />

<strong>Tom</strong> liebte Süßes <strong>und</strong> war immer um sein Gewicht<br />

besorgt. Er war <strong>die</strong>sbezüglich dermaßen fixiert,<br />

dass er oft laut darüber nachdachte, ob andere große<br />

Schauspieler ähnliche Probleme hätten wie er. »Ich<br />

wette, Al Pacino [sein großes Vorbild] hat nichts für<br />

Süßigkeiten übrig«, sagte er einmal zu einem Kollegen.<br />

»Er hing <strong>die</strong> ganze Zeit am Telefon <strong>und</strong> diskutierte<br />

mit seiner Agentin über seine Diät«, erinnert sich Janet<br />

Caroll, <strong>die</strong> in dem Film seine Mutter spielte. Zwar<br />

fand sie ihn »zuvorkommend, fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> ernsthaft«,<br />

ein junger Mann, der sich etwas sagen ließ <strong>und</strong><br />

der bereit war zu lernen, aber ihr war keineswegs klar,<br />

dass sie hier <strong>Tom</strong>s Aufstieg zum Megastar beiwohnte.<br />

»Wirklich nicht«, meint sie im Rückblick. »<strong>Der</strong> Film hat<br />

viele Karrieren befördert. Er war hier in guter Gesellschaft.«<br />

In dem Film spielten nicht nur Rebecca De<br />

Mornay, sondern auch Bronson Pinchot <strong>und</strong> Curtis<br />

Armstrong mit.<br />

Zu Beginn versuchte <strong>Tom</strong>, sich in <strong>die</strong> Dreharbeiten<br />

einzumischen. Er beschwerte sich darüber, dass er<br />

<strong>und</strong> Rebecca vor der Kamera einfach nicht gut zusammenpassten.<br />

Als er dem Co-Produzenten Steve<br />

Tisch gegenüber äußerte, sie sei eine Fehlbesetzung,<br />

gab <strong>die</strong>ser ihm barsch zurück, <strong>die</strong> Produzenten hielten<br />

-99-


sie für eine ausgezeichnete Besetzung <strong>und</strong> hätten<br />

nicht <strong>die</strong> Absicht, sie auszutauschen.<br />

Diese Episode trug nicht gerade dazu bei, sich bei<br />

den anderen Darstellern beliebt zu machen, <strong>und</strong> noch<br />

zwanzig Jahre später hat keiner der damals Beteiligten<br />

ein gutes Wort für <strong>Tom</strong> übrig. Diejenigen, <strong>die</strong> mit ihm<br />

zusammengearbeitet haben, hatten den Eindruck,<br />

dass sich hinter der fre<strong>und</strong>lichen Fassade des »Ja,<br />

gnädige Frau, selbstverständlich, stets zu Diensten«<br />

ein Mensch verbarg, der jede soziale <strong>und</strong> berufliche<br />

Chance für sich ausnutzte. Häufig hörte man, dass er<br />

den schwachen Punkt bei anderen herauszukriegen<br />

versuchte <strong>und</strong> dann darauf einschlug; vielleicht wiederholte<br />

er hier etwas, was sein Vater mit ihm selbst<br />

gemacht hatte, als er noch klein war. »Er machte alles<br />

<strong>und</strong> jeden nieder«, meinte einer seiner ehemaligen<br />

Kollegen, der ihn als »farblos wie Tofu, nur ohne Geschmack«<br />

bezeichnete.<br />

Aber <strong>die</strong>se fade, hinterlistige Figur auf der Leinwand<br />

mit ihren sexuellen Problemen traf genau <strong>die</strong> Gefühle<br />

der jungen Zuschauer, <strong>die</strong> sich vor den Kinos drängten,<br />

um den witzigen Low-Budget-Film zu sehen, der<br />

mehr als 70 Millionen Dollar einspielte. Mindestens ebenso<br />

aufregend für <strong>Tom</strong> war jedoch, dass er einen<br />

Brief vom Idol seiner Jugendzeit erhielt. Steven Spielberg<br />

schrieb ihm, um ihm zu seiner Darstellung in der<br />

Rolle zu gratulieren. »Er ist der typische amerikanische<br />

Junge«, so der Regisseur Paul Brickman. »Er hat<br />

etwas Archetypisches, das auf das Publikum überspringt.«<br />

In der Szene, <strong>die</strong> den Film berühmt machte <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

oft paro<strong>die</strong>rt wurde, tanzt <strong>Cruise</strong> in weißen Socken<br />

<strong>und</strong> Unterhose im Wohnzimmer seiner Eltern zu Bob<br />

Segers Song Old Time Rock and Roll. Diese Szene<br />

war improvisiert; sie entsprang der Empfindung des<br />

Darstellers <strong>und</strong> sie traf <strong>die</strong> Gefühle seines Publikums.<br />

-100-


»Mir gefiel das, weil ich das natürlich auch selbst gemacht<br />

hatte. Es war eine Situation, <strong>die</strong> mir völlig einleuchtete«,<br />

erzählte er Cameron Crowe. Auch seine<br />

Fre<strong>und</strong>e aus Glen Ridge kannten ihn so, wie er kleine<br />

Aufführungen zur Musik machte <strong>und</strong> im Garten in Unterwäsche<br />

herumlief – kurz gesagt, er war ein Typ wie<br />

Joel Goodsen.<br />

Im Gegensatz zu den Teenagern im richtigen Leben,<br />

kriegt der sexuell frustrierte Junge im Film am Schluss<br />

das Mädchen. In einer traumhaft erotischen Sequenz<br />

in einem Vorortzug in Chicago hat Joel Sex mit Lana,<br />

seiner Fre<strong>und</strong>in, <strong>die</strong> als Prostituierte arbeitete. <strong>Tom</strong><br />

<strong>und</strong> Rebecca waren ziemlich nervös, als sie <strong>die</strong> Szene<br />

spielen sollten. Aber <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> sich in den abgeriegelten<br />

Drehort hineinschleichen konnten, sind der<br />

festen Überzeugung, dass man <strong>die</strong> Frage »Haben sie<br />

es getan oder nicht?« mit einem eindeutigen Ja beantworten<br />

muss. Paul Brickman meinte dazu im Nachhinein:<br />

»Es war schwer, <strong>die</strong> Sache ins Laufen zu bringen,<br />

aber es war noch viel schwerer, sie wieder dazu<br />

zu bringen aufzuhören.« Danach stimmte <strong>die</strong> Chemie<br />

zwischen dem Paar sowohl vor als auch hinter der Kamera.<br />

Sie verbrachten viel Zeit miteinander <strong>und</strong> irgendwann<br />

zogen sie sogar zusammen. <strong>Tom</strong> backte für<br />

sie Toll-House-Plätzchen, <strong>und</strong> sie zeigte ihm Nicolas<br />

Roegs gruseligen Thriller Wenn <strong>die</strong> Gondeln Trauer<br />

tragen. »Er schien auf der Suche nach einem Menschen<br />

zu sein, den er lieben konnte <strong>und</strong> der seine Liebe<br />

erwiderte«, erinnert sich Rebecca.<br />

Triumphierend kehrte er noch einmal an <strong>die</strong> Glen<br />

Ridge Highschool zurück. Im Juni 1983 nahm er an der<br />

Abschlussfeier seiner Schwester Cass teil. Im lokalen<br />

Kino lief gerade Lockere Geschäfte; <strong>Tom</strong> erschien<br />

mit Rebecca De Mornay im Arm, <strong>und</strong> so fiel es ihm<br />

leicht, sein allmählich berühmt werdendes Lächeln<br />

aufzusetzen, als seine ehemaligen Klassenkameraden<br />

-101-


ihn im Scherz um ein Autogramm von »Mr. <strong>Cruise</strong>«<br />

angingen.<br />

<strong>Tom</strong> war jetzt ein richtiger Herzensbrecher für das<br />

jugendliche Publikum; sein entwaffnendes Lächeln <strong>und</strong><br />

das Erscheinungsbild des netten, gutaussehenden<br />

Jungen aus der Nachbarschaft sprach Mütter <strong>und</strong><br />

Töchter gleichermaßen an. <strong>Der</strong> Kritiker Gary Arnold<br />

von der Washington Post schrieb dazu: »Mit <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> hat das Kino einen neuen <strong>Star</strong>, der W<strong>und</strong>er<br />

wirkt.« Auch tat es seinem allmählich aufkeimenden<br />

Ruhm keinen Abbruch, dass er mit der begehrten Rebecca<br />

De Mornay zusammen war – obwohl manche<br />

meinten, es handle sich bei <strong>die</strong>ser Romanze eher um<br />

einen PR-Gag zur Vermarktung des Films. Jedenfalls<br />

wurden <strong>die</strong> beiden in New York von Paparazzi verfolgt;<br />

sie kamen auf das Titelbild des Magazins People, <strong>und</strong><br />

in den Hollywoodgazetten kursierten <strong>die</strong> üblichen<br />

Klatschgerüchte über <strong>die</strong> beiden.<br />

<strong>Tom</strong>s Rückkehr in <strong>die</strong> alte Schule <strong>die</strong>nte weniger dazu,<br />

hier vor Publikum den heimkehrenden Jungen zu<br />

geben, der es in der Ferne zu etwas gebracht hat –<br />

der zwar nicht in das Footballteam aufgenommen wurde,<br />

<strong>und</strong> mit dem niemand auf den Schulball gehen<br />

wollte, der jetzt aber seinen ehemaligen Mitschülern<br />

zeigen wollte, dass es ein Leben jenseits von Glen<br />

Ridge gab. Es war eher ein Moment des Abschiedsnehmens.<br />

Jeder wusste, was er erreicht hatte, <strong>und</strong><br />

zollte ihm dafür <strong>die</strong> Anerkennung.<br />

In gewisser Weise spiegelt sich in dem weniger bekannten<br />

Film <strong>Der</strong> richtige Dreh (All the Right Moves),<br />

der im gleichen Jahr in <strong>die</strong> Kinos kam wie Lockere<br />

Geschäfte, sein eigentliches Leben viel besser.<br />

<strong>Der</strong> Film, der von Lucille Ball mit produziert wurde,<br />

erzählt <strong>die</strong> Geschichte eines jungen Footballspielers an<br />

der Highschool, Stefen Djordjevic, der sich um ein Stipendium<br />

für das College bemüht, damit er nicht wie<br />

-102-


sein Vater <strong>und</strong> sein Bruder in einem Stahlwerk arbeiten<br />

muss. Zwar spielte <strong>die</strong>ser mutige, ziemlich deprimierende<br />

Film aus dem Arbeitermilieu wenig an der<br />

Kinokasse ein, aber in ihm drückt sich <strong>Tom</strong>s eigenes<br />

Streben aus, eine unglückliche Kindheit <strong>und</strong> Jugend<br />

hinter sich zu lassen. »Wenn ich auf <strong>die</strong> Zeit in der<br />

Schule zurückblicke, denke ich mir immer: Mein Gott,<br />

bin ich froh, dass ich das hinter mir habe«, sagte er<br />

oft, wenn er über seine prägenden Jahre sprach. Solche<br />

Empfindungen äußerte er im Gespräch mit dem<br />

Regisseur von <strong>Der</strong> richtige Dreh, Michael Chapman,<br />

den er für seine filmischen Arbeiten bew<strong>und</strong>erte.<br />

Chapman war der Regisseur von <strong>Tom</strong>s Lieblingsfilm<br />

Wie ein wilder Stier. »Ich weiß, dass er als Kind <strong>und</strong><br />

Jugendlicher Angst hatte, nicht entfliehen zu können,<br />

vor all den Dingen, vor denen Kinder nun mal fliehen<br />

wollen.« Die Darstellung des Stefen Djordjevic ist wie<br />

eine grobe Skizze des Charaktertyps, zu dem <strong>Cruise</strong><br />

sich entwickeln sollte: ein egoistischer, in sich selbst<br />

versunkener, aber letztlich erfolgreicher Held. Die unerbittliche<br />

Anstrengung, mit der <strong>die</strong> Interpretation der<br />

Figur verb<strong>und</strong>en war, führte letztlich zu einem strahlenden<br />

Erfolg, ein Spannungsbogen, in dem sich das<br />

Leben das Schauspielers widerspiegelt.<br />

Lockere Geschäfte festigte seine öffentliche Anerkennung,<br />

<strong>Der</strong> richtige Dreh zeigte, dass er ein breites<br />

Spektrum an schauspielerischen Möglichkeiten hatte.<br />

Dieser junge Mann, gerade mal 21 Jahre alt, der<br />

als Jungsp<strong>und</strong> des Bratpack angefangen hatte, war<br />

dabei, an seinen Konkurrenten auf der Überholspur<br />

vorbeizurasen, <strong>und</strong> festigte seine Position als der führende<br />

<strong>Star</strong> seiner Generation.<br />

-103-


4<br />

Das schönste Geräusch in Hollywood ist der Klang<br />

des Erfolgs. Während das Versagen den Versager wie<br />

ein großes Schweigen umgibt, klingelt beim Erfolgreichen<br />

das Telefon; man knallt ihm Berge von neuen<br />

Drehbüchern auf den Tisch, <strong>und</strong> vermischt mit dem<br />

Geräusch des Schulterklopfens verdichtet sich der Erfolg<br />

zu Musik in den Ohren dessen, dem er widerfährt.<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> fing an, sich an <strong>die</strong>sen So<strong>und</strong> zu gewöhnen,<br />

vor ihm lag eine goldene Zukunft. Doch holte ihn<br />

im Herbst 1983, als <strong>die</strong> ganze Filmbranche über Lockere<br />

Geschäfte sprach, seine Vergangenheit ein.<br />

Catherine Mapother, seine Großmutter väterlicherseits,<br />

rief ihn an, ein störender Telefonanruf zur unpassenden<br />

Zeit. Sein Vater, dem er sich völlig entfremdet<br />

<strong>und</strong> den er seit über zehn Jahren nicht mehr<br />

gesehen hatte, litt an unheilbarem Krebs. Seine<br />

Großmutter fragte, ob <strong>Tom</strong> dem Wunsch seines Vaters<br />

nachkommen würde, ihn im Krankenhaus in Louisville,<br />

wo er behandelt wurde, zu besuchen. Diese Bitte war<br />

noch dazu an Bedingungen geknüpft. Sein Vater wollte<br />

keine Schuldzuweisungen hören <strong>und</strong> hatte nicht vor,<br />

über <strong>die</strong> Vergangenheit zu sprechen. Für einen jungen<br />

Mann, der gerade dabei war, sich sein Leben nach den<br />

eigenen Regeln zu gestalten, muss das ziemlich irritierend<br />

gewesen sein, besonders da <strong>die</strong>se Vorgabe von<br />

einem Mann kam, den er einst abgelehnt <strong>und</strong> gefürchtet<br />

hatte <strong>und</strong> den er dabei immer noch liebte.<br />

Er willigte, wahrscheinlich zögernd, ein, dem Ansinnen<br />

seines Vaters nachzukommen. Da er finanziell<br />

dank seiner Gage von 75.000 Dollar für <strong>die</strong> Rolle in<br />

Lockere Geschäfte abgesichert war, zahlte er seinen<br />

-104-


Schwestern den Flug aus New York, um sie am Sterbebett<br />

des Vaters zu treffen. Es war eine anstrengende<br />

Situation, ein Treffen, das emotional sehr aufgeladen<br />

war <strong>und</strong> dennoch eine reinigende „Wirkung entfaltete.<br />

<strong>Tom</strong> hatte seinen Vater zum letzten Mal gesehen,<br />

als er zwölf Jahre alt war, damals war er zugegen,<br />

als sein Vater eine fremde Frau heiratete. Jetzt<br />

war er ein junger Mann, der seinen „Weg machte, <strong>und</strong><br />

das ohne Hilfe <strong>und</strong> Anleitung des Mannes, der da vor<br />

ihm im Bett lag. Er hatte ihm ein rührendes Geschenk<br />

mitgebracht, eine Erinnerung an <strong>die</strong> schönen Zeiten,<br />

<strong>die</strong> sie gemeinsam verbracht hatten. Es war eine Puppe,<br />

<strong>die</strong> aussah wie der heruntergerissene <strong>Tom</strong> Sawyer,<br />

mit einer eingebauten Spieluhr, <strong>die</strong> Melo<strong>die</strong>n aus dem<br />

Film <strong>Der</strong> Clou spielte. Das war der Lieblingsfilm seines<br />

Vaters gewesen, <strong>und</strong> der gemeinsame Kinobesuch mit<br />

ihm gehörte zu den wenigen angenehmen Unternehmungen,<br />

<strong>die</strong> sie gemeinsam gemacht hatten.<br />

Seit der plötzlichen Trennung der Familie Mapother in<br />

Ottawa hatte <strong>Tom</strong> seinen Vater weitgehend aus dem<br />

Blick verloren. Nach der Hochzeit mit Joan Lebendiger<br />

war das Paar eine Zeitlang nach Florida gegangen <strong>und</strong><br />

hatte sich dann nach Westen abgesetzt. Als <strong>die</strong> Verbindung<br />

nach einem Jahr in <strong>die</strong> Brüche ging, kam er<br />

nach Louisville zurück, wo er sich offensichtlich selten<br />

blicken ließ <strong>und</strong> in ziemlicher Armut lebte. »Er war ein<br />

unsteter Mensch. Offensichtlich bedauerte er, was er<br />

getan hatte. Ich hatte Mitleid mit ihm«, erinnert sich<br />

seine Cousine Caroline Mapother. Eine Zeitlang lebte<br />

er mit Jill Ellison zusammen, der Frau eines lokalen<br />

Journalisten, <strong>die</strong> sich von ihrem Mann getrennt hatte.<br />

Sie stand ihm während seiner Krebsbehandlung offensichtlich<br />

zur Seite.<br />

Zwar wusste Thomas senior, dass sein Sohn seinen<br />

eigenen Weg auf der Leinwand gegangen war, aber er<br />

hatte sich nicht <strong>die</strong> Zeit genommen, auch nur einen<br />

-105-


der Filme anzuschauen. Möglicherweise hatte er sich<br />

einfach nicht <strong>die</strong> Mühe gemacht, ins Kino zu gehen. In<br />

seiner offensichtlichen Gleichgültigkeit spiegelte sich<br />

<strong>die</strong> problematische Beziehung zwischen Vater <strong>und</strong><br />

Sohn. Es scheint, als habe sich der Vater seit der<br />

Trennung zehn Jahre zuvor konsequent an <strong>die</strong> damals<br />

wütend vorgebrachte Forderung seines Sohnes gehalten,<br />

»sich zum Teufel noch mal aus allem rauszuhalten«.<br />

<strong>Der</strong> aggressive junge Mann, den <strong>Tom</strong> in seiner Kindheit<br />

erlebt hatte, war jetzt nur mehr eine peinliche Figur<br />

in einem Krankenbett. Die »intensive« Reaktion<br />

seines Sohnes auf das erzwungene Wiedersehen<br />

schwankte zwischen Zuneigung <strong>und</strong> Wut, auch Mitleid<br />

mit dem Leiden seines Vaters <strong>und</strong> Verärgerung über<br />

ein Leben verpasster Chancen <strong>und</strong> familiärer Gemeinsamkeit<br />

spielten mit hinein. Später erzählte <strong>Tom</strong><br />

dem Fernsehmoderator James Lipton, dass seine Familie<br />

etwas ganz Besonderes gewesen sei <strong>und</strong> dass<br />

sein Vater gezielt <strong>und</strong> mit Absicht »seine große Lebenskraft«<br />

habe verfallen lassen. Im Lauf der Jahre<br />

hat er eine gewisse Distanz zu seinem Vater entwickelt<br />

<strong>und</strong> sieht heute sein Verhalten mit einer fast philosophischen<br />

Gelassenheit. Dieser habe sich sein Leiden<br />

<strong>und</strong> seine Isolation selbst gesucht <strong>und</strong> geschaffen. »Er<br />

hatte Fehler gemacht, <strong>und</strong> er wusste das. Ich war<br />

nicht wütend auf ihn, sicher nicht. Ich sah einfach nur<br />

einen Mann, der mein Vater war <strong>und</strong> den ich liebte,<br />

egal was passiert war.«<br />

Sie hielten sich in einer etwas pathetischen Szene bei<br />

den Händen, <strong>und</strong> sein Vater meinte, er sei bald wieder<br />

so weit auf dem Damm, dass er seinen Sohn auf ein<br />

Bier <strong>und</strong> ein Steak einladen könne. Das Steak haben<br />

sie nie gegessen. Sein Vater starb an Metastasen seines<br />

Darmkrebses am 9. Januar 1984 im Alter von gerade<br />

mal 49 Jahren. Das Begräbnis fand in aller Stille<br />

-106-


im engsten Familienkreis statt, <strong>und</strong> Thomas Mapother<br />

III fand seine letzte Ruhe auf dem katholischen Kalvarienfriedhof<br />

in Louisville.<br />

Wenige Wochen nach dem Tod seines Vaters fand<br />

sich <strong>Tom</strong> mit neuem Namen in einem neuen Land wieder,<br />

wo er mit Kobolden, Elfen <strong>und</strong> Einhörnern in einem<br />

verwunschenen Wald verkehrte. Es war <strong>die</strong>s eine<br />

besondere Art der inneren Läuterung. Er war in <strong>die</strong><br />

Rolle des Jack O’Green geschlüpft, war zum Helden im<br />

Kampf der Mächte der Finsternis gegen <strong>die</strong> des Lichts<br />

geworden – <strong>und</strong> das in einem Film, den der britische<br />

Regisseur Ridley Scott sich ausgedacht hatte. <strong>Tom</strong><br />

hatte den Macher der Science-Fiction-Filme Blade<br />

Runner <strong>und</strong> Alien immer schon bew<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> war<br />

von den 411 ausführlichen Skizzen, <strong>die</strong> Ridley Scott<br />

mitbrachte, um ihn von der Hauptrolle in seinem neuesten<br />

Fantasyfilm Legende zu überzeugen, sehr angetan.<br />

Sehr angetan auch von der Idee, eine Rolle zu übernehmen,<br />

unterschrieb <strong>Tom</strong> den Vertrag <strong>und</strong> wischte<br />

den Hinweis seiner Agentin Paula Wagner, <strong>die</strong> meinte,<br />

angesichts des Todes seines Vaters könne er <strong>die</strong>ses<br />

Angebot ruhig ablehnen, beiseite. Er ließ seine Familie,<br />

Rebecca De Mornay <strong>und</strong> seine Fre<strong>und</strong>e zurück <strong>und</strong><br />

machte sich zum ersten Mal auf den Weg nach London,<br />

wo <strong>die</strong> Dreharbeiten für das Frühjahr 1984 geplant<br />

waren.<br />

Er hatte keine Zeit, über <strong>die</strong> Vergangenheit nachzudenken.<br />

Als er zum ersten Mal in den Pinewood Studios<br />

in Buckinghamshire im Norden Londons ankam,<br />

führte ihn Ridley Scott in den Vorführraum Nummer<br />

sieben, wo er ihm Francois Truffauts Film <strong>Der</strong> Wolfsjunge<br />

aus dem Jahr 1970 zeigte. <strong>Der</strong> Film handelt von<br />

der wahren Geschichte eines Jungen, der in einem<br />

Wald in Frankreich gef<strong>und</strong>en wurde <strong>und</strong> der weder<br />

sprechen noch auf zwei Beinen gehen konnte, sondern<br />

-107-


sich wie ein Tier auf allen vieren fortbewegte. Offensichtlich<br />

war das Kind von Wölfen großgezogen worden.<br />

Scott war von der Geschichte angetan <strong>und</strong> wollte,<br />

dass <strong>Tom</strong> sein Haar wachsen ließ. Er sollte zudem <strong>die</strong><br />

ruckartigen Bewegungen <strong>und</strong> das wolfsartige Verhalten<br />

<strong>die</strong>ses Kindes annehmen, in dem Scott <strong>die</strong> heroische<br />

Kraft der Natur verkörpert sah. Endlich zahlten<br />

sich <strong>die</strong> wilden Streiche seiner Kindheit einmal aus.<br />

Im Gegensatz zu seinen früheren Filmen Die Kadetten<br />

von Bunker Hill <strong>und</strong> Die Outsider, wo er in Gesellschaft<br />

anderer Kollegen arbeitete, war er hier ganz<br />

auf sich selbst gestellt. Er stand auf der riesigen Bühne,<br />

auf der sonst <strong>die</strong> James-Bond-Filme gedreht wurden,<br />

herum <strong>und</strong> wartete, bis <strong>die</strong> aufwendigen Kulissen<br />

der Phantasiewelt aufgebaut waren. Er half seiner<br />

Partnerin Mia Sara, einer Siebzehnjährigen, <strong>die</strong> zum<br />

ersten Mal vor der Kamera stand, ihren Text zu lernen,<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> aus Brooklyn stammende Schauspielerin revanchierte<br />

sich, indem sie ihre Fre<strong>und</strong>innen in London<br />

aktivierte, um <strong>Tom</strong> Verabredungen für <strong>die</strong> freien Abende<br />

zu verschaffen. Meistens jedoch saß er abends<br />

im Büro des Pressemanns der Produktion, Geoff Freeman,<br />

hielt mit ihm ein Schwätzchen über <strong>die</strong> letzten<br />

Neuigkeiten aus der Heimat <strong>und</strong> diskutierte <strong>die</strong> aktuellen<br />

Sportergebnisse.<br />

Auch ein kurzer Besuch seines Fre<strong>und</strong>es Sean Penn<br />

in London konnte seine Stimmung nicht aufheitern.<br />

Sean reiste zusammen mit dem Schauspieler Joe Pesci<br />

ziellos durch Europa; man trank <strong>und</strong> ging auf Partys,<br />

da Sean hoffte, auf <strong>die</strong>se Art seine Trennung von der<br />

Schauspielerin Elizabeth McGovern zu verarbeiten. Er<br />

ließ Joe in Rom zurück <strong>und</strong> flog nach London, um <strong>Tom</strong><br />

für einen Tag bei den Dreharbeiten für Legende zu<br />

besuchen. Es war nicht gerade ein Erfolg. <strong>Tom</strong> war<br />

sehr konzentriert bei der Arbeit. Sean hatte ein gebrochenes<br />

Herz <strong>und</strong> betrank sich. In sehr rätselhaften<br />

-108-


Worten beschreibt Sean <strong>die</strong>ses Zusammentreffen als<br />

»eine desaströse Begegnung«. Am darauffolgenden<br />

Tag brach er dann wieder auf <strong>und</strong> flog nach Belfast.<br />

»Ich dachte mir: ›Geh irgendwohin, wo Gewalt herrsche‹«,<br />

erinnerte er sich später an <strong>die</strong>se Zeit, was klare<br />

Rückschlüsse über seinen damaligen Zustand erlaubt.<br />

Es war schon schlimm genug, als Fremder in der<br />

Fremde zu sein, aber zu allem Unglück passierten bei<br />

den Dreharbeiten noch zusätzliche Missgeschicke. <strong>Tom</strong><br />

verstauchte sich den Rücken während eines missglückten<br />

Stunts <strong>und</strong> wurde von einem Fuchs verletzt, den<br />

er während einer Szene im Arm schaukeln sollte. Vier<br />

Wochen vor Ende der Dreharbeiten mussten <strong>Tom</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> anderen Mitglieder der Crew hilflos zusehen, wie<br />

<strong>die</strong> riesige Bühne in Flammen aufging <strong>und</strong> der sorgfältig<br />

arrangierte Wald aus Polyester verbrannte, in dem<br />

der ganze Film spielte. Zwar gingen nur vier Tage der<br />

Drehzeit verloren, aber <strong>die</strong>ser Unfall war gleichsam <strong>die</strong><br />

Metapher für den Film. Es war ein derartiger kommerzieller<br />

Misserfolg, dass Ridley Scott sich am Ende seiner<br />

Hollywoodkarriere wähnte <strong>und</strong> der Produktion von<br />

Pop-Videos zuwandte.<br />

Wie ein Filmkritiker schrieb: »Schauspielerische Leistungen<br />

gehen in solchen Produktionen oft unter. Mir<br />

fiel besonders auf, wie schnell <strong>Cruise</strong> unter der Rolle<br />

des Jack begraben wurde. <strong>Der</strong> junge begabte Schauspieler<br />

aus Lockere Geschäfte, der dort als höchst<br />

individueller Charakter hervorsticht, verschwindet hier<br />

völlig in der Kulisse <strong>und</strong> den Spezialeffekten. Die Rolle<br />

hätte von jedem anderen auch gespielt werden können.«<br />

Selbst <strong>Tom</strong> meinte, er sei »eben nur ein Farbtupfer<br />

in einem weiteren Gemälde von Ridley Scott«<br />

gewesen <strong>und</strong> macht sich heute ein bisschen über <strong>die</strong>sen<br />

Film lustig.<br />

-109-


Als er nach New York zurückkehrte, sah es dort nicht<br />

besser aus. In seiner Beziehung zu Rebecca De Mornay<br />

wurde bald <strong>die</strong> letzte Rolle mit dem Abspann eingelegt.<br />

Die meiste Zeit des Jahres waren sie getrennt<br />

gewesen, <strong>und</strong> obwohl er sie kurz bei den Dreharbeiten<br />

zu ihrem neuen Film The Slugger’s Wife besucht hatte<br />

<strong>und</strong> sie ab <strong>und</strong> an nach London geflogen war, hatte<br />

der Druck einer Beziehung auf Distanz in einer Zeit,<br />

als es weder Handys noch E-Mail gab, seinen Tribut<br />

gefordert. Ihre Beziehung basierte auf gemeinsamem<br />

beruflichem Ehrgeiz, einer gemeinsamen Karriere <strong>und</strong><br />

einer ähnlichen Vergangenheit; beide kamen aus kaputten<br />

Familien <strong>und</strong> waren in ihrer Jugend immer unterwegs<br />

gewesen.<br />

Rebeccas Kindheit war verglichen mit seiner exotischer<br />

<strong>und</strong> anspruchsvoller. Sie lebte mit ihrer Mutter,<br />

<strong>die</strong> ein Leben in der Boheme führte, in verschiedenen<br />

europäischen Ländern <strong>und</strong> zog mit ihr viel herum. »Ich<br />

wollte immer dazugehören… Ich habe mich angestrengt,<br />

um akzeptiert zu werden«, erklärte sie einmal.<br />

Während <strong>Tom</strong> sich den kanadischen Akzent aneignete,<br />

sprach Rebecca Deutsch mit österreichischem<br />

Akzent, als sie mit ihrer Mutter in Österreich lebte. Sie<br />

waren zwei verlorene Seelen auf der Suche nach Anerkennung<br />

<strong>und</strong> Zustimmung. »Kinder aus kaputten<br />

Familien sind einfach anders«, stellte Rebecca fest.<br />

»Sie sind immer irgendwie auf der Suche, denn man<br />

sehnt sich immer nach Liebe <strong>und</strong> Anerkennung, wenn<br />

man als Kind zu wenig Zeit mit seinen Eltern verbracht<br />

hat. Das trifft meines Erachtens auch auf <strong>Tom</strong> zu.«<br />

Im Hintergr<strong>und</strong> lauerte das alte böse grünäugige<br />

Monster der Eifersucht <strong>und</strong> des Neids. Sowohl <strong>Tom</strong>s<br />

als auch Rebeccas Karriere entwickelten sich sprunghaft<br />

nach dem Erfolg von Lockere Geschäfte. Damals<br />

schien es, als hätte Rebecca, <strong>die</strong> über weit weniger<br />

Erfahrung verfügte als ihr Fre<strong>und</strong>, <strong>die</strong> klügeren Ent-<br />

-110-


scheidungen getroffen. In dem Jahr, in dem sie zusammen<br />

waren, war sie <strong>die</strong> deutlich Erfolgreichere von<br />

den beiden. Während <strong>Tom</strong> im Jahr 1984 monatelang in<br />

London ein Wesen aus dem Wald spielte, drehte Rebecca<br />

drei Filme ab, <strong>die</strong> alle einige Anerkennung einheimsten.<br />

Man kann sich leicht vorstellen, wie <strong>Tom</strong>,<br />

der immer alles unter Kontrolle halten wollte <strong>und</strong> sehr<br />

ehrgeizig war, reagierte, als seine Fre<strong>und</strong>in sowohl<br />

vom Niveau als auch von der Anzahl der Filme her<br />

besser abschnitt als er. Selbst <strong>die</strong> 500.000 Dollar, <strong>die</strong><br />

er als Gage für Legende erhielt, <strong>und</strong> das magische<br />

Wort »starring« auf den Filmplakaten waren da vermutlich<br />

keine ausreichende Kompensation. Für einen<br />

jungen Mann, der zusammen mit seiner Mutter aufgewachsen<br />

war, im Kreise seiner Schwestern, <strong>die</strong> ihn<br />

bedingungslos bew<strong>und</strong>erten, war es vermutlich<br />

schwierig, mit einer Lebensgefährtin zurechtzukommen,<br />

<strong>die</strong> ihn auf dem gemeinsamen Karrierepfad überholte.<br />

Das Rampenlicht schien etwas strahlender<br />

auf Rebecca als auf ihn. Sie war damals <strong>die</strong> gewandtere<br />

– stilsicher <strong>und</strong> weltoffen.<br />

In ihrem Film The Trip to Bountiful bekam sie Anerkennung<br />

für <strong>die</strong> Darstellung einer jungen Frau, <strong>die</strong><br />

sich mit einer älteren Dame anfre<strong>und</strong>et. Diese wurde<br />

von der Leinwandveteranin Geraldine Page gespielt,<br />

<strong>die</strong> für <strong>die</strong> Rolle den Oscar erhielt. In Runaway Train,<br />

Rebeccas zweitem Film in <strong>die</strong>sem Jahr, wurden ihre<br />

Partner Jon Voight <strong>und</strong> Eric Robert ebenfalls für den<br />

Oscar nominiert. Die beiden spielten in <strong>die</strong>sem mutigen<br />

Drama zwei Ausbrecher aus dem Gefängnis, <strong>die</strong><br />

sich in einem Zug befinden, der außer Kontrolle gerät.<br />

Filmfans halten <strong>die</strong>sen Streifen regelmäßig für einen<br />

der besten Kinofilme überhaupt. Rebecca spielt darin<br />

eine Angestellte der Bahngesellschaft, <strong>die</strong> sich zur falschen<br />

Zeit im falschen Zug befindet.<br />

-111-


Oberflächlich gesehen war auch der dritte Film, den<br />

sie in <strong>die</strong>sem Jahr drehte, ein Qualitätsprodukt. Nicht<br />

nur, dass das Drehbuch von Neil Simon stammte, der<br />

Ein seltsames Paar geschrieben hatte; auch der Regisseur<br />

war eine Legende, der Autorenfilmer Hal Ashby,<br />

der Willkommen, Mr. Chance mit Peter Sellers<br />

gedreht hatte. Während <strong>Tom</strong> tagelang in der Maske<br />

saß, umgeben von Kobolden <strong>und</strong> Elfen, <strong>und</strong> darauf<br />

wartete, lächerliche Dialoge zu sprechen, arbeitete<br />

seine Fre<strong>und</strong>in mit der Creme de la Creme von Hollywood.<br />

So sah es zumindest aus.<br />

Als ob das nicht schon genug für <strong>Tom</strong>s Ego gewesen<br />

wäre, spielte Rebecca darüber hinaus noch eine attraktive<br />

Sängerin in einem Nachtclub, <strong>die</strong> eine Affäre<br />

mit einem Baseballstar beginnt, dargestellt von Michael<br />

O’Keefe. Für einen jungen Mann, der von seinen<br />

beiden vorherigen Fre<strong>und</strong>innen hintergangen wurde,<br />

war es wohl schwer, hier Vertrauen zu entwickeln, besonders<br />

weil er selbst erfahren hatte, wie sich <strong>die</strong> zwischenmenschliche<br />

Chemie bei männlichen <strong>und</strong> weiblichen<br />

Hauptdarstellern entwickeln konnte. Schließlich<br />

waren Rebecca <strong>und</strong> er so ein Paar geworden. Auch war<br />

es für <strong>Tom</strong> wenig hilfreich, dass auf den Filmplakaten<br />

Rebecca <strong>und</strong> ihr Filmgeliebter abgebildet waren, wie<br />

sie sich gerade innigst küssen. »Ich gehe ins Kino <strong>und</strong><br />

sehe Rebecca in einer Liebesszene mit einem anderen<br />

Kerl, dem sie erzählt, dass sie ihn liebt. Ich sehe meinen<br />

Ängsten immer ins Auge«, gestand er einmal.<br />

Hinter den Kulissen litt der Film unter der Konkurrenz<br />

von großen Egomanen – Neil Simon weigerte sich, Änderungen<br />

am Skript zu akzeptieren, <strong>und</strong> Hal Ashby<br />

wurde wegen übermäßigem Drogenkonsum gefeuert.<br />

Rebecca wiederum, <strong>die</strong> immer noch dabei war, ihr<br />

Handwerk zu erlernen, hatte sich mit der Rolle als<br />

Sängerin <strong>und</strong> Schauspielerin etwas übernommen. Ihr<br />

-112-


Partner Michael O’Keefe erinnert sich: »Das Ganze<br />

wuchs ihr ein bisschen über den Kopf.«<br />

Auch <strong>die</strong> Fernbeziehung zwischen den zwei ehrgeizigen<br />

Schauspielern, <strong>die</strong> beide auf dem Sprung zum<br />

Ruhm waren, überforderte sie. Die Trennung von <strong>Tom</strong><br />

war dann, wie sich eine Schauspielerkollegin von Rebecca<br />

erinnert, »eine sehr unangenehme Erfahrung für<br />

sie. Sie wollte eigentlich gar nicht darüber sprechen.<br />

Es ging alles sehr abrupt.«<br />

Als Rebecca sich öffentlich über ihre Trennung äußerte,<br />

gestand sie ein, dass es für sie sehr schmerzhaft<br />

gewesen war. »Wir waren beide ehrgeizig <strong>und</strong> arbeiteten<br />

hart. Ich fürchte, das Ende war nicht sehr fre<strong>und</strong>schaftlich.«<br />

In ihren Ausführungen ging sie auf den<br />

hinter der fre<strong>und</strong>lichen Fassade stattfindenden Kampf<br />

ein. »Es besteht immer <strong>die</strong> Gefahr, in Konkurrenz zu<br />

geraten. Immer drohen lange Zeiten der Trennung,<br />

größere Liebesszenen im Drehbuch, negative Publicity<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Flüchtigkeit des ganzen Gewerbes.« <strong>Tom</strong> war<br />

geradliniger <strong>und</strong> pragmatischer. »Wenn etwas nicht<br />

funktioniert, dann muss man sich dem stellen <strong>und</strong> weiterziehen.«<br />

Und <strong>Tom</strong> zog weiter; bald schon nach seiner Abkehr<br />

von der zukünftigen Hollywood-Berühmtheit wandte er<br />

sich einem bereits etablierten <strong>Star</strong> zu. Seine neue<br />

Fre<strong>und</strong>in Cher war mit 39 Jahren eher im Alter seiner<br />

Mutter als in der Altersklasse des gerade mal 23jährigen<br />

Schauspielers, aber sie war eine hochkarätige<br />

Leinwandberühmtheit. Ihre gemeinsamen Auftritte in<br />

der Öffentlichkeit sorgten für Schlagzeilen, <strong>und</strong> so<br />

blieb auch <strong>Tom</strong> auf den Titelseiten. Wie weit er es inzwischen<br />

gebracht hatte <strong>und</strong> wie schnell alles gegangen<br />

war, zeigt sich daran, dass er Cher bei einer Wohlfahrtsveranstaltung<br />

für Legastheniker im Weißen Haus<br />

kennenlernte, bei der auch <strong>die</strong> damalige First Lady,<br />

Nancy Reagan, anwesend war. <strong>Tom</strong>, Cher, der Athlet<br />

-113-


der amerikanischen Olympiamannschaft Bruce Jenner<br />

<strong>und</strong> der Künstler Richard Rauschenberg waren unter<br />

den Anwesenden <strong>und</strong> wurden für ihre Leistungen geehrt,<br />

<strong>die</strong> sie vollbracht hatten, obwohl sie unter <strong>die</strong>ser<br />

Lernstörung litten. Sowohl Cher als auch <strong>Tom</strong> hatten<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer Legasthenie mit Lernschwierigkeiten zu<br />

kämpfen gehabt. Während man <strong>die</strong>se Störung bei <strong>Tom</strong><br />

relativ früh diagnostizierte, erfuhr Cher erst, als man<br />

bei ihrer Tochter Chastity Legasthenie feststellte, dass<br />

auch ihre Probleme bei der Lektüre von Texten, beim<br />

Ablesen der Uhr oder beim Ausstellen von Schecks<br />

darauf zurückzuführen waren.<br />

»Wenn ich ein Drehbuch lese, lese ich es sehr langsam<br />

<strong>und</strong> präge es mir bereits beim ersten Mal ein«,<br />

erzählte sie dem Publikum im Weißen Haus, in dem<br />

sich auch Kinder aus einer Spezialschule befanden, <strong>die</strong><br />

Schülern mit Lernstörungen gezielte Förderung angedeihen<br />

lässt. <strong>Tom</strong> gestand ein, dass er immer ein Wörterbuch<br />

neben sich liegen hatte, wenn er Drehbücher<br />

las. »Ich konnte <strong>die</strong> New York Times nicht lesen, weil<br />

ich <strong>die</strong> großen Wörter nicht entziffern konnte«, sagte<br />

er. »Es war erniedrigend für mich. Als ich beim Film<br />

anfing, musste ich mir ein Wörterbuch kaufen. Ich fing<br />

an mit einem Jugendlexikon <strong>und</strong> arbeitete mich dann<br />

zu den größeren Lexika hoch. Ich saß im Flugzeug mit<br />

Drehbuch <strong>und</strong> Wörterbuch.«<br />

Als sie merkten, dass sie an der gleichen Störung litten,<br />

war das Eis zwischen den beiden gebrochen. Aber<br />

auch <strong>Tom</strong>s Status als aufstrebender Stern am Himmel<br />

von Hollywood <strong>und</strong> Chers Position dort am Firmament<br />

führte <strong>die</strong> beiden zusammen. Von Cher war bekannt,<br />

dass sie mit jüngeren Männern ausging, lange bevor<br />

das in Mode kam, <strong>und</strong> sie war sofort von dem jungen<br />

Schauspieler angetan. Das eine Jahr in London hatte<br />

zumindest einen Vorteil gehabt – <strong>Tom</strong> war nun nicht<br />

mehr der adrette, plumpe Typ aus Lockere Geschäf-<br />

-114-


te, <strong>und</strong> er hatte sich körperlich für <strong>die</strong> Rolle in Legende<br />

wieder in Form gebracht. »Ich muss den Jungen<br />

<strong>die</strong> ganze Zeit anschauen«, gestand Cher einer Kollegin<br />

voller Bew<strong>und</strong>erung. »Er sieht so verdammt gut<br />

aus, <strong>und</strong> ich will ihn immer nur anschauen.« Sie gingen<br />

über Monate hinweg zusammen aus <strong>und</strong> füllten<br />

damit eine Zeitlang <strong>die</strong> Klatschspalten. Da schadete es<br />

nichts, dass sowohl <strong>Tom</strong> als auch Cher im Jahr 1985<br />

Werbung für ihre Filme machen mussten. Ihre zweite<br />

größere Rolle in dem Film Mask- einer auf wahren Begebenheiten<br />

beruhenden Geschichte, <strong>die</strong> vom Leben<br />

eines verunstalteten Teenagers aus Südkalifornien<br />

handelt – festigte den Ruf der Sängerin als seriöse<br />

Schauspielerin.<br />

Auch wenn aufgr<strong>und</strong> der Altersdifferenz keiner der<br />

beiden <strong>die</strong> Beziehung wirklich ernst nahm – Chers<br />

Tochter Chastity war gerade mal acht Jahre jünger als<br />

<strong>Tom</strong> –, waren sie doch gerne zusammen. »Cher ist<br />

lustig <strong>und</strong> klug, <strong>und</strong> wir sind gute Fre<strong>und</strong>e, das ist alles«,<br />

erzählte <strong>Tom</strong> dem Magazin People. Er wohnte in<br />

ihrem Haus in Malibu, <strong>und</strong> wenn Cher nach New York<br />

fuhr, blieb sie dort oft in seinem Appartement, auch<br />

wenn er nicht da war. Sogar Chastity führte aus <strong>Tom</strong>s<br />

New Yorker Wohnung das schlimmste Telefongespräch<br />

ihres Lebens. Sie war ein einsames Problemkind <strong>und</strong><br />

gestand am Telefon ihrem Vater Sony Bono nicht nur,<br />

dass sie lesbisch war, sondern dass sie darüber hinaus<br />

noch eine Affäre mit Joan, einer Fre<strong>und</strong>in ihrer Mutter,<br />

gehabt hatte, <strong>die</strong> ebenfalls eine Lesbierin ist. Cher war<br />

wütend <strong>und</strong> wies sie an, <strong>Tom</strong>s Appartement zu verlassen<br />

<strong>und</strong> sich einer Therapie zu unterziehen. »Von meiner<br />

Mutter bekam ich keine Zärtlichkeiten. Sie küsste<br />

mich nicht oder nahm mich in den Arm, das war in<br />

unserer Familie unüblich«, erinnerte sie sich später.<br />

»Stattdessen schickte sie mich zum Therapeuten.«<br />

Cher brauchte über ein Jahrzehnt, um <strong>die</strong> sexuelle O-<br />

-115-


ientierung ihrer Tochter zu akzeptieren. »Das ist<br />

schwierig für Eltern«, sagte sie später. »Es ist sehr<br />

leicht, liberal zu sein, wenn es einen selbst nicht unmittelbar<br />

betrifft. Wenn es das doch tut, dann muss<br />

man schon sehr in sich gehen.« Wie es aussieht, spielte<br />

<strong>Tom</strong>, der ja ebenfalls seine Probleme mit Homosexualität<br />

hatte, in <strong>die</strong>sem Familiendrama keine allzu<br />

große Rolle, außer dass er Chastity Unterschlupf in<br />

New York gewährte. Die kam mit den jungen Fre<strong>und</strong>en<br />

ihrer Mutter offensichtlich immer gut zurecht. »Es<br />

macht mir nichts aus, wenn sie eher in meinem als in<br />

ihrem Alter sind«, sagte sie.<br />

Als er eines Abends in New York mit Cher ausging,<br />

kam es zu einer geradezu rührenden Begebenheit, <strong>die</strong><br />

<strong>Tom</strong> an seine Vergangenheit erinnerte. Sie aßen zusammen<br />

in einem Restaurant namens Fiorella an der<br />

Ecke von Sechzigster <strong>und</strong> Dritter. Zufällig be<strong>die</strong>nte sie<br />

an <strong>die</strong>sem Abend Lorraine Gauli, seine alte Bekannte<br />

aus Glen Ridge. Als er damals an <strong>die</strong> Highschool kam,<br />

war sie bereits eine bekannte Persönlichkeit aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer Fernsehrollen <strong>und</strong> offensichtlich auf dem Weg zu<br />

Ruhm <strong>und</strong> Glück. Nachdem sie <strong>die</strong> Schauspielschule<br />

besucht hatte, verließ sie das Glück jedoch, <strong>und</strong> ihre<br />

Karriere endete in einer Reihe erfolgloser Termine zum<br />

Vorsprechen <strong>und</strong> zu Probeaufnahmen. Die Frau, <strong>die</strong><br />

ihn ermuntert hatte, sein Glück mit der Schauspielerei<br />

zu versuchen, stand jetzt würdelos als Kellnerin vor<br />

ihm <strong>und</strong> be<strong>die</strong>nte ihren ehemaligen Schützling. »Ich<br />

empfand das als so erniedrigend«, erinnert sie sich.<br />

»Ich hatte jedem erzählt, dass er ein Fre<strong>und</strong> von mir<br />

war, <strong>und</strong> da stand ich jetzt <strong>und</strong> be<strong>die</strong>nte <strong>die</strong> Leute an<br />

den Tischen.«<br />

Unter den gegebenen Umständen wäre es für ihn einfach<br />

gewesen, seine einstige Mentorin aus Jugendtagen<br />

zu ignorieren, aber er stellte sie Cher vor <strong>und</strong> betrieb<br />

fre<strong>und</strong>lichen Small Talk mit ihr. Er hatte es ge-<br />

-116-


schafft, sie nicht: Er konnte es sich leisten, nett <strong>und</strong><br />

fre<strong>und</strong>lich zu sein. Diese kleine Episode zeigt, wie<br />

schnell er Karriere gemacht hatte. <strong>Tom</strong> hatte mit seiner<br />

Vergangenheit abgeschlossen <strong>und</strong> ein neues Kapitel<br />

aufgeschlagen, in dem er nun endlich selbst <strong>die</strong><br />

Kontrolle über seine Zukunft übernehmen konnte. Er<br />

war nun einer, der »Erfolg« hat, der mitten auf dem<br />

Titelbild steht.<br />

So sahen ihn möglicherweise <strong>die</strong> anderen. Er selbst<br />

hatte ein anderes Bild von sich. Hinter der kecken,<br />

selbstsicheren Maske verbarg sich ein junger Mann,<br />

der mit seinem plötzlichen Ruhm keineswegs gänzlich<br />

glücklich war. In Interviews mit den Me<strong>die</strong>n war er<br />

steif <strong>und</strong> über <strong>die</strong> Maßen ernsthaft <strong>und</strong> ließ sich endlos<br />

über sein »Handwerk« aus. Die Aufmerksamkeit, <strong>die</strong><br />

er plötzlich auf sich zog – besonders seine immer größer<br />

werdende Fangemeinde bei den Jugendlichen –,<br />

verwirrte ihn.<br />

So wie er mit seiner ehemaligen Flamme Nancy Ärmel<br />

in Florida ein Lokal verlassen hatte, weil <strong>die</strong> Leute<br />

ihn anstarrten, gab er einem Kellner im Restaurant<br />

Serendipity 3 ein fürstliches Trinkgeld, weil er vier Jugendliche<br />

am Nebentisch zurechtgewiesen hatte, sie<br />

mögen nicht immer zu ihm hinübergaffen. In seiner<br />

Wohnung an der Upper West Side spielte er den Detektiv,<br />

wenn er merkte, dass jemand von einem benachbarten<br />

Haus aus ihn mit dem Fernglas beobachtete.<br />

Wenn er dann <strong>die</strong> überraschten Eigentümer der<br />

jeweiligen Appartements zur Rede stellte, musste er<br />

feststellen, dass <strong>die</strong> Spione <strong>die</strong> jugendlichen Töchter<br />

der Besitzer <strong>und</strong> deren Fre<strong>und</strong>e waren.<br />

Als stünde er zu nahe an einem großen Gemälde,<br />

fehlte ihm der Blick aufs Ganze; er konnte sich selbst<br />

auf dem Bild nicht richtig verorten. Die einzigen fixen<br />

Bezugspunkte waren seine Altersgenossen. Nach seinen<br />

Vorstellungen war <strong>die</strong> Klasse von ‘82, jene Gruppe<br />

-117-


junger Schauspieler, <strong>die</strong> mit ihm in seinem ersten Film<br />

Die Kadetten von Bunker Hill aufgetreten waren,<br />

insgesamt gut im Geschäft – <strong>und</strong> am besten stand<br />

sein eigensinniger Fre<strong>und</strong> Sean Penn da. Während<br />

<strong>Tom</strong> sich fast dafür entschuldigen musste, dass er mit<br />

Cher ausging, lernte sein Fre<strong>und</strong> im Januar 1985 Madonna,<br />

<strong>die</strong> heißeste Frau im Showgeschäft, kennen<br />

<strong>und</strong> verfiel ihrem durchaus nicht unumstrittenen<br />

Charme. Mit einem wohlwollend aufgenommenen Film,<br />

Susan… verzweifelt gesucht, <strong>und</strong> ihrem zweiten Album<br />

Like a Virgin, das nicht nur von allen Seiten des<br />

musikalischen Establishments Applaus erhielt, sondern<br />

auch bei ihrer jugendlichen Fangemeinde gut ankam,<br />

war sie ein ebenso erstaunliches wie einmaliges Talent.<br />

Künstlerisch hätte <strong>Tom</strong> angesichts der Karriere seiner<br />

Fre<strong>und</strong>e durchaus eine Atempause einlegen können.<br />

Sein Fre<strong>und</strong> Tim Hutton, der bis dahin jüngste Oskargewinner<br />

aller Zeiten für seine Rolle in Eine ganz<br />

normale Familie, hatte sich ernsthaften <strong>Projekt</strong>en<br />

zugewendet <strong>und</strong> bewusst <strong>die</strong> Hauptrolle in Lockere<br />

Geschäfte abgelehnt – in dem Film, der <strong>Tom</strong>s Erfolg<br />

begründete. Die Rolle war ihm zu seicht gewesen. Obwohl<br />

er eine der begehrten Nominierungen für den<br />

Golden Globe für seine Rolle des Joel Goodsen erhielt,<br />

hätten seine Fre<strong>und</strong>e in Hollywood bei seinem Auftitt<br />

in Legende wohl <strong>die</strong> Stirn gerunzelt. Zwar waren <strong>die</strong><br />

Ausstattung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Spezialeffekte außerordentlich,<br />

aber das Drehbuch war lächerlich – ebenso wie <strong>Tom</strong>,<br />

der Sätze sprechen musste wie »Wenn ich in den<br />

Himmel komme, weiß ich genau, wie sich der Gesang<br />

der Engel anhört«. Sean Penn <strong>und</strong> Tim Hutton arbeiteten<br />

zusammen an <strong>Der</strong> Falke <strong>und</strong> der Schneemann,<br />

einem ernsten Film über zwei junge Männer, <strong>die</strong> verurteilt<br />

werden, weil sie Geheimnisse an <strong>die</strong> Russen verkaufen.<br />

»Es ist sicher schwerer, zwei bessere Darstel-<br />

-118-


ler zu finden als <strong>die</strong>se«, schrieb das Magazin People,<br />

als der Film im Januar 1985 in <strong>die</strong> Kinos kam.<br />

Nachdem Legende, der im gleichen Jahr auf den<br />

Markt kam, spurlos in der Versenkung verschwand,<br />

waren <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> seine Agentin Paula Wagner fest entschlossen,<br />

in Zukunft bei der Auswahl seiner <strong>Projekt</strong>e<br />

kritischer zu sein. Seine beiden Nieten – Die Ausreißer<br />

von der High School <strong>und</strong> Legende – waren wegen<br />

der extrem schlechten Drehbücher gescheitert.<br />

Zwar lagen alle möglichen Angebote jetzt auf dem<br />

Tisch, aber <strong>die</strong> Entscheidung für das richtige <strong>Projekt</strong><br />

war letztlich ein Lotteriespiel. Wie der Drehbuchautor<br />

William Goldman einmal treffend feststellte, ist <strong>die</strong><br />

erste Regel in Hollywood: »Niemand weiß irgendetwas<br />

darüber, keiner weiß, wie es geht.«<br />

Diese Binsenweisheit erklärt vielleicht, warum <strong>die</strong><br />

Realisierung von Filmprojekten in Hollywood im Durchschnitt<br />

so lange dauert. Im Mai 1983, als <strong>Tom</strong> gerade<br />

seinen Text für Lockere Geschäfte lernte, saß der<br />

Produzent Jerry Bruckheimer in seinem Büro in den<br />

Paramount Studios, gefesselt von einem Artikel von<br />

Ehud Yonay im Magazin California mit dem Titel Top<br />

Guns – ein Beitrag, der von der Flugschule der Marine<br />

in San Diego handelte, an der <strong>die</strong> besten Piloten der<br />

Marine ausgebildet werden. Das ist »<strong>Star</strong> Wars auf<br />

Erden« dachte er sich, als er den Artikel seinem Partner<br />

<strong>und</strong> Mitproduzenten Don Simpson über den Tisch<br />

hinüber zuschob. Simpson telefonierte gerade, <strong>und</strong> als<br />

er <strong>die</strong> Geschichte verkehrt herum vor sich liegen sah,<br />

winkte er ab, weil er dachte, es sei ein Western. Als er<br />

sie dann aber gelesen hatte, hatten <strong>die</strong> beiden Teufelskerle,<br />

<strong>die</strong> hinter den Filmen Flashdance <strong>und</strong> Beverly<br />

Hills Cop standen, <strong>die</strong> Idee für einen neuen<br />

Kassenschlager im Kopf: Top Gun.<br />

In gewisser Weise war Simpsons erste instinktive Reaktion<br />

richtig. Es war wirklich ein Western. Diese Pilo-<br />

-119-


ten waren <strong>die</strong> Cowboys der Gegenwart; sie waren jung<br />

<strong>und</strong> sexy <strong>und</strong> hatten wilde Namen wie Viper, Jaws <strong>und</strong><br />

Mad Dog. Sie gingen mit ihrem testosterongesteuerten<br />

Verhalten an <strong>die</strong> Grenze ihres Lebens. Bei all ihrem<br />

arroganten Getue lebten <strong>die</strong>se jungen Männer in ihren<br />

fliegenden Kisten nach einem altmodischen Code von<br />

Selbstaufopferung, Kameradschaft <strong>und</strong> Patriotismus.<br />

Das sah nach einer todsicheren Sache aus. »Es geht<br />

um den Individualismus des Yankees, um Ehre, hervorragende<br />

Ziele <strong>und</strong> <strong>die</strong> Verpflichtung, das Beste zu<br />

geben«, erklärte Simpson in seinem typischen Tonfall<br />

den Moguln des Filmgeschäfts, als er heldenhaft versuchte,<br />

aus seiner Idee einen Film zu machen.<br />

Die Studios <strong>und</strong> viele Drehbuchschreiber sahen das<br />

anders. Nach anfänglichem Interesse sagte man ihnen<br />

bei Paramount schließlich: »Wer will schon einen Film<br />

sehen, in dem zu viele Flugzeuge vorkommen?« Dan<br />

Simpson war so weit, dass er bei einem Treffen mit<br />

Michael Eisner, dem Chef von Paramount, auf <strong>die</strong> Knie<br />

fiel <strong>und</strong> ihn anflehte, Vertrauen in das <strong>Projekt</strong> zu haben.<br />

»Wenn Sie dermaßen verzweifelt sind, dann sollten<br />

wir Sie das entwickeln lassen«, sagte Eisner.<br />

Die besseren Drehbuchschreiber zeigten sich jedoch<br />

nicht sonderlich interessiert, <strong>und</strong> der Drehbuchautor<br />

Jack Epps meinte nach einigen Entwürfen, der Film sei<br />

»einfach gestorben«. Erst Ende 1984 – achtzehn Monate<br />

nach den ersten Diskussionen – gab der neue<br />

Chef von Paramount, Ned Tanen, grünes Licht für das<br />

<strong>Projekt</strong>. Sie hatten jetzt ein Budget von 16,5 Millionen<br />

Dollar, mit dem sie arbeiten konnten.<br />

Die erste <strong>und</strong> wichtigste Aufgabe war es nun, <strong>die</strong> Marine<br />

mit ins Boot zu bringen. Bei einem Treffen mit<br />

deren hochdekorierten Vertretern, darunter der für <strong>die</strong><br />

Marine zuständige Staatssekretär John Lehman aus<br />

dem Pentagon, bekamen sie <strong>die</strong> Zusicherung, dass für<br />

den Film auf dem Marinestützpunkt in Miramar in der<br />

-120-


Nähe von San Diego <strong>und</strong> auf zwei Flugzeugträgern gedreht<br />

werden konnte. Da man bei den Dreharbeiten<br />

immer auch ein Auge auf den Ruf der Marine richten<br />

wollte, ordnete man Pete Pettigrew, einen pensionierten<br />

Zweisternegeneral, als technischen Berater ab, der<br />

auf <strong>die</strong> Authentizität der Darstellung achten sollte.<br />

Hollywood schien weniger begeistert. Auf das Zögern<br />

der Drehbuchautoren folgte das der Regisseure <strong>und</strong><br />

Schauspieler. Offensichtlich lehnten sowohl John Carpenter<br />

als auch David Cronenberg das Angebot, <strong>die</strong>sen<br />

Film zu drehen, ab. Simpson <strong>und</strong> Bruckheimer entschlossen<br />

sich letztendlich dann für Tony Scott, den<br />

Bruder des Regisseurs von Legende, Ridley Scott, der<br />

wieder Werbefilme drehte, nachdem sein Debütfilm<br />

The Hunger von der Kritik als »gähnend schlecht«<br />

verrissen worden war. Einer seiner Werbefilme, in dem<br />

man einen Saab sieht, der mit einem Jet ein Wettrennen<br />

fährt, fiel den beiden Produzenten offensichtlich<br />

auf. Simpson <strong>und</strong> Bruckheimer machten gute Miene zu<br />

ihrer Entscheidung <strong>und</strong> lobten den Regisseur für seine<br />

stilvollen Bilder eher als für seine Fähigkeit, eine Geschichte<br />

zu erzählen. Ihre Wahl schien bei Schauspielern<br />

<strong>und</strong> Agenten nicht unbedingt Vertrauen zu wecken.<br />

Ally Sheedy, der <strong>Star</strong> aus Breakfast Club, lehnte <strong>die</strong><br />

romantische Hauptrolle der Fluglehrerin Charlie ab, <strong>die</strong><br />

schließlich von Kelly McGillis gespielt wurde. »Ich<br />

dachte, dass wohl kaum jemand einen Film über<br />

Kampfpiloten sehen wollte«, sagte sie später. Eine<br />

ähnliche Reaktion kam vom Schauspieler Val Kilmer,<br />

der ein Rollenangebot zunächst r<strong>und</strong>weg ablehnte <strong>und</strong><br />

nur zögerlich <strong>und</strong> nach langwierigen Vertragsverhandlungen<br />

in eine Beteiligung einwilligte – er spielte <strong>die</strong><br />

Figur des Iceman.<br />

Andere <strong>Star</strong>s lehnten das Angebot für <strong>die</strong> Übernahme<br />

der Hauptrolle ab. Keiner wollte Maverick, den groß-<br />

-121-


spurigen Piloten spielen, der während des Films an<br />

Statur gewinnt <strong>und</strong> am Schluss derjenige ist, der das<br />

Mädchen kriegt. Auch Matthew Mondine, der Mann mit<br />

der wie aus Stein gemeißelten Erscheinung <strong>und</strong> <strong>Star</strong><br />

des Films Birdy, der von den Problemen eines Vietnamheimkehrers<br />

erzählt, lehnte das Angebot ab. <strong>Der</strong><br />

Film verherrliche ihm zu sehr den Krieg. Er war gerade<br />

aus Ostberlin zurückgekehrt <strong>und</strong> hatte dort herausgef<strong>und</strong>en,<br />

dass auch russische Soldaten »einfach nur<br />

Menschen« sind. Scott Baio, der Herzensbrecher aus<br />

Happy Days sagte ab, ebenso wie der nachdenkliche<br />

Bösewicht Mickey Rouke. Charlie Sheen hielt man mit<br />

gerade mal 20 Jahren für zu jung, während man John<br />

Travolta, der selbst sogar eine Fluglizenz hatte, damals<br />

als einen an der Kinokasse unverkäuflichen Darsteller<br />

erachtete. Schließlich fand man einen jungen<br />

Mann mit langen Haaren, der gerade aus den Polyesterwäldern<br />

der Pinewood Studios entlaufen war <strong>und</strong><br />

der mit knapp ein Meter siebzig <strong>die</strong> Mindestgröße für<br />

einen Piloten bei der Marine um ein paar Zentimeter<br />

verfehlte. Bruckheimer sagte alles andere als <strong>die</strong><br />

„Wahrheit, als er später behauptete: »Wir hatten nie<br />

einen anderen als <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> vor Augen. Als uns das<br />

Drehbuch vorlag, sahen wir <strong>Tom</strong> in <strong>die</strong>ser Rolle.«<br />

Damals jedoch war nicht einmal <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> wirklich<br />

von der Rolle begeistert. Wie <strong>die</strong> anderen Schauspieler<br />

war auch er von dem dick aufgetragenen Pathos des<br />

Films nicht überzeugt <strong>und</strong> fürchtete, es könnte so etwas<br />

wie »Flashdance am Himmel« dabei herauskommen.<br />

Jedenfalls hatte der Schauspieler, der gerade<br />

seine eigene Produktionsfirma »Kid <strong>Cruise</strong>« gegründet<br />

hatte, andere Pläne, <strong>die</strong> er mit größerem Interesse<br />

verfolgte. Doch für Simpson <strong>und</strong> Bruckheimer<br />

war ein Nein kein Nein.<br />

An <strong>die</strong>sem Punkt wurde der Mythos von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

<strong>und</strong> Top Gun in <strong>die</strong> Welt gesetzt. Während eines zwei-<br />

-122-


stündigen Treffens mit den Produzenten bestand er<br />

darauf, dass er, wenn er den Vertrag unterschrieb, in<br />

den gesamten Produktionsprozess mit einbezogen sein<br />

wollte. Er verlangte eine Vorlaufzeit von zwei Monaten,<br />

um das Drehbuch weiterzuentwickeln, was im Klartext<br />

bedeutete, dass er umsonst gearbeitet hätte, wenn<br />

das <strong>Projekt</strong> geplatzt wäre. Simpson erinnerte sich später,<br />

dass <strong>Tom</strong> in seinem Haus auftauchte, sie sich ein<br />

Bier schnappten <strong>und</strong> dann fünf oder sechs St<strong>und</strong>en<br />

das Drehbuch bearbeiteten. »Wir hatten viel Spaß«,<br />

sagte er. Dank seines hart verhandelten Vertrags hatte<br />

<strong>Tom</strong> ein Mitspracherecht bei der Auswahl der anderen<br />

Schauspieler; er war in <strong>die</strong> Arbeit des Regisseurs<br />

Tony Scott bei den Dreharbeiten mit einbezogen <strong>und</strong><br />

hatte bei der letzten Bearbeitung des Films ein Wort<br />

mitzureden. Simpson meint dazu: »Ich war dagegen,<br />

weil ich <strong>die</strong> Dinge gerne selber in der Hand habe. Ein<br />

Schauspieler ist für mich ein Angestellter. Ich bin gerne<br />

der Boss. Aber wir haben lange darüber geredet,<br />

<strong>und</strong> er machte uns gegenüber eine gute Figur. Als er<br />

dann unser Büro verließ, gab er jedem von uns fest<br />

<strong>die</strong> Hand <strong>und</strong> sagte: >Meine Herren. Ich bin mit von<br />

der Partie.


er sich rar machte, musste Don Simpson ihn ziemlich<br />

bearbeiten, <strong>und</strong> erst mit der Aussicht auf eine Gage<br />

von mehr als einer Million brachte er ihn zur Unterschrift<br />

unter den Vertrag. Ein Treffen für den endgültigen<br />

Abschluss des Deals war für April 1985 geplant.<br />

Seine Agentin Paula Wagner war zu <strong>die</strong>ser Zeit nicht in<br />

der Stadt, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> hatte Bedenken, sich allein mit<br />

den beiden Produzenten in ihrem Büro zu treffen. »Ich<br />

kann da nicht alleine hingehen, <strong>die</strong> werden mich mit<br />

Haut <strong>und</strong> Haaren verspeisen«, meinte er. Seinen Gegenvorschlag,<br />

sich doch in den Räumen seiner Agentur,<br />

der Creative Artists Agency (CAA), zu treffen,<br />

lehnte Simpson r<strong>und</strong>weg ab. Stattdessen begleitete<br />

Michael Ovitz, der Chef von CAA, seinen noch jugendlichen<br />

Klienten zu Paramount, um den Vertrag definitiv<br />

auszuhandeln.<br />

Im Alter von 22 Jahren hatte <strong>Cruise</strong> allen Gr<strong>und</strong>,<br />

nervös zu sein. Bruckheimer <strong>und</strong> Simpson waren in<br />

dem Piranhabecken von Hollywood <strong>die</strong> ausgewachsenen<br />

Haifische. Oder wie es ein Veteran aus dem Gewerbe<br />

einmal formulierte: »Vor Bruckheimer muss<br />

man sich wirklich in Acht nehmen. Von dem kriegen<br />

Sie das Messer in den Rücken. Simpson ersticht sie<br />

wenigstens von vorne.« Simpson jagte seinen Besuchern<br />

gerne Angst ein, indem er eine Neun-Millimeter-<br />

Pistole auf seinem Tisch liegen hatte. Als man den Regisseur<br />

Marty Brest einmal fragte, wie man am besten<br />

eine Verhandlung mit Bruckheimer überstehen konnte,<br />

sagte er: »Am besten zieht man eine <strong>die</strong>ser verdammten<br />

schusssicheren Westen an.«<br />

Simpson stellte sich gerne als harten Kerl dar. Einmal<br />

brüstete er sich: »Ich würde ohne Gewissensbisse einen<br />

Mord begehen.« Er war berüchtigt für seine Moralpredigten,<br />

<strong>die</strong> er in Verhandlungen mit Schauspielern,<br />

Agenten <strong>und</strong> Drehbuchautoren hielt. Er respek-<br />

-124-


tierte nur <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> sich von ihm nicht ins Bockshorn<br />

jagen ließen.<br />

Wahrend der Zeit, in der Simpson über mehrere Wochen<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> umwarb, führte er sich wilder auf als<br />

gewöhnlich, was mit seinem ihm nachgesagten übermäßigen<br />

Alkohol- <strong>und</strong> Drogenkonsum in Verbindung<br />

gebracht wurde. Oft soll er dermaßen fertig gewesen<br />

sein, dass er nachmittags um vier kaum mehr ein<br />

Wort herausbrachte – geschweige denn sich auf den<br />

Beinen halten konnte. Er entwickelte eine dermaßen<br />

starke Paranoia, dass er sich eine Zeitlang weigerte,<br />

sein Büro bei der Paramount aufzusuchen, da er befürchtete,<br />

<strong>die</strong> Mafia habe einen Killer auf ihn angesetzt.<br />

Er verbrachte seine Tage verbarrika<strong>die</strong>rt in seinem<br />

Haus in der Cherokee Avenue. Gelegentliche Besucher,<br />

<strong>die</strong> er vorließ, bemerkten Unmengen von Überwachungskameras<br />

auf dem Gelände. Es gab jede<br />

Menge Hinweise auf massiven Drogenkonsum, <strong>und</strong><br />

zudem hatte er eine ganze Batterie an Waffen, mit<br />

denen er immer herumfuchtelte. »Er hatte sich das<br />

Hirn weggekokst«, meint der Drehbuchautor Chip Poser,<br />

der im April 1985 eine größere Überarbeitung des<br />

Drehbuchs für Top Gun machte, kurz bevor <strong>Cruise</strong> zu<br />

der Produktion stieß. Diese Überarbeitung war dann,<br />

mit Ausnahme von ein paar kleinen Änderungen, <strong>die</strong><br />

Endfassung, <strong>die</strong> dem Film schließlich zugr<strong>und</strong>e lag,<br />

einschließlich detaillierter Ausführungen über <strong>die</strong> Charaktere<br />

der Rollen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Geschichte. Während <strong>die</strong>ser<br />

kritischen Phase soll Simpson dermaßen vom Wahn<br />

besessen gewesen sein, dass er meinte, Poser <strong>und</strong><br />

Tony Scott, der Regisseur, wollten ihm den Film klauen.<br />

Die Folge war, dass sich Drehbuchautor <strong>und</strong> Regisseur<br />

in Cafes in Santa Monica trafen, um nicht gemeinsam<br />

in einem Restaurant in Hollywood gesehen<br />

zu werden, was Simpsons paranoide Wut nur noch angeheizt<br />

hätte.<br />

-125-


Die Vorstellung, dass Simpson, das gefallene Genie<br />

im Koksrausch, sich mit <strong>Cruise</strong> hinsetzte – der behauptete,<br />

kein Drehbuch ohne ein Wörterbuch für Kinder<br />

lesen zu können –, ein Bier trank <strong>und</strong> an dem<br />

Drehbuch feilte, erscheint also irgendwie putzig. Insbesondere<br />

auch, wenn man berücksichtigt, dass <strong>die</strong><br />

Produzenten bereits professionellen Drehbuchautoren<br />

30.000 Dollar <strong>die</strong> Woche zahlten, um aus dem Garn<br />

einer dünnen Geschichte das Gold eines Kinohits zu<br />

weben. Aber das hinderte <strong>die</strong> Werbemaschinerie für<br />

den Film nicht daran, <strong>die</strong> Geschichte immer wieder<br />

<strong>und</strong> jedem zu erzählen, der sie hören wollte. Wie <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> – <strong>und</strong> <strong>die</strong> Marine – zu ihrem Leidwesen feststellen<br />

mussten, bedeutet Wahrheit in Hollywood meist<br />

etwas anderes als beim Rest der Welt. Diese Philosophie<br />

kommt in dem folgenden Gespräch zwischen zwei<br />

Filmmoguln zum Ausdruck, das man eines Abends spät<br />

im Four Seasons Hotel in Beverly Hills aufschnappen<br />

konnte:<br />

<strong>Der</strong> eine: »Du lügst! Du lügst mich an!«<br />

<strong>Der</strong> andere: »Ja, ich weiß, aber lass mich ausreden.«<br />

Es gehörte für Bruckheimer <strong>und</strong> Simpson schlicht dazu,<br />

während der Verhandlungen den Leuten alles zu<br />

versprechen, wenn sie damit ihr Ziel erreichen konnten,<br />

sei es <strong>die</strong> Kooperationsbereitschaft der Marine<br />

oder <strong>die</strong> Unterschrift eines potenziellen Hauptdarstellers.<br />

Während der Dreharbeiten ignorierten sie dann<br />

<strong>die</strong> Besorgnis des pensionierten Admirals Pettigrew<br />

hinsichtlich der fehlenden Genauigkeit der Szenen einfach.<br />

»Ich versuche nur, sie davon abzuhalten, aus<br />

Top Gun ein Musical zu machen«, meinte er einmal,<br />

obwohl er ebenfalls der Meinung war, dass <strong>die</strong> vorgenommenen<br />

Änderungen zu mehr Realismus in dem<br />

Film führten. Als <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> bei einem ersten Treffen<br />

mit den Produzenten <strong>und</strong> ihrem Berater von der Marine<br />

einige Ideen entwickelte, wie man <strong>die</strong> Szenen in<br />

-126-


der Umkleidekabine ausbauen <strong>und</strong> entwickeln könnte,<br />

damit das Ganze seinen kriegerischen Anstrich verlor<br />

<strong>und</strong> eher wie ein Film über Sportler wirkte, hörten<br />

Simpson <strong>und</strong> Bruckheimer aufmerksam zu <strong>und</strong> nickten<br />

mit wissendem Blick. Als <strong>Tom</strong> gegangen war <strong>und</strong> Pettigrew<br />

einwandte, dass <strong>die</strong> Piloten der Marine ihre eigenen<br />

privaten Räume hätten, war Simpson ganz offen:<br />

»Sehen Sie, wir zahlen eine Million Dollar, um ihn<br />

zu kriegen. Da brauchen wir auch ein bisschen nackte<br />

Haut«, meinte er zynisch.<br />

Als er den Vertrag im April unterschrieben hatte <strong>und</strong><br />

bis zum Beginn der Dreharbeiten nur mehr acht Wochen<br />

Zeit blieben, musste sich <strong>Tom</strong> auf seine Rolle<br />

konzentrieren – er lernte seinen Text, machte sich mit<br />

der Materie vertraut <strong>und</strong> arbeitete drei Wochen mit<br />

einem persönlichen Trainer, um <strong>die</strong> Figur eines fitten<br />

Marinepiloten anzunehmen. Sein Trainer leistete ganze<br />

Arbeit <strong>und</strong> »überarbeitete« den Schauspieler »total«,<br />

was <strong>die</strong> Produzenten dermaßen begeisterte, dass<br />

Bruckheimer ihn später ebenfalls anheuerte, um seine<br />

Figur in den Griff zu kriegen.<br />

<strong>Tom</strong>, der nach den Dreharbeiten zu Legende immer<br />

noch eine lange Mähne trug, hatte nicht einmal Zeit,<br />

sich <strong>die</strong> Haare schneiden zu lassen, geschweige denn<br />

das Drehbuch zu überarbeiten, bevor er sich auf der<br />

Autobahn auf den Weg in Richtung San Diego nach<br />

Miramar machte, wo er auf der Marinebasis einige Zeit<br />

mit den Top Gun-Piloten verbrachte. Bei allen anfänglichen<br />

Vorbehalten, <strong>die</strong> <strong>Cruise</strong> gegen das <strong>Projekt</strong><br />

gehabt hatte, war er hier, hinter den Toren des Marineflughafens,<br />

doch plötzlich im Para<strong>die</strong>s seiner Kindheit<br />

gelandet. Seit er klein war, hatte er davon geträumt,<br />

Pilot zu werden, <strong>und</strong> jetzt konnte er wirklich<br />

mit Kampfjets im Wert von 36 Millionen Dollar spielen.<br />

Es war für ihn ein irres Erlebnis, in einer F-14 <strong>Tom</strong>cat<br />

zu fliegen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Atmosphäre unter <strong>die</strong>sen Profis in<br />

-127-


sich aufzusaugen – alles Männer, <strong>die</strong> sich auf technische<br />

Fragen konzentrierten, <strong>die</strong> Energie hatten <strong>und</strong> ein<br />

Draufgängertum praktizierten, das dem seinen in<br />

nichts nachstand. »Hier wurde ein Traum Wirklichkeit«,<br />

erinnerte er sich später. »Ich fand es wahnsinnig<br />

toll. Ich fand es irre, <strong>die</strong>sen Film zu machen.«<br />

Er <strong>und</strong> seine Schauspielerkollegen gehörten auf der<br />

Basis bald dazu. <strong>Der</strong> Fluglehrer Dave »Bio« Baranek<br />

erinnert sich an das erste Zusammentreffen, das er<br />

bei einem Bier mit dem »schmalen langhaarigen Kleinen«<br />

eines Mittwochabends im Miramar Club hatte.<br />

»<strong>Tom</strong> fragte mich: >Was macht beim Fliegen am<br />

meisten Spaß, <strong>und</strong> was ist das Schlimmste? Was bereitet<br />

am meisten Angst?


seine Hausaufgaben gemacht«, stellte Jim Ray anerkennend<br />

fest.<br />

Als er schließlich <strong>die</strong> Prüfung für <strong>die</strong> F-14-<br />

Tauglichkeit gemacht hatte, bei der <strong>die</strong> Belastbarkeit<br />

bei großen Beschleunigungskräften getestet wird <strong>und</strong><br />

man einen Schleudersitz im Wasserbassin betätigen<br />

muss, ließ man ihn mitfliegen. Hier wurde der Traum<br />

eines jeden Abenteurers wahr. <strong>Tom</strong> erinnert sich an<br />

<strong>die</strong>sen Flug: »Es war ein geradezu sexuelles Erlebnis.<br />

Dein Körper wird gestaucht, du kriegst Muskelkater,<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Beschleunigungskräfte ziehen dir das Blut aus<br />

dem Kopf. Du fasst dir an <strong>die</strong> Beine <strong>und</strong> an den Hintern<br />

<strong>und</strong> grunzt, während dir der Schweiß überall herunterläuft.<br />

Ich musste <strong>die</strong> ganze Zeit grinsen, <strong>und</strong> <strong>die</strong>ser<br />

Gesichtsausdruck ging nicht mehr weg.«<br />

Die Dreharbeiten zum Film erweckten in ihm ein lebenslang<br />

anhaltendes Bedürfnis nach Geschwindigkeit.<br />

Diesmal fuhr er aber nicht mit dem Wagen seiner Mutter<br />

Rennen auf der Hauptstraße von Louisville, sondern<br />

saß mit dem Studioboss Ned Tanen in seinem<br />

hochgetunten Porsche <strong>und</strong> raste <strong>die</strong> Straßen von Santa<br />

Monica entlang. <strong>Der</strong> Wagen war dermaßen hochgerüstet,<br />

dass er nur mit Flugzeugbenzin betrieben werden<br />

konnte, <strong>und</strong> er parkte ihn auch in einem Hangar<br />

für Flugzeuge. »Er war einfach in <strong>die</strong> Raserei verliebt«,<br />

erinnerte sich Ned Tanen später. Weit weniger spektakulär<br />

war <strong>Tom</strong>s Einstieg in <strong>die</strong> Welt des Motorradfahrens.<br />

Er lernte den Umgang mit <strong>die</strong>sem Gerät auf einem<br />

Parkplatz in der Nähe des House of Motorcycles in<br />

El Cajon in Kalifornien. Dennoch wurde der Anblick,<br />

wie er gegen <strong>die</strong> blutrote untergehende Sonne auf einer<br />

staubigen Wüstenstraße dahinrast, zu einem der<br />

ikonischen Bilder des Films, <strong>und</strong> <strong>Cruise</strong> hatte damit<br />

den Status eines Action-Helden.<br />

Die Dreharbeiten müssen, so schien es jedenfalls,<br />

ebenfalls viel Spaß gemacht haben. Jeden Freitag tat<br />

-129-


man abends, als würde man den Abschluss der Dreharbeiten<br />

feiern, es wurde viel getrunken, <strong>und</strong> der<br />

Swimmingpool im Offiziersclub wurde zum Schauplatz<br />

ausladender Zechgelage. Tony Scott hatte damals gerade<br />

eine Affäre mit der hochgewachsenen Schauspielerin<br />

Brigitte Nielsen, <strong>die</strong> ihn seine Ehe kostete.<br />

Wie der Berater der Marine berichtete, pflegte Scott<br />

immer junge Schauspielerinnen mitzubringen, denen<br />

er erzählte, es ginge um ein »Vorsprechen«, obwohl<br />

bereits alle Rollen besetzt waren. Während Scott, ein<br />

enger Fre<strong>und</strong> des LSD-Gurus Timothy Leary, seine Aktivitäten<br />

auf das Innere seines Trailers beschränkte,<br />

ging <strong>die</strong> Post bei den Partys immer dann richtig ab,<br />

wenn Don Simpson auftauchte, der sich selbst im<br />

Scherz als »Beverly Hills Cock« bezeichnete. Oft war<br />

er dermaßen zugekokst, dass er in seinen schwarzen<br />

Pontiac Trans Am auf dem Parkplatz <strong>die</strong> eine oder andere<br />

Beule fuhr.<br />

Die denkwürdigste Party war vermutlich <strong>die</strong> Geburtstagsfeier<br />

zu <strong>Tom</strong>s drei<strong>und</strong>zwanzigstem Geburtstag,<br />

<strong>die</strong> im Juli im North Island Offiziers Club<br />

stattfand. Simpson <strong>und</strong> seine Assistenten Dave »The<br />

Rave« Robertson <strong>und</strong> Dave Thorne, bekannt als Baby<br />

Dave, fuhren zum Strand <strong>und</strong> gabelten ein paar Bikinimädchen<br />

auf, <strong>die</strong> sie einluden, mit der Crew <strong>und</strong> den<br />

Schauspielern zu feiern. Wie sich einer der Assistenten<br />

erinnerte, zog sich während des alkoholgeschwängerten<br />

Abends <strong>die</strong> weibliche Hauptdarstellerin, <strong>die</strong> gerade<br />

mit ihrer Fre<strong>und</strong>in getanzt hatte, aus <strong>und</strong> sprang splitternackt<br />

in den Pool. Die anderen Schauspieler <strong>und</strong><br />

einige der Piloten von der Top-Gun-Schwadron packten<br />

daraufhin Bruckheimer <strong>und</strong> Simpson <strong>und</strong> warfen<br />

<strong>die</strong> beiden ohne Vorwarnung ins Wasser. Da Simpson<br />

nicht schwimmen konnte, sank er auf den Boden des<br />

Pools.<br />

-130-


»Es war völlig verrückt«, erzählte <strong>die</strong>ser Assistent<br />

dem Autor Charles Fleming. »<strong>Tom</strong> hatte seine Mädchen<br />

da <strong>und</strong> Kelly [McGillis] <strong>die</strong> ihren. Sie trieb es mit<br />

der gesamten Marine, <strong>und</strong> obendrein kam jedes Wochenende<br />

ihre lesbische Fre<strong>und</strong>in aus Los Angeles angereist.<br />

Tony [Scott] hatte seine Mädchen mit den Riesentitten<br />

dabei, <strong>und</strong> Brigitte war ebenfalls da.«<br />

Ließ sich das Leben während der Dreharbeiten zu<br />

Top Gun schon gut an, so sollte es später noch viel<br />

besser werden. Während er an Bord des Flugzeugträgers<br />

USS Enterprise versuchte, trotz des Lärms der<br />

startenden <strong>und</strong> landenden Jets ein wenig Ruhe zu finden,<br />

kam ein Anruf von einem Hollywoodregisseur,<br />

den er nicht nur bew<strong>und</strong>erte, sondern zutiefst verehrte.<br />

Martin Scorsese, der Mann, der Wie ein wilder<br />

Stier gedreht hatte, wollte ihn für sein neuestes <strong>Projekt</strong>.<br />

Einige Jahre zuvor hatte <strong>Tom</strong> mit seinem Fre<strong>und</strong><br />

Vinnie Travisano noch Szenen aus dem Film in Glen<br />

Ridge nachgespielt, <strong>und</strong> jetzt fragte der große Meister<br />

persönlich, ob er mit ihm arbeiten wolle. Und als Kleinigkeit<br />

am Rande sollte er auch noch mit einer anderen<br />

Hollywoodlegende zusammen auftreten – mit Paul<br />

Newman. Wie <strong>Tom</strong> sich später erinnerte: »Ich konnte<br />

nicht glauben, dass das alles mir widerfuhr.«<br />

Scorsese hatte <strong>die</strong> Idee, eine Fortsetzung des Films<br />

Die Haie der Großstadt aus dem Jahr 1961 zu drehen,<br />

in dem Newman seinerzeit Fast Ed<strong>die</strong> Felson, den<br />

<strong>Star</strong> der Pooltische, gespielt hatte. In dem neuen Film<br />

mit dem Titel Die Farbe des Geldes (The Color of<br />

Money) sollte eine jüngere Ausgabe von Fast Ed<strong>die</strong><br />

auftauchen, ein talentierter, aber arroganter Poolspieler<br />

namens Vincent, der bei dem alten Ballzauberer in<br />

<strong>die</strong> Lehre geht. Scorsese hatte <strong>Tom</strong> in <strong>Der</strong> richtige<br />

Dreh gesehen <strong>und</strong> dachte, er wäre <strong>die</strong> ideale Besetzung<br />

für <strong>die</strong>se Rolle. Zwar fühlte er sich geschmeichelt,<br />

doch andererseits hätte er nach den zehnmona-<br />

-131-


tigen Dreharbeiten gut eine Pause vertragen können.<br />

Aber <strong>die</strong> Möglichkeit, mit zwei Größen aus Hollywood<br />

zu arbeiten – <strong>und</strong> von ihnen zu lernen –, war zu verlockend,<br />

<strong>und</strong> so unterschrieb er den Vertrag.<br />

Diesmal gab es keine erf<strong>und</strong>enen Geschichten von<br />

wegen Umschreiben des Drehbuchs, Mitarbeit an der<br />

Fertigstellung des Films <strong>und</strong> Einfluss auf <strong>die</strong> Kameraeinstellungen.<br />

Diesmal hatte er es mit einer Gruppe<br />

engagierter <strong>und</strong> talentierter Künstler zu tun, <strong>die</strong> auf<br />

der Höhe ihrer Schaffenskraft waren. Newman, Scorsese<br />

<strong>und</strong> der Drehbuchautor Richard Price hatten an<br />

dem Skript <strong>und</strong> dem Storyboard neun Monate lang<br />

gearbeitet. Als <strong>die</strong> Dreharbeiten im Januar 1986 begannen,<br />

hatte <strong>Tom</strong> einfach anzutreten <strong>und</strong> seine Rolle<br />

zu spielen. Das war für sich genommen für ihn fast<br />

beängstigend. Eitel wie er war, hatte er mehr Angst<br />

als nötig. Zwar waren sie einander schon einmal begegnet<br />

– <strong>Tom</strong> hatte bei Paul Newman für eine Rolle in<br />

dem Film Harry and Son vorgesprochen, allerdings<br />

ohne Erfolg –, aber er sprach seinen Partner in den<br />

ersten Tagen der Dreharbeiten mit »Mr. Newman« an,<br />

bevor ihn der Ältere aufforderte, ihn Paul zu nennen.<br />

Newman bestand auf mehrwöchigen Proben vor<br />

Drehbeginn, was eher ungewöhnlich war, aber der<br />

große Alte wollte das Talent seines jungen Schützlings<br />

austesten. <strong>Tom</strong> übte st<strong>und</strong>enlang am Pooltisch unter<br />

den aufmerksamen Blicken des Profibillardspielers Mike<br />

Sigel. <strong>Der</strong> Einsatz, mit dem er dabei zu Werke ging,<br />

brachte ihm den Respekt des Hauptdarstellers ein. »Er<br />

lernte in sechs Wochen besser Pool spielen als ich vor<br />

25 Jahren in fünf Monaten«, erinnert sich Newman.<br />

Während der Dreharbeiten, <strong>die</strong> in erster Linie in heruntergekommenen<br />

Billardsalons in Chicago stattfanden,<br />

spielte <strong>Tom</strong> alle Szenen am Pooltisch selbst, mit<br />

Ausnahme von zwei Szenen, in denen jeweils zwei Bälle<br />

versenkt werden mussten. Da sprang der Profi Sigel<br />

-132-


ein. Aber selbst das hätte er mit etwas mehr Übung<br />

selbst machen können. Allerdings wäre das bei einer<br />

Drehzeit von nur 58 Tagen ein unvertretbarer Luxus<br />

gewesen.<br />

Bei dem Film ging es um weit mehr, als nur ein<br />

Queue wie ein Samuraischwert durch <strong>die</strong> Luft zu wirbeln,<br />

was <strong>Tom</strong> in einer Szene macht. Im Gr<strong>und</strong>e geht<br />

es um das komplexe Zusammenspiel des alten Zynikers<br />

mit dem jungen Angeber. <strong>Der</strong> Alte zeigt seinem<br />

Schützling, wie man spielt, <strong>und</strong> lehrt ihn, wie man <strong>die</strong><br />

Psyche seiner Gegner versteht. <strong>Tom</strong> musste sich hier<br />

als Schauspieler beweisen, nicht nur als Darsteller. Er<br />

merkte vom ersten Moment seines Zusammentreffens<br />

mit Newman, dass er still <strong>und</strong> auf subtile Weise bewertet<br />

<strong>und</strong> eingeschätzt wurde. Am Ende der Dreharbeiten<br />

war Newmans Respekt vor dem jungen Kollegen<br />

gestiegen, <strong>und</strong> als er für den Oscar nominiert<br />

wurde, schickte er <strong>Tom</strong> ein Telegramm: »Wenn ich<br />

gewinne, dann ist es unser Werk ebenso wie meins,<br />

weil du eine phantastische Leistung abgeliefert hast.«<br />

Newman gewann den Oscar, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> war so stolz auf<br />

das Telegramm, dass er es einrahmte <strong>und</strong> in New York<br />

an <strong>die</strong> Wand hängte.<br />

Newman beschrieb später <strong>die</strong> Arbeit an Die Farbe<br />

des Geldes als <strong>die</strong> »kreativste Erfahrung« seiner Karriere.<br />

»Während des Drehs gab es keine Hahnenkämpfe<br />

– keinen, der sein Ego in den Vordergr<strong>und</strong> schob.<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> ich gingen sehr offen miteinander<br />

um.« Hatte <strong>Tom</strong> ihn zu Beginn der Dreharbeiten noch<br />

mit »Mr. Newman« angesprochen, so hätte er am Ende<br />

den Wettbewerb um den schlechtesten Witz des<br />

Tages gewinnen können, als er Newman zu seinem<br />

ein<strong>und</strong>sechzigsten Geburtstag einen BH <strong>und</strong> einen<br />

Hüftgürtel überreichte. Während der Produktion wuchs<br />

das Team zu einer richtigen Familie zusammen. Scorseses<br />

Frau Barbara de Fina kochte für <strong>Tom</strong> oft Pasta<br />

-133-


<strong>und</strong> andere italienische Gerichte. Die fre<strong>und</strong>liche Geselligkeit<br />

kam <strong>Tom</strong>s tiefsitzendem Bedürfnis nach einer<br />

Familie entgegen <strong>und</strong> ebenso seiner Sehnsucht, irgendwo<br />

dazuzugehören.<br />

Im Verlauf der Monate entwickelte er eine vielschichtige<br />

Beziehung zu Newman, eine Entwicklung wie in<br />

dem Film, den sie gemeinsam gemacht hatten – aus<br />

gegenseitigem Respekt vor der beruflichen Leistung<br />

des anderen wurde eine Art Männerfre<strong>und</strong>schaft.<br />

Newman machte <strong>Tom</strong> mit seinem Hobby vertraut –<br />

professionelle Autorennen. Er war dermaßen auf <strong>die</strong>sen<br />

Sport versessen, dass er an den 24 St<strong>und</strong>en von<br />

Le Mans teilnahm. Am Ende der Dreharbeiten arrangierte<br />

er für <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Don Simpson ein fünftägiges<br />

Renntraining mit seinem Partner für <strong>die</strong> Autorennen,<br />

Jim Fitzgerald. Am Ende <strong>die</strong>ses Trainings war <strong>Tom</strong> auf<br />

den Geschmack gekommen, <strong>und</strong> während der Rennsaison<br />

des Sommers besuchte er eine Reihe von Veranstaltungen,<br />

um seinem Fre<strong>und</strong> zuzuschauen.<br />

Man redete darüber, dass Newman, der gesetzte ältere<br />

Typ, bei dem jungen Mann <strong>die</strong> Rolle des Ersatzvaters<br />

spielte. Sein Sohn Scott hatte sechs Jahre zuvor<br />

im Alter von 28 Jahren Selbstmord begangen, umgetrieben<br />

von seinen eigenen Misserfolgen als Schauspieler<br />

<strong>und</strong> getroffen durch <strong>die</strong> Scheidung seiner Eltern.<br />

Newman hatte sich damals von seiner Frau<br />

Jacqueline Witte getrennt. <strong>Cruise</strong> war talentiert, charismatisch<br />

<strong>und</strong> arbeitete hart <strong>und</strong> schien bei Newman<br />

<strong>die</strong> Position des unter tragischen Umständen gestorbenen<br />

eigenen Sohnes einzunehmen. Newmans Biograph<br />

Daniel O’Brien meint dazu: »Man unterstellte<br />

natürlich, dass <strong>Cruise</strong> der Ersatz für seinen Sohn war.<br />

Er unterhielt mit dem jungen Schauspieler eine enge<br />

Beziehung, was ihm mit Scott nie gelungen war.«<br />

Was aber vielleicht noch wichtiger war, <strong>Tom</strong>s Zusammenarbeit<br />

mit Newman <strong>und</strong> Scorsese war für ihn<br />

-134-


eine große Hilfe auf seinem weiteren Weg. Er hatte mit<br />

zwei Männern gearbeitet, von denen insbesondere<br />

Newman während seiner glorreichen Zeit voll im Rampenlicht<br />

der Öffentlichkeit stand. Damals war aus dem<br />

Schauspieler Newman ein <strong>Star</strong> geworden, der sich<br />

letztlich zu einer Ikone der Leinwand entwickelte, bekannt<br />

für seine durchdringend blauen Augen <strong>und</strong> sein<br />

leichtfüßiges Auftreten. <strong>Tom</strong> entging nicht, dass Newman<br />

den ganzen Trubel überlebt hatte <strong>und</strong> dabei ein<br />

normaler Mensch geblieben war. »Er lebt ein normales<br />

Leben. Er hat verschiedene Firmen, eine Frau <strong>und</strong> eine<br />

Familie.« Das flackernde Licht des Ruhms hatte sich<br />

jetzt auf ein neues Opfer gerichtet. Als <strong>Tom</strong>s Markenzeichen<br />

setzte sich das hell strahlende, wenn auch<br />

höchst manipulative Lächeln <strong>und</strong> <strong>die</strong> Art, wie er mit<br />

seiner Ray-Ban-Sonnenbrille spielte, durch. Zugleich<br />

bew<strong>und</strong>erte man aber auch sein schauspielerisches<br />

Können.<br />

<strong>Der</strong> Feuersturm der Werbung für Top Gun brach im<br />

Mai 1986 los, ein paar Wochen nachdem <strong>Tom</strong> <strong>die</strong><br />

Dreharbeiten mit den beiden Hollywoodgiganten beendet<br />

hatte. Seine Erfahrung mit den beiden half ihm,<br />

auf dem Boden zu bleiben, als er über Nacht zum Superstar<br />

wurde. Durch den Film wurde <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> sofort<br />

zur öffentlichen Figur. Sein zukünftiger Typ als<br />

Schauspieler war von der ersten Einstellung des Films<br />

an festgelegt, wo er in seinem Jet über Kopf oberhalb<br />

einer russischen MiG fliegt, um eine Polaroidfoto des<br />

russischen Piloten für seine Sammlung zu machen.<br />

Zwar wirkte seine eingebildete Art so gewinnend, wie<br />

sie rücksichtslos war, aber hinter dem lockeren Lächeln<br />

verbarg sich ein junger Mensch, den seine Vergangenheit<br />

verfolgte <strong>und</strong> dem dank der Hilfe eines<br />

etwas barschen alten Mannes seine ganz persönliche<br />

Ablösung von <strong>die</strong>ser Vergangenheit gelang. Er war ein<br />

Sexsymbol mit einem weichen Kern: Dieses Thema<br />

-135-


spielte er immer wieder in verschiedenen Varianten<br />

durch.<br />

<strong>Der</strong> Film selbst war riesig; er packte <strong>die</strong> Zuschauer<br />

vom ersten Moment an, wo ein Kampfjet vom Deck<br />

eines Flugzeugträgers startet, unterlegt mit einem pulsierenden<br />

Rockrhythmus, <strong>und</strong> <strong>die</strong>se Spannung hält<br />

einh<strong>und</strong>ertzehn Minuten vor. <strong>Der</strong> Film war ein derartiger<br />

Donnerschlag, dass <strong>die</strong> amerikanische Marine den<br />

größten Zulauf an neuen Rekruten seit dem Zweiten<br />

Weltkrieg zu verzeichnen hatte. So viel zu <strong>Tom</strong>s Idee,<br />

einen unkriegerischen Sportfilm zu drehen. Top Gun<br />

war weit mehr. Abgesehen davon, dass es der erfolgreichste<br />

Film des Jahres für Paramount wurde, nominiert<br />

für acht Oscars, wurde er neben Wall Street<br />

auch zum Film der achtziger Jahre, der <strong>die</strong> Ideale des<br />

amerikanischen Traums neu bestärkte.<br />

Dank der Hochglanzbilder, der schnellen Schnitte,<br />

dem pulsierenden So<strong>und</strong>track <strong>und</strong> den attraktiven<br />

Schauspielern sprach <strong>die</strong>ser Film fast jeden an. Das<br />

von Simpson <strong>und</strong> Bruckheimer angepeilte Publikum,<br />

»Vati <strong>und</strong> Mutti aus Oklahoma«, strömte in Massen in<br />

<strong>die</strong> Kinos. Aber der Film zog wegen des zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />

homoerotischen Themas eines gloriosen Machismo<br />

auch das Publikum aus der Schwulenszene an.<br />

Die Szene eines Volleyballspiels, in der <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong><br />

Kilmer mit nackten, geölten Oberkörpern gegeneinander<br />

antreten, kam in der Schwulenszene derart gut an,<br />

dass den Lesern des Szenemagazins Suck der Atem<br />

stockte <strong>und</strong> sie <strong>die</strong>se Sequenz in drei aufeinanderfolgenden<br />

Jahren zur »Lieblingsszene« im Kino wählten.<br />

Auch wenn <strong>Tom</strong> sich definitiv geweigert hatte, für<br />

Pressefotos oben ohne anzutreten, so verfolgte ihn<br />

seine Beliebtheit in der Schwulenszene <strong>die</strong> ganze Zeit.<br />

Damals verteidigte er öffentlich <strong>die</strong>se Fleischbeschau<br />

als dramaturgisch legitime Verkörperung des Fitnessprogramms,<br />

dem sich <strong>die</strong> Kampfpiloten kontinuierlich<br />

-136-


unterziehen müssen. »Sie wollen gegen den anderen<br />

gewinnen. Sie wollen <strong>die</strong> Besten sein«, behauptete er<br />

in einem der unzähligen Interviews, <strong>die</strong> er für <strong>die</strong><br />

Promotion des Films gab. Es war nicht nur der Stress<br />

einer Werbetour für den Film, der ihm zu schaffen<br />

machte, sondern vielmehr <strong>die</strong> Erkenntnis, dass er jetzt<br />

nicht mehr ein hoffnungsvoller Jungschauspieler, sondern<br />

ein richtiger <strong>Star</strong> war. Sein Leben würde nie<br />

mehr ihm alleine gehören. Die Aufmerksamkeit der<br />

Öffentlichkeit machte ihn »einsam <strong>und</strong> isolierte ihn« –<br />

er konnte nicht mehr mit seinen Schwestern ausgehen,<br />

ohne von Fans <strong>und</strong> Paparazzi belagert zu werden<br />

–, aber zugleich merkte er, möglicherweise rein instinktiv,<br />

dass man <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n kontrollieren konnte,<br />

wenn man nur das von sich preisgab, was man für<br />

richtig hielt. Während der Dreharbeiten zu Top Gun<br />

hatte er miterleben können, welch zerstörerische<br />

Macht <strong>die</strong> Massenme<strong>die</strong>n haben. Er musste hilflos mit<br />

ansehen, wie sein Fre<strong>und</strong> Sean Penn aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

Beziehung mit Madonna ins Fadenkreuz der Me<strong>die</strong>n<br />

kam. Nicht nur, dass man den aggressiven Penn einsperrte,<br />

weil er zwei britische Journalisten mit Steinen<br />

beworfen hatte, auch seine Hochzeitsfeier auf den<br />

Klippen von Malibu im August 1985 geriet zur frenetischen<br />

Paparazzi-Orgie. <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> anderen Gäste,<br />

darunter seine alte Flamme Cher, konnten dem Trauungsgottes<strong>die</strong>nst<br />

kaum folgen, weil <strong>die</strong> Hubschrauber,<br />

<strong>die</strong> über der Szene kreisten, einen solchen Lärm<br />

machten.<br />

<strong>Tom</strong> verfolgte eine andere Strategie. Er gab den Me<strong>die</strong>n<br />

den einen oder anderen Appetithappen aus seinem<br />

Privatleben, über den er dann in der Öffentlichkeit<br />

sprach, statt sich völlig zu verweigern. Das machte<br />

einen unglaublichen Eindruck auf Sean Penn. Seine<br />

persönliche Assistentin Meegan Ochs erinnert sich:<br />

»Sean sagte immer, <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> sollte einen Preis<br />

-137-


kriegen für <strong>die</strong> Art, wie er mit den Me<strong>die</strong>n umgeht.<br />

Seiner Meinung nach hatte <strong>Cruise</strong> sich frühzeitig entschieden,<br />

dass er ein paar Dinge aus seinem Leben<br />

öffentlich preisgeben wollte -seine Legasthenie, <strong>die</strong><br />

mangelnde Beziehung zu seinem Vater. Jeder dachte,<br />

er bekäme einen sehr intimen Einblick in sein Leben,<br />

<strong>und</strong> daher hatte er mit der Presse das beste Verhältnis.<br />

Im Gr<strong>und</strong>e genommen aber wiederholte er immer<br />

wieder nur <strong>die</strong>se paar Dinge <strong>und</strong> gab nie etwas anderes<br />

von sich preis. Sean hingegen versuchte sein Privatleben<br />

ganz privat zu halten.«<br />

Auch andere, wie der Me<strong>die</strong>nmogul David Geffen, waren<br />

von <strong>Tom</strong>s Art, <strong>die</strong> Dinge zu handhaben, beeindruckt.<br />

Paul Newman warf ein väterliches Auge auf<br />

den ganzen Me<strong>die</strong>nrummel, der zu seiner Zeit noch<br />

nicht so verrückt gewesen war wie heute. »Es ist hart,<br />

wenn alles so schnell geht wie bei <strong>Tom</strong>«, sagte er. »Er<br />

ist ein cleverer Junge, ein cleverer Mann. Bis jetzt hat<br />

er einen kühlen Kopf bewahrt, aber er ist damit einer<br />

der ganz wenigen, denen das gelungen ist.«<br />

Ein Symbol <strong>die</strong>ser Bruderschaft der gegenseitigen<br />

Hochschätzung konnte man während der Werbekampagne<br />

für den Film Die Farbe des Geldes im Oktober<br />

1986 bew<strong>und</strong>ern. <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> Newman wurden gemeinsam<br />

auf dem Titelbild des Magazins Life auf einem<br />

Pooltisch liegend abgebildet. Bei der Premiere im<br />

Rahmen einer Wohlfahrtsveranstaltung im Ziegfeld-<br />

Theater in New York zeigten sich <strong>Cruise</strong>, Newman, Joanne<br />

Woodward <strong>und</strong> <strong>Tom</strong>s Angebetete im Film, Elizabeth<br />

Mastrantonio, gemeinsam vor den Blitzlichtern<br />

der Kameras. Eine Woche später fuhr <strong>Tom</strong> nach Atlanta,<br />

um seinem Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Mentor im Valvoline-<br />

Classic-Straßenrennen zuzuschauen. Er brachte Newman<br />

ein riesiges Blumenarrangement mit, das ihm<br />

Glück bringen sollte. »Die sind für deinen Garten.<br />

Nimm sie dir«, stand auf der beigelegten Karte. Unter-<br />

-138-


schrieben hatten <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Mimi. Offensichtlich war das<br />

Leben als <strong>Star</strong> dann doch nicht ganz so einsam, wie es<br />

den Anschein hatte.<br />

-139-


5<br />

Miriam Spickler war, selbst an Hollywood-Maßstäben<br />

gemessen, eine exotische Figur; ihre statuengleiche<br />

Schönheit wurde nur noch durch ihre bunte <strong>und</strong> schillernde<br />

Lebensgeschichte übertroffen. Als sie 1956 in<br />

Coral Gables in Florida zur Welt kam, merkten ihre<br />

Eltern bald, dass sie es mit einem W<strong>und</strong>erkind zu tun<br />

hatten. Klug, von schneller Auffassungsgabe <strong>und</strong> mit<br />

einem beinahe fotografischen Gedächtnis gesegnet,<br />

gehörte <strong>die</strong> kleine Miriam – oder Mimi, wie sie von allen<br />

genannt wurde – bald zu den Klassenbesten. Besonders<br />

in den naturwissenschaftlichen Fächern tat sie<br />

sich hervor, <strong>und</strong> das, obwohl ihr Vater Phil als Bauingenieur<br />

oft umzog, was für sie häufige Schulwechsel<br />

bedeutete. Als sie gerade sieben Jahre alt war, trennten<br />

sich ihre Eltern; sie <strong>und</strong> ihr jüngerer Bruder Phil<br />

blieben beim Vater.<br />

Diese Entscheidung sollte ihr Leben verändern. Dank<br />

ihrer offensichtlichen schulischen Begabung konnte sie<br />

mehrere Klassen überspringen, <strong>und</strong> mit vierzehn hatte<br />

sie <strong>die</strong> Highschool hinter sich. Statt aufs College zu<br />

gehen, begleitete sie ihren Vater auf seinen häufigen<br />

Ausflügen in <strong>die</strong> Casinos am Lake Tahoe in Nevada. Er<br />

hatte seinen Beruf als Bauingenieur an den Nagel gehängt<br />

<strong>und</strong> beschlossen, seinen Lebensunterhalt als<br />

professioneller Spieler zu ver<strong>die</strong>nen. Gut aussehend<br />

<strong>und</strong> mit einem phänomenalen Gedächtnis gesegnet,<br />

wurde aus dem Teenager mit den weiblichen Formen<br />

eine routinierte Spielerin am Poker- <strong>und</strong> Blackjacktisch,<br />

obwohl sie noch unter dem gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Alter war. Jahre später nahm sie an professionellen<br />

Spielerturnieren teil.<br />

-140-


Es dauerte nicht lange <strong>und</strong> ihr Vater tauschte das unstete<br />

Leben am Spieltisch gegen eine todsichere Alternative<br />

ein – er ver<strong>die</strong>nte sein Geld mit dem Verkauf<br />

von Religion. Schon vor langer Zeit war er vom jüdischen<br />

Glauben abgefallen <strong>und</strong> hatte sich <strong>Scientology</strong><br />

angenähert – einer Sekte, <strong>die</strong> der Science-Fiction-<br />

Autor Lafayette Ron Hubbard 1954 gegründet hatte,<br />

vier Jahre nach der Veröffentlichung seines Bestsellers:<br />

Dianetics: The Modern Science of Mental<br />

Health. Es handelte sich um einen der ersten Ratgeber<br />

überhaupt, <strong>und</strong> er wurde zum Gr<strong>und</strong>lagentext der<br />

<strong>Scientology</strong>. Bald wurden Hubbards K<strong>und</strong>en zu gläubigen<br />

Gemeindemitgliedern, <strong>und</strong> er gestaltete sein Unternehmen<br />

in eine religiöse Glaubensgemeinschaft um.<br />

Hubbard lieferte damit den Beweis für eine etwas<br />

großspurige Ankündigung, <strong>die</strong> er 1947 auf einer Konferenz<br />

von Science-Fiction-Autoren gemacht hatte:<br />

»Wenn Sie wirklich auf dem schnellsten Weg Millionär<br />

werden wollen, müssen sie eine eigene Sekte gründen.«<br />

Hubbard beschrieb seine Dianetik als eine revolutionäre<br />

Alternative zu Psychiatrie <strong>und</strong> Psychotherapie auf<br />

wissenschaftlicher Gr<strong>und</strong>lage. Er behauptete, alle Arten<br />

von Krankheiten damit heilen zu können, unter<br />

anderem Asthma, Arthritis, Alkoholismus, Magengeschwüre,<br />

Migräne, Bindehautentzündung, morgendliche<br />

Übelkeit, ganz normale Erkältungen <strong>und</strong> Herzkrankheiten.<br />

Darüber hinaus sollte <strong>die</strong>se Heilslehre <strong>die</strong><br />

Intelligenz wesentlich steigern <strong>und</strong> belastende Gefühle<br />

beseitigen <strong>und</strong> schließlich auch noch gegen Homosexualität<br />

<strong>und</strong> Atheismus helfen. Als Gr<strong>und</strong>these lag dem<br />

Ganzen zugr<strong>und</strong>e, dass das Gehirn alles registriert <strong>und</strong><br />

speichert <strong>und</strong> dass eine Person, <strong>die</strong> negative Erlebnisse,<br />

sogenannte Engramme, wiedererinnert <strong>und</strong> dann<br />

löscht, sich von den verdrängten Gefühlen befreien<br />

<strong>und</strong> einen »klaren« geistigen Zustand erreichen kann.<br />

-141-


Hubbard war der Meinung, dass <strong>die</strong> Verbreitung der<br />

Dianetik zu einer »Welt ohne Krankheiten, Kriminelle<br />

<strong>und</strong> Kriege« führen würde. Seine Theorie war eine<br />

ziemlich gewagte Variante der Vorstellung, dass der<br />

Geist über <strong>die</strong> Materie siegen könne.<br />

Hubbard gründete seine <strong>Scientology</strong>-Sekte nicht nur,<br />

um den finanziellen Erfolg seines Buchs besser ausbeuten<br />

zu können, sondern auch, um sich der anhaltenden<br />

Kritik von Psychiatern <strong>und</strong> anderen Wissenschaftlern<br />

zu entziehen, <strong>die</strong> seine Theorien als unbewiesene<br />

Pseudowissenschaft <strong>und</strong> Humbug abtaten.<br />

<strong>Der</strong> Physiker <strong>und</strong> Nobelpreisträger Isidor Rabi schrieb<br />

im Scientific American: »Dieses Buch enthält auf jeder<br />

einzelnen Seite mehr Versprechen <strong>und</strong> unbewiesene<br />

Behauptungen als jedes andere Druckwerk seit Erfindung<br />

des Buchdrucks.«<br />

<strong>Der</strong> Ärger mit der Wissenschaft hielt Hubbard nicht<br />

davon ab, seine erste Sektenniederlassung im Jahr<br />

1954 in Kalifornien registrieren zu lassen. Allerdings<br />

hatte er es in <strong>die</strong>sem Bereich mit einer harten Konkurrenz<br />

zu tun. Allein in Los Angeles waren über 100 Sekten<br />

registriert. Einer seiner stärksten Rivalen war <strong>die</strong><br />

Sekte des Krishna Venta, der seinen Anhängern weismachen<br />

wollte, dass er mit einem Raumschiff vor<br />

240.000 Jahren auf der Erde gelandet sei. Dagegen<br />

war Hubbards Philosophie geradezu feinsinnig. Er versprach<br />

quasi das Äquivalent des alten Alchemistentraums<br />

in der Sphäre des Geistes; er wollte aus Blei<br />

Gold machen. Hubbard arbeitete mit einer einprägsamen<br />

Mischung aus Glaube <strong>und</strong> Vernunft, Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Religion.<br />

Wo <strong>die</strong> Wissenschaft den Menschen als materielles<br />

Wesen sah, sprach Hubbard von einem immer wieder<br />

neugeborenen Geist. Er betete nicht zu Gott, sondern<br />

war sein eigener Gott. Folgte man Hubbards religiöser<br />

Philosophie, so konnte ein Mensch sein unsterbliches<br />

-142-


Wesen erlangen <strong>und</strong> sich von seiner körperlichen Existenz<br />

befreien. Im Gr<strong>und</strong>e genommen bezog sich<br />

<strong>Scientology</strong> nicht auf <strong>die</strong> Seele des Menschen, sondern<br />

auf sein Ego. <strong>Der</strong> Mensch konnte selbst zum Gott werden…<br />

Aber das kostete natürlich etwas.<br />

Auf ihrem Weg zur Erleuchtung mussten sich neue<br />

Mitglieder- Hubbard nannte sie »Frischfleisch« – einer<br />

Befragung unterziehen. Das Ritual hatte gewisse Ähnlichkeiten<br />

mit der Beichte in der römisch-katholischen<br />

Kirche, mit dem Unterschied, dass <strong>die</strong> Gemeindemitglieder<br />

für <strong>die</strong>ses Privileg ordentlich zahlen mussten.<br />

Damit das Ganze den Anstrich wissenschaftlicher Seriosität<br />

erhielt, nutzte der »Beichtvater« ein Gerät namens<br />

Elektropsychometer, kurz E-Meter. Es hatte<br />

Ähnlichkeit mit einem simplen Lügendetektor, der geringe<br />

Veränderungen des elektrischen Hautwiderstands<br />

misst. Die Theorie besagt, dass <strong>die</strong>ses Gerät<br />

<strong>die</strong> Gedanken des reaktiven Geistes misst <strong>und</strong> unbewusste<br />

Lügen aufdecken kann, <strong>und</strong> durch deren Aufdeckung<br />

wird dann der Geist befreit.<br />

Allmählich – <strong>und</strong> nach Bezahlung mehrerer tausend<br />

Dollar – näherten sich <strong>die</strong> Scientologen der, wie Hubbard<br />

es nannte, »Brücke«, um in den Zustand geistiger<br />

Erleuchtung einzutreten. Die Angehörigen der Elite,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Zustand auf den höheren Ebenen erreicht<br />

hatten, wurden als übermenschliche Wesen bezeichnet,<br />

<strong>die</strong> gemäß Hubbard telepathisch miteinander<br />

kommunizieren, ihren Körper verlassen <strong>und</strong> mit geistiger<br />

Energie materielle Objekte bewegen können. Sie<br />

sind völlig von den Zwängen des physischen Universums<br />

befreit <strong>und</strong> haben <strong>die</strong> Herrschaft über MEST gewonnen.<br />

Damit bezeichnete Hubbard Materie, Energie,<br />

Raum (Space) <strong>und</strong> Zeit (Time). Das ist wohl <strong>die</strong> größte<br />

Geschichte, <strong>die</strong> jemals verkauft wurde: Die K<strong>und</strong>en<br />

gaben mitunter 500.000 Dollar <strong>und</strong> manchmal sogar<br />

mehr aus, um sich durch das Labyrinth von Hubbards<br />

-143-


Kursen auf den Weg der Hoffnung auf spirituelle Erfüllung<br />

zu begeben – <strong>und</strong> <strong>die</strong> Fähigkeit zu erwerben, Aschenbecher<br />

mit geistiger Energie zu bewegen. Vom<br />

sterblichen Wesen zum unsterblichen Übermenschen…<br />

eine erregende Vorstellung. Und nebenher wurde auch<br />

noch der Planet gerettet.<br />

Hubbards Genialität bestand in der Schaffung eines<br />

Paralleluniversums, einer Art geschlossenem Wahn-<br />

<strong>und</strong> Glaubenssystem, das <strong>die</strong> »totale geistige Freiheit«<br />

versprach <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erde als einen gefährlichen Ort begriff,<br />

beherrscht von »den Händlern des Chaos«. In der<br />

Ära des Kalten Krieges mit dem unmittelbar drohenden<br />

nuklearen Armageddon traf seine Philosophie den<br />

Nerv des Zeitgeists, besonders unter den Anhängern<br />

der römisch-katholischen Kirche <strong>und</strong> später dann bei<br />

den Vietnamveteranen <strong>und</strong> Hippies, <strong>die</strong> von den konventionellen<br />

Religionen <strong>und</strong> den Angeboten der Politik<br />

enttäuscht waren. Auf sie übte <strong>die</strong> Vorstellung, <strong>die</strong><br />

Welt zu retten, eine erhebliche Anziehungskraft aus.<br />

Mimis Vater Phil war einer der ersten Anhänger von<br />

Hubbard. Später erinnerte er sich: »Ich hatte das<br />

starke Gefühl, dass ich in der Welt etwas würde verändern<br />

können. In den fünfziger Jahren nach dem<br />

Krieg schien es möglich, den Würgegriff der existierenden<br />

institutionellen Ordnung zu brechen <strong>und</strong> eine<br />

bessere zukünftige Welt zu schaffen.«<br />

Altruismus hin oder her, hier ging es auch ums Geldver<strong>die</strong>nen.<br />

Bei Rons Sekte handelte es sich im Wesentlichen<br />

um eine Art Franchiseunternehmen. Es<br />

wuchs durch <strong>die</strong> Vergabe von Lizenzen an seine Mitglieder,<br />

<strong>die</strong> den Titel »Mission Holder« erhielten <strong>und</strong><br />

Niederlassungen in verschiedenen Regionen der Vereinigten<br />

Staaten aufbauten. Wie bei jedem auf dem Pyramidenprinzip<br />

basierenden System ver<strong>die</strong>nte man<br />

umso mehr, je höher man <strong>die</strong> Leiter der Hierarchie<br />

hinaufkletterte. Üblicherweise bekam ein Mitglied der<br />

-144-


<strong>Scientology</strong> für <strong>die</strong> Anlieferung von »Frischfleisch« für<br />

<strong>die</strong> Sekte eine lebenslange Provision von 10 Prozent<br />

<strong>und</strong> einen zusätzlichen Anteil aus dem Verkauf der Bücher.<br />

Spickler machte seine eigene Missionsstation in<br />

Palo Alto in Kalifornien auf, <strong>und</strong> seine Tochter Mimi<br />

stieg in der Hierarchie schnell nach oben. Schon als<br />

Teenager hatte sie es zum Status eines »Klasse 8 Auditors«<br />

gebracht <strong>und</strong> durfte mit den fortgeschrittensten<br />

Scientologen arbeiten, aber auch mit den Berühmtheiten,<br />

<strong>die</strong> der Sekte beigetreten waren. »Es<br />

war eine Art religiöse Philosophie, <strong>die</strong> mich prägte <strong>und</strong><br />

beeinflusste. Es war ein Teil meiner Erziehung. So gesehen,<br />

werde ich immer damit beschäftigt sein«, sagt<br />

sie.<br />

In den siebziger Jahren ging Mimi im Hauptquartier<br />

der <strong>Scientology</strong> in Clearwater im B<strong>und</strong>esstaat Florida<br />

ein <strong>und</strong> aus. Sie besuchte dort verschiedene Kurse. In<br />

der Sekte war sie selbst eine Art Berühmtheit. Ihre<br />

Leistungen, <strong>die</strong> sie bereits in jungen Jahren erbrachte,<br />

ließen sie als etwas Besonderes erscheinen. Zwar beschreiben<br />

sie andere Mitglieder der Sekte als eiskalt,<br />

unnahbar <strong>und</strong> distanziert, aber sie sah gut aus, <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Männer lagen ihr zu Füßen. Als Teenager war sie<br />

sich ihrer Wirkung auf Männer durchaus bewusst <strong>und</strong><br />

ging mit einer Reihe anderer Scientologen aus – auch<br />

mit ihrem Kollegen <strong>und</strong> Auditoren James Fiducia, einem<br />

großen, gutaussehenden New Yorker. Als sich<br />

ihre Wege trennten, lernte sie einen anderen hochrangigen<br />

Auditor kennen, Jim Rogers, der ihrem vorherigen<br />

Fre<strong>und</strong> sehr ähnlich war. Er war ebenfalls<br />

groß, älter als sie <strong>und</strong> ein eher unkomplizierter Typ.<br />

Das Paar heiratete im Jahr 1977, als sie gerade 21<br />

Jahre alt war. Nach ihrer Heirat eröffneten <strong>die</strong> beiden<br />

eine kleine Beratungspraxis für »Field Auditing« in<br />

Sherman Oaks im San Fernando Valley, wo sie sich um<br />

Schauspieler, Künstler <strong>und</strong> andere Berühmtheiten<br />

-145-


kümmerten. Da viele <strong>die</strong>ser Berühmtheiten ihre Kontakte<br />

zur <strong>Scientology</strong>-Sekte eher nicht öffentlich bekannt<br />

machen wollten, gab es immer Schwierigkeiten,<br />

<strong>die</strong>se Persönlichkeiten zum Besuch des Celebrity Centre<br />

in Hollywood zu bewegen. Die Niederlassung in<br />

Sherman Oak hatte den Vorteil der Diskretion; hier<br />

konnten <strong>die</strong> diversen Berühmtheiten weit ab von der<br />

Öffentlichkeit sich mit Ron Hubbards Vision von der<br />

Welt vertraut machen. Ein ehemaliger Scientologe<br />

meint dazu: »Das Field Auditing, also <strong>die</strong> Akquisition<br />

neuer Sektenmitglieder, ist eine unaufdringliche, eher<br />

beiläufige Art, <strong>die</strong> Leute mal zu sich einzuladen <strong>und</strong><br />

mit ihnen zu reden.« Es geht natürlich auch ums Geld.<br />

Die Field Auditors von <strong>Scientology</strong> leben von den<br />

Kommissionen, <strong>die</strong> sie für das angelieferte Frischfleisch<br />

kassieren. Berühmtheiten zählten dabei als Filetstücke<br />

erster Güte. Jim <strong>und</strong> Mimi bewohnten ein<br />

schönes Haus mit drei Schlafzimmern im San Fernando<br />

Valley, mit Volleyballplatz <strong>und</strong> Swimmingpool. Ihr<br />

Geld ver<strong>die</strong>nten sie durch ihr Honorar von etwa 100<br />

Dollar, das sie für eine St<strong>und</strong>e Beratung kassierten.<br />

Mimi warb den Sänger <strong>und</strong> späteren Politiker Sony Bono<br />

für <strong>die</strong> Sekte, <strong>und</strong> ihre gute Fre<strong>und</strong>in, <strong>die</strong> Komö<strong>die</strong>nschauspielerin<br />

Kirstie Alley, <strong>die</strong> ihre Befreiung von<br />

ihrer Drogensucht <strong>Scientology</strong> zuschreibt, gehörte zu<br />

den regelmäßigen Gästen der beiden.<br />

Für Mimi war <strong>Scientology</strong> einerseits eine Methode,<br />

um sich ihren Lebensstil zu finanzieren, andererseits<br />

hoffte sie auf <strong>die</strong>sem Weg ihrem eigentlichen Ziel näher<br />

zu kommen – sie wollte eine Karriere als Hollywoodstar<br />

machen. Hinter ihrem oberflächlichen Charme<br />

einer gutaussehenden jungen Frau verbarg sich<br />

eine sehr konzentriert <strong>und</strong> ehrgeizig vorgehende Person,<br />

<strong>die</strong> an ihren Beziehungsnetzwerken strickte, um<br />

den Fuß auf <strong>die</strong> erste Stufe der Erfolgsleiter zu setzen.<br />

»Sie wusste, was sie wollte – sie wollte ein Superstar<br />

-146-


werden. Wenn man ihr nichts zu bieten hatte, war sie<br />

an einem nicht interessiert«, erinnert sich eine ehemalige<br />

Fre<strong>und</strong>in von ihr. Mimi <strong>und</strong> Kirstie versuchten sich<br />

sogar als Drehbuchautorinnen; in einem ihrer Entwürfe<br />

geht es um eine junge Frau, <strong>die</strong> vor ihrem dreißigsten<br />

Geburtstag noch mal ein letztes Liebesabenteuer erleben<br />

möchte. <strong>Der</strong> Drehbuchautor <strong>und</strong> Kurzzeit-<br />

Scientologe Skip Press brauchte einige Zeit, bis er<br />

merkte, dass Mimi ihn nur deswegen zu sich nach<br />

Hause zum Essen einlud, weil er über entsprechende<br />

Kontakte verfügte <strong>und</strong> sie einen Blick auf seine neuesten<br />

Drehbücher werfen wollte. Sein Esprit <strong>und</strong> sein<br />

gutes Aussehen waren ihr egal. »Als sie <strong>und</strong> ihr Mann<br />

ihre Beratungspraxis eröffneten, war mir bald klar,<br />

dass es weniger darum ging, ><strong>die</strong> Erde zu reinigen


Dinnerpartys <strong>und</strong> bei anderen Zusammenkünften<br />

konnte man ganz nebenher das Thema <strong>Scientology</strong> ins<br />

Gespräch einfließen lassen, <strong>und</strong> bei einer solchen Dinnerparty<br />

traf Mimi im Jahr 1985 zum ersten Mal <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong>. Sie ging damals öfters mit einem von <strong>Tom</strong>s<br />

»Kollegen« aus, aber später meinte sie, zwischen ihr<br />

<strong>und</strong> dem jungen Schauspieler hätte sich damals etwas<br />

entwickelt, auch wenn man nur ein paar verstohlene<br />

Blicke <strong>und</strong> kurze Worte ausgetauscht habe. »Ich glaube,<br />

wir fanden uns beide ganz attraktiv«, meinte Mimi<br />

später.<br />

Für <strong>Tom</strong> war <strong>die</strong> Tatsache, dass Mimi Schauspielerin<br />

war, ein Plus. Mit Ausnahme einer kurzen Affäre mit<br />

der Sängerin Patti Scialfa, <strong>die</strong> er bei einem Konzert<br />

von Bruce Springsteens »Born in the USA«-Tournee in<br />

New Jersey im Backstagebereich kennenlernte, hatte<br />

er nur etwas für Frauen aus dem eigenen beruflichen<br />

Umfeld übrig. Bei ihnen ging er nämlich davon aus,<br />

dass sie ihn verstehen konnten, wenn er zu einer seiner<br />

feurigen Reden über seine Kunst ansetzte. Er erklärte<br />

das später einmal so: »Es ist, als wollte man<br />

jemandem erklären, wie es sich anfühlt, in einem<br />

Rennwagen zu sitzen. Das kann man nicht. Man muss<br />

selbst in einem solchen Fahrzeug gesessen sein.« Mimi<br />

merkte das sofort: »Er war immer ein sehr intensiver<br />

Mensch, der sich für manche Dinge mit viel Engagement<br />

<strong>und</strong> ganz offen einsetzt.«<br />

Auf den ersten Blick war <strong>Tom</strong> nicht gerade Mimis<br />

Typ. Nach der Trennung von ihrem Ehemann traf sie<br />

sich öfters mit den Fernsehdetektiven <strong>Tom</strong> Selleck <strong>und</strong><br />

Ed Mariano sowie mit Bobby Shriver, einem Spross des<br />

Kennedy-Clans – alles Männer, <strong>die</strong> älter <strong>und</strong> größer als<br />

sie waren. Im Gegensatz dazu war <strong>Tom</strong> fünf Zentimeter<br />

kleiner <strong>und</strong> sechs Jahre jünger als sie. Wie <strong>die</strong> anderen<br />

verfügte er über gute Kontakte – <strong>und</strong> er war im<br />

Geschäft. »Er wirkte so jung <strong>und</strong> verletzlich, <strong>und</strong> sie<br />

-148-


war eine starke Persönlichkeit, <strong>die</strong> wusste, wie sie ihre<br />

Reize einsetzen musste«, erinnert sich eine ehemalige<br />

Fre<strong>und</strong>in, <strong>die</strong> sie des Öfteren beobachtet hatte. »Sie<br />

brachte <strong>die</strong> Welt zum Tanzen.«<br />

Mimis Romanze mit <strong>Tom</strong> verlief nach einem ähnlichen<br />

Muster wie ihre Zeit mit <strong>Tom</strong> Selleck. Es ging immer<br />

nur um den Ehrgeiz <strong>und</strong> das Geschäft. Showbusiness<br />

eben. Die beiden trafen sich zwischen den Dreharbeiten<br />

zu Die Farbe des Geldes <strong>und</strong> dem Kinostart von<br />

Top Gun, <strong>und</strong> Mimi war gerade dabei, ihre erste<br />

Hauptrolle in einem Kriminalfilm mit dem Titel <strong>Der</strong><br />

Mann im Hintergr<strong>und</strong> zu bekommen. Jason Bonderoff,<br />

der Biograph von <strong>Tom</strong> Selleck, meinte hierzu:<br />

»Mimi ist eine Draufgängerin – das reinste Kraftwerk –<br />

, <strong>und</strong> das war etwas, was <strong>Tom</strong> [Selleck] an ihr so anziehend<br />

fand. Das Problem war nur, dass sie beide<br />

dermaßen mit ihrer Karriere beschäftigt waren, dass<br />

sie kaum <strong>die</strong> Zeit fanden, sich ineinander zu verlieben.«<br />

Dem neuen <strong>Tom</strong> in ihrem Leben widmete Mimi jedoch<br />

mehr Aufmerksamkeit <strong>und</strong> führte ihren neuen<br />

Partner in Leben <strong>und</strong> Werk von L. Ron Hubbard ein.<br />

Sie predigte für <strong>Tom</strong>, sang ihm das Hohe Lied gemäß<br />

Hubbard. Als ihre Fre<strong>und</strong>in Kirstie Alley 1993 den<br />

Leinwandherzensbrecher Parker Stevenson heiratete,<br />

wurde auch der Mitglied bei <strong>Scientology</strong>. Hubbard war<br />

seiner Zeit etwas voraus, denn er legte Wert auf <strong>die</strong><br />

Mitgliedschaft von Berühmtheiten in seiner Sekte. Er<br />

hatte erkannt, dass <strong>die</strong>se Persönlichkeiten <strong>die</strong> Glaubwürdigkeit<br />

seines Unternehmens erhöhen konnten <strong>und</strong><br />

andere zum Beitritt motivieren würden. Schon im Jahr<br />

1955 lancierte er eine Strategie unter dem Titel »Project<br />

Celebrity«, in der er seine Anhänger auffordert,<br />

Mitglieder aus den Bereichen Film, Theater <strong>und</strong> Sport<br />

zu rekrutieren. Die Berühmtheiten bekamen ihre Kurse<br />

gratis, <strong>und</strong> er umwarb sie durch <strong>die</strong> Errichtung von<br />

-149-


sogenannten Celebrity Centres. Das bekannteste ist<br />

ein neugotisches Herrenhaus am Fuße der Hollywood<br />

Hills, in dem Künstler, Schauspieler <strong>und</strong> andere Berühmtheiten<br />

in angenehmer <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>licher Atmosphäre,<br />

geschützt vor den Augen der Öffentlichkeit,<br />

Kurse der <strong>Scientology</strong> besuchen können.<br />

Seine Rekrutierungsstrategie zielte auf <strong>die</strong> »Alten<br />

<strong>und</strong> Ausge<strong>die</strong>nten« oder <strong>die</strong> »Aufstrebenden«, da er<br />

der Meinung war, dass <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> auf dem Höhepunkt<br />

ihrer Karriere waren, keinen Bedarf an den Patentlösungen<br />

der <strong>Scientology</strong> hätten. John Travolta<br />

etwa schloss sich der Sekte im Jahr 1974 an, als seine<br />

Karriere als Schauspieler gerade einen Einbruch hatte.<br />

»<strong>Scientology</strong> hat mich nach oben gebracht«, behauptete<br />

er später. Auch <strong>die</strong> Musiker Chick Corea <strong>und</strong> Isaac<br />

Hayes schlossen sich damals der Bewegung an, <strong>und</strong><br />

von dem einflussreichen Schauspiellehrer Milton Katselas<br />

kamen damals wie heute ständig neue hoffnungsvolle<br />

Aspiranten in das Celebrity Centre, um einen<br />

Schnupperkurs bei <strong>Scientology</strong> zu belegen. M<strong>und</strong>propaganda<br />

<strong>und</strong> persönliche Empfehlungen in der Szene<br />

waren <strong>die</strong> zentralen Elemente der Rekrutierung<br />

neuer Mitglieder in Hollywood. Als Chick Corea in Hollywood<br />

ein Konzert von Paul McCartney besuchte, ging<br />

es ihm nicht nur um <strong>die</strong> Musik. Hinter der Bühne versuchte<br />

er Paul <strong>und</strong> seine Frau Linda für <strong>die</strong> Sekte zu<br />

werben. Sie lehnten das Angebot ebenso ab wie John<br />

Lennon <strong>und</strong> Yoko Ono, <strong>die</strong> von dem hochangesehenen<br />

Studiomusiker <strong>und</strong> Pianisten Nicky Hopkins, ebenfalls<br />

ein Sektenmitglied, angeworben werden sollten. Mehr<br />

Erfolg hatte Hopkins bei der Musiklegende Van Morrison,<br />

der dann eine Zeitlang Mitglied bei <strong>Scientology</strong><br />

war.<br />

Bei den »zufälligen Begegnungen« zwischen Sektenmitgliedern,<br />

wie zum Beispiel Mimi Rogers, <strong>und</strong> einem<br />

potenziellen Kandidaten aus dem Kreis der Celebrities,<br />

-150-


wurde kaum etwas dem Zufall überlassen. Die berühmten<br />

Kandidaten merkten dabei nie, dass ihre Einführung<br />

in <strong>die</strong> Welt von <strong>Scientology</strong> das Ergebnis von<br />

wochen- <strong>und</strong> manchmal monatelanger sorgfältiger<br />

Planung war. <strong>Der</strong> erste Schritt war <strong>die</strong> Auswahl eines<br />

berühmten Kandidaten. Dann wurde ein »Schlachtplan«<br />

erarbeitet, um ihn zu der Sekte zu locken. Überzeugte<br />

Scientologen fertigten sogar Modelle ihrer Opfer<br />

aus Ton an, zum Beispiel von Michael Jackson, mit<br />

denen sie <strong>die</strong> Szenarios im Einzelnen entwickeln <strong>und</strong><br />

planen konnten. Indem man <strong>die</strong> Idee in Lehm formte,<br />

wurde sie irgendwie »real«.<br />

An der Bürowand im Celebrity Centre in Hollywood<br />

hängt eine große weiße magnetische Pinwand mit den<br />

Namen der Berühmtheiten, <strong>die</strong> man gerade im Visier<br />

hat. Zu jedem Namen gibt es Hinweise wie »Kontakt«,<br />

»In Bearbeitung«, »Einführungskurs« <strong>und</strong> »Org«, aus<br />

denen ersichtlich ist, wie sehr <strong>die</strong> Einzelnen bereits in<br />

das Ganze verwickelt sind. Das alles ist ein sehr ernstes<br />

Geschäft. Die Mitarbeiter des Celebrity Centre<br />

standen immer unter extremem Erfolgsdruck. Die ehemalige<br />

Scientologin Karen Pressley war drei Jahre lang<br />

Mitte der achtziger Jahre Leiterin des Celebrity Centre<br />

International <strong>und</strong> galt selbst als eine Berühmtheit, da<br />

sie <strong>und</strong> ihr Mann Peter den Hitsong des Jahres 1982<br />

On the Wings of Love geschrieben hatten.<br />

Sie erinnert sich: »Ich weiß noch, wie David Miscavige<br />

[heute Chef von <strong>Scientology</strong>] mit den Fäusten auf<br />

den Tisch trommelte <strong>und</strong> uns schreiend drohte, wir<br />

sollten mehr Berühmtheiten herbeibringen. Es war ein<br />

geradezu psychotisches Verhalten.« Mit ermüdender<br />

Regelmäßigkeit wurden sie <strong>und</strong> ihre Kollegen verwarnt,<br />

dass sie schwere Disziplinarmaßnahmen zu gewärtigen<br />

hätten, wenn sie nicht binnen 48 St<strong>und</strong>en<br />

eine Berühmtheit zur Mitgliedschaft bei <strong>Scientology</strong><br />

bringen könnten. Zu den Disziplinarmaßnahmen ge-<br />

-151-


hörte der Auftritt vor einer sogenannten Ethikkommission<br />

oder <strong>die</strong> Überstellung zur Truppe des Rehabilitationsprojekts,<br />

eine Art Gefängnis der Scientologen, wo<br />

man zur Strafe zum Beispiel tagelang um einen Pfahl<br />

herumlaufen musste. Dieses hysterische Verhalten war<br />

typisch, wurde aber besonders Mitte der achtziger Jahre<br />

immer extremer. 1986, als Mimi <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> begannen,<br />

sich häufiger zu treffen, war <strong>die</strong> Sekte gerade in<br />

eine Krise geschlittert, <strong>die</strong> durch den Tod des Gründers<br />

L. Ron Hubbard ausgelöst worden war. Damals<br />

galt <strong>Scientology</strong> als eine der berüchtigtsten <strong>und</strong> gefährlichsten<br />

Sekten weltweit <strong>und</strong> war in mehreren demokratischen<br />

Gesellschaften verboten, so in Großbritannien,<br />

Spanien, Frankreich, Deutschland <strong>und</strong> Australien.<br />

An der Oberfläche wirkte <strong>die</strong>se Sekte harmlos<br />

<strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich; <strong>die</strong> Mitglieder lebten nach dem Motto:<br />

»Wenn es keinen Spaß macht, dann kann es nicht<br />

<strong>Scientology</strong> sein.« Das Celebrity Centre in Hollywood<br />

unter der fre<strong>und</strong>lich-warmherzigen Leitung von Yvonne<br />

Jentzsch galt weithin als eine »fre<strong>und</strong>liche <strong>und</strong><br />

entspannte« Umgebung, ein geeigneter Ort, um Kontakte<br />

im Showgeschäft zu machen, gutaussehende<br />

Mädchen kennenzulernen <strong>und</strong> – wenn man Glück hatte<br />

– auch Sex zu haben.<br />

Hinter dem verführerischen Lächeln aber war <strong>Scientology</strong><br />

eine paranoide Bewegung, in der sich <strong>die</strong> schizophrene<br />

Persönlichkeit ihres Gründers widerspiegelte,<br />

eine dogmatische Sekte, <strong>die</strong> es auf <strong>die</strong> Weltherrschaft<br />

abgesehen hatte, <strong>die</strong> andere Religionen wie den Buddhismus<br />

<strong>und</strong> das Christentum ablehnte <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>die</strong> Psychiatrie<br />

<strong>und</strong> das Ges<strong>und</strong>heitswesen für alle Übel der<br />

Menschheit seit ihrem Anbeginn verantwortlich machte.<br />

Und was <strong>die</strong> Gruppe der Homosexuellen anbelangt,<br />

so schreibt Hubbard in seinem Buch Die Wissenschaft<br />

des Überlebens, dass für den Fall eines Scheiterns<br />

des Heilswegs, den <strong>Scientology</strong> einschlägt, es <strong>die</strong> end-<br />

-152-


gültig beste Lösung wäre, »sich ihrer still <strong>und</strong> ohne<br />

Traurigkeit zu entledigen«. Für einen Mann, der Vorschriften<br />

für so ziemlich alles herausgegeben hat –<br />

seine Ratschläge reichen vom Fensterputzen mit Zeitungspapier<br />

über Tipps zur Steuerhinterziehung bis zu<br />

Gebrauchsanweisungen für Massagestäbe –, hielt er<br />

sich hinsichtlich der angemessenen Technik zur weltweiten<br />

»Beseitigung« der Schwulen erstaunlich bedeckt.<br />

Im dunklen Zentrum von <strong>Scientology</strong> entfaltete sich<br />

eine bizarre, geschlossene Welt, <strong>die</strong> vor den Augen der<br />

Öffentlichkeit oder kritischen Blicken verborgen blieb.<br />

In ihr spiegelte sich <strong>die</strong> größenwahnsinnige Weltsicht<br />

des Sektengründers. Selbst Hubbards zweite Frau, Sara<br />

Northrup, beschrieb den Sektenführer als eine Person,<br />

<strong>die</strong> »unheilbar krank« war <strong>und</strong> eingeliefert werden<br />

sollte.<br />

In den sechziger <strong>und</strong> siebziger Jahren baute Hubbard<br />

den größten privaten Geheim<strong>die</strong>nst der Welt auf. Er<br />

verschanzte sich hinter der verfassungsmäßig garantierten<br />

Religionsfreiheit, <strong>die</strong> im ersten Zusatzartikel<br />

zur amerikanischen Verfassung garantiert ist, um andere<br />

anzugreifen, zu nötigen <strong>und</strong> zu diffamieren. Die<br />

Geheimagenten der Sekte lernten, wie man anonyme<br />

Todesdrohungen verbreitet, Kritiker beschuldigt, Dokumente<br />

fälscht <strong>und</strong> Einbrüche plant <strong>und</strong> durchführt.<br />

Sie nutzten alle ihnen erforderlich scheinenden Mittel,<br />

um jede Opposition »zitternd zum Schweigen zu bringen«<br />

– so <strong>die</strong> wenig charmante Formulierung Hubbards.<br />

Lügen waren für ein Mitglied von <strong>Scientology</strong>,<br />

wenn sie der Organisation <strong>die</strong>nten, nicht nur gestattet,<br />

sondern das Lügen wurde zur Pflicht, wie Hubbard in<br />

seiner technischen Anweisung Nr. 88 feststellt: »Die<br />

einzige Möglichkeit, Menschen zu kontrollieren, ist, sie<br />

anzulügen. Schreiben Sie das in Großbuchstaben in Ihr<br />

Heft.«<br />

-153-


Da alle Kritiker per definitionem als Kriminelle betrachtet<br />

wurden, mussten ihre Verbrechen allgemein<br />

publik gemacht werden. »Füttern Sie <strong>die</strong> Presse mit<br />

blutrünstigen Geschichten über Sexualverbrechen der<br />

Angreifer, bringen Sie Beweise bei«, schrieb Hubbard<br />

im Jahr 1966, eine Vorschrift, <strong>die</strong> irreführend als »Faires<br />

Spiel« bezeichnet wurde, bei der es darum geht,<br />

Kritiker »hinters Licht zu führen, sie zu verklagen, zu<br />

belügen oder zu zerstören«.<br />

Es ist daher nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass eine ausführliche<br />

Untersuchung der australischen Regierung, <strong>die</strong><br />

sich mit <strong>Scientology</strong> beschäftigte, im Jahr 1965 zu<br />

dem Schluss kam: »<strong>Scientology</strong> ist bösartig; <strong>die</strong> angewandten<br />

Techniken sind bösartig; <strong>die</strong> Praktiken der<br />

Sekte sind eine ernsthafte Bedrohung der Gesellschaft<br />

– medizinisch, moralisch <strong>und</strong> sozial –, <strong>und</strong> ihre Anhänger<br />

sind auf tragische Weise getäuschte, manchmal<br />

geistesgestörte Menschen.«<br />

Die Sekte praktizierte, was sie predigte – mit schauerlichen<br />

Folgen. Ihre Mitglieder infiltrierten Regierungsbehörden<br />

<strong>und</strong> Zeitungsredaktionen sowie Gruppierungen,<br />

<strong>die</strong> sich gegen <strong>die</strong> Sekte wandten, ferner<br />

psychiatrische <strong>und</strong> medizinische Berufsverbände <strong>und</strong><br />

andere Organisationen, <strong>die</strong> aus der Sicht der Sekte<br />

gegen <strong>Scientology</strong> eingestellt waren.<br />

Die wohl dreisteste Spionageaktion – zumindest soweit<br />

man bisher weiß – fand in den siebziger Jahren<br />

statt. <strong>Der</strong> Codename <strong>die</strong>ser Aktion war »Operation<br />

Snow White«, <strong>und</strong> es ging dabei um systematisches<br />

Abhören, Diebstahl <strong>und</strong> Einbrüche in elf Gebäuden,<br />

teilweise von Regierungsbehörden wie der nationalen<br />

Steuerbehörde <strong>und</strong> der Generalstaatsanwaltschaft.<br />

Spione der <strong>Scientology</strong> hatten sogar ein Dossier über<br />

Präsident Nixon angelegt, der selbst merkwürdigen<br />

Verhaltensweisen nicht abgeneigt war. Diese kriminellen<br />

Aktivitäten veranlassten das FBI im Jahr 1977 zu<br />

-154-


einer der größten Durchsuchungsaktionen in der Geschichte<br />

der Behörde, bei der Dutzende bewaffneter<br />

Polizisten zur gleichen Zeit in <strong>die</strong> Zentren von <strong>Scientology</strong><br />

in Washington <strong>und</strong> Los Angeles eindrangen. In<br />

der Folge wanderten elf hochrangige Scientologen,<br />

darunter <strong>die</strong> dritte Ehefrau des Gründers, Mary Sue<br />

Hubbard, ins Gefängnis. Bei Hubbard selbst <strong>und</strong> bei<br />

Kendrick Moxon, der gegenwärtig der oberste Rechtsbeistand<br />

der Sekte ist, reichte es nicht für eine Anklage<br />

als Teilnehmer an der <strong>Verschwörung</strong>, ebenso wie<br />

bei neunzehn weiteren verdächtigten Mitgliedern, von<br />

denen einige noch heute in der Organisation aktiv<br />

sind.<br />

War <strong>die</strong> Operation Snow White von einer atemberaubenden<br />

Dreistigkeit, so stach eine andere Aktion durch<br />

ihre kalkulierte Grausamkeit hervor. Im Jahr 1972<br />

schrieb <strong>die</strong> Schriftstellerin Paulette Cooper ein Buch<br />

mit dem Titel The Scandal of <strong>Scientology</strong>, das nach<br />

heutigen Kriterien eine ausgewogene <strong>und</strong> moderate<br />

Analyse der Sekte enthielt. Die Sekte überzog sie sehr<br />

zu ihrem Verdruss mit 19 Gerichtsverfahren. Das war<br />

aber nur der Anfang einer sieben Jahre andauernden<br />

Tortur. Mit der gleichen Sorgfalt, mit der man auf <strong>die</strong><br />

Jagd nach neuen Prominenten bei der Mitgliederwerbung<br />

ging, wurde jetzt bei der Planung <strong>und</strong> Durchführung<br />

von Aktionen gegen <strong>die</strong> Kritiker der Sekte vorgegangen.<br />

Cooper hatte keinen blassen Schimmer, dass<br />

hochrangige Sektenmitglieder hinter ihrem Rücken<br />

darüber diskutierten, ob sie <strong>die</strong> Mafia einschalten sollten,<br />

um sie beiseite räumen zu lassen oder ihr ein<br />

Verbrechen anzuhängen, das sie nie begangen hatte.<br />

Sie entschlossen sich für <strong>die</strong> zweite Variante. In einer<br />

geheimen Aktion, an der Dutzende von Sektenmitgliedern<br />

beteiligt waren <strong>und</strong> <strong>die</strong> sie ins Gefängnis oder <strong>die</strong><br />

Psychiatrie bringen oder zum Selbstmord treiben sollte,<br />

schikanierte man sie ganz gezielt. Noch Monate<br />

-155-


nach der Publikation ihres Buches erhielt Paulette, eine<br />

attraktive, zierliche blonde Frau, obszöne Anrufe; man<br />

folgte ihr auf der Straße <strong>und</strong> versuchte, in ihre Wohnung<br />

in Manhattan einzubrechen. Es gab eine bösartige<br />

Leserbriefkampagne, in der man sie beschuldigte,<br />

ein zweijähriges Kind sexuell belästigt zu haben. (Ganz<br />

nach Hubbards Lehren sind reißerische, sexuell gefärbte<br />

Vorwürfe <strong>und</strong> oft haarsträubende Anschuldigungen<br />

ein Markenzeichen der von <strong>Scientology</strong> inszenierten<br />

Schmutzkampagnen.)<br />

Paulettes andere Cousine, <strong>die</strong> der Autorin zum Verwechseln<br />

ähnlich sieht, überlebte nur knapp einen<br />

misslungenen Mordanschlag. Zwei Monate später verhaftete<br />

das FBI Paulette, weil sie angeblich zwei Bombendrohungen<br />

gegen <strong>Scientology</strong> gerichtet hatte. Es<br />

dauerte zwei Jahre, <strong>und</strong> sie musste sich einem<br />

»Wahrheitstest« unterziehen. Den bestand sie, <strong>und</strong><br />

daraufhin ließ das FBI <strong>die</strong> Vorwürfe fallen. Die Scientologen<br />

setzten ihre Schikanen fort, <strong>die</strong>smal unter dem<br />

Codenamen »Operation Freakout«. Ein Agent der<br />

<strong>Scientology</strong> fre<strong>und</strong>ete sich zum Schein mit ihr an <strong>und</strong><br />

heuchelte Mitleid mit ihren Qualen, während er gleichzeitig<br />

jedes Detail über ihre Gedanken <strong>und</strong> Bewegungen<br />

an seine Vorgesetzten weiterleitete. In einem seiner<br />

vielen Berichte vermeldete er jubelnd: »Sie kann<br />

wieder nicht schlafen. Sie spricht von Selbstmord…<br />

wäre das für <strong>Scientology</strong> nicht toll?« Erst nach der<br />

Durchsuchung der Anwesen von <strong>Scientology</strong> im Jahr<br />

1977, bei der mindestens 23.000 Dokumente sichergestellt<br />

wurden, <strong>die</strong> sich auf <strong>die</strong> Operation Freakout<br />

bezogen, wurde das volle Ausmaß der bösartigen <strong>Verschwörung</strong><br />

sichtbar <strong>und</strong> Paulettes Unschuld zweifelsfrei<br />

bewiesen.<br />

Paulettes Erklärung für ihre Beschäftigung mit der<br />

Sekte ist so einfach wie mutig. Sie wurde im Konzentrationslager<br />

Auschwitz geboren, wo ihre Eltern ums<br />

-156-


Leben kamen. »Hitler hat meine Eltern umgebracht.<br />

<strong>Scientology</strong> ist eine faschistische Organisation. Wenn<br />

<strong>die</strong> Menschen in den dreißiger Jahren den M<strong>und</strong> aufgemacht<br />

hätten, wäre Hitler vielleicht nie an <strong>die</strong> Macht<br />

gekommen. Als mir klar geworden war, wofür <strong>Scientology</strong><br />

steht, hatte ich keine andere Wahl«, sagte sie.<br />

Nachdem hochrangige Mitglieder von <strong>Scientology</strong> ins<br />

Gefängnis gewandert waren, erklärte man vonseiten<br />

der Sekte gerne, dass man mit der schändlichen Vergangenheit<br />

abgeschlossen habe. In den achtziger Jahren<br />

widersprachen zwei hochrangige Gerichte auf zwei<br />

Kontinenten <strong>die</strong>ser Darstellung. <strong>Der</strong> High Court in<br />

London urteilte im Jahr 1984 in einem Sorgerechtsstreit:<br />

»<strong>Scientology</strong> ist unmoralisch <strong>und</strong> sozial schädlich…<br />

korrupt, böse <strong>und</strong> gefährlich. Die Vereinigung ist<br />

korrupt, weil sie auf Lügen <strong>und</strong> Betrug basiert <strong>und</strong> das<br />

eigentliche Ziel Geld <strong>und</strong> Macht für Mr. Hubbard, seine<br />

Frau <strong>und</strong> den engeren Führungszirkel ist. Sie ist böse,<br />

weil man sich unrühmlicher Praktiken be<strong>die</strong>nt, sowohl<br />

gegenüber den Mitgliedern, <strong>die</strong> nicht gehorsam auf<br />

Linie bleiben, als auch gegenüber Kritikern <strong>und</strong> Gegnern.<br />

Sie ist gefährlich, weil sie es auf junge Menschen<br />

abgesehen hat, <strong>die</strong> man indoktriniert <strong>und</strong> einer Gehirnwäsche<br />

unterzieht, so dass sie zu willenlosen Gefangenen<br />

der Sekte werden, <strong>die</strong> dem normalen Leben<br />

<strong>und</strong> Denken entfremdet sind <strong>und</strong> keine Beziehungen<br />

mehr zu anderen haben.«<br />

Im gleichen Jahr konzentrierte sich ein Richter in Kalifornien<br />

auf den bizarren Geisteszustand des Gründers<br />

L. Ron Hubbard. Am Ende eines vier Wochen dauernden<br />

Verfahrens, bei dem hochrangige Mitglieder der<br />

Sekte angeklagt waren, <strong>die</strong> einen ehemaligen Kollegen,<br />

Gerry Armstrong, schikaniert hatten, der früher<br />

für Hubbard persönlich Nachforschungen angestellt<br />

hatte, kam der Richter Breckenridge zu einer klaren<br />

Verurteilung der Sekte <strong>und</strong> ihres Gründers: »Die Or-<br />

-157-


ganisation zeigt deutlich schizophrene <strong>und</strong> paranoide<br />

Züge, <strong>und</strong> in <strong>die</strong>ser Kombination spiegelt sich <strong>die</strong> Person<br />

ihres Gründers LRH. Die Beweisaufnahme zeigte<br />

einen Mann, der im wahrsten Sinne des Wortes zum<br />

pathologischen Lügner wird, wenn er über seine eigene<br />

Geschichte, seine Ausbildung <strong>und</strong> seine Leistungen<br />

erzählt. Die hier vorgelegten Dokumente <strong>und</strong> Schriften<br />

belegen zudem seinen Egoismus, seine Gier <strong>und</strong> seinen<br />

Geiz, sein Streben nach Macht sowie seine Rachsucht<br />

<strong>und</strong> Aggressivität gegenüber Personen, <strong>die</strong> ihm<br />

illoyal oder feindselig erscheinen.«<br />

Damals schien <strong>die</strong> Sekte vor dem inneren Zusammenbruch<br />

zu stehen, zerrissen von internen Auseinandersetzungen,<br />

Trennungen <strong>und</strong> Strafverfahren. Im<br />

Jahr 1982 wurden alle Missionen aufgelöst, weil sie<br />

offensichtlich ein zu großes Stück vom wirtschaftlichen<br />

Kuchen der Sekte abbekamen. Viele der Mitglieder, <strong>die</strong><br />

eine solche Mission betrieben, wurden schikaniert, erniedrigend<br />

behandelt <strong>und</strong> zum Schweigen verdammt.<br />

Verärgerte Anhänger verließen zu Tausenden <strong>die</strong> Organisation,<br />

<strong>und</strong> einige protestierten in der Öffentlichkeit<br />

sogar lautstark vor dem Hauptquartier der britischen<br />

Niederlassung. Selbst <strong>die</strong> prominenten Mitglieder<br />

von <strong>Scientology</strong> hatten ihre Zweifel an der Richtung,<br />

<strong>die</strong> von der Organisation eingeschlagen wurde.<br />

John Travolta haderte damals mit seinem Engagement.<br />

In einem Interview mit der Zeitschrift Rolling<br />

Stone im August 1983 äußerte er seine Zweifel über<br />

<strong>die</strong> Art, wie <strong>die</strong> Sekte geführt wurde. »Ich würde<br />

<strong>Scientology</strong> hier gerne besser verteidigen, aber ich<br />

habe im Moment den Einruck, dass sie es gar nicht<br />

ver<strong>die</strong>nt, verteidigt zu werden.« Aufgeschreckt von<br />

<strong>die</strong>sen Aussagen, stellte <strong>die</strong> Sekte zwei hochrangige<br />

Berater ab, Chris <strong>und</strong> Stephanie Silcott, ein Ehepaar<br />

aus Südafrika, <strong>die</strong> ihm überall nachgehen sollten, vom<br />

Drehort nach Hause <strong>und</strong> wieder zurück, um sich seiner<br />

-158-


Loyalität zu versichern. Andere Berühmtheiten, wie<br />

der Musiker Edgar Winter, bekamen kostenlose Beratungen,<br />

um sie bei Laune zu halten.<br />

Die Erschütterungen, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Sekte gingen, erwiesen<br />

sich als der letzte Strohhalm, an den sich Mimis<br />

Vater klammerte, der selbst ein Missionsbüro von<br />

<strong>Scientology</strong> betrieb. Er musste mit ansehen, wie <strong>die</strong><br />

Bewegung, der er so enthusiastisch zugetan war, sich<br />

ihren ursprünglichen Zielen entfremdete. Er erinnert<br />

sich an <strong>die</strong>se Zeit: »Dianetik <strong>und</strong> <strong>Scientology</strong> haben<br />

viel zu bieten. Es gibt hier viele w<strong>und</strong>erbare Dinge,<br />

<strong>und</strong> man kann beide nutzen, ohne dabei auf Unterdrückung<br />

<strong>und</strong> Profit abzustellen.«<br />

Während sich <strong>die</strong> Kernschmelze der Bewegung abzeichnete,<br />

hielt Hubbard sich versteckt. Er war auf der<br />

Flucht vor dem Gesetz, angeklagt wegen Betrugs <strong>und</strong><br />

Steuerhinterziehung. Damals lebte er unter falschem<br />

Namen auf einer abgelegenen Ranch in Cresto im<br />

B<strong>und</strong>esstaat Kalifornien, <strong>und</strong> <strong>die</strong>jenigen, denen er über<br />

den Weg lief, erinnern sich, dass er ziemlich zerstreut<br />

<strong>und</strong> ungepflegt wirkte, mit wirrem Haar – wie<br />

der exzentrische Milliardär Howard Hughes. Dies<br />

schien nicht gerade <strong>die</strong> beste Werbung für den Lebensstil<br />

zu sein, den er jahrelang gepredigt hatte, <strong>und</strong><br />

es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass man<br />

nach seinem Tod im Jahr 1986, kurz nachdem er einen<br />

Herzinfarkt erlitten hatte, eine hohe Konzentration<br />

Vistaril in seinem Körper fand – ein in der Psychiatrie<br />

verwendetes Medikament, das man hyperaktiven oder<br />

überängstlichen Menschen verabreicht. Das also war<br />

der Mann, der sein Leben dem Kampf gegen <strong>die</strong> Psychiatrie<br />

gewidmet hatte <strong>und</strong> sie für alle Übel der Welt<br />

verantwortlich machte.<br />

Mit seinem Tod brach in der Führung von <strong>Scientology</strong><br />

ein bösartiger Machtkampf aus. Die Jungen aus der<br />

fanatischen Sea Org – eine Elitegruppe, <strong>die</strong> der Sekte<br />

-159-


Umsätze in Milliardenhöhe eingebracht hatte – organisierten<br />

einen Coup gegen Hubbards engsten Kreis <strong>und</strong><br />

verdrängten seinen designierten Nachfolger Bill Franks<br />

<strong>und</strong> dessen engste Helfer. In mehreren Ländern rissen<br />

Vertreter der Sea Org – einige waren fast noch Jugendliche<br />

– <strong>die</strong> Macht an sich <strong>und</strong> übernahmen <strong>die</strong><br />

Kontrolle über <strong>die</strong> nationalen Niederlassungen. »Es ist<br />

wie im Herr der Fliegen«, erzählte ein ehemaliger<br />

Franchisenehmer der Organisation der New York Times.<br />

»Die Kinder haben das Ruder übernommen.« Als<br />

sich der Staub wieder legte, hatte ein zierlicher, aber<br />

rücksichtslos ehrgeiziger Schulabbrecher namens David<br />

Miscavige das Kommando der lärmenden Operation<br />

übernommen. Die Mitglieder liefen in Scharen davon,<br />

<strong>und</strong> es sah aus, als würde sich <strong>Scientology</strong> wie so<br />

viele Sekten vor ihr nach dem Tod ihres Gründers auflösen.<br />

Aber <strong>die</strong>smal kam es anders. In der Kulisse<br />

wartete ein Herzensbrecher aus Hollywood, um <strong>die</strong><br />

dahinsiechende Braut wieder ins Leben zu küssen. In<br />

den kommenden Jahren würde man ihn als den Retter<br />

von <strong>Scientology</strong> feiern.<br />

Als man <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> 1986 zum ersten Mal Bilderbücher<br />

über <strong>Scientology</strong> <strong>und</strong> Dianetik in <strong>die</strong> Hand drückte,<br />

wusste er praktisch nichts über <strong>die</strong> Sekte, außer<br />

dass einige aus seinem Bekanntenkreis beigetreten<br />

waren oder sich, wie der Produzent Don Simpson, dafür<br />

interessierten. Es ist eher unwahrscheinlich, dass<br />

er den im selben Jahr erschienenen Artikel in Forbes<br />

gelesen hatte, in dem es hieß, <strong>die</strong> Sekte habe alles –<br />

»eine finanzielle Diktatur, rüde Sicherheitschecks, Lügendetektoren,<br />

Inquisitionskomitees <strong>und</strong> Straflager«.<br />

Was Mimi anbelangt, so tat sie, was sie <strong>und</strong> ihre<br />

Fre<strong>und</strong>e von <strong>Scientology</strong>, beispielsweise Kirstie Alley,<br />

bereits seit Jahren taten: Sie lockten ihre Bekannten in<br />

<strong>die</strong> Sekte. <strong>Tom</strong> war damals der Hollywoodstar, über<br />

den jeder sprach. Top Gun war der Kassenschlager<br />

-160-


des Jahres. Wenn es ihr gelänge, einen dermaßen dicken<br />

Fisch an Land zu ziehen, würde das ihre Position<br />

bei <strong>Scientology</strong> verbessern; auch mit ihrer Filmkarriere<br />

<strong>und</strong> den Einnahmen ginge es dann vermutlich steil<br />

bergauf. <strong>Der</strong> Drehbuchautor <strong>und</strong> ehemalige Anhänger<br />

von <strong>Scientology</strong>, Skip Press, der Mimi in Aktion beobachtete,<br />

erinnert sich: »Als ehemaliges Mitglied von<br />

<strong>Scientology</strong>, der all <strong>die</strong> dunklen Tricks kennt, hätte es<br />

mich nicht überrascht, wenn sie <strong>Tom</strong> nur schmeichelte,<br />

um ihn zur Sekte zu bringen <strong>und</strong> über ihn den<br />

Sprung zu einer Filmkarriere zu schaffen. Mitte der<br />

Achtziger war <strong>Scientology</strong> immer noch durch <strong>die</strong><br />

Durchsuchungsaktion des FBI geschwächt. Man<br />

brauchte dringend frisches Blut aus der Gruppe der<br />

Prominenten, um zu überleben.«<br />

Während <strong>Tom</strong> also Stück für Stück mit der Philosophie<br />

von L. Ron Hubbard vertraut gemacht wurde, waren<br />

andere hochrangige Scientologen hinter weiteren<br />

Prominenten her. Zu der Zeit standen auf der Liste der<br />

Scientologen als Ziele auch <strong>Tom</strong>s Fre<strong>und</strong> Emilio Estevez,<br />

der Sohn des Schauspielers Martin Sheen, <strong>und</strong><br />

seine Verlobte, Demi Moore. Eigentlich hatten sie <strong>die</strong><br />

gesamte Familie Sheen im Fadenkreuz. Da Mimi jetzt<br />

aufgetaucht war, ist es wenig verw<strong>und</strong>erlich, dass <strong>die</strong><br />

Scientologen, <strong>die</strong> Demi <strong>und</strong> Emilio anwerben sollten,<br />

immer bestens über deren Aufenthalt informiert waren.<br />

Wie sich Karen Pressley erinnert: »Ein hochrangiges<br />

Mitglied von <strong>Scientology</strong> rief an <strong>und</strong> sagte uns,<br />

das Emilio Estevez sich in Malibu aufhielt <strong>und</strong> dass wir<br />

48 St<strong>und</strong>en Zeit hätten, mit ihm zu reden <strong>und</strong> ihn zu<br />

einer Beratungssitzung einzuladen. Das Ganze stand<br />

unter einem derartigen Druck, es war unglaublich.«<br />

Man ging von folgender Überlegung aus: Würde man<br />

Emilio gewinnen können, dann hätte man Demi mehr<br />

oder weniger auch im Kasten. Die verdeckten Taktiken<br />

zahlten sich aus; beide traten für eine gewisse Zeit<br />

-161-


ei, <strong>und</strong> Estevez weigerte sich, über sein Verhältnis zu<br />

der Sekte zu reden, da er befürchtete, man würde<br />

sonst »sein Telefon abhören«.<br />

Während <strong>die</strong> Topleute von <strong>Scientology</strong> sich auf Estevez<br />

<strong>und</strong> Moore konzentrierten, flog <strong>Tom</strong> heimlich, still<br />

<strong>und</strong> leise unter dem Radar hindurch <strong>und</strong> landete kurz<br />

nach dem Kinostart von Top Gun im Jahr 1986 bei der<br />

Sekte. Da er wie viele Prominente besorgt war, in der<br />

Öffentlichkeit mit einer derart kontroversen Organisation<br />

in Verbindung gebracht zu werden, besuchten ihn<br />

<strong>die</strong> Berater von <strong>Scientology</strong> privat zu Hause. Es dauerte<br />

eine Zeit, bis er mit der Information an <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />

ging <strong>und</strong> sich in dem schicken <strong>und</strong> diskreten<br />

<strong>Scientology</strong> Enhancement Centre in Sherman Oaks<br />

einschrieb, das seine Fre<strong>und</strong>in Mimi <strong>und</strong> ihr früherer<br />

Ehemann Jim Rogers gegründet hatten. Zwar hatten<br />

sie es inzwischen verkauft, aber Mimi war mit der<br />

neuen Besitzerin Frances Godwin gut befre<strong>und</strong>et.<br />

Mimis Schmeicheleien mögen <strong>Tom</strong> in seinem Entschluss<br />

bestärkt haben, es einmal mit <strong>die</strong>ser Sekte zu<br />

versuchen, aber nach den Standards von Hubbard<br />

handelte es sich bei ihm keineswegs um »Frischfleisch«.<br />

Weder war er alt <strong>und</strong> ausge<strong>die</strong>nt, noch war er<br />

auf dem Weg nach oben, sondern er stand gerade<br />

ganz oben <strong>und</strong> erreichte <strong>die</strong> schwindelerregenden Gipfel<br />

Hollywoods ganz ohne Hubbards Hilfe. Von seinen<br />

Verehrern bew<strong>und</strong>ert, finanziell abgesichert, von seinen<br />

Kollegen anerkannt <strong>und</strong> in der prickelnden Anfangsphase<br />

einer ernsten Beziehung mit einer attraktiven<br />

Frau, hatte er alles, was man sich wünschen kann.<br />

Was also fehlte ihm zum Glück im Leben? Was war,<br />

wie <strong>die</strong> Scientologen es nannten, sein »Ruin«? Normalerweise<br />

zieht es Menschen zu <strong>Scientology</strong>, weil sie<br />

tiefsitzende Schwierigkeiten in ihrem Leben haben.<br />

Möglicherweise sind es Drogen – wie bei Don Simpson<br />

<strong>und</strong> Kirstie Alley -oder Alkohol, Depressionen oder Ein-<br />

-162-


samkeit. Jeder, der beitritt, sucht auf irgendeine Art<br />

eine Form von Erlösung. Es ist daher nicht weiter verw<strong>und</strong>erlich,<br />

dass der »kostenlose Stresstest«, der von<br />

den <strong>Scientology</strong>zentren weltweit lautstark angepriesen<br />

wird, als Lockmittel funktioniert, um potenzielle Klienten<br />

zu ködern, denen man sagt, was in ihrem Leben<br />

nicht in Ordnung ist. In dem sich anschließenden Frage-<strong>und</strong>-Ant-wort-Spiel<br />

besteht eine der wesentlichen<br />

Aufgaben der Berater von <strong>Scientology</strong> darin, den<br />

»Ruin« der betreffenden Person zu finden, <strong>die</strong> schwachen<br />

<strong>und</strong> verletzlichen Punkte, an denen man ansetzen<br />

muss, wenn man weitere <strong>Scientology</strong>kurse verkaufen<br />

will.<br />

Peter Alexander, der ehemalige Vizepräsident der Universal<br />

Studios war über zwanzig Jahre Mitglied bei<br />

<strong>Scientology</strong> <strong>und</strong> hat eine Million Dollar für <strong>die</strong> Dienste<br />

des Unternehmens ausgegeben. Er stellte Folgendes<br />

fest: »Es gibt nur zwei Sorten von Menschen, <strong>die</strong> der<br />

Sekte beitreten – <strong>die</strong> mit ernsthaften persönlichen<br />

Problemen <strong>und</strong> <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> auf das Konzept hereinfallen.«<br />

Diese Sichtweise ist weit verbreitet. Michael<br />

Tilse, heute 54 Jahre alt, war über 27 Jahre hinweg<br />

immer wieder einmal Mitglied von <strong>Scientology</strong>. Er<br />

sagt: »Die Menschen, <strong>die</strong> der Sekte beitreten, sind<br />

emotional verkrüppelt; sie versuchen, etwas in ihrem<br />

Inneren zu finden. Sie möchten etwas verändern.«<br />

Andere äußern sich weniger kritisch. »<strong>Tom</strong> fand, was<br />

wir alle gef<strong>und</strong>en haben – etwas, das funktionierte. So<br />

einfach ist das«, stellt ein vor kurzem ausgetretener<br />

führender Scientologe fest. »Hubbard sprach von den<br />

Individuen, <strong>die</strong> Verantwortung für ihre eigenen Handlungen<br />

<strong>und</strong> ihr Leben übernehmen müssen. Das traf<br />

möglicherweise bei ihm auf Resonanz.«<br />

Die meisten ehemaligen <strong>und</strong> immer noch aktiven<br />

Scientologen stimmen darin überein, dass <strong>die</strong> Kurse<br />

auf der untersten Stufe praktische Erfolge ermöglichen<br />

-163-


– in Alexanders Fall unterstützte ihn <strong>Scientology</strong> dabei,<br />

das Rauchen aufzugeben. Viele Jahre nachdem er<br />

<strong>Scientology</strong> beigetreten war, erklärte <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>, dass<br />

insbesondere Hubbards »Study Tech« ihm geholfen<br />

habe, seine Legasthenie zu überwinden. Wir werden<br />

uns mit <strong>die</strong>sem Argument später noch genauer auseinandersetzen,<br />

aber es besteht Gr<strong>und</strong> zu der Annahme,<br />

dass <strong>die</strong>se Behauptung mehr mit seiner Mission, andere<br />

zu seinem Glauben zu bekehren, zu tun hatte als<br />

mit seiner objektiven Lebensrealität.<br />

Ein weiterer plausibler Gr<strong>und</strong> für <strong>Cruise</strong>’ Glauben an<br />

<strong>Scientology</strong> findet sich sowohl in seinem Charakter als<br />

auch in dem von ihm gewählten Beruf begründet. Das<br />

Ethos von <strong>Scientology</strong> passte sehr gut zu seiner eigenen<br />

Persönlichkeit. Pragmatisch, dogmatisch, kontrollierend<br />

<strong>und</strong> abgeschirmt – all <strong>die</strong>se Eigenschaften passen<br />

sowohl auf <strong>die</strong> Sekte als auch auf <strong>Tom</strong> selbst. So<br />

wie der fre<strong>und</strong>liche <strong>und</strong> lächelnde Gesichtsausdruck<br />

des Schauspielers <strong>und</strong> Vertreters der Sekte eine Barriere<br />

gegen weitere Ermittlungen bildet, so verbirgt<br />

sich zugleich hinter der weichen Fassade auch ein<br />

gr<strong>und</strong>legendes Misstrauen gegenüber der Welt da<br />

draußen.<br />

Zudem spricht der Schauspieler erstaunlich gut auf<br />

<strong>die</strong> Lehren der <strong>Scientology</strong> an. Die Beratungssitzungen<br />

im Einzelgespräch schmeicheln seinen schauspielerischen<br />

Fähigkeiten, da <strong>die</strong> Klienten dabei aufgefordert<br />

werden, ihr Leben in dramatisierter Form darzustellen<br />

<strong>und</strong> vergangene Ereignisse szenisch durchzuspielen,<br />

um sie zu analysieren. Für all jene, <strong>die</strong> in Bereichen<br />

arbeiten, in denen sich alles um sie selbst dreht, ist<br />

<strong>die</strong> Vorstellung, einem Glauben zu folgen, bei dem das<br />

Objekt der Verehrung <strong>und</strong> Anbetung das eigene Selbst<br />

ist <strong>und</strong> der Mensch zu seinem eigenen Gott wird,<br />

ziemlich attraktiv. <strong>Scientology</strong> pflegt das Ego, während<br />

es den Geldbeutel leert.<br />

-164-


Die Schauspielerei ist, wie etwa auch <strong>die</strong> Tätigkeit als<br />

Model, nicht nur sehr stark von dem Ego der jeweiligen<br />

Person getrieben; <strong>die</strong>ses Gewerbe produziert immer<br />

auch ein Gefühl nagender Unsicherheit. Egal, wie<br />

erfolgreich ein Künstler ist, er leidet immer unter<br />

Versagensangst – unter der Angst, vor den Augen eines<br />

schadenfrohen <strong>und</strong> unbarmherzigen Publikums<br />

vom Hochseil seiner Darstellung herunterzufallen. Zu<br />

Beginn seiner Karriere kompensierte <strong>Tom</strong> <strong>die</strong>se Angst<br />

durch ein unermüdliches Engagement für seinen Beruf.<br />

<strong>Der</strong> Autorin Jennet Conant erzählte er: »Anfangs hatte<br />

ich immer Angst: >Das ist meine einmalige Chance.<br />

Ich werde sie nicht nützen können, daher muss ich<br />

arbeiten, arbeiten <strong>und</strong> noch mal arbeiten< Die ersten<br />

zehn Jahre ging das so.«<br />

In dem Maß, wie sich erfolgreiche Hollywoodstars mit<br />

einem Hofstaat von Claqueuren umgeben, um damit<br />

ihre Unsicherheiten zu kompensieren <strong>und</strong> ihr Selbstwertgefühl<br />

zu erhöhen, »bombar<strong>die</strong>rt« <strong>Scientology</strong> sie<br />

mit »Liebe«, lobt <strong>und</strong> verwöhnt sie, wenn sie erst mal<br />

in <strong>die</strong> Fänge der Sekte geraten sind, um sie von der<br />

Unbill der Außenwelt abzuschirmen. Besonders fördert<br />

man bei den Prominenten ihr angeborenes Misstrauen<br />

gegen <strong>die</strong> Massenme<strong>die</strong>n.<br />

Für <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>, der im Mittelpunkt der Hysterie<br />

stand, <strong>die</strong> sich nach dem Film Top Gun entwickelte,<br />

war das eine verlockende Aussicht, besonders da der<br />

junge Schauspieler immer danach getrachtet hatte,<br />

irgendwo akzeptiert zu werden <strong>und</strong> dazuzugehören.<br />

Dustin Hoffman, der damals gerade versuchte, <strong>Cruise</strong><br />

für einen Film zu gewinnen, an dessen Entwicklung er<br />

gerade arbeitete – er handelte von einem Autisten, der<br />

eine Beziehung zu seinem jüngeren Bruder aufbaut –,<br />

konnte <strong>die</strong>se Charaktereigenschaft an dem jungen<br />

Mann beobachten. Nachdem sie zusammen Rain Man<br />

gedreht hatten, bemerkte Hoffman: »Ich glaube, er<br />

-165-


auchte dringend eine Familie, ob es nun meine Familie<br />

war oder <strong>die</strong> der Crew.« <strong>Scientology</strong> spielt mit<br />

<strong>die</strong>sen Bedürfnissen. Einmal in der Sekte, entdecken<br />

<strong>die</strong> Prominenten <strong>die</strong> fre<strong>und</strong>liche Umarmung einer Art<br />

Instant-Familie, getragen von einer Unzahl lächelnder<br />

fröhlicher Menschen. Von dem Augenblick an, in dem<br />

sie beitreten, behandelt man <strong>die</strong> Berühmtheiten wie<br />

ganz besondere Menschen – als das, was sie glauben<br />

zu sein.<br />

Möglicherweise aber griff Hubbards Philosophie bei<br />

<strong>Cruise</strong> vor allen Dingen deswegen, weil sie dem<br />

Schauspieler, der damals erst 24 Jahre alt war, das<br />

Gefühl vermittelte, er könne das Skript seines Lebens<br />

umschreiben oder, besser gesagt, das Skript, wie er es<br />

erinnerte. J. C. Hallman, der <strong>die</strong> religiösen Randerscheinungen<br />

in Amerika für sein Buch The Devil Is a<br />

Gentleman analysierte, stellte fest: »Scientologen<br />

scheinen zu glauben, dass <strong>die</strong> Ereignisse des Lebens<br />

eine Art Drehbuch für einen selbst schreiben <strong>und</strong> dass<br />

man sich davon lösen kann, wenn man sich von der<br />

Rolle löst, <strong>die</strong> einem das Schicksal zugedacht hat.<br />

Damit zerstört man seinen eigenen Charakter. Man<br />

schreibt das Drehbuch des Lebens neu, statt <strong>die</strong> Rolle<br />

zu spielen, <strong>die</strong> das Schicksal in seinem Drehbuch für<br />

einen vorgesehen hat.« Bei einem jungen Mann, der<br />

immer wieder von schmerzhaften Erinnerungen an eine<br />

entwurzelte Kindheit geplagt war, von der Erinnerung<br />

an <strong>die</strong> Entfremdung von seinem Vater <strong>und</strong> seine<br />

Isolation, traf <strong>die</strong> Vorstellung einer Neuformulierung<br />

<strong>und</strong> Erneuerung auf starke Resonanz. »Ich dachte, ich<br />

kann es kaum erwarten, erwachsen zu werden, denn<br />

es konnte nur besser werden«, erzählte er einmal.<br />

<strong>Tom</strong> fing an, sein Leben auf der Basis von Hubbards<br />

berühmtem Satz vom moralischen Relativismus zu leben:<br />

»Wenn es für dich nicht wahr ist, dann ist es unwahr.«<br />

Langsam, fast unmerklich tauschte er seine<br />

-166-


Familie <strong>und</strong> seine Erinnerungen an eine unglückliche<br />

Vergangenheit gegen <strong>die</strong> neue, strahlende Familie der<br />

<strong>Scientology</strong> ein. Schließlich traf er irgendwann alle<br />

Entscheidungen, <strong>die</strong> kleinen wie <strong>die</strong> großen, nur mehr<br />

unter Heranziehung der Lehren der Sekte. <strong>Tom</strong> übernahm<br />

<strong>die</strong>se Philosophie dermaßen gründlich, dass er<br />

am Schluss sogar seinen Vater in den eigenartigen<br />

Worten von Hubbard beschrieb. <strong>Cruise</strong> nannte seinen<br />

Vater einmal einen »Händler des Chaos«, ein Ausdruck,<br />

den Hubbard benutzte, um alle jene zu bezeichnen<br />

– in erster Linie Journalisten, Polizisten, Politiker<br />

<strong>und</strong> Arzte –, von denen er annahm, dass sie <strong>die</strong> Außenwelt<br />

zu einem gefährlichen Ort für ihn machen<br />

würden.<br />

Es gehört zu den Ironien der Verwandlung von <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong>, dass hier ein Mann, der oft als kontrollfixiert<br />

beschrieben worden ist, letzten Endes von einer<br />

stramm doktrinären Religion, der er sich 1986 anschloss,<br />

geformt <strong>und</strong> manipuliert wird. Wie andere<br />

Prominente, <strong>die</strong> der Sekte beigetreten sind, wird alles,<br />

was sie tun, ob sie es wissen oder nicht, diskutiert, in<br />

Frage gestellt <strong>und</strong> begleitet von den Scientologen, <strong>die</strong><br />

fieberhaft im Hintergr<strong>und</strong> agieren, um sicherzustellen,<br />

dass ihr dicker Fang auch in <strong>die</strong> aus ihrer Sicht richtige<br />

Richtung schwimmt. »Diese Berühmtheiten hatten nie<br />

eine Ahnung, was für ein Krake sich da in ihr Leben<br />

eingemischt hat«, bemerkt eine ehemaliger Mitarbeiter<br />

des Celebrity Centre. Man übertreibt wohl nicht, wenn<br />

man sagt, dass sie ab dem Moment, in dem sie <strong>Scientology</strong><br />

beitreten, dabei sind, in einer Variante der<br />

Truman Show mitzuspielen, <strong>die</strong> allerdings im echten<br />

Leben stattfindet. In <strong>die</strong>sem Film von Peter Weir aus<br />

dem Jahr 1998 mit Jim Carrey in der Hauptrolle geht<br />

es um einen Mann, der nicht merkt, dass sein Leben<br />

eigentlich eine sorgfältig geplante Reality-Show im<br />

Fernsehen ist.<br />

-167-


<strong>Tom</strong>s Entscheidung, <strong>Scientology</strong> beizutreten, stellte<br />

sich später als der wohl umstrittenste Schritt seines<br />

Lebens dar; damals stand er aber im Zusammenhang<br />

seiner sich entwickelnden Nähe zu der Scientologin<br />

Mimi Rogers. Die wichtigste Entscheidung für <strong>Tom</strong><br />

war, sie zu fragen, ob sie ihn heiraten wolle. Dies war<br />

wohl nicht <strong>die</strong> romantischste Erklärung seines Lebens,<br />

wie Mimi sich später erinnerte: »Er tat nichts Spektakuläres,<br />

fiel nicht vor mir auf <strong>die</strong> Knie oder so was.<br />

Es passierte, einfach so.« Vielleicht hatten sie noch<br />

den Auflauf in Erinnerung, den <strong>die</strong> Hochzeit seines<br />

Fre<strong>und</strong>es Sean Penn ausgelöst hatte, <strong>und</strong> daher erzählten<br />

sie niemandem außerhalb des engsten Familienkreises<br />

von ihrer Entscheidung. Selbst seine Pressesprecherin<br />

Andrea Jaffe war nicht informiert. Die<br />

Hochzeit war eine einfache Zeremonie ohne viel<br />

Drumherum. Barfuß <strong>und</strong> in Jeans wurden sie am 9.<br />

Mai 1987 getraut, in einer einfachen, nicht scientologischen,<br />

sondern unitarischen Zeremonie, <strong>die</strong> in ihrem<br />

gemieteten Haus im B<strong>und</strong>esstaat New York stattfand.<br />

Seine Schwester backte einen Hochzeitskuchen <strong>und</strong><br />

stellte ihn kalt, sein Fre<strong>und</strong> Emilio Estevez, der sich<br />

damals schon von Demi Moore getrennt hatte, war<br />

Trauzeuge, <strong>und</strong> seine Mutter Mary Lee South vergoss<br />

<strong>die</strong> obligatorischen Tränen <strong>und</strong> bezeichnete <strong>die</strong> Zeremonie<br />

als »intim <strong>und</strong> schön«.<br />

Bei den nur etwa fünfzehn Gästen fehlten im engeren<br />

Kreis Paul Newman <strong>und</strong> seine Frau Joan Woodward,<br />

<strong>die</strong> in Cannes waren <strong>und</strong> dort <strong>die</strong> Verfilmung von Tennessee<br />

Williams Stück Die Glasmenagerie vorstellten.<br />

Woodward <strong>und</strong> Newman hatten von den Hochzeitsplänen<br />

erst wenige Woche vorher erfahren, als <strong>die</strong><br />

beiden Paare in dem schicken Fischrestaurant Wilkinson’s<br />

Seafood Cafe an der Upper East Side von New<br />

York zusammen gegessen hatten, um Newmans Oscar<br />

als bester Darsteller für seine Rolle des Fast Eddi Fel-<br />

-168-


son in Die Farbe des Geldes zu feiern. Newmans Auftritt<br />

auf der Rennstrecke, ein paar Tage nach der<br />

Hochzeit von <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Mimi, war weniger erinnerungswürdig.<br />

<strong>Tom</strong> stand am Rand der Strecke <strong>und</strong> sah<br />

zu, wie sein Fre<strong>und</strong> <strong>die</strong> Kontrolle über seinen Nissan<br />

verlor <strong>und</strong> im Riverside International Speedway in <strong>die</strong><br />

Leitplanke krachte. Ein schrecklich langer Moment voller<br />

Anspannung verging, bevor Newman aus dem<br />

Fenster des Wagens stieg <strong>und</strong> sich von dem Wrack<br />

entfernte.<br />

Dieser Vorfall hatte keinen Einfluss auf <strong>Tom</strong>s Liebe<br />

für sein neues Hobby, aber in den ersten Monaten seines<br />

Ehelebens hatte er wenig Zeit für Autorennen –<br />

oder für seine Braut. Die beiden frisch Vermählten<br />

gingen geradewegs zurück an <strong>die</strong> Arbeit. Mimi legte<br />

letzte Hand an den Film <strong>Der</strong> Mann im Hintergr<strong>und</strong>,<br />

einen erotischen Krimi mit <strong>Tom</strong> Berenger in der männlichen<br />

Hauptrolle, unter der Regie von Ridley Scott,<br />

mit dem <strong>Tom</strong> ein paar Jahre zuvor Legende gedreht<br />

hatte. Sie setzte große Hoffnungen darauf, dass <strong>die</strong>ser<br />

Film ihr zum Durchbruch verhelfen würde.<br />

Während Mimi immer noch auf dem steilen Weg zum<br />

Erfolg auf den Gipfeln von Hollywood schwitzte, war<br />

<strong>Tom</strong> bereits ganz oben angekommen. In den Monaten<br />

nach seiner Hochzeit versuchte er sich an der Quadratur<br />

des künstlerischen Kreises. Er stieg bei drei Filmen<br />

ein, was sich nicht nur auf seinem Bankkonto bemerkbar<br />

machte, sondern ihm auch <strong>die</strong> Anerkennung als<br />

Schauspieler einbrachte. Auf einer Reise, <strong>die</strong> ihn mitten<br />

in sein Wesen als Mensch <strong>und</strong> Schauspieler führte,<br />

flog er von Jamaica <strong>und</strong> den Philippinen zurück nach<br />

New York, Cincinnati, Oklahoma <strong>und</strong> in seinen Heimatstaat<br />

Kentucky. Das war zwar nicht <strong>die</strong> beste Art, eine<br />

Ehe am Laufen zu halten, dafür gabelte er unterwegs<br />

einen neuen Bruder auf.<br />

-169-


Als <strong>Tom</strong> einige Jahre zuvor <strong>die</strong> Schauspiellegende<br />

Dustin Hoffman in New York getroffen hatte, wurde für<br />

ihn ein Traum Wirklichkeit. Als <strong>Tom</strong> neu in Hollywood<br />

war, war er mit seinem Fre<strong>und</strong> Sean Penn am Haus<br />

von Dustin Hoffman in Beverly Hills vorbeigefahren,<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> beiden forderten sich gegenseitig auf, an seiner<br />

Tür zu klingeln. Aber keiner von beiden traute<br />

sich. Als Hoffman ihm zwei Karten für seinen Auftritt in<br />

Arthur Millers Stück <strong>Der</strong> Tod eines Handlungsreisenden<br />

am Broadway anbot, brauchte er <strong>Tom</strong> nicht<br />

zweimal zu bitten. Nach der Aufführung ging er hinter<br />

<strong>die</strong> Bühne <strong>und</strong> unterhielt sich über drei St<strong>und</strong>en mit<br />

dem altge<strong>die</strong>nten Schauspieler in dessen Garderobe.<br />

»Da war etwas zwischen uns«, erinnerte sich Hoffman<br />

später. »Es war, als gehörte er zur Familie. Er behandelte<br />

mich wie seinen älteren Bruder.« Während ihrer<br />

Unterhaltung stellten sie eine Reihe von Gemeinsamkeiten<br />

fest. »Keiner von uns beiden hatte eine<br />

glückliche Kindheit«, erinnerte sich Hoffman, »als wären<br />

wir aus dem selben Elternhaus gekommen.« Auch<br />

<strong>die</strong> Entwicklung ihrer Karriere zeigte erstaunliche Parallelen.<br />

Zehn Jahre zuvor war Hoffman mit dem Film<br />

Die Reifeprüfung über Nacht zum <strong>Star</strong> geworden,<br />

ebenso wie <strong>Cruise</strong> mit Top Gun. Nach ihrem spätabendlichen<br />

Tête-á-Tête ging Hoffman nach Hause <strong>und</strong><br />

erzählte seiner Frau von der »eigenartigen Verbindung«,<br />

<strong>die</strong> er zu <strong>die</strong>sem jüngeren Mann empfand.<br />

Geschwisterliche Beziehungen hin oder her, <strong>Tom</strong> fiel<br />

Hoffman nicht sofort ein, als er über <strong>die</strong> Besetzung der<br />

Rollen in seinem neuesten Film diskutierte. <strong>Der</strong> Film<br />

mit dem Titel Rain Man erzählt <strong>die</strong> Geschichte von<br />

zwei Brüdern; Charlie Babbit ist ein normaler Geschäftsmann,<br />

der hinter dem Geld her ist, während<br />

sein älterer Bruder Raymond, ein autistischer Savant,<br />

<strong>die</strong> meiste Zeit seines Lebens in einer geschlossenen<br />

Einrichtung verbracht hat. Zum ersten Mal treffen sie<br />

-170-


sich richtig nach dem Tod ihres Vaters, der Raymond<br />

alles vererbt hat. Das veranlasst Charlie, sich auf <strong>die</strong><br />

Suche nach seinem seit langem verloren geglaubten<br />

Bruder zu machen, anfangs in der Absicht, ihn übers<br />

Ohr zu hauen. Während ihrer gemeinsamen Fahrt, bei<br />

der sie unter anderem dank Raymonds phänomenalem<br />

Gedächtnis in Las Vegas am Spieltisch gewinnen, hat<br />

Charlie eine Offenbarung <strong>und</strong> lernt, seinen Bruder zu<br />

lieben – <strong>und</strong> damit auch sich selbst.<br />

Ursprünglich hatte Hoffman an Jack Nicholson für <strong>die</strong><br />

Rolle des dauernd quasselnden <strong>und</strong> hochstaplerischen<br />

Bruders gedacht, später dann hatte er Bill Murray im<br />

Auge. Es war Michael Ovitz, der Chef von Creative Artists,<br />

der größten Agentur in Hollywood, der <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> ins Spiel brachte, nicht nur, weil der jünger <strong>und</strong><br />

ein Kassenmagnet war, sondern weil sowohl <strong>Tom</strong> als<br />

auch Dustin bei ihm unter Vertrag standen. Wie in Die<br />

Farbe des Geldes war das für <strong>Tom</strong> eine Chance, mit<br />

einem Menschen zu arbeiten, den er sowohl respektierte<br />

als auch mochte, <strong>und</strong> dabei zugleich einen Film<br />

zu drehen, der ihn als Schauspieler herausforderte.<br />

Die Herausforderung bestand darin, beim Publikum<br />

Sympathie für einen eigentlich eher ziemlich widerlichen<br />

Typen zu wecken.<br />

Im September 1987, gerade mal drei Monate nach<br />

seiner Hochzeit mit Mimi, war <strong>Tom</strong> der Nachbar von<br />

Dustin Hoffman geworden. Er hatte ein Haus am<br />

Strand von Malibu gemietet, direkt neben dem Wohnsitz<br />

des legendären Schauspielers, so dass <strong>die</strong> beiden,<br />

zusammen mit dem Drehbuchautor Ron Brass <strong>und</strong><br />

dem Regisseur Steven Spielberg, an Rain Man arbeiten<br />

konnten.<br />

Sowohl Hoffman als auch <strong>Cruise</strong> stürzten sich mit der<br />

ihnen eigenen Ernsthaftigkeit in <strong>die</strong> Vorbereitungen,<br />

<strong>Tom</strong> nahm sich nur ein paar Tage im Oktober frei, um<br />

seine Frau zur Premiere von <strong>Der</strong> Mann im Hinter-<br />

-171-


gr<strong>und</strong> zu begleiten, der gemischte Kritiken erhielt.<br />

Dann kehrte er wieder zu Hoffman zurück. Im Verlauf<br />

ihrer Reise konsultierten sie medizinische Experten in<br />

San Diego <strong>und</strong> an der Ostküste <strong>und</strong> verbrachten viel<br />

Zeit mit Menschen, <strong>die</strong> unter Autismus litten, von denen<br />

einige über erstaunliche Fähigkeiten verfügten<br />

<strong>und</strong> zum Beispiel mathematische Probleme schneller<br />

als ein Computer lösen konnten. Die Filmstars gingen<br />

mit ihnen zum Essen; sie lachten gemeinsam mit ihnen,<br />

nahmen sie mit zum Bowling <strong>und</strong> lernten ihre<br />

Familien kennen. Am Schluss war Hoffman in der Lage,<br />

<strong>die</strong> Gestik <strong>und</strong> Mimik eines typischen Autisten<br />

nachzuahmen – bis hin zur Vermeidung des Augenkontakts.<br />

Schwierigkeiten ergaben sich aus der spezifischen<br />

Natur <strong>die</strong>ser Störung, <strong>die</strong> eine große künstlerische<br />

Herausforderung darstellt. Die ersten drei in Frage<br />

kommenden Regisseure hatten alle <strong>die</strong> Vorstellung,<br />

dass sich eine Figur im Lauf des Films entwickeln sollte,<br />

<strong>und</strong> fanden <strong>die</strong> versteinerte Unwandelbarkeit der<br />

Autisten verwirrend. Eine Hauptfigur, <strong>die</strong> sich während<br />

des ganzen Films nicht verändert – <strong>und</strong> nicht einmal<br />

Augenkontakt herstellt –, war für sie ein Problem. Einer<br />

der Regisseure, Martin Brest, schmiss nach endlosen<br />

Kontroversen mit Hoffman, der ein eingefleischter<br />

Perfektionist war, den Kram hin. Brest war der Meinung,<br />

dass es verkehrt wäre, wenn <strong>die</strong> von Hoffman<br />

gespielte zentrale Figur Raymond Babbitt erst nach<br />

fünfzehn Minuten zum ersten Mal auf der Leinwand<br />

auftauchen würde. »Mein Gott, <strong>Tom</strong> ist der größte <strong>Star</strong><br />

auf der Welt. Er kann einen Film über <strong>die</strong> ganze Zeit<br />

hinweg zusammenhalten«, entgegnete Hoffman. <strong>Der</strong><br />

Nächste war Steven Spielberg, der von dem <strong>Projekt</strong><br />

aber wieder Abstand nahm, weil er eine Fortsetzung<br />

von Jäger des verlorenen Schatzes drehen wollte.<br />

Er gab alle seine Aufzeichnungen an den Regisseur<br />

-172-


weiter, der den Film dann letztendlich machte, Barry<br />

Levinson. Von ihm stammen Filme wie Tin Men <strong>und</strong><br />

Good Morning, Vietnam. Bevor Spielberg ging, sagte<br />

er zu Levinson, der Film würde 100 Millionen Dollar<br />

einspielen.<br />

Zuerst aber musste er gedreht werden. Wie <strong>Tom</strong> nun<br />

feststellen musste, gibt es so etwas wie eine grüne<br />

Welle in Hollywood nicht, <strong>und</strong> lange Zeit sah es so aus,<br />

als würde das <strong>Projekt</strong> in den Schwierigkeiten der Vorbereitung<br />

steckenbleiben. Also flog er zurück nach<br />

New York <strong>und</strong> ertränkte seinen Ärger in den Bars von<br />

Manhattan. Er arbeitete sogar als Barkeeper <strong>und</strong> lernte,<br />

unter den aufmerksamen Blicken des Barmanns<br />

John »JB« Bandy, wie man einen perfekten Martini<br />

mixt. In nur wenigen Wochen besuchte er über 34<br />

Bars <strong>und</strong> lernte dabei sein neues Handwerk – mit dem<br />

Versprechen, am Zahltag mit einer Gage von drei Millionen<br />

Dollar für eine maximale Arbeitszeit von drei<br />

Monaten nach Hause zu gehen. Ein guter Job für den,<br />

der ihn kriegt. Sein neues Leben, das er mit Säufern<br />

<strong>und</strong> Kneipenhockern verbrachte, war ein Teil seiner<br />

Vorbereitungen auf einen Film, den Disney produzierte,<br />

Cocktail, für den er zugesagt hatte, bis <strong>die</strong> Probleme<br />

mit der Produktion von Rain Man ausgebügelt<br />

waren.<br />

In Cocktail spielt <strong>Tom</strong> einen ehemaligen Soldaten,<br />

der nach New York kommt, um Geld zu ver<strong>die</strong>nen, <strong>und</strong><br />

dann in einer Bar landet, wo er zusammen mit dem<br />

Australier Bryan Brown arbeitet. Die beiden geraten<br />

wegen einer Frau in Streit, <strong>die</strong> von Elisabeth Shue gespielt<br />

wird. Am Schluss endet ihre Suche nach dem<br />

schnellen Geld – <strong>und</strong> reichen Frauen – in einer Tragö<strong>die</strong><br />

– eine passende Metapher auf <strong>die</strong> »Gier ist gut«-<br />

Mentalität der achtziger Jahre. Während <strong>Tom</strong> in Jamaika<br />

<strong>und</strong> an anderen Orten drehte, machte er mit<br />

der unangenehmen Seite des Ruhms Bekanntschaft.<br />

-173-


In den Klatschspalten der amerikanischen Boulevardpresse<br />

spekulierte man, der frisch verheiratete <strong>Star</strong><br />

habe eine Affäre mit Elisabeth Shue. Tatsache war,<br />

dass Shue, <strong>die</strong> in Harvard stu<strong>die</strong>rt hatte, sich fragte,<br />

was sie in einem dermaßen »leeren <strong>und</strong> oberflächlichen«<br />

Film machte. Die Gerüchte über <strong>die</strong> Affäre bezeichnete<br />

sie als eine der »dümmsten Geschichten«,<br />

<strong>die</strong> man je über sie erzählt hatte, <strong>und</strong> meinte dazu:<br />

»Wenn ich gewusst hätte, dass es hier nur um <strong>die</strong>se<br />

Jungs geht, <strong>die</strong> mit Drinks um sich schmeißen, hätte<br />

ich mir vielleicht noch mal überlegt, ob ich da mitmache.«<br />

Während der Film, wie <strong>Tom</strong>s Agentin Paula Wagner<br />

es formulierte, von den Kritikern »ausgeweidet« <strong>und</strong><br />

als ein Cocktail emotionaler Klischees bezeichnet wurde,<br />

zeigte er dennoch <strong>Tom</strong>s <strong>Star</strong>qualitäten. Er ging<br />

nicht nur keinen Cent von seinem vereinbarten Honorar<br />

in Höhe von drei Millionen Dollar herunter, was<br />

Einsparungen bei der Produktion <strong>und</strong> der Besetzung<br />

erforderlich machte; der Film war darüber hinaus,<br />

trotz der kritischen Reaktion der Presse, ein Kassenschlager<br />

<strong>und</strong> brachte es auf den siebten Platz der erfolgreichsten<br />

Filme des Jahres 1988. »Gratuliere, du<br />

kannst jetzt jedem Film zum Durchbruch verhelfen«,<br />

meinte ein hocherfreuter Jeffrey Karzenberg, Leiter<br />

der Disney Studios. Es war der größte Premierenerfolg<br />

in der Geschichte von Disney, <strong>und</strong> ein Einspielergebnis<br />

von 11,8 Millionen Dollar am Eröffnungstag ist der Beweis<br />

dafür, dass ein großer Name auch einen schlechten<br />

Film tragen kann. Zwar war <strong>Tom</strong> damals nicht<br />

sonderlich von dem Ganzen angetan, aber es war<br />

dennoch eine Schlüsselszene in seiner Hollywoodkarriere.<br />

<strong>Tom</strong> hatte jedoch kaum Zeit, über einen einzuschlagenden<br />

Karriereweg nachzudenken. Kaum hatte er<br />

den Cocktail-Shaker aus der Hand gelegt, war er<br />

-174-


schon bei den Proben zu Rain Man, für den <strong>die</strong> Dreharbeiten<br />

im Mai 1988 endlich begannen. Das bedeutete,<br />

dass <strong>Tom</strong> seinen ersten Hochzeitstag verpasste<br />

<strong>und</strong> auch an seinem sechs<strong>und</strong>zwanzigsten Geburtstag<br />

<strong>und</strong> bei der Premiere von Cocktail im Juli anderweitig<br />

beschäftigt war. Die verpasste Premiere war angesichts<br />

der Kritiken kein allzu großer Verlust. Es bedeutete<br />

aber auch, dass er zu sehr mit den Dreharbeiten<br />

beschäftigt war, um sich besonders über <strong>die</strong> Geschichten<br />

in der Boulevardpresse aufzuregen, wo man<br />

munkelte, Mimi fände es schwierig, schwanger zu<br />

werden. Die Tatsache, dass <strong>die</strong> beiden hart arbeiteten,<br />

<strong>und</strong> das oft in unterschiedlichen Teilen der Welt, wurde<br />

geflissentlich übersehen. Solche kleinen Ärgernisse<br />

waren ein geringer Preis, den <strong>Cruise</strong> gerne zahlte,<br />

wenn er dafür an der Seite von Hoffman vor der Kamera<br />

stehen konnte. Wie bei der anfänglichen Zusammenarbeit<br />

mit Paul Newman hegte er auch hier<br />

Zweifel an seiner eigenen Fähigkeit <strong>und</strong> fragte sich, ob<br />

er bei der Leinwandpräsenz des Älteren mithalten<br />

könnte. Er sah sich als Schüler, Hoffman als seinen<br />

Lehrer. »Ich war mir nicht klar, ob ich in <strong>die</strong>ser Liga<br />

überhaupt antreten konnte. Ich war ziemlich aufgeregt,<br />

überhaupt dabei zu sein.«<br />

Wie bei den Dreharbeiten zu Die Farbe des Geldes<br />

schuf <strong>die</strong> emotionale Chemie zwischen den beiden<br />

Hauptdarstellern <strong>und</strong> <strong>die</strong> sanfte Kreativität des Regisseurs<br />

Barry Levinson eine angenehme Atmosphäre, in<br />

der jedoch alle hart arbeiteten. »Ich konnte es morgens<br />

gar nicht erwarten aufzustehen, <strong>und</strong> abends hätte<br />

ich am liebsten immer weitergemacht«, erinnert<br />

sich <strong>Tom</strong>, der den Tag morgens um halb fünf mit<br />

Gymnastik begann. »In gewisser Weise war er da wie<br />

eine Maschine«, kommentierte Hoffman <strong>die</strong>ses Verhalten.<br />

»Es macht große Freude, wenn man etwas Exzellentes<br />

schafft. Es geht immer nur um <strong>die</strong> Arbeit.«<br />

-175-


Die Arbeit zahlte sich trefflich aus, künstlerisch wie<br />

finanziell. Rain Man spielte über 400 Millionen Dollar<br />

ein, <strong>und</strong> -auch das eine Premiere – <strong>Tom</strong> erhielt eine<br />

Erfolgsbeteiligung an den Profiten, <strong>die</strong> am Ende errechnet<br />

wurden, sowie eine Gage von fünf Millionen<br />

Dollar. Das war zumindest ein kleiner Trost dafür, dass<br />

er nicht für den Oscar nominiert wurde. Die Mitglieder<br />

der Filmakademie waren offensichtlich von seiner Darstellung<br />

des nassforschen Draufgängers, der am Ende<br />

des dritten Aktes zum bekehrten Egomanen wird, nicht<br />

sonderlich angetan. Den Zuschauern aber gefiel es<br />

<strong>und</strong> ebenso einigen Kritikern. Roger Ebert beschrieb<br />

ihn als einen »wahren <strong>Star</strong> <strong>und</strong> wahren Schauspieler«,<br />

obwohl nicht alle dermaßen beeindruckt waren. Die<br />

ebenso einflussreiche wie ätzende Filmkritikerin Pauline<br />

Kael bezeichnete ihn als »ein Gebrauchsmuster«:<br />

»Sein Wissen, dass eine Kamera auf ihn gerichtet ist,<br />

produziert nichts als Falschheiten.« Auch sein Partner<br />

auf der Leinwand kam nicht besser weg, Hoffmans<br />

Darstellung sei eine »Aufführung mit nur einer Note«.<br />

Diese Note aber fand Anklang bei den Juroren der Oscarverleihung;<br />

sein schräger Auftritt brachte ihm <strong>die</strong><br />

Auszeichnung »Bester Darsteller« ein. <strong>Der</strong> Film erhielt<br />

darüber hinaus weitere Oscars für »Beste Regie«,<br />

»Bestes Drehbuch« <strong>und</strong> »Bester Film«.<br />

Zwar mag es im Rückblick so scheinen, als sei <strong>Tom</strong>s<br />

Karriere eine Abfolge sorgfältig geplanter Schritte, aber<br />

in Wahrheit spielte der Zufall eine große Rolle, ebenso<br />

wie der Einfluss seiner Agentur Creative Artists.<br />

Hätte es zum Beispiel nicht <strong>die</strong> Verzögerung <strong>und</strong> Unsicherheit<br />

hinsichtlich der Produktion von Rain Man gegeben,<br />

hätte er nicht <strong>die</strong> Zeit gehabt, in Cocktail aufzutreten,<br />

dem Film, der seinen Ruf als Schauspieler<br />

festigte, allein einem Film zum Erfolg verhelfen zu<br />

können. <strong>Tom</strong> hätte dann auch nicht seinen nächsten<br />

Film Geboren am 4. Juli 1989 bewältigen können –<br />

-176-


ein <strong>Projekt</strong>, das seit einem Jahrzehnt durch Hollywood<br />

geisterte. Er hätte sich vermutlich nicht einmal das<br />

Drehbuch angeschaut, wäre er nicht bei derselben Agentur<br />

wie der Regisseur Oliver Stone gewesen oder<br />

hätte nicht <strong>Tom</strong> Pollock, der Chef von Universal Pictures,<br />

eingewilligt, 14 Millionen vorzuschießen, weil er<br />

der Meinung war, hier handle es sich um eines »der<br />

großen nicht realisierten Stücke der letzten zehn Jahre«.<br />

Auf den ersten Blick war <strong>die</strong> wahre Geschichte von<br />

Ron Kovic, einem unbedarften jungen Patrioten aus<br />

Long Island, der sich während eines Gefechts in Vietnam<br />

eine Wirbelsäulenverletzung zuzieht <strong>und</strong> im Rollstuhl<br />

nach Hause zurückkehrt, wo er nur auf Indifferenz<br />

trifft, bereits weit über ihr Ablaufdatum hinaus.<br />

Nicht nur, dass Hollywood <strong>die</strong> Thematik bereits abgedreht<br />

hatte – Oliver Stones eigener Vietnamfilm Platoon<br />

hatte den Preis »Bester Film« im Jahr 1987 gewonnen<br />

–, auch <strong>die</strong> Welt hatte sich weiterentwickelt.<br />

<strong>Der</strong> Kalte Krieg näherte sich seinem Ende – <strong>die</strong> Berliner<br />

Mauer fiel im Dezember 1989 –, <strong>und</strong> eine neue<br />

Generation von Kinobesuchern kannte Vietnam nur<br />

noch als ein historisches Ereignis wie den Zweiten<br />

Weltkrieg aus den Geschichtsbüchern. <strong>Tom</strong> aber war<br />

von der Idee angetan, nicht nur wegen der darstellerisch<br />

stark reduzierten menschlichen Geschichte, <strong>die</strong><br />

seine schauspielerischen Fähigkeiten herausforderte,<br />

sondern auch aus einer eigenartigen Neugier heraus<br />

hinsichtlich des Schicksals <strong>die</strong>ses Films. Er hatte am 3.<br />

Juli Geburtstag, einen Tag vor besagtem 4. Juli, aber<br />

was ihm wichtiger war: Al Pacino, sein großes Vorbild<br />

als Schauspieler, war zehn Jahre zuvor für <strong>die</strong> Titelrolle<br />

vorgeschlagen worden, bevor <strong>die</strong> Produktion eingestellt<br />

wurde, weil <strong>die</strong> Mittel nicht aufgestellt werden<br />

konnten. Zwar war er gerade mit den Vorbereitungen<br />

für Rain Man beschäftigt, aber er war bereit, Oliver<br />

-177-


Stone im Januar 1988 in einem New Yorker Restaurant<br />

zu treffen. Stones leidenschaftliche Intensität hypnotisierte<br />

nicht zum ersten Mal einen Schauspieler <strong>und</strong><br />

überzeugte ihn von der Rolle, <strong>die</strong> man ihm antrug. Am<br />

Ende des Essens war <strong>Tom</strong> ebenso von der Rolle des<br />

Ron Kovic überzeugt wie Stone von <strong>Tom</strong>. »Ich habe<br />

mich für <strong>Tom</strong> entschieden, weil er derjenige war, der<br />

ihm von seiner Haltung am nächsten kam«, erinnerte<br />

sich Stone später. »Sie hatten beide <strong>die</strong> gleiche Energie,<br />

den gleichen Hunger nach Erfolg. Sie wollten <strong>die</strong><br />

Besten sein, wollten etwas beweisen. Wie Ron auch,<br />

ist <strong>Tom</strong> ein sehr dichter Typ.«<br />

Die Folge war, dass <strong>Tom</strong>, kaum dass es grünes Licht<br />

für Rain Man gegeben hatte, sich auf zwei sehr anspruchsvolle<br />

Rollen parallel vorbereiten musste, <strong>und</strong><br />

am Schluss arbeitete er morgens mit Dustin Hoffman<br />

<strong>und</strong> Barry Levinson <strong>und</strong> traf Stone <strong>und</strong> Ron Kovic dann<br />

am Nachmittag. Sein Terminkalender war dermaßen<br />

vollgepackt, dass Paul Newman ihm ein Sixpack Bier<br />

schickte mit der Nachricht, er möge sich doch bitte ein<br />

wenig ausruhen <strong>und</strong> entspannen <strong>und</strong> ein Wochenende<br />

Auszeit nehmen. Das ging aber nicht. <strong>Der</strong> Takt der<br />

Dreharbeiten war erbarmungslos, <strong>und</strong> Stone, der zehn<br />

frustrierende Jahre lang vergeblich versucht hatte, <strong>die</strong><br />

Geschichte auf <strong>die</strong> Leinwand zu bringen, war verständlicherweise<br />

nervös, dass das für seinen Hauptdarsteller<br />

alles zu viel werden könnte. Er rief <strong>Tom</strong> immer wieder<br />

an, weil er fürchtete, er könnte abspringen. »Du<br />

kriegst von mir alles, was ich geben kann«, sagte ein<br />

völlig erschöpfter <strong>Tom</strong> ihm zu guter Letzt.<br />

Ron Kovic war sich da weniger sicher. Was für <strong>Tom</strong><br />

eine schauspielerische Herausforderung <strong>und</strong> für den<br />

Regisseur Oliver Stone, der selbst in Vietnam gewesen<br />

war, eine »heilige Mission« war, war für ihn, Ron Kovic,<br />

sein Leben. Seine ursprüngliche Skepsis legte sich<br />

jedoch, als <strong>Tom</strong> ihn zum ersten Mal zu Hause in Los<br />

-178-


Angeles besuchte. Als er vor dem Haus vorgefahren<br />

war, zog er sich langsam aus dem Wagen <strong>und</strong> setzte<br />

sich in einen Rollstuhl – ein klares Zeichen, dass er<br />

das ganze Unternehmen sehr ernst nahm. Während<br />

sie in der Küche saßen, überzeugte <strong>Tom</strong> Kovic, dass er<br />

ernsthaft vorhatte, ihn in einer verständnisvollen <strong>und</strong><br />

sympathischen Weise zu porträtieren. Kovic erinnert<br />

sich, wie er <strong>Cruise</strong> anschaute, der damals der amerikanische<br />

Actionheld im Kino schlechthin war, <strong>und</strong> sich<br />

dachte: »Er will durch <strong>die</strong>se Hölle gehen, <strong>und</strong> er kennt<br />

sie doch gar nicht einmal.« Ironischerweise war es<br />

<strong>Tom</strong>s Bild in der Öffentlichkeit, das ihn in <strong>die</strong>ser Rolle<br />

so stark erscheinen ließ – was Oliver Stone <strong>und</strong> der<br />

Chef von Universal, <strong>Tom</strong> Pollock, sofort erkannt hatten.<br />

Pollock erinnert sich: »Die Geschichte des Films<br />

gewinnt, wenn sie von dem jungen Wilden aus Top<br />

Gun gespielt wird. Hier erlebt nicht nur Ron <strong>die</strong>se verrückte<br />

Geschichte, es ist <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> – oder besser<br />

gesagt, unser Bild von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>.«<br />

Die meiste Zeit des Jahres verbrachte <strong>Tom</strong> damit,<br />

sich mentalen <strong>und</strong> körperlichen Torturen auszusetzen,<br />

um sich so in <strong>die</strong> Wut <strong>und</strong> <strong>die</strong> Qualen, <strong>die</strong> Kovic durchlebt<br />

hatte, hineinversetzen zu können. <strong>Tom</strong>, der gemeinhin<br />

als intensiver <strong>und</strong> fokussierter Darsteller beschrieben<br />

wurde, hatte in seinem Regisseur, der von<br />

der Geschichte völlig besessen war, seinen Meister<br />

gef<strong>und</strong>en. Zweimal schickte ihn Stone in ein Boot-<br />

Camp. »Ich wollte nicht, dass sein Cousin für ihn den<br />

Schützengraben aushebt«, sagte er im Nachhinein.<br />

Stone ermunterte seinen Hauptdarsteller <strong>die</strong> ganze<br />

Zeit, mehr über Vietnam zu lesen, sich öfters mit<br />

Kriegsveteranen zu treffen <strong>und</strong> sie in den Krankenhäusern<br />

zu besuchen, damit er <strong>die</strong> Qualen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Hilflosigkeit<br />

<strong>die</strong>ser vergessenen Helden wirklich verstehen<br />

lernte. Einmal überredete Stone <strong>Tom</strong>, sich eine Substanz<br />

spritzen zu lassen, <strong>die</strong> ihn für zwei Tage völlig<br />

-179-


paralysiert <strong>und</strong> ihm realistisch <strong>die</strong> Qualen eines ohnmächtigen,<br />

inkontinenten Mannes vor Augen geführt<br />

hätte, der im besten Mannesalter plötzlich im Rollstuhl<br />

landet. Solche geradezu ansteckenden Verrücktheiten<br />

können sich nur bei derartigen <strong>Projekt</strong>en entwickeln,<br />

<strong>die</strong> in enger leidenschaftlicher Zusammenarbeit vorangetrieben<br />

werden. Da <strong>die</strong> Gefahr bestand, dass bei<br />

<strong>die</strong>sem Experiment ein bleibender Schaden entstehen<br />

könnte, legte <strong>die</strong> Versicherungsgesellschaft ihr Veto<br />

gegen <strong>die</strong>se verrückte Idee ein – eine durchaus weise<br />

Entscheidung. Das Ganze erinnerte an <strong>die</strong> Zeit, als<br />

Dustin Hoffman den Film <strong>Der</strong> Marathon-Mann drehte<br />

<strong>und</strong> zwei Tage nicht schlief, um seine Erschöpfung<br />

besser darstellen zu können. Sein Kollege <strong>und</strong> zweiter<br />

Hauptdarsteller, der britische Schauspieler Lawrence<br />

Olivier, meinte nur lakonisch: »Versuchs als Schauspieler<br />

darzustellen… das ist einfacher.«<br />

Aber selbst ohne Medikamente lernte <strong>Tom</strong> bei seinem<br />

Leben im Rollstuhl, wie <strong>die</strong> andere, <strong>die</strong> unsichtbare<br />

Hälfte der Menschheit lebt. Es war anstrengend, unbequem<br />

<strong>und</strong> frustrierend, <strong>und</strong> am Ende des Tages war er<br />

völlig fertig. <strong>Tom</strong> ging mit Ron in Einkaufszentren <strong>und</strong><br />

Läden, um zu sehen, wie der mit seiner Behinderung<br />

umging. Einmal forderte man <strong>die</strong> beiden auf, mit ihren<br />

Rollstühlen einen Laden zu verlassen, weil <strong>die</strong>se den<br />

Gummibelag am Fußboden beschädigen würden. »Ich<br />

konnte das nicht glauben«, erinnert sich <strong>Tom</strong>. »Es gab<br />

Abende, da ging ich nach Hause <strong>und</strong> dachte mir immer,<br />

das hätte dir auch passieren können.« Wenn er<br />

Leute aus der Filmbranche oder Journalisten traf, blieb<br />

er in seiner Rolle, <strong>und</strong> <strong>die</strong> waren völlig aus dem Häuschen<br />

beim Anblick <strong>die</strong>ser Figur mit dem wilden Blick,<br />

<strong>die</strong> vor ihnen im Rollstuhl saß. Selbst zu Hause blieb er<br />

der Rolle, <strong>die</strong> er jetzt zu verkörpern hatte, verhaftet.<br />

Abends schaute ihm seine Frau zu, wie er sich aus<br />

dem Rollstuhl langsam ins Bett quälte. Es war der Ehe<br />

-180-


möglicherweise nicht unbedingt <strong>die</strong>nlich, dass im Mai<br />

1989 das amerikanische Boulevardblatt The Globe<br />

berichtete – wie sich nachher herausstellte, ohne realen<br />

Hintergr<strong>und</strong> –, <strong>die</strong> schlechte Qualität von <strong>Tom</strong>s<br />

Sperma sei der Gr<strong>und</strong> für Mimis ausbleibende<br />

Schwangerschaft. Diese Behauptung verfolgte <strong>Tom</strong><br />

noch lange nachdem er wieder aus dem Rollstuhl aufgestanden<br />

war, <strong>und</strong> später verklagte er erfolgreich<br />

verschiedene Blätter auf der ganzen Welt.<br />

Die dreimonatigen Dreharbeiten, <strong>die</strong> in Dallas begannen<br />

(<strong>die</strong> Kampfszenen wurden auf den Philippinen gedreht),<br />

waren so anstrengend wie <strong>die</strong> Vorbereitung.<br />

<strong>Tom</strong> rasierte sich den Kopf, verlor Gewicht <strong>und</strong> war<br />

von den Zwölfst<strong>und</strong>entagen dermaßen erschöpft, dass<br />

er manchmal einfach in Stones Armen zusammensackte.<br />

»Ich behaupte nicht, dass so etwas ges<strong>und</strong> ist, aber<br />

es war richtig <strong>und</strong> wichtig, es zu tun, <strong>und</strong> <strong>die</strong> einzige<br />

Möglichkeit, <strong>die</strong>se Rolle überhaupt zu spielen«,<br />

erzählte er später dem Regisseur Cameron Crowe. Es<br />

war, wie ihm Kovic prophezeit hatte, eine Fahrt in <strong>die</strong><br />

Hölle <strong>und</strong> wieder zurück, als <strong>Tom</strong> Szenen spielen<br />

musste, in denen er versehentlich in Vietnam einen<br />

Kameraden erschießt, <strong>die</strong> Wut auf seinen zerstörten<br />

Körper empfindet, sich seiner teilnahmslosen Familie<br />

<strong>und</strong> einer desinteressierten Nation gegenübersieht.<br />

Aus <strong>die</strong>ser Wut erwächst schließlich Kovics Engagement<br />

in der Antikriegsbewegung. <strong>Tom</strong> gestand, dass<br />

er nach <strong>die</strong>sem intensiven Prozess völlig »ausgebrannt«<br />

war. »Ich habe keine Reserven mehr«, meinte<br />

er, nachdem <strong>die</strong> letzten Schlachtenszenen auf den Philippinen<br />

abgedreht waren.<br />

Kovic jedenfalls hatte er sicherlich für sich eingenommen.<br />

Als sich <strong>die</strong> Dreharbeiten im Juli 1989 dem<br />

Ende näherten, schenkte er <strong>Tom</strong> zu seinem sieben<strong>und</strong>zwanzigsten<br />

Geburtstag den Bronze <strong>Star</strong>, einen<br />

Orden, den man ihm verliehen hatte. »Er gab ihn <strong>Tom</strong><br />

-181-


für seine Tapferkeit«, sagte Oliver Stone, »dafür, dass<br />

er in dem, was er tat, sich seiner höllischen Erfahrung<br />

in einer Art <strong>und</strong> Weise ausgesetzt hatte, wie sie<br />

schlimmer nur jene erlebt hatten, <strong>die</strong> selbst dort waren.«<br />

Es war kein Zufall, dass während der Vorbereitung<br />

auf <strong>die</strong> Rolle des Ron Kovic einer von <strong>Tom</strong>s neuen<br />

handverlesenen Begleitern von <strong>Scientology</strong> ein Vietnamveteran<br />

war. Pat Gualteri, ein empfindsamer, intelligenter<br />

Mann, hatte beim 5. Bataillon der 2. Artillerie<br />

nördlich von Saigon ge<strong>die</strong>nt <strong>und</strong> konnte als Überlebender<br />

<strong>die</strong> Geschichte erzählen, wie er <strong>und</strong> seine 180<br />

Mann starke Einheit zu Beginn der Tet-Offensive von<br />

10.000 Soldaten der regulären nordvietnamesischen<br />

Armee angegriffen wurden. Als der in Brooklyn geborene<br />

Wehrpflichtige 1968 nach Hause zurückkehrte,<br />

fand er eine Nation vor, <strong>die</strong> mit sich nicht im Reinen<br />

war, <strong>und</strong> so machte er sich auf nach Kalifornien auf<br />

der Suche nach dem Geheimnis des Lebens. Er versuchte<br />

es mit mehreren »Ismen«, bevor er bei <strong>Scientology</strong><br />

hängenblieb. Fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> beliebt, war Pat<br />

der richtige Mann für <strong>die</strong> Akquisition von <strong>Star</strong>s, denen<br />

er zusammen mit seinem Vorgesetzten Greg Wilhere<br />

<strong>die</strong> Sprache <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ideen hinter dem Glaubensbekenntnis<br />

erklärte.<br />

Langsam, vorsichtig <strong>und</strong> sanft wurde <strong>Tom</strong> in <strong>die</strong> Welt<br />

von <strong>Scientology</strong> eingeführt. Im Sommer des Jahres<br />

1989 hatten <strong>die</strong> höheren Chargen bei <strong>Scientology</strong> das<br />

Gefühl, dass es jetzt an der Zeit wäre, <strong>Tom</strong> zu ihrer<br />

geheimen <strong>und</strong> streng bewachten Gold Base mitzunehmen,<br />

<strong>die</strong> versteckt in der Wüste von Kalifornien<br />

liegt. Als er einwilligte, erklärte der neue Führer der<br />

Sekte, David Miscavige, seinen engsten Mitarbeitern<br />

fröhlich: »Wir sind dabei, uns den wichtigsten Rekruten<br />

aller Zeiten zu sichern. Seine Ankunft wird das Gesicht<br />

von <strong>Scientology</strong> für immer verändern.«<br />

-182-


6<br />

Nervös wie ein Teenager bei seinem ersten Rendezvous,<br />

tigerte David Miscavige, der junge <strong>Scientology</strong>-<br />

Führer, an einem Samstagabend im Spätsommer 1989<br />

in dem ordentlich hergerichteten Zelt auf <strong>und</strong> ab <strong>und</strong><br />

wartete ungeduldig auf seinen Gast. Obwohl er weder<br />

Kosten noch Mühen gescheut hatte, um seinen Besucher<br />

zu beeindrucken, war zur vereinbarten Ankunftszeit<br />

um 20 Uhr von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> weit <strong>und</strong> breit noch<br />

nichts zu sehen. Besorgt wurden Uhren verglichen,<br />

<strong>und</strong> als sich <strong>die</strong> Minuten zu St<strong>und</strong>en hinzogen, griffen<br />

Sektenangestellte hektisch zum Telefon. David Miscavige<br />

war ein Mann, der nicht gerne wartete. Aber er<br />

tat es <strong>und</strong> wurde immer wütender, weil sein sorgfältig<br />

ausgeheckter Plan nun nicht aufgehen würde. Als <strong>Tom</strong>,<br />

der gerade erst <strong>die</strong> Dreharbeiten von Geboren am 4.<br />

Juli abgeschlossen hatte, in Gold Base, der streng bewachten<br />

<strong>und</strong> abgeschiedenen Festung der Scientologen<br />

in der kalifornischen Wüste, eintraf, war es bereits<br />

weit nach 23 Uhr, <strong>und</strong> der Schauspieler, der von der<br />

Reise von Beverly Hills hierher erschöpft war, ging<br />

umgehend zu Bett.<br />

Er hatte einen ebenso ausgeklügelten wie seltsamen<br />

Empfang versäumt. Eigentlich hätte er mitten in der<br />

Wüste zu einem Swimmingpool mit dem Nachbau eines<br />

Dreimastschoners, der 565.000 Dollar gekostet<br />

hatte, geführt werden sollen. Miscavige <strong>und</strong> weitere<br />

hochrangige Scientologen hätten in dem tropisch wirkenden<br />

Zelt das Empfangskomitee gebildet. Zweifellos<br />

hätte man ihm, während man ihm <strong>die</strong> Seefahrtsrelikte<br />

zeigte, <strong>die</strong> Geschichte des Schiffes an Land erzählt,<br />

des <strong>Star</strong> of California, das nach den ausdrücklichen<br />

-183-


Anweisungen des Sektengründers L. Ron Hubbard gebaut<br />

wurde.<br />

Zwar hatte Hubbard während des Zweiten Weltkriegs<br />

in der amerikanischen Navy ge<strong>die</strong>nt, ohne sich besonders<br />

hervorzutun, dennoch bildete er sich ein, ein<br />

hochdekorierter Held zu sein, <strong>und</strong> steckte seine fanatischsten<br />

Anhänger, <strong>die</strong> als Sea Org bezeichnet wurden,<br />

in Marineuniformen. Diese paramilitärische Bruderorganisation<br />

war eifrig darauf bedacht, ihren Glauben<br />

zu festigen, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Mitglieder unterschrieben als<br />

Zeichen ihrer absoluten Ergebenheit Verträge über<br />

»Jahrmilliarden« – <strong>und</strong> verpflichteten sich damit, auch<br />

in den kommenden Milliarden Jahren in zukünftigen<br />

Inkarnationen für <strong>Scientology</strong> zu arbeiten. Ihrer Meinung<br />

nach waren sie gefallene Götter, Unsterbliche<br />

beziehungsweise »Thetane«, <strong>die</strong> schon seit Jahrmillionen<br />

gelebt haben <strong>und</strong> noch weitere Jahrmilliarden<br />

wiedergeboren würden.<br />

Von ihrem Schlupfwinkel in der Wüste aus, einem<br />

Ort, der so geheim gehalten wurde, dass neue Mitglieder<br />

der Sea Org mit verb<strong>und</strong>enen Augen dorthin gebracht<br />

wurden, damit sie Außenstehenden nicht verraten<br />

konnten, wo er lag, verfolgten sie ihre Mission, <strong>die</strong><br />

Weltherrschaft an sich zu reißen <strong>und</strong> ihre Feinde auszurotten.<br />

Wie Hubbard einmal schrieb: »Alle Menschen<br />

sollen meine Sklaven sein. Alle Frauen sollen meinem<br />

Charme erliegen. Die ganze Menschheit soll mir zu Füßen<br />

liegen <strong>und</strong> nicht wissen, warum sie das tut.« In<br />

Erwartung des Tages, an dem sie <strong>die</strong> Worte des Mannes,<br />

den sie als »Quelle« bezeichneten, in <strong>die</strong> Tat umsetzen<br />

konnten, lasen sie Die Kunst des Krieges des<br />

chinesischen Militärstrategen Sun Tsu <strong>und</strong> Vom Kriege<br />

des preußischen Generals Karl von Clausewitz.<br />

Nichts <strong>und</strong> niemand aus der minderwertigen »wog<br />

-184-


world« – <strong>die</strong> Bezeichnung für <strong>die</strong> Ungläubigen – durfte<br />

sich ihnen in den Weg stellen. Jedenfalls nicht in <strong>die</strong>sem<br />

Leben.<br />

Die Außenwelt stellte genau genommen eine unliebsame<br />

Ablenkung dar. Den Gläubigen wurde verboten,<br />

fernzusehen, Radio zu hören, Zeitung zu lesen, Computer<br />

zu nutzen, zu telefonieren oder auf anderem<br />

Wege mit Außenstehenden zu kommunizieren, nicht<br />

einmal mit ihren Familien. Die Sicherheitsleute öffneten<br />

sogar <strong>die</strong> Weihnachtspakete, um sich zu vergewissern,<br />

dass sie nichts enthielten, was <strong>die</strong> Mitglieder von<br />

ihrer Sache abbringen konnte. (Heute gibt es allerdings<br />

Zeitungen <strong>und</strong> im Speisesaal auch Fernsehen.)<br />

Die meisten bekennenden Scientologen hatten von<br />

Gold Base nie auch nur gehört, geschweige denn das<br />

einstige Feriengebiet unweit von Hemet, Kalifornien, je<br />

besucht. Die Organisation verschleierte den wahren<br />

Zweck absichtlich <strong>und</strong> führte das 200 Hektar große<br />

Gelände im örtlichen Telefonbuch unter dem Namen<br />

»Scottish Highlands Quietude Club«. Dass <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

in <strong>die</strong>ses innere Heiligtum eingeladen wurde, war ein<br />

Zeichen seiner Bedeutung.<br />

Es ist aufschlussreich, dass <strong>die</strong> Einladung nur <strong>Tom</strong><br />

galt, obwohl seine Frau fast ihr ganzes Leben lang<br />

Scientologin gewesen war. Das hatte weniger mit der<br />

Tatsache zu tun, dass sie inzwischen allem Anschein<br />

nach getrennte Wege gingen, als vielmehr mit Mimis<br />

Stellung innerhalb der Sekte. Als ihr Vater Phil in den<br />

frühen achtziger Jahren nach der Abspaltung mehrerer<br />

eigenständiger Gruppen der Sekte den Rücken kehrte,<br />

wurde er zum Feind beziehungsweise im Sektenjargon<br />

zu einer »suppressive person«, einer »unterdrückerischen<br />

Person«, erklärt. Schlimmer noch, er schloss<br />

sich jenen an, <strong>die</strong> Hubbard abfällig als »Eichhörnchen«<br />

bezeichneten – Gruppen, <strong>die</strong> Dienste im Stil von<br />

<strong>Scientology</strong> anboten, jedoch zu günstigeren Preisen.<br />

-185-


Jeder, der mit Mimis Vater zu tun hatte, musste sich<br />

»lossagen« – das heißt jeglichen Kontakt mit ihm abbrechen,<br />

wenn er <strong>Scientology</strong> weiter angehören wollte.<br />

Kurz gesagt, Mimi musste sich zwischen ihrem Vater<br />

<strong>und</strong> der Sekte entscheiden, ein Dilemma, vor das sich<br />

im Laufe der Jahre Tausende von Scientologen gestellt<br />

sahen <strong>und</strong> das zum Auseinanderbrechen H<strong>und</strong>erter<br />

Familien führte. »<strong>Tom</strong> war ein großer <strong>Star</strong>, sie war ein<br />

Niemand <strong>und</strong> durch <strong>die</strong> Verbindung zu ihrem Vater<br />

auch noch besudelt«, meint ein ehemaliger Scientologe,<br />

der bei der Planung <strong>die</strong>ses ersten Besuchs mitwirkte.<br />

»David Miscavige machte sich um Mimi keine Gedanken.<br />

Seiner Meinung nach war ihr Vater für all das<br />

Schreckliche verantwortlich, das <strong>Scientology</strong> angetan<br />

wurde.«<br />

Um zu demonstrieren, welch geringe Bedeutung Mimi<br />

für <strong>die</strong> Führung der Scientologen hatte, wurde ihr<br />

Mann von seiner Assistentin Andrea Morse, Tochter<br />

des Schauspielers Robert Morse, begleitet. <strong>Tom</strong> finanzierte<br />

ihr zahlreiche <strong>Scientology</strong>-Kurse, <strong>und</strong> im Gegenzug<br />

rekrutierte Andrea ihre Mutter Carole <strong>und</strong> ihre<br />

Schwester Hilary als Sektenmitglieder. Das war der<br />

Ausgangspunkt einer sorgfältig geplanten Strategie,<br />

<strong>die</strong> letztlich dazu führen sollte, dass der Schauspieler<br />

sowohl im privaten Bereich als auch in seiner Firma<br />

Odin Productions, <strong>die</strong> mit der Zeit gemäß den Schlüsselwörtern<br />

Korrektheit, Klarheit <strong>und</strong> militärische Effizienz<br />

streng nach <strong>Scientology</strong>-Regeln geleitet wurde,<br />

von Scientologen umgeben war.<br />

Beide Seiten legten großen Wert darauf, dass <strong>Tom</strong>s<br />

erster Besuch in dem Zentrum diskret <strong>und</strong> ganz im<br />

Stillen vonstatten ging. Man hätte es <strong>Tom</strong> nicht verdenken<br />

können, wenn er geglaubt hätte, er betrete<br />

eine Militärbasis anstatt eines Clubs, in dem fre<strong>und</strong>liche<br />

Schotten in Kilts herumtanzen, als er in der Dunkelheit<br />

von den bewaffneten <strong>und</strong> uniformierten Wa-<br />

-186-


chen an dem oben mit Stacheldraht geschützten Maschendrahtzaun<br />

entlanggefahren wurde.<br />

Diesen Eindruck hätten <strong>die</strong> Infrarotkameras <strong>und</strong> Bogenlampen<br />

noch zusätzlich verstärken können – <strong>und</strong>,<br />

falls er davon gewusst hätte, <strong>die</strong> versteckten Mikrophone<br />

<strong>und</strong> Sensoren, <strong>die</strong> einen in zehn Metern Entfernung<br />

von dem einen Meter achtzig hohen Zaun davonhoppelnden<br />

Hasen aufspüren konnten. Es war ein<br />

Ort, der Paranoia ausstrahlte. Kameras zeichneten <strong>die</strong><br />

Kennzeichen vorbeifahrender Autos auf; es gab Geheimpläne,<br />

im Falle eines Angriffs <strong>die</strong> Grenzen des Geländes<br />

mit selbstgebastelten Sprengsätzen zu versehen;<br />

<strong>und</strong> hoch oberhalb des Geländes befand sich ein<br />

von Menschen errichteter Aussichtspunkt, von dem<br />

Wachen, <strong>die</strong> Scharfschützengewehre bei sich trugen,<br />

<strong>die</strong> sonnenversengte kalifornische Wüste mit Adleraugen<br />

nach möglichen Eindringlingen absuchten.<br />

Es war sogar bekannt, dass David Miscavige, <strong>Tom</strong>s<br />

Gastgeber für das Wochenende, mehrfach auf der Jagd<br />

nach möglichen Feinden mit einer Uzi bewaffnet in <strong>die</strong><br />

öde Landschaft davongebraust war. Jedenfalls konnte<br />

er aus einem großen Waffenarsenal wählen, da er eine<br />

persönliche Sammlung von mehr als fünfzig Waffen<br />

besaß. Neben einem israelischen Sturmgewehr, einer<br />

Doppelflinte im Kaliber .12, <strong>die</strong> ihm Hubbard geschenkt<br />

hatte, besaß er wie Dirty Harry eine .44er<br />

Magnum <strong>und</strong> eine Walther PPK, wie sie James Bond<br />

benutzt. Und er scheute sich nicht, <strong>die</strong>se Waffen auch<br />

einzusetzen. Eines Morgens stellte er fest, dass seinem<br />

Büro gegenüber ein Parkverbotsschild aufgestellt worden<br />

war. Er befahl seinem Assistenten, ihm seine Waffe<br />

zu holen, <strong>und</strong> verbrachte dann einige Minuten damit,<br />

das böse Schild in Stücke zu schießen. »Mit einer<br />

Waffe in der Hand fühlte er sich mächtig«, erinnert<br />

sich ein Assistent. »Das war seine Art, <strong>die</strong> Leute einzuschüchtern.«<br />

In der Schreibtischschublade seines<br />

-187-


gutausgestatteten Büros hatte der Kirchenführer einen<br />

.38er Revolver liegen. Keiner wusste, ob er geladen<br />

war oder ob Miscavige nur scherzte, wenn er sagte,<br />

dass er bewaffnet sein müsse, für den Fall, dass <strong>die</strong><br />

»radioaktiven Mutanten über den Hügel kommen«.<br />

An <strong>die</strong>sem Abend waren es jedoch keine Mutanten,<br />

<strong>die</strong> er zu Gesicht bekam, sondern der Generalinspektor<br />

von <strong>Scientology</strong>, Greg Wilhere – genau genommen<br />

Miscaviges rechte Hand –, der den Auftrag hatte, den<br />

Hollywoodschauspieler von Los Angeles in das geheime<br />

Zentrum zu bringen. Wilhere, weltgewandt, geschickt<br />

<strong>und</strong> unerschütterlich, war <strong>Tom</strong>s »Betreuer«,<br />

<strong>die</strong> seriöse Gestalt, <strong>die</strong> den Auftrag hatte, jede Feindseligkeit<br />

von außen gegenüber <strong>Scientology</strong> abzuwehren<br />

<strong>und</strong> sicherzustellen, dass <strong>Tom</strong> begeistert an seinem<br />

neuen Glauben festhielt. Er war der perfekte<br />

Mann, um <strong>Cruise</strong> zu führen: fre<strong>und</strong>lich, aufrichtig, intelligent<br />

<strong>und</strong> sogar von jenen zähneknirschend verehrt,<br />

<strong>die</strong> sich von <strong>Scientology</strong> abgewandt hatten.<br />

Wilhere brauchte jedes Quentchen seines legendären<br />

Charmes, um seinen wütenden Führer zu beruhigen.<br />

Miscavige war zwar nur einen Meter fünf<strong>und</strong>sechzig<br />

groß, aber dafür bekannt, dass er heftige Wutausbrüche<br />

bekam <strong>und</strong> Untergeordnete schlug, wenn er sich<br />

von ihnen geärgert fühlte. Wilhere gelang es, ihn zu<br />

beruhigen, indem er ihm erklärte, dass <strong>Tom</strong> aufgr<strong>und</strong><br />

von Filmgeschäften mehrere St<strong>und</strong>en aufgehalten<br />

worden sei.<br />

Vielleicht war Miscaviges Frustration verständlich.<br />

Damals steckte seine Organisation in Schwierigkeiten,<br />

weil das Finanzamt gründliche Ermittlungen in Steuerangelegenheiten<br />

durchführte. Die Sekte musste nicht<br />

nur jeden Monat siebenstellige Beträge an Anwaltskosten<br />

bezahlen, auch Tausende normaler Scientologen<br />

wurden von den Finanzbehörden unter <strong>die</strong> Lupe genommen.<br />

»1990 war <strong>die</strong> Lage sehr düster, aber ich<br />

-188-


glaube nicht, dass viele Scientologen darüber Bescheid<br />

wussten«, räumte Miscavige später ein. »Wir haben es<br />

für uns behalten. Es war schrecklich.«<br />

In den Augen der in Bedrängnis steckenden Führung<br />

von <strong>Scientology</strong> war <strong>Cruise</strong> <strong>die</strong> Kavallerie, <strong>die</strong> ihr zu<br />

Hilfe kam. Es hatte jahrelanger sorgfältiger Planung<br />

bedurft, um <strong>Tom</strong> nach Gold Base zu locken. Während<br />

seiner ersten Jahre als Mitglied der Sekte wurde er als<br />

»Preclear« bezeichnet, als jemand, der als nicht von<br />

seinen Problemen <strong>und</strong> Schwierigkeiten befreit galt.<br />

(Tatsache ist, dass <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> sein Cousin William Mapother<br />

erst 1989 in einer Scientologen-Zeitschrift als<br />

zu denjenigen gehörig aufgelistet werden, <strong>die</strong> das<br />

Gr<strong>und</strong>programm absolviert haben.) Zwar hatte der<br />

Prozess des Auditing einige Ähnlichkeiten mit der katholischen<br />

Beichte, doch war er weder kostenlos noch<br />

anonym. <strong>Tom</strong> saß seinem Auditor gegenüber <strong>und</strong> war<br />

an ein E-Meter angeschlossen, den seltsamen Lügendetektor,<br />

der angeblich herausfand, ob <strong>die</strong> Antworten<br />

tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Bei der höflichen,<br />

aber beharrlichen Befragung wurde er aufgefordert,<br />

seine intimsten Geheimnisse preiszugeben,<br />

<strong>und</strong> jede Aussage wurde in einem angeblich vertraulichen<br />

Ordner abgelegt, auf dem sein richtiger Name<br />

stand: Thomas Mapother. Nach einem von Hubbard<br />

aufgestellten Muster fragten <strong>die</strong> Auditors <strong>Tom</strong> unter<br />

anderem, ob er jemals jemanden vergewaltigt hatte,<br />

homosexuelle Praktiken oder Kannibalismus ausgeübt<br />

hatte, ob er untreu gewesen war, sich Pornographie<br />

angesehen oder Tiere zum Spaß getötet oder gequält<br />

hatte.<br />

Obwohl das Auditing angeblich dazu <strong>die</strong>nen soll,<br />

Probleme zu lösen, sieht Hubbards Sohn Ronald De<br />

Wolf, der sich mit seinem Vater zerstritten <strong>und</strong> früher<br />

selbst viele Neumitglieder befragt hat, den Prozess<br />

heute aus einem zynischeren Blickwinkel, <strong>und</strong> zwar als<br />

-189-


Möglichkeit, Scientologen, insbesondere Prominente,<br />

zu kontrollieren <strong>und</strong> eventuell zu erpressen. In einem<br />

Interview für den Playboy stellte er fest: »Beim Auditing<br />

kommt das gesamte Sexleben eines Menschen zur<br />

Sprache. Es war unglaublich… Man hat <strong>die</strong> totale Kontrolle<br />

über jemanden, wenn man jedes Detail seines<br />

Sexlebens <strong>und</strong> seiner Phantasien in den Akten hat. Bei<br />

<strong>Scientology</strong> steht der Sex im Mittelpunkt. Sex, Sex,<br />

Sex. Das Erste, was wir bei einem Auditing von jemandem<br />

wissen wollten, war, welche sexuellen Neigungen<br />

er hat. Man braucht nichts weiter zu tun, als<br />

<strong>die</strong> Schwächen eines Menschen herauszufinden, worum<br />

es sich auch immer handeln mag. Ihre Träume <strong>und</strong><br />

ihre Phantasien. Dann kann man ihnen einen Ring<br />

durch <strong>die</strong> Nase ziehen <strong>und</strong> sie überall hinführen. Man<br />

verspricht, ihnen ihre Phantasien zu erfüllen, oder man<br />

droht ihnen, sie bloßzustellen… ganz einfach.«<br />

Nachdem das Interview erschien, verweigerte der<br />

damalige Leiter von <strong>Scientology</strong> eine Entgegnung auf<br />

De Wolfs Feststellung, dass seine Glaubwürdigkeit<br />

schwer erschüttert sei. Zwar galt <strong>die</strong> Preclear-Akte als<br />

vertraulich, trotzdem hatten mehrere Auditors Zugang<br />

zu den Unterlagen, <strong>und</strong> es wird behauptet, es sei bekannt,<br />

dass einige hochrangige Angestellte über deren<br />

Inhalt diskutiert hätten. Karen Pressley, <strong>die</strong> berühmte<br />

ehemalige Scientologin, <strong>die</strong> jahrelang in Gold Base<br />

lebte, war eines Abends zugegen, als der Auditor von<br />

John Travolta, John Silcott, offen über das Sexualleben<br />

des Schauspielers sprach. »Mir wurde ganz schwindlig«,<br />

erinnert sie sich, »<strong>und</strong> mir wurde klar, dass <strong>die</strong><br />

Vorstellung von Vertraulichkeit reine Einbildung war.«<br />

Ein anderer führender Scientologe gab freimütig zu:<br />

»Diese Akten kommen sehr gelegen, wenn sie dich<br />

erpressen wollen.«<br />

<strong>Tom</strong> wurde angeblich zur Gold Base eingeladen, um<br />

sicherzustellen, dass das erste Auditing, das in Sher-<br />

-190-


man Oaks stattgef<strong>und</strong>en hatte, auch wirklich korrekt<br />

durchgeführt wurde. Die Befragung an sich, auch<br />

wenn viel von Sexualität <strong>die</strong> Rede ist, ist ein hochtechnischer<br />

Prozess, für den Hubbard eine eigene<br />

Sprache entwickelt hat. Doch es ging nicht nur um <strong>die</strong><br />

Überprüfung von <strong>Tom</strong>s Befragungsfortschritten, <strong>die</strong><br />

Chefs von Gold Base baten ihn zudem, einen professionellen<br />

Blick in ihr Propaganda-Filmstudio zu werfen,<br />

das unter dem Namen Golden Era Production bekannt<br />

ist.<br />

<strong>Tom</strong>s erster Wochenendbesuch war mit der Präzision<br />

einer Militäroperation organisiert worden <strong>und</strong> <strong>die</strong> Planung<br />

mit dem Empfang einer Königlichen Hoheit vergleichbar.<br />

In den Wochen vor seiner Ankunft glich <strong>die</strong><br />

Basis einem Ameisenhaufen, als <strong>die</strong> etwa 500 Sea-<br />

Org-Mitglieder <strong>die</strong> Gebäude frisch strichen, <strong>die</strong> Hecken<br />

im Garten schnitten <strong>und</strong> alles herrichteten, damit es<br />

bei seiner Ankunft in bestem Zustand war. Nicht etwa,<br />

dass sie gewusst hätten, um wen es sich bei dem Besucher<br />

handeln würde. Während seine Assistentin in<br />

den Personalunterkünften untergebracht wurde, wohnte<br />

<strong>Tom</strong> in einem schicken Gästebungalow, in dem ihm<br />

ein Koch <strong>und</strong> Butler von <strong>Scientology</strong>, Sinar Parman,<br />

der für L. Ron Hubbard gearbeitet hatte, r<strong>und</strong> um <strong>die</strong><br />

Uhr zu Diensten stand.<br />

Um <strong>die</strong> Bedeutung des Besuchs zu unterstreichen,<br />

wurde den Mitgliedern von Sea Org befohlen, in ihren<br />

Gebäuden zu bleiben oder, falls <strong>die</strong>s unmöglich sein<br />

sollte, sich von bestimmten Bereichen des Geländes<br />

fernzuhalten, in denen sich <strong>Tom</strong> aufhalten konnte. Sie<br />

wurden angewiesen, dass sie, sollten sie ihm zufällig<br />

unter <strong>die</strong> Augen kommen, den Blick abzuwenden hatten<br />

<strong>und</strong> ihn unter gar keinen Umständen ansprechen<br />

durften. Jenen, <strong>die</strong> mit ihm in Kontakt kamen, wurde<br />

eingetrichtert, ihn mit »Sir« anstatt mit »Mr. <strong>Cruise</strong>«<br />

anzusprechen. Zuwiderhandlungen würden bestraft<br />

-191-


werden. »Das ganze Zentrum war in heller Aufregung«,<br />

erinnert sich ein Mitglied der Sea Org. Die Szenerie<br />

sollte das vielleicht wichtigste Neumitglied in der<br />

Geschichte von <strong>Scientology</strong> beeindrucken <strong>und</strong> mit Ehrfurcht<br />

erfüllen.<br />

Bei <strong>Tom</strong>s R<strong>und</strong>gang über das Gelände wurde klar,<br />

dass das kein Ort für Kinder war. Die fanatischen Mitglieder<br />

von Sea Org durften, ebenso wie Nonnen <strong>und</strong><br />

Mönche, keine Kinder haben. Wurde eine Frau<br />

schwanger, wurde sie gnadenlos vor <strong>die</strong> Wahl gestellt:<br />

ihr Glaube oder ihr ungeborenes Kind. Für einen Tiefgläubigen<br />

war Abtreibung eine Sache des Glaubens.<br />

Beschloss eine Frau, das Kind auszutragen, musste sie<br />

Sea Org verlassen <strong>und</strong> der Sekte in einer niedrigeren<br />

Position <strong>die</strong>nen. Das ehemalige Sea-Org-Mitglied Karen<br />

Pressley erinnert sich, dass sie häufig von anderen<br />

Scientologinnen angesprochen <strong>und</strong> um Geld für eine<br />

Abtreibung gebeten wurde, damit sie bei Sea Org bleiben<br />

konnten. »Damit hatte ich ernste Probleme, weil<br />

ich nicht für Abtreibung bin«, erinnert sie sich. Sprecher<br />

von <strong>Scientology</strong> bezeichnen Behauptungen, dass<br />

schwangeren Sea-Org-Frauen eine Abtreibung nahegelegt<br />

wird, als völlig falsch.<br />

Als <strong>Tom</strong> das Gelände der Filmproduktion besichtigte,<br />

<strong>die</strong> Schneideräume, das Musik- <strong>und</strong> das Filmstudio,<br />

das als »<strong>die</strong> Burg« bezeichnet wird, gaben Sea-Org-<br />

Mitarbeiter in Uniform über Walkie-Talkies weiter, wo<br />

er sich gerade aufhielt. Im Filmstudio probten handverlesene<br />

Sea-Org-Mitarbeiter ganz »spontan« <strong>die</strong><br />

Szenen, <strong>die</strong> demnächst aufgenommen werden sollten.<br />

Was <strong>die</strong> Filmcrew von Sea Org anbelangte, so hatte<br />

der R<strong>und</strong>gang für sie unangenehme Folgen. <strong>Tom</strong> stellte<br />

fest, dass er, wenn er einen Hollywoodstreifen drehe,<br />

durcharbeite, bis der Film im Kasten war. Dagegen<br />

bekamen <strong>die</strong> Filmtechniker in Gold Base während der<br />

Dreharbeiten für ihre <strong>Scientology</strong>-Kurse frei. Das Er-<br />

-192-


gebnis <strong>die</strong>ser beiläufigen Bemerkung war, dass <strong>die</strong><br />

Terminpläne geändert wurden <strong>und</strong> <strong>die</strong> Filmcrew von<br />

Sea Org von nun an gezwungen wurde, r<strong>und</strong> um <strong>die</strong><br />

Uhr durchzuarbeiten, bis <strong>die</strong> Filme fertig waren. Nach<br />

Aussage mindestens eines ehemaligen Mitglieds von<br />

Sea Org hatte <strong>die</strong> Filmabteilung in den folgenden beiden<br />

Jahren keinen einzigen Tag frei.<br />

<strong>Der</strong> Unterschied bestand allerdings darin, dass <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> Millionengagen bezahlt wurden, während <strong>die</strong><br />

Mitarbeiter von Sea Org gerade einmal 35 Dollar <strong>die</strong><br />

Woche ver<strong>die</strong>nten. Eine Sea-Org-Mitarbeiterin zahlte<br />

sogar einen noch höheren Preis. Als sie sich über <strong>die</strong><br />

neuen Arbeitspläne beschwerte, wurde sie ins <strong>Scientology</strong>-»Gefängnis«<br />

gesteckt, bekannt unter dem Begriff<br />

»Rehabilitation Project Force«. Dort, in einer ehemaligen<br />

Ranch im Happy Valley, elf Meilen vom Reservat<br />

der Soboda-Indianer entfernt, wurden <strong>die</strong> Insassen<br />

r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Uhr bewacht <strong>und</strong> wurden, neben anderen<br />

erniedrigenden Strafmaßnahmen, gezwungen, in der<br />

sengenden Sonne um einen Pfosten herumzulaufen.<br />

Zwar beschreibt <strong>Scientology</strong> <strong>die</strong> RPF als freiwilliges<br />

Rehabilitationsprogramm, das Sea-Org-Mitgliedern,<br />

<strong>die</strong> gegen <strong>die</strong> Regeln der Sekte verstoßen haben, eine<br />

zweite Chance bieten würde, doch wer sich der Bestrafung<br />

widersetzt, wird »declared«, das heißt im Prinzip<br />

aus der Sekte ausgeschlossen. Für einen Tiefgläubigen<br />

bedeutet das, entweder seine Strafe anzunehmen – ob<br />

berechtigt oder nicht – oder Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Familie hinter<br />

sich zu lassen sowie den Traum vom Ewigen Leben<br />

aufzugeben.<br />

Menschen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses Rehabilitationsprogramm<br />

durchgemacht haben, sagen, dass es mit Gehirnwäsche<br />

in Verbindung mit schwerer körperlicher Arbeit zu<br />

vergleichen ist. Kritiker werfen der Sekte vor, <strong>die</strong> Menschenrechte<br />

zu verletzen, <strong>und</strong> vergleichen <strong>die</strong> Straflager<br />

der Scientologen mit stalinistischen Gulags. »Es ist<br />

-193-


wohl unnötig, darauf hinzuweisen, dass das RPF <strong>und</strong><br />

das RPF des RPFs [ein verschärftes Straflager] Programme<br />

zur Gehirnwäsche sind«, stellt Professor Stephen<br />

Kent von der Universität von Alberta fest. »Erzwungene<br />

Beichten, körperliche Erschöpfung <strong>und</strong> massive<br />

Indoktrination in Verbindung mit Demütigung <strong>und</strong><br />

Einschüchterung sind <strong>die</strong> Merkmale <strong>die</strong>ser Camps.«<br />

<strong>Tom</strong> war sich natürlich nicht im Klaren, dass seine<br />

beiläufigen Bemerkungen solch drakonische Maßnahmen<br />

nach sich ziehen würden. Nachdem Miscavige ihn<br />

durch das Studio geführt hatte, nahm er ihn zu einer<br />

Besichtigungstour über das Gelände mit, wobei <strong>Tom</strong><br />

auf dem Soziussitz seines Motorrads saß. Später fuhren<br />

sie zum Tontaubenschießen zu einer Schießanlage,<br />

<strong>die</strong> hinter Bonnie View steht, dem Haus, das von<br />

Scientologen für <strong>die</strong> erwartete Rückkehr des verstorbenen<br />

L. Ron Hubbard nach seiner Reise durch <strong>die</strong> Galaxis<br />

erbaut wurde. Obwohl er bei mehreren Militärfilmen<br />

mitgewirkt hatte, war <strong>Tom</strong> im Umgang mit Waffen<br />

unsicher. Und Miscavige, begeistertes Mitglied der<br />

National Rifle Association, zeigte ihm, wie er mit seiner<br />

Waffe richtig umzugehen hatte. <strong>Tom</strong> war so beeindruckt,<br />

dass er seinem neuen Fre<strong>und</strong> zum Dank<br />

eine automatische Tontaubenschießanlage schenkte,<br />

<strong>die</strong> den manuell zu be<strong>die</strong>nenden Apparat ersetzen sollte,<br />

den sie an jenem Wochenende benutzten. Wahrscheinlich<br />

wurde <strong>Tom</strong> nie klar, dass sein Geschenk für<br />

<strong>die</strong> unglücklichen Insassen des Sektengefängnisses<br />

eine Menge Arbeit mit sich brachte. Mehr als zwei Dutzend<br />

von ihnen hatten drei Tage lang r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Uhr<br />

zu tun, um <strong>die</strong> neue Anlage aufzubauen <strong>und</strong> den<br />

Schießplatz dann für <strong>Tom</strong>s nächsten Besuch schön zu<br />

gestalten.<br />

Was <strong>Tom</strong> anbelangte, so war der Besuch ein Riesenerfolg<br />

-<strong>und</strong> das zahlte sich aus, weil er durch seine<br />

Energie <strong>und</strong> Begeisterung Eindruck auf <strong>die</strong> Scientolo-<br />

-194-


gen machte, mit denen er zusammentraf. »Er war wie<br />

eine wandelnde Glühbirne«, erinnert sich Jesse Prince,<br />

der frühere stellvertretende Generalinspektor von<br />

<strong>Scientology</strong>. »Er war so fröhlich <strong>und</strong> enthusiastisch,<br />

ein richtiger Spaßvogel. Er war wie ein Kind, das keine<br />

Fre<strong>und</strong>e hat <strong>und</strong> plötzlich mit vielen Menschen zusammentrifft,<br />

<strong>die</strong> jetzt alle seine Fre<strong>und</strong>e sind. In <strong>die</strong>ser<br />

Zeit absolvierte er <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>kurse, es waren also<br />

sozusagen Flitterwochen. Jede Menge Spaß.«<br />

<strong>Der</strong> Besuch bestärkte <strong>Tom</strong> nicht nur in seinem neuen<br />

Glauben, sondern führte ihn mit dem Mann zusammen,<br />

der großen Einfluss auf sein zukünftiges Leben<br />

nehmen sollte. Als David Miscavige <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

schließlich <strong>die</strong> Hand schüttelte, fiel <strong>die</strong> Begrüßung<br />

gleich herzlich aus, <strong>und</strong> es war von Anfang an offensichtlich,<br />

dass <strong>die</strong> Chemie zwischen den beiden<br />

stimmte. Von Beginn an waren sie wie Brüder <strong>und</strong> versuchten<br />

ständig, sich gegenseitig zu übertrumpfen. In<br />

Sachen Kontrollbedürfnis, Konkurrenzdenken <strong>und</strong> Machogehabe<br />

fand <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> in dem <strong>Scientology</strong>-Führer<br />

seinen Meister – <strong>und</strong> noch mehr. Für all jene, <strong>die</strong> den<br />

steilen Aufstieg von Miscavige mitverfolgt hatten, war<br />

<strong>die</strong>se neue Fre<strong>und</strong>schaft keine Überraschung. »Es war<br />

leicht zu erkennen, warum sie so gut miteinander auskamen«,<br />

erklärt ein ehemaliger führender Scientologe,<br />

der an <strong>die</strong>sem ersten Wochenende zugegen war. »Sie<br />

sind beide getriebene, fordernde <strong>und</strong> fokussierte Perfektionisten<br />

– wir könnten es das Kleine-Mann-<br />

Syndrom nennen.«<br />

Doch bezeichnenderweise war es Miscavige, der zwei<br />

Jahre Ältere, wenn auch fünf Zentimeter Kleinere, der<br />

in <strong>die</strong>ser Fre<strong>und</strong>schaft <strong>die</strong> dominierende Position innehatte<br />

<strong>und</strong> mit seinem aggressiven Ehrgeiz <strong>und</strong> seiner<br />

Bereitschaft, bis zum Äußersten zu gehen, sich <strong>Tom</strong>s<br />

Alphatiergehabe mehr als gewachsen erwies. Shelly<br />

Britt, <strong>die</strong> fünfzehn Jahre lang für den Sektenführer ge-<br />

-195-


arbeitet hat, erinnert sich: »David dominierte <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong>, ohne dass <strong>die</strong>ser es auch nur bemerkte.«<br />

So gerne <strong>Tom</strong> von seiner eigenen harten Kindheit berichtete,<br />

verblich <strong>die</strong>se im Vergleich zu jener des Sektenführers.<br />

<strong>Der</strong> in einem Vorort Philadelphias geborene<br />

Miscavige war Sohn eines Polen, Ron, der seinen Lebensunterhalt<br />

mit Auftritten als Trompetenspieler ver<strong>die</strong>nte,<br />

<strong>und</strong> einer Italienerin namens Loretta, <strong>und</strong> er<br />

hatte eine Zwillingsschwester sowie einen Bruder <strong>und</strong><br />

eine weitere Schwester. <strong>Der</strong> kleine, schwächliche Junge,<br />

der unter schwerem Asthma <strong>und</strong> zahlreichen Allergien<br />

litt, wurde in der Schule wegen seiner polnischen<br />

Herkunft <strong>und</strong> seiner geringen Körpergröße gnadenlos<br />

gehänselt. <strong>Der</strong> kleine David war so wild entschlossen,<br />

beim Football mitzuspielen, dass sein Vater einmal<br />

sogar zwei Pf<strong>und</strong> schwere Metallplatten in Davids Taschen<br />

steckte, damit er das Mindestgewicht von 60<br />

Pf<strong>und</strong> erreichte <strong>und</strong> als Verteidiger beim Footballteam<br />

der Pennypacker Patriots mitspielen durfte.<br />

Die Schule war für ihn ein täglicher Kampf, doch zu<br />

Hause war es nicht viel besser, da sein Vater sehr übellaunig<br />

war, wie sich Fre<strong>und</strong>e der Familie erinnern.<br />

Als Ron <strong>Scientology</strong> für sich entdeckte, änderte sich<br />

sein Verhalten dermaßen, dass seine Frau verwirrt war<br />

<strong>und</strong> den Eindruck hatte, er sei ein neuer Mensch geworden.<br />

Ron trat der Sekte endgültig bei, als David<br />

sich von einem schweren Asthmaanfall erholte, während<br />

er einen Kurs bei <strong>Scientology</strong> absolvierte. »Von<br />

<strong>die</strong>sem Augenblick an wusste ich, das ist es«, erzählte<br />

David später. »Ich habe <strong>die</strong> Antwort gef<strong>und</strong>en.«<br />

Bereits im Alter von zwölf Jahren führte David Miscavige<br />

das Auditing anderer Sektenmitglieder durch <strong>und</strong><br />

war der 4867. Scientologe, der den Zustand »Clear«<br />

erreichte. An seinem sechzehnten Geburtstag brach er<br />

<strong>die</strong> Highschool mit Hinweis auf den »widerlichen« Drogenkonsum<br />

seiner Altersgenossen wie auch mit der<br />

-196-


Erkenntnis ab, dass er sein Leben <strong>Scientology</strong> widmen<br />

wolle. David trat der Elitegruppe der Sea Org in Clearwater,<br />

Florida, bei, wo er als Commodore’s Messenger,<br />

das heißt als Laufbursche von Hubbard, arbeitete.<br />

Seitdem erinnert man sich an ihn als charismatischen,<br />

aber unglaublich wettbewerbsorientierten <strong>und</strong> ehrgeizigen<br />

Menschen – »der Kerl, der Eindruck schinden<br />

wollte«.<br />

Schon bald wurde der entschlossene <strong>und</strong> selbstsichere<br />

Teenager zur Geheimbasis Gold versetzt, wo er mit<br />

Hubbard <strong>und</strong> anderen zusammenarbeitete <strong>und</strong> Werbefilme<br />

drehte. 1979, als <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> noch zur Schule<br />

ging, wurde Miscavige zum »Gruppenleiter« innerhalb<br />

der Commodore’s Messenger Organisation ernannt<br />

<strong>und</strong> sandte Teams beziehungsweise »Missionen« zur<br />

Verbesserung des Managements der <strong>Scientology</strong>-<br />

Zentren aus. Das war zu einer Zeit, als das obere Management<br />

von <strong>Scientology</strong>, einschließlich Hubbards<br />

Frau, im Gefängnis saß <strong>und</strong> Hubbard selbst auf der<br />

Flucht war, ein wirklich anstrengender <strong>und</strong> stressreicher<br />

Job.<br />

Während <strong>Tom</strong> seinen Weg ins Filmgeschäft machte,<br />

sicherte sich Miscavige seine Autorität in der sich rasch<br />

auflösenden Sekte. 1981 zwang er Hubbards Frau,<br />

Mary Sue, nach zwei hitzigen Auseinandersetzungen<br />

zum Rücktritt. Zwar behauptet er, sie seien inzwischen<br />

wieder Fre<strong>und</strong>e, doch Mary Sue ist in <strong>die</strong>sem Punkt<br />

ganz anderer Meinung. »Er war ein Tyrann«, erzählte<br />

sie ihrem Schwiegersohn, Guy White. Kurz nach seinem<br />

ein<strong>und</strong>zwanzigsten Geburtstag heiratete Miscavige<br />

seine erste <strong>und</strong> einzige Fre<strong>und</strong>in, Shelley Barnett,<br />

<strong>die</strong> schon mit zwölf Jahren Commodore’s Messenger<br />

wurde. Bereits im Jahr darauf kam es zum Rückzug<br />

von Missionsleitern, darunter auch Mimis Vater Phil<br />

Spickler, was zu einer erbitterten Spaltung führte,<br />

ganz ähnlich jener zwischen Protestanten <strong>und</strong> Ka-<br />

-197-


tholiken. Als sich Miscaviges Schwiegermutter, Flo<br />

Barnett, einer von <strong>Scientology</strong> abgespaltenen Gruppe<br />

anschloss, löste <strong>die</strong>s einen heftigen Familienzwist aus,<br />

der nie beigelegt wurde. 1985 verübte sie Selbstmord,<br />

indem sie mit einer Waffe drei Schüsse auf sich abgab.<br />

David Miscavige wies stets weit von sich, irgendetwas<br />

mit ihrem Tod zu tun zu haben.<br />

Während <strong>die</strong> Organisation wegen der zahlreichen Abspaltungen<br />

in der Krise steckte, übertrug Hubbard <strong>die</strong><br />

Verantwortung für sein beachtliches Vermögen dem<br />

aufstrebenden jungen Mann, <strong>und</strong> Miscavige managte<br />

inzwischen sowohl seine literarischen als auch seine<br />

persönlichen <strong>und</strong> geschäftlichen Angelegenheiten. Am<br />

wichtigsten war jedoch, dass er zu einem der ganz<br />

wenigen Scientologen aufstieg, <strong>die</strong> den Kontakt mit<br />

dem flüchtigen Sektenführer, der sich auf einer Ranch<br />

in Kalifornien versteckte, aufrechterhielten. Die anderen<br />

Scientologen stellten wohlweislich keine Fragen,<br />

wenn mitten in der Nacht ein schwarzer Van mit verdunkelten<br />

Scheiben in Gold Base ankam <strong>und</strong> Miscavige,<br />

mit einer Uzi bewaffnet, Akten <strong>und</strong> Geldkassetten<br />

für den Führer einlud. Dann fuhr er mit dem Vorstandsmitglied<br />

von <strong>Scientology</strong>, Pat Broecker, <strong>die</strong> mit<br />

Hubbard zusammenlebte, in <strong>die</strong> tiefschwarze Nacht<br />

davon, wobei sie für den Fall, dass sie vom FBI oder<br />

anderen Regierungsbehörden verfolgt wurden, immer<br />

wieder andere Routen nahmen. Einmal war der Druck<br />

für sie einfach zu stark, <strong>und</strong> sie fuhren nach Las Vegas,<br />

wo sie mehrere Abende in den Casinos verbrachten.<br />

Später erklärten sie, sie hätten sich dort aus<br />

Angst, verfolgt zu werden, versteckt. <strong>Der</strong> Stress war<br />

geradezu greifbar, zumal Miscavige unter krankhafter<br />

Angst litt, im Gefängnis zu landen <strong>und</strong> von Mitinsassen<br />

sexuell missbraucht, vielleicht sogar vergewaltigt zu<br />

werden.<br />

-198-


Miscaviges Furcht vor dem Gefängnis wurde nur noch<br />

von seinen hektischen Bemühungen übertroffen, den<br />

irrsinnigen Anforderungen Hubbards zu entsprechen.<br />

Das Leben unter einer solchen Anspannung beschwor<br />

schreckliche Asthmaattacken herauf. <strong>Der</strong> frühere Kollege<br />

Jesse Prince, der Miscavige auditierte, erinnert<br />

sich daran, dass er den verzweifelten jungen Mann in<br />

<strong>die</strong> Arme geschlossen habe. »Manchmal regte er sich<br />

so auf, dass seine Augen hervortraten <strong>und</strong> er keine<br />

Luft mehr bekam«, erzählte Prince. »Er wollte keine<br />

Medikamente einnehmen oder inhalieren, deshalb<br />

musste ich ihn beruhigen, <strong>und</strong> dann schlief er nach<br />

einem Anfall tagelang.«<br />

Helfer bestätigten, dass Miscavige eine Sauerstoffflasche<br />

unter seinem Bett hatte, um für Notfälle gewappnet<br />

zu sein. <strong>Scientology</strong> scheint keinerlei Verbesserung<br />

von Miscaviges Ges<strong>und</strong>heitszustand herbeigeführt zu<br />

haben, im Gegenteil, L. Ron Hubbard verschlimmerte<br />

ihn noch. Hinzu kamen <strong>die</strong> drei Packungen Camel-<br />

Zigaretten, <strong>die</strong> er jeden Tag rauchte.<br />

Das ständige Eingehen auf <strong>die</strong> verrückten Launen<br />

Hubbards – so löste beispielsweise selbst der geringste<br />

Hauch Parfüm, insbesondere Rosenduft, bei Hubbard<br />

einen maßlosen Wutanfall aus – setzte Miscavige<br />

nachhaltig zu. Es gab Zeiten, als Jesse Prince, der ihn<br />

mit der Musik von Jimi Hendrix vertraut machte, ihn<br />

häufig mit in eine Bar nahm, wo er seinen Kummer in<br />

Alkohol ertränkte. »Mit LRH unmittelbar zu tun zu haben,<br />

war eine traumatische Erfahrung«, erinnert er<br />

sich. »Das hat Miscavige von einem netten Menschen,<br />

einem Sportfan, in das Monster verwandelt, zu dem er<br />

sich entwickelt hat. Wir haben immer Faxen gemacht<br />

<strong>und</strong> einander Streiche gespielt. Er brachte <strong>die</strong> Leute<br />

gern zum Lachen, aber heute kann man sich nicht<br />

mehr vorstellen, dass er einmal so gewesen ist.« Die<br />

Gefühle füreinander entsprechen sich, denn Scientolo-<br />

-199-


gy bezeichnete Prince als einen »Kriminellen«, nachdem<br />

er <strong>die</strong> Organisation verlassen hatte.<br />

Sobald Miscavige nach Hubbards Tod im Jahr 1986<br />

mit 26 Jahren an <strong>die</strong> Macht kam, war er für ein Milliarden-Dollar-Unternehmen<br />

verantwortlich, in dem sein<br />

Wort Gesetz <strong>und</strong> seine Herrschaft absolut waren <strong>und</strong><br />

der junge Mann König über all seine Untertanen war.<br />

Dementsprechend lebte er <strong>und</strong> genoss einen »absolut«<br />

luxuriösen Lebensstil. Während seine Anhänger 35<br />

Dollar <strong>die</strong> Woche erhielten, war Miscavige in maßgeschneiderten<br />

250-Dollar-Hemden aus ägyptischer<br />

Baumwolle, mit seinem eigenen Emblem bestickt,<br />

handgemachten Lederschuhen <strong>und</strong> italienischen Anzügen<br />

aus feinstem italienischem Tuch tadellos gekleidet.<br />

Häufig schauten er <strong>und</strong> seine Frau Shelley bei<br />

Neiman Marcus <strong>und</strong> Hermes in Beverly Hills vorbei.<br />

Einmal kaufte sie ihm am Wilshire Boulevard in Beverly<br />

Hills einen Anzug des südkoreanischen Designers<br />

Mr. Lim für etliche tausend Dollar – das entspricht einem<br />

Sechsjahresgehalt für Sea-Org-Mitglieder. Im<br />

Gegensatz zu den spartanischen Unterkünften seiner<br />

Anhänger standen dem Sektenführer zahlreiche luxuriös<br />

eingerichtete Apartments im ganzen Land zur Verfügung,<br />

<strong>die</strong> aufwendig <strong>und</strong> kostspielig im Stil eines<br />

Gentleman’s Club renoviert worden waren. Außerdem<br />

standen ihm Butler <strong>und</strong> Zimmermädchen zu Diensten,<br />

zu deren Aufgaben auch zählte, seine H<strong>und</strong>e, Chelsea<br />

<strong>und</strong> Cheslea, Gassi zu führen.<br />

Miscagive lebte nicht nur wie ein König, er herrschte<br />

auch wie ein absoluter Monarch. Seine Parolen lauteten<br />

Loyalität <strong>und</strong> Kontrolle, <strong>und</strong> der neue Führer wurde<br />

stets von einer Entourage begleitet, <strong>die</strong> eifrig jedes<br />

seiner Worte auf Band aufzeichnete <strong>und</strong> sie in eine<br />

Reihe von Regeln, Anweisungen <strong>und</strong> Befehlen übersetzte.<br />

Um sicherzustellen, dass seine Erlasse buchstabengetreu<br />

ausgeführt wurden, schuf er seine eige-<br />

-200-


ne »Preatorian Guard«, deren Mitglieder ausschließlich<br />

aus dem Religious Technology Center innerhalb der<br />

Sea Org rekrutiert wurden <strong>und</strong> <strong>die</strong> er als seine<br />

»SEALs« bezeichnete – nach den hervorragend ausgebildeten<br />

Navy SEALs, <strong>die</strong> im Ruf stehen, das Unmögliche<br />

möglich zu machen. Sie erhielten bessere Uniformen,<br />

Unterkünfte <strong>und</strong> Verpflegung – allerdings zu einem<br />

hohen Preis. Von den »SEALs« wurde erwartet,<br />

dass sie sich Tag <strong>und</strong> Nacht auf Miscaviges Sache konzentrieren<br />

<strong>und</strong> alles andere aus ihrem Leben verbannen.<br />

Er liebte Hollywoodfilme, in denen der Held, gewöhnlich<br />

ein amerikanischer Präsident, <strong>die</strong> ungetrübte<br />

Loyalität seiner Mitarbeiter besaß – vor allem, wenn er<br />

von einer Phalanx von Bodyguards umgeben war. Miscavige<br />

wurde in der Regel von sechs Leibwächtern begleitet,<br />

<strong>und</strong> selbst im Urlaub waren sie auf seinen großen<br />

Privatjachten mit an Bord. Wenn er schwimmen<br />

ging, sprangen drei von ihnen mit ihm ins Wasser.<br />

Miscavige kontrollierte jeden Aspekt der Organisationsführung:<br />

vom Filmso<strong>und</strong> bis zum Gebäudeentwurf;<br />

nichts entging seinem Wunsch nach Perfektion. <strong>Der</strong><br />

sehr kleine Führer legte ganz besonders großen Wert<br />

auf den Auftrittsort für seine Ansprachen; er stellte<br />

sicher, dass der Hintergr<strong>und</strong> blau war, damit er zu<br />

seinen Augen passte, <strong>und</strong> das Podium <strong>die</strong> richtige Proportion<br />

zu seiner Statur hatte. Die ehemalige Scientologin<br />

Karen Pressley arbeitete bei zahlreichen Designprojekten<br />

eng mit Miscavige zusammen <strong>und</strong> beobachtete,<br />

dass er höchstpersönlich <strong>die</strong> Stoffe für neue Sea-<br />

Org-Uniformen auswählte. Sie erinnert sich: »Männer,<br />

<strong>die</strong> von Stoffen fasziniert sind, neigen dazu, vom Wesen<br />

her feminin zu sein. Ich kann Ihnen aber klipp <strong>und</strong><br />

klar sagen, dass <strong>die</strong>ser Mann nichts Schwules an sich<br />

hat. Er kontrollierte <strong>und</strong> dominierte – <strong>und</strong> das zwanghaft.<br />

Man kam sich vor, als lebe man in einer Diktatur.«<br />

-201-


Obwohl sein politischer Held, Simon Bolivar, der südamerikanische<br />

Unabhängigkeitsführer, sein Vorbild<br />

war, herrschte Miscavige, indem er Angst verbreitete,<br />

<strong>und</strong> es sprach sich herum, dass er Untergebene mit<br />

Worten erniedrigte <strong>und</strong> sie sogar schlug <strong>und</strong> denjenigen,<br />

<strong>die</strong> ihn seiner Meinung nach verärgert hatten, in<br />

aller Öffentlichkeit eine Ohrfeige verpasste, doch er<br />

boxte nie nach ihnen. Manche bespuckte er als Zeichen<br />

seiner Verachtung <strong>und</strong> Geringschätzung, was von<br />

Hubbard anfänglich sogar gutgeheißen wurde. In mehreren<br />

Gerichtsverfahren wurde er von vereidigten<br />

Zeugen beschuldigt, Untergebene geschlagen zu haben.<br />

(Als ein Vertreter von <strong>Scientology</strong> zu <strong>die</strong>sen Vorfällen<br />

befragt wurde, stritt er sie ab.) Guy White, Hubbards<br />

Schwiegersohn, war eines seiner Opfer. Eines<br />

Abends wurde er von Miscavige <strong>und</strong> anderen angesprochen<br />

<strong>und</strong> bezichtigt, »Verbrechen« begangen zu<br />

haben. Miscavige riss ihm <strong>die</strong> Abzeichen von der Uniform,<br />

spuckte ihn an <strong>und</strong> ohrfeigte ihn. Nach der Prozedur,<br />

<strong>die</strong> <strong>Scientology</strong> beschönigend als »gang bang«-<br />

Audit bezeichnet, wo er von seinen Anklägern einem<br />

feindseligen Dauerbeschuss von Fragen ausgesetzt<br />

war, wurde er in das Straflager der Sekte, der Rehabilitation<br />

Project Force, geschickt.<br />

Jede Andeutung einer Kritik am Führer, als Black PR<br />

bezeichnet, galt als Vergehen. Miscavige musterte sogar<br />

den Gesichtsausdruck der Sea-Org-Mitglieder, <strong>die</strong><br />

bestraft wurden, wenn sie feindselig oder gelangweilt<br />

dreinblickten. In seinem Buch 1984 über <strong>die</strong> Gedankenkontrolle<br />

in einer zukünftigen Gesellschaft verwandte<br />

George Orwell für <strong>die</strong>ses Vergehen den Begriff<br />

»Gesichtsverbrechen«. Allerdings handelte es sich dabei<br />

um ein fiktionales Werk.<br />

Verständlicherweise lebten viele – sogar seine eigene<br />

Familie – in Angst vor dem Mann, dem sie den Spitznamen<br />

Napoleon gegeben hatten. Karen Pressley, <strong>die</strong><br />

-202-


im gleichen Wohngebiet wie Miscaviges Eltern lebte,<br />

erinnert sich: »Eines Tages schaute mir sein Vater in<br />

<strong>die</strong> Augen <strong>und</strong> sagte: >Ich habe Angst vor meinem<br />

eigenen Sohn.< Ich war völlig entsetzt. Er hatte vor<br />

ihm Angst, weil er so viel Macht besaß <strong>und</strong> alles unter<br />

Kontrolle hatte.«<br />

Andere äußern sich vorsichtiger, sie loben Miscaviges<br />

Energie, seine Konzentrationsfähigkeit <strong>und</strong> sein Charisma,<br />

räumen jedoch seine übertriebene Aggressivität<br />

ein. Seine Assistentin Shelly Britt sah in ihm eine Gestalt<br />

à la Mr. Jekyll <strong>und</strong> Mr. Hyde, den nettesten <strong>und</strong><br />

gemeinsten Boss der Welt. »Wenn man seine gute Seite<br />

erwischte, dann war man der Größte, traf man seine<br />

schlechte Seite, konnte man kaum tiefer fallen.«<br />

Ein weiterer enger Mitarbeiter, Marty Rathbun, beteuerte,<br />

dass er in all den Jahren, in denen er mit Miscavige<br />

zu tun hatte, nie mitbekommen habe, dass er jemanden<br />

schlug. »Das entspricht nicht seinem Temperament«,<br />

sagte er der St. Petersburg Times.<br />

Für <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> war das erste Zusammentreffen mit<br />

Miscavige im August 1989 der Beginn einer dauerhaften<br />

Fre<strong>und</strong>schaft, wobei der Führer von <strong>Scientology</strong><br />

ein enger Begleiter <strong>und</strong> Berater wurde, der den Hollywoodstar<br />

ständig herausforderte, kontrollierte <strong>und</strong> mit<br />

ihm wetteiferte.<br />

Zwar hatte <strong>Tom</strong> dank seines Glaubens einen Fre<strong>und</strong><br />

fürs Leben gef<strong>und</strong>en, doch sein nächster Film sollte<br />

sein Leben gr<strong>und</strong>legend verändern. <strong>Tom</strong> hatte <strong>die</strong>sen<br />

Film, den er über das Stockcar-Rennen drehen wollte,<br />

seit drei Jahren geplant. Nachdem er auf der berühmten<br />

Rennstrecke Daytona International mit über 300<br />

km/h seine R<strong>und</strong>en gedreht hatte, schrie er im Rausch<br />

der Geschwindigkeit <strong>und</strong> des Adrenalins: »Darüber<br />

werde ich einen Film drehen.« Kaum hatte Paul Newman<br />

ihn bei den Dreharbeiten für Die Farbe des Geldes<br />

mit <strong>die</strong>sem Sport vertraut gemacht, hatte sich<br />

-203-


<strong>Tom</strong> mit der für ihn üblichen Begeisterung darauf gestürzt.<br />

Er fuhr in Nissans für Newmans Team <strong>und</strong> war<br />

so gut, dass der Rennfahrer Bob Bondurant sich nach<br />

eigener Aussage Sorgen machte, <strong>Tom</strong> könnte das<br />

Zeug zum Profi haben.<br />

<strong>Der</strong> Schauspieler schrieb auf der Gr<strong>und</strong>lage seiner<br />

Erfahrungen den groben Entwurf einer Geschichte nieder<br />

<strong>und</strong> engagierte den renommierten Drehbuchautor<br />

Douglas Day Stewart, um den Plot dessen aufzupolieren,<br />

was am Ende Tage des Donners werden sollte.<br />

Die Handlung drehte sich um einen eitlen Rennfahrer,<br />

Cole Trickle – gespielt von <strong>Tom</strong> –, der einen Rivalen<br />

auszustechen versucht, <strong>und</strong> am Ende landen beide<br />

verletzt im Krankenhaus. Wie es nicht anders sein<br />

kann, verliebt sich Trickle in <strong>die</strong> hübsche Gehirnchirurgin,<br />

<strong>die</strong> ihn operiert; <strong>und</strong> am Ende lernt er, demütig zu<br />

sein, <strong>und</strong> bezwingt seine Dämonen so weit, dass er<br />

weitermachen <strong>und</strong> das entscheidende Rennen gewinnen<br />

kann. Die Hoffnung war groß, dass das unter dem<br />

Arbeitstitel »Top Car« laufende <strong>Projekt</strong> für <strong>die</strong> Rennen<br />

des NASCAR das bringen würde, was Top Gun für <strong>die</strong><br />

Flugschule der Navy in San Diego gebracht hatte. Sobald<br />

das <strong>Projekt</strong> offiziell in Planung war, engagierte<br />

<strong>Cruise</strong> den Drehbuchautor von Top Gun, Warren<br />

Skaaren, doch nachdem <strong>die</strong>ser mehrere Entwürfe verfasst<br />

hatte, gab er angesichts von <strong>Tom</strong>s Forderungen<br />

verzweifelt auf. <strong>Tom</strong> ließ sich davon nicht abschrecken<br />

<strong>und</strong> überredete den Autor Robert Towne zur Mitarbeit,<br />

indem er ihn zur Rennstrecke Watkins Glen, New York,<br />

mitnahm. Während sie <strong>die</strong> Atmosphäre aufsogen, sagte<br />

Towne dem Schauspieler: »Ich spüre es, <strong>Cruise</strong>.<br />

Das ist phantastisch.« Nachdem der Regisseur Tony<br />

Scott <strong>und</strong> <strong>die</strong> Produzenten Don Simpson <strong>und</strong> Jerry<br />

Bruckheimer mit ins Boot geholt waren, war alles arrangiert,<br />

um einen weiteren Sommer-Kassenschlager<br />

zu drehen.<br />

-204-


Doch <strong>die</strong> Sache sollte nicht ganz so einfach werden.<br />

Zwar gab Paramount im November 1989 grünes Licht<br />

für den Beginn der Dreharbeiten, doch das Script war<br />

noch nicht fertig, <strong>und</strong> man hatte sich noch nicht auf<br />

einen Titel <strong>und</strong> eine Hauptdarstellerin, ja nicht einmal<br />

auf eine Figur geeinigt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Hauptdarstellerin spielen<br />

sollte. Im Oktober, als <strong>Cruise</strong> zu einer privaten<br />

Vorführung des australischen Thrillers Todesstille eingeladen<br />

wurde, der wegen der schauspielerischen<br />

Leistung von Billy Zane <strong>und</strong> Nicole Kidman hohe Wellen<br />

schlug, hatte er den Eindruck, Nicole unbedingt<br />

sehen zu müssen. Als <strong>Tom</strong> sich den Streifen zusammen<br />

mit dem Scriptwriter Robert Towne anschaute,<br />

war er von Nicoles Leinwandpräsenz ebenso fasziniert<br />

wie von ihren langen, schönen Beinen <strong>und</strong> ihrer hellen,<br />

durchscheinenden Haut. Tief beeindruckt verließ er <strong>die</strong><br />

Vorführung <strong>und</strong> wies seine Mitarbeiter an, sie für Probeaufnahmen<br />

nach Los Angeles zu bestellen.<br />

Dass sie sich auf Werbetour für Todesstille gerade in<br />

Japan aufhielt, stellte kein Hindernis dar. Nicole wurde<br />

nach Hollywood geflogen, um sich mit <strong>Cruise</strong>, den<br />

Produzenten <strong>und</strong> dem Regisseur zu treffen, <strong>und</strong> kam<br />

mit Jetlag <strong>und</strong> neugierig in den Paramount Studios an,<br />

doch sie erwartete eigentlich nicht viel. »Ich dachte:<br />

>Na, schönsexiest man<<br />

ist, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe«,<br />

erzählte sie später der Zeitschrift Rolling Stone. »Mir<br />

-205-


stockte der Atem. Ich weiß nicht, was es war. Eine<br />

chemische Reaktion? Es ist schwer zu beschreiben.<br />

Schwer zu widerstehen.«<br />

Damals glaubte <strong>die</strong> junge Frau, <strong>die</strong> von ihren Schulfre<strong>und</strong>innen<br />

den Spitznamen »Stalky« bekam, es sei<br />

wohl unwahrscheinlich, dass sie mit ihrer Größe von<br />

einem Meter achtzig, <strong>und</strong> damit zehn Zentimeter<br />

mehr, als der Hauptdarsteller aufzuweisen hatte, für<br />

<strong>die</strong> Rolle eingesetzt würde. Sie las ein paar Scriptseiten,<br />

allerdings nicht von dem in Frage kommenden<br />

Film, <strong>und</strong> ging mit dem Vorsatz, sich in Kalifornien<br />

noch ein wenig zu amüsieren. Daher war sie überrascht,<br />

als der Produzent Jerry Bruckheimer am nächsten<br />

Tag anrief <strong>und</strong> ihr mitteilte, dass sie <strong>Tom</strong>s Herzensdame<br />

spielen solle. Doch es gab einen Vorbehalt –<br />

ihre Figur musste ebenso wie ein großer Teil des Films<br />

erst noch richtig ausgearbeitet werden. Am Ende spielte<br />

<strong>die</strong> 22 Jahre alte Schauspielerin <strong>die</strong> brillante Gehirnchirurgin<br />

Dr. Ciaire Lewicki, was, zumindest was<br />

das Alter anbelangte, sehr seltsam war.<br />

Außer Zweifel stand jedoch, dass <strong>die</strong> neue Hauptdarstellerin<br />

eine große Faszination auf den Hauptdarsteller<br />

ausübte. »Meine erste Reaktion beim Treffen mit<br />

Nic war pure Lust«, erinnerte er sich später. »Das war<br />

etwas rein Körperliches.« Auf den ersten Blick war das<br />

eine seltsame Verbindung, denn <strong>die</strong>se große, blonde<br />

<strong>und</strong> schlanke Australierin war so ganz anders als seine<br />

sinnliche, dunkelhaarige Frau. Trotz ihrer körperlichen<br />

Unterschiede standen beide Frauen jedoch in dem Ruf,<br />

reserviert, ehrgeizig, kühl <strong>und</strong> unnahbar zu sein – <strong>die</strong><br />

perfekte Beute für einen Mann, der <strong>die</strong> Herausforderung<br />

einer endlosen romantischen Jagd liebte.<br />

Schon bald war <strong>Tom</strong> völlig hingerissen, weil sie beide<br />

sowohl Sinn für Humor als auch für ein extremes Leben<br />

besaßen. <strong>Der</strong> Hollywoodstar schien – wie in David<br />

Miscavige – in der schlanken Gestalt der jungen Frau,<br />

-206-


<strong>die</strong> starke, entschlossene Schauspielerinnen wie Vanessa<br />

Redgrave, Jane Fonda <strong>und</strong> Katherine Hepburn<br />

als ihre Vorbilder nannte, seine Meisterin gef<strong>und</strong>en zu<br />

haben. Zudem spürte Nicole, wie unglücklich er war<br />

<strong>und</strong> wie sehr er sich nach einer engeren Beziehung als<br />

seine damalige sehnte. Nach ein paar Wochen, Ende<br />

November, ging der Drehbuchautor Robert Towne mit<br />

dem Paar ins Toscana in Brentwood zum Essen. Sofort<br />

bemerkte er, wie gut sie sich verstanden, <strong>und</strong> ihm<br />

wurde klar, dass <strong>Tom</strong>s Ehe mit Mimi, <strong>die</strong> seit zwei Jahren<br />

bestand, gewiss bald geschieden sein würde.<br />

Wie zu erwarten, ging <strong>Tom</strong> bei der Beendigung seiner<br />

ersten Ehe mit der gleichen sachlichen Schnelligkeit<br />

vor, mit der er mit früheren Geliebten Schluss gemacht<br />

hatte. Im Spätherbst zog er aus dem gemeinsamen<br />

Haus in Brentwood aus <strong>und</strong> quartierte sich für<br />

ein paar Tage bei seinem Fre<strong>und</strong> – <strong>und</strong> Trauzeugen –<br />

Emilio Estevez ein. Dann fuhr er mit Mimi für das, was<br />

in der Sekte »Chaplain Counseling« genannt wird, ins<br />

<strong>Scientology</strong>-Zentrum nach Hemet. Vorgeblich ging es<br />

darum, durch das Gespräch mit einem <strong>Scientology</strong>-<br />

Berater ihre Differenzen zu besprechen <strong>und</strong> zu einer<br />

Lösung zu gelangen. Scientologen behaupten, dass es<br />

keinen Gr<strong>und</strong> zur Trennung gibt, sobald alles offen<br />

ausgesprochen ist. Unter manchen Umständen mag<br />

<strong>die</strong>ses Vorgehen ja erfolgreich sein, doch in <strong>die</strong>sem<br />

Fall spielte ein vergessenes Motiv eine Rolle. Die<br />

<strong>Scientology</strong>-Führung empfand Mimis Vater gegenüber<br />

eine solche Feindseligkeit, dass <strong>die</strong>se auf Mimi als seine<br />

Tochter abfärbte. »Sie wollten sie nicht mehr im<br />

Team haben«, erklärt ein ehemaliger Scientologe, der<br />

an dem Ränkespiel beteiligt war. »Ziel war es, <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> zu helfen, <strong>und</strong> innerhalb von 24 St<strong>und</strong>en kamen<br />

sie überein, sich zu trennen.«<br />

Dem Hollywoodstar wurde ein erfahrener Jurist von<br />

<strong>Scientology</strong> zur Seite gestellt – Lyman Spurlock, Di-<br />

-207-


ektor für Klientenangelegenheiten –, um ihm bei der<br />

Abwicklung der komplizierten finanziellen Folgen der<br />

Trennung zu helfen. »Er war verloren, er kannte seine<br />

Rechte nicht, noch wusste er, was Mimi bekommen<br />

sollte«, erinnert sich der ehemalige Scientologe Jesse<br />

Prince. »Sie gestalteten es so, dass es für ihn möglichst<br />

schmerzlos abging.« Mimi wurde schließlich mit<br />

angeblich 10 Millionen Dollar abgef<strong>und</strong>en – der Vertrag<br />

wurde mit einer Klausel versehen, <strong>die</strong> beide Seiten zur<br />

Verschwiegenheit verpflichtete. Es hieß, Mimi habe der<br />

<strong>Scientology</strong>-Führung klargemacht, dass sie, sollten sie<br />

ihre schwarze Propaganda einsetzen, um sie zu diskreditieren,<br />

ihre eigene Büchse der Pandora mit Geheimnissen<br />

über <strong>die</strong> Sekte öffnen würde.<br />

Während <strong>Tom</strong> in seiner typisch geschäftsmäßigen Art<br />

seine privaten Angelegenheiten regelte, verabschiedete<br />

Nicole sich von ihrer Familie in Sydney. Allerdings<br />

sagte sie ihrem langjährigen Fre<strong>und</strong>, dem Schauspielerkollegen<br />

Marcus Graham <strong>und</strong> früheren <strong>Star</strong> der erfolgreichen<br />

australischen Soap E-Street, nicht endgültig<br />

A<strong>die</strong>u. Er war zwar einer der Ersten gewesen, dem<br />

sie von ihrer neuen Rolle erzählt hatte, doch über ihren<br />

Flirt mit ihrem neuen Filmpartner ließ sie kein<br />

Wort fallen. Als sie in Los Angeles landete, rief sie<br />

Graham sogar an <strong>und</strong> teilte ihm mit, dass der legendäre<br />

New Yorker Agent Sam Cohen, der auch Woody Allen<br />

<strong>und</strong> Meryl Streep vertrat, eigens nach Kalifornien<br />

geflogen sei, um mit ihr einen Vertrag abzuschließen.<br />

Graham, dessen Karriere zwar in einer Art Krise steckte,<br />

hatte jedoch keinen Gr<strong>und</strong>, davon auszugehen,<br />

dass ihre Liebesbeziehung – sie hatten bis zu Nicoles<br />

Abreise nach Amerika zusammengelebt – vorbei war.<br />

Sie planten einen gemeinsamen Urlaub im Pazifik, <strong>und</strong><br />

während der Dreharbeiten von Tage des Donners<br />

telefonierte Graham so häufig mit seiner ehemaligen<br />

-208-


Geliebten, dass eine Rechnung von über 1300 Dollar<br />

zusammenkam.<br />

Es war jedoch verlorene Liebesmüh. Schon wenige<br />

Tage nachdem Nicole ihr neues Leben in Amerika begonnen<br />

hatte, verbrachte sie sowohl beruflich wie privat<br />

jeden Augenblick mit <strong>Tom</strong>. Sie war völlig verknallt<br />

in ihn. »Ich bin freiwillig darin aufgegangen«, erzählte<br />

sie später. Ende November drehte das Paar nicht nur<br />

zusammen in Charlotte, North Carolina, sondern flog<br />

auch heimlich per Hubschrauber zur <strong>Scientology</strong> Gold<br />

Base. Ihnen stand ihr eigener VIP-Bungalow an einer<br />

abgelegenen Stelle des 200 Hektar großen Geländes<br />

zur Verfügung, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sea-Org-Mitglieder hatten den<br />

strikten Befehl, sich von <strong>die</strong>sem Bereich fernzuhalten.<br />

Das Paar hatte seinen eigenen Butler, Sinar Parman,<br />

der schon für L. Ron Hubbard gearbeitet hatte, <strong>und</strong><br />

wenn sie ihren Bungalow verließen, verbrachten sie<br />

ihre Zeit mit David Miscavige, seiner Frau Shelley <strong>und</strong><br />

<strong>Tom</strong>s »Betreuer« Greg Wilhere. Was immer sie auch<br />

taten, entweder war Wilhere dabei, oder er hatte sie<br />

im Auge, um sicherzustellen, dass alles perfekt lief.<br />

»Es war klar, dass sie sehr verliebt waren. Sie berührten<br />

sich ständig <strong>und</strong> knutschten herum«, erinnert sich<br />

ein ehemals eingeweihter Scientologe an das, was<br />

damals ein streng gehütetes Geheimnis war. »Schon<br />

wenige Tage nachdem <strong>Tom</strong> sich von Mimi getrennt<br />

hatte, kamen er <strong>und</strong> Nicole nach Gold. Führende<br />

Scientologen machten das möglich.« In Wahrheit<br />

spielte Greg Wilhere eine so entscheidende Rolle in der<br />

Wegbereitung <strong>die</strong>ser Liebesaffäre, dass <strong>Tom</strong> sogar eine<br />

Figur in Tage des Donners nach ihm benannte.<br />

Wenn der Name »Dr. Wilhere« fällt, dann handelt es<br />

sich um einen Insiderwitz zwischen dem Liebespaar<br />

<strong>und</strong> ihren Fre<strong>und</strong>en von <strong>Scientology</strong>.<br />

Am 9. Dezember 1989, mitten in den Dreharbeiten<br />

von Tage des Donners, reichten <strong>Tom</strong>s Anwälte in al-<br />

-209-


ler Stille <strong>die</strong> Scheidung von Mimi ein, wobei der<br />

Schauspieler als Gr<strong>und</strong> »unüberwindbare Differenzen«<br />

angab. Doch <strong>Tom</strong> spielte öffentlich nach wie vor den<br />

glücklichen Ehemann, als er im Rahmen der Werbetour<br />

für den Film Geboren am 4. Juli, der unmittelbar vor<br />

Weihnachten in <strong>die</strong> Kinos kam, eine Reihe von Interviews<br />

gab. Während auf North Carolinas Rennstrecke<br />

Charlotte starke Autos Gummi <strong>und</strong> Sprit verbrannten,<br />

sprach <strong>Cruise</strong> ausgewählten Journalisten gegenüber<br />

liebevoll von seiner Frau. »Das Wichtigste ist für<br />

mich, dass Mimi glücklich ist«, zitierte der Journalist<br />

Richard Corliss seine Aussage für eine schmeichelhafte<br />

Titelgeschichte im Time-Magazin unter der Überschrift<br />

»<strong>Tom</strong> Terrific«. »Ich bin jetzt glücklicher als je zuvor<br />

in meinem Leben«, sagte <strong>Tom</strong>, als Corliss erwähnte,<br />

dass er <strong>und</strong> Mimi im Rahmen ihrer Arbeit im Vorstand<br />

des Earth Communications Office, einer nach <strong>und</strong> nach<br />

von Scientologen infiltrierten Organisation der Unterhaltungsindustrie,<br />

<strong>die</strong> sich mit Umweltfragen befasst,<br />

in den brasilianischen Regenwald gereist seien.<br />

Bei einem Gespräch mit dem Journalisten Trip Gabriel<br />

für das Magazin Rolling Stone, das dank <strong>Tom</strong>s<br />

Fre<strong>und</strong>schaft mit dem Eigentümer Jann Wenner quasi<br />

sein Hausjournal war, blockte <strong>Tom</strong> Fragen nach den<br />

Gerüchten über Eheprobleme ab. Wie dem Magazin US<br />

sagte er auch hier: »Unsere Ehe ist wirklich bestens.«<br />

Dass Mimi das Set von Tage des Donners besuchte,<br />

trug dazu bei, das Bild einer glücklichen Ehe während<br />

der Zeit der riesigen Werbekampagne aufrechtzuerhalten.<br />

Im Nachhinein betrachtet, sieht Richard Corliss <strong>Tom</strong>s<br />

Verstellung zum Teil als seine Charaktereigenschaft,<br />

zum Teil im Interesse an seiner Karriere in Hollywood<br />

begründet. »Seine Ehe mit Mimi Rogers war eine Fiktion,<br />

<strong>die</strong> er aufrechterhalten wollte – zumindest, bis <strong>die</strong><br />

Zeitschriftenartikel zum Kinostart von Geboren am 4.<br />

-210-


Juli veröffentlicht waren. Ich war nicht überrascht, wie<br />

sehr er darauf beharrte, er sei noch immer mit Mimi<br />

zusammen, als er sich bereits gegen sie entschieden<br />

hatte. Diese Manöver der <strong>Star</strong>s sind eine Tradition, <strong>die</strong><br />

so alt ist wie Hollywood selbst.«<br />

<strong>Tom</strong>s Glaube half ihm nicht nur, seine Trennung von<br />

Mimi Rogers zu verwinden, sondern erleichterte es ihm<br />

auch, keine Miene zu verziehen, als er seine Geschichte<br />

der ehelichen Harmonie zum Besten gab. Die Kunst<br />

des Lügens ist ein integraler Punkt in den Schriften<br />

von <strong>Scientology</strong>, <strong>und</strong> in einem der Gr<strong>und</strong>kurse – über<br />

Kommunikation – werden effektive Techniken zur<br />

»Verbreitung falscher Fakten« gelehrt.<br />

<strong>Cruise</strong> erwies sich als geschickter <strong>und</strong> gelehriger<br />

Schüler <strong>und</strong> konnte sich im Dezember über positive<br />

Berichterstattungen über seine filmischen Leistungen<br />

<strong>und</strong> seine Oscar-Nominierung als »Bester Hauptdarsteller«<br />

in Geboren am 4. Juli freuen. »<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>’<br />

Darstellung von Ron Kovic beweist, dass er einer der<br />

vielseitigsten zeitgenössischen Schauspieler Hollywoods<br />

ist«, schrieb der Filmkritiker Edward Gross.<br />

Während <strong>die</strong> schmeichelhaften Artikel über <strong>Tom</strong> in<br />

<strong>die</strong> Kioske gelangten, flogen seine Scheidungsanwälte<br />

am 12. Januar von Los Angeles nach Daytona Beach in<br />

Florida, wo <strong>die</strong> Dreharbeiten inzwischen begonnen hatten,<br />

damit der Schauspieler seine Scheidungspapiere<br />

unterzeichnen konnte. Am Tag davor hatte sich <strong>Tom</strong><br />

heimlich mit Mimi im Hilton University Place Hotel in<br />

Charlotte getroffen. Einige Beobachter glauben, dass<br />

es ein allerletzter Versuch der Schauspielerin gewesen<br />

sei, ihre Ehe zu retten. Realistischer ist jedoch, dass<br />

es darum ging, ihre offizielle Erklärung abzustimmen<br />

<strong>und</strong> noch offene finanzielle Fragen zu lösen. In Wahrheit<br />

wurden <strong>die</strong> Scheidungspapiere – im gleichen<br />

Tempo wie <strong>die</strong> Trennung – vier Tage später eingereicht,<br />

<strong>und</strong> das Paar veröffentlichte am nächsten<br />

-211-


Tag ein kurzes Statement. »Unsere Ehe hatte zwar<br />

viele positive Aspekte, doch es gab ein paar Punkte,<br />

<strong>die</strong> nicht gelöst werden konnten, obwohl wir längere<br />

Zeit daran gearbeitet haben.«<br />

In einem Interview für den Playboy drei Jahre später<br />

äußerte sich Miss Rogers boshaft über <strong>die</strong>se mysteriösen<br />

»Punkte«. Mimi, <strong>die</strong> wegen einer Jüngeren verlassen<br />

worden war, nahm Rache, indem sie ihren Ex-<br />

Mann, der vom Magazin People zum »sexiest man on<br />

earth« gewählt worden war, an einem w<strong>und</strong>en Punkt<br />

traf.<br />

»<strong>Tom</strong> dachte ernsthaft daran, Mönch zu werden«, erzählte<br />

sie dem Journalisten Michael Angeli. »Zumindest<br />

sah es damals so aus, als ließe sich <strong>die</strong> Ehe nicht<br />

mit seinen spirituellen Bedürfnissen vereinbaren. Und<br />

er war der Meinung, er müsse ledig sein, um <strong>die</strong> Reinheit<br />

seines Dingsbums zu wahren. Deshalb wurde klar,<br />

dass wir uns trennen mussten.« Was ihr Dingsbums<br />

anbelangte: »Ach, meines musste gestimmt werden«,<br />

sagte sie. Ihre Aussagen traten eine ganze Klatschlawine<br />

über das Sexleben ihres früheren Ehemanns los,<br />

doch sie räumte im Nachhinein ein, dass sie sich mit<br />

dem offenk<strong>und</strong>ig völlig berauschten Reporter einen<br />

Spaß erlaubt habe.<br />

Richtiger ist vielleicht, dass ihre beruflich übervollen<br />

Terminkalender, <strong>Tom</strong>s offen geäußerter Wunsch, eine<br />

Familie zu gründen, der Einfluss seines neuen Glaubens<br />

<strong>und</strong> natürlich <strong>die</strong> sexuelle Anziehung zwischen<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> einer jüngeren Frau zur Zerrüttung ihrer kurzen<br />

Ehe beitrugen. Später sagte <strong>Tom</strong> dem Magazin<br />

Talk: »Vor Nicole war ich unzufrieden, ich wollte<br />

mehr. Wir waren zwei Menschen, <strong>die</strong> eben nicht zusammenpassten,<br />

<strong>und</strong> das war nicht das, was ich mir<br />

für mein Leben vorgestellt habe. Ich denke, dann geht<br />

man einfach getrennte Wege. Aber das war nicht Mimis<br />

Schuld… so ist es nun einmal.«<br />

-212-


Er dachte jedoch nicht lange darüber nach, was in<br />

seiner ersten Ehe falsch gelaufen war, sondern stürzte<br />

sich, so wie es seinem romantischen Wesen entsprach,<br />

Hals über Kopf in eine neue Beziehung. Ironischerweise<br />

verhielt er sich genau wie sein Vater, der Joan Lebendiger<br />

schon wenige Wochen nach seiner Scheidung<br />

nach kurzem, heftigem Werben heiratete. <strong>Tom</strong> ging<br />

wenigstens diskret vor. Nur fünf Tage nach der offiziellen<br />

Verkündigung seiner Scheidung stand er im<br />

Blitzlichtgewitter, als er den Golden Globe für seine<br />

Leistung als Bester Schauspieler in Geboren am 4.<br />

Juli entgegennahm. Beim Gang über den roten Teppich<br />

hatte er eine Frau an seiner Seite – aber es war<br />

seine Mutter, Mary Lee.<br />

Doch ansonsten verbrachte er jede freie Minute mit<br />

der neuen Frau in seinem Leben, <strong>und</strong> sein geleaster<br />

weißer BMW sowie seine Harley Davidson wurden vor<br />

dem gemieteten Bungalow seiner australischen Kollegin<br />

in Daytona Beach ausgemacht, als <strong>die</strong> Dreharbeiten<br />

in Florida fortgesetzt wurden. Die Liebesaffäre zwischen<br />

Nicole <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> war nicht das einzige Thema,<br />

über das <strong>die</strong> Crew am Set von Tage des Donners zu<br />

tratschen hatte. In den ersten Wochen der Dreharbeiten<br />

hatte <strong>die</strong> Schauspielerin Donna Wilson etwas mit<br />

dem Produzenten Don Simpson angefangen, verließ<br />

ihn aber für den Regisseur Tony Scott, den sie dann<br />

auch heiratete.<br />

Kurz nachdem <strong>Tom</strong>s Scheidung am 4. Februar offiziell<br />

vollzogen war, erzählte Nicole ihrer Mutter Janelle,<br />

<strong>die</strong> als Lehrkrankenschwester arbeitete, aber Urlaub<br />

genommen hatte, um ihre Tochter zu besuchen<br />

<strong>und</strong> <strong>Tom</strong> in Augenschein zu nehmen, dass sie plane, in<br />

<strong>die</strong> neue Villa in Pacific Palisades in Kalifornien, <strong>die</strong><br />

<strong>Tom</strong> gerade gekauft hatte, einzuziehen, sobald <strong>die</strong><br />

Dreharbeiten von Tage des Donners abgeschlossen<br />

seien. Nach allem, was man so hört, war ihre Mutter<br />

-213-


nicht überrascht, weil ihre Tochter sich ebenfalls Hals<br />

über Kopf in ihre früheren Liebesbeziehungen gestürzt<br />

hatte. Wie <strong>Tom</strong> hatte Nicole irisches Blut in den Adern,<br />

da <strong>die</strong> Familie Kidman 1839 als freie Siedler nach<br />

Australien ausgewandert war. Nicole, <strong>die</strong> als Kind<br />

australischer Eltern 1967 in Honolulu, Hawaii, geboren<br />

worden war, wurde katholisch erzogen <strong>und</strong> ging jeden<br />

Sonntag zur Messe. Doch sie war eigensinnig <strong>und</strong> willensstark<br />

<strong>und</strong> brach mit sechzehn <strong>die</strong> Schule ab, um<br />

Schauspielerin zu werden. »Für meine Eltern war ich<br />

ein Alptraum«, erzählte sie später der Zeitschrift Movieline.<br />

Das rebellische, impulsive <strong>und</strong> unkonventionelle<br />

Mädchen flog im Alter von 17 Jahren mit ihrem<br />

37 Jahre alten Fre<strong>und</strong> nach Amsterdam in Urlaub. Als<br />

<strong>die</strong>se Beziehung scheiterte, lebte sie drei Jahre immer<br />

mal wieder mit einem anderen älteren Mann, dem<br />

Schauspielerkollegen <strong>Tom</strong> Burlinson, zusammen <strong>und</strong><br />

verließ ihn, nachdem sie seinen Heiratsantrag ausgeschlagen<br />

hatte.<br />

<strong>Der</strong> nächste Mann in ihrem Leben, der Schauspieler<br />

Marcus Graham, hatte keine Chance mehr, sobald der<br />

>sexiest man< der Welt auf der Bildfläche aufgetaucht<br />

war. Während Marcus sich in Sydney nach Nicole verzehrte,<br />

wurde sie von <strong>Tom</strong> umworben, der ihr fast täglich<br />

Liebesbriefe <strong>und</strong> Blumen, meist rote Rosen,<br />

schickte. Erst als Marcus Nicole mit <strong>Tom</strong> – zusammen<br />

mit Nicoles Mutter Janelle <strong>und</strong> Mary Lee – im März<br />

1990 bei den Academy Awards in Hollywood über den<br />

roten Teppich schreiten sah, wurde ihm klar, was da<br />

lief. Es war ihr erster öffentlicher Auftritt als Paar, <strong>und</strong><br />

anstelle von <strong>Tom</strong> gewann Daniel Day Lewis für seine<br />

Leistung in Mein linker Fuß den Oscar als bester<br />

Hauptdarsteller. <strong>Tom</strong> nahm <strong>die</strong> Niederlage gelassen<br />

hin. »Es war aufregend, überhaupt nominiert zu sein –<br />

<strong>die</strong>se Anerkennung meiner Kollegen zu erfahren.«<br />

-214-


<strong>Der</strong> Abend war eine willkommene Ablenkung von den<br />

wachsenden <strong>und</strong> kostspieligen Schwierigkeiten mit<br />

seinem jüngsten Filmprojekt. Schlechtes Wetter, ein<br />

unfertiges Script, technische Probleme <strong>und</strong> ein immer<br />

aufgeblähteres Budget, das – einschließlich der schönen<br />

7-Millionen-Dollar-Gage für <strong>Cruise</strong> – von 40 Millionen<br />

auf 70 Millionen Dollar angestiegen war, führte<br />

dazu, dass <strong>die</strong> Finanzierung von Tage des Donners<br />

knapp wurde. Die Arbeit mit einem unfertigen Script<br />

bedeutete, dass <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> anderen Schauspieler<br />

jeden Tag neue Dialogseiten ausgehändigt bekamen<br />

<strong>und</strong> der Hauptdarsteller seinen Text vom Armaturenbrett<br />

seines 290 km/h schnellen Stockcars ablesen<br />

musste. Die Katastrophe ließ nicht lange auf sich warten:<br />

Nachdem <strong>Tom</strong> mit hoher Geschwindigkeit einen<br />

Unfall baute, weil er auf sein Script geschielt hatte,<br />

diktierte der Drehbuchautor Robert Towne ihm seinen<br />

Text über Kopfhörer.<br />

Doch <strong>die</strong> finanziellen Stürme, <strong>die</strong> über Tage des<br />

Donners hereinzubrechen drohten, taten der Partyatmosphäre<br />

am Set keinen Abbruch. Laut Don Simpsons<br />

Biograph Charles Fleming waren ständig genug Prostituierte<br />

<strong>und</strong> Drogen vorhanden, um dafür zu sorgen,<br />

dass alle glücklich waren. Mädchen, <strong>die</strong> auf Partys kamen,<br />

wurden regelmäßig mit Donna-Karan-Kleidern<br />

belohnt, <strong>die</strong> der Produzent Don Simpson in seiner Hotelsuite<br />

bereithielt. Im Laufe des Tages schickte Simpson<br />

seine zwei Assistenten zu den nahen Stränden, wo<br />

sie Mädchen ansprachen <strong>und</strong> fragten, ob sie ihr Glück<br />

bei <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> versuchen wollten. Einmal wurde der<br />

örtliche Club, das Palace, für eine Party der Filmcrew<br />

reserviert, bei der der Rapper Tone Loc auftrat. Laut<br />

Fleming waren Alkohol <strong>und</strong> Kokain vorhanden.<br />

Als wären <strong>die</strong> täglichen Filmaufnahmen in Florida<br />

nicht aufregend genug gewesen, widmete sich <strong>Tom</strong><br />

insgeheim einem neuen riskanten Zeitvertreib: dem<br />

-215-


Fallschirmspringen. Er absolvierte unter der Aufsicht<br />

des Experten vor Ort, Bob Halle, der ihn als »Naturtalent«<br />

bezeichnete, Dutzende Sprünge. Nicole nahm<br />

seine Einladung, sich ihm anzuschließen, gerne an <strong>und</strong><br />

realisierte damit einen Kindheitstraum, der ihr von ihren<br />

besorgten Eltern verwehrt worden war. Das war,<br />

falls <strong>die</strong>s überhaupt nötig war, eine weitere Bestätigung,<br />

dass Nicole für <strong>Tom</strong> eine Partnerin ganz nach<br />

seinem Geschmack war, eine Frau mit einer »unglaublichen«<br />

Arbeitsethik am Set <strong>und</strong> in ihrer Freizeit eine<br />

furchtlose Draufgängerin. Nachdem sie, mit einem<br />

Fallschirmlehrer an ihrer Seite, aus dem Flugzeug gesprungen<br />

war, kam ihr Fre<strong>und</strong> dahergeglitten, drückte<br />

ihr einen Kuss auf den M<strong>und</strong>, ließ sich davon treiben<br />

<strong>und</strong> zog seine Reißleine. »Nicht so gut wie Sex – aber<br />

fast«, war ihre begeisterte Reaktion auf <strong>die</strong>ses Erlebnis.<br />

An Ostern <strong>die</strong>ses Jahres machte <strong>Tom</strong> das Gleiche,<br />

als er seine Mutter Mary Lee zu ihrem ersten Sprung<br />

mitnahm.<br />

Er war ebenfalls zugegen, als sein Fre<strong>und</strong> David Miscavige<br />

bei einem Besuch am Filmset in Begleitung eines<br />

Fallschirmlehrers ebenfalls einen Sprung absolvierte.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Scientology</strong>-Führer war von <strong>die</strong>sem Abenteuer<br />

so erfüllt, dass er nach seiner Rückkehr zur Gold<br />

Base stolz einen Videofilm von seinem Sprung mit<br />

<strong>Cruise</strong> vorführte. Innerhalb von <strong>Scientology</strong> waren jedoch<br />

nicht alle von der scheinbaren Besessenheit des<br />

Führers von dem Hollywoodstar beeindruckt. Sein Vater<br />

Ron war »völlig entsetzt«, als er zum Fallschirmspringen<br />

ging, weil er fürchtete, er könnte einen Unfall<br />

haben. »Er war der Meinung, dass er als Kopf von<br />

<strong>Scientology</strong> eine Verantwortung seiner Gemeinde gegenüber<br />

trage«, erinnert sich Karen Pressley. »Aber<br />

David liebt das exzessive Leben <strong>und</strong> genießt Aufregung<br />

<strong>und</strong> Gefahr.«<br />

-216-


Trotz der Bedenken seines Vaters setzten <strong>die</strong> beiden<br />

Fre<strong>und</strong>e in der Freizeit ihre Eskapaden fort; sie traten<br />

in Rennautos gegeneinander an, sie fuhren bei Rot<br />

über Ampeln <strong>und</strong> wären nach Aussage eines ehemaligen<br />

Scientologen einmal beinahe mit hoher Geschwindigkeit<br />

miteinander kolli<strong>die</strong>rt. »Das waren zwei Männer,<br />

<strong>die</strong> einander beeindrucken <strong>und</strong> sich miteinander<br />

messen wollten«, stellt ein Ex-Scientologe fest, der sie<br />

damals beobachtete.<br />

Ihre Fre<strong>und</strong>schaft ging über das Machogehabe hinaus,<br />

<strong>und</strong> <strong>Tom</strong> rief seinen Fre<strong>und</strong> unentwegt an <strong>und</strong> bat<br />

ihn um seine Meinung <strong>und</strong> seinen Rat. Während der<br />

Dreharbeiten von Tage des Donners las er zum Beispiel<br />

das Drehbuch des Films Edward mit den Scherenhänden,<br />

einen typisch schaurigen Tim-Burton-Film<br />

über einen sensiblen, aber missverstandenen Einzelgänger.<br />

Da <strong>Tom</strong> sich nicht sicher war, ob er <strong>die</strong> Rolle<br />

annehmen sollte, fragte er Miscavige <strong>und</strong> andere<br />

nach ihrer Meinung. <strong>Der</strong> <strong>Scientology</strong>-Führer war der<br />

Ansicht, dass er auf <strong>die</strong>se Rolle verzichten solle, weil<br />

sie »zu unmännlich« sei.<br />

<strong>Tom</strong> hielt sich jedoch nicht an <strong>die</strong>sen Rat, sondern<br />

setzte sich dafür ein, dass der Film anstelle des traurigen<br />

Ausgangs, den Burton vorsah, ein Happy End haben<br />

sollte. Doch stattdessen übernahm Johnny Depp<br />

<strong>die</strong> Rolle <strong>und</strong> besetzte eine Nische, nämlich schrullige<br />

Außenseiter zu spielen.<br />

Miscavige mag keine Übung gehabt haben, Drehbücher<br />

zu beurteilen, doch mit der technischen Seite der<br />

Filmproduktion kannte er sich bestens aus, da er <strong>die</strong><br />

Bild- <strong>und</strong> Tonqualität der Propagandafilme der Sekte<br />

genauestens überwachte. Er hatte in seinem Apartment<br />

nicht nur eine teure, hochmoderne Anlage, um<br />

<strong>die</strong> Tonqualität der Golden-Era-Produktionen zu überprüfen;<br />

<strong>die</strong> Techniker von <strong>Scientology</strong> hatten sogar ein<br />

internes System namens Clearso<strong>und</strong> entwickelt. Als<br />

-217-


angehender Filmstar hatte sich <strong>Tom</strong> Gedanken um<br />

sein Gewicht gemacht. Jetzt, da er ein etablierter Hollywoodschwarm<br />

war, bereitete ihm seine Stimme Sorgen,<br />

<strong>und</strong> er bemängelte, dass sie ein klein wenig zu<br />

hoch sei. Vor Beginn der Dreharbeiten von Tage des<br />

Donners sprach er mit seinem <strong>Scientology</strong>-Mentor<br />

über seine Befürchtungen. Miscavige machte den Vorschlag,<br />

dass er sich anhören solle, wie anders seine<br />

Stimme bei Clearso<strong>und</strong> klingen würde. Zwar wurde<br />

das System bei Tage des Donners nicht eingesetzt,<br />

doch der Journalist Rod Lurie behauptete später, Miscavige<br />

habe bei seinem Besuch am Set den Produzenten<br />

Don Simpson davon zu überzeugen versucht.<br />

Simpson, der kurzzeitig ebenfalls Scientologe war <strong>und</strong><br />

der Organisation, nachdem er einen fünfstelligen Betrag<br />

für Beratungen ausgegeben hatte, den Vorwurf<br />

machte, »reiner Schwindel« zu sein, sagte offenbar zu<br />

Miscavige, als <strong>die</strong>ser das Thema ansprach, er solle<br />

»sich verpissen«, <strong>und</strong> ließ ihn vom Set entfernen. Danach<br />

stritt der Sektenführer jede Auseinandersetzung<br />

<strong>die</strong>ser Art ab, bestätigte jedoch, dass er sich zuvor mit<br />

<strong>Tom</strong> über Tonanlagen unterhalten hatte. Auch bei späteren<br />

<strong>Projekt</strong>en von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> sollte <strong>die</strong> Frage, ob<br />

das Tonsystem von <strong>Scientology</strong> eingesetzt werden<br />

sollte, immer wieder zur Sprache kommen.<br />

Ob mit oder ohne Clearso<strong>und</strong>, Tage des Donners –<br />

<strong>und</strong> sein Hauptdarsteller – wurden von den Kritikern<br />

stürmisch bejubelt, als der Film Ende Juni 1989 in <strong>die</strong><br />

Kinos kam. »Er ist schlau <strong>und</strong> macht es großartig«,<br />

schrieb David Denby im Magazin New York. »Aber er<br />

ist auch großspurig <strong>und</strong> ein Angeber. Er ist unbesonnen,<br />

unreif, dumm. Er ist rücksichtslos <strong>und</strong> geht zu<br />

weit. Er muss reifen… Er steckt in einer Krise. Er ist<br />

allein, verwirrt, niedergeschlagen. Er sucht eine Vaterfigur.«<br />

Die Produktion, <strong>die</strong> von Box Office als »unbedeutender<br />

Film mit gewaltigen Ansprüchen« beschrie-<br />

-218-


en wurde, hatte zu kämpfen, um wenigstens <strong>die</strong> Produktionskosten<br />

einzuspielen. Bei der Endabrechnung<br />

schrieb <strong>Tom</strong>s erster Versuch, einen Big-Budget-Film<br />

auf <strong>die</strong> Beine zu stellen, mit Müh <strong>und</strong> Not schwarze<br />

Zahlen, da insgesamt 89 Millionen Dollar für verkaufte<br />

Kinokarten Produktionskosten von mehr als 70 Millionen<br />

Dollar gegenüberstanden.<br />

Nachdem <strong>Tom</strong> in den letzten Jahren einen Film nach<br />

dem anderen gedreht hatte, brauchte er nach Abschluss<br />

der Dreharbeiten eine Pause, <strong>und</strong> er verbrachte<br />

ein paar Wochen zusammen mit Nicole beim Tauchen<br />

auf den Bahamas. In <strong>die</strong>sem Sommer richtete<br />

sich das Paar in seinem neuen Heim in Pacific Palisades<br />

ein <strong>und</strong> absolvierte zahlreiche <strong>Scientology</strong>-Kurse<br />

in ihrem VIP-Bungalow in Gold Base. Aber es ging<br />

nicht nur um <strong>die</strong> Kurse, denn das Paar genoss <strong>die</strong><br />

Freiheit, fern von neugierigen Blicken <strong>und</strong> Teleobjektiven<br />

zusammen zu sein. So kam im Juni anlässlich Nicoles<br />

Geburtstags beispielsweise ein Tieflader ins<br />

Zentrum vorgefahren <strong>und</strong> brachte <strong>Tom</strong>s Geschenk,<br />

einen nagelneuen Mercedes. »Sie rannten wie Teenager<br />

auf dem Gelände herum <strong>und</strong> amüsierten sich«,<br />

erinnert sich ein Ex-Scientologe.<br />

Während <strong>Tom</strong> inzwischen <strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Kurse für<br />

Fortgeschrittene absolvierte, wurde Nicole behutsam<br />

mit Hubbards Schriften <strong>und</strong> der Lehre von <strong>Scientology</strong><br />

vertraut gemacht. Ironischerweise hatte sie mit <strong>Tom</strong>s<br />

Ex-Frau einen gemeinsamen Nenner – einen störenden<br />

Vater. So wie Mimi Rogers aufgr<strong>und</strong> der Feindseligkeit<br />

der Sekte gegenüber Phil Spickler als mögliche Unruhequelle<br />

betrachtet wurde, so musste auch Nicole im<br />

Prinzip mit großem Argwohn begegnet werden. Sie<br />

war nicht nur praktizierende Katholikin, ihr Vater, Dr.<br />

Antony Kidman, war darüber hinaus klinischer Psychologe.<br />

Damit galt er als Angehöriger eines Berufsstands,<br />

der für all <strong>die</strong> Übel auf Erden, einschließlich<br />

-219-


des Holocausts in Deutschland <strong>und</strong> Stalins Säuberungsaktionen<br />

in Russland, verantwortlich gemacht<br />

wurde, automatisch als Feind von <strong>Scientology</strong>. Die Abschaffung<br />

von Dr. Kidmans Beruf war ausdrückliches<br />

Ziel von <strong>Scientology</strong>. Um von der Sekte voll aufgenommen<br />

<strong>und</strong> akzeptiert zu werden, wurde von Nicole<br />

erwartet, dass sie sich von ihrem Vater »lossagte« –<br />

das heißt, jeden Kontakt zu ihm abbrach. Das stellte<br />

<strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Hierarchie vor ein ernstes Problem.<br />

Jesse Prince erinnert sich: »Dass ihr Vater Psychologe<br />

war, sprach eindeutig gegen Nicole. Innerhalb von<br />

<strong>Scientology</strong> wurde sie stets als mögliche Unruhequelle<br />

betrachtet. Aber <strong>die</strong> Führung war der Meinung, sie<br />

würde damit fertig werden. Das war eine Gratwanderung.<br />

Sie hatten <strong>Tom</strong> in der Tasche, <strong>und</strong> sie dachten<br />

sich, um Nicole würden sie sich später kümmern.«<br />

Nicht zum ersten Mal hatte man den Eindruck, für<br />

prominente Scientologen würden andere Regeln gelten<br />

als für normale Mitglieder, als lebten sie sozusagen<br />

<strong>Scientology</strong> light, nicht den eigentlichen Glauben. Und<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> lebte ohnehin nach seinen eigenen Gesetzen.<br />

Was <strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Führung anbelangte, so war<br />

ihr nichts zu viel, wenn sie ihn damit glücklich machen<br />

konnte.<br />

So legte sich <strong>die</strong> Sektenführung im Juli 1990, als das<br />

Geheimnis r<strong>und</strong> um <strong>Tom</strong>s Mitgliedschaft bei <strong>Scientology</strong><br />

in einem von Janet Charlton verfassten Artikel für<br />

<strong>die</strong> Zeitschrift <strong>Star</strong> aufgedeckt wurde, mächtig ins<br />

Zeug, um sowohl <strong>die</strong> Verärgerung des wertvollsten<br />

Mitglieds in Grenzen zu halten als auch <strong>die</strong> Quelle der<br />

Story ausfindig zu machen. Um den Schuldigen aufzuspüren,<br />

engagierten sie den berüchtigten Privatermittler<br />

Eugene Ingrams, einen ehemaligen Polizisten von<br />

Los Angeles, der wegen Fehlverhaltens gefeuert wurde,<br />

weil er angeblich ein Bordell geführt hatte. Während<br />

seiner viermonatigen Ermittlungen wurde <strong>die</strong><br />

-220-


Journalistin Janet Charlton ständig belästigt, <strong>und</strong> Leute<br />

gaben sich als Charlton aus, um an Kopien ihrer Telefonrechnungen<br />

zu gelangen. Schließlich wurde Nan<br />

Herst Bowers – seit langem Scientologin, vorübergehend<br />

als Publizistin in Hollywood tätig <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>in<br />

von Janet Charlton – mit List <strong>und</strong> Tücke als Täterin<br />

ausgemacht. Vor ein <strong>Scientology</strong>-Gericht gestellt, plä<strong>die</strong>rte<br />

sie in acht Anklagepunkten, <strong>die</strong> sich auf <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n<br />

bezogen – darunter »Verbreitung bösartiger Gerüchte«<br />

<strong>und</strong> »Weitergabe von Daten an <strong>die</strong> Presse, <strong>die</strong><br />

gegen <strong>Scientology</strong> eingesetzt werden konnten« – für<br />

nicht schuldig. Sie wurde dennoch für schuldig <strong>und</strong> zur<br />

»suppressive person«, also einer unterdrückerischen<br />

Person, erklärt, was mit dem Ausschluss aus der Sekte<br />

gleichzusetzen ist. Die Regel besagte, dass es ihr nicht<br />

länger gestattet war, mit irgendjemandem innerhalb<br />

von <strong>Scientology</strong>, einschließlich ihres Ehemanns, ihrer<br />

drei Söhne Brad, Todd <strong>und</strong> Ryan <strong>und</strong> ihres Enkelkinds,<br />

in Kontakt zu treten. Ihre Familie schickte ihr Briefe, in<br />

welchen sie sich von ihr »lossagte« <strong>und</strong> ihre Weigerung<br />

bestätigte, jemals wieder Kontakt zu ihr zu<br />

haben. Innerhalb einer Woche war Nan, bis dahin eine<br />

glücklich verheiratete Mutter <strong>und</strong> Großmutter, von ihren<br />

Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ihrer Familie völlig abgeschnitten.<br />

Seit dem Prozess sind inzwischen sechzehn Jahre vergangen,<br />

<strong>und</strong> sie hat ihren Mann, ihre Söhne <strong>und</strong> acht<br />

Enkelkinder seitdem nie mehr wiedergesehen. »Ich<br />

wurde, nachdem <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> sich beklagt hatte, zum<br />

Sündenbock abgestempelt. In meinen Augen hat<br />

<strong>Scientology</strong> meine Familie zerstört«, sagt sie. »Sie haben<br />

meine Söhne <strong>und</strong> deren Kinder von mir ferngehalten.<br />

Davor waren wir eine ganz normale, eng verb<strong>und</strong>ene<br />

jüdische Familie. Wegen <strong>die</strong>ses Vorfalls konnte<br />

ich kein normales Leben als Mutter <strong>und</strong> Großmutter<br />

mehr führen.«<br />

-221-


Im August 1990, einen Monat nachdem <strong>die</strong> Ermittlungen<br />

eingeleitet worden waren, um herauszufinden,<br />

wer <strong>Tom</strong> geoutet hatte, zogen H<strong>und</strong>erte von Sea-Org-<br />

Mitgliedern den Zorn des Führers auf sich, als der VIP-<br />

Bungalow des <strong>Star</strong>s in Gold Base nach heftigen Regenfällen<br />

von einer Schlammlawine stark beschädigt wurde.<br />

Das war höhere Gewalt, aber da Scientologen nicht<br />

an Gott glauben, beschuldigte David Miscavige <strong>die</strong> Sea<br />

Org, keine ausreichenden Vorkehrungen gegen Überschwemmungen<br />

getroffen zu haben. Zur Strafe stufte<br />

er H<strong>und</strong>erte von Sea-Org-Mitgliedern in <strong>die</strong> ethisch<br />

bedenkliche Kategorie »Confusion«, das heißt »Verwirrung«,<br />

ein, <strong>und</strong> Scharen von Scientologen arbeiteten<br />

r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Uhr an der Behebung des Schadens.<br />

»Danach sind eine ganze Menge Leute ausgetreten,<br />

weil sie ihn für verrückt hielten«, erinnert sich Shelly<br />

Britt.<br />

Damals wusste <strong>Tom</strong> wahrscheinlich nichts von den<br />

harten Strafen, <strong>die</strong> gegen andere Scientologen ausgesprochen<br />

wurden, so wie Nicole sicher nicht über<br />

<strong>Scientology</strong>s große Feindseligkeit gegenüber Männern<br />

wie ihrem Vater aufgeklärt wurde. Während <strong>die</strong> Sea-<br />

Org-Mitglieder Tag <strong>und</strong> Nacht schufteten, um <strong>Tom</strong>s<br />

<strong>und</strong> Nicoles Luxusbungalow wieder in seinen früheren<br />

tadellosen Zustand zu versetzen, flog das Paar im August<br />

1990 mit einem Privatjet nach Sydney, um ihren<br />

Vater <strong>und</strong> andere Familienmitglieder zu besuchen.<br />

Vergeblich versuchte Nicole, <strong>die</strong> unumgänglichen Spekulationen,<br />

dass möglicherweise bald <strong>die</strong> Hochzeitsglocken<br />

läuten könnten, zurückzuweisen. »Das ganze Gerede,<br />

dass wir verlobt sind, ist reiner Blödsinn«, sagte<br />

sie einer australischen Zeitschrift. »Ich möchte irgendwann<br />

heiraten, aber ich glaube, es wäre sehr<br />

dumm, das in <strong>die</strong>ser Phase meines Lebens zu tun.«<br />

Einen Monat später gaben sie ihre Verlobung bekannt,<br />

<strong>und</strong> <strong>Tom</strong> kaufte ihr einen Diamantring, der an-<br />

-222-


geblich 260.000 Dollar gekostet hatte. Den Heiratsantrag<br />

machte er ihr genau in der gleichen Art <strong>und</strong> Weise,<br />

wie er <strong>die</strong> australische Schauspielerin umworben<br />

hatte, denn <strong>Tom</strong> legte ihr einen Zettel aufs Kopfkissen,<br />

auf dem stand: »Meine liebste Nicole, ich bin dir<br />

<strong>die</strong> ganze Zeit hinterher gejagt, bis du mich schließlich<br />

gefangen hast. Willst du mich heiraten?«<br />

Fast umgehend wurden <strong>Tom</strong>s Assistentin Andrea<br />

Morse <strong>und</strong> seine Schwester Lee Anne DeVette beauftragt,<br />

eine geeignete Location für <strong>die</strong> Hochzeit ausfindig<br />

zu machen, <strong>die</strong> sie schließlich fanden, <strong>und</strong> für 2<br />

Millionen Dollar mieteten sie ein Blockhaus mit sechs<br />

Schlafzimmern <strong>und</strong> einer spektakulären Aussicht auf<br />

<strong>die</strong> Rocky Mountains in Telluride, einer ehemaligen<br />

Bergarbeiterstadt in Colorado, <strong>die</strong> inzwischen zu einem<br />

Wintersportort für <strong>die</strong> Schickeria verwandelt wurde. An<br />

Heiligabend 1990 heirateten Nicole, <strong>die</strong> ein Brokatkleid<br />

aus den dreißiger Jahren trug, welches sie in Amsterdam<br />

gekauft hatte, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> in dem mit Blumen geschmückten<br />

Haus – unter einer mit weißen Lilien <strong>und</strong><br />

roten Rosen verzierten Weide – in einer schlichten<br />

<strong>Scientology</strong>-Hochzeitszeremonie, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong>s Auditor Ray<br />

Mithoff leitete. Nicoles Schwester Antonia war Brautjungfer,<br />

Dustin Hoffman Trauzeuge, <strong>und</strong> zu den Gästen<br />

zählten David <strong>und</strong> Shelley Miscavige, Gelda<br />

Mithoff, Greg Wilhere <strong>und</strong> Nicoles Fre<strong>und</strong>in, <strong>die</strong> Schauspielerin<br />

Deborra-Lee Furness. Das Fest wurde von<br />

Miscavige organisiert <strong>und</strong> geleitet, der dafür sorgte,<br />

dass zwei Köche von <strong>Scientology</strong> <strong>und</strong> andere Sea-Org-<br />

Mitglieder sich um das Wohl der frisch Vermählten <strong>und</strong><br />

ihrer Gäste kümmerten. Obwohl <strong>die</strong> Hochzeitsplanungen<br />

unter absoluter Verschwiegenheit<br />

vonstattengingen, waren <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole ganz wild<br />

darauf, der Welt ihr kleines Geheimnis k<strong>und</strong>zutun, <strong>und</strong><br />

so rief <strong>die</strong> Schauspielerin zwei Tage nach der Hochzeit<br />

-223-


einen Radiosender in Sydney an, um mitzuteilen, dass<br />

sie inzwischen verheiratet <strong>und</strong> »absolut glücklich« sei.<br />

Ein paar Wochen später richteten der übermächtige<br />

Agent Mike Ovitz, Chef der Agentur Creative Artists,<br />

<strong>und</strong> <strong>Tom</strong>s Geschäftspartnerin Paula Wagner zu Ehren<br />

von <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole ein großartiges Dinner aus. Neben<br />

den Machern von Hollywood versammelten sich <strong>die</strong><br />

leitenden Persönlichkeiten von <strong>Scientology</strong> im Restaurant<br />

DC3 in Santa Monica. Dort kam Mike Ovitz, der<br />

damals mächtigste Mann Hollywoods, mit dem mächtigsten<br />

Mann von <strong>Scientology</strong>, David Miscavige, in Berührung.<br />

Bei <strong>die</strong>sem Aufeinandertreffen von Unterhaltung<br />

<strong>und</strong> Religion saß <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> eingeklemmt in der<br />

Mitte. Das war gewissermaßen symbolisch zu verstehen.<br />

-224-


7<br />

Das Hochzeitsgeschenk von Dustin Hoffman <strong>und</strong> seiner<br />

Frau Lisa war außergewöhnlich, aber passend –<br />

Bowlingkugeln für sie <strong>und</strong> ihn. <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole, das<br />

stets miteinander wetteifernde Paar, hatten erst vor<br />

kurzem ihre Leidenschaft für <strong>die</strong>sen Sport entdeckt,<br />

aber es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihren sportlichen<br />

Wettkampf fortsetzen konnten. Wie bei seiner<br />

ersten Ehe mit Mimi Rogers gab es keine Gelegenheit,<br />

in <strong>die</strong> Flitterwochen zu fahren, da Nicole schon vier<br />

Tage nach ihrer Hochzeit in Richtung North Carolina<br />

aufbrechen musste, um <strong>die</strong> Dreharbeiten an Billy<br />

Bathgate abzuschließen, einem historischen Gangsterfilm,<br />

in dem sie an der Seite von Dustin Hoffman<br />

spielte.<br />

Es dauerte auch einige Zeit, bis Nicole sich an dem<br />

Hochzeitsgeschenk von David <strong>und</strong> Shelley Miscavige<br />

erfreuen konnte. Als <strong>Tom</strong> dem <strong>Scientology</strong>-Führer von<br />

dem gemeinsamen Traum des Paares erzählte, über<br />

eine Wiese mit Wildblumen zu laufen, beschloss sein<br />

Fre<strong>und</strong> offenbar, <strong>die</strong>sen Traum wahr zu machen. Ein<br />

Team von zwanzig Sea-Org-Mitgliedern wurde beauftragt,<br />

das Gelände neben dem Bungalow der <strong>Cruise</strong>s<br />

umzugraben, zu ebnen <strong>und</strong> Weizengras- sowie Wildblumensamen<br />

auszusäen. Die ehemalige Scientologin<br />

Maureen Bolstad erinnerte sich, im strömenden Regen<br />

bis früh am Morgen geschuftet zu haben. »Es war ein<br />

höchst dringliches <strong>Projekt</strong>, damit <strong>Tom</strong>s Traum wahr<br />

wurde. Mir kam es komisch vor, dass wir ihm <strong>die</strong>sen<br />

besonderen Gefallen taten -eigentlich war ich doch da,<br />

um meiner Religion zu <strong>die</strong>nen.«<br />

-225-


Selbstverständlich wurde der Fortgang der Arbeiten<br />

regelmäßig von David <strong>und</strong> Shelley Miscavige inspiziert,<br />

<strong>die</strong> mit dem Motorrad herüberfuhren. Offenbar waren<br />

sie mit dem Ergebnis nicht richtig zufrieden <strong>und</strong> ließen<br />

das Gelände noch einmal umgraben <strong>und</strong> neu aussäen.<br />

Heutzutage gibt sich <strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Führung hinsichtlich<br />

des Vorfalls erstaunlich geheimniskrämerisch, <strong>und</strong><br />

Mike Rinder, der Vorstand der Abteilung für besondere<br />

Angelegenheiten, streitet schlichtweg ab, dass <strong>die</strong><br />

Wildblumenaussaat je stattgef<strong>und</strong>en hat. Andere Zeugen,<br />

von denen einige <strong>die</strong> Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen<br />

mit eidesstattlichen Erklärungen bekräftigt haben,<br />

widersprechen ihm. Karen Pressley, <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>in sowohl<br />

von David als auch von Shelley Miscavige, erinnert<br />

sich: »Die Geschichte der Wiese für <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole<br />

entspricht absolut der Wahrheit. Ich war selbst<br />

dabei.«<br />

Vielleicht in Erinnerung an das große Filmpaar Spencer<br />

Tracy <strong>und</strong> Katherine Hepburn machte <strong>Tom</strong> seiner<br />

neuen Frau ein Hochzeitsgeschenk, das mit Geld nicht<br />

zu kaufen ist – <strong>die</strong> Hauptrolle in seinem neuen Film,<br />

eine lustige <strong>und</strong> romantische Abenteuergeschichte, <strong>die</strong><br />

schließlich unter dem Titel In einem fernen Land lief.<br />

Obwohl der Regisseur Ron Howard noch nie mit Nicole<br />

zusammengearbeitet hatte, blieb ihm keine andere<br />

Wahl, als zuzustimmen. <strong>Der</strong> Regisseur von Filmen wie<br />

Cocoon <strong>und</strong> Splash hatte das <strong>Projekt</strong> bereits seit<br />

neun Jahren in Planung; es basierte auf dem Leben<br />

seines Urgroßvaters, der 1893 aus Irland ausgewandert<br />

war <strong>und</strong> am Oklahoma Land Run teilgenommen<br />

hatte. Howard hatte <strong>Tom</strong> das Drehbuch Monate zuvor<br />

zugeschickt, ohne sich jedoch große Hoffnungen zu<br />

machen. Deshalb war er erstaunt, als <strong>Tom</strong> zusagte,<br />

<strong>die</strong> Hauptrolle zu übernehmen <strong>und</strong> einen irischen Arbeiter<br />

zu spielen, einen Schlägertypen, der auf der<br />

Suche nach seinem Glück nach Westen zieht <strong>und</strong> in<br />

-226-


Gestalt der gebildeten Tochter eines Großgr<strong>und</strong>besitzers<br />

<strong>die</strong> große Liebe findet.<br />

Genau genommen gab es erst durch <strong>Tom</strong>s Zusage<br />

für das <strong>Projekt</strong> grünes Licht. Mit 28 Jahren scheute<br />

sich <strong>Tom</strong> nicht, bei <strong>die</strong>sem <strong>Projekt</strong> seine ganze Autorität<br />

in <strong>die</strong> Waagschale zu werfen. Howard stimmte<br />

nicht nur <strong>Tom</strong>s Wahl der Hauptdarstellerin – sowie<br />

einer Gage von angeblich 10 Millionen Dollar – zu, er<br />

gab sogar seinen Segen, als <strong>Tom</strong> darauf bestand, dass<br />

Clearso<strong>und</strong>, das von <strong>Scientology</strong> entwickelte Tonsystem,<br />

bei <strong>die</strong>sem Film eingesetzt werden sollte. <strong>Der</strong><br />

junge <strong>Star</strong> nahm Howard zur Gold Base mit, um ihm<br />

das System vorzuführen <strong>und</strong> das <strong>Projekt</strong> in aller Ruhe<br />

zu besprechen. <strong>Der</strong> Produzent Brian Grazer <strong>und</strong> der<br />

Drehbuchautor Bob Dolman kamen später nach, sie<br />

wurden mit einem Privathubschrauber zum Zentrum<br />

geflogen. Das war für Dolman offenbar eine unheimliche<br />

Erfahrung. Seine Gastgeber von <strong>Scientology</strong> waren<br />

»so auf Sicherheit bedacht, so militärisch – ein<br />

Auto wartete auf den Hubschrauber, <strong>die</strong> Leute trugen<br />

braune Uniformen«. Sobald <strong>die</strong> Drehbuchkonferenz zu<br />

Ende war, wurden sie von David Miscavige zum Essen<br />

eingeladen.<br />

Bevor <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole im Mai 1991 zu den Dreharbeiten<br />

aufbrachen, hielten sie sich in Gold Base auf, um<br />

ihre Rollen als das junge Liebespaar Joseph Donnelly<br />

<strong>und</strong> Shannon Christie einzustu<strong>die</strong>ren. Wahrscheinlich<br />

war es gut, dass sie mit Dreharbeiten beschäftigt waren<br />

– der Film wurde in Irland <strong>und</strong> Montana aufgenommen<br />

–, denn im gleichen Monat wurde ihre Sekte<br />

von der schlimmsten Me<strong>die</strong>nbreitseite in ihrer Geschichte<br />

erschüttert. Eine Titelgeschichte des angesehenen<br />

Magazins Time – der gleichen Zeitschrift, <strong>die</strong><br />

den Schauspieler in einem früheren Artikel als »<strong>Tom</strong><br />

Terrific« beschrieben hatte – beschuldigte <strong>Scientology</strong>,<br />

»eine florierende Sekte von Macht <strong>und</strong> Gier« zu sein,<br />

-227-


<strong>die</strong> Leben ruiniere <strong>und</strong> kaum mehr als ein »skrupelloser<br />

weltweiter Betrug« sei. In seinem vernichtenden<br />

achtseitigen Artikel beschrieb der Journalist Richard<br />

Behar <strong>die</strong> Sekte als ein »verkommenes Unternehmen«,<br />

in dem illegale Praktiken, legale Schikane,<br />

mentaler <strong>und</strong> physischer Missbrauch sowie Steuerhinterziehung<br />

gang <strong>und</strong> gäbe seien. <strong>Scientology</strong> sei ein<br />

»höchst profitables globales Geschäft, das überlebt,<br />

indem es Mitglieder <strong>und</strong> Kritiker nach Mafia-Manier<br />

einschüchtert«. Behar hatte umfangreiche Recherchen<br />

angestellt <strong>und</strong> 150 Interviews geführt, <strong>und</strong> er zitierte<br />

Cynthia Kisser vom Cult Awareness Network, <strong>die</strong> sagte:<br />

»<strong>Scientology</strong> ist höchstwahrscheinlich <strong>die</strong> skrupelloseste,<br />

im klassischen Sinne terroristischste, <strong>die</strong> prozessfreudigste<br />

<strong>und</strong> lukrativste Sekte, <strong>die</strong> es in <strong>die</strong>sem<br />

Land je gegeben hat.« Als sei der Artikel noch nicht<br />

vernichtend genug: Wenige Wochen zuvor waren<br />

<strong>Scientology</strong>-Mitglieder in Toronto vor Gericht gestellt<br />

<strong>und</strong> angeklagt worden, Tausende Dokumente aus Behörden<br />

<strong>und</strong> Anwaltsbüros gestohlen <strong>und</strong> Vertrauensbruch<br />

begangen zu haben. Es war das erste Mal in der<br />

Geschichte Kanadas, dass eine religiöse Gemeinschaft<br />

auf der Anklagebank saß. Die Anklage wegen Diebstahl<br />

wurde niedergeschlagen, doch wegen Vertrauensbruch<br />

wurde eine Strafe von 250.000 Dollar verhängt.<br />

Die Konsequenzen waren unverzüglich zu spüren <strong>und</strong><br />

weitreichend. So war der Scientologe Peter Alexander,<br />

der ehemalige Vizepräsident von Universal Studios,<br />

beispielsweise früher von der Sekte angewiesen worden,<br />

seinen Filmfre<strong>und</strong> <strong>Tom</strong> Pollock, damals Präsident<br />

der Abteilung Motion Picture von Universal, aufzufordern,<br />

einen abfälligen Hinweis auf <strong>Scientology</strong> aus<br />

dem Film Auf <strong>die</strong> harte Tour zu entfernen. Widerwillig<br />

war Pollock <strong>die</strong>ser Bitte nachgekommen. Als Pollock<br />

den Time-Artikel gelesen hatte, rief er Alexander<br />

-228-


umgehend an <strong>und</strong> sagte ihm, er solle ihn nie mehr im<br />

Namen von <strong>Scientology</strong> um einen Gefallen bitten.<br />

Miscavige, dem <strong>die</strong> negativen Auswirkungen auf <strong>die</strong><br />

Mitgliederwerbung <strong>und</strong> <strong>die</strong> bestehende Mitgliedschaft<br />

klar waren, startete eine 3 Millionen Dollar teure aggressive<br />

Gegenattacke, in der behauptet wurde, dass<br />

<strong>Scientology</strong> Opfer einer bizarren <strong>und</strong> komplizierten<br />

<strong>Verschwörung</strong> seitens der bete noire der Sekte, nämlich<br />

der Pharmaindustrie, sei. Eine nachfolgende Verleumdungsklage<br />

gegen Time wurde in allen Punkten<br />

niedergeschlagen. Nichtsdestotrotz war Miscavige, als<br />

er <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole im Juli anlässlich von <strong>Tom</strong>s 29. Geburtstag<br />

am Drehort in Irland besuchte, bereit, Behars<br />

Behauptungen, sollte er darauf angesprochen werden,<br />

stichhaltig zu widerlegen <strong>und</strong> das Hollywoodpaar zu<br />

beruhigen, falls es besorgt sein sollte.<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> sein Glaube standen jedenfalls im Mittelpunkt<br />

des Interesses. Etwa zu <strong>die</strong>ser Zeit schrieb Nan<br />

Herst Bowers, das Opfer von <strong>Scientology</strong>, einen Brief<br />

an <strong>Tom</strong>, allerdings zu Händen seiner Sprecherin Andrea<br />

Jaffe, an den Drehort von In einem fernen Land.<br />

In dem Schreiben bat sie ihn, sich angesichts der sich<br />

in ihrer Familie abspielenden Tragö<strong>die</strong> für sie einzusetzen.<br />

In ihrem höflichen zweiseitigen Brief erklärte sie<br />

ihm, dass sie zu Unrecht beschuldigt worden sei, den<br />

Me<strong>die</strong>n gesteckt zu haben, dass <strong>Tom</strong> Mitglied von<br />

<strong>Scientology</strong> ist. Das darauffolgende Verfahren gegen<br />

sie <strong>und</strong> der Ausschluss bedeuteten, dass sie ihre Familienangehörigen<br />

nicht mehr sehen könne, <strong>die</strong> noch<br />

immer Mitglieder der Sekte seien. Sie sagte: »Ich war<br />

der Meinung, dass er, wenn ihm bewusst würde, welche<br />

Ungerechtigkeit <strong>die</strong> Sekte begangen <strong>und</strong> welchen<br />

Kummer sie in ihrem gutgemeinten Versuch, ihn zu<br />

schützen, verursacht hat, vielleicht mit den Leuten<br />

würde in Kontakt treten wollen, um über <strong>die</strong> Auswirkungen,<br />

<strong>die</strong> ihr Vorgehen auf meine Familie hatte, zu<br />

-229-


sprechen. Ich kann nicht glauben, dass <strong>Tom</strong> es gutheißen<br />

würde, dass eine Familie seinetwegen auseinandergerissen<br />

wird.« Sie erhielt keine Antwort, obwohl<br />

sie ihren Brief per Einschreiben geschickt hatte.<br />

Als <strong>Tom</strong> zwei Jahre später von dem Journalisten John<br />

Richardson direkt darauf angesprochen wurde, stritt<br />

<strong>Tom</strong> ab, irgendetwas von dem Brief oder von Nan<br />

Herst Bowers’ Bitte zu wissen.<br />

Während <strong>die</strong> eine Familie auseinandergerissen wurde,<br />

waren <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole ein sehr verliebtes Paar,<br />

das In einem fernen Land als seinen »Flitterwochen«-Film<br />

bezeichnete. Am Set sah sich der Regisseur<br />

Ron Howard zu der Feststellung veranlasst: »Sie<br />

küssten sich ständig – den ganzen Tag.« <strong>Tom</strong> war seiner<br />

jungen Frau gegenüber besonders aufmerksam<br />

<strong>und</strong> zeigte seine Liebe für Nicole stolz in aller Öffentlichkeit.<br />

»Er kümmerte sich ständig um sie«, stellte<br />

der Komparse Tony Leone fest. »Er legte ein Handtuch<br />

um sie <strong>und</strong> kümmerte sich darum, dass es ihr gutging.«<br />

Bei öffentlichen Anlässen hielten sie stets<br />

Händchen, pressten <strong>die</strong> Körper aneinander, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong><br />

schien ihr immer irgendwelche Nettigkeiten ins Ohr zu<br />

flüstern. Da Nicole unter Panikattacken litt, <strong>die</strong>nte das<br />

öffentliche Geschmuse gleichermaßen der Beruhigung<br />

ihrer angegriffenen Nerven wie dem Ausleben romantischer<br />

Gefühle.<br />

Dieses Mal war das nicht reine Show, denn <strong>Tom</strong><br />

brachte seine Bew<strong>und</strong>erung für seine junge Frau mit<br />

den Rosen zum Ausdruck, <strong>die</strong> er ihr buchstäblich jeden<br />

Tag schickte, sowie mit den kurzen, aber zärtlichen<br />

Liebesbotschaften, einige auf gelbe Post-its geschrieben,<br />

<strong>die</strong> er ihr hinlegte, wo immer sie sich auch auf<br />

der Welt aufhielten. (Eine Hausbesitzerin in Toronto,<br />

<strong>die</strong> den <strong>Cruise</strong>s ihr Haus eine Zeitlang vermietet hatte,<br />

war, als sie wieder einzog, verwirrt, als sie zwischen<br />

ihren Sofakissen mehrere solcher Liebesbotschaften<br />

-230-


fand. Zunächst dachte sie, ihr Mann habe auf einmal<br />

seine romantische Ader entdeckt. Dann wurde ihr klar,<br />

dass <strong>Tom</strong> sie geschrieben hatte.) In den ersten Jahren<br />

ihrer Ehe war Nicole von der Art <strong>und</strong> Weise, wie er sie<br />

umwarb, ganz entzückt. »Er ist unglaublich romantisch«,<br />

sagte sie. »Er steckt viel Arbeit in unsere Ehe.«<br />

Diese Arbeit fand Ausdruck in großzügigen Geschenken<br />

wie Schmuck, dem neuesten Modell von Mercedes<br />

<strong>und</strong> sogar einem niedlichen Labradorwelpen. Dieses<br />

letzte Geschenk bewies jedoch, dass er über seine<br />

Frau noch viel zu lernen hatte – denn sie ist keine<br />

Tierfre<strong>und</strong>in. Als Nicole ihrem Mann sagte, dass sie<br />

nicht gerne Kleider einkaufe, übernahm er <strong>die</strong>s für sie<br />

<strong>und</strong> kaufte ihr höchstpersönlich Designer-Outfits, oder<br />

er engagierte für 1000 Dollar pro Tag <strong>die</strong> Stylistin <strong>und</strong><br />

Einkaufsberaterin Kate Harrington, <strong>die</strong> für Nicole das<br />

Richtige aussuchte. Eine Fre<strong>und</strong>in stellte bew<strong>und</strong>ernd<br />

<strong>und</strong> ziemlich neidvoll fest: »Ich bin nie einem Mann<br />

begegnet, der so liebevoll, besorgt <strong>und</strong> mitfühlend mit<br />

einer Frau umgegangen ist. Er hat Nicole einfach über<br />

alles geliebt.«<br />

Beide wollten unbedingt eine Familie gründen. Nicole<br />

sprach im Brustton der Uberzeugung davon, dass sie<br />

Kinder haben wolle, <strong>und</strong> stellte seltsamerweise fest,<br />

dass sie in Australien aufwachsen müssten, »um mit<br />

beiden Beinen am Boden zu bleiben«. Doch am Set<br />

änderte Nicole, <strong>die</strong> während der Dreharbeiten ihren<br />

24. Geburtstag feierte, ihre Meinung, als sie den Regisseur<br />

Ron Howard <strong>und</strong> seine Frau Cheryl mit ihren<br />

vier Kindern beobachtete. Sie betrachtete sie als Vorbilder,<br />

wie man inmitten des Hollywoodtrubels ges<strong>und</strong>e,<br />

ausgeglichene Kinder aufziehen kann. Dass sie mit<br />

<strong>Tom</strong> ein Kind haben wollte, ob sie verheiratet waren<br />

oder nicht, stand für sie immer außer Frage. Ein paar<br />

Jahre später gestand sie ein: »Ich wollte unbedingt ein<br />

-231-


Baby mit ihm. Mir war es egal, ob wir verheiratet waren.<br />

Ich wünschte mir, ich hätte eines bekommen.«<br />

<strong>Tom</strong> hatte nie ein Geheimnis aus seinem Wunsch<br />

gemacht, eine Familie zu gründen, ein Wunsch, der bei<br />

ihm dringlich <strong>und</strong> manchmal beinahe übertrieben wirkte.<br />

Es war, als könne er dadurch, dass er selbst Vater<br />

wurde, den ganzen Kummer seiner Kindheit, vor allem<br />

seine problematische Beziehung zu seinem Vater, auslöschen.<br />

Selbstverständlich würde er, wie bei allem,<br />

was er in Angriff nahm, der beste Vater aller Zeiten<br />

werden. Für einen Mann, der seine Familie gern um<br />

sich hatte -seine Mutter Mary Lee besuchte <strong>die</strong> Frischvermählten<br />

in Irland –, würde <strong>die</strong> Vaterschaft eine Art<br />

Trost <strong>und</strong> Vollendung darstellen. »Ich hätte gern Kinder«,<br />

sagte <strong>Tom</strong> noch vor der Hochzeit mit Nicole.<br />

»Ich würde einen Oscar ausschlagen, um meinem<br />

Sohn bei einem Baseballspiel zuzuschauen oder meiner<br />

Tochter bei einem Vorsingen zuzuhören.«<br />

Eine Zeitlang sah es so aus, als würde bei den ausgedehnten<br />

Flitterwochen während des Drehs in Irland<br />

alles nach Plan verlaufen. <strong>Tom</strong> wurde in jenem Sommer<br />

folgendermaßen zitiert: »Es ist ein W<strong>und</strong>er. Sie ist<br />

schwanger. Ich werde Vater. Ich kann es kaum erwarten,<br />

mein Erstgeborenes in den Armen zu halten.«<br />

Zwar wurden <strong>die</strong>se sensationellen Zeitungsmeldungen<br />

von der Sprecherin des Paares energisch dementiert,<br />

doch es hat den Anschein, als hätten <strong>die</strong> Blätter <strong>die</strong>ses<br />

eine Mal richtig gelegen.<br />

Kaum waren <strong>die</strong> Dreharbeiten für In einem fernen<br />

Land im Oktober abgeschlossen, flog Nicole allein<br />

nach New York, um ein paar Szenen für Billy Batbgate<br />

nachzudrehen. Während der Filmaufnahmen litt Nicole<br />

unter Bauchschmerzen <strong>und</strong> wurde zur Behandlung<br />

in ein Krankenhaus gebracht. Unmittelbar darauf zog<br />

sie sich ins St. John’s Hospital nach Santa Monica, unweit<br />

ihres Wohnsitzes in Hollywood, zurück. Im Kran-<br />

-232-


kenhaus, in dem sie unter falschem Namen registriert<br />

wurde, unterzog sie sich laut Aussage einer mehrfach<br />

zitierten Krankenhausquelle »einem kleinen Eingriff<br />

am Bauch zur Entfernung von Narbengewebe, das ihr<br />

Schmerzen bereitete«.<br />

<strong>Der</strong> wahre Gr<strong>und</strong> ihrer Erkrankung blieb ein streng<br />

gehütetes Geheimnis, doch in Wahrheit erwartete Nicole<br />

tatsächlich ihr erstes Kind. Die Freude des Paares<br />

währte jedoch nur kurz, da es sich um eine potenziell<br />

lebensbedrohliche Eileiterschwangerschaft handelte.<br />

Das heißt, dass sich das befruchtete Ei im Eileiter anstatt<br />

in der Gebärmutter eingenistet hatte, was zu<br />

schmerzhaften Blutungen im Bauchraum führte. Heutzutage<br />

kann man Eileiterschwangerschaften mit speziellen<br />

Medikamenten beenden, doch damals musste<br />

das befruchtete Ei mit einem minimal-invasiven Eingriff<br />

entfernt werden, um <strong>die</strong> Blutungen zu stoppen.<br />

Gravierendere Folgen hat es, wenn der ganze Eileiter<br />

entfernt wird, was <strong>die</strong> Chancen einer Frau, wieder<br />

schwanger zu werden, deutlich reduziert. Zwar kann<br />

<strong>die</strong> Hälfte der Frauen, <strong>die</strong> eine Eileiterschwangerschaft<br />

hatten, später mit normalen Schwangerschaften rechnen,<br />

doch laut Aussage des Gynäkologen Dr. David<br />

Farquharson von der Royal Infirmary in Edinburgh besteht<br />

ein zehnprozentiges Risiko einer zweiten Eileiterschwangerschaft.<br />

Für Nicole wurde <strong>die</strong> Prognose durch ihre Familiengeschichte<br />

noch zusätzlich verkompliziert. Ihre Mutter<br />

Janelle glaubte nach sechs Jahren Ehe, sie könne keine<br />

Kinder bekommen, <strong>und</strong> hatte <strong>die</strong> Hoffnung auf ein<br />

Baby schon fast aufgegeben. Die Schwangerschaft mit<br />

Nicole war dann eine w<strong>und</strong>ervolle Überraschung gewesen,<br />

doch vielleicht hat Janelle ihrer Tochter ihre eigenen<br />

gynäkologischen Probleme vererbt. Sollte <strong>die</strong>s der<br />

Fall sein, ist es wahrlich ein W<strong>und</strong>er, dass Nicole überhaupt<br />

schwanger wurde. Doch es erschien unwahr-<br />

-233-


scheinlich, dass sie wieder schwanger werden konnte,<br />

ohne eine Fehlgeburt zu erleiden. Die Ärzte warnten<br />

sie, dass es gefährlich sein könnte, es auch nur zu<br />

versuchen, da eine weitere Schwangerschaft möglicherweise<br />

tödlich sein könnte. Das war eine niederschmetternde<br />

Nachricht für das Paar, das so erpicht<br />

darauf zu sein schien, eine Familie zu gründen. Erschöpft<br />

<strong>und</strong> emotional angeschlagen, flog Nicole allein<br />

nach Australien, um sich bei ihrer Familie zu erholen.<br />

»Das war wirklich sehr traumatisch«, gestand sie Jahre<br />

später ein.<br />

Die Aussichten standen für <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole nicht gut:<br />

Versuchten sie, ein Baby zu bekommen, wussten sie,<br />

dass Nicole, selbst wenn sie tatsächlich schwanger<br />

würde, ihre Ges<strong>und</strong>heit aufs Spiel setzte. Ironischerweise<br />

war das eine Situation, <strong>die</strong> weitreichende Auswirkungen<br />

nicht nur auf ihr Image als glückliches Liebespaar<br />

haben sollte, sondern auch auf <strong>die</strong> Wahrnehmung<br />

von <strong>Tom</strong> als Actionfilm-Helden. Doch das war in<br />

<strong>die</strong>ser Zeit, als sie zu kämpfen hatten, mit Nicoles Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

fertig zu werden, ihre geringste Sorge.<br />

Im Januar 1992 berichtete ein Artikel im Magazin Parade<br />

mit unbeabsichtigter Grausamkeit, dass Nicole<br />

im kommenden Monat ein Baby erwarte. Zwar wurde<br />

<strong>die</strong> Geschichte von der Sprecherin des Paares sofort<br />

r<strong>und</strong>weg dementiert, doch sie enthielt insofern ein<br />

Körnchen Wahrheit, als <strong>die</strong> beiden inzwischen intensiv<br />

darüber diskutierten, ob <strong>die</strong> Adoption eines Babys eine<br />

mögliche Option sei. <strong>Der</strong> Biograph von Nicole, James<br />

Dickerson, schreibt: »Die Geschichte war durch das<br />

ständige Weitererzählen verfälscht worden. Über <strong>die</strong><br />

kursierenden Gerüchte entsetzt, legten Nicole <strong>und</strong><br />

<strong>Tom</strong> ihre heimlichen Adoptionspläne auf Eis.«<br />

Fürs Erste stürzten sie sich in <strong>die</strong> Arbeit <strong>und</strong> sahen<br />

sich unzähligen Fragen ausgesetzt, als sie gemeinsam<br />

-234-


eine Werbekampagne für In einem fernen Land antraten.<br />

Möglicherweise getroffen von den verletzenden<br />

<strong>und</strong> endlosen Spekulationen r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Ehe des glamourösesten<br />

Hollywoodpaares, holte <strong>Tom</strong> eine weitere<br />

Frau in sein Leben – <strong>die</strong> Publizistin Pat Kingsley, eine<br />

Me<strong>die</strong>nfrau, <strong>die</strong> im Ruf stand, <strong>die</strong> Publicity ihrer K<strong>und</strong>en<br />

rücksichtslos zu kontrollieren. Kontrolle war eine<br />

Sprache, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong> gut verstand, <strong>und</strong> seine neue Sprecherin<br />

stellte sicher, dass sie im Me<strong>die</strong>nzirkus <strong>die</strong> unbestrittene<br />

Herrin im Ring war. Journalisten mussten,<br />

bevor sie <strong>Tom</strong> oder Nicole interviewen konnten, Verträge<br />

unterzeichnen, in denen festgehalten wurde, wo,<br />

wann <strong>und</strong> wie das Material des Interviews erscheinen<br />

durfte. Wer sich weigerte, wurde vor <strong>die</strong> Tür gesetzt.<br />

»Die Hinweise verdichten sich, dass er verdrießlich<br />

<strong>und</strong> fordernd ist, so etwas wie ein Kontrollfreak, bei<br />

dem hin <strong>und</strong> wieder ein gewaltiges Ego zum Vorschein<br />

kommt«, schrieb der Journalist Rod Lurie über Hollywoods<br />

Goldjungen. »Viele Journalisten sind allmählich<br />

der Meinung, dass sie sich von einem gewinnenden<br />

Lächeln haben täuschen lassen.«<br />

Doch so laut Kingsley auch mit der Peitsche knallte,<br />

<strong>die</strong> Kritiker <strong>und</strong> das zahlende Publikum waren von der<br />

Leistung von Hollywoods neuestem Schauspielerpaar<br />

nicht sonderlich begeistert, als der Werbezirkus für In<br />

einem fernen Land im April 1992 nach New York<br />

kam. Das war keine Wiederholung der Paarung Tracy-<br />

Hepburn. In Wahrheit taten einige Kritiker, als der<br />

Streifen beim Filmfestival von Cannes vorgeführt wurde,<br />

laut ihr Missfallen k<strong>und</strong>, obwohl <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole als<br />

Ehrengäste geladen waren. Auch <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />

hielt sich fern, <strong>und</strong> der Film, der mehr als 30 Millionen<br />

Dollar gekostet hatte, spielte in Amerika gerade einmal<br />

60 Millionen ein. Von der Kritikerschelte verletzt –<br />

der Film wurde mit »tatterig« <strong>und</strong> »abgedroschen«<br />

umschrieben –, zog sich Ron Howard zu seiner Familie<br />

-235-


zurück <strong>und</strong> verbrachte den Sommer Bücher lesend <strong>und</strong><br />

Filme schauend. Nicole, <strong>die</strong> einräumte, dass sie so<br />

kurz nach Tage des Donners nicht hätte mit <strong>Tom</strong> zusammenarbeiten<br />

sollen, sprach vergeblich für <strong>die</strong><br />

weibliche Hauptrolle in Ghost, Das Schweigen der<br />

Lämmer, Schlaflos in Seattle <strong>und</strong> Thelma <strong>und</strong><br />

Louise vor. Die mehrere Monate arbeitslose Nicole gab<br />

sich philosophisch: »Es ist sehr schwer, Absagen hinzunehmen,<br />

aber als Schauspielerin lernt man, damit<br />

umzugehen. Meine Mum behauptet, dass ich hartnäckig<br />

bin.«<br />

In einem kuriosen Fall der Imitation des Lebens<br />

durch <strong>die</strong> Kunst zog Nicole schließlich eine Nebenrolle<br />

in einem Thriller mit dem Titel Malice – Eine Intrige<br />

über eine Professorenfrau, <strong>die</strong> unbedingt Kinder bekommen<br />

möchte, an Land. Als <strong>die</strong> Figur mit schlimmen<br />

Bauchschmerzen schnellstens ins Krankhaus gefahren<br />

wird, werden ihr von einem betrunkenen Chirurgen <strong>die</strong><br />

Eileiter entfernt, <strong>und</strong> sie wird dadurch unfruchtbar.<br />

Das war eine Szene, <strong>die</strong> ihren eigenen jüngsten Erfahrungen<br />

schmerzhaft ähnlich war. Ob Katharsis oder<br />

eine schauspielerische Herausforderung – in jedem Fall<br />

war Nicole damit in Hollywood wieder präsent, da der<br />

Film an den Kinokassen viel Geld einspielte. Nicht etwa,<br />

dass Geld wirklich von Bedeutung war – <strong>Tom</strong> hatte<br />

ihr gleich zu Beginn ihrer Beziehung gesagt, dass er<br />

einen Kassenschlager nach dem anderen drehen würde<br />

<strong>und</strong> sie sich auf <strong>die</strong> riskanteren Kunstfilme konzentrieren<br />

könne.<br />

Und er hielt Wort. Trotz des Debakels von In einem<br />

fernen Land bewies »<strong>Tom</strong> Terrific«, dass ihn so<br />

schnell nichts umhauen konnte. Anfang 1992 stürzte<br />

er sich auf <strong>die</strong> Produktion der Filmversion einer<br />

Broadway Show (Eine Frage der Ehre) über den<br />

Machtmissbrauch in der inzwischen berüchtigten Militärbasis<br />

Guantánamo Bay auf Kuba. Er bestimmte<br />

-236-


nicht nur über das Budget – <strong>und</strong> sicherte sich eine Gage<br />

von angeblich 12,5 Millionen Dollar –, sondern hatte<br />

wieder einmal das Sagen bezüglich des Tonsystems,<br />

das bei dem Gerichtsdrama eingesetzt wurde. Die Produzentin<br />

Lindsay Doran drückte es diplomatisch aus:<br />

»Ich weiß nur, dass wir den Ton mit zwei verschiedenen<br />

Systemen aufzeichneten. Mir wurde gesagt, eines<br />

davon sei brandneu <strong>und</strong> <strong>die</strong> Technik der Zukunft.«<br />

Während sich <strong>Tom</strong> Gedanken um seine Stimme machte,<br />

gab es nur wenige Zweifel hinsichtlich seines<br />

schauspielerischen Könnens, <strong>und</strong> der junge Mann<br />

brauchte den Vergleich mit dem legendären Jack Nicholson<br />

nicht zu scheuen, als er einen unerfahrenen,<br />

aber brillanten Militäranwalt spielte, der den übermächtigen<br />

Kommandanten der Basis herausfordert<br />

<strong>und</strong> Nachforschungen über ihn anstellt. Wie der Regisseur<br />

Rob Reiner feststellte, handelte es sich um eine<br />

hochkarätige Besetzung, zu der <strong>Star</strong>s wie Kevin Bacon<br />

<strong>und</strong> Demi Moore zählten, was dazu führte, dass <strong>die</strong>ser<br />

Film <strong>Tom</strong>s »bislang größte schauspielerische Herausforderung«<br />

wurde. »Es gab keine Szenen, in denen er<br />

auf seinen Charme setzen konnte«, hob Reiner hervor.<br />

»Es gab keine Liebesgeschichte.«<br />

In <strong>die</strong>sem Kampf der großen Tiere Hollywoods erwies<br />

sich der Neuling als König des Dschungels. Um seinen<br />

Status zu unterstreichen, gründete er im September<br />

1993 zusammen mit seiner Agentin Paula Wagner eine<br />

eigene Produktionsfirma, <strong>Cruise</strong>/Wagner Productions,<br />

<strong>die</strong> <strong>Tom</strong> noch größere Kontrolle über zukünftige <strong>Projekt</strong>e<br />

ermöglichte – <strong>und</strong> darüber hinaus ein größeres<br />

Stück vom finanziellen Kuchen. Sie zogen mit einem<br />

Mitarbeiterstab von zehn Leuten, <strong>die</strong> den wöchentlichen<br />

Stapel von Drehbüchern auf der Suche nach der<br />

für <strong>Tom</strong> geeigneten Perle sichteten, in das ehemalige<br />

Büro von Howard Hughes im Paramount Gebäude. Die<br />

Präsidentin von Paramount, Sherry Lansing, hoffte,<br />

-237-


dass <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit dem jungen <strong>Star</strong> sich<br />

als ebenso fruchtbar erweisen würde wie jene zwischen<br />

Warner Brothers <strong>und</strong> Clint Eastwood. Die Partnerschaft<br />

zahlte sich schon nach wenigen Monaten<br />

aus, als <strong>Tom</strong> neben dem Schauspielveteranen Gene<br />

Hackman in einer Kinoadaption von John Grishams<br />

Anwaltsdrama Die Firma spielte, deren Rechte Paramount<br />

gekauft hatte, noch bevor das Drehbuch geschrieben<br />

war. Als Zeichen seiner Macht in dem Geschäft<br />

erschien nur <strong>Tom</strong>s Name auf dem Titel, als der<br />

Film schließlich in <strong>die</strong> Kinos kam. Verärgert <strong>und</strong> verletzt,<br />

forderte Gene Hackman, immerhin Oscar-<br />

Preisträger, wutentbrannt, dass sein Name von allen<br />

Werbemitteln gestrichen werde. Das tat dem Erfolg<br />

des Films keinen Abbruch, <strong>und</strong> das Studio schenkte<br />

<strong>Cruise</strong>, als der Film schon in wenigen Tagen über 100<br />

Millionen Dollar eingespielt hatte, zum Dank einen<br />

Mercedes 500 SL im Wert von 100.000 Dollar.<br />

Während der Dreharbeiten hatten <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole <strong>die</strong><br />

ersten Schritte zur Gründung einer Familie eingeleitet;<br />

sie setzten also den Plan um, den sie Anfang des Jahres<br />

offenbar auf Eis gelegt hatten. Nachdem sie sich<br />

auf Marco Island in Florida in aller Stille eine Eigentumswohnung<br />

gekauft hatten, besaßen sie nun <strong>die</strong><br />

Voraussetzungen, um in dem B<strong>und</strong>esstaat ein Kind zu<br />

adoptieren, in dem sich ganz zufällig das Ostküsten-<br />

Hauptquartier von <strong>Scientology</strong> befand, nämlich in der<br />

Stadt Clearwater, <strong>die</strong> wider Willen von der Organisation<br />

infiltriert worden war. Im Dezember 1992 stellte<br />

das Paar, während <strong>Tom</strong> mit den Dreharbeiten von Die<br />

Firma beschäftigt war, offiziell den Adoptionsantrag in<br />

Palm Beach, Florida. Im Gegensatz zu vielen anderen<br />

hoffnungsvollen Paaren mussten sie nur ein paar Wochen<br />

auf <strong>die</strong> Nachricht warten, dass sie Eltern seien.<br />

Im Januar 1993 gingen sie ins Krankenhaus von Miami<br />

<strong>und</strong> holten ein ges<strong>und</strong>es, dunkelhaariges Mädchen ab,<br />

-238-


das wenige Tage zuvor, am 22. Dezember, das Licht<br />

der Welt erblickt hatte. Die überglücklichen Eltern<br />

nannten es Isabella Jane Kidman <strong>Cruise</strong>. <strong>Der</strong> Name<br />

hatte keinen Familienbezug, ihnen gefiel Isabella einfach.<br />

Nicole erinnerte sich später: »Meine Mutter hat<br />

eine Adoptivschwester, das gehörte also zu unserer<br />

Familiengeschichte, <strong>und</strong> ich wusste, dass es wahrscheinlich<br />

irgendwann auch in meiner vorkommen<br />

würde. Ich glaubte allerdings nicht, dass es so bald<br />

passieren würde, aber so war es.«<br />

Die Entscheidung des Paares, <strong>die</strong> Adoption in Florida<br />

zu beantragen <strong>und</strong> nicht in ihrem Heimatstaat Kalifornien,<br />

löste sowohl innerhalb als auch außerhalb von<br />

<strong>Scientology</strong> Spekulationen aus, dass <strong>die</strong> Sache von<br />

ihrer Kirche organisiert worden sei. Leute, <strong>die</strong> damals<br />

eng mit David Miscavige vertraut waren, sind der Meinung,<br />

dass er <strong>die</strong> schnelle Adoption in <strong>die</strong> Wege geleitet<br />

hat. Nicole weigerte sich, <strong>die</strong>sen Gerüchten Vorschub<br />

zu leisten, als sie erklärte: »Manche Dinge sind<br />

privat. Wir haben Isabella adoptiert, weil sie für uns<br />

bestimmt war.«<br />

Allerdings gelang es nicht, damit <strong>die</strong> ins Kraut schießenden<br />

Spekulationen über das Sexualleben des Paares<br />

zu beenden. In den Boulevardblättern erschienen<br />

Geschichten, <strong>die</strong> andeuteten, der »sexiest man« der<br />

Welt sei zeugungsunfähig, Zweifel an seiner sexuellen<br />

Orientierung streuten <strong>und</strong> Gerüchte verbreiteten, Nicole<br />

könne keine Kinder bekommen. Ein paar Wochen<br />

darauf wurden <strong>die</strong> Klatschgeschichten weiter angefeuert,<br />

als <strong>Tom</strong>s Ex-Frau, Mimi Rogers, in der<br />

Märzausgabe des Playboy seinen Wunsch, Mönch zu<br />

werden, zur Sprache brachte. Zwar widerrief sie das<br />

später <strong>und</strong> erklärte öffentlich, dass <strong>Tom</strong> nicht schwul<br />

sei – »Ich habe vier Jahre mit <strong>die</strong>sem Mann geschlafen,<br />

ich muss es wissen« –, doch der Schaden war bereits<br />

angerichtet. Ihre spontanen Aussagen bildeten<br />

-239-


den Kern der brodelnden Gerüchte r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Sexualität<br />

des Schauspielers. Das Paar versuchte eine<br />

Zeitlang, <strong>die</strong>sen auf falschen Informationen beruhenden<br />

Klatsch über sich ergehen zu lassen, <strong>und</strong> schwieg<br />

diskret über <strong>die</strong> wahren Gründe ihrer Entscheidung, so<br />

kurz nach der Hochzeit ein Kind zu adoptieren. Stattdessen<br />

sprach Nicole von ihrem Wunsch, eines Tages<br />

ein Baby zu bekommen <strong>und</strong> noch weitere Kinder zu<br />

adoptieren.<br />

Doch vor allem freute sich das Paar über das neue<br />

Baby <strong>und</strong> genoss das W<strong>und</strong>er, neues Leben im Haus<br />

zu haben. Obwohl ihnen r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Uhr zwei Kindermädchen<br />

zur Verfügung standen, war <strong>Tom</strong> ein sehr<br />

fürsorglicher Vater, weil er <strong>die</strong> Art von Vater sein wollte,<br />

nach dem er sich immer gesehnt hatte, der Mann,<br />

auf den sich Isabella absolut verlassen konnte. Während<br />

er in <strong>die</strong> Vaterrolle hineinwuchs, wurde ihm klar,<br />

was er in seiner eigenen Kindheit vermisst hatte, <strong>und</strong><br />

er verglich das Verhalten seines Vaters mit seinem<br />

eigenen. Es steht fest, dass er nun bei öffentlichen<br />

Äußerungen über seinen Vater einen unversöhnlicheren,<br />

weniger fre<strong>und</strong>lichen Ton anschlug <strong>und</strong> Bemerkungen<br />

machte, <strong>die</strong> vielleicht seine eigenen Erfahrungen<br />

widerspiegelten.<br />

Typischerweise wurde <strong>Tom</strong>, wie Millionen Väter vor<br />

ihm, sofort zu einem unfehlbaren Experten in Sachen<br />

Babyversorgung. Im Haushalt <strong>Cruise</strong> war es der Vater,<br />

der sich am besten auskannte. Wenn er außer Haus<br />

war, rief er ständig daheim an, um sich zu vergewissern,<br />

dass Baby Isabella richtig gefüttert, gebadet <strong>und</strong><br />

versorgt wurde. Er wollte sicherstellen, dass alles absolut<br />

perfekt war, <strong>und</strong> überprüfte Isabellas Ernährung<br />

sowie <strong>die</strong> Fütterungs- <strong>und</strong> Schlafenszeiten. Später<br />

wurde ihr täglicher Ernährungsplan in einen Computer<br />

eingegeben <strong>und</strong> mit einer langen Liste von Inhaltsstoffen<br />

abgeglichen, <strong>die</strong> sie nicht zu sich nehmen durfte.<br />

-240-


»Vater zu sein, war schon immer mein Traum, es ist<br />

nur h<strong>und</strong>ertmal schöner«, sagte er. »Ich war nie<br />

glücklicher.« Wenn er nicht arbeitete, las er ihr jeden<br />

Abend vor, <strong>und</strong> wenn er zu Meetings oder an Drehorte<br />

fahren musste, nahm er sie in der Regel mit. »Vater<br />

zu sein, war seine Bestimmung«, stellte ein Fre<strong>und</strong><br />

fest, der damals mit dem Paar in Kontakt stand. »Er<br />

wollte das Baby unbedingt. Er ist ein w<strong>und</strong>erbarer Vater,<br />

sehr liebevoll, <strong>und</strong> er hat Isabella einfach heiß <strong>und</strong><br />

innig geliebt.«<br />

Baby Isabella kam in einen Haushalt mit einem festen<br />

<strong>und</strong> kontrollierten Tagesablauf. <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole<br />

wurden jeden Morgen um acht Uhr von einer Angestellten<br />

geweckt, <strong>die</strong> nach zehn Minuten wieder kam,<br />

um sich zu vergewissern, dass <strong>die</strong> beiden richtig wach<br />

waren. Als Idealfiguren für eine ges<strong>und</strong>e Lebensführung<br />

trieben <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole morgens Sport, dann<br />

folgten ein ges<strong>und</strong>es Müsli-Frühstück <strong>und</strong> <strong>die</strong> Lektüre<br />

der New York Times. Nicole genoss nach dem Sport<br />

in der Regel eine Massage oder Kosmetikbehandlung,<br />

<strong>und</strong> sowohl ihre Stylistin als auch <strong>die</strong> Friseurin kamen<br />

regelmäßig ins Haus. Abgesehen von den <strong>Scientology</strong>-<br />

Texten, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong>s Bücherregale füllten, las er nur wenig;<br />

er verbrachte <strong>die</strong> Tage damit, Drehbücher oder<br />

<strong>die</strong> Flughandbücher zu stu<strong>die</strong>ren, um für seine Pilotenlizenz<br />

zu lernen. In seiner drehfreien Zeit spielte er<br />

Volleyball, ging zum Golfen oder schaute im Fernsehen<br />

einfach Sportübertragungen an, vor allem <strong>die</strong> Spiele<br />

der New York Mets, jenes Baseballteams, dessen Fan<br />

er als Kind gewesen war.<br />

Nur wenige Jahre, nachdem er Restauranttische abgeräumt<br />

hatte, besaß er eine sündhaft teure Villa mit<br />

fünf Schlafzimmern im schicken Pacific Palisades <strong>und</strong><br />

hatte eine Heerschar an Kindermädchen, Köchen,<br />

Gärtnern, Haushälterinnen <strong>und</strong> Sicherheitsleuten angestellt.<br />

Es heißt, viele davon seien Scientologen ge-<br />

-241-


wesen, <strong>die</strong> von führenden Scientologen ausgewählt<br />

wurden, <strong>und</strong> oft dauerte es Monate, bis ein passender<br />

Kandidat mit dem richtigen Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> der gewünschten<br />

Einstellung für das Aushängeschild von<br />

<strong>Scientology</strong> gef<strong>und</strong>en war. Zunächst wurden <strong>die</strong> Bewerber<br />

von einem <strong>Scientology</strong>-Mitarbeiter befragt <strong>und</strong><br />

dabei auf Video aufgenommen. Ein <strong>Scientology</strong>-<br />

Vertreter bezeichnete allerdings später <strong>die</strong>se Behauptung<br />

als »grotesk«.<br />

Hinsichtlich der Be<strong>die</strong>nsteten bestand auch eine gewisse<br />

Verbindung zwischen <strong>Tom</strong>s Büro <strong>und</strong> dem seines<br />

<strong>Scientology</strong>-Kollegen John Travolta. Loyalität <strong>und</strong> gute<br />

Arbeit wurden belohnt; zu Weihnachten <strong>und</strong> an Geburtstagen<br />

wurden <strong>die</strong> Mitarbeiter von <strong>Cruise</strong> aufgefordert,<br />

ihre zehn dringendsten Wünsche im Wert –<br />

sagen wir einmal – eines Autos bis hin zu dem eines<br />

Brettspiels aufzulisten. Dann wählte das Paar einen<br />

Wunsch von der Liste aus, je nachdem, wie gut es <strong>die</strong><br />

Leistungen des Mitarbeiters im vergangenen Jahr einschätzte.<br />

So loyal <strong>die</strong> Mitarbeiter auch waren, das Leben mit<br />

»<strong>Tom</strong> Terrific« war anstrengend <strong>und</strong> stressig. Er stellte<br />

hohe Ansprüche, testete das Wissen der Angestellten<br />

über Aufgaben, um deren Ausführung er sie zuvor gebeten<br />

hatte, <strong>und</strong> bestand darauf, dass alles genau so<br />

erledigt wurde, wie er es haben wollte. Handelte ein<br />

Mitarbeiter eigenständig <strong>und</strong> änderte eine Regel, wie<br />

unbedeutend auch immer, dann wurde <strong>Tom</strong> wütend.<br />

Entweder es ging nach seinem Kopf, oder man wurde<br />

gekündigt – das stand außer Frage. »Man musste bei<br />

ihm immer auf der Hut sein <strong>und</strong> <strong>die</strong> Antworten auf jede<br />

seiner Fragen parat haben«, erzählte ein ehemaliger<br />

Insider. Nicole war zwar zurückhaltender, doch sie<br />

gehörte zu jenen Arbeitgebern, <strong>die</strong> sich über einen<br />

Fehler aufregen, aber niemals anerkennen, wie gut ihr<br />

Haushalt geführt wird. Obwohl sie erst kurz zuvor zu<br />

-242-


<strong>Scientology</strong> übergetreten war, scheute sich Nicole<br />

nicht, Techniken der Sekte einzusetzen, um Angestellte<br />

zu maßregeln. Einmal ärgerte sie sich über eine wenig<br />

schmeichelhafte, aber korrekte Geschichte über ihr<br />

Einkaufsverhalten in den britischen Boulevardblättern.<br />

Sie war entschlossen, herauszufinden, wer <strong>die</strong> Informationen<br />

weitergegeben hatte, <strong>und</strong> forderte alle ihre<br />

Mitarbeiter auf, das zu verfassen, was Scientologen<br />

einen »Wissensbericht« nennen, <strong>und</strong> jegliche Verwicklung<br />

in <strong>die</strong> Sache darzulegen. Sowohl <strong>Tom</strong> als auch<br />

Nicole lasen <strong>und</strong> prüften <strong>die</strong> Aussagen der Mitarbeiter,<br />

bevor sie sie absegneten. Man könnte es den Angestellten<br />

gar nicht verübeln, wenn sie den Eindruck gehabt<br />

hätten, sie befänden sich wieder in der Schule.<br />

Die Schuldige war übrigens Nicoles persönliche Einkaufsberaterin,<br />

<strong>die</strong> nicht den gleichen Einschränkungen<br />

unterlag wie <strong>die</strong> Hausangestellten. Sämtliche<br />

Mitarbeiter, ob sie nun Scientologen waren oder nicht,<br />

mussten nämlich eine umfassende vertrauliche Einverständniserklärung<br />

unterzeichnen, in der sie auf eines<br />

ihrer Menschenrechte, nämlich das der freien Meinungsäußerung,<br />

verzichteten. Ein falsches Wort, wie<br />

unschuldig auch immer, zu Fre<strong>und</strong>en oder Familienangehörigen<br />

über das Leben auf dem Planeten <strong>Tom</strong><br />

konnte hohe Geldstrafen <strong>und</strong> Anwaltskosten nach sich<br />

ziehen. Sollte es ein Mitarbeiter je wagen, alles im<br />

Fernsehen oder in Zeitschriften auszuplaudern, würde<br />

<strong>die</strong>s zu gewaltigen Strafzahlungen führen.<br />

Zwar waren <strong>die</strong> innerbetriebliche Disziplin <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

endlosen Anforderungen durch ihre Arbeitgeber anstrengend,<br />

doch am schwierigsten war es für <strong>die</strong> Angestellten,<br />

mit dem ständigen Wechsel von Fre<strong>und</strong> zu<br />

Arbeitgeber umzugehen. Die <strong>Cruise</strong>s, insbesondere<br />

<strong>Tom</strong>, erwarteten sowohl Dienstleistung als auch Kameradschaft.<br />

Wenn Besucher im Haus waren, behandelten<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole ihre Angestellten wie Fre<strong>und</strong>e,<br />

-243-


kaum aber waren <strong>die</strong> Gäste abgereist, erwarteten sie,<br />

dass <strong>die</strong> Mitarbeiter wieder ihre Pflicht taten. Die Urlaube<br />

waren besonders schwierig, wenn <strong>die</strong> Angestellten<br />

ihre Aufgaben zu erfüllen versuchten, ohne dass es<br />

aussah, als arbeiteten sie. <strong>Tom</strong> wünschte sich, dass<br />

seine Angestellten, selbst wenn sie Feierabend hatten,<br />

noch dablieben, einfach um »einen warmen Körper im<br />

Haus« zu haben, wie er es ausdrückte. Er war ein<br />

Mann, der es hasste, auch nur einen Augenblick allein<br />

zu sein, ein Mann, dessen Wunsch nach Gesellschaft<br />

beinahe zwanghaft war. In <strong>die</strong>ser Hinsicht hat er vom<br />

Wesen her eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem ehemaligen<br />

Präsidenten Clinton, der von seinem gewalttätigen<br />

alkoholkranken Stiefvater großgezogen wurde<br />

<strong>und</strong> jetzt am liebsten <strong>die</strong> ganze Nacht Gelage feiert<br />

<strong>und</strong> sich unterhält. Man hat den Eindruck, als wolle<br />

keiner der beiden je allein sein.<br />

Eine Frage, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong> ständig stellte, lautete: »Wo ist<br />

Nic?« Er wollte genau Bescheid wissen, wo sie sich zu<br />

jeder Sek<strong>und</strong>e des Tages aufhielt <strong>und</strong> mit wem sie zusammen<br />

war. Das ging ständig so. »Ob er ein Kontrollfreak<br />

war? Ganz bestimmt«, erinnert sich eine Insiderin.<br />

»Vor allem Nicole schnüffelte er ständig hinterher.«<br />

Mit der Zeit störte sie <strong>die</strong> ständige Aufmerksamkeit<br />

– <strong>und</strong> Kontrolle.<br />

Doch <strong>Tom</strong>, der so laut <strong>und</strong> wild war wie ihr Labradorwelpe,<br />

war Nicoles subtilen, katzenartigen Fähigkeiten<br />

nicht gewachsen. Was immer <strong>Tom</strong> auch wollte,<br />

Nicole setzte am Ende ihren Kopf durch. So beriet sie<br />

sich beispielsweise häufig vor Weihnachten oder vor<br />

ihrem Geburtstag im Juni mit der Kunsthändlerin Barbara<br />

Guggenheim, der Ehefrau von <strong>Tom</strong>s Rechtsanwalt<br />

Bert Fields, <strong>die</strong> <strong>die</strong> meisten der Kunstwerke im Haus<br />

<strong>Cruise</strong> besorgt hatte. Nicole wollte stets über interessante<br />

Auktionen von Gemälden oder Kunstobjekten<br />

Bescheid wissen, dann stellte sie sicher, dass ihre Mit-<br />

-244-


arbeiter <strong>Tom</strong> Tipps gaben, was sie haben wollte. Und<br />

sie bekam das Gewünschte.<br />

<strong>Tom</strong> war ein großzügiger Ehemann, der der Frau, <strong>die</strong><br />

er liebte, immer gerne eine Freude machte. »Sie war<br />

sehr manipulativ«, erinnert sich eine Insiderin. »Er hat<br />

sich Nics Wünschen immer gebeugt.«<br />

Wenn Nicole auf Reisen war, <strong>und</strong> sie flog häufig nach<br />

Australien, um ihre Eltern zu besuchen, kamen <strong>Tom</strong>s<br />

Mutter, seine Schwestern oder sein Cousin, der Schauspieler<br />

William Mapother, der als Produktionsassistent<br />

bei <strong>Tom</strong>s Filmen mitgearbeitet hatte, zu ihm. Während<br />

das großzügige Wesen <strong>und</strong> <strong>die</strong> positive Stimmung seiner<br />

Mutter den normalerweise recht stillen Haushalt<br />

mit Fröhlichkeit <strong>und</strong> Lachen erfüllte, veränderte <strong>die</strong><br />

Ankunft ihrer ältesten Tochter Lee Anne DeVette <strong>die</strong><br />

häusliche Atmosphäre. Ein paar Monate vor der Adoption<br />

von Isabella engagierte <strong>Tom</strong> seine ältere Schwester,<br />

ebenfalls Mitglied von <strong>Scientology</strong>, damit sie sich<br />

um <strong>die</strong> Unmenge von Zeitungsausschnitten kümmerte<br />

<strong>und</strong> als Bindeglied zu den mit <strong>Scientology</strong> verb<strong>und</strong>enen<br />

Wohltätigkeitsorganisationen <strong>die</strong>nte. Es dauerte<br />

jedoch nicht lange, bis Lee Anne, <strong>die</strong> von anderen Leuten<br />

als ziemlich rigoros <strong>und</strong> gemein eingeschätzt wurde,<br />

mit Nicole in <strong>die</strong> Wolle geriet. Während Lee Anne,<br />

deren zweijährige Ehe 1981 aufgelöst wurde, darauf<br />

bedacht war, alle Welt wissen zu lassen, dass sie <strong>Tom</strong>s<br />

Schwester war – <strong>und</strong> ihren Einfluss entsprechend geltend<br />

machte –, behandelte Nicole sie mit kaum verhohlener<br />

Verachtung <strong>und</strong> betrachtete sie eher als Angestellte<br />

denn als Schwägerin. Es dauerte nicht lange,<br />

bis keine der beiden den Anblick der anderen mehr<br />

ertragen konnte. Eine Insiderin hob mit Nachdruck<br />

hervor: »Lee Anne HASSTE Nicole. Und sie hatte allen<br />

Gr<strong>und</strong> dazu, weil Nic sie wie eine Bürgerin zweiter<br />

Klasse behandelte. Aber sie wollte Nic nicht zur Rede<br />

stellen – das tat keiner!«<br />

-245-


Das letzte Stück in <strong>die</strong>sem häuslichen Puzzle war ein<br />

seltener Gast, der dennoch stets präsent war – der<br />

<strong>Scientology</strong>-Führer David Miscavige, der im Haushalt<br />

<strong>Cruise</strong> von dem Mann vertreten wurde, den <strong>Tom</strong> als<br />

»Dovenator« bezeichnete, nämlich durch seinen<br />

Chefangestellten Michael Doven. Doven, groß, gut gebaut,<br />

mit einem markanten Kinn <strong>und</strong> dem guten Aussehen<br />

eines Filmstars, war so etwas wie ein Allro<strong>und</strong>talent.<br />

Als Weltklasseskifahrer, Fitnessexperte <strong>und</strong> begabter<br />

Fotograf hätte er jeden Berufsweg einschlagen<br />

können. Doch der in Colorado geborene Scientologe<br />

entschied sich, an <strong>Tom</strong>s Seite zu bleiben <strong>und</strong> sicherzustellen,<br />

dass das kostbarste Neumitglied der Sekte<br />

seiner Organisation in jedem Fall <strong>die</strong> Stange hielt. Seine<br />

fanatische Loyalität der Sache gegenüber -<br />

immerhin opferte er der Sekte seine eigene Karriere –<br />

war entscheidend, um sicherzugehen, dass weder <strong>Tom</strong><br />

noch Nicole vom rechten Wege abkamen.<br />

Keiner wusste Dovens wichtige Rolle mehr zu schätzen<br />

als der <strong>Scientology</strong>-Führer. Während Miscavige ein<br />

paar Mal in der Woche mit <strong>Tom</strong> telefonierte, stand er<br />

täglich in Kontakt mit Doven, erk<strong>und</strong>igte sich nach der<br />

Stimmung des Schauspielers, schmiedete Pläne, feilte<br />

an seiner Botschaft <strong>und</strong> stimmte mit ihm <strong>die</strong> Kontrolle<br />

über <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole ab. Doven, der später <strong>Tom</strong>s Assistentin<br />

Andrea Morse heiratete, fiel zum ersten Mal<br />

am Set von Eine Frage der Ehre auf, als <strong>Tom</strong> darauf<br />

bestand, dass <strong>die</strong> Crew ihn als »Kommunikator« ansprach.<br />

Erfolgreich hielt Doven <strong>Tom</strong>s »Leitungen« frei,<br />

er kontrollierte sämtliche Informationen, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong> erreichten,<br />

<strong>und</strong> filterte bis auf das Wesentliche alles aus.<br />

Dovens Dasein <strong>die</strong>nte dem Zweck, dafür zu sorgen,<br />

dass sich <strong>Tom</strong> auf seine Arbeit konzentrierte – <strong>und</strong> auf<br />

seinen Glauben.<br />

Nicht etwa, dass man <strong>Tom</strong> groß überzeugen musste.<br />

»Komm, wir gehen ins CC«, sagte er häufig zu Nicole,<br />

-246-


wobei CC seine Abkürzung für Celebrity Centre war,<br />

das Herrenhaus an der Franklin Avenue in Hollywood,<br />

in dem <strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Prominenz verkehrte. Selbst<br />

innerhalb der Hollywood-Elite waren <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole<br />

etwas Besonderes. Sie hatten ihre eigene Einfahrt in<br />

<strong>die</strong> Tiefgarage, ihre eigenen Räume für das »Auditing«,<br />

<strong>und</strong> natürlich stand ihnen aufmerksames Be<strong>die</strong>nungspersonal<br />

zur Verfügung. <strong>Scientology</strong> war allem<br />

Anschein nach eine Sekte á la Orwell, in der <strong>die</strong> Menschen<br />

gleich waren, manche aber gleicher als <strong>die</strong> anderen.<br />

In Gold Base standen <strong>Tom</strong> neben dem VIP-<br />

Bungalow mit dem persönlichen Koch <strong>und</strong> Butler zwei<br />

Motorräder, ein Mercedes Kabrio <strong>und</strong> ein Wohnmobil,<br />

das in einer Garage auf dem Gelände untergestellt<br />

war, zur Verfügung, während Nicole ihren eigenen Privatgarten<br />

hatte.<br />

Als <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole den Wunsch äußerten, Tennis<br />

spielen zu wollen, bauten Sea-Org-Mitglieder ihnen<br />

einen privaten Tennisplatz. So, wie David <strong>Tom</strong>s Interesse<br />

am Schießen geweckt hatte, so vermittelte <strong>Tom</strong><br />

jetzt dem <strong>Scientology</strong>-Führer, wie wichtig Sport ist.<br />

Miscavige gab nicht nur das Rauchen auf, er ließ in<br />

Gold Base für sich <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> ein Fitnessstudio ausstatten,<br />

das <strong>die</strong> leitenden Scientologen nutzen durften,<br />

wenn der Schauspieler nicht vor Ort war. Nachdem der<br />

<strong>Scientology</strong>-Führer seinen Vater beauftragt hatte, den<br />

Kauf der Fitnessgeräte zu organisieren, war Ron Miscavige,<br />

wie er später berichtete, völlig »von den Socken«,<br />

wie viel das <strong>die</strong> Sekte kostete, vor allem, weil<br />

sein Sohn sich in <strong>die</strong> Planungen für den Fitnessraum<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Geräte einmischte <strong>und</strong> <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Kosten auf geschätzte<br />

150.000 Dollar in <strong>die</strong> Höhe trieb. Damit nicht<br />

genug der Freigebigkeit. Miscavige ließ <strong>Tom</strong> nicht nur<br />

regelmäßig gute Weine zukommen, sondern schickte<br />

seine Assistentin Shelly Britt mindestens ein Mal mit<br />

einem Picknickkorb zu <strong>Tom</strong>s Jet, einer Gulfstream, um<br />

-247-


ihm eine Freude zu machen. <strong>Tom</strong> schenkte seinem<br />

Fre<strong>und</strong> zwar ein Handy von Motorola <strong>und</strong> teure Lautsprecher<br />

für sein Apartment, doch er konnte feststellen,<br />

dass dem <strong>Scientology</strong>-Führer für ihn keine Kosten<br />

<strong>und</strong> Mühen zu viel waren. So beauftragte Miscavige,<br />

als <strong>Tom</strong> sich seinen ersten Privatjet kaufte, Techniker<br />

der Sekte, <strong>die</strong> von ihnen entwickelte Clearso<strong>und</strong>-<br />

Anlage in dem Flugzeug einzubauen.<br />

<strong>Tom</strong>s außergewöhnliche <strong>und</strong> privilegierte Behandlung<br />

entsprach der Fre<strong>und</strong>schaft, <strong>die</strong> er mit Miscavige<br />

pflegte. Es gab gemeinsame Männerabende, bei denen<br />

<strong>die</strong> beiden kubanische Zigarren rauchten, sich Filme<br />

anschauten, mit ihren Motorrädem durch <strong>die</strong> Gegend<br />

bretterten <strong>und</strong> sich gegenseitig beim Basketball, Softball<br />

oder Tontaubenschießen herausforderten. Stets<br />

handelte es sich um einen Macho-Wettkampf, <strong>und</strong> es<br />

ging darum herauszufinden, wer der Schnellste, der<br />

Geschickteste, der Mutigste, kurz, der Beste war. Miscavige,<br />

der es hasste, bei irgendetwas zu verlieren,<br />

versuchte stets sicherzustellen, dass <strong>die</strong> besten Spieler<br />

zu seinem Team gehörten. Wenn <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole in<br />

Colorado Skiurlaub machten, war meist auch David<br />

dort <strong>und</strong> versuchte, seinen Kumpel auf vereisten<br />

schwarzen Pisten zu übertreffen. »Sie waren wie Pech<br />

<strong>und</strong> Schwefel«, erinnert sich Jesse Prince, »zwei kleingewachsene<br />

Männer, <strong>die</strong> sich wirklich gut verstanden.<br />

Sie hatten das gleiche Lachen, sie taten das Gleiche.<br />

Sie waren wie Handpuppen – er war ein großer <strong>Star</strong>,<br />

der andere Führer einer Sekte. Sie liebten einander,<br />

aber es war keine schwule Liebe. Es war viel komplizierter.«<br />

Nicole tat ihr Bestes, um sich in <strong>die</strong>ser Welt des<br />

Schulterklopfens in einer Macho-Religion anzupassen,<br />

<strong>die</strong> behauptete, Homosexualität heilen zu können, <strong>und</strong><br />

in der <strong>die</strong> Frauen wie Männer gekleidet waren <strong>und</strong> mit<br />

»Sir« angesprochen wurden. Sie mochte ein Wildfang<br />

-248-


sein, doch sie begann, David – beziehungsweise genauer<br />

gesagt, <strong>Scientology</strong> – als Dritten im B<strong>und</strong>e in<br />

ihrer Ehe zu betrachten. »Darüber war sie sehr frustriert«,<br />

behauptet Jesse Prince, der sagt, dass er in<br />

seiner Funktion als stellvertretender Generalinspektor<br />

ihr Fallmanager war <strong>und</strong> ihre vertraulichen Akten gelesen<br />

habe, in der sie ihre Sorgen <strong>die</strong>sbezüglich zur<br />

Sprache brachte. »Sie war es leid, dass David Miscavige<br />

ständig da war. Sie war der Meinung, ihr Mann<br />

würde zu viel Zeit mit ihm verbringen. >Warum brauchen<br />

wir <strong>die</strong>se ständige Überwachung?


walt Robert Fink aus New York, der <strong>die</strong> Vereinbarung<br />

überprüfte, stellte beispielsweise fest: »Normalerweise<br />

regelt das Finanzamt ausschließlich Steuerfragen. Was<br />

das Finanzamt hier wollte, war, sich von <strong>Scientology</strong><br />

Frieden zu erkaufen. Sonst erlebt man nie, dass sich<br />

das Finanzamt Ruhe erkauft.« Das führte zu einer<br />

möglicherweise auf falschen Informationen beruhenden<br />

hitzigen Diskussion, dass <strong>die</strong> ungewöhnliche Steuerbefreiung<br />

weniger mit irgendeinem legitimen Status<br />

der Gemeinnützigkeit zusammenhing als vielmehr damit,<br />

dass <strong>Scientology</strong> genügend Schmutz über hohe<br />

Finanzbeamte ausgegraben hatte, um sie zu erpressen.<br />

Diese Gerüchte waren den 10.000 jubelnden Scientologen<br />

weitgehend egal, als ihnen Miscavige im<br />

Oktober 1993 mitteilte, dass »der Krieg« vorbei sei. Es<br />

war ein wahrer Triumph des eisernen Willens, David<br />

Miscaviges schönste St<strong>und</strong>e – der Augenblick, als sich<br />

das Image von <strong>Scientology</strong> von einer fragwürdigen<br />

kriminellen Sekte zu einer gesetzestreuen Kirche zu<br />

wandeln begann. Einer der Ersten, dem er von seinem<br />

großen Sieg berichtete, war sein Fre<strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>.<br />

Doch noch wenige Wochen zuvor hatte sich der<br />

Schauspieler öffentlich entrüstet, als John H. Richardson<br />

in einem Artikel für <strong>die</strong> Septemberausgabe des<br />

Magazins Premiere ihn nach seiner Fre<strong>und</strong>schaft mit<br />

Miscavige <strong>und</strong> seine Mitgliedschaft bei <strong>Scientology</strong> befragte.<br />

<strong>Der</strong> Schauspieler empörte sich, dass seine Religion<br />

zur Sprache komme, <strong>und</strong> tat das Interesse an<br />

seinem »guten Fre<strong>und</strong>« David Miscavige als »übertrieben«<br />

ab. Er leugnete, von Scientologen an Drehorten<br />

besucht worden zu sein, fand <strong>die</strong> Vorstellung, dass er<br />

»Betreuer« habe, widerlich <strong>und</strong> räumte lediglich ein,<br />

sich nur ein einziges Mal nicht zu Erholungszwecken in<br />

Gold Base aufgehalten zu haben. Dieses verärgerte<br />

Abstreiten überraschte <strong>die</strong> Scientologen in Gold Base,<br />

nicht zuletzt L. Ron Hubbards Schwiegersohn Guy Whi-<br />

-250-


te, der sich noch lebhaft erinnert, vor einem von <strong>Tom</strong>s<br />

zahlreichen Besuchen in Gold Base höchstpersönlich<br />

einen Kühlschrank mühsam in dessen VIP-Bungalow<br />

geschleppt zu haben. <strong>Tom</strong> selbst sagte bei seiner bissigen<br />

Antwort auf Richardsons Frage, der zwei Jahre<br />

mit der Recherche der »zwielichtigen« Organisation<br />

<strong>und</strong> ihrer »rachsüchtigen« Lehre zugebracht hatte:<br />

»Ich weiß mehr über <strong>Scientology</strong>, <strong>die</strong> Kirche <strong>und</strong> ihre<br />

Angestellten als jeder Reporter, dem ich je begegnet<br />

bin.«<br />

<strong>Tom</strong> hatte natürlich allen Gr<strong>und</strong> für seine Behauptung,<br />

sich mit den geheimen inneren Abläufen seiner<br />

Sekte bestens auszukennen. Inzwischen hatte er <strong>die</strong><br />

Stufe erreicht, <strong>die</strong> Scientologen <strong>die</strong> »Wall of Fire« beziehungsweise<br />

Operating Thetan III nennen, in der<br />

laut Hubbard <strong>die</strong> Geheimnisse des Universums aufgedeckt<br />

werden. Damals war der Schöpfungsmythos von<br />

<strong>Scientology</strong> noch ein streng gehütetes Geheimnis, <strong>und</strong><br />

den Mitgliedern wurde erklärt, das Wissen könne sich<br />

als tödlich erweisen, wenn es ihnen offenbart würde,<br />

bevor sie dafür bereit seien. Bei der theatralischen<br />

Vorbereitung wurden <strong>die</strong> Kandidaten einem gründlichen<br />

»Auditing« unterzogen, <strong>und</strong> sie wurden gewarnt,<br />

dass sie mit gewaltigen Strafzahlungen zu rechnen<br />

hätten, sollten sie <strong>die</strong> Geheimnisse je ausplaudern.<br />

Dann wurde ihnen eine durchsichtige Plastikmappe<br />

mit den OT III-Unterlagen sowie ein Schlüssel ausgehändigt,<br />

mit dem sie das vertrauliche Behältnis in Sek<strong>und</strong>enschnelle<br />

öffnen mussten. Für manche war <strong>die</strong>s<br />

eine Erfahrung, <strong>die</strong> nicht so sehr an Mission: Impossible<br />

denn an Mission Unplausible erinnerte, als sie in<br />

einem gesonderten Raum saßen <strong>und</strong> in einer Kopie<br />

von Hubbards Handschrift lasen, worin <strong>die</strong> geheime<br />

Wahrheit über den Ursprung der Menschheit besteht.<br />

Die Geschichte, <strong>die</strong> inzwischen vielfach paro<strong>die</strong>rt<br />

wurde, insbesondere in der Zeichentrickserie South<br />

-251-


Park, besagt, dass ein außerirdischer Herrscher namens<br />

Xenu das Problem der Überbevölkerung in seinem<br />

Teil der Galaxie dadurch löste, dass er 13,3 Billionen<br />

Wesen auf <strong>die</strong> Erde schickte, <strong>die</strong> damals Teegeeack<br />

hieß, <strong>und</strong> <strong>die</strong>se in Vulkane warf <strong>und</strong> mit Hilfe<br />

von Atombomben verdampfte. Diesen Millionen verlorener<br />

Seelen, Thetane genannt, waren viele falsche<br />

Vorstellungen über Gott, Christus <strong>und</strong> <strong>die</strong> organisierten<br />

Religionen eingeredet worden. Später hafteten<br />

sich <strong>die</strong>se körperlosen Thetane den Menschen an <strong>und</strong><br />

seien, wie Hubbard behauptete, nicht nur <strong>die</strong> Ursache<br />

für <strong>die</strong> Probleme der Menschen, sondern sämtlicher<br />

Streitfragen der modernen Welt. Als <strong>Tom</strong> <strong>die</strong>se Unterlagen<br />

las, erfuhr er, dass <strong>die</strong> nächste Phase, um Fortschritte<br />

beim Aufstieg »über <strong>die</strong> Brücke zur vollkommenen<br />

Freiheit« zu erzielen, in der Befreiung seines<br />

Körpers von <strong>die</strong>sen Thetanen bestand. Zwar macht<br />

man sich heutzutage vielfach über Hubbards Mythologie<br />

lustig, doch <strong>die</strong> Geschichte ist in Wahrheit ein<br />

Glaubenstest, ein Glaubenssprung, der über rationale<br />

Zweifel hinwegführt. Um weitere Fortschritte zu erzielen,<br />

musste <strong>Tom</strong> auch den letzten Tropfen von Hubbards<br />

theologischer Giftmischung schlucken. »Wenn<br />

man OT III erreicht, gehört man einem geschlossenen<br />

Zirkel an <strong>und</strong> befindet sich auf dem gleichen Weg wie<br />

Timothy McVeigh [der Oklahoma Bomber]«, stellt Jesse<br />

Prince fest.<br />

Wie viele andere Scientologen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Stufe erreichen,<br />

empfand <strong>Tom</strong> das Wissen, das er gerade erfahren<br />

hatte, als beunruhigend <strong>und</strong> alarmierend, <strong>und</strong> er<br />

hatte zu kämpfen, den Schöpfungsmythos mit den<br />

praktischeren Lehren der unteren Stufen von <strong>Scientology</strong><br />

in Einklang zu bringen. Das ist keine ungewöhnliche<br />

Reaktion. Diejenigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Geschichte der »Wall<br />

of Fire« gelesen haben, werden sehr genau überwacht,<br />

ob sie möglicherweise Anzeichen einer Abwendung<br />

-252-


zeigen <strong>und</strong> von ihrem Glauben ernüchtert sind. Ehemalige<br />

Scientologen erinnern sich, dass <strong>Tom</strong> in <strong>die</strong>ser<br />

kritischen Zeit ungewöhnlich benommen wirkte, nicht<br />

ganz auf der Höhe zu sein schien <strong>und</strong> dunkle Ringe<br />

unter den Augen hatte. »Aus einem Knaller war eine<br />

weichgekochte Nudel geworden«, sagte ein Insider.<br />

Manche erinnern sich, dass etwa zu <strong>die</strong>ser Zeit <strong>die</strong> Beziehung<br />

zwischen David Miscavige <strong>und</strong> dem Schauspieler<br />

»unerfreulich« wurde, weil <strong>Tom</strong> sich beschwerte,<br />

dass er all <strong>die</strong> Jahre Kurse gemacht habe, <strong>und</strong> am<br />

Ende drehe sich der ganze Glaube um irgendwelche<br />

Außerirdischen. <strong>Tom</strong> wurde mit Glacehandschuhen<br />

angefasst <strong>und</strong> mühsam wieder in den Schoß der Sekte<br />

zurückgelockt. Ein Team hochrangiger Scientologen<br />

arbeitete eifrig daran, ihn »zurückzuholen«, <strong>und</strong> sie<br />

bestellten den Schauspieler für weiteres Auditing <strong>und</strong><br />

Beratung ins Präsidentenbüro im Celebrity Centre in<br />

Hollywood.<br />

Sobald man <strong>Tom</strong> »betreut« hatte, damit er mit den<br />

Auswirkungen <strong>die</strong>ses bizarren Mythos fertig werden<br />

konnte, musste zur nächsten Stufe <strong>die</strong>ses langen –<br />

<strong>und</strong> teuren – Prozesses der Erleuchtung übergegangen<br />

werden, <strong>die</strong> darin bestand, seinen Körper von Thetanen<br />

zu befreien. Er musste sich drei- oder viermal am<br />

Tag in einen stillen, abgeschiedenen Raum zurückziehen<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Thetanen, <strong>die</strong> sich an seinen Körper<br />

geheftet hatten, aufspüren <strong>und</strong> entfernen. Da <strong>die</strong> Thetanen<br />

unsichtbar <strong>und</strong> häufig in katatonischem Zustand<br />

sind, das heißt unter einer Form der Schizophrenie mit<br />

Krampfzuständen <strong>und</strong> Wahnvorstellungen leiden,<br />

konnte er sie nur mittels Telepathie <strong>und</strong> mit Hilfe seines<br />

»E-Meters« aufspüren. Unter Einsatz seiner telepathischen<br />

Kräfte stellte er jedem Thetan dann eine<br />

Reihe von Fragen. Die erste Frage lautete stets: »Was<br />

bist du?« <strong>Der</strong> Thetan konnte darauf – telepathisch –<br />

auf jede erdenkliche Art antworten <strong>und</strong> beispielsweise<br />

-253-


ehaupten, er sei ein Auto, eine Staubmilbe oder gar<br />

Napoleon. Ungeachtet der Antwort musste <strong>Tom</strong> <strong>die</strong>selbe<br />

Frage weiter stellen, bis der Thetan schließlich antwortete:<br />

»Ich bin ich.« Sobald der Thetan sich selbst<br />

anerkannt hatte, hatte <strong>Tom</strong> sich erfolgreich von <strong>die</strong>sem<br />

unentschlossenen Geist befreit, der laut Theorie<br />

daraufhin davonschwebt <strong>und</strong> sich einem anderen Menschen<br />

anhaftet. Während der zwanzigminütigen telepathischen<br />

Sitzung konnte er sich von bis zu zehn<br />

Körperthetanen befreien. So seltsam der Prozess erscheinen<br />

mag, er hatte den Effekt, Gläubige wie <strong>Tom</strong><br />

in einen leichten, aber euphorischen Trancezustand zu<br />

versetzen, wenn sich der Schauspieler nach den »Gewinnen«<br />

des Tages gut fühlte. <strong>Der</strong> ehemalige Vizepräsident<br />

der Universal Studios, Peter Alexander, der <strong>die</strong><br />

Stufe Operating Thetan VII erreichte, erinnert sich:<br />

»Die Theorie besagt, dass man umso mehr man selbst<br />

wird, je mehr man sich von seinen Körperthetanen<br />

befreit. Bei <strong>die</strong>sem Prozess ist man sehr auf sich selbst<br />

konzentriert. Es geht nur um mich, deshalb lieben<br />

Schauspieler ihn. Er spricht den Narziss in einem an.<br />

Man beginnt, sich selbstsicherer zu fühlen, glaubt,<br />

dass man, <strong>und</strong> nur man selbst, <strong>die</strong> Antworten auf <strong>die</strong><br />

Geheimnisse des Universums kennt. In <strong>die</strong>ser Zeit bin<br />

ich wie von einem Endorphinrausch hypnotisiert herumgelaufen.<br />

Inzwischen ist mir klar, dass ich mich in<br />

eine leicht hypnotische Trance versetzt hatte.«<br />

Doch letzten Endes wird der Prozess von vielen ehemaligen<br />

Scientologen als aussichtslos <strong>und</strong> wahnhaft<br />

betrachtet. Viele Scientologen, <strong>die</strong> eine hohe Stufe<br />

erreicht haben, beschließen, aus der Sekte auszutreten,<br />

wenn ihnen erst einmal klar wird, dass es bei ihnen<br />

nicht funktioniert – <strong>und</strong> sie viel Geld kostet. Alexander<br />

räumt beispielsweise ein, dass er während seiner<br />

zwanzig Jahre dauernden Mitgliedschaft r<strong>und</strong> eine<br />

Million Dollar ausgegeben hat. Jesse Prince fasst <strong>die</strong><br />

-254-


Ansichten vieler ehemaliger Gläubiger, <strong>die</strong> eine hohe<br />

Stufe erreicht hatten, in seiner typisch offenen Art zusammen:<br />

»Entweder man verliert nach einer Weile<br />

den Verstand oder den Glauben. Man kann st<strong>und</strong>enlang<br />

zu seinem Daumen, seinem Ellenbogen oder seiner<br />

Pospalte sprechen, aber das wird dich nicht zu einem<br />

spirituellen Halbgott machen. Sobald man das<br />

erst einmal realisiert hat, ist man raus.«<br />

Wie groß <strong>Tom</strong>s Zweifel auch waren, sie scheinen ihn<br />

nicht allzu lange beschlichen zu haben, denn der<br />

Schauspieler wurde von seinen <strong>Scientology</strong>-Mentoren<br />

als »engagiertes <strong>und</strong> eifriges« Mitglied beschrieben.<br />

Doch es blieb ein Fragezeichen, wie ernst er es tatsächlich<br />

meinte, ein leiser Verdacht, dass er eine Zeile<br />

aus einem Drehbuch vorlas, anstatt er selbst zu sein.<br />

<strong>Der</strong> langjährige Scientologe Bruce Hines, der das Auditing<br />

bei zahlreichen Prominenten, darunter auch bei<br />

John Travolta, durchführte, erinnert sich: »Ich hatte<br />

den Eindruck, dass er eher spielte, als dass er ehrlich<br />

war.« Hines war nicht der Erste – <strong>und</strong> auch nicht der<br />

Letzte –, der sich nach einer Begegnung mit <strong>Tom</strong> fragte,<br />

ob sein ganzes Leben womöglich nichts als eine<br />

gekünstelte Aufführung ist.<br />

Hines, ein nachdenklicher ehemaliger Physikstudent<br />

aus Denver, der sich aufgr<strong>und</strong> des wissenschaftlichen<br />

Anspruchs von Hubbards Buch Dianetics von <strong>Scientology</strong><br />

angezogen fühlte, steckte auf einmal unbeabsichtigt<br />

in der Beziehung zwischen <strong>Tom</strong>, Nicole <strong>und</strong> David<br />

Miscavige. Während der aufregenden ersten Monate<br />

ihrer Liebesaffäre mit <strong>Tom</strong> durchlief <strong>die</strong> Australierin <strong>die</strong><br />

Eingangskurse von <strong>Scientology</strong> <strong>und</strong> erreichte <strong>die</strong> Stufe<br />

Operating Thetan II. Sie lernte nicht nur das Selbst-<br />

Auditing, sondern wurde als Kandidatin betrachtet,<br />

irgendwann durch <strong>die</strong> »Wall of Fire« zu gehen, um<br />

zum innersten Heiligtum vorgelassen zu werden. Doch<br />

sie zögerte <strong>und</strong> erklärte, sie habe Filmverpflichtungen.<br />

-255-


Obwohl sie im Frühjahr 1993 tatsächlich das bittersüße<br />

Drama Mein Leben für dich drehte, wollte David<br />

Miscavige ihrer Erklärung ein wenig genauer auf den<br />

Gr<strong>und</strong> gehen. Hines wurde beauftragt, sie einem Auditing<br />

zu unterziehen <strong>und</strong> nach Gründen zu suchen, warum<br />

sie keine Fortschritte machte. Hines hatte den<br />

Eindruck, dass sich David Miscavige mit <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

über Nicole unterhalten hatte <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sitzung anberaumt<br />

worden war, um nach Möglichkeit auf ein Problem<br />

zu stoßen <strong>und</strong> <strong>die</strong>ses einzusetzen, um sie wieder<br />

auf Linie zu bringen. Die Tatsache, dass sie ihrem Vater,<br />

dem Psychologen, nahestand -sie reiste immer<br />

häufiger heim nach Sydney –, musste schon allein laut<br />

Hubbards Definition ein steter Anlass zur Sorge sein.<br />

In Vorbereitung auf <strong>die</strong> Sitzung las Hines ihre vertraulichen<br />

Akten, <strong>die</strong> keinerlei Hinweis auf irgendwelche<br />

Probleme oder Schwierigkeiten mit ihrem neuen<br />

Glauben enthielten. Die früheren Auditoren hatten den<br />

Eindruck gehabt, dass sie eine junge Frau sei, <strong>die</strong> mit<br />

dem Leben zurechtkam <strong>und</strong> nur selten Ärger oder<br />

Rückschläge hatte hinnehmen müssen.<br />

Nicole machte während der zwanzigminütigen Frage<strong>und</strong>-Antwort-Sitzung<br />

mit Hines klar, dass sie absolut<br />

glücklich war <strong>und</strong> keinerlei Anlass zur Beunruhigung<br />

sah. Außerdem vermittelte sie nicht den Eindruck, sie<br />

verberge etwas, weder in ihren Äußerungen noch beim<br />

Einsatz des E-Meters. Als Hines seinen Bericht vorlegte<br />

<strong>und</strong> sagte, dass mit ihr alles in Ordnung sei, wurde er<br />

beschuldigt, einen Fehler gemacht zu haben, <strong>und</strong> bestraft,<br />

weil er kein Problem gef<strong>und</strong>en hatte. Es war<br />

klar, dass der Zweck der Sitzung nicht darin bestanden<br />

hatte, Nicole zu helfen, sondern auf irgendein<br />

Problem zu stoßen, das man als Vorwand einsetzen<br />

konnte, um sie zu »betreuen« <strong>und</strong> wieder in den<br />

Schoß der Sekte zurückzuholen. Hines erinnert sich:<br />

»Sie müssen besorgt gewesen sein, weil sie sich von<br />

-256-


<strong>die</strong>sem Punkt an von <strong>Scientology</strong> abzuwenden begann.<br />

Offenbar gaben sie mir <strong>die</strong> Schuld dafür. Sie konnten<br />

aber nichts anderes behaupten, als dass ich <strong>die</strong> Fragen<br />

nicht richtig gestellt hatte. Und ich bin bis heute überzeugt,<br />

dass ich keinen Fehler gemacht habe.« Die Lehre<br />

von <strong>Scientology</strong> besagt zwar, dass wir alle für unsere<br />

Taten selbst verantwortlich sind, doch das gilt eindeutig<br />

nicht für Prominente.<br />

Eine Frau, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong> nicht »betreuen« konnte, war <strong>die</strong><br />

Bestsellerautorin Anne Rice. Nicole mochte ja insgeheim<br />

Zweifel an <strong>Scientology</strong> hegen, doch Anne Rice<br />

brachte ihre Sorgen über <strong>Tom</strong> öffentlich zur Sprache,<br />

als er für <strong>die</strong> Rolle des düsteren, sexuell abnormen<br />

Lestat in dem auf ihrem Roman Gespräch mit einem<br />

Vampir basierenden Film bestimmt wurde. Rice hätte<br />

den holländischen Schauspieler Rutger Hauer eindeutig<br />

vorgezogen <strong>und</strong> war mit der Besetzung der<br />

zweiten Hauptrolle mit Brad Pitt genauso wenig einverstanden.<br />

»Es ist, als würde man den Film mit Huck<br />

Finn <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> Sawyer besetzen«, tobte sie. »<strong>Cruise</strong> ist<br />

genauso wenig mein Vampir Lestat wie Edward G. Robinson<br />

Rhett Butler ist.« Es war auch nicht gerade hilfreich,<br />

dass ihre Äußerungen im September 1993 mit<br />

Gerüchten zusammenfielen, dass eine Untersuchung<br />

der Adoption durch das berühmte Paar eingeleitet<br />

würde, nachdem der ehemalige Kandidat der Republikaner<br />

für den Senat, Anthony R. Martin, »Floridas korrupte<br />

Adoptionsverkäufe über <strong>die</strong> Grenzen der B<strong>und</strong>esstaaten<br />

hinweg« kritisiert hatte. Während Martin<br />

problemlos als belangloser, publicitysüchtiger Mensch<br />

abgetan werden konnte, zeigte sich, dass Rice nicht so<br />

einfach abzuschütteln war. Ihr öffentlicher Feldzug,<br />

der Tausende ihrer Fans erregte, führte wenige Tage<br />

bevor <strong>Tom</strong> mit den Dreharbeiten begann, zu Morddrohungen<br />

gegen ihn. Diese Drohungen wurden immerhin<br />

so ernst genommen, dass <strong>die</strong> Produzenten einen über-<br />

-257-


dachten Gang von <strong>Tom</strong>s Wohnwagen zum Set bauen<br />

ließen, der auch <strong>die</strong> Paparazzi davon abhielt, Bilder<br />

von <strong>Tom</strong> in voller Vampir-Aufmachung zu schießen,<br />

was <strong>die</strong> Aura des Geheimnisvollen r<strong>und</strong> um <strong>die</strong>se Produktion<br />

noch verstärkte.<br />

Als <strong>Tom</strong> im Oktober 1993 kurz vor Beginn der Dreharbeiten<br />

den Preis »Bester Schauspieler des Jahrzehnts«<br />

beim International Film Festival in Chicago<br />

entgegennahm, machte er gute Miene zum bösen<br />

Spiel <strong>und</strong> sagte, er »hoffe, viele Leute eines Besseren<br />

zu belehren«. In dem Bemühen, <strong>die</strong> Situation zu entschärfen,<br />

behauptete <strong>Tom</strong>, er habe den 352 Seiten<br />

starken Wälzer von Rice als Teenager gelesen – keine<br />

schlechte Leistung für einen jungen Mann, der sich<br />

selbst nach Abschluss der Highschool als »funktionalen<br />

Analphabeten« beschrieb.<br />

In der Öffentlichkeit gab sich <strong>Tom</strong> versöhnlich, doch<br />

er war von Rice’ scharfem Angriff auf seine künstlerische<br />

Integrität »tief verletzt«. <strong>Der</strong> legendäre Produzent<br />

David Geffen, der <strong>Cruise</strong> überhaupt erst überredet<br />

hatte, <strong>die</strong> Rolle zu übernehmen, beruhigte ihn <strong>und</strong><br />

sagte, Rice sei eben verrückt. Trotzdem muss es für<br />

einen Mann, der inzwischen ständig von Menschen<br />

umgeben war, <strong>die</strong> sich seinem Willen beugten, ihn über<br />

den grünen Klee lobten <strong>und</strong> sein Ego streichelten,<br />

eine verwirrende Erfahrung gewesen sein. Was ihn<br />

wahrscheinlich am meisten wurmte, war <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass das künstlerische <strong>und</strong> wirtschaftliche Risiko gar<br />

nicht anerkannt wurde, das er mit der Annahme der<br />

Rolle eines Wesens einging, dessen Geschlecht nicht<br />

eindeutig war. Hier spielte der »sexiest man« der<br />

Welt, dessen Fans daran gewöhnt waren, ihn in der<br />

Rolle des blauäugigen Helden zu sehen, zum ersten<br />

Mal einen Bösewicht – eine Figur, <strong>die</strong> über <strong>die</strong> Geschlechtergrenzen<br />

hinaus nach Liebe sucht.<br />

-258-


Das war umso bemerkenswerter angesichts des früheren<br />

Ratschlags seines Fre<strong>und</strong>es David Miscavige,<br />

der ihm wegen der ambivalenten Sexualität der Figur<br />

davon abgeraten hatte, <strong>die</strong> Rolle von Edward mit den<br />

Scherenhänden zu übernehmen. Die Rolle von Lestat<br />

war weit düsterer <strong>und</strong> anrüchiger.<br />

Welche Befürchtungen Miscavige auch gehabt haben<br />

mochte, <strong>Tom</strong> vertraute der Einschätzung seiner Frau<br />

<strong>und</strong> David Geffens, jenes Mannes, der sein Talent<br />

schon zehn Jahre zuvor erkannt <strong>und</strong> ihn für <strong>die</strong> Hauptrolle<br />

in Lockere Geschäfte ausgewählt hatte.<br />

<strong>Tom</strong> bereitete sich mit dem ihm typischen Eifer <strong>und</strong><br />

Einsatz auf <strong>die</strong> Rolle vor <strong>und</strong> machte sich daran, Rice<br />

<strong>und</strong> ihre Fans eines Besseren zu belehren. Er las nicht<br />

nur sämtliche Bücher von Rice, sondern begann auch<br />

eine drastische Diät, lernte Klavier spielen <strong>und</strong> flog mit<br />

Nicole nach Paris, um <strong>die</strong> dekadente Atmosphäre dort<br />

einzusaugen. Sie schlenderten durch <strong>die</strong> Straßen, besuchten<br />

Museen <strong>und</strong> Galerien – zumeist nachts, genau<br />

wie <strong>die</strong> echten Vampire. »Wir drehten richtig auf«, erinnerte<br />

er sich. »Tranken guten Wein <strong>und</strong> tanzten bis<br />

zum Morgengrauen.« Ironischerweise verglich der Regisseur<br />

des Films, Neil Jordan, im Gegensatz zu <strong>Tom</strong>,<br />

der Lestat im Wesentlichen als einsame Figur auf der<br />

Suche nach Liebe interpretierte, das Leben eines Vampirs<br />

mit dem eines großen Hollywoodstars -<br />

abgeschüttet vom Tageslicht führe er ein Leben in einer<br />

»seltsamen Art von Abgeschiedenheit«. Es hatte<br />

den Eindruck, als spiele <strong>Tom</strong>, so sehr er sich auch<br />

mühte, am Ende doch immer sich selbst.<br />

Wie das Wesen der Nacht, zu dem er eine Zeitlang<br />

wurde, führten er <strong>und</strong> Nicole ein ruheloses Leben, reisten<br />

beruflich bedingt r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Welt, <strong>und</strong> ihr Zusammensein<br />

war von unzähligen Abschieden gekennzeichnet.<br />

Während der Dreharbeiten von Interview<br />

mit einem Vampir war <strong>Tom</strong> ab Oktober 1993 an den<br />

-259-


Drehorten oder mit Vorbereitungen befasst <strong>und</strong> hielt<br />

sich in Irland, Paris, Louisiana <strong>und</strong> San Francisco auf.<br />

Nicole <strong>und</strong> Bella begleiteten ihn nur gelegentlich. Mit<br />

dem Ergebnis, dass sie zwar in Hollywood wohnten,<br />

doch ihren Gulfstream-Privatjet nutzten, so wie andere<br />

Menschen ein Taxi. Ihre unterschiedlichen Einstellungen<br />

zu <strong>die</strong>sem privilegierten Lebensstil liefern aufschlussreiche<br />

Einblicke in <strong>die</strong> wachsende Kluft, <strong>die</strong> sich<br />

zwischen ihnen auftat. Wenn <strong>Tom</strong> sich beispielsweise<br />

in seinen Ziegenledersitz zurücklehnte, schaute er sich<br />

häufig staunend in der schön ausgestatteten Kabine<br />

um <strong>und</strong> zwickte sich buchstäblich angesichts seines<br />

großen Glücks. »Ich kann nicht fassen, dass das alles<br />

mir gehört«, sagte er dann. Er vergaß nie, dass es<br />

noch gar nicht so lange her war, als er Blumen gestohlen<br />

hatte, um sie seiner Fre<strong>und</strong>in zu schenken – jetzt<br />

dagegen konnte er der Frau, <strong>die</strong> er liebte, ein Luxusleben<br />

bieten. Nicht etwa, dass sie davon sonderlich beeindruckt<br />

gewesen wäre. Obwohl Nicole noch zu<br />

kämpfen hatte, um sich aus eigener Kraft als Schauspielerin<br />

zu etablieren, verhielt sie sich gelegentlich<br />

bereits wie eine echte Hollywood-Diva. War etwa kein<br />

Beluga-Kaviar <strong>und</strong> das ganze Drum <strong>und</strong> Dran an Bord,<br />

dann konnte man den Eindruck gewinnen, dass sie<br />

richtig wütend <strong>und</strong> ungehalten war, dass sie eine zickige<br />

Ungehaltenheit an den Tag legte, <strong>die</strong> das Privileg<br />

der Superreichen – oder immens Begabten – zu sein<br />

scheint.<br />

Vielleicht war ihre Haltung auf <strong>die</strong> Frustration zurückzuführen,<br />

dass sie mit ihrer Schauspielkarriere nicht<br />

recht vorankam. Zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt war Nicole<br />

hauptsächlich in ihrer Nebenrolle als Mrs <strong>Cruise</strong> bekannt,<br />

anstatt aus eigener Kraft im Rampenlicht zu<br />

stehen. Während sie in Australien ein <strong>Star</strong> gewesen<br />

war, wurde sie von den Machern Hollywoods als Anhängsel<br />

von <strong>Tom</strong> betrachtet, als Schauspielerin, <strong>die</strong><br />

-260-


sich auf ihn verließ, um den richtigen Leuten vorgestellt<br />

zu werden <strong>und</strong> an Drehbücher <strong>und</strong> <strong>Projekt</strong>e zu<br />

kommen. Ihr wurden, wie ihr Biograph David Thompson<br />

hervorhebt, »Dummchen-Gagen« bezahlt, damit<br />

sie in Filmen mitspielte, in denen sie sich unweigerlich<br />

ausziehen musste. Zwar gefiel ihr <strong>die</strong> gegenseitige<br />

Liebesaffäre mit der Kamera – mit oder ohne Kleider –<br />

, doch letztlich war <strong>die</strong> Sache entmutigend.<br />

Obwohl sie erst 26 Jahre alt war, stellte sie ihre Fähigkeiten<br />

so sehr in Frage, dass sie sich am Actors<br />

Studio in New York einschrieb, um wirklich schöpferisch<br />

tätig zu werden. In Interviews machte sie klar,<br />

dass sie an schwierigen Charakterrollen interessiert<br />

sei. Man kann sich ihren großen Kummer also leicht<br />

vorstellen, als ihre Fre<strong>und</strong>in aus Sydney, <strong>die</strong> Regisseurin<br />

Jane Campion, sie für <strong>die</strong> Rolle der tragischen <strong>und</strong><br />

verletzlichen Isabel Archer in ihrer geplanten Filmadaption<br />

des Romans Portrait of a Lady von Henry<br />

James ablehnte. Campions Entscheidung war umso<br />

enttäuschender, als sie Nicole ursprünglich grünes<br />

Licht gegeben hatte. Nach Meinung der australischen<br />

Regisseurin hatte Hollywood – das heißt vielmehr <strong>die</strong><br />

Rollen, <strong>die</strong> Nicole seit ihrer Ankunft dort gespielt hatte<br />

– ihr Talent irgendwie beeinträchtigt beziehungsweise<br />

verdorben. Zu <strong>die</strong>sen Filmen zählte zweifellos Batman<br />

Forever, in dem sie an der Seite von Val Kilmer <strong>die</strong><br />

sexy Psychologin Dr. Chase Meridian spielte – <strong>und</strong><br />

damit interessanterweise genau jenen Beruf verkörperte,<br />

den ihre Kirche von der Erde verbannen wollte.<br />

»Sie hatte einige Filme gemacht, <strong>die</strong> ihr meiner Meinung<br />

nach nicht gut bekamen, <strong>und</strong> ich glaube, sie<br />

wusste ebenfalls, dass sie nicht zu ihr passten«, erklärte<br />

Campion später. Nach vielen Tränen, großem<br />

Kummer <strong>und</strong> demütigendem Vorsprechen konnte Nicole<br />

Campion schließlich doch überzeugen <strong>und</strong> bekam<br />

<strong>die</strong> begehrte Rolle.<br />

-261-


Doch das war noch Zukunftsmusik. Während <strong>Tom</strong><br />

siegesgewiss dem Höhepunkt seines Erfolgs entgegenstrebte,<br />

hatte Nicole den Eindruck, als ginge es bei ihr<br />

einfach nicht voran. Ihre Schwierigkeiten, in den Hügeln<br />

Hollywoods richtig Fuß zu fassen, selbst mit Hilfe<br />

eines ausgewiesenen Bergführers, erinnerten sie nur<br />

ständig daran, wie schnell <strong>und</strong> wie weit <strong>Tom</strong> vorangekommen<br />

war. Vielleicht war es ein Zeichen ihres sehnlichen,<br />

ja verzweifelten Wunsches, Erfolg zu haben,<br />

der sie dazu veranlasste, <strong>die</strong> üblichen Kanäle zu umgehen<br />

<strong>und</strong> direkt zum Telefon zu greifen, um den Regisseur<br />

Gus Van Sant anzurufen <strong>und</strong> ihn um <strong>die</strong><br />

Hauptrolle in seinem Film To Die For zu bitten. Dass<br />

<strong>die</strong> erste Wahl des Regisseurs, Meg Ryan, <strong>die</strong> Rolle<br />

abgelehnt hatte, schien Nicole nur noch zusätzlich anzufeuern.<br />

Sie erzählte Van Sant, sie fühle sich »vom<br />

Schicksal bestimmt«, <strong>die</strong> kühle, berechnende <strong>und</strong><br />

rücksichtslose Fernsehmeteorologin zu spielen, <strong>die</strong><br />

ihren Mann von ihrem Liebhaber, einem Studenten,<br />

umbringen lässt, weil sie den Eindruck hat, er sei ihrer<br />

Karriere hinderlich.<br />

Endlich wurden <strong>die</strong> Aussichten rosiger, als Nicole <strong>die</strong><br />

Rolle bekam, <strong>die</strong> ihr zum Durchbruch verhelfen sollte.<br />

Während ihrer Recherchen für <strong>die</strong> Rolle Ende 1993 erwies<br />

sie sich als ebenso zielstrebig <strong>und</strong> besessen wir<br />

ihr Ehemann, der ihr zur Seite stand <strong>und</strong> bei den Charakterrecherchen<br />

half. Einmal stieg das Paar in Santa<br />

Barbara an der kalifornischen Küste in einem Hotel ab<br />

<strong>und</strong> verließ drei Tage das Zimmer nicht, weil es sich in<br />

Sch<strong>und</strong>-TV vertiefte. Nicoles neues <strong>Projekt</strong> hatte zur<br />

Folge, dass <strong>die</strong> Familie <strong>Cruise</strong> wieder einmal umzog,<br />

<strong>die</strong>ses Mal für den Sommer 1994 in ein gemietetes<br />

Haus nach Toronto, Kanada. Während Nicole drehte –<br />

sie verbannte ihren Mann vom Set, wenn sie mit ihren<br />

Kollegen Matt Dämon <strong>und</strong> Joaquin Phoenix heiße Sexszenen<br />

mimte –, machte er seinen Pilotenschein <strong>und</strong><br />

-262-


nahm Nicole mindestens einmal in einem Zweisitzer-<br />

Doppeldecker zu einem Flug mit, bei dem sie auf den<br />

Flügel kletterte, eine Arabesque vollführte <strong>und</strong> dann<br />

mit dem Fallschirm sicher auf der Erde landete. Später<br />

schrieb der Schauspieler das Ver<strong>die</strong>nst, dass er inzwischen<br />

gut genug lesen konnte, um den technischen<br />

Fachjargon der Fliegerhandbücher zu verstehen, Hubbards<br />

Lehrmethoden zu. Er behauptete, dass er, als er<br />

das erste Mal versucht habe, den Pilotenschein zu machen,<br />

<strong>und</strong> zwar während der Dreharbeiten von Top<br />

Gun, bevor er <strong>Scientology</strong> beitrat, hatte aufgeben<br />

müssen, weil er <strong>die</strong> technischen Begriffe nicht verstanden<br />

habe. Zufällig verließ das berühmte <strong>Scientology</strong>-Paar<br />

Toronto, bevor seine Kirche in eine weitere<br />

Kontroverse verwickelt wurde. Im Februar 1995 begannen<br />

<strong>die</strong> Anhörungen in einer Verleumdungsklage,<br />

<strong>die</strong> am Ende dazu führte, dass <strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Kirche<br />

zur Zahlung von 1,6 Millionen Dollar Schadenersatz<br />

verurteilt wurde – dem höchsten Betrag in der Geschichte<br />

des Landes. Dieser Fall, der in der Öffentlichkeit<br />

große Beachtung fand, ließ <strong>die</strong> Behauptungen der<br />

Kirche, sie habe ihre dunkle Vergangenheit hinter sich<br />

gelassen, ziemlich hohl klingen. Nach fast einem Jahrzehnt<br />

der Führung durch David Miscavige war <strong>Scientology</strong><br />

so prozessfreudig <strong>und</strong> aggressiv wie eh <strong>und</strong> je.<br />

Wenn seine Kirche ihre Einstellung nicht änderte, so<br />

doch eine Dame, nämlich Anne Rice, <strong>Tom</strong>s schärfste<br />

Kritikerin. Kurz vor dem Kinostart von Interview mit<br />

einem Vampir im November 1994 ging der Produzent<br />

David Geffen das Risiko ein <strong>und</strong> schickte der Autorin<br />

eine Videokopie des Films nach New Orleans. Sie war<br />

begeistert, <strong>und</strong> erzählte es Geffen. Dieser wiederum<br />

rief den verdutzten <strong>Cruise</strong> an <strong>und</strong> teilte ihm <strong>die</strong> Nachricht<br />

mit. »Sie mag dich, sie liebt den Film. Sie liebt<br />

ihn wirklich.« <strong>Tom</strong> war über Geffens Kaltschnäuzigkeit<br />

verblüfft. »David Geffen, du hast großes Glück, so wie<br />

-263-


alle Iren«, sagte <strong>Cruise</strong>. Die Kehrtwendung war vollzogen,<br />

als Rice in der New York Times <strong>und</strong> Vanity Fair<br />

Werbung machte, in der der Film <strong>und</strong> <strong>die</strong> Leistung von<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> gepriesen wurden, der Lestats Stärke,<br />

Humor <strong>und</strong> Kühnheit »perfekt dargestellt« habe.<br />

Während <strong>die</strong>se bisexuelle Figur zu neuerlichen Gerüchten<br />

über seine eigene Sexualität anregte, konzentrierten<br />

sich Nicole <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> auf weiteren Familienzuwachs.<br />

Nachdem sie ihren fünften Hochzeitstag an<br />

Weihnachten in ihrem eigenen Chalet in Telluride, dem<br />

schicken Skiort in Colorado, gefeiert hatten, in dem<br />

ihre Hochzeit stattgef<strong>und</strong>en hatte, reichte das Paar still<br />

<strong>und</strong> leise einen Adoptionsantrag ein. Ende Februar<br />

wurden sie zum zweiten Mal Eltern <strong>und</strong> adoptierten<br />

einen Jungen, dem sie den Namen Connor Antony<br />

Kidman <strong>Cruise</strong> gaben. Seine Mutter war eine afroamerikanische<br />

New Yorkerin, <strong>die</strong> ihn am 6. Februar 1995<br />

zur Welt gebracht hatte.<br />

Connor <strong>und</strong> seine Schwester Bella gehörten nun einer<br />

Familie fahrender Troubadoure an, doch sie waren<br />

noch zu klein, um das mitzubekommen. Schon wenige<br />

Wochen nachdem <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole <strong>die</strong> Adoptionspapiere<br />

unterzeichnet hatten, wurde Baby Connor aus Amerika<br />

ausgeflogen. Diese Reise markierte eine neue<br />

Phase in der Ehe des Paares <strong>und</strong> sollte es länger von<br />

seinem Zuhause fernhalten, als <strong>die</strong> beiden ahnten.<br />

-264-


8<br />

Endlich war <strong>Tom</strong> dort, wo er sich wirklich zu Hause<br />

fühlte <strong>und</strong> wo er seiner Meinung nach hingehörte. Am<br />

Steuer. Im Cockpit. Am Ruder. Endlich war er Herr<br />

seines eigenen Betriebes; er produzierte seinen ersten<br />

Blockbuster, spielte <strong>die</strong> Hauptrolle <strong>und</strong> koordinierte<br />

das Ganze: Mission: Impossible. Für den Jungproduzenten,<br />

er war erst 32 Jahre alt, war das eine wirklich<br />

riskante Angelegenheit, <strong>und</strong> es war nicht einfach, <strong>die</strong><br />

ausgefallenen Forderungen des Regisseurs Brian De<br />

Palma mit den heiklen finanziellen Realitäten einer<br />

Filmproduktion unter einen Hut zu bringen, <strong>die</strong> auf<br />

einer fast vergessenen TV-Show aus den siebziger<br />

Jahren über einzelgängerische Geheimagenten basierte,<br />

welche unentwegt heimtückische Pläne von Übeltätern,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Weltherrschaft übernehmen wollen,<br />

durchkreuzen.<br />

Er stand nicht nur unter dem mentalen <strong>und</strong> physischen<br />

Druck, <strong>die</strong> Hauptrolle überzeugend zu spielen, in<br />

<strong>die</strong>sem Fall den Spezialagenten Ethan Hunt, sondern<br />

musste zudem ein wachsames Auge auf das Budget<br />

<strong>und</strong> all <strong>die</strong> anderen alltäglichen Kleinigkeiten haben,<br />

<strong>die</strong> erforderlich sind, um ein Multi-Millionen-Dollar-<br />

<strong>Projekt</strong> in den sicheren Hafen unzähliger Multiplexkinos<br />

zu manövrieren. Hinzu kam <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> Explosion<br />

eines Aquariums zu überleben, auf einem<br />

Schnellzug einen Rückwärtssalto zu machen <strong>und</strong> seine<br />

Gliedmaßen von sich zu strecken, während er 30 Meter<br />

in einen streng gesicherten Schacht hinabgelassen<br />

wurde, <strong>und</strong> dabei vorsichtig den Sicherheitslaserstrahlen<br />

auszuweichen. Die schwierigste Aufgabe bestand<br />

vielleicht nicht so sehr darin, rote Laserstrahlen zu<br />

-265-


umgehen, als vielmehr, sich durch das bürokratische<br />

Labyrinth in der ehemals kommunistischen Republik<br />

Tschechien zu schlängeln, in der <strong>die</strong> Dreharbeiten im<br />

Winter 1995 stattfanden.<br />

Die ausufernde Bürokratie stellte <strong>die</strong> Geduld des Kontrollfreaks<br />

<strong>und</strong> besessenen Perfektionisten bis zur<br />

Grenze der Belastbarkeit auf <strong>die</strong> Probe. »Prag hat uns<br />

über <strong>die</strong> Ohren gehauen. Die müssen sich erst noch an<br />

<strong>die</strong> Demokratie gewöhnen«, stellte er trocken fest.<br />

Nicht einmal ein persönliches Gespräch mit dem frisch<br />

gewählten Präsidenten des Landes, dem Dramatiker<br />

Vaclav Havel, vermochte <strong>die</strong> Kosten zu senken. Doch<br />

ein Gutes hatten <strong>die</strong> Dreharbeiten in der tschechischen<br />

Hauptstadt, nämlich dass <strong>Tom</strong> mit Nicole, Baby Connor<br />

<strong>und</strong> Bella über <strong>die</strong> gepflasterten Straßen Prags<br />

schlendern konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.<br />

Ein Stadtbummel untertags war etwas ganz Besonderes;<br />

normalerweise ging das Paar eher nachts aus, um<br />

der Aufmerksamkeit von Fans <strong>und</strong> vor allem auch der<br />

Paparazzi zu entgehen.<br />

Nicht etwa, dass er viel Zeit gehabt hätte, <strong>die</strong> Sehenswürdigkeiten<br />

zu besichtigen. Als <strong>die</strong> Dreharbeiten<br />

in Prag <strong>und</strong> schließlich in den Pinewood Studios außerhalb<br />

Londons fortschritten, stand zweifelsfrei fest, wer<br />

hier das Sagen hatte. Obwohl De Palma 22 Jahre älter<br />

war, bestand der Neuling auf dem Gebiet der Filmproduktion<br />

darauf, bei jedem Detail das letzte Wort zu<br />

haben: von der täglichen Forderung nach Änderungen<br />

im Drehbuch bis hin zur Wiederholung der Aufnahmen<br />

der Filmmusik, damit er <strong>die</strong> Flöten besser heraushören<br />

konnte. Vielleicht wurde seine Konzentration auf <strong>die</strong><br />

Tonqualität von seinem spirituellen Manipulator David<br />

Miscavige inspiriert oder gar empfohlen, dessen empfindliches<br />

Gehör <strong>die</strong> letzte Qualitätskontrolle der Musikangebote<br />

von <strong>Scientology</strong> darstellte. In jedem Fall<br />

gab es in <strong>Cruise</strong>’ Sekte Leute, <strong>die</strong> in seiner Darstellung<br />

-266-


von Ethan Hunt, einem Geheimagenten, der ein extremes<br />

Leben führt, zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem<br />

Charakter des <strong>Scientology</strong>-Führers sahen. »Mission:<br />

Impossible war faszinierend, weil ich in Ethan Hunt<br />

David Miscavige wiedererkannte«, stellte Karen Pressley<br />

fest. »Sowohl <strong>die</strong> Filmfigur als auch der Mensch<br />

suchten den ultimativen Kick. Ich erkannte, dass David<br />

indirekt durch <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> lebte, genau, wie <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> allmählich anfing, David Miscavige zu werden.<br />

Diese Transposition an sich wäre schon ein Drehbuch<br />

wert gewesen.« Das war eine frühe Einsicht, in welche<br />

Richtung <strong>Tom</strong> steuern sollte.<br />

Während <strong>Tom</strong>s Rolle als Superagent im Charakter<br />

seines engen Fre<strong>und</strong>es Widerhall fand, befreite sich<br />

Nicole endgültig von dem Etikett »Frau von <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong>«. Im Mai 1995 flog Nicole nach Cannes, wo ihr<br />

Film To Die For als Festivalbeitrag lief. Zum ersten<br />

Mal ging sie allein über den roten Teppich, wobei ihr<br />

Kleid, bis zur Hüfte geschlitzt, beinahe so viel Furore<br />

machte wie ihr Film. Sie wurde nicht nur für zwölf Auszeichnungen<br />

nominiert – darunter für den Golden Globe<br />

als »Beste Schauspielerin«, den sie schließlich auch<br />

gewann –, endlich wurde sie auch als eine Schauspielerin<br />

anerkannt, mit der aufgr<strong>und</strong> eigener Ver<strong>die</strong>nste<br />

zu rechnen ist.<br />

Während sie sich im Glanz der Kritiken sonnte – finanziell<br />

war der Film nur ein bescheidener Erfolg –,<br />

bereitete sie sich auf eine ernste Rolle vor, <strong>und</strong> das<br />

bedeutete, <strong>Tom</strong> sowie Baby Connor <strong>und</strong> dessen<br />

Schwester Isabella zu verlassen. Obwohl das Paar im<br />

Sommer 1995 ein prunkvolles Haus in London bewohnte,<br />

das 15.000 Dollar pro Woche kostete, kam<br />

Nicole zu dem Schluss, dass sie allein sein müsse, um<br />

sich auf ihre Rolle als <strong>die</strong> Erbin Isabel Archer für Jane<br />

Campions Film Portrait of a Lady zu konzentrieren.<br />

Es war ein Zeichen ihrer Vertiefung, manche Leute<br />

-267-


würden sagen ihrer Selbstvertiefung <strong>und</strong> Intensität,<br />

dass sie ganz <strong>und</strong> gar ohne jegliche Ablenkung in den<br />

Charakter eintauchen musste. Sie war von der Rolle so<br />

besessen, dass sie darauf bestand, ein Korsett zu tragen,<br />

das ihren Taillenumfang auf gerade einmal 48<br />

Zentimeter zusammenquetschte, damit sie <strong>die</strong> Qualen<br />

spüren konnte, <strong>die</strong> Isabel zu erleiden hatte. Mehrere<br />

Male mussten <strong>die</strong> Dreharbeiten unterbrochen werden,<br />

wenn <strong>die</strong> Schauspielerin vor Erschöpfung fahl wurde<br />

oder gar ohnmächtig zusammenbrach. Kein W<strong>und</strong>er,<br />

dass sie nach Beendigung der Dreharbeiten im November<br />

vor Überanstrengung zwei Wochen mit 40<br />

Grad Fieber im Bett lag. Wie bei ihrem Mann bei Geboren<br />

am 4. Juli konnte man den Geist von Laurence<br />

Olivier flüstern hören: »Versuch’s doch mal mit Schauspielen,<br />

es ist ganz einfach.«<br />

Und während Nicole sich selbst für das, was sie »ihr<br />

Baby« nannte, Qualen auferlegte, brachte <strong>Tom</strong> zu<br />

Hause Kinder <strong>und</strong> Karriere unter einen Hut <strong>und</strong> drehte<br />

in den Pinewood Studios Mission: Impossible, fand<br />

aber trotzdem noch Zeit, sowohl Isabella ihre Gutenachtgeschichte<br />

vorzulesen als auch seinem Hobby,<br />

dem Fliegen, nachzugehen. Er hatte sogar <strong>die</strong> Gelegenheit,<br />

ein wenig mit Diana, der Prinzessin von<br />

Wales, zu flirten, als sie mit ihrem ältesten Sohn, Prinz<br />

William, in <strong>die</strong> Studios kam. Sie war während des<br />

zweistündigen Besuchs zwar von seinem Lächeln <strong>und</strong><br />

Charme fasziniert, doch er war nicht ihr Typ, da <strong>die</strong><br />

Prinzessin große Männer bevorzugte.<br />

Trotz seines übervollen Terminkalenders fand <strong>Tom</strong><br />

<strong>die</strong> Zeit, ein Drehbuch von Cameron Crowe zu lesen,<br />

der sich vom Journalisten zum Regisseur entwickelt<br />

<strong>und</strong> den er mehr als zehn Jahre zuvor über Sean Penn<br />

kennengelernt hatte, der mit ihm bei Fast Times at<br />

Ridgemont High zusammengearbeitet hatte. Crowes<br />

neuestes <strong>Projekt</strong> mit dem Titel Jerry Maguire -Spiel<br />

-268-


des Lebens drehte sich um einen zynischen, aber<br />

weltverdrossenen Sportagenten, der seinen einflussreichen<br />

Job bei einer skrupellosen Firma kündigt <strong>und</strong><br />

nur einen K<strong>und</strong>en, den Footballspieler Rod Tidwell,<br />

sowie seine Sekretärin mitnimmt. Das gute Drehbuch<br />

gefiel <strong>Tom</strong> außerordentlich, weil er von Maguires<br />

Wandlung von Egoismus zu Selbsterkenntnis fasziniert<br />

war. Er war so begeistert, dass er nach Los Angeles<br />

flog, um sich mit Crowe <strong>und</strong> seinem Produzenten zu<br />

treffen, <strong>und</strong> er las <strong>die</strong> Rolle laut der versammelten<br />

Mannschaft vor, bevor er sich nach der Finanzierung<br />

erk<strong>und</strong>igte. Crowe erklärte, es würde, da der Name<br />

<strong>Cruise</strong> mit Erfolg gleichzusetzen sei, interessant sein,<br />

auf der Leinwand eine Figur darzustellen, <strong>die</strong> am Ende<br />

scheitert. <strong>Der</strong> Film brachte <strong>Tom</strong> schließlich eine Oscarnominierung<br />

ein, der Film verhalf Cuba Gooding jr. der<br />

Rod Tidwell spielte, zu einem Oscar <strong>und</strong> machte Renee<br />

Zellweger einem breiteren Publikum bekannt. Sie<br />

spielte in <strong>die</strong>sem Film <strong>Tom</strong>s Geliebte <strong>und</strong> stellte an<br />

dem Schauspieler eine Qualität fest, <strong>die</strong> ihn zwar zu<br />

einem wirklich guten Darsteller, aber als Menschen<br />

schwer zu verstehen machte – <strong>die</strong> Fähigkeit, seine Gefühle<br />

in Sek<strong>und</strong>enbruchteilen auszuschalten.<br />

»Er spielte so gut, dass es schon fast bizarr war. Du<br />

schaust ihm in <strong>die</strong> Augen, <strong>und</strong> er ist wirklich da, wirklich<br />

in dich verliebt. Du konntest ihm ins Herz, in <strong>die</strong><br />

Seele schauen. Und dann rief der Regisseur: >Cut


Er wurde für Jerry Maguire – Spiel des Lebens nicht<br />

nur mit dem Golden Globe ausgezeichnet, sondern war<br />

1996 der erste Schauspieler, dem es je gelang, mit<br />

fünf aufeinanderfolgenden Filmen, darunter Jerry Maguire<br />

<strong>und</strong> Mission: Impossible, an den amerikanischen<br />

Kinokassen jeweils über 100 Millionen Dollar<br />

einzuspielen. Darüber hinaus hatte er miterlebt,<br />

dass sein erstes <strong>Projekt</strong> als selbständiger Produzent,<br />

Mission: Impossible, an den Kinokassen mehr als<br />

450 Millionen Dollar einbrachte. Er war Hollywoods<br />

unbestrittener Superheld, ein Mann, der in der Lage<br />

war, jede künstlerische Mission kommerziell möglich<br />

zu machen.<br />

Doch an der Wand seines Büros in Hollywood prangten<br />

nicht etwa Poster seiner jüngsten Kassenschlager,<br />

sondern ein gerahmtes, wenn auch ziemlich verblasstes<br />

Fax. Es stammte von dem legendären, aber zurückgezogen<br />

lebenden Regisseur Stanley Kubrick, dem<br />

Genie hinter 2001: Odyssee im Weltraum, Uhrwerk<br />

Orange, The Shining <strong>und</strong> Dr. Seltsam. In dem<br />

Schreiben hieß es schlicht, dass er bei einem zukünftigen<br />

<strong>Projekt</strong> gern mit <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole zusammenarbeiten<br />

wolle <strong>und</strong> dass er ihnen in den nächsten Monaten<br />

ein Drehbuch zukommen lassen werde. Dass <strong>Tom</strong> <strong>die</strong>sen<br />

Brief zur Schau stellte, belegt, dass auch er nicht<br />

immun gegen Schmeicheleien von hochkarätiger Seite<br />

war. Das gerahmte Fax erinnerte täglich daran, dass<br />

<strong>die</strong> Wirkung <strong>und</strong> Anziehungskraft seines Talents über<br />

seine Popularität beim Publikum hinausreichte. »Es<br />

war einfach ein W<strong>und</strong>er, dass er mich <strong>und</strong> Nic dabeihaben<br />

wollte«, erinnerte er sich später. Als das Script<br />

des Oscar-gekürten Drehbuchautors <strong>und</strong> Schriftstellers<br />

Frederic Raphael schließlich eintraf, »brauchten wir<br />

knapp zwei Sek<strong>und</strong>en, dann sagten wir ja«, erzählte<br />

Nicole. »Und das war’s.« Obwohl ihre frühere Zusammenarbeit<br />

vor der Kamera nicht sonderlich erfolgreich<br />

-270-


gewesen war, überwog <strong>die</strong> Chance, mit der Filmlegende<br />

zusammenzuarbeiten, alle anderen Erwägungen.<br />

»Sie glaubten, sie würden an einem Meisterwerk mitwirken,<br />

an einem Film, der <strong>die</strong> Karriere prägt«, erinnerte<br />

sich ein Kollege später.<br />

Das markierte den Beginn einer bizarren Zusammenarbeit,<br />

bei der ihr schauspielerisches Können, ihre Ges<strong>und</strong>heit,<br />

ihre Geduld <strong>und</strong> ihre Ehe bis an <strong>die</strong> Grenzen<br />

der Belastbarkeit auf <strong>die</strong> Probe gestellt wurden. Ihre<br />

erste Begegnung mit Kubrick im Winter 1995 bestimmte<br />

den Tonfall des seltsamen <strong>und</strong> bizarren Lebens,<br />

das sie in den folgenden Jahren führen sollten.<br />

Da Nicole noch immer mit Portrait of a Lady beschäftigt<br />

war, charterten sie einen Hubschrauber, um <strong>die</strong><br />

kurze Strecke zwischen London <strong>und</strong> Kubricks Haus bei<br />

St. Albans in Hertfordshire zurückzulegen. Obwohl sie<br />

nach echter Hollywood-Manier ankamen, waren sie so<br />

nervös wie ein Paar bei seinem ersten Rendezvous,<br />

<strong>und</strong> Nicole gestand später, dass sie »schreckliche<br />

Angst« hatte, als sie der Gestalt im blauen Overall <strong>die</strong><br />

Hand schüttelte, <strong>die</strong> sie auf dem Rasen des weitläufigen<br />

Anwesens begrüßte.<br />

Sie waren gekommen, um über den Film Eyes Wide<br />

Shut zu sprechen, der auf der Traumnovelle von Arthur<br />

Schnitzler über <strong>die</strong> sexuellen Phantasien eines<br />

Ehepaares basierte, über das Verschwimmen von<br />

Träumen mit der Realität <strong>und</strong> <strong>die</strong> unverzeihlichen Gefühle,<br />

<strong>die</strong> das auslösen kann. Kubrick sagte ihnen:<br />

»Dieser Film dreht sich um sexuelle Besessenheit <strong>und</strong><br />

Eifersucht. Es geht nicht um Sex.« Dennoch stellte er<br />

sicher, dass Nicole in ihrem Vertrag Nacktszenen zustimmte,<br />

damit er mögliche Sexszenen mit ihr drehen<br />

konnte. Kubricks Idee bestand darin, das Rätselhafte<br />

zwischen einem Ehepaar zu vermitteln, indem er <strong>die</strong><br />

Hauptrollen mit einem tatsächlich verheirateten Paar<br />

besetzte. Sein erster Gedanke war gewesen, Kim Ba-<br />

-271-


singer, <strong>die</strong> in 9½ Wochen bewiesen hatte, dass sie<br />

sich nicht scheute, Sexszenen zu spielen, sowie ihren<br />

Ehemann, Alec Baldwin, zu kontaktieren. <strong>Der</strong> Drehbuchautor<br />

Frederic Raphael hatte jedoch Bedenken.<br />

»Ich halte es für eine seltsame Idee. Er war der Meinung,<br />

dass er, wenn er ein Ehepaar ein verheiratetes<br />

Paar verkörpern ließ, zwangsläufig etwas Wahres <strong>und</strong><br />

Reales bekommen würde. Das ist eine naive Vorstellung<br />

davon, was Schauspielerei <strong>und</strong> was Ehe bedeutet.«<br />

Da Kubrick beharrlich an seiner Idee festhielt,<br />

änderte Raphael den Kurs <strong>und</strong> machte den Vorschlag,<br />

sich an das berühmteste Ehepaar Hollywoods zu wenden.<br />

Daher Kubricks Fax an <strong>Tom</strong>.<br />

Während Nicole <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> nervös waren, als sie händchenhaltend<br />

nebeneinander auf dem Sofa im Wohnzimmer<br />

seines Hauses saßen, war Kubrick »außer sich<br />

vor Freude«, sich Hollywoods Traumpaar geangelt zu<br />

haben. Und er erzählte Raphael später, sie hätten<br />

»süß« ausgesehen. Raphael äußerte sich zynischer.<br />

»Irgendwie klangen <strong>die</strong>se Worte aus Kubricks M<strong>und</strong><br />

seltsam. Wer weiß schon, ob sie bei Meetings immer<br />

händchenhaltend dasitzen. Trotzdem hat es den Anschein,<br />

als hätten sie ihm gegeben, was er wollte. Und<br />

er war der Meinung, sie seien wirklich als Paar so, anstatt<br />

zumindest eine gewisse Skepsis an den Tag zu<br />

legen. Wenn man eine Show abzieht – wie gut auch<br />

immer –, ist es schließlich ein Zeichen, dass man eine<br />

Show abzieht.« Falls <strong>die</strong>se Zurschaustellung der ehelichen<br />

Zuneigung, wie Raphael vermutete, tatsächlich<br />

ein wortloses Vorspielen Kubrick zuliebe war, so hatten<br />

sie zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt dennoch keine Ahnung,<br />

dass <strong>die</strong> auf sie zukommende Show ihr Herz <strong>und</strong> ihren<br />

Kopf beherrschen sollte.<br />

Als Paar, das entschlossen <strong>und</strong> unermüdlich seinen<br />

jeweiligen Charakter erforschte, blieb ihm nach der<br />

Entscheidung, genau sich selbst, beziehungsweise eine<br />

-272-


Version von sich selbst, zu spielen, nichts anderes übrig,<br />

als <strong>die</strong> Reise in ihre eigene Gefühlswelt anzutreten.<br />

Obwohl sie den Schauspielcoach Susan Batson<br />

engagierten <strong>und</strong> in ihrem gemieteten Haus in London<br />

ihre Rollen getrennt einstu<strong>die</strong>rten, beschritten sie, wie<br />

Nicole einräumte, »gefährliches Terrain«, das selbst<br />

Stanley Kubrick <strong>und</strong> seiner Frau Christiane Angst eingejagt<br />

hatte, als der Regisseur kurz nach ihrer Hochzeit<br />

den Vorschlag unterbreitete, Schnitzlers Novelle in<br />

Angriff zu nehmen. Nicole erzählte, beinahe vorausschauend:<br />

»Aber <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> ich beschlossen, den<br />

Sprung zu wagen. Er bedeutete, miteinander über Eifersucht<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Anziehungskraft auf andere Leute zu<br />

reden – Dinge, <strong>die</strong> man normalerweise umgeht oder<br />

so tut, als gäbe es sie gar nicht. Es würde schwierig<br />

<strong>und</strong> gelegentlich sehr problematisch werden. Es war<br />

etwas, was uns entweder enger zusammenschweißen<br />

oder auseinanderbringen würde.«<br />

Die Gage von angeblich 20 Millionen Dollar war zwar<br />

beträchtlich, ebenso allerdings auch das Engagement,<br />

denn das Paar stimmte zu, einen unbefristeten Vertrag<br />

abzuschließen. Sie waren so wild darauf, mit Kubrick<br />

zusammenzuarbeiten, dass sie sich, obwohl sie wussten,<br />

dass er im Ruf stand, nicht nur bei den Dreharbeiten,<br />

sondern auch schon bei den Proben endlose Wiederholungen<br />

zu fordern, für eine Drehzeit von immerhin<br />

fünf Monaten verpflichteten. Obwohl <strong>die</strong> Filmhandlung<br />

in Manhattan in nur drei Tagen spielt, dauerten<br />

<strong>die</strong> Dreharbeiten 400 Tage, was ihnen einen Eintrag<br />

ins Guinness Buch der Rekorde als der längste<br />

ununterbrochene Filmdreh aller Zeiten einbrachte. Die<br />

Filmaufnahmen zogen sich so lange hin, dass zwei<br />

Mitglieder des Ensembles, Harvey Keitel <strong>und</strong> Jennifer<br />

Jason Leigh, ausstiegen, um anderen Verpflichtungen<br />

nachzukommen. Sie wurden von Sydney Pollack <strong>und</strong><br />

Marie Richardson ersetzt. Dieser Wechsel hatte einen<br />

-273-


Nebeneffekt. Während der sich endlos hinziehenden<br />

Dreharbeiten entdeckten Pollack <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> ihre gemeinsame<br />

Liebe für den Kunstflug – Pollack war erstaunt,<br />

wie schnell <strong>Tom</strong> komplizierte Manöver lernte –,<br />

Und Pollack brachte <strong>Tom</strong> das Kochen bei.<br />

Nicht etwa, dass <strong>Tom</strong> das Essen wirklich genießen<br />

konnte, denn während der Dreharbeiten bekam der<br />

Schauspieler, damals 34 Jahre alt, ein Magengeschwür,<br />

eine Erkrankung, <strong>die</strong> häufig mit Stress in Verbindung<br />

gebracht wird. Das kam nicht gerade überraschend.<br />

<strong>Tom</strong>, der Dr. Bill Harford spielte, war bis auf<br />

sechs Tage den ganzen Marathon-Dreh über am Set.<br />

Nicole dagegen organisierte in ihrer drehfreien Zeit für<br />

Isabelle Verabredungen zum Spielen mit den Prinzessinnen<br />

Beatrice <strong>und</strong> Eugenie, den Töchtern von Sarah<br />

Ferguson, Herzogin von York; sie besuchte den Lake<br />

District, um <strong>die</strong> Gedichte von William Wordsworth zu<br />

stu<strong>die</strong>ren, lernte Italienisch <strong>und</strong> nahm vor Ort Reitunterricht.<br />

Im Nachhinein wurde Nicole klar, dass sie<br />

achtzehn Monate lang in einer »eigenartigen, abgeschirmten«<br />

Welt gelebt <strong>und</strong> <strong>die</strong> meiste Zeit in geschlossenen<br />

Räumen verbracht hatten. »Wir haben<br />

nicht viele Leute getroffen«, erinnerte sie sich. »<strong>Tom</strong><br />

<strong>und</strong> ich, wir teilten uns einen gemeinsamen Wohnwagen,<br />

außerdem stand uns ein kleiner Raum zur Verfügung,<br />

<strong>und</strong> ich habe mich häufig in <strong>die</strong>sen Raum zurückgezogen,<br />

um zu lesen.« In <strong>die</strong>ser Inselwelt, <strong>die</strong> sie<br />

bewohnten, wurden ihre Angestellten zu engen Vertrauten.<br />

<strong>Tom</strong> verbrachte viele St<strong>und</strong>en mit seinem<br />

Chauffeur <strong>Tom</strong>my Lee, einem onkelhaften Mann aus<br />

Cockney, <strong>und</strong> mit seinem Leibwächter Mickey Brett,<br />

einer väterlichen Figur, <strong>die</strong> nicht nur von <strong>Tom</strong>, sondern<br />

auch von Angelina Jolie <strong>und</strong> Julia Roberts sehr<br />

geschätzt wird.<br />

Die Dreharbeiten waren umso belastender, als <strong>Tom</strong>,<br />

ein Schauspieler, dessen Markenzeichen <strong>die</strong> Freiset-<br />

-274-


zung von Energie – sowohl körperlich als auch emotional<br />

– war, <strong>die</strong>sen »zurückhaltenden«, ungeselligen<br />

Arzt nicht gerne spielte, den er auf der Leinwand verkörperte.<br />

Zurückhaltung war ein Wort, das man in der<br />

Regel nicht mit <strong>Tom</strong> in Verbindung brachte, <strong>und</strong> er<br />

empfand <strong>die</strong> Erfahrung als »unangenehm«. Als Mann<br />

der dynamischen Bewegung <strong>und</strong> der Autorität fand er<br />

in seinem Regisseur <strong>und</strong> dessen geschickten <strong>und</strong> subtilen<br />

Manipulationen seinen Meister. War <strong>Tom</strong> ein Prinz<br />

der Kontrolle, dann war Kubrick König. Er forderte<br />

nicht nur <strong>die</strong> Kontrolle, sondern verlangte vom Drehbuch,<br />

von seinem Ensemble, seinen Produzenten <strong>und</strong><br />

dem Studio absoluten Gehorsam. Selbst Nicole, <strong>die</strong><br />

den Regisseur anhimmelte, war über sein zwanghaftes<br />

Verhalten verblüfft. »Wenn man mit Stanley zusammenarbeitet«,<br />

sagte sie, »lebt man so, wie er es<br />

möchte. Er wollte nicht, dass ich aus dem Haus gehe.<br />

Er hätte sich Sorgen gemacht, wenn ich ausgegangen<br />

wäre. Er wollte, dass ich mich absolut engagiere – ich<br />

meine, wie jeder Regisseur, dem der Gedanke missfällt,<br />

dass es auf der Welt noch andere Filme gibt, andere<br />

Filme neben dem, an dem man gerade arbeitet.«<br />

Trotz <strong>Tom</strong>s Stellung als <strong>Star</strong> war letztendlich Kubrick<br />

der Verantwortliche. Schließlich war er derjenige, der<br />

<strong>die</strong> Schauspielerin Shelley Duvall gezwungen hatte,<br />

127 Takes einer einzigen Szene für The Shining zu<br />

machen, der Malcom McDowell beinahe hatte erblinden<br />

lassen, weil er für eine Szene in Uhrwerk Orange<br />

<strong>die</strong> Augen so lange aufreißen musste, <strong>und</strong> der George<br />

C. Scott bei den Dreharbeiten für Dr. Seltsam fast in<br />

den Wahnsinn getrieben hatte. <strong>Tom</strong> stellte fest: »Er<br />

wollte <strong>die</strong> Szenen in langen Takes aufgenommen haben,<br />

deshalb drehten wir sie immer wieder, bis wir sie<br />

richtig hatten. Klar, es gab Szenen, von denen wir 60,<br />

70 Takes machten. Und es kam im Gegensatz zur<br />

-275-


landläufigen Meinung sogar vor, dass wir etwas mit<br />

nur wenigen Takes im Kasten hatten.«<br />

Als <strong>die</strong> Dreharbeiten im November 1996 in den Pinewood<br />

Studios außerhalb von London begannen, wurde<br />

Kubrick, damals 68 Jahre alt, der Dritte im B<strong>und</strong>e im<br />

Leben von <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole – eine etwas aufdringliche<br />

<strong>und</strong> kontrollierende Gegenwart sowohl in ihrer Arbeit<br />

als auch in ihrer Ehe, <strong>die</strong> bald ein <strong>und</strong> dasselbe sein<br />

sollten. Kubrick arbeitete separat mit dem Paar <strong>und</strong><br />

verbot ihm, <strong>die</strong> Notizen miteinander zu vergleichen<br />

oder über den Film zu sprechen, wenn sie allein waren,<br />

damit sie <strong>die</strong> bestehende Dynamik nicht zerstörten,<br />

bei der er das letzte Wort hatte. Während ihrer<br />

Zusammenarbeit diskutierten sie <strong>die</strong> intimsten Details<br />

ihres Lebens miteinander, <strong>und</strong> er drang wie eine herrische<br />

Vaterfigur in ihr Privatleben ein <strong>und</strong> tadelte Nicole<br />

einmal, weil sie ihren Mann barsch angefahren hatte.<br />

In dem Machtspiel zwischen Hauptdarsteller <strong>und</strong><br />

Regisseur lieferten sich <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Kubrick jedoch nur<br />

selten direkte Auseinandersetzungen, denn beide<br />

Männer zogen es vor, ihre Assistenten zu beauftragen,<br />

Instruktionen, heikle Botschaften <strong>und</strong> Nachrichten zu<br />

überbringen, <strong>die</strong> den anderen aufregen oder ärgern<br />

konnten.<br />

<strong>Tom</strong> stellte fest: »Da waren jahrelang nur ich <strong>und</strong> Nic<br />

<strong>und</strong> Stanley. Manchmal waren wir drei in einem Zimmer<br />

buchstäblich allein. Er konnte <strong>die</strong> Kamera selbst<br />

be<strong>die</strong>nen. <strong>Der</strong> Tontechniker nahm uns auf, dann ging<br />

er. Es gibt Dinge, <strong>die</strong> man macht, weil sie so persönlich<br />

sind, <strong>und</strong> wir taten Dinge, <strong>die</strong> für uns beide sexy<br />

waren, <strong>und</strong> es gab Momente, in denen er bekam, was<br />

er nicht bekommen hätte, wenn er <strong>die</strong>se starke Atmosphäre<br />

der Intimität nicht geschaffen hätte. Es macht<br />

mir Probleme, es ansehen zu müssen. Manchmal sagte<br />

Nic währenddessen: >Oh, jeez.< Es war, als laufe<br />

-276-


man einen Marathon nach dem anderen – gefühlsmäßig.«<br />

Diese Intimität veränderte zwangsläufig <strong>die</strong> Dynamik<br />

zwischen Mann <strong>und</strong> Frau, Schauspieler <strong>und</strong> Regisseur.<br />

Während Kubrick das Paar ermunterte, eigene Ideen<br />

für Szenen beizusteuern, schien er auf Nicole weit<br />

stärker einzugehen als auf <strong>Tom</strong>, notierte sich ihre Improvisationsvorschläge<br />

<strong>und</strong> akzeptierte ihre Musikwahl<br />

für eine Sexszene, nämlich Chris Isaaks Baby Did a<br />

Bad Bad Thing. Er beschrieb Nicole als »Vollblut« <strong>und</strong><br />

<strong>Tom</strong> als »Achterbahn«.<br />

Trotz der gegenseitigen großen Bew<strong>und</strong>erung blieb<br />

der Verdacht, dass in Kubricks Verhalten <strong>Tom</strong> gegenüber<br />

so etwas wie Demütigung mitschwang. Frederic<br />

Raphael kennt <strong>die</strong> Behauptung zwar, stimmt ihr jedoch<br />

nicht zu, sondern räumt lediglich ein, dass für Kubrick<br />

das »Brechen von Menschen, um sie in seine Maschinerie<br />

zu stecken, vielleicht ein Reflex war, dem er<br />

nicht widerstehen konnte«. Als Kubrick das Drehbuch<br />

überarbeitete, faxte er <strong>Tom</strong> oft mitten in der Nacht<br />

Seiten zu <strong>und</strong> stellte damit sicher, dass sein Hauptdarsteller<br />

nach der Uhr des Regisseurs lebte. Und war es<br />

ein Wink an <strong>die</strong> Zuschauer, dass er über <strong>die</strong> um den<br />

Schauspieler kursierenden Gerüchte wusste, als Kubrick<br />

eine Szene filmte, in der <strong>Tom</strong>s Figur von einer<br />

Gruppe betrunkener College-Rüpel zu Boden geschlagen<br />

wurde, <strong>die</strong> ihn beschuldigten, schwul zu sein?<br />

Selbst Raphael ist sich in <strong>die</strong>sem Punkt nicht sicher<br />

<strong>und</strong> hebt hervor, dass <strong>die</strong> skan<strong>die</strong>renden Jugendlichen<br />

den Arzt in Schnitzlers Novelle bezichtigen, Jude zu<br />

sein. Es war Kubrick, der <strong>die</strong> Anschuldigung abänderte.<br />

Diese zwiespältige Beziehung kam besonders deutlich<br />

zum Vorschein, als Kubrick <strong>die</strong> Sexszenen mit Nicole<br />

<strong>und</strong> ihrem Geliebten von der Navy drehte. Es ist bemerkenswert,<br />

dass <strong>die</strong> sechs Tage dauernden Auf-<br />

-277-


nahmen <strong>die</strong> einzige Phase der gesamten Marathonproduktion<br />

waren, in der <strong>Tom</strong> am Set eindeutig nicht gebraucht<br />

wurde. Genauso wenig der Drehbuchautor.<br />

Mit einer vielsagenden Bemerkung teilte Kubrick Raphael<br />

mit, dass Nicole sich einverstanden erklärt habe,<br />

sich auszuziehen, <strong>und</strong> dass er in den nächsten Tagen<br />

an einem abgeschlossenen Set drehen werde. »Vielleicht<br />

könnte das ein guter Tag sein, um zufällig im<br />

Studio vorbeizuschauen, wenn du willst«, sagte er<br />

ihm. Raphael lehnte ab, weil er den Eindruck hatte, es<br />

wäre »billig«, <strong>die</strong> Situation auszunutzen.<br />

Voyeurismus hatte Kubrick, der sich gerne Pornos<br />

anschaute <strong>und</strong> über <strong>die</strong> Möglichkeit sprach, sich selbst<br />

an <strong>die</strong>ses Genre zu wagen, gewiss schon immer interessiert.<br />

In der Sequenz, <strong>die</strong> zu dem geschlossenen<br />

Dreh inspirierte, ging es darum, dass Nicoles Figur,<br />

Alice Barford, ihrem Mann von ihren wiederkehrenden<br />

sexuellen Phantasien erzählt, ausgelöst von ihrer Begierde<br />

nach einem Marineoffizier, den sie im Vorjahr in<br />

einer Hotellobby gesehen hatte. Von <strong>die</strong>sem Geständnis<br />

erzürnt <strong>und</strong> wahrscheinlich erregt, lässt sich Bill<br />

selbst auf eine Reihe sexueller Abenteuer ein, <strong>die</strong> in<br />

der Teilnahme an einer rituellen Maskenorgie gipfeln,<br />

welche mit dem möglichen Mord an einer schönen<br />

nackten Frau endet.<br />

<strong>Der</strong> Mann, der ausgewählt wurde, den von Alice erträumten<br />

Geliebten zu spielen, war Gary Goba, ein 29<br />

Jahre altes kanadisches Model, der nie zuvor als<br />

Schauspieler gearbeitet hatte. Als er vorsprach, glaubte<br />

er, dass es um <strong>die</strong> Rolle eines Komparsen gehe, der<br />

<strong>die</strong> Uniform eines Marineoffiziers tragen solle. Stattdessen<br />

stand er im Dezember 1997 auf dem geschlossenen<br />

Set nackt einer ebenfalls nackten Nicole<br />

Kidman gegenüber. Im Laufe der nächsten Tage nahmen<br />

<strong>die</strong> beiden Fremden, <strong>die</strong> einander kaum vorgestellt<br />

worden waren, an <strong>die</strong> fünfzig Sexpositionen ein,<br />

-278-


<strong>und</strong> Kubrick filmte <strong>die</strong> ganze Zeit aus der Kulisse. <strong>Der</strong><br />

Regisseur wollte, dass sein nackter <strong>Star</strong> bis auf Oralsex,<br />

den er als Filmklischee abtat, jede Sexstellung<br />

ausprobierte.<br />

»Wir haben einfach versucht, Sachen zu machen, <strong>die</strong><br />

wir nie zuvor im Film gesehen haben«, erinnerte sich<br />

Goba. »Manchmal fiel ihr oder mir oder Stanley etwas<br />

ein.« In der Szene, <strong>die</strong> schließlich im Film gezeigt<br />

wurde, liegt Nicole, <strong>die</strong> ein Sommerkleid trägt, auf<br />

dem Rücken, Goba streichelt sie <strong>und</strong> schiebt das Kleid<br />

über ihre Brüste hoch, um ihren Körper zu entblößen.<br />

»Lass [das Kleid] da oben <strong>und</strong> fahr mit den Händen<br />

hinunter, <strong>und</strong> na ja, nimm ihre Titten, küsse sie, wenn<br />

du willst, <strong>und</strong> streiche mit den Händen ihren Körper<br />

hinab, bis du zwischen ihren Beinen anlangst«, wies<br />

der Regisseur ihn an. Goba, der Nicole gegenüber<br />

rücksichtsvoll sein wollte, ließ seine Hand auf ihrer<br />

Hüfte liegen, weil er wusste, dass das für Stanley keinen<br />

großen Unterschied machte, da ihr anderes Bein<br />

vor der Kamera verdeckte, was seine Hand genau tat.<br />

»Whoa! Whoa! Whoa! Gary, du musst da richtig<br />

rein!«, wies Kubrick ihn an.<br />

»Ich konnte es nicht fassen«, erzählt Goba. »Ich<br />

konnte es einfach nicht fassen. Ich glaube, es hat ihn<br />

amüsiert. Das war für ihn ein Spaß, aber ich glaube,<br />

ihr ging er ein bisschen zu weit, weil sie in den nächsten<br />

Tagen immer wieder sagte: >Okay, Cut!< Als<br />

würde es ihr zu intim werden, aber er machte einfach<br />

weiter. Es war, als versuche er, so weit zu gehen, bis<br />

sie sauer wurde – oder umgekehrt. Es war seltsam. Er<br />

lachte. Er hielt es für unglaublich lustig.«<br />

Es war, als genieße er <strong>die</strong> gnadenlose Demütigung<br />

der Frau eines anderen – <strong>und</strong> <strong>die</strong> unausgesprochene<br />

Kastration <strong>die</strong>ses Ehemanns –, indem er freizügige<br />

Szenen spielen ließ, <strong>die</strong> unweigerlich auf dem Boden<br />

des Schneideraums landen würden. In einer Szene<br />

-279-


hatte Nicole ein Intimtoupet über ihre Scham geklebt,<br />

<strong>und</strong> Kubrick wies Goba an, mit ihr Oralsex zu machen.<br />

»Er wollte, dass ich das wirklich mache«, erinnert sich<br />

Goba. »Ich tat es, <strong>und</strong> er sagte: >Du musst wirklich<br />

ganz nahe ran <strong>und</strong> deinen Kopf hin <strong>und</strong> her bewegem,<br />

<strong>und</strong> ich sah, wie er lachte, <strong>und</strong> sie murmelte nur so<br />

etwas wie >Oh, mein Gott, Stanley!< Und so plagte<br />

ich mich da tatsächlich ab, mit meinem M<strong>und</strong> an ihrem<br />

Toupet – <strong>und</strong> hatte Haare im M<strong>und</strong> <strong>und</strong> zog eines heraus.«<br />

Nicoles Biograph, James L. Dickerson, stellte bissig<br />

fest: »Was am meisten gegen Kubrick spricht, ist <strong>die</strong><br />

rücksichtslose Art <strong>und</strong> Weise, mit der er <strong>die</strong> Sexszenen<br />

zwischen Nicole <strong>und</strong> Gary Goba spielen ließ. Er forderte<br />

Nicole auf, Dinge zu tun, von denen er ganz genau<br />

wusste, dass sie nie in den Film kommen würden. Das<br />

war unter dem Deckmantel der professionellen Notwendigkeit<br />

verschleierter Missbrauch.«<br />

Auch wenn Nicole sich nicht so kritisch äußert, so legt<br />

sie doch Wert auf <strong>die</strong> Feststellung, dass sie sich nur<br />

Kubrick zuliebe auf <strong>die</strong>se Weise hatte benutzen lassen.<br />

»Er hat mich nicht ausgenutzt. Ich hätte es gewiss für<br />

keinen anderen Regisseur getan, <strong>und</strong> ja, es war ein<br />

bisschen schwierig, danach zu meinem Mann nach<br />

Hause zurückzugehen.« Es hat den Anschein, als habe<br />

sie nach ihrer Heimkehr nicht viel von ihrem Job erzählt<br />

– genau wie von Kubrick gefordert. Erst als <strong>Tom</strong><br />

etwa ein Jahr später den fertigen Film sah, wurde er<br />

sich einiger der intimen Szenen bewusst, <strong>die</strong> sich zwischen<br />

seiner Frau <strong>und</strong> Goba abgespielt hatten. »Yeah,<br />

wer war <strong>die</strong>ser Kerl, verdammt?«, fragte er später in<br />

USA Today. (Die Zeitschrift strich den Kraftausdruck.)<br />

Die Tatsache, dass selbst der Hauptdarsteller über<br />

wichtige Aspekte <strong>die</strong>ses geheimnisvollen Films im<br />

Dunkeln gelassen wurde, löste in den Massenme<strong>die</strong>n<br />

wilde <strong>und</strong> wieder einmal haltlose Spekulationen aus. In<br />

-280-


einer Geschichte hieß es, <strong>Tom</strong> würde in dem Film ein<br />

Kleid tragen, eine andere behauptete, der Fotograf<br />

Helmut Newton, ein Meister der unverhohlen sexuellen<br />

Bilder, sei engagiert worden, damit er Schnappschüsse<br />

von dem Paar machte, um es ein wenig »aufzulockern«.<br />

In einem anderen Boulevardblatt hieß es, das<br />

Paar habe als Teil seiner Recherche Sexclubs besucht.<br />

Als Harvey Keitel das Set verließ, kursierte das Gerücht,<br />

er sei gefeuert worden, weil eine Masturbationsszene<br />

mit Nicole buchstäblich außer Kontrolle geraten<br />

sei.<br />

Die Gerüchteküche wurde nicht nur von Kubricks<br />

zwanghafter Geheimniskrämerei <strong>und</strong> Kontrollwut angefeuert,<br />

sondern auch durch den anhaltenden Klatsch<br />

über <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole <strong>und</strong> ihr Eheleben. Das berühmteste<br />

Paar Hollywoods war zugleich jenes, über das am<br />

meisten geredet wurde <strong>und</strong> das Anlass zu endlosen<br />

Gerüchten r<strong>und</strong> um <strong>Tom</strong>s Sexualität, <strong>die</strong> Entscheidung,<br />

Kinder zu adoptieren, <strong>und</strong> Nicoles berufliche<br />

Ambitionen bot. Die ersten Gerüchte über <strong>Tom</strong> machten<br />

bereits 1986 <strong>die</strong> R<strong>und</strong>e, nachdem sich sein Blockbuster<br />

Top Gun zu einem Kultfilm der Schwulenszene<br />

entwickelt hatte. Selbst <strong>Tom</strong>s Schauspielkollege Val<br />

Kilmer räumte später ein, dass der Film »ein paar<br />

Duschszenen zu viel« habe. Fotos als Muskelprotz aus<br />

seinen frühen Jahren, <strong>die</strong> offenbar in einem Schwulenmagazin<br />

New Jerseys erschienen, zusammen mit<br />

seiner abrupten Trennung von Mimi Rogers 1990 <strong>und</strong><br />

ihren folgenden ironisch gemeinten Bemerkungen über<br />

seinen Wunsch, Mönch zu werden, hatten <strong>die</strong> Gerüchte<br />

weiter angeheizt. Als <strong>Tom</strong> 1994 in dem Film Interview<br />

mit einem Vampir <strong>die</strong> sexuell zwiespältige Figur Lestat<br />

spielte, hatten <strong>die</strong> Journalisten den perfekten Vorwand,<br />

um <strong>die</strong> Aufmerksamkeit auf <strong>Tom</strong>s Privatleben<br />

zu richten. Während der Werbekampagne für den Film<br />

tat er das Schwulengerede völlig zu Recht als »reinen<br />

-281-


Zynismus« ab <strong>und</strong> sagte dem Autor Kevin Sessums im<br />

Oktober 1994: »Es stimmt nicht, aber <strong>die</strong> Leute reden<br />

doch ohnehin, was sie wollen… Mir ist es egal, ob <strong>die</strong><br />

Leute Marsmenschen sind. Es ist mir wirklich egal. Heterosexuell.<br />

Schwul. Bisexuell. Katholisch. Jüdisch.«<br />

Die Gerüchteküche brodelte weiter, selbst nachdem<br />

Nicole seine Verteidigung übernahm <strong>und</strong> Vanity Fair<br />

erzählte: »Ich wette das ganze Geld, das ich je ver<strong>die</strong>nt<br />

habe, plus seines, dass er keine Geliebte hat,<br />

dass er keinen Liebhaber hat, dass er nicht schwul<br />

ist.«<br />

Als das Magazin McCall’s 1995 einen Artikel veröffentlichte,<br />

in dem es hieß, <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicoles Ehe sei<br />

eine Farce <strong>und</strong> Nicoles Hollywoodkarriere sei lediglich<br />

eine Gegenleistung dafür, dass sie <strong>Tom</strong>s schwulen Lebensstil<br />

verberge, entschloss sich das Paar zu reagieren,<br />

<strong>und</strong> <strong>Tom</strong> wies seinen Rechtsanwalt Bertram Fields<br />

an, Klage zu erheben. Während viele Schauspieler den<br />

Klatsch ignorieren <strong>und</strong> ihn als untrennbaren Bestandteil<br />

des Hollywoodlebens betrachten, war <strong>Tom</strong><br />

weit empfindlicher, vor allem, da sie beide <strong>die</strong> medizinischen<br />

Gründe kannten, warum sie sich entschlossen<br />

hatten, zwei Kinder zu adoptieren. McCall’s druckte<br />

zwar einen Widerruf <strong>und</strong> entschuldigte sich, doch<br />

<strong>Tom</strong>s Anwalt sollte noch viele Jahre damit verbringen,<br />

<strong>die</strong> Flammen der haltlosen Gerüchte zu ersticken, <strong>die</strong><br />

überall auf der Welt immer wieder aufflackerten.<br />

Die Feuerprobe kam während der Dreharbeiten von<br />

Eyes Wide Shut. Im Oktober 1997, nur wenige Wochen<br />

nachdem das Paar an den Trauerfeierlichkeiten<br />

für Diana, Prinzessin von Wales, teilgenommen hatte,<br />

veröffentlichte der S<strong>und</strong>ay Express einen Sch<strong>und</strong>artikel,<br />

in dem es hieß, <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicoles Ehe sei eine geschäftlich<br />

bedingte »Zweckgemeinschaft«, um ihrer<br />

beider Homosexualität zu verbergen. In dem Artikel<br />

wurde außerdem angedeutet, der Gr<strong>und</strong>, warum <strong>Tom</strong><br />

-282-


<strong>und</strong> Nicole <strong>die</strong> Kinder adoptiert hätten, bestünde darin,<br />

dass <strong>Tom</strong> zeugungsunfähig <strong>und</strong> impotent sei. Entsprechend<br />

seiner bisherigen Vorgehensweise beschloss<br />

<strong>Tom</strong>, eine Verleumdungsklage anzustrengen, <strong>und</strong><br />

führte Fre<strong>und</strong>en gegenüber das etwas seltsame Argument<br />

an, der Artikel mache seine Kinder, damals zwei<br />

<strong>und</strong> vier Jahre alt, zur Zielscheibe des Gespötts. In<br />

<strong>die</strong>sem Fall forderte <strong>die</strong> Zeitung ihn jedoch auf, Farbe<br />

zu bekennen, <strong>und</strong> verkündete, sie sei bereit, <strong>die</strong> Veröffentlichung<br />

des Artikels zu verteidigen. Das bedeutete,<br />

dass <strong>Tom</strong>, sollte er an seiner Klage festhalten, vor<br />

dem High Court in London im Zeugenstand erscheinen<br />

<strong>und</strong> sich kritische Fragen über seine Ehe, sein Sexleben<br />

<strong>und</strong> seine früheren Sexpartner würde gefallen lassen<br />

müssen.<br />

Er engagierte den besten Anwalt Englands, den brillanten<br />

George Carman, berühmt durch seine Vertretung<br />

von Persönlichkeiten wie Elton John, den Politiker<br />

Jeremy Thorpe, den Comedian Ken Dodd <strong>und</strong> den Kricketspieler<br />

Imran Khan. Als das Paar in seine Kanzlei<br />

geführt wurde, war Carman sofort verblüfft, wie nervös<br />

<strong>die</strong>se Hollywood-Promis beim Gedanken, vor Gericht<br />

zu erscheinen, waren.<br />

Trotz des Wirbels, den er immer veranstaltete, hatte<br />

<strong>Tom</strong> besonders vor der Aussicht, einem harten Kreuzverhör<br />

ausgesetzt zu sein, große Angst. Das werden<br />

ihm nur wenige verdenken. In der nüchternen Stille<br />

seines von Bücherregalen gesäumten Büros besprach<br />

der silberhaarige Anwalt mit <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole <strong>die</strong> finanziellen<br />

<strong>und</strong> persönlichen Kosten eines Gerichtsverfahrens.<br />

Zwar neigen <strong>die</strong> Gerichte in England dazu, prominente<br />

Kläger zu bevorzugen, doch Verleumdungsklagen<br />

sind bekanntlich horrend teuer <strong>und</strong> ihr Ausgang<br />

unvorhersehbar. Am Ende erweisen sich <strong>die</strong> Gewinner<br />

häufig als Verlierer, wenn ihr Ruf ruiniert ist. Die prozessführenden<br />

Parteien, <strong>die</strong> vor Gericht nicht <strong>die</strong><br />

-283-


Wahrheit sagen, um ihren guten Namen zu schützen,<br />

können am Ende im Gefängnis landen, wie zum Beispiel<br />

der Autor Jeffrey Archer <strong>und</strong> das ehemalige Kabinettsmitglied<br />

Jonathan Aitken.<br />

Bei der Unterredung ging Carman <strong>die</strong> Behauptungen<br />

über das Paar durch <strong>und</strong> fragte <strong>die</strong> beiden, ob sie bereit<br />

seien, <strong>die</strong> Aussagen der Zeitung unter Eid zurückzuweisen.<br />

Carmans Sohn Dominic, der <strong>die</strong> Lebensgeschichte<br />

seines Vaters niederschrieb, erinnert sich:<br />

»Mein Vater fragte <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> ganz offiziell, ob er<br />

schwul sei. Das stritt er kategorisch ab. Doch mein<br />

Vater warnte ihn, dass er vor Gericht einen schweren<br />

Stand haben würde, <strong>und</strong> fragte ihn geradeheraus, ob<br />

es Beziehungen gebe, <strong>die</strong> er möglicherweise vergessen<br />

habe <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>die</strong> andere Seite zur Sprache bringen<br />

könnte.« Wieder stritt <strong>Tom</strong> ab, irgendwelche Leichen<br />

im Keller zu haben, <strong>die</strong> ihn in Schwierigkeiten bringen<br />

könnten. Carman war beeindruckt. »George hatte den<br />

Eindruck, <strong>Tom</strong> würde einen ausgezeichneten Zeugen<br />

abgeben, da er sehr kooperativ war <strong>und</strong> einen gewissen<br />

Charme hatte, ohne arrogant zu wirken«, erinnert<br />

sich Dominic. »George war mit seiner Ehrlichkeit mehr<br />

als zufrieden.«<br />

Gewiss hätten <strong>Tom</strong>s Antworten <strong>die</strong> Frauen, <strong>die</strong> – früher<br />

oder gegenwärtig – in seinem Leben eine Rolle<br />

spielen, nicht überrascht. Nicht nur Nicole <strong>und</strong> Mimi<br />

hatten seine Heterosexualität öffentlich bezeugt, auch<br />

seine ehemaligen Geliebten waren über das ständige<br />

Getuschel r<strong>und</strong> um seine sexuellen Vorlieben verblüfft.<br />

Seine Highschool-Fre<strong>und</strong>innen Nancy Ärmel, <strong>die</strong> er<br />

hatte heiraten wollen, <strong>und</strong> Diane Van Zoeren hielten<br />

<strong>Tom</strong> für einen richtig heißblütigen Teenager. Diane,<br />

<strong>die</strong> seit der Highschool mit ihm ging, bis er den Film<br />

Die Kadetten von Bunker Hill drehte, erinnerte sich:<br />

»Ich kapier es nicht. Ich kann <strong>die</strong>se Geschichten einfach<br />

nicht glauben. Wir haben im Oldsmobile meines<br />

-284-


Vaters herumgeknutscht <strong>und</strong> getan, was man eigentlich<br />

nicht tun durfte.«<br />

Ganz im Gegenteil, <strong>Tom</strong> fühlte sich in Anwesenheit<br />

Schwuler unwohl. Diejenigen, <strong>die</strong> ihn in Gesellschaft<br />

einiger von Nicoles schwulen Fre<strong>und</strong>en sahen, zu denen<br />

auch der Designer John Galliano gehörte, stellten<br />

fest, dass er verlegen <strong>und</strong> unsicher war, weil er <strong>die</strong><br />

Gesellschaft von Kerlen bevorzugte, <strong>die</strong> lieber über<br />

Football redeten als über Mode. Sein Unbehagen war<br />

angesichts der Einstellung von <strong>Scientology</strong> der Schwulengemeinde<br />

gegenüber verständlich.<br />

In seinem gr<strong>und</strong>legenden Werk Dianetics bezeichnete<br />

Ron Hubbard Homosexuelle bekanntlich als »sexuell<br />

Perverse«, <strong>die</strong> »schnellstmöglich« von der Gesellschaft<br />

isoliert »<strong>und</strong> allesamt eingesperrt« werden sollten.<br />

Tatsächlich traten viele Männer – <strong>und</strong> einige Frauen –<br />

<strong>Scientology</strong> in der Hoffnung bei, dass sie von ihrer<br />

Homosexualität »geheilt« würden. Nachdem der Maler<br />

Michael Pattinson 500.000 Dollar ausgegeben <strong>und</strong> OT<br />

VIII, <strong>die</strong> höchstmögliche Stufe, erreicht hatte, verklagte<br />

er <strong>Scientology</strong> auf Rückerstattung seines Geldes,<br />

weil er nach jahrelangem Auditing feststellen musste,<br />

dass er noch immer schwul war. Schließlich zog er seine<br />

Klage zurück, als seine Geldmittel erschöpft waren.<br />

Obwohl <strong>Tom</strong> ruhigen Gewissens in den Zeugenstand<br />

treten konnte, beunruhigte ihn der bevorstehende Prozess<br />

sehr, <strong>und</strong> er bat George Carman häufig, zu ihm<br />

zum Set von Eyes Wide Shut beziehungsweise in sein<br />

gemietetes Haus in Hertfordshire zu kommen. Hin <strong>und</strong><br />

wieder suchten <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole oder nur <strong>Tom</strong> allein<br />

Carman in seiner Kanzlei im Zentrum Londons auf.<br />

Zwar fand Carman <strong>Tom</strong>s Bedürfnis, derart an <strong>die</strong> Hand<br />

genommen zu werden, »bizarr«, doch er nahm es den<br />

beiden nicht übel, dass sie so viel seiner Zeit beanspruchten<br />

– immerhin berechnete er ihnen ein vierstelliges<br />

St<strong>und</strong>enhonorar für <strong>die</strong> Beratungen, <strong>die</strong> mit-<br />

-285-


unter mehrere St<strong>und</strong>en dauerten. Es war jedoch nicht<br />

nur das bevorstehende Gerichtsverfahren, das <strong>Tom</strong><br />

beunruhigte. Er war von seinem öffentlichen Image<br />

»besessen«, wies ständig auf Artikel hin, <strong>die</strong> ihn ärgerten,<br />

<strong>und</strong> besprach <strong>die</strong> Möglichkeit, Schadenersatz<br />

zu fordern. Im Laufe der folgenden Jahre konsultierte<br />

er George Carman in mindestens einem Dutzend Fällen.<br />

Am Ende war es jedoch nicht <strong>Tom</strong>s Aussage im Zeugenstand,<br />

<strong>die</strong> zum Erfolg führte, sondern Nicoles Eingeständnis,<br />

dass sie in den ersten Ehejahren mindestens<br />

eine Eileiterschwangerschaft gehabt hatte. Das<br />

war der schlagende Beweis nicht nur für <strong>Tom</strong>s Zeugungsfähigkeit,<br />

sondern auch dafür, dass das Paar eine<br />

normale, liebevolle Ehe führte. Sobald der S<strong>und</strong>ay<br />

Express über <strong>die</strong>se medizinischen Fakten in Kenntnis<br />

gesetzt war, warf er das Handtuch. Diese Entscheidung<br />

war für <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole eine Erleichterung, doch<br />

sie raubte George Carman <strong>die</strong> Möglichkeit, seinen Augenblick<br />

des Triumphs auszukosten. Stattdessen willigte<br />

<strong>die</strong> Zeitung ein, 200.000 Dollar Schadenersatz zu<br />

zahlen sowie eine umfassende Entschuldigung <strong>und</strong><br />

Richtigstellung zu veröffentlichen. Im Oktober 1998,<br />

genau ein Jahr nach Erhebung der Verleumdungsklage,<br />

erschienen Carman <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> vor dem High<br />

Court <strong>und</strong> versicherten, dass das Geld wohltätigen Organisationen<br />

zur Verfügung gestellt werde. Carman<br />

gab vor Gericht wortgewandt eine kurze Stellungnahme<br />

ab <strong>und</strong> sagte, dass <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole »ausschließlich<br />

deshalb geheiratet haben, weil sie sich lieben, <strong>und</strong> ihre<br />

Ehe ist gut <strong>und</strong> glücklich; beide lieben ihre Adoptivkinder<br />

<strong>und</strong> versorgen sie hingebungsvoll. Sie haben <strong>die</strong>sen<br />

Prozess angestrengt, um den sehr kränkenden<br />

Gerüchten ein für allemal ein Ende zu machen, <strong>die</strong> ihr<br />

Eheleben <strong>und</strong> ihre Rolle als Eltern sehr verletzt haben.«<br />

-286-


Die Einzige, <strong>die</strong> fehlte, als Carman seine Siegesrede<br />

hielt, war Mrs <strong>Cruise</strong>. Obwohl <strong>Tom</strong>, Carman <strong>und</strong> Bert<br />

Fields – über Telefon aus Los Angeles – Nicole immer<br />

wieder gedrängt hatten, den Augenblick des Triumphs<br />

mitzuerleben, damit sie Seite an Seite auf den Stufen<br />

des Gerichts stehen konnten, hatte sie sich standhaft<br />

geweigert. Und obwohl Carman Nicole bei ihren Treffen<br />

als »kalt <strong>und</strong> distanziert« eingeschätzt hatte, hielt<br />

er ihre Entscheidung für <strong>die</strong> »seltsamste« seines gesamten<br />

Berufslebens. <strong>Tom</strong> erklärte ihre Abwesenheit<br />

mit der Behauptung, sie leide an einer Erkältung.<br />

Carman glaubte ihm jedoch kein Wort <strong>und</strong> bedrängte<br />

ihn weiter. Die schlichte Antwort war, dass sie an <strong>die</strong>sem<br />

Zirkus nicht teilnehmen wollte. Wie bei den meisten<br />

Verleumdungsklagen war der Gewinner in Wahrheit<br />

der Verlierer. Um zu beweisen, dass ihr Mann<br />

zeugungsfähig <strong>und</strong> heterosexuell war, hatte sie intimste<br />

gynäkologische Geheimnisse vor der Öffentlichkeit<br />

ausbreiten müssen. Sie hatte – höchstwahrscheinlich<br />

widerwillig – mitgemacht, um ihren Mann bei seinem<br />

Machtkampf mit einem unwichtigen britischen Sonntagsblatt<br />

zu unterstützen. Doch dafür war ein Preis zu<br />

zahlen, wie sich auf den Stufen des High Court zeigen<br />

sollte, als <strong>Tom</strong> allein der Menge zuwinkte <strong>und</strong> den Applaus<br />

der Sympathisanten entgegennahm.<br />

Zwar fürchtete George Carman, es würde »schrecklich«<br />

aussehen, doch <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n verzichteten darauf,<br />

Nicoles Fehlen zu kommentieren. Nur <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong><br />

dem Paar näher standen, begriffen <strong>die</strong> Bedeutung <strong>und</strong><br />

betrachteten es als weiteres Zeichen der wachsenden<br />

Distanz zwischen den beiden. In dem Jahr zwischen<br />

der Veröffentlichung des Artikels im S<strong>und</strong>ay Express<br />

<strong>und</strong> dem Sieg vor Gericht hatten sich in der Ehe erste<br />

Risse gezeigt. Nicole ärgerte sich immer mehr über<br />

<strong>Tom</strong>s ständige Kontrolle <strong>und</strong> hatte an allem, was <strong>Tom</strong><br />

für sie tat, etwas auszusetzen. Seine ständigen Lie-<br />

-287-


esbotschaften wurden zum Ärgernis, seine endlosen<br />

Blumengeschenke einfach langweilig. Romantische<br />

Gesten, wie sie beispielsweise spontan in ihr Lieblingsrestaurant<br />

in London, The Ivy, auszuführen oder ein<br />

gemeinsames Wochenende im Hotel Cipriani in Venedig<br />

mit einem Abendessen in Harry’s Bar zu verbringen,<br />

ließen ihr Herz nicht mehr höher schlagen. »Sie<br />

war eine unglückliche Ehefrau«, stellte eine Bekannte<br />

fest. »Sie hatte ständig mit der Tatsache zu kämpfen,<br />

dass sie ihn nicht mehr liebte.« Und je mehr <strong>Tom</strong> versuchte,<br />

sie mit Geschenken zu beeindrucken, desto<br />

mehr zog sie sich zurück. »Sie gelangten an einen<br />

Punkt, an dem <strong>Tom</strong> ihr nichts mehr recht machen<br />

konnte«, erinnert sich eine Bekannte. »<strong>Tom</strong> liebte Nic<br />

heiß <strong>und</strong> innig. Ich habe nie einen Mann gesehen, der<br />

so liebevoll <strong>und</strong> großzügig war. Aber <strong>die</strong>se Liebe wurde<br />

von Nic nicht erwidert.«<br />

Nicoles Unzufriedenheit mit ihrem Ehemann zeigte<br />

sich immer häufiger an ihrem Fre<strong>und</strong>eskreis. So war<br />

beispielsweise <strong>Tom</strong>s Kumpel Emilio Estevez, Trauzeuge<br />

bei seiner ersten Hochzeit, nicht mehr so willkommen<br />

wie früher. Und bei den seltenen Gelegenheiten,<br />

wenn <strong>Tom</strong> sich mit seinem alten Schulfre<strong>und</strong> Michael<br />

LaForte <strong>und</strong> dessen Frau Nan traf, schien sich Nicole<br />

unbehaglich zu fühlen <strong>und</strong> besorgt zu sein, als ob <strong>die</strong><br />

unbeholfene Ausdrucksweise des Mannes aus New Jersey<br />

gesellschaftlich nicht recht akzeptabel wäre. In<br />

Gesellschaft ihrer Fre<strong>und</strong>innen, wie der Schauspielerinnen<br />

Naomi Watts <strong>und</strong> Rebecca Riggs, sowie von<br />

schwulen Männern aus der Modewelt gab sie sich jedoch<br />

auf einmal ganz anders, sie lächelte, war entspannt<br />

<strong>und</strong> lustig <strong>und</strong> sang <strong>und</strong> tanzte in Lokalen wie<br />

dem Buffalo Club in Santa Monica gern <strong>die</strong> ganze<br />

Nacht durch. Seltsamerweise nahm sie, wenn sie allein<br />

ausging, häufig den Chauffeur des Paares, Dave Garris,<br />

der seit Tage des Donners für <strong>die</strong> beiden arbeite-<br />

-288-


te, als Begleiter mit. Wenn sie zusammen ins Kino<br />

gingen, überließ sie es sogar Garris, der als Möchtegern-<strong>Tom</strong>-<strong>Cruise</strong><br />

beschrieben wurde, den Film auszuwählen.<br />

Als Nicole sich von <strong>Tom</strong> zurückzog, konnte sie sich<br />

zwangsläufig weniger um <strong>die</strong> Kinder kümmern als ihr<br />

Mann. Wenn sie mit Dreharbeiten beschäftigt war oder,<br />

was immer häufiger vorkam, nach Sydney flog,<br />

um Zeit mit ihren Eltern <strong>und</strong> ihrer Schwester zu<br />

verbringen, konnten Tage vergehen, bis sie anrief, um<br />

sich zu erk<strong>und</strong>igen, wie es Isabella <strong>und</strong> Connor ging.<br />

Diejenigen, <strong>die</strong> direkt mit der Familie zu tun hatten,<br />

kamen zu dem Schluss, dass <strong>Tom</strong> sich weit mehr für<br />

<strong>die</strong> Elternrolle begeisterte <strong>und</strong> sich damit wohler fühlte<br />

als sie. <strong>Der</strong> Schauspieler stand, egal, wie beschäftigt<br />

er war, in ständigem Kontakt mit seinen Kleinen <strong>und</strong><br />

ihren Kindermädchen – <strong>und</strong> hatte alles unter Kontrolle.<br />

Im Einklang mit Hubbards Theorie, dass Kinder kleine<br />

Erwachsene seien, verhätschelte <strong>Tom</strong> seine Kinder nie,<br />

sondern wahrte <strong>die</strong> Balance zwischen Führen <strong>und</strong><br />

Kümmern. Es ist keine Überraschung, dass <strong>Tom</strong> ein<br />

schwungvoller <strong>und</strong> lauter Vater war, der mit seinen<br />

Kindern ständig herumtollte, Späße machte <strong>und</strong> spielte,<br />

<strong>und</strong> dass sein herzhaftes Lachen durch das ansonsten<br />

stille Haus hallte. Zum Glück bauten <strong>die</strong> Kleinen<br />

nach einer Phase, in der Connor Bella wiederholt<br />

fürchterlich gebissen hatte, eine Beziehung zueinander<br />

auf, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> freute sich an ihren unterschiedlichen<br />

Charakteren: Connor aufgeweckt, aber zu Streichen<br />

aufgelegt, Bella durchsetzungsfähig, dennoch <strong>die</strong> Regeln<br />

befolgend. Sobald Connor laufen <strong>und</strong> sprechen<br />

konnte, unternahm <strong>Tom</strong> mit ihm Männerabenteuer; er<br />

flog mit ihm in seiner Privatmaschine über das Wochenende<br />

fort <strong>und</strong> nahm nur seinen Sprecher, Michael<br />

Doven, als Begleitung mit. Wie <strong>die</strong> meisten Väter wollte<br />

er <strong>die</strong> glücklichen Aspekte seiner eigenen Kindheit<br />

-289-


für seinen Sohn heraufbeschwören, indem er am<br />

Wohnsitz der Familie in Telluride eine Rampe bauen<br />

ließ, so dass er Connor wagemutige Sprünge mit seinem<br />

kleinen Motorrad beibringen konnte.<br />

Als Nicole eine der Hauptrollen in der Komö<strong>die</strong> Zauberhafte<br />

Schwestern ergatterte, überraschte es niemanden,<br />

dass sie <strong>die</strong> Kinder bei <strong>Tom</strong> in London ließ,<br />

während sie im Januar 1998 nach Los Angeles flog,<br />

um ihre Rolle einzustu<strong>die</strong>ren. Ein paar Wochen nach<br />

Beginn der Arbeiten wurde sie eiligst ins Krankenhaus<br />

gebracht, wo durch einen chirurgischen Eingriff das<br />

entfernt werden sollte, was offiziell als harmlose Eierstockzyste<br />

beschrieben wurde. Angesichts der Tatsache,<br />

dass ihre Mutter an Brustkrebs gelitten <strong>und</strong> Nicole<br />

ihre eigenen gynäkologischen Schwierigkeiten gehabt<br />

hatte, war das eine sorgenvolle Zeit, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> flog<br />

nach Kalifornien, um seiner Frau zur Seite zu stehen.<br />

Sie erholte sich bald so weit, dass sie <strong>die</strong> Arbeit an<br />

dem Film, der im B<strong>und</strong>esstaat Washington gedreht<br />

wurde, fortsetzen konnte, was <strong>Tom</strong> <strong>die</strong> Rückkehr nach<br />

London ermöglichte, um <strong>die</strong> endlosen Dreharbeiten<br />

von Eyes Wide Shut abzuschließen. Ein verbotenerweise<br />

aufgezeichnetes Telefongespräch des sich immer<br />

distanzierter gegenüberstehenden Paares, das im März<br />

1998 an <strong>die</strong> Öffentlichkeit gelangte, bot der Welt einen<br />

Einblick in ihr wenig harmonisches Eheleben.<br />

<strong>Der</strong> Paparazzo Eric Ford, der das Gespräch aufgezeichnet<br />

hatte, wurde daraufhin zu einer Haft- <strong>und</strong><br />

Geldstrafe verurteilt, doch unterdessen konnte sich<br />

alle Welt das ungekürzte Privatgespräch der <strong>Cruise</strong>s<br />

anhören. Fern des Glamours <strong>und</strong> des Lächelns auf dem<br />

roten Teppich gaben sie sich dabei als ein müdes <strong>und</strong><br />

verwöhntes Ehepaar zu erkennen, das sehr gereizt<br />

miteinander umging. Während des Gesprächs, das über<br />

ein Autotelefon geführt wurde, gab sich <strong>Tom</strong> eindeutig<br />

versöhnlicher; Nicole hingegen war nicht bereit,<br />

-290-


sich besänftigen zu lassen. Bemerkenswerterweise<br />

hatten sich <strong>die</strong> Liebesnachrichten <strong>und</strong> Blumen in <strong>die</strong>sem<br />

emotionalen Zermürbungskrieg inzwischen von<br />

Liebesbek<strong>und</strong>ungen geradezu in Waffen verwandelt.<br />

Nachdem <strong>Tom</strong> Nicole sagte, ihr Verhalten führe dazu,<br />

dass er sich miserabel fühle, entgegnete sie, dass sie<br />

sich beide in ihrer Beziehung <strong>die</strong> ganze Zeit an einen<br />

seidenen Faden klammern würden. Und obwohl <strong>Tom</strong><br />

den Wunsch äußerte, dass ihre Beziehung doch funktionieren<br />

möge, nörgelte Nicole weiter. Das Telefongespräch<br />

ging in <strong>die</strong>sem Stil weiter, wurde hin <strong>und</strong> wieder<br />

etwas heiterer, dann wieder ernster. Wie <strong>die</strong> meisten<br />

verheirateten Paare wechselten auch <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole<br />

immer wieder das Thema, schwankten zwischen<br />

der Diskussion praktischer Fragen – vor allem der Pläne<br />

für Connors dritten Geburtstag – <strong>und</strong> der Äußerung<br />

ernster Klagen hin <strong>und</strong> her.<br />

Dann sagte Nicole ihrem Mann sehr deutlich, dass ihrer<br />

Ansicht nach ihre Beziehung nicht mehr auf Liebe<br />

beruhe, dass sie beide im Gr<strong>und</strong>e unglücklich seien<br />

<strong>und</strong> dass er keine Anstrengung unternehme, <strong>die</strong>s zu<br />

ändern. <strong>Tom</strong> versuchte, seine Frau zu beschwichtigen<br />

<strong>und</strong> entschuldigte sich dafür, dass er ihr seine wahren<br />

Gefühle offenbar nicht vermitteln könne. Wie viele Ehepaare,<br />

<strong>die</strong> miteinander streiten, schafften es auch<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole, im Verlauf <strong>die</strong>ses Gesprächs zu lachen,<br />

<strong>und</strong> es endete damit, dass sie sich gegenseitig<br />

ihrer Liebe vergewisserten. Doch im Gegensatz zu den<br />

meisten Ehepaaren mussten <strong>die</strong> beiden ihren Streit<br />

vor der klatschsüchtigen Öffentlichkeit rechtfertigen,<br />

indem ihre Sprecherin Pat Kingsley ein Statement abgab<br />

<strong>und</strong> erklärte, das Gespräch sei aus dem Zusammenhang<br />

gerissen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Wörter so zusammengesetzt<br />

worden, dass <strong>die</strong> Unterhaltung des Paares wie<br />

ein Streit geklungen habe. Als Nicole danach gefragt<br />

wurde, versuchte sie, <strong>die</strong> Zankerei herunterzuspielen.<br />

-291-


»Wir haben uns darüber gestritten, wie viele Leute wir<br />

zum Geburtstag unseres Sohnes einladen sollen«, sagte<br />

sie. »Und darüber, wer von uns beiden müder ist<br />

<strong>und</strong> wer mehr arbeitet. Eigentlich alles ganz langweilig.«<br />

Andere, <strong>die</strong> Zeugen des Alltagslebens von <strong>Tom</strong> <strong>und</strong><br />

Nicole waren, äußerten sich offener: »Für mich«, sagt<br />

ein Bekannter, »war ihre Ehe keine >glückliche Ehe


– <strong>Tom</strong> arbeitete an einem lukrativen Kassenschlager,<br />

Nicole entschied sich für gering bezahlte Kunstprojekte.<br />

Als <strong>Tom</strong> im Juni 1998 endlich <strong>die</strong> Arbeit an Eyes<br />

Wide Shut beendet hatte, beschloss das Paar, in London<br />

zu bleiben <strong>und</strong> sich ein anderes luxuriöses Haus<br />

im zentralen Stadtgebiet zu mieten. <strong>Tom</strong> arbeitete an<br />

einer Vorproduktion für eine Fortsetzung von Mission:<br />

Impossible, <strong>die</strong> in Australien gedreht werden sollte,<br />

während Nicole sich auf der Theaterbühne versuchte<br />

<strong>und</strong> bescheidene 500 £ <strong>die</strong> Woche für ihren Auftritt in<br />

The Blue Room im schicken Donmar Warehouse Theatre<br />

ver<strong>die</strong>nte. Sie sollte fünf Charaktere darstellen,<br />

von einer Hure aus Cockney <strong>und</strong> der Geliebten eines<br />

Politikers bis zu einer untreuen Ehefrau. Die Rolle erforderte,<br />

fünfmal Sex zu mimen <strong>und</strong> nackt vor dem<br />

Publikum zu erscheinen, wenn auch nur kurz. Doch<br />

nicht nur Nicole musste sich ausziehen. Ihr Bühnenpartner,<br />

Iain Glen, musste jeden Abend nackt quer<br />

über <strong>die</strong> Bühne Räder schlagen.<br />

Im September 1998, nur wenige Wochen vor dem<br />

Prozess gegen den S<strong>und</strong>ay Express, wurde <strong>die</strong> Premiere<br />

von The Blue Room mit begeisterten Kritiken<br />

begrüßt, <strong>und</strong> Nicoles Auftritt vom Theaterkritiker<br />

Charles Spencer unvergesslich als »Theater-Viagra«<br />

bezeichnet. »Sie ist einfach umwerfend <strong>und</strong> schlichtweg<br />

bezaubernd. <strong>Der</strong> Anblick, wie sie als knackiges<br />

französisches Au-pair-Mädchen mit einer Kippe in der<br />

einen <strong>und</strong> ihrem Slip in der anderen Hand über <strong>die</strong><br />

Bühne schwebt, wird mich noch Monate in meinen<br />

Träumen verfolgen.«<br />

Nicole hatte etwas geschafft, was ihr mit den Filmen<br />

nicht gelungen war: Jetzt wurde sie nicht nur als<br />

Schönheit gesehen, sondern als Schauspielerin <strong>und</strong><br />

Sexsymbol ernst genommen.<br />

Das war berauschend. <strong>Der</strong> Regisseur Sam Mendes,<br />

der im Anschluss American Beauty drehte, stellte<br />

-293-


fest, wie sehr sie sich verändert hatte. »Ich glaube, für<br />

Nicole war das eine ganz besondere Zeit. Es war der<br />

Augenblick, in dem sie sich als eigenständige Einheit<br />

von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> löste. Und ich bin mir sicher, sie wusste,<br />

was da vor sich ging.«<br />

In der Öffentlichkeit hoben sowohl Nicole als auch ihr<br />

Bühnenpartner Iain Glen gern hervor, dass ihre jeweiligen<br />

Ehepartner – Glen war damals mit der Schauspielerin<br />

Susannah Harker verheiratet – ihnen ganz<br />

»beruhigt« zuschauen könnten, wie sie auf der Bühne<br />

Sex hatten. <strong>Tom</strong> war in der Tat so »beruhigt«, dass er<br />

sich das Stück mehr als zwanzigmal ansah. Vielleicht<br />

bew<strong>und</strong>erte er <strong>die</strong> Leistung seiner Frau <strong>und</strong> hatte absolut<br />

kein Problem damit, ihr immer wieder beim Liebesspiel<br />

mit Iain Glen zuzuschauen. Natürlich erklärte<br />

Glen, der <strong>Tom</strong> kennenlernte, als er sich das Stück bei<br />

einer Vorschau ansah, dass sie alle gute Kumpel seien.<br />

»Er war ein außergewöhnliches Energiebündel, brillant<br />

<strong>und</strong> positiv. Man konnte keinen begeisterungsfähigeren<br />

<strong>und</strong> großzügigeren Fre<strong>und</strong> haben.«<br />

Doch hinter den Kulissen ging es nicht ganz so harmonisch<br />

zu. <strong>Der</strong> gutaussehende Schotte, der sogar für<br />

<strong>die</strong> Rolle des James Bond in Betracht gezogen wurde,<br />

war ein begabter Bühnen- <strong>und</strong> Filmveteran, der sich<br />

weigerte, sich von <strong>Tom</strong>s Erfolgen beeindrucken zu lassen.<br />

Glen, ebenso alt wie der Hollywoodstar, aber<br />

fünfzehn Zentimeter größer, schaute auf <strong>Tom</strong> herab<br />

<strong>und</strong> machte seine Fähigkeiten schlecht, während er<br />

mit seiner Frau flirtete. In <strong>Tom</strong>s Bekanntenkreis<br />

herrschte einhellig <strong>die</strong> Meinung vor, dass sich der Hollywoodschauspieler<br />

dem schottischen Mimen gegenüber<br />

fre<strong>und</strong>lich verhielt – allerdings mit zusammengebissenen<br />

Zähnen. »<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> er kamen nicht gut miteinander<br />

aus, während <strong>die</strong> Chemie zwischen Iain <strong>und</strong><br />

Nicole eindeutig stimmte. Sie lachte immer über seine<br />

Witze.« Diejenigen, <strong>die</strong> das Trio zusammen beobach-<br />

-294-


teten, konnten <strong>Tom</strong>s Selbstbeherrschung angesichts<br />

der beträchtlichen Provokation nur bew<strong>und</strong>ern. Ein<br />

Bekannter äußerte sich unverblümt: »Iain Glen war<br />

ein Idiot, der vor <strong>Tom</strong> keinen Respekt hatte <strong>und</strong> offen<br />

mit Nicole flirtete. Als echter Gentleman weigerte sich<br />

<strong>Tom</strong>, irgendeine Regung zu zeigen.«<br />

In der inzestuösen Clubatmosphäre der Londoner<br />

Theaterlandschaft fühlte sich der Mann, der Bew<strong>und</strong>erung<br />

<strong>und</strong> Souveränität gewohnt war, isoliert. Diese<br />

Cliquengesellschaft mit ihren Insider-Witzen, den<br />

geistreichen Spaßen <strong>und</strong> Klatschgeschichten war dem<br />

Filmschauspieler fremd, der hier nicht sofort im Zentrum<br />

der Aufmerksamkeit stand. Selbst sein berühmtes<br />

Lächeln vermochte hier nicht zu beeindrucken. Darüber<br />

hinaus war er den Tagesablauf am Filmset gewohnt,<br />

wo es eher <strong>die</strong> Norm ist, früh mit der Arbeit zu<br />

beginnen, anstatt bis spät in <strong>die</strong> Nacht zu feiern. Doch<br />

<strong>die</strong>ser Lebensstil war für Nicole ein Lebenselixier, <strong>die</strong><br />

den Adrenalinstoß nach den abendlichen Auftritten genoss<br />

<strong>und</strong> bis in <strong>die</strong> frühen Morgenst<strong>und</strong>en in dem nur<br />

für Mitglieder zugänglichen Soho Club herumhing,<br />

plauderte, lachte <strong>und</strong> feierte.<br />

Zum ersten Mal in ihrer Ehe wurde in London über<br />

Nicole getuschelt <strong>und</strong> getratscht <strong>und</strong> das Gerücht verbreitet,<br />

sie habe mit Iain eine leidenschaftliche Liebesaffäre.<br />

Glens unbeschwertes Auftreten bei Interviews<br />

ließ <strong>die</strong> Klatschmäuler erst recht nicht verstummen:<br />

»Wir mussten als Schauspieler miteinander sehr<br />

schnell sehr intim werden«, sagte er dem Magazin In<br />

Theatre. »Man macht sich leicht etwas vor, dass man<br />

wirklich gut miteinander auskommt, aber mit Nicole<br />

konnte ich – dank Sams Hilfe – sofort eine sehr ungezwungene<br />

Beziehung aufbauen. Ich glaube, das war<br />

sehr wichtig. Die Leute, <strong>die</strong> sich unser Stück anschauen,<br />

sehen jeden von uns in fünf verschiedenen Rollen;<br />

-295-


seltsamerweise geht es irgendwie vor allem um <strong>die</strong><br />

Beziehung zwischen Nic <strong>und</strong> mir.«<br />

Sobald <strong>die</strong> Aufführung des Stücks in London Ende<br />

Oktober abgesetzt war, flogen Nicole <strong>und</strong> Iain nach<br />

New York, wo es am Broadway ab Mitte Dezember gespielt<br />

werden sollte. Um ihrer Rolle als Prostituierte<br />

noch mehr Reiz zu verleihen, beauftragte Nicole ihren<br />

Schauspielcoach Susan Batson, ihr bei der weiteren<br />

Einarbeitung in ihre Rolle zu helfen. Batson nahm sie<br />

in ein zwielichtiges Viertel in Downtown Manhattan<br />

mit, wo Nicole sich eine ganze Weile mit echten Straßendirnen<br />

unterhielt. Das Problem bestand darin, dass<br />

der Anblick, wie Nicole sich unter <strong>die</strong> Huren mischte,<br />

Aufmerksamkeit erregte – <strong>und</strong> Freier anlockte. »Da<br />

stand eine heiße weiße Frau auf der Straße«, erinnert<br />

sich Batson. »Links <strong>und</strong> rechts hielten Autos an. Am<br />

Ende mussten wir da unbedingt verschwinden, weil es<br />

ein bisschen gefährlich wurde.«<br />

Die Zusatzhausaufgaben mochten ihren Auftritt verbessert<br />

haben, doch das Stück stieß hier nicht auf <strong>die</strong><br />

gleiche Begeisterung wie in London. Dennoch waren<br />

Nicole <strong>und</strong> Iain das Gesprächsthema Nummer eins am<br />

Broadway <strong>und</strong> wurden zu dem berühmten jährlichen<br />

Ball ins Metropolitan Museum of Art eingeladen. Im<br />

Gegensatz zu seiner Begleiterin war Iain Glen nicht<br />

gewohnt, über den roten Teppich zu schreiten, geschweige<br />

denn einen Abendanzug zu tragen. Deshalb<br />

arrangierte Nicole mit dem Modehaus Prada, dass ihm<br />

für den großen Anlass ein Anzug <strong>und</strong> ein Paar Schuhe<br />

geliehen wurden. Als er zögerte, <strong>die</strong> Sachen zurückzuschicken,<br />

kaufte Nicole sie ihm großzügig. Ihre Großzügigkeit<br />

ging sogar so weit, dass sie Iain, seine Frau<br />

Susannah Harker <strong>und</strong> ihr gemeinsames Kind über<br />

Thanksgiving nach Telluride einlud <strong>und</strong> dann ihren<br />

Flug nach Sydney bezahlte, damit sie zusammen mit<br />

ihrer Familie den Jahrtausendwechsel feiern konnten.<br />

-296-


Zwar spielte <strong>Tom</strong> den guten Gastgeber, doch <strong>die</strong> ständige<br />

Herabsetzung <strong>und</strong> Glens mangelnder Respekt erzürnten<br />

ihn. Wäre es nach ihm gegangen, dann wären<br />

sie überhaupt gar nicht erst eingeladen worden.<br />

Wie bei Kubrick zog <strong>Tom</strong> lediglich eine Schau ab. Er<br />

besuchte Nicole regelmäßig hinter der Bühne, obwohl<br />

beobachtet wurde, dass <strong>die</strong> beiden, sobald sie allein<br />

waren, nur wenig miteinander sprachen oder taten.<br />

Kaum waren jedoch Fotografen in der Nähe, ging es<br />

um <strong>die</strong> Kamera, Licht, Action, <strong>und</strong> das Paar küsste<br />

sich, knutschte herum <strong>und</strong> betatschte sich dermaßen,<br />

dass Anwesende dachten: »Besorgt ihnen schnell ein<br />

Zimmer.« Sobald <strong>die</strong> Fotografen wieder verschw<strong>und</strong>en<br />

waren, gingen <strong>die</strong> emotionalen Lichter aus, <strong>und</strong> das<br />

Paar kehrte wieder zu seinem normalen Leben des<br />

Schweigens <strong>und</strong> der Distanz zurück.<br />

Während der Broadway-Aufführungen von The Blue<br />

Room trat ein weiterer Mann in Nicoles Leben, was<br />

dramatische Auswirkungen haben sollte. Am Ende einer<br />

Aufführung kehrte Nicole in ihre Garderobe zurück<br />

<strong>und</strong> fand dort ein Dutzend langstieliger roter Rosen.<br />

Zuerst dachte sie, <strong>Tom</strong> habe sie geschickt, aber als sie<br />

<strong>die</strong> Karte las, stellte sie fest, dass sie von dem australischen<br />

Regisseur Baz Luhrmann kamen. »Sie singt,<br />

sie tanzt, sie stirbt. Bitte treffen Sie sich mit mir«,<br />

stand auf der Karte. Fasziniert unterhielt sich Nicole<br />

kurz darauf mit Luhrmann über <strong>die</strong> Rolle der Satine,<br />

der schönen <strong>und</strong> tragischen Courtisane, <strong>die</strong> der <strong>Star</strong><br />

seines geplanten Filmmusicals Moulin Rouge werden<br />

sollte. Die Rolle würde für Nicole eine große Herausforderung<br />

darstellen, <strong>die</strong> weder ausgebildete Sängerin<br />

noch Tänzerin war. Durch ihren Erfolg in The Blue<br />

Room ermutigt <strong>und</strong> von der Aussicht gelockt, in ihrer<br />

Heimatstadt Sydney zu drehen, beschloss Nicole, <strong>die</strong><br />

Herausforderung anzunehmen.<br />

-297-


Das erwies sich als ansteckend. Als <strong>Tom</strong> im Begriff<br />

stand, wieder in <strong>die</strong> Rolle des Spezialagenten Ethan<br />

Hunt für Mission: Impossible II zu schlüpfen, ließ er<br />

sich von einem herausfordernden Drehbuch verführen.<br />

Dieses stammte von Paul Thomas Anderson, dem jungen<br />

Regisseur des Kultfilms Boogie Nights, der <strong>Tom</strong><br />

während der langen Wartezeiten am Set von Eyes<br />

Wide Shut besucht hatte, um ihm mitzuteilen, dass er<br />

ihm in seinem geplanten Film Magnolia eine Rolle auf<br />

den Leib geschrieben habe. <strong>Tom</strong>, der Drehbücher verschlingt,<br />

wie andere <strong>die</strong> Zeitung lesen, war sofort von<br />

der Figur des Frank T. J. Mackey begeistert, einem<br />

Macho <strong>und</strong> frauenfeindlichen selbsternannten Guru,<br />

der Männern bei seinen »Verführungs <strong>und</strong> Zerstörungs«-Seminaren<br />

beibringt, wie man sich Frauen angelt.<br />

Diese Figur war, wie der Film, übertrieben, anrüchig<br />

<strong>und</strong> ziemlich obszön. Als Vorlage für <strong>Tom</strong>s Figur<br />

<strong>die</strong>nten Anderson <strong>die</strong> Schriften des kalifornischen Autors<br />

Ross Jeffries, dessen schnelle Verführungstechniken<br />

Thema einer Reihe von Ratgeberbüchern darstellten.<br />

Während viele Leute überrascht waren, dass <strong>Tom</strong><br />

sich bereit fand, sich in eine bereits bestehende Besetzung<br />

einzufügen, zu der Julianne Moore, Jason Robards<br />

<strong>und</strong> Philip Seymour Hoffman zählten, genoss<br />

<strong>Tom</strong> <strong>die</strong> Rolle <strong>und</strong> lud seine Fre<strong>und</strong>e zum Set ein, damit<br />

sie sich ansehen konnten, wie er ein Seminar leitete,<br />

in dem seine Figur den faszinierten männlichen Zuhörern<br />

entgegenschreit: »Respektiere den Schwanz,<br />

vernichte <strong>die</strong> Fotze!« Später erzählte er dem Regisseur<br />

Cameron Crowe: »Als ich das Drehbuch las, dachte<br />

ich: >Wann kriegt man bloß <strong>die</strong> Chance, solche Seminare<br />

zu besuchen?< Ich bin Schauspieler. Ich habe<br />

noch nie eine solche Figur gespielt. Ich bin für Humor.<br />

Ich fand sie finster <strong>und</strong> lustig.«<br />

Man ging davon aus, dass Anderson, als er <strong>die</strong> Szene<br />

schrieb, in der Mackey seinen Vater, von dem er sich<br />

-298-


entfremdet hat, an dessen Sterbebett besucht, dabei<br />

an <strong>Tom</strong> gedacht hat. In Wahrheit wusste Anderson gar<br />

nicht, dass <strong>Tom</strong> seinen Vater, Thomas Mapother III,<br />

im wahren Leben unter ähnlichen Umständen zum<br />

letzten Mal sah. <strong>Der</strong> Schauspieler griff also auf seine<br />

eigene Erfahrung zurück, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> räumte später ein,<br />

dass es ihm »wahnsinnig zugesetzt hat«. Er war jedoch<br />

sensibel genug, seiner Mutter, Mary Lee, <strong>und</strong><br />

seinem Stiefvater, Jack South, den Film vor der Premiere<br />

im privaten Rahmen vorzuführen, für den Fall,<br />

dass er bei ihr schmerzhafte Erinnerungen wachrufen<br />

sollte. Sie war jedoch von seiner schauspielerischen<br />

Leistung ebenso begeistert wie das Publikum <strong>und</strong> seine<br />

Kollegen, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> wurde prompt mit einem Golden<br />

Globe <strong>und</strong> einer Oscar-Nominierung belohnt.<br />

Kurz nach Beendigung der Dreharbeiten Anfang 1999<br />

erhielt <strong>Tom</strong> eine Einladung, <strong>die</strong> er nicht ablehnen<br />

konnte. Sie kam von leitenden Mitgliedern von <strong>Scientology</strong>,<br />

<strong>die</strong> ihn höflich aufforderten, sich dem zu unterziehen,<br />

was als der Kurs Potential Trouble Source /<br />

Suppressive Person (Potenzielle Quelle von Schwierigkeiten<br />

/ Unterdrückerische Person) bekannt ist. <strong>Der</strong><br />

Kurs ist dazu gedacht, den Glauben eines Einzelnen zu<br />

vertiefen <strong>und</strong> zugleich festzustellen, welche Menschen<br />

in seinem Umfeld Probleme <strong>und</strong> Schwierigkeiten bereiten<br />

– »unterdrückerische Personen«, <strong>die</strong> einen Scientologen<br />

hindern, auf seinem Weg <strong>die</strong> Brücke hinauf<br />

»Gewinne« zu machen. Die »Potenzielle Quelle« von<br />

Schwierigkeiten war aus Sicht der maßgeblichen<br />

Scientologen Nicole Kidman.<br />

Die Alarmglocken schrillten, seit sie im Dezember<br />

1998 ein Interview in Newsweek gelesen hatten, in<br />

dem Nicole ihren Glauben beschrieb: »Da ist ein bisschen<br />

Buddhismus, ein bisschen <strong>Scientology</strong>«, sagte<br />

sie. »Ich wurde als Katholikin erzogen, <strong>und</strong> ein großer<br />

Teil von mir ist noch immer katholisch.«<br />

-299-


Als ob das noch nicht genug gewesen wäre. Sie war<br />

nicht nur mit einem Aushängeschild von <strong>Scientology</strong><br />

verheiratet, ihr Vater war darüber hinaus Psychologe,<br />

was sie automatisch zu einer »Potenziellen Quelle«<br />

von Schwierigkeiten abstempelte. Und obwohl Nicole<br />

als Prominente von den Führern von <strong>Scientology</strong> mit<br />

Samthandschuhen angefasst wurde, zogen sich über<br />

ihr <strong>die</strong> Gewitterwolken zusammen.<br />

Kurz nach Kidmans Newsweek-lnterview besprachen<br />

<strong>die</strong> maßgeblichen Führer von <strong>Scientology</strong>, darunter<br />

David Miscavige, Ray Mithoff <strong>und</strong> andere, ihre<br />

Strategie, wie sie <strong>Tom</strong> weiter fest an sich binden<br />

konnten. Sie befürchteten, eine halbherzige Nicole<br />

könnte <strong>Tom</strong>s Engagement für den Glauben ernsthaft in<br />

Frage stellen. <strong>Tom</strong> musste irgendwie gegen den Virus<br />

des Zweifels geimpft werden. Das todsichere Heilmittel<br />

gegen Skepsis war der Kurs Potential Trouble Source /<br />

Suppressive Person, der <strong>die</strong> Loyalität wankelmütiger<br />

Scientologen verstärkte <strong>und</strong> sie zugleich argwöhnischer<br />

gegenüber jenen um sie herum machte, <strong>die</strong><br />

nicht Mitglieder der Sekte waren. Häufig schreiben<br />

Scientologen nach Beendigung <strong>die</strong>ses Kurses aus freien<br />

Stücken »Lossagungs«-Briefe an Nahestehende, <strong>die</strong><br />

nicht Mitglieder von <strong>Scientology</strong> sind. So setzte sich<br />

zum Beispiel der 17 Jahre alte Sohn von Peter Alexander<br />

nach Beendigung des Kurses PTS/SP ganz ruhig<br />

hin <strong>und</strong> schrieb ihm einen Brief, in dem er ihm mitteilte,<br />

dass er ihn nie wieder sehen wolle. Die Tatsache,<br />

dass <strong>die</strong>se Briefe freiwillig geschrieben wurden, bedeutete,<br />

dass <strong>die</strong> Führung von <strong>Scientology</strong>, wenn sie danach<br />

gefragt wurde, stets argumentieren konnte, dass<br />

<strong>die</strong>se Personen in ihrem eigenen Interesse <strong>und</strong> ohne<br />

jeden Zwang gehandelt hätten.<br />

Als Karen Pressley, <strong>die</strong> Nicoles nachlassende Begeisterung<br />

für <strong>Scientology</strong> mitbekam, den Newsweek-<br />

Artikel las, wurde ihr bewusst, dass das der Anfang<br />

-300-


vom Ende der Ehe war. »Bis Ende der neunziger Jahre<br />

ließ sich Nicole Zeit. <strong>Tom</strong> war viel engagierter <strong>und</strong> kam<br />

viel schneller voran als sie. Mir wurde klar, dass sie es<br />

nicht schaffen würde, <strong>und</strong> das hat mich wirklich bestürzt.«<br />

Damals stand Karen im Begriff, <strong>Scientology</strong><br />

den Rücken zu kehren. Sie wusste, dass ihrem Mann<br />

Peter, wenn sie ging, er aber in der Organisation bleiben<br />

wollte, keine andere Wahl bleiben würde, als sich<br />

von ihr scheiden zu lassen. So geschah es dann auch,<br />

<strong>und</strong> Karen fürchtete jetzt, dass Nicole den gleichen<br />

Weg vor sich hatte <strong>und</strong> darüber hinaus auch ihre Kinder<br />

verlieren würde.<br />

Anfang 1999 nahm <strong>Tom</strong> pflichtbewusst an den rigorosen<br />

Auditing-Sitzungen mit Marty Rathburn, dem<br />

Generalinspektor von <strong>Scientology</strong>, teil. Einmal musste<br />

er, im Rahmen einer Übung, Fremden folgende Frage<br />

stellen: »Was ist mein offensichtlichstes Merkmal?« Er<br />

führte <strong>die</strong> Aufgabe so begeistert aus, dass er seine<br />

Frage nicht etwa anderen Scientologen stellte, sondern<br />

auf <strong>die</strong> Straße hinausging <strong>und</strong> völlig fremde Leute ansprach.<br />

Ein verdutzter Passant antwortete ihm: »Nun,<br />

Sie sehen wie <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> aus – aber nur ein bisschen.«<br />

Sein Entschluss, sich auf einen solch harten Kurs einzulassen,<br />

fiel für ihn mit einer Zeit »echten Verlusts<br />

<strong>und</strong> Trauer« zusammen. Am 2. März 1999, ein paar<br />

Tage nach der letzten Aufführung von The Blue<br />

Room, sahen sich Nicole <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> in einem privaten<br />

Vorführraum in Manhattan zum ersten Mal Eyes Wide<br />

Shut an. Bis auf zwei leitende Mitarbeiter von Warner<br />

Brothers waren sie allein. Sie schauten sich den Film<br />

gleich zweimal an, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> rief Stanley Kubrick in<br />

London an, um ihm zu sagen, wie sehr er ihnen gefiel.<br />

Vier Tage später starb Kubrick an einem schweren<br />

Herzinfarkt.<br />

-301-


»Ich bin zusammengebrochen, als ich es gehört habe«,<br />

sagte <strong>Tom</strong>. »Ich stand absolut unter Schock <strong>und</strong><br />

konnte es nicht fassen. Wir hatten zwei Jahre unseres<br />

Lebens miteinander verbracht.« Beim Begräbnis auf<br />

dem Friedhof von St. Albans, Hertfordshire, fungierte<br />

<strong>Tom</strong> als einer der Sargträger. Auf Bitten seines Fre<strong>und</strong>es<br />

Terry Semel, Vorstand von Warner Brothers, kanalisierte<br />

der fassungslose Schauspieler seine Trauer,<br />

indem er <strong>die</strong> Verantwortung für alles, was mit dem<br />

Film zusammenhing, übernahm.<br />

Kubrick, bekanntermaßen ein Kontrollfreak, hätte<br />

sich keinen besseren Testamentsvollstrecker aussuchen<br />

können, denn <strong>Tom</strong> kümmerte sich um jedes Detail,<br />

von der Verbreitung des Films bis hin zu Marketing<br />

<strong>und</strong> Werbemaßnahmen. Er war wütend, als der<br />

Drehbuchautor Frederic Raphael ein schmales Büchlein<br />

über <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit Kubrick verfasste, ohne<br />

seine Genehmigung einzuholen. Raphael <strong>und</strong> sein Verlag,<br />

Penguin, waren über <strong>Tom</strong>s Reaktion erstaunt, der<br />

darin einen Akt von Verrat sah. Raphael erinnert sich:<br />

»Die Leute von Penguin sagten, so etwas hätten sie<br />

noch nie erlebt – dass er versuchte, sie an der Veröffentlichung<br />

des Buches zu hindern. Aber er zählt<br />

schließlich zu jenen Menschen, <strong>die</strong> ganz verrückt danach<br />

sind, <strong>die</strong> totale Kontrolle zu haben.«<br />

<strong>Tom</strong>s Wunsch nach Kontrolle bekam einen weiteren<br />

Dämpfer, als sich der berühmte Filmkritiker Roger Ebert<br />

weigerte, eine zweiseitige »Loyalitätserklärung«<br />

zu unterschreiben, bevor er den Schauspieler zu dem<br />

lange erwarteten Film interviewte. In dem Vertrag sicherte<br />

er sich <strong>die</strong> Kontrolle der Veröffentlichung zu<br />

<strong>und</strong> hielt fest, dass kein Interview <strong>Tom</strong> in »negativer<br />

oder abfälliger Weise« darstellen dürfe <strong>und</strong> »der<br />

Künstler« das Recht habe, sämtliche Passagen des Interviews<br />

zu streichen, <strong>die</strong> ihm missfallen. Als Ebert<br />

seine Unterschrift verweigerte, war <strong>Tom</strong> derjenige, der<br />

-302-


<strong>die</strong>ses eine Mal klein beigab, <strong>und</strong> der Filmkritiker setzte<br />

sich für ein »offenes <strong>und</strong> ehrliches« Gespräch über<br />

den Film mit dem Hollywoodstar zusammen.<br />

Sosehr <strong>Tom</strong> auch versuchte, den Me<strong>die</strong>ntiger zu<br />

zähmen, es gelang ihm nie, wirklich <strong>die</strong> Kontrolle über<br />

das unbeugsame Tier zu gewinnen. Kurz nach Kubricks<br />

Beisetzung behaupteten zwei amerikanische Boulevardblätter<br />

vollkommen aus der Luft gegriffen, der<br />

Regisseur habe zwei Sextherapeuten engagiert, um<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole Unterricht in Liebesdingen zu erteilen.<br />

Das Paar war alles andere als amüsiert, <strong>und</strong> Warner<br />

Brothers gab ein Statement heraus, mit dem <strong>die</strong> Geschichte<br />

dementiert wurde, während <strong>die</strong> Anwälte Verleumdungsklage<br />

einreichten. Doch auf nichts reagierte<br />

<strong>Tom</strong> empfindlicher als auf <strong>die</strong> Erwähnung seiner Mitgliedschaft<br />

bei <strong>Scientology</strong>. Während der Dreharbeiten<br />

von Eyes Wide Shut hieß es in der Zeitschrift US<br />

Weekly, <strong>Tom</strong> sei der Meinung, dass John Travoltas<br />

Beteiligung an der Produktion des Films Kampf um<br />

<strong>die</strong> Erde, der auf einem Roman von L. Ron Hubbard<br />

basiert, ein »Fehler« gewesen sei. Innerhalb einer Woche<br />

wurde das Magazin gezwungen, an prominenter<br />

Stelle einen Widerruf zu drucken <strong>und</strong> zu erklären, dass<br />

<strong>Tom</strong> ein »aktives <strong>und</strong> engagiertes Mitglied der <strong>Scientology</strong>-Kirche«<br />

sei <strong>und</strong> über Kampf um <strong>die</strong> Erde weder<br />

etwas Negatives gesagt noch »angedeutet« habe.<br />

Das konnte jedoch nicht verhindern, dass der Film als<br />

der schlechteste Streifen aller Zeiten beschrieben wurde.<br />

»Ich mag keine prozesssüchtigen Leute«, erzählte<br />

<strong>Tom</strong> der Zeitschrift Harper’s Bazaar. »Mir macht das<br />

keinen Spaß. Aber es gibt einen Punkt, ab dem es<br />

nicht mehr nur dumm ist; es wird vernichtend. Dann<br />

klage ich. Ich klage, wann immer ich kann, bis das<br />

aufhört. Und wenn <strong>die</strong> aufhören, dann höre auch ich<br />

auf.«<br />

-303-


Als der Film Eyes Wide Shut nach all den Kontroversen<br />

im Juli 1999 schließlich in <strong>die</strong> Kinos kam, war er<br />

eine riesige Enttäuschung. Obwohl er der erste von<br />

Kubricks Filmen war, der sofort <strong>die</strong> Hitliste an den amerikanischen<br />

Kinokassen anführte, waren <strong>die</strong> Kritiker<br />

uneins; manche fanden den Film langweilig <strong>und</strong> wenig<br />

überzeugend, andere hielten den 159 Minuten langen<br />

Streifen für Kubricks letztes Meisterwerk, für einen<br />

passenden Abschluss einer brillanten Karriere. Selbstverständlich<br />

konzentrierte sich <strong>die</strong> Aufmerksamkeit auf<br />

<strong>die</strong> Sexszenen, <strong>und</strong> Nicole wurde in ihrem Zusammensein<br />

mit Gary Goba als leidenschaftlich <strong>und</strong> sexy beschrieben,<br />

beim Sex mit ihrem Mann dagegen als distanziert<br />

<strong>und</strong> desinteressiert. Mit der Zeit sollte der Film<br />

ebenso als Schlusspunkt ihrer zerrütteten Ehe wie als<br />

Epitaph für Kubricks Karriere betrachtet werden.<br />

Im gleichen Monat gab es wieder Anlass für Klatsch<br />

<strong>und</strong> Tratsch, als Nicole dem Journalisten <strong>Tom</strong> Junod<br />

ein Interview gab, der eigens nach Sydney geflogen<br />

war, wo sie für Moulin Rouge probte, während <strong>Tom</strong>,<br />

ebenfalls in Australien, an Mission: Impossible II<br />

arbeitete. Sie genoss seine Gesellschaft eindeutig,<br />

führte ihn in Bars aus, zeigte ihm <strong>die</strong> Sydney Harbor<br />

Bridge, an deren Bau ihr Großvater beteiligt gewesen<br />

war, <strong>und</strong> verbrachte offenk<strong>und</strong>ig einen sehr innigen<br />

Abend mit ihm. <strong>Tom</strong>, der davon Wind bekam, steckte<br />

<strong>die</strong>s aber wohl ohne große Mühe weg, denn bei seiner<br />

Dankesrede nach Erhalt des Golden Globe in Hollywood<br />

als »Bester Nebendarsteller« in Magnolia sang<br />

er ein Loblied auf Nicole: »Ihre Großzügigkeit, ihre<br />

Unterstützung, ihre Opferbereitschaft, ihr Talent – sie<br />

inspiriert mich«, teilte er den Zuhörern mit.<br />

Nicoles Schwester Antonia war an seiner Seite, als er<br />

über den roten Teppich schritt, da Nicole mit den Aufnahmen<br />

von Moulin Rouge beschäftigt war. Während<br />

der langen Dreharbeiten kursierten zwangsläufig durch<br />

-304-


nichts belegte Gerüchte, dass Nicole eine Affäre mit<br />

dem neuen Hauptdarsteller, wieder einem Schotten,<br />

nämlich Ewan McGregor, habe. Die Tatsache, dass sie<br />

sich mit seiner Frau Eve ebenso gut verstand <strong>und</strong> dass<br />

<strong>Tom</strong> sich so häufig, wie es sein Terminkalender nur<br />

erlaubte, am Set aufhielt, um seine Frau <strong>und</strong> seine<br />

Kinder zu sehen, ging dabei völlig unter. Connor <strong>und</strong><br />

Bella gewöhnten sich tatsächlich daran, ihre Mutter in<br />

hochhackigen Schuhen, Netzstrümpfen <strong>und</strong> engem<br />

Korsett zu sehen, wenn sie ihnen zwischen ihren Gesangs-<br />

<strong>und</strong> Tanzproben in ihrem Wohnwagen das Essen<br />

zubereitete. Dagegen kann sich niemand erinnern,<br />

Nicole je am Set in Australien gesehen zu haben, obwohl<br />

<strong>Tom</strong> darauf bestand, Mission: Impossible II<br />

dort zu drehen, um seiner Frau nah zu sein. Nicole<br />

blieb das flüchtige Objekt seiner Begierde, das im Film<br />

Rollen spielte, vielleicht auch im wahren Leben, in dem<br />

sie, wie der Regisseur Baz Luhrmann es ausdrückte,<br />

»eine Frau in der Blüte ihrer Sexualität« war.<br />

Doch das hatte seinen Preis. Die langen <strong>und</strong> intensiven<br />

Proben forderten ihren Tribut, Nicole brach sich<br />

bei einer Tanzsequenz zweimal eine Rippe <strong>und</strong> zog<br />

sich dann im April 2000 eine schwere Verletzung am<br />

Knie zu. Sie flog nach Los Angeles, wo sie von dem<br />

berühmten Chirurgen Neal ElAttrache, dem gutaussehenden<br />

Schwager von Sylvester Stallone, operiert<br />

wurde. Nicole sah ihn danach häufig bei Nachuntersuchungen,<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> beiden fre<strong>und</strong>eten sich an.<br />

In <strong>die</strong>ser Zeit schien <strong>die</strong> ganze Familie vom Pech verfolgt<br />

zu sein. Nachdem <strong>die</strong> Dreharbeiten von Mission:<br />

Impossible II abgeschlossen waren, nahm <strong>Tom</strong> <strong>die</strong><br />

Kinder auf einer 120-Meter-Jacht zu einem Angelausflug<br />

mit, der unter einem schlechten Stern stand. Sie<br />

liefen auf ein Riff, der Motor streikte, <strong>und</strong> ein Jetski<br />

rammte das Boot an der Seite. Als <strong>die</strong> Flammen des<br />

Bord-Grills allzu sehr in <strong>die</strong> Höhe schlugen, schmiss<br />

-305-


<strong>Tom</strong> ihn über Bord – damit war er, wie ein Witzbold<br />

hervorhob, der erste Schauspieler in der australischen<br />

Geschichte, der einen Grill auf <strong>die</strong> Schrimps warf.<br />

In gewisser Weise war es höchst erfrischend zu sehen,<br />

dass einem Action-Helden, der gewagte Auto-<br />

<strong>und</strong> Motorradrennen fährt, akrobatische Flüge unternimmt<br />

<strong>und</strong> davon träumt, den Everest zu besteigen,<br />

ähnliche Fehler unterlaufen wie Normalsterblichen.<br />

Aber er strahlte eine derartige Kompetenz, Sicherheit<br />

<strong>und</strong> Unüberwindbarkeit aus, dass sich niemand w<strong>und</strong>erte,<br />

als nach einem Rafting-Abenteuer das gesamte<br />

Team von drei Hubschraubern abgeholt wurde. Einer<br />

der Rafter, der mit <strong>Tom</strong> flog, hatte fürchterliche Angst<br />

vor Hubschraubern, tröstete sich aber mit der Erkenntnis:<br />

»Gott wird ihn nicht sterben lassen.« Regisseur<br />

John Woo setzte in Mission: Impossible II ganz<br />

auf <strong>die</strong>ses Image des Superhelden. Doch selbst Woo,<br />

der sich mit künstlerischen Gewaltszenen einen Namen<br />

gemacht hatte, war nervös, als er <strong>Tom</strong> bei den<br />

Aufnahmen des berühmten Eingangsstunts beobachtete,<br />

wo er sich mehrere h<strong>und</strong>ert Meter über der Wüste<br />

von Utah mit einer Hand an eine Felswand klammerte.<br />

Die Tatsache, dass <strong>Tom</strong>s Mutter neben ihm stand <strong>und</strong><br />

ängstlich zusah, wie ihr an dem Felsen hängender<br />

Sohn aus einem Hubschrauber heraus gefilmt wurde,<br />

konnte Woos Stimmung auch nicht heben. »Ich hatte<br />

größere Angst als sie«, erinnerte sich Woo. »Ich habe<br />

ihre Hand genommen, mich zu ihr umgedreht <strong>und</strong> gesagt:<br />

>Mom, es wird bestimmt alles gutgehen


ner Filmwelt. Mit 36 Jahren war er noch immer fit genug,<br />

um seine atemberaubenden Stunts selbst zu übernehmen,<br />

ein Schauspieler, dessen entschlossene<br />

Gleichgültigkeit angesichts von Gefahr sein Markenzeichen<br />

war, <strong>und</strong> ein erfolgreicher Produzent, der einen<br />

Big-Budget-Film fest im Griff hatte, der allein am ersten<br />

Wochenende in Amerika 70 Millionen Dollar einspielte.<br />

<strong>Tom</strong> gab sich jedoch nie damit zufrieden, sich auf<br />

seinen Lorbeeren als Schauspieler <strong>und</strong> Produzent auszuruhen,<br />

sondern hielt immer nach frischen Talenten,<br />

Drehbüchern <strong>und</strong> Herausforderungen Ausschau. Damals<br />

war er von der Arbeit des jungen spanischen Regisseurs<br />

Alejandro Amenábar fasziniert. Nach einem<br />

Treffen in New York unterzeichnete er einen Vertrag<br />

zur Verfilmung seines neuesten Drehbuchs, einer Geistergeschichte<br />

mit dem Titel The Others.<br />

Während Nicole <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> als Paar auseinanderzudriften<br />

schienen, hatten sie beruflich mehr miteinander zu<br />

tun als je zuvor. Nicole unterschrieb Verträge für sechs<br />

<strong>Projekt</strong>e, einschließlich für einen Film von Paul Verhoeven,<br />

in dem sie – in Zusammenarbeit mit der Firma<br />

<strong>Cruise</strong>-Wagner – für <strong>die</strong> Rolle einer Suffragette<br />

besetzt wurde. Zuerst stand jedoch The Others auf<br />

dem Plan. Als Hauptproduzent besetzte <strong>Tom</strong> seine<br />

Frau in der Hauptrolle, obwohl Nicole, <strong>die</strong> nach Moulin<br />

Rouge noch immer an Krücken ging, dagegen protestierte,<br />

eine religiös neurotische Mutter von zwei Kindern<br />

zu spielen, <strong>die</strong> so allergisch gegen Licht sind,<br />

dass sie ständig bei zugezogenen Vorhängen <strong>und</strong> geschlossenen<br />

Fensterläden im Haus bleiben müssen. In<br />

<strong>die</strong>ser abgeschiedenen, dunklen Welt gesellen sich eine<br />

Gruppe seltsamer Be<strong>die</strong>nsteter <strong>und</strong> der Geist ihres<br />

als Soldat gefallenen Mannes zu der eiskalten, nervösen<br />

Mutter. Es ist ein unheimlicher, verstörender Film,<br />

<strong>und</strong> Nicole, <strong>die</strong> sich noch immer im Ruhm von Moulin<br />

-307-


Rouge sonnte, begehrte auf. Ihr Mann bestand jedoch<br />

darauf, dass sie ihre Zweifel beiseiteschob. Das war<br />

eine kluge Entscheidung, da Nicole als zwanghafte <strong>und</strong><br />

überforderte Mutter eine ihrer besten Leistungen auf<br />

der Leinwand – <strong>und</strong> wahrscheinlich <strong>die</strong> aufschlussreichste<br />

– zeigte. Ihr Biograph James Dickerson stellte<br />

scharfsinnig fest: »Es war so komisch, dass <strong>Tom</strong> <strong>die</strong>se<br />

Geschichte für Nicole auswählte, denn sie schien auf<br />

gewisse Weise ihre Ehe bis ins kleinste Detail widerzuspiegeln.«<br />

Das war eine Einschätzung, der <strong>Tom</strong> zustimmte.<br />

Als er ihre Darstellung der kalten, neurotischen <strong>und</strong><br />

frigiden Mutter sah, <strong>die</strong> ihre Kinder aus Liebe erdrückt<br />

<strong>und</strong> dennoch unfre<strong>und</strong>lich zu ihnen ist, sagte er zu<br />

seinen Fre<strong>und</strong>en, dass sie für <strong>die</strong> Rolle wie geschaffen<br />

sei. Das war nicht liebevoll gemeint.<br />

-308-


9<br />

Und dann war plötzlich alles vorbei, <strong>Tom</strong> hatte sich<br />

von einem Tag auf den anderen verabschiedet. <strong>Der</strong><br />

Mann, von dem sie sich über alles geliebt glaubte,<br />

würde in <strong>die</strong>sem neuen Jahr – <strong>und</strong> für den Rest ihres<br />

Lebens – nicht mehr an ihrer Seite sein. Doch ihr Gatte,<br />

der sie früher einmal mit Rosen <strong>und</strong> kleinen Liebesbriefchen<br />

überschüttet <strong>und</strong> geradezu angebetet<br />

hatte, sagte es ihr nicht einmal von Angesicht zu Angesicht<br />

– von Mann zu Frau –, dass ihre zehnjährige<br />

Ehe beendet war. Nicole erfuhr es von einem Mittelsmann,<br />

seinem Anwalt, dass sie im Drehbuch seines<br />

Lebens nicht mehr vorgesehen war. Jetzt wusste sie,<br />

wie Mimi Rogers sich gefühlt haben musste. Die Trennung<br />

in den ersten Wochen des Jahres 2001 wurde<br />

schonungslos, brutal <strong>und</strong> geschäftsmäßig durchgezogen.<br />

Ohne große Umstände. Diane Van Zoeren,<br />

eine seiner ersten Fre<strong>und</strong>innen, formulierte es so:<br />

»Wenn er mit dir fertig war, dann war er eben fertig<br />

mit dir.« <strong>Der</strong> verliebte <strong>Tom</strong> – oder in <strong>die</strong> Vorstellung<br />

verliebte, verliebt zu sein – <strong>und</strong> der <strong>Tom</strong>, der nicht<br />

mehr liebte, das waren zwei ganz verschiedene Menschen.<br />

Während Nicoles Abwesenheit fuhr vor ihrem<br />

Heim in Pacific Palisades ein Möbelwagen vor, in den<br />

sein gesamter persönlicher Besitz verladen wurde, <strong>und</strong><br />

der Schauspieler mietete für sich selbst <strong>und</strong> seine Entourage<br />

fünf Bungalows in einem Hotelkomplex in Beverly<br />

Hills.<br />

Wie mag sich Nicole gefühlt haben, als das Telefon<br />

stumm blieb, während sie sich das Knie rieb, das sie<br />

sich bei den Dreharbeiten zu Moulin Rouge verletzt<br />

hatte, <strong>und</strong> sie mit seinem Schweigen ständig daran<br />

-309-


erinnerte, was sie verloren hatte. Mag sein, dass ihr<br />

<strong>die</strong>ses Leben in einem Kokon aus Kaviar <strong>und</strong> Kontrolle<br />

auf <strong>die</strong> Nerven gegangen war, dass sie sich ihrem Ehemann<br />

entfremdet hatte, aber <strong>die</strong>ser plötzliche Bruch<br />

muss ihr emotional <strong>und</strong> psychisch doch schwer zu<br />

schaffen gemacht haben. Die persönlichen Fre<strong>und</strong>e,<br />

<strong>die</strong> Schauspielerkollegen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Leute, mit denen sie<br />

geschäftlich zu tun gehabt hatten – sie alle erkannten,<br />

woher der Wind wehte, <strong>und</strong> gingen mit den Gärtnern,<br />

dem Hauspersonal, den Pressesprechern <strong>und</strong> den persönlichen<br />

Assistenten. Mit <strong>Tom</strong>. So lief es auf <strong>die</strong>ser<br />

Welt – auf jeden Fall in Hollywood.<br />

<strong>Der</strong> Einzige, der bei ihr blieb, war ihr treuer Chauffeur<br />

Dave Garris, der draußen ihren schwarzen GMC<br />

Denali polierte. Während Nicole über ihre Zukunft<br />

nachdachte, telefonierte sie st<strong>und</strong>enlang mit ihren Eltern<br />

<strong>und</strong> ihrer Schwester in Sydney, <strong>die</strong> äußerst empört<br />

darüber waren, wie <strong>Tom</strong> sie behandelte.<br />

Zweifellos erwog sie auch eine Rückkehr nach Australien.<br />

Es war ihr Glaube – ihr katholischer Glaube –,<br />

der ihr in den dunkelsten St<strong>und</strong>en Kraft gab. Sie besprach<br />

<strong>die</strong> verschiedenen Möglichkeiten mit ihren Eltern.<br />

Sie hatte von Klöstern in Australien gehört, <strong>die</strong><br />

auch ehemals verheiratete Frauen aufnahmen, <strong>und</strong><br />

wollte <strong>die</strong>se Idee weiterverfolgen. Zumindest wollte sie<br />

sich wenigstens für eine gewisse Zeit in ein katholisches<br />

Kloster zurückziehen, bis sie wieder Boden unter<br />

den Füßen hatte, <strong>und</strong> herausfinden, wer sie wirklich<br />

war <strong>und</strong> wie es weitergehen sollte. Und danach, wer<br />

weiß? Vielleicht würde sie sich an der Universität von<br />

Sydney einschreiben <strong>und</strong> den Abschluss in Englisch<br />

machen, von dem sie schon so lange redete.<br />

Zu Beginn des Jahres 2001 hatte es ganz den Anschein,<br />

als wären ihre Tage in Hollywood gezählt. Falls<br />

der Exodus von Personal <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en noch nicht<br />

deutlich genug gewesen war, so beseitigte das aggres-<br />

-310-


sive Vorgehen von <strong>Tom</strong>s Anwälten jegliche Zweifel. Sie<br />

werde keinen einzigen Film mehr drehen, erklärten sie<br />

ihr, <strong>und</strong> solle sich am besten ein One-Way-Ticket nach<br />

Sydney kaufen. Nicole war klar, dass sie den Zorn ihres<br />

Klienten auf sie projizierten. <strong>Der</strong> Zorn eines verletzten<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> kannte keine Grenzen. Inzwischen<br />

überboten sich <strong>die</strong> Massenme<strong>die</strong>n mit schrillen Geschichten,<br />

vermutlich von <strong>Tom</strong>s Umkreis lanciert, in<br />

denen ihr kühler, egozentrischer Charakter für <strong>die</strong><br />

Trennung verantwortlich gemacht <strong>und</strong> über Affären<br />

mit anderen Männern spekuliert wurde.<br />

Die Situation verschärfte sich, als der Skandal-<br />

Moderator Howard Stern verkündete, dass <strong>Tom</strong> den<br />

berüchtigten, in Prominentenkreisen bestens bekannten<br />

Privatdetektiv Tony Pellicano mit Ermittlungen zu<br />

Nicoles Verhalten beauftragt habe. Dennoch beharrten<br />

<strong>Tom</strong>s Vertreter darauf, es sei eine »fre<strong>und</strong>schaftliche<br />

Trennung«. Noch ganz mit ihrem gebrochenen Herzen,<br />

einem verletzten Knie <strong>und</strong> einer zerstörten Karriere<br />

beschäftigt, stellte Nicole fest, dass sie von ihrem<br />

Noch-Ehemann ein Kind erwartete. Und wenn sie auf<br />

<strong>die</strong> letzten Monate zurückschaute, fragte sie sich: Wie<br />

konnte es zu <strong>die</strong>sem Bruch kommen?<br />

Vielleicht hatte alles im Sommer 2000 begonnen, als<br />

<strong>Tom</strong> sich bei einer privaten Vorführung den spanischen<br />

Film Abre los ojos (Öffne <strong>die</strong> Augen) ansah, <strong>die</strong> Geschichte<br />

einer Beziehung zwischen der schönen Tänzerin<br />

Sofia <strong>und</strong> dem reichen Besitzer eines Verlagsimperiums.<br />

Wie zehn Jahre zuvor bei Nicole, war er von der<br />

Leinwandpräsenz der Hauptdarstellerin, der 27jährigen<br />

Penelope Cruz, vollkommen hingerissen. Noch<br />

während der Nachspann lief, versuchte er per Handy<br />

<strong>die</strong> Rechte für eine Neuverfilmung in Englisch zu kaufen.<br />

Später in jenem Sommer, bei einem Treffen in<br />

New York mit Alejandro Amenábar, der bei dem Film<br />

Regie geführt <strong>und</strong> das Drehbuch geschrieben hatte,<br />

-311-


sagte <strong>Tom</strong>, dass Penelope Cruz auch in der englischen<br />

Version mit dem Titel Vanilla Sky <strong>die</strong> Rolle der Sofia<br />

übernehmen solle. Die Schauspielerin war außerhalb<br />

Spaniens zwar wenig bekannt, doch ihre ausdrucksvollen<br />

Augen, ihre schlanke Figur <strong>und</strong> ihre temperamentvolle,<br />

verführerische Persönlichkeit verzauberte<br />

nicht nur <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>, sondern auch viele andere Männer.<br />

»Sie verzaubert einen, als Mensch <strong>und</strong> im Film.<br />

Sie ist unglaublich romantisch <strong>und</strong> trotzdem sehr realistisch«,<br />

sollte <strong>Tom</strong> später einmal sagen. <strong>Der</strong> Tochter<br />

einer Madrider Friseurin <strong>und</strong> eines Geschäftsmannes<br />

wurden Affären mit mehreren Hollywoodstars nachgesagt,<br />

darunter Matt Damon. Als <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>’ Fre<strong>und</strong><br />

Cameron Crowe, den er als Regisseur haben wollte,<br />

nach Griechenland flog, wo Penelope Cruz gerade Corellis<br />

Mandoline drehte, ging das Gerücht, sie habe<br />

eine Beziehung mit dem verheirateten Hauptdarsteller<br />

Nicolas Cage.<br />

<strong>Tom</strong> hatte schon früher mit Amenábar gearbeitet, bei<br />

The Others, mit Nicole in der Hauptrolle. Als im August<br />

2000 in Madrid mit den Dreharbeiten zu <strong>die</strong>sem<br />

Film mit <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> als Produzenten begonnen wurde,<br />

begleiteten ihn seine Frau <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kinder. Tatsächlich<br />

war der Film der erste von insgesamt sechs, in denen<br />

Nicole Kidman laut Vereinbarung mit <strong>Cruise</strong>/Wagner<br />

Productions mitspielen sollte, was vermuten lässt,<br />

dass sie <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> vorhatten, trotz Nicoles Entfremdung<br />

<strong>und</strong> Unzufriedenheit zumindest auf beruflicher<br />

Ebene zusammenzubleiben. Während Nicole in The<br />

Others eine Soldatenfrau spielte, deren Mann nicht<br />

aus dem Krieg zurückkehrt, verließ <strong>Tom</strong> den Set im<br />

November, um in New York mit den Dreharbeiten zu<br />

Vanilla Sky zu beginnen. Wie der Regisseur Cameron<br />

Crowe später sagte, war es von entscheidender Bedeutung,<br />

dass <strong>die</strong> Chemie zwischen <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Penelope<br />

stimmte, denn nur dann würden sie <strong>die</strong> leidenschaftli-<br />

-312-


che Liebesgeschichte, <strong>die</strong> im Zentrum des Films steht,<br />

authentisch spielen können. Es musste wirken, als<br />

würde sich Penelope wirklich verlieben, <strong>und</strong> der Mann,<br />

den <strong>Tom</strong> spielte, sich in sie. Es ist eine großartige,<br />

schreckliche, packende Szene, <strong>die</strong> Schlüsselszene des<br />

Films. Als wir uns den Film zum ersten Mal ansahen –<br />

nur im Haus –, hat am Ende sicher jeder gedacht:<br />

»Mann, <strong>die</strong> waren wirklich verknallt!« Es dauerte nicht<br />

lange, bis aus dem Spiel Ernst wurde.<br />

Während <strong>Tom</strong> in New York drehte, beendete Nicole<br />

ihre Arbeit bei The Others <strong>und</strong> kehrte kurz vor Weihnachten<br />

nach Amerika zurück. Trotz vollem Terminkalender<br />

fand sich das Paar am 20. Dezember in New<br />

York zusammen, um Paula Wagners vier<strong>und</strong>fünfzigsten<br />

Geburtstag zu feiern. Wie andere Gäste berichteten,<br />

ging <strong>Tom</strong> von Tisch zu Tisch, unterhielt sich lachend<br />

mit Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> signierte Speisekarten, während<br />

Nicole stumm <strong>und</strong> missmutig für sich allein blieb<br />

<strong>und</strong> kaum ein Wort mit den anderen wechselte.<br />

Ab <strong>die</strong>sem Tag weichen <strong>Tom</strong>s Geschichte <strong>und</strong> <strong>die</strong> tatsächlichen<br />

Ereignisse erheblich voneinander ab. Laut<br />

Gerichtsakten erklärte <strong>Tom</strong>, das Paar habe sich im Dezember<br />

2000 getrennt, vermutlich während Nicole<br />

noch in Spanien drehte. Vonseiten seines Lagers wurde<br />

klar gesagt, dass sie ab dem 21. Dezember, dem<br />

Tag nach Paula Wagners Geburtstag <strong>und</strong> einen Tag vor<br />

dem siebten Geburtstag ihrer Tochter Bella, getrennte<br />

Wege gingen. (Es wurde fälschlicherweise angenommen,<br />

seine Entscheidung hinsichtlich des Datums der<br />

Trennung sei vom kalifornischen Recht beeinflusst, in<br />

dem eine zehn Jahre oder länger andauernde Ehe als<br />

»lang« eingestuft wird. Es kann sich zwar auf <strong>die</strong> Höhe<br />

von Unterhaltszahlungen auswirken, wenn auf eine<br />

»lange« Ehe erkannt wird, jedoch hat ein solcher Entscheid<br />

keinen Einfluss auf <strong>die</strong> Aufteilung des Vermögens.<br />

Kalifornien gehört zu den neun amerikanischen<br />

-313-


B<strong>und</strong>esstaaten, in denen »Gütergemeinschaft« gilt,<br />

also alle Vermögenswerte vom ersten Tag der Ehe an<br />

zu gleichen Teilen aufgeteilt werden. Bei Häusern in<br />

aller Welt, Privatflugzeugen <strong>und</strong> einem angenommenen<br />

Vermögen von 450 Millionen Dollar, das halbehalbe<br />

zu teilen war, dürfte <strong>die</strong> Unterhaltsfrage kein<br />

wirkliches Problem für <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole dargestellt haben.)<br />

An dem Tag, an dem sie sich laut <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> trennten,<br />

flogen sie nach Hause nach Hollywood. Wenige<br />

Tage später, an Heiligabend, gaben sie zur Feier ihres<br />

zehnten Hochzeitstages in ihrer Villa in Pacific Palisades<br />

eine Party für engste Fre<strong>und</strong>e. Nach Darstellung<br />

anwesender Gäste gaben <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole eine angesichts<br />

ihrer privaten Querelen oscarreife Vorstellung,<br />

tanzten eng umschlungen nach ihren Lieblingsstücken<br />

<strong>und</strong> schauten sich zärtlich in <strong>die</strong> Augen. Angeblich sollen<br />

sie an <strong>die</strong>sem Abend sogar ihr Ehegelübde erneuert<br />

haben. Ob das stimmt, sei dahingestellt. Fest steht<br />

jedoch, dass sich <strong>Tom</strong> samt Entourage dann über <strong>die</strong><br />

Weihnachtsfeiertage nach Las Vegas begab. <strong>Tom</strong> arrangierte<br />

sogar eine nächtliche Fahrt mit dem Big<br />

Shot! auf dem Stratosphere Hotel, damit Nicole <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> anderen in den Genuss <strong>die</strong>ses aufregenden Erlebnisses<br />

kamen. Noch verwirrender wird das Ganze dadurch,<br />

dass Nicole später behauptete, sie hätten –<br />

obwohl sie laut <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> bereits getrennt waren –<br />

miteinander geschlafen <strong>und</strong> sie sei schwanger geworden.<br />

Und warum verbringt <strong>Tom</strong> Weihnachten mit ihr,<br />

wenn er einen Anwalt dafür bezahlt zu verkünden,<br />

dass ihre Ehe im Dezember beendet war? Für ein Paar,<br />

das vor einer erbitterten Scheidungsschlacht steht,<br />

eine seltsame Art, seine Geschütze in Stellung zu bringen.<br />

Unmittelbar nach der Rückkehr der Familie aus Las<br />

Vegas setzte <strong>Tom</strong> <strong>die</strong> Dreharbeiten zu Vanilla Sky<br />

-314-


fort; inzwischen wurde in Hollywood gefilmt. Es dauerte<br />

nicht lange, bis <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n von den Problemen des<br />

Paares Wind bekommen hatten, nicht zuletzt weil <strong>Tom</strong><br />

in ein Hotel in Beverly Hills gezogen war. Das Verhalten<br />

der beiden bei der Verleihung der Golden Globes in<br />

Hollywood am 21. Januar verstärkte den Eindruck,<br />

dass an den Gerüchten etwas dran war. Beide, <strong>Tom</strong><br />

<strong>und</strong> Nicole, präsentierten Preisträger bei der Show,<br />

aber sie kamen getrennt, Nicole in Begleitung ihres<br />

Vaters Antony, <strong>und</strong> saßen an getrennten Tischen.<br />

Kurz bevor der National Enquirer <strong>die</strong> Geschichte<br />

publik machte, bestätigte PR-Agentin Pat Kingsley am<br />

5. Februar in einer Presseerklärung das Ende der Ehe.<br />

Zu der Trennung geführt hätten »Schwierigkeiten aufgr<strong>und</strong><br />

der beruflichen Karriere, durch <strong>die</strong> sie ständig<br />

getrennt sind«. Weiter betonte sie, dass absolut keine<br />

dritte Person damit zu tun habe <strong>und</strong> dass <strong>Tom</strong>s Entscheidung<br />

von <strong>Scientology</strong> nicht beeinflusst worden<br />

sei. Ausnahmsweise einmal nahmen sogar <strong>die</strong> ansonsten<br />

leichtgläubigen Unterhaltungsme<strong>die</strong>n <strong>die</strong>se Information<br />

skeptisch auf <strong>und</strong> wiesen darauf hin, wie oft<br />

<strong>die</strong> beiden stolz erklärt hatten, dass sie in den zehn<br />

Jahren ihrer Ehe niemals länger als zwei Wochen getrennt<br />

gewesen seien. Die Trennung löste eine Flut<br />

von Berichten aus, in denen Nicole mit Ewan McGregor,<br />

ihrem Co-<strong>Star</strong> bei Moulin Rouge, mit dem<br />

Schauspieler George Clooney, ihrem früheren Fre<strong>und</strong><br />

Marcus Graham, mit Iain Glen, dem Beau in Blue<br />

Room, <strong>und</strong> anderen in Verbindung gebracht wurde.<br />

Was <strong>Tom</strong> betraf, der auf der Leinwand ein leidenschaftliches<br />

Interesse für sie zeigte, so bestritt Penelope<br />

Cruz, dass sie eine Affäre hätten.<br />

Obwohl <strong>die</strong>ses Mal auch zwei Kinder betroffen waren,<br />

lehnte <strong>Tom</strong> jede Form von Eheberatung oder therapeutischem<br />

Gespräch ab – selbst <strong>die</strong> Beratung bei<br />

<strong>Scientology</strong>, <strong>die</strong> er <strong>und</strong> Mimi Rogers am Ende ihrer<br />

-315-


kurzen Ehe in Anspruch genommen hatten. Zwei Tage<br />

nach der Presseerklärung reichte <strong>Tom</strong> beim Superior<br />

Court in Los Angeles wegen »unüberbrückbarer Differenzen«<br />

<strong>die</strong> Scheidung ein <strong>und</strong> erklärte: »Ich glaube<br />

nicht, dass eine psychologische Beratung gleich welcher<br />

Art, <strong>die</strong> Zeit oder irgendetwas anderes <strong>die</strong>se Ehe<br />

noch kitten kann.« In der Öffentlichkeit schwieg er<br />

sich zu dem Thema aus. »Nicole weiß, warum«, war<br />

alles, was er dazu sagte, <strong>und</strong> das in einem gereizten<br />

Ton, als ginge es um das Ende einer Schülerliebe <strong>und</strong><br />

nicht einer Ehe von zehn Jahren.<br />

Am Set von Vanilla Sky gab er sich entspannt <strong>und</strong><br />

fröhlich <strong>und</strong> ging sogar zu einer Party seines Fre<strong>und</strong>es<br />

Steven Spielberg. Hinter den Kulissen jedoch schien<br />

es, als täte er alles, um seine Noch-Ehefrau <strong>und</strong> jeden<br />

anderen, der sich nicht seinen Wünschen gemäß verhielt,<br />

zu kontrollieren <strong>und</strong> einzuschüchtern. Die Sicherheitsmaßnahmen<br />

am Set wurden drastisch verstärkt;<br />

<strong>Tom</strong> war ständig von fünf Leibwächtern umgeben.<br />

Alle, <strong>die</strong> in der Nähe des <strong>Star</strong>s arbeiteten, mussten<br />

durch einen Metalldetektor gehen, um sicherzustellen,<br />

dass sie keine Kamera, kein Handy oder Aufnahmegeräte<br />

bei sich hatten. Als eine Frau einmal<br />

aufgefordert wurde, zusätzlich ihre Handtasche auszuleeren,<br />

wurde es einem der leitenden Mitarbeiter zu<br />

viel, <strong>und</strong> er rief verärgert: »Sagt <strong>Tom</strong>, dass hier professionelle<br />

Schauspieler arbeiten, <strong>die</strong> man mit Respekt<br />

behandeln muss. Wir sind hier nicht beim FBI.« <strong>Tom</strong>s<br />

PR-Agentin wischte solche Einwände beiseite. »Ja, er<br />

besteht auf strengen Sicherheitsmaßnahmen«, sagte<br />

sie, »aber nur, um sich selbst <strong>und</strong> andere zu schützen.«<br />

Währenddessen ließ sich <strong>die</strong> zutiefst verletzte Nicole<br />

kaum in der Öffentlichkeit sehen. Sie hatte zwar Mitte<br />

Januar mit einem neuen Film begonnen, Panic Room,<br />

war jedoch nach kaum einem Monat wieder ausgestie-<br />

-316-


gen, angeblich wegen ihrer Knieverletzung. »Es hatte<br />

schon Spannungen gegeben«, sagte der australische<br />

Regisseur John Duigan, ein Fre<strong>und</strong> Nicoles, »aber <strong>die</strong><br />

so plötzliche endgültige Trennung war doch ein Schlag<br />

für sie.« Wenige Tage nachdem <strong>die</strong> Trennung Anfang<br />

Februar offiziell bestätigt worden war, flogen ihre Mutter<br />

Janelle, ihre Schwester Antonia <strong>und</strong> ihre beiden<br />

Kinder nach Los Angeles, um <strong>die</strong> verzweifelte Schauspielerin<br />

zu trösten <strong>und</strong> ihr beizustehen. Sie fühlte sich<br />

in <strong>die</strong> Enge getrieben, nicht nur von den Me<strong>die</strong>n, <strong>die</strong><br />

ihr ständig neue Liebhaber andichteten, sondern auch<br />

von <strong>Tom</strong>s Anwälten <strong>und</strong> der Nachricht, dass er den<br />

berüchtigten Privatdetektiv Tony Pellicano engagiert<br />

hatte, der in ihrem Leben herumschnüffeln sollte. <strong>Tom</strong><br />

<strong>und</strong> Nicole hatten nicht nur vereinbart, dass sie niemals<br />

Detektive einsetzen würden, sie wusste auch,<br />

dass ihr Noch-Ehemann <strong>die</strong>sen Mann <strong>und</strong> seine dubiosen<br />

Methoden immer verachtet hatte. Offenbar<br />

brauchte es einen Mann wie Pellicano, um <strong>Tom</strong>s Rachegelüste<br />

zu befriedigen. Pellicano, ein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Mitarbeiter von <strong>Tom</strong>s Anwalt Bert Fields, war als »ultimativer<br />

Problemloser« bekannt, ein Typ, der seine Opfer<br />

auch durchaus mit einem Aluminium-<br />

Baseballschläger einschüchterte, den er stets im Kofferraum<br />

liegen hatte. »Ich kann nicht immer streng<br />

nach Vorschrift arbeiten«, prahlte Pellicano einmal.<br />

»Ich beuge das Gesetz bis zum Letzten, um an Informationen<br />

zu kommen.« Wie weit er tatsächlich ging,<br />

zeigte sich erst im Jahr 2002. Bei einer Durchsuchung<br />

seiner Büroräume entdeckte das FBI zwei scharfe Granaten,<br />

Plastiksprengstoff, Abhörgeräte <strong>und</strong> buchstäblich<br />

Tausende von Seiten an Abschriften illegal abgehörter<br />

Telefongespräche. Später prahlte er gegenüber<br />

Corinne Clifford, einer Klientin in einem Fall häuslicher<br />

Gewalt, er habe in Nicoles Telefon eine Wanze installiert,<br />

als er in der Scheidungssache für <strong>Tom</strong>s Anwalt<br />

-317-


Dennis Wasser arbeitete. »Ich bin <strong>die</strong> Nr. 1 der Privatdetektive<br />

weltweit«, sagte er. »Mir verdankt Dennis<br />

Wasser seinen Erfolg.« In der Zwischenzeit sind sowohl<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole als auch Bert Fields vom FBI in<br />

Sachen Pellicano vernommen worden. Pellicano sitzt<br />

mittlerweile im Gefängnis <strong>und</strong> sieht sich mit 110 Anklagepunkten<br />

konfrontiert – darunter Abhören, Erpressung,<br />

Verabredung von Straftaten, Beeinflussung von<br />

Zeugen, Identitäts<strong>die</strong>bstahl <strong>und</strong> Vernichtung von Beweismaterial.<br />

Noch war <strong>die</strong>ser Skandal nicht ans Licht gekommen,<br />

doch Nicole hatte so viel über Pellicanos Methoden gehört,<br />

dass sie ihren New Yorker Anwalt Bill Beslow, der<br />

bereits für Mia Farrow, Tatum O’Neal <strong>und</strong> Sarah, Herzogin<br />

von York, <strong>die</strong> Scheidung abgewickelt hatte, um<br />

Rat bat. Er empfahl ihr, selbst jemanden für Gegenmaßnahmen<br />

zu engagieren. Und so saß eines Tages<br />

Richard DiSabatino, ein Privatdetektiv aus Hollywood,<br />

den Nicoles Fre<strong>und</strong> Robert De Niro ins Gespräch gebracht<br />

hatte, in ihrem kühl-eleganten Arbeitszimmer,<br />

während Nicoles Anwalt auf dem Flügel im Wohnzimmer<br />

jazzige Melo<strong>die</strong>n klimperte. In Jeans <strong>und</strong> übergroßem<br />

Pullover, mit bleichem Gesicht <strong>und</strong> rotgeweinten<br />

Augen, war Nicole ein Bild des Elends. »Sie sah<br />

schrecklich aus«, erinnert sich DiSabatino. »Das war<br />

nicht gespielt, es war klar, dass <strong>die</strong> Trennung sie<br />

schwer getroffen hatte.« Sie brach immer wieder in<br />

Tränen aus, während sie redete, <strong>und</strong> rieb sich ständig<br />

das verletzte Knie. Sie war niedergeschlagen <strong>und</strong> pessimistisch.<br />

»Ich fühle mich so schutzlos«, klagte sie<br />

ihm gegenüber. »Ich soll sogar das bisschen Karriere<br />

aufgeben, das ich habe.«<br />

Nachdem er sich ihre Klagen angehört hatte, erklärte<br />

er ihr, dass er künftig ihren Schutz übernehmen <strong>und</strong><br />

dafür sorgen würde, dass ihre Telefone nicht abgehört<br />

werden konnten <strong>und</strong> sie nur noch mit Leuten zusam-<br />

-318-


menkam, <strong>die</strong> sie kannte <strong>und</strong> denen sie vertraute. Nicole<br />

bestand jedoch darauf, dass man keine Ermittlungen<br />

über ihren Noch-Ehemann anstellen dürfe, bevor<br />

er <strong>die</strong> Scheidung eingereicht hatte, obwohl DiSabatino<br />

im Carlyle Hotel in New York, wo Penelope Cruz während<br />

der Dreharbeiten für Vanilla Sky wohnte, über<br />

Kontakte verfügte.<br />

Als er Nicoles Haus in Pacific Palisades verließ, wurde<br />

DiSabatino klar, dass er auf das falsche Pferd setzte,<br />

dass Hollywood sich automatisch auf <strong>die</strong> Seite ihres<br />

einflussreichen Mannes schlagen würde. Trotzdem hatte<br />

er jetzt <strong>die</strong> Aufgabe, seine so verw<strong>und</strong>bare Klientin<br />

zu schützen. Bei einem der nächsten Besuche überprüfte<br />

er ihre Telefone <strong>und</strong> installierte einen Sprachverschlüssler,<br />

damit sie nicht mehr abgehört werden<br />

konnte. »Wir versuchten, immer einen Schritt voraus<br />

zu sein«, erinnert er sich. Da sie jedoch wusste, dass<br />

Pellicano mit allen Wassern gewaschen war, warf Nicole<br />

bei Telefonaten mit Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Familie immer<br />

wieder Fragen ein wie »<strong>Tom</strong>, hörst du zu?« oder »Habe<br />

ich es so gesagt, wie du wolltest, <strong>Tom</strong>?«<br />

Obwohl sie sich bemühte, tapfer zu sein, hatte er eine<br />

Frau vor sich, <strong>die</strong> mit ihren Nerven am Ende war –<br />

schwer angeschlagen, zornig <strong>und</strong> vor allem verwirrt,<br />

beherrscht von dem Gedanken, herauszufinden, warum<br />

<strong>Tom</strong> so abrupt aus ihrem Leben verschw<strong>und</strong>en<br />

war. Nicht nur, dass sie vom Anwalt erfahren musste,<br />

dass ihre Ehe beendet sei. Im Januar erwiderte <strong>Tom</strong><br />

auf ihre Frage nach dem Gr<strong>und</strong>, dass sie das sehr wohl<br />

wisse, woraufhin sie ihm wütend offenbarte, dass sie<br />

schwanger sei. Daraufhin bat Nicole DiSabatino, unbedingt<br />

herauszufinden, warum ihr Mann sie verlassen<br />

hatte, <strong>und</strong> bestand darauf, dass er der Vater ihres<br />

Kindes sei. DiSabatino erklärte ihr ohne Umschweife,<br />

dass, wenn <strong>Tom</strong> es nicht einmal seiner eigenen Frau<br />

sage, er nicht <strong>die</strong> geringste Chance habe, selbst wenn<br />

-319-


er ihn fesselte <strong>und</strong> folterte. »Und auch dann hätte ich<br />

höchstens eine fünfzigprozentige Chance, aus <strong>Tom</strong><br />

etwas herauszubekommen«, meinte er.<br />

Am meisten Sorgen machten ihm <strong>die</strong> ständigen Andeutungen<br />

<strong>und</strong> Gerüchte, <strong>die</strong> in den Me<strong>die</strong>n über seine<br />

Klientin verbreitet wurden. Als im National Enquirer,<br />

Pellicanos bevorzugtem Boulevardblatt, negative Geschichten<br />

über Nicole zu erscheinen begannen, wusste<br />

er, dass der Kampf nun wirklich eröffnet war. In einem<br />

Artikel hieß es, <strong>Tom</strong> sei gegangen, weil er Nicoles »ewiges<br />

Gejammer« nicht mehr ertragen habe; andere<br />

stellten Spekulationen an, wer der Vater des Babys<br />

sein könnte – außer ihren Schauspielerkollegen wurden<br />

nun auch Neal ElAttrache, der Arzt, der ihr Knie<br />

behandelte, <strong>und</strong> ihr Chauffeur Dave Garris in Betracht<br />

gezogen. Wobei Garris sich tatsächlich nicht unbedingt<br />

wie ein Chauffeur verhielt, sondern eher wie der Mann<br />

im Haus auftrat. Offenbar genoss sie <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

eines Mannes, der sie weniger als <strong>Star</strong>, sondern als<br />

Frau behandelte.<br />

Da Pellicano jetzt nach irgendwelchen Skandalen in<br />

Nicoles Leben wühlte, musste DiSabatino wissen, ob<br />

seine Klientin womöglich wirklich Leichen im Keller<br />

hatte – sexueller Art, versteht sich. Also fragte er Nicole<br />

r<strong>und</strong>heraus, ob sie sich mit anderen Männern eingelassen<br />

habe. »Sie sah mich ganz offen an <strong>und</strong> sagte:<br />

>Nein, in keiner Weise


etreffend. »Es ist mir unbegreiflich, wie <strong>die</strong> Leute behaupten<br />

können, dass zwischen uns etwas war«, sagte<br />

Nicole. »Ewan ist ein netter Kerl, ein Fre<strong>und</strong>. Wir haben<br />

während der Dreharbeiten viel Zeit miteinander<br />

verbracht. Ewans Frau Eve war <strong>die</strong> ganze Zeit dabei,<br />

<strong>und</strong> sie ist eine gute Fre<strong>und</strong>in von mir. Es ist absolut<br />

verrückt.«<br />

Als weiterer Kandidat wurde Nicoles enger Fre<strong>und</strong>,<br />

der australische Schauspieler Russell Crowe, genannt,<br />

weil <strong>Tom</strong> sich angeblich aufgeregt hatte, als er entdeckte,<br />

dass sie sich E-Mails schrieben. Als Iain Glen<br />

an Nicoles Seite auftauchte, um ihr seine Unterstützung<br />

anzubieten, begann <strong>die</strong> Gerüchteküche erneut<br />

derart zu brodeln, dass seine damalige Frau Susannah<br />

öffentlich verkündete: »Nicole ist auch eine alte Fre<strong>und</strong>in<br />

von mir. Dass Iain mit ihr Kontakt hält, darin gibt<br />

es nichts hineinzulesen. Ich habe absolut nichts dagegen.<br />

Er ist ein Fre<strong>und</strong> von ihr, es ist alles absolut okay.«<br />

Interessanter erschien Hollywood-Insidern ihre<br />

Fre<strong>und</strong>schaft mit dem Orthopäden Neal ElAttrache (ElAttrache<br />

war mit der Schauspielerin Tricia Flavin verheiratet,<br />

deren Schwester Jennifer Sylvester Stallones<br />

Frau war), der eine gutgehende Praxis betreibt <strong>und</strong> in<br />

der Kerlan-Jobe-Klinik Sportler <strong>und</strong> Promis behandelt.<br />

Nachdem sie sich bei den Dreharbeiten zu Moulin<br />

Rouge eine Verletzung am Knie zugezogen hatte, ging<br />

Nicole im Mai 2000 zur Behandlung in <strong>die</strong>se Klinik <strong>und</strong><br />

nahm dort auch <strong>die</strong> häufigen Termine zur Physiotherapie<br />

wahr. Ganz Hollywood munkelte, dass ElAttrache<br />

mehr als fre<strong>und</strong>schaftliche Gefühle zu der verletzten<br />

Schauspielerin entwickelt hatte. Als <strong>die</strong> Gerüchte Sylvester<br />

Stallone zu Ohren kamen, befürchtete er, dass<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> aus Rachsucht zerstören könnte, was ihm,<br />

dem alternden Schauspieler, an Karriere geblieben<br />

war. Daraufhin berief Jackie Stallone, Sylvesters be-<br />

-321-


eindruckende achtzigjährige Mutter, nach italienischer<br />

Art ein »Familientreffen« ein, um <strong>die</strong> Sache zu klären.<br />

Wie ein Insider verriet, brauchte es nur zwei Treffen,<br />

bis Neal ElAttrache <strong>die</strong> Befürchtungen des Stallone-<br />

Clans ausräumen konnte. Stallone bestätigte später,<br />

dass sein Schwager sich im Verlauf der Behandlung<br />

mit Nicole angefre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> danach mit ihr Kontakt<br />

gehalten hatte. Dem Journalisten Mitchell Fink erzählte<br />

er: »Ich habe mich mit ihm zusammengesetzt <strong>und</strong> gesagt:<br />

>Hör mal, <strong>die</strong> ganze Welt zerreißt sich schon<br />

den M<strong>und</strong> darüber, sag mir jetzt <strong>die</strong> Wahrheit. War da<br />

etwas, das wir wissen sollten?< Und er sagte:<br />

>Nein.< Damit war alles klar.«<br />

Die Spekulationen über den Vater von Nicoles Kind<br />

sollten sich bald erübrigen. Am 16. März wurde sie mit<br />

der Ambulanz in <strong>die</strong> Iris-Cantor-<br />

Universitätsfrauenklinik gebracht, weil sie starke Unterleibsschmerzen<br />

<strong>und</strong> schwere Blutungen hatte, ähnlich<br />

wie bei ihrer Eileiterschwangerschaft zehn Jahre<br />

zuvor. Die Ärzte eröffneten ihr, dass sie ungefähr im<br />

dritten Monat sei, der Fötus jedoch schon vor mehreren<br />

Wochen abgestorben sei, wovon Nicole überhaupt<br />

nichts bemerkt hatte. Während ihr treuer Chauffeur<br />

Dave Garris auf dem Gang wartete, rief Nicole bei <strong>Tom</strong><br />

an, um ihm <strong>die</strong> Nachricht mitzuteilen. Er schickte zwar<br />

Blumen, besuchte sie aber nicht im Krankenhaus.<br />

Angesichts ihrer psychischen Belastung <strong>und</strong> Krankengeschichte<br />

kam <strong>die</strong> Fehlgeburt nicht überraschend.<br />

»Da ist eine Frau, schwanger, mit Knieproblemen, deren<br />

Hollywoodkarriere beendet sein soll«, kommentierte<br />

DiSabatino. »Und siehe da, sie hat eine Fehlgeburt.<br />

Ich glaube, das lag schlicht an der ganzen Aufregung.<br />

Sie wollte ein Kind. Sie liebt Kinder.« Er gab ihr klugerweise<br />

den Rat, etwas von dem Fötalgewebe aufbewahren<br />

zu lassen für den Fall, dass irgendwann ein<br />

DNA-Test zum Nachweis der Vaterschaft nötig werden<br />

-322-


sollte. Diese Information, dass sie <strong>die</strong> DNA sichern<br />

wollte, wurde dem National Enquirer zugespielt.<br />

Es war ein brillanter Schachzug, der <strong>Tom</strong>s Lager den<br />

Wind aus den Segeln nahm. Wollte <strong>Tom</strong> Nicoles Version<br />

widerlegen, musste er sie vor Gericht zerren <strong>und</strong><br />

beweisen lassen, dass er, der »world’s sexiest man«,<br />

nicht der Vater des Kindes seiner Ehefrau war. Selbst<br />

Pellicano, der eine Schwäche für Nicole hatte, auch<br />

wenn er gegen sie arbeitete, räumte ein, dass <strong>Tom</strong><br />

ausmanövriert worden war.<br />

Während Nicole in der Klinik lag, legte <strong>die</strong> am Bruch<br />

zwischen den beiden mitbeteiligte religiöse Gemeinschaft<br />

wieder <strong>die</strong> Hand auf ihren Noch-Ehemann. Am<br />

18. März berichteten <strong>die</strong> Nachrichtenredaktionen unter<br />

Berufung auf einen Sprecher fälschlicherweise, dass<br />

der Hollywood-Schauspieler sich nach fünfzehnjähriger<br />

Verbindung aus »persönlichen Gründen« von <strong>Scientology</strong><br />

getrennt, der Organisation jedoch als Zeichen<br />

seines guten Willens eine großzügige Spende gemacht<br />

habe. Innerhalb der nächsten 24 St<strong>und</strong>en war <strong>Tom</strong>s<br />

Anwalt Bert Fields auf dem Kriegspfad <strong>und</strong> erklärte,<br />

<strong>Tom</strong> habe <strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Kirche weder verlassen<br />

noch <strong>die</strong> Absicht, es zu tun. Diese schnelle Reaktion<br />

hatte vermutlich mit früheren Berichten zu tun, in denen<br />

angedeutet wurde, dass seine Bindung zu <strong>die</strong>ser<br />

Organisation, <strong>die</strong> ihn vollkommen vereinnahmt hatte,<br />

wohl schwächer geworden sei. Tatsächlich war <strong>Tom</strong>,<br />

seit Nicole sich von <strong>Scientology</strong> gelöst hatte, mit der<br />

Lehre von L. Ron Hubbard geradezu verheiratet. Die<br />

Schauspielerin Naomi Watts, eine von Nicoles engsten<br />

Fre<strong>und</strong>innen, sagte dazu: »<strong>Tom</strong> war immer viel mehr<br />

in <strong>Scientology</strong> drin als Nicole. Er ist da ziemlich fanatisch.<br />

Nicole wollte niemals <strong>die</strong>sen Weg gehen.« Nicoles<br />

schwindende Begeisterung für <strong>Scientology</strong> in Verbindung<br />

mit der Tatsache, dass sie sich immer noch<br />

als Katholikin empfand, war <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>lage des Kon-<br />

-323-


flikts mit ihrem Mann. Indem sie sich von <strong>Scientology</strong><br />

abwandte, wandte sie sich im Effekt von ihrem Mann<br />

ab. Sie war eine »potenzielle Problemquelle« geworden,<br />

verdorben durch ihre Rückbesinnung auf <strong>die</strong> katholische<br />

Lehre <strong>und</strong> als Tochter eines Psychiaters.<br />

Während Hollywood ziemlich schockiert zur Kenntnis<br />

nahm, wie schroff <strong>und</strong> nüchtern sich <strong>Tom</strong> von seiner<br />

Frau trennte, fanden ehemalige Scientologen sein Verhalten<br />

keineswegs überraschend. Peter Alexander, ehemals<br />

stellvertretender Vorstandschef der Universal<br />

Studios, arbeitete im selben Raum wie seine Frau Jolie<br />

am Computer, als auf dem Bildschirm <strong>die</strong> Nachricht<br />

erschien, dass sie sich scheiden lassen wolle, weil er<br />

<strong>Scientology</strong> nicht mehr so stark verpflichtet sei wie sie<br />

selbst. Dann packte sie ihre drei Kinder in den Wagen<br />

<strong>und</strong> verabschiedete sich aus seinem Leben. Und als<br />

Karen Pressley beschloss, <strong>Scientology</strong> zu verlassen<br />

<strong>und</strong> sich wieder ihrem christlichen Glauben zuzuwenden,<br />

wusste sie, dass ihre Ehe damit vor dem Aus<br />

stand. Ähnlich äußerte sich der Schauspieler Parker<br />

Stevenson zur Rolle von <strong>Scientology</strong> bei seiner Trennung<br />

von Kirstie Alley im Jahr 1997: »Es hilft nichts.<br />

Ich gehöre der Episkopalkirche an, sie ist Scientologin;<br />

es sind einfach zwei ganz verschiedene Dinge«, sagte<br />

er gegenüber dem Magazin People. Im selben Jahr<br />

trennte sich der Schauspieler <strong>Tom</strong> Berenger von seiner<br />

Frau Lisa, ebenfalls Scientologin, <strong>und</strong> erklärte, <strong>die</strong> religiöse<br />

Überzeugung seiner Frau habe dabei eine Rolle<br />

gespielt.<br />

Als Nicole sich wieder dem Katholizismus zuwandte,<br />

befürchtete sie, dass <strong>Scientology</strong> versuchen würde, sie<br />

zu diskreditieren. Dass <strong>die</strong>se Gefahr bestand, daran<br />

erinnerte sie ein Artikel im National Enquirer, in dem<br />

es hieß, dass es Tonbandaufnahmen von mehreren<br />

Auditings gebe, in denen sie »ihr Innerstes bloßgelegt«<br />

habe, was zwischen den Zeilen wohl heißen soll-<br />

-324-


te, dass <strong>die</strong>se sehr persönlichen Details gegen sie<br />

verwendet werden könnten, insbesondere wenn es<br />

einen Kampf um das Sorgerecht für <strong>die</strong> Kinder geben<br />

sollte. Nicole machte sich so große Sorgen – sie wollte<br />

nach Australien zurückkehren <strong>und</strong> war überhaupt nicht<br />

mit <strong>Tom</strong>s Absicht einverstanden, <strong>die</strong> Kinder im Sinne<br />

von <strong>Scientology</strong> zu erziehen –, dass ihr Anwalt Bill<br />

Beslow sich bei einem früheren ehemaligen Scientologen<br />

Rat holte, der sich erinnert: »Nicoles Anwalt rief<br />

mich an <strong>und</strong> sagte, <strong>die</strong> Situation sei sehr schwierig,<br />

aber Nicole wolle nur <strong>die</strong> Kinder. Ob ich ihm irgendetwas<br />

sagen könne, wie sich <strong>die</strong> Situation lösen lässt.<br />

Nicole hasste <strong>Scientology</strong> zu <strong>die</strong>ser Zeit, war aber sehr<br />

besorgt wegen der Kinder. Sie wollte <strong>die</strong> beiden so viel<br />

wie möglich von <strong>Scientology</strong> fernhalten <strong>und</strong> keinesfalls<br />

<strong>die</strong> Beziehung zu ihnen aufs Spiel setzen. Ich sagte<br />

ihrem Anwalt, wenn sie <strong>die</strong> Kinder behalten will, dann<br />

wird sie den M<strong>und</strong> halten müssen <strong>und</strong> sich nicht zu<br />

<strong>Scientology</strong> äußern.«<br />

Wenn schon durchschnittlich berühmte Scientologen<br />

gezwungen wurden, zwischen ihrem Glauben <strong>und</strong> ihrer<br />

Beziehung zu wählen, dann war es für ein Aushängeschild<br />

wie <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> natürlich noch wichtiger, eine<br />

Partnerin zu haben, <strong>die</strong> seine Überzeugungen voll <strong>und</strong><br />

ganz teilte. Auf den ersten Blick passte Penelope Cruz,<br />

<strong>die</strong> in einer armen, gutkatholischen Madrider Familie<br />

aufgewachsen war, nicht ins Bild. Als sie in den neunziger<br />

Jahren Mutter Teresa begegnete, war sie nach<br />

dem Gespräch mit ihr von deren Arbeit für <strong>die</strong> Armen<br />

derart beeindruckt, dass sie selbst eine karitative Organisation<br />

gründete, <strong>die</strong> Sabera-Stiftung, <strong>die</strong> sich um<br />

Tuberkulosekranke in In<strong>die</strong>n kümmert.<br />

Gleichzeitig war Penelope Cruz auch offen gegenüber<br />

anderen Glaubensvorstellungen <strong>und</strong> Religionen. Während<br />

ihrer sechsjährigen Beziehung mit dem mexikanischen<br />

Sänger Nacho Cano lernte sie den Buddhismus<br />

-325-


kennen <strong>und</strong> begegnete einmal auf einer Reise nach<br />

Nepal sogar dem Dalai Lama. Kurz bevor sie im Jahr<br />

2000 <strong>Tom</strong> kennenlernte, beschrieb sie ihre Haltung in<br />

Sachen Religion so: »Ich bin katholisch erzogen, aber<br />

ich glaube an Gott auf meine eigene Weise. Ich bete<br />

auf meine eigene Weise <strong>und</strong> respektiere alle philosophischen<br />

Lehren. Am nächsten fühle ich mich dem<br />

Buddhismus.«<br />

<strong>Scientology</strong> verkauft sich gerne, fälschlicherweise, als<br />

»angewandte Religion«, <strong>die</strong> andere Glaubensrichtungen<br />

neben sich bestehen lässt, was <strong>die</strong> freigeistige<br />

Penelope Cruz positiv angesprochen haben dürfte. In<br />

der ersten Zeit ihrer Romanze nahm <strong>Tom</strong> sie still <strong>und</strong><br />

leise in sein örtliches »Stammlokal« mit, das Celebrity<br />

Centre in Hollywood, zeigte ihr alles <strong>und</strong> überreichte<br />

ihr zum Schluss noch Bücher von L. Ron Hubbard <strong>und</strong><br />

Hochglanzbroschüren. Kurze Zeit später verbrachte sie<br />

ganze Tage im CC, angeblich bis zu sieben St<strong>und</strong>en<br />

am Stück, <strong>und</strong> stürzte sich in ihre ersten <strong>Scientology</strong>-<br />

Kurse.<br />

Bald überschüttete <strong>Tom</strong> Penelope – wie einstmals Nicole<br />

mit roten Rosen <strong>und</strong> kleinen Liebesbriefchen. Ihr<br />

waren seine scheinbar spontanen Aufmerksamkeiten<br />

<strong>und</strong> Gesten wesentlich lieber als teurer Schmuck. »Penelope<br />

sind Geschenke nicht sehr wichtig«, sagte <strong>Tom</strong><br />

später. »Sie legt keinen Wert auf Schmuck oder große<br />

Geschenke. Ein Blatt Papier mit lieben Worten, einen<br />

Brief oder einen Anruf, wenn sie unterwegs ist, schätzt<br />

sie viel mehr.«<br />

Wie zu Beginn seiner Romanze mit Nicole zeigte sich<br />

<strong>Tom</strong> öffentlich erst mit seiner neuen Liebe, als seine<br />

Scheidung durch war. Also setzte er sich bei der Oscar-Verleihung<br />

nicht zu Penelope. Beide bekamen Auszeichnungen,<br />

<strong>Tom</strong> als »Bester Regisseur« <strong>und</strong> Penelope<br />

für das »Beste Kostümdesign«, während Nicole<br />

durch Abwesenheit glänzte. Obwohl <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Penelope<br />

-326-


zu verbergen versuchten, dass sich zwischen ihnen<br />

eine Beziehung entwickelte, war <strong>die</strong> Feindseligkeit zwischen<br />

Nicole <strong>und</strong> der spanischen Schauspielerin unübersehbar,<br />

als sie für eine Geschichte über »Hollywoodlegenden«<br />

in Vanity Fair fotografiert wurden.<br />

Für das Titelblatt arrangierte <strong>die</strong> Fotografin Annie Leibovitz<br />

ein Gruppenporträt mit Nicole, Sophia Loren,<br />

Meryl Streep, Catherine Deneuve, Cate Blanchett,<br />

Chloe Sevigny <strong>und</strong>, eigenartigerweise, auch Penelope<br />

Cruz, <strong>die</strong> noch in fast keinem Hollywoodfilm mitgespielt<br />

hatte. Vielleicht hatte sie es dem Umstand zu<br />

verdanken, dass sie jetzt von <strong>Tom</strong>s PR-Agentin Pat<br />

Kingsley betreut <strong>und</strong> von seiner Agentur CAA vertreten<br />

wurde. Bezeichnenderweise platzierte Leibovitz <strong>die</strong><br />

beiden Rivalinnen – Nicole mit eisiger, hochmütiger<br />

Miene, Penelope mit ängstlichem Blick – für das Foto<br />

an verschiedenen Ecken.<br />

Falls es ein nicht besonders subtiler Schachzug von<br />

<strong>Tom</strong>s Lager gewesen sein sollte, <strong>die</strong> relativ unbekannte<br />

Penelope auf <strong>die</strong>ses Foto zu bringen, um Nicole einzuschüchtern<br />

<strong>und</strong> zu demütigen, dann ging <strong>die</strong> Rechnung<br />

auf. Im April war Nicole, noch geschwächt von<br />

ihrer Fehlgeburt, an ihrem verletzten Knie laborierend<br />

<strong>und</strong> ständig von einem Stalker belästigt, durch <strong>Tom</strong>s<br />

Me<strong>die</strong>nkampagne <strong>und</strong> rechtliche Schritte so weit zermürbt,<br />

dass sie das Handtuch werfen wollte. DiSabatino<br />

sagte dazu: »Nicole sprach davon, sich mit <strong>Tom</strong> zu<br />

vergleichen. Er bot ihr einen Betrag an, der <strong>die</strong> Hälfte<br />

dessen war, was sie schließlich bekam. Sie ließ mich<br />

kommen <strong>und</strong> sagte, sie werde einem Vergleich zustimmen.<br />

Nicht um <strong>die</strong>sen Preis, sagte ich zu ihr. Sie<br />

werde viel mehr bekommen, wenn sie nicht klein beigab.<br />

Aber sie entgegnete, ihre Knie machten ihr zu<br />

schaffen, <strong>und</strong> sie wolle sich endlich wieder mit anderen<br />

Dingen beschäftigen können.« Am Ende folgte sie doch<br />

dem klugen Rat <strong>und</strong> beschloss abzuwarten.<br />

-327-


Trotzdem sagte sie Anfang Mai zu Oprah Winfrey, ihr<br />

Leben sei »ein Alptraum… Du tust so, als ginge es dir<br />

gut, obwohl du dich an manchen Tagen richtig elend<br />

fühlst«. Sie verstand immer noch nicht, warum <strong>Tom</strong><br />

sie verlassen hatte. Als <strong>die</strong> Kameras nach einem Interview<br />

bei der Show Today abgeschaltet waren, fragte<br />

Katie Couric sie leise nach dem Gr<strong>und</strong> für <strong>die</strong> Trennung.<br />

»Ich weiß nicht, warum. Ich weiß nicht, warum«,<br />

antwortete Nicole. Sie war immer noch überreizt,<br />

als sie ein paar Tage später beim Filmfestival in<br />

Cannes der Premiere von Moulin Rouge beiwohnte.<br />

Nicole, <strong>die</strong> an Panikattacken leidet, wurde von hysterischen<br />

Fans geradezu belagert <strong>und</strong> bekannte später,<br />

dass sie noch nie im Leben so viel Angst gehabt habe.<br />

Verletzlich <strong>und</strong> verzweifelt, wie sie war, fühlte sie sich<br />

nicht in der Lage, sich bei der traditionellen Pressekonferenz<br />

den Me<strong>die</strong>n zu stellen. Als er sah, dass sein<br />

<strong>Star</strong> vor seinen Augen schlappzumachen drohte, sagte<br />

der Regisseur Baz Luhrmann zu ihr: »Komm, reiß dich<br />

zusammen, sei Nicole Kidman.« Sie folgte seinem Rat<br />

<strong>und</strong> tanzte <strong>die</strong> Nacht mit Ewan McGregor <strong>und</strong> DJ Fatboy<br />

Slim durch.<br />

Während Nicole nach London flog, um sich auf ihre<br />

Rolle als <strong>die</strong> Schriftstellerin Virginia Woolf in dem Film<br />

The Hours vorzubereiten, rüstete sich <strong>Tom</strong> für eine<br />

weitere Schlacht -<strong>die</strong>ses Mal mit seinen alten Feinden<br />

in den Me<strong>die</strong>n. <strong>Der</strong> Autor Richard Goldstein merkte<br />

dazu an: »<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> zieht so regelmäßig vor Gericht,<br />

wie Robert Downey jr. seine Bewährungsauflagen verletzt.<br />

Downey kann keinen Krümel Kokain liegen <strong>und</strong><br />

<strong>Cruise</strong> nicht <strong>die</strong> kleinste Entgleisung durchgehen lassen.«<br />

Nachdem er schon st<strong>und</strong>enlang bezüglich seiner<br />

Scheidung mit seinem Anwalt Bert Fields telefoniert –<br />

<strong>und</strong> ihm Tausende von Dollar bezahlt – hatte, zögerte<br />

er auch nicht lange, Fields anzurufen, als das französische<br />

Klatschmagazin Acustar im Mai 2001 ohne jede<br />

-328-


Gr<strong>und</strong>lage berichtete, dass <strong>Tom</strong> eine Affäre mit dem<br />

schwulen Pornostar <strong>und</strong> Erotic-Wrestler Kyle Bradford<br />

habe, der im wahren Leben Chad Slater heißt. Slater<br />

wurde sofort auf 100 Millionen Dollar Schadenersatz<br />

verklagt, <strong>und</strong> Fields erklärte dazu: »In <strong>die</strong>ser widerlichen,<br />

nur zur Eigen-PR erf<strong>und</strong>enen Geschichte steckt<br />

kein Körnchen Wahrheit. <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> respektiert natürlich<br />

voll <strong>und</strong> ganz das Recht anderer Menschen, ihren<br />

jeweiligen sexuellen Neigungen nachzugehen, ist aber<br />

weder homosexuell, noch hatte er eine wie auch immer<br />

geartete Beziehung zu Kyle Bradford [Chad Slater].<br />

Er kennt ihn nicht einmal.« Acustar druckte<br />

schließlich ein Dementi ab.<br />

Es entwickelte sich geradezu ein lukratives Geschäft<br />

daraus, nicht weil an den Geschichten etwas dran gewesen<br />

wäre, sondern weil für Hollywoods »Unterschicht«<br />

damit Geld zu holen war, wenn man <strong>Tom</strong>s<br />

Prozessierwut ausnutzte, insbesondere seine Empfindlichkeit<br />

gegenüber Behauptungen, er sei schwul. Und<br />

so kam es, dass im Juni 2001 der Gay-Porno-<strong>Star</strong> Big<br />

Red – »man nennt mich nicht nur Big Red wegen meiner<br />

roten Haare!« – mit einem weiteren Privatdetektiv,<br />

dem gelegentlichen Gay-Porno-Produzenten Paul Barresi,<br />

im Büro von Tony Pellicano saß. Barresi, der sich<br />

gern als »Pellicanos Enforcer« bezeichnet, hatte 1990<br />

eine gewisse Berühmtheit erlangt mit der Behauptung,<br />

er habe eine Affäre mit dem Schauspieler <strong>und</strong> Promi-<br />

Scientologen John Travolta gehabt. Big Red, mit bürgerlichem<br />

Namen Nathan Hamilton, präsentierte den<br />

beiden Privatdetektiven eine detaillierte Lügengeschichte<br />

über seine bezahlten Affären mit einigen großen<br />

Hollywoodstars, darunter auch <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>. Barresi<br />

hatte bereits versucht, Hamiltons Geschichte dem<br />

National Enquirer zu verkaufen, doch dem Boulevardblatt<br />

war <strong>die</strong> groteske Story zu konstruiert <strong>und</strong><br />

widersprüchlich erschienen.<br />

-329-


Pellicano zeigte sich seltsamerweise weniger skeptisch.<br />

»Ich halte den Kerl für sehr glaubwürdig«, sagte<br />

er zu Barresi, nachdem Hamilton gegangen war. Daraus<br />

folgerte unausgesprochen, dass sie aus dem<br />

glücklosen Hamilton – <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> – Geld herausholen<br />

konnten, wenn sie ihre Erkenntnisse dessen Anwalt<br />

Bert Fields präsentierten. Fields würde dann aktiv<br />

werden, Hamilton mit einer Verleumdungsklage drohen<br />

<strong>und</strong> Pellicano, den für ihn tätigen Privatdetektiv,<br />

sowie Barresi für ihre Mühe bezahlen. Sie zumindest<br />

könnten bei <strong>die</strong>sem Spiel nur gewinnen – Verlierer wären<br />

Hamilton <strong>und</strong> <strong>Cruise</strong>. Barresi meinte dazu: »Die<br />

Geschichte ist perfekt, weil sie nie ans Licht kommt,<br />

aber <strong>Cruise</strong> an seinem empfindlichsten Punkt trifft.<br />

Jeder weiß, dass <strong>Cruise</strong> ausrastet, wenn er als schwul<br />

bezeichnet wird. Bei Deals mit beiden Seiten lässt sich<br />

doch am besten Geld machen. Promis sind naiv <strong>und</strong><br />

haben tiefe Taschen.« Hamilton tauchte schließlich<br />

unter <strong>und</strong> behauptete, seine Telefone seien abgehört<br />

<strong>und</strong> er von Autos ohne Nummernschild verfolgt worden,<br />

nachdem ihm Fields mit einer Klage gedroht habe.<br />

Das Mitleid des Detektivduos hielt sich in Grenzen.<br />

Bei einem späteren Treffen behauptete Hamilton, eine<br />

Affäre mit Pellicanos Lieblingssänger, dem blinden italienischen<br />

Tenor Andrea Bocelli, gehabt zu haben.<br />

»<strong>Der</strong> ist doch krank im Kopf, der Kerl!«, bemerkte der<br />

Herr der Skandalgeschichten empört <strong>und</strong> beförderte<br />

Hamilton praktisch mit einem Fußtritt zur Tür hinaus.<br />

Für seine Mühe erhielt Barresi von Bert Fields schließlich<br />

5000 Dollar, <strong>und</strong> er war so stolz auf seine Verbindung<br />

zum Anwalt von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>, dass er ständig eine<br />

Fotokopie des Schecks mit sich herumtrug, damit er<br />

ihn Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten zeigen konnte.<br />

Auch wenn <strong>Tom</strong> juristisch noch so sehr auftrumpfte,<br />

<strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n erwiesen sich als vielköpfige Hydra. Im<br />

selben Monat, im Juni 2001, bot Michael Davis, Her-<br />

-330-


ausgeber des Magazins Bold, jedem 500.000 Dollar,<br />

der einen fotografischen Beweis dafür brachte, dass<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> schwul war. Worauf Fields wieder seine<br />

Lieblingsnummer durchzog <strong>und</strong> beim Superior Court in<br />

Los Angeles eine 100-Millionen-Klage einreichte. Das<br />

Magazin machte daraufhin einen Rückzieher. Tatsächlich<br />

hatte Rob Thomas von der Rockgruppe Matchbox<br />

20 öffentlich zu dem Gerücht Stellung genommen, seine<br />

Frau habe ihn mit <strong>Tom</strong> zusammen im Bett erwischt:<br />

»Wenn ich schwul wäre, stände <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

nicht ganz oben auf meiner Liste, sondern Brad Pitt.«<br />

Obwohl <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> bisher noch jede juristische<br />

Schlacht bezüglich seiner Sexualität – zu Recht – gewonnen<br />

hat, scheint er zum Zeitpunkt, als <strong>die</strong>ses Buch<br />

geschrieben wurde, den Krieg verloren zu haben. Es<br />

gibt inzwischen mehr als zwei Millionen Webseiten zu<br />

dem Stichwort »<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> schwul« – etwas mehr als<br />

zu dem vergleichbaren Frauenschwarm Brad Pitt, der<br />

noch nie rechtliche Schritte unternommen <strong>und</strong> öffentlich<br />

erklärt hat, er werde Angelina Jolie erst heiraten,<br />

wenn <strong>die</strong> Schwulenehe in den USA legalisiert ist.<br />

Dem inneren Kreis um <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> blieb nicht verborgen,<br />

dass er sich pikanterweise, während alle Behauptungen,<br />

er sei schwul, rechtlich abgeschmettert wurden,<br />

still <strong>und</strong> heimlich mit einer der begehrtesten<br />

Frauen der Welt traf, mit Penelope Cruz. Im Juli nahm<br />

er sich eine Auszeit von den Dreharbeiten seines<br />

jüngsten Films Minority Report unter Regie seines<br />

Fre<strong>und</strong>es Steven Spielberg <strong>und</strong> verschwand mit ihr in<br />

seinem Privatjet – der jetzt nicht mehr »Sweet Nic«,<br />

sondern »Sweet Bella« hieß – auf eine private Insel<br />

nahe der Fidschis im Südpazifik. <strong>Der</strong> Besitzer der Insel,<br />

der kanadische Unternehmer David Gilmour, der<br />

auf Fidschi eine Firma für Tafelwasser gegründet hat,<br />

hatte ursprünglich <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole den Wakaya Club<br />

zur privaten Nutzung angeboten – ein weiterer Hinweis<br />

-331-


darauf, dass zu dem Zeitpunkt, als <strong>die</strong> Einladung ausgesprochen<br />

wurde, von einer Scheidung noch keine<br />

Rede war. Doch dann nutzte Nicole mit ihren Kindern<br />

<strong>und</strong> ihrem guten Fre<strong>und</strong>, dem Schauspieler Russel<br />

Crowe, den exklusiven Ferienclub in der ersten Woche;<br />

Bella <strong>und</strong> Connor blieben noch zwei weitere Wochen,<br />

<strong>die</strong> ihr Vater mit Penelope Cruz dort verbrachte. Dass<br />

Penelope dort auftauchte, mag für Nicole sicher überraschend<br />

gekommen sein, denn sie beklagte sich einem<br />

Fre<strong>und</strong> gegenüber später: »Er schwor Stein <strong>und</strong><br />

Bein, dass nichts zwischen ihnen lief.« Offenbar hatte<br />

er dafür gesorgt, dass sie auf Abruf bereitstand.<br />

Die Kinder wussten früher als der Rest der Welt, dass<br />

es zwischen <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Penelope offenbar ernst war.<br />

Ende Juli dann bestätigte ihre gemeinsame PR-Agentin<br />

Pat Kingsley zum ersten Mal, dass <strong>die</strong> beiden verbandelt<br />

waren. <strong>Der</strong> Hollywood-Premiere von The Others<br />

Anfang August blieb Penelope diplomatischerweise<br />

fern, <strong>die</strong> Hauptdarstellerin <strong>und</strong> der Produzent schritten<br />

getrennt über den roten Teppich. Am folgenden Tag,<br />

dem 7. August 2001, war <strong>die</strong> Scheidung juristisch erledigt,<br />

das Paar einigte sich auf ein gemeinsames Sorgerecht<br />

für <strong>die</strong> Kinder, <strong>und</strong> beide versprachen, den<br />

Me<strong>die</strong>n gegenüber nicht über den anderen zu reden.<br />

Ein paar Wochen später war auch <strong>die</strong> finanzielle Seite<br />

geregelt. Nicole bekam doppelt so viel wie ursprünglich<br />

angeboten. <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> konnte <strong>die</strong> Ranch in Colorado<br />

behalten, Nicole <strong>die</strong> Anwesen in Pacific Palisades<br />

<strong>und</strong> in Sydney. Als sie nach Unterzeichnung der Scheidungspapiere<br />

<strong>die</strong> Kanzlei ihres Anwalts verließ, stieß<br />

sie einen erleichterten Schrei aus, wie Bilder zeigen.<br />

Auch für Penelope war es vermutlich eine Erleichterung,<br />

denn sie konnte sich jetzt öffentlich mit ihrem<br />

Geliebten zeigen. Zuerst sollte er aber den anderen<br />

Mann in ihrem Leben kennenlernen, deshalb holte sie<br />

ihren Vater Eduardo nach Los Angeles. Trotz aller spi-<br />

-332-


ituellen Suche war Penelope ein echter Familienmensch,<br />

<strong>und</strong> das Einverständnis ihres Vaters war ihr<br />

sehr wichtig. Sollte er hinsichtlich ihres bereits zweimal<br />

geschiedenen Fre<strong>und</strong>es Zweifel gehabt haben, so<br />

behielt Eduardo sie vorerst für sich. Erst später sah er<br />

sich den Mann <strong>und</strong> seine umstrittene Religion genauer<br />

an – <strong>und</strong> mit mehr Skepsis.<br />

Und Penelope war überglücklich, genau wie Nicole<br />

zehn Jahre zuvor, dass sie sich nicht mehr verstecken<br />

musste. Ihre persönliche Assistentin Kira Sanchez erklärte:<br />

»Zu ihren Fre<strong>und</strong>en hat Penelope gesagt, sie<br />

sei mächtig erleichtert, dass jetzt alles raus ist. Sie hat<br />

auch zu <strong>Tom</strong> gesagt, dass sie keine Heimlichkeiten<br />

mag.«<br />

-333-


10<br />

Es war Michael LaFortes neun<strong>und</strong>dreißigster Geburtstag,<br />

<strong>und</strong> normalerweise nahm er sich an <strong>die</strong>sem<br />

Tag frei, um golfen oder fischen zu gehen. Doch <strong>die</strong>ses<br />

Mal hatte er ausnahmsweise beschlossen, ins Büro zu<br />

fahren. An Bill Schambers Stand am Bahnsteig in<br />

Middleton, New Jersey, bestellte er sich vor der einstündigen<br />

Fahrt nach Manhattan wie immer einen großen<br />

Kaffee mit Milch <strong>und</strong> einem Stück Zucker. Während<br />

Bill den Kaffee eingoss, unterhielten sie sich über<br />

das herrliche Wetter. Es war ein so w<strong>und</strong>erbarer<br />

Herbstmorgen, dass Bill bereits beschlossen hatte,<br />

seinen Stand früher zu schließen <strong>und</strong> fischen zu gehen.<br />

Michael war versucht, es ihm gleichzutun, blieb<br />

dann aber bei seinem Entschluss, das Büro frühzeitig<br />

zu verlassen <strong>und</strong> zu Hause in Holmdel, New Jersey,<br />

mit seiner schwangeren Frau Fran <strong>und</strong> den beiden<br />

kleinen Kindern Geburtstag zu feiern.<br />

Dazu kam es nicht mehr. Am 11. September 2001<br />

um 8 Uhr 46 saß Michael in seinem Büro im 105. Stock<br />

des Nordturms des World Trade Centers, als Flug Nr.<br />

11 der American Airlines in das Gebäude raste, etwa<br />

15 Stockwerke unterhalb seines Büros. Um 8 Uhr 51<br />

rief Michael zu Hause an <strong>und</strong> hinterließ eine Abschiedsbotschaft<br />

auf dem Anrufbeantworter. Er berichtete<br />

seiner Frau, <strong>die</strong> gerade <strong>die</strong> Kinder zur Schule<br />

brachte, dass es kein Entkommen gab. »Franny, ich<br />

liebe dich, dich <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kinder. Ein Flugzeug ist in das<br />

Gebäude gerast. Ich weiß nicht, was los ist. Ich lasse<br />

wieder von mir hören. Ich küsse dich, tschüs.«<br />

Michaels Stimme klang zwar angespannt, aber er war<br />

kein Typ, der leicht in Panik geriet. Er war nicht nur<br />

-334-


vier Jahre Captain bei den Marines gewesen, sondern<br />

hatte auch das Bombenattentat von 1993 im World<br />

Trade Center miterlebt. Von den Tausenden, <strong>die</strong> an<br />

<strong>die</strong>sem Tag im Jahr 2001 ihr Schicksal ereilte, hätten<br />

wenige so ums Überleben gekämpft wie Michael LaForte.<br />

Er war ein lockerer Typ, aber sehr ehrgeizig, <strong>und</strong><br />

hatte sich in seiner Brokerfirma Cantor Fitzgerald bis<br />

zum Stellvertreter des Chefs hochgearbeitet.<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> kannte seine dynamisch-aggressive Art<br />

sehr gut. Er <strong>und</strong> Michael waren seit der Schulzeit in<br />

Glen Ridge befre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> hatten auch noch Kontakt<br />

gehalten, als andere Schulkameraden schon längst<br />

ihrer Wege gegangen waren. Als junge Kerle waren sie<br />

zusammen um <strong>die</strong> Häuser gezogen, <strong>und</strong> als <strong>Tom</strong> berühmt<br />

wurde, hatte er seinen Fre<strong>und</strong> zu Super-Bowl-<br />

Spielen, Filmpremieren <strong>und</strong> anderen Hollywood-Ereignissen<br />

eingeladen. Von Zeit zu Zeit gingen Michael <strong>und</strong><br />

seine Frau Fran mit <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> seiner damaligen Frau<br />

Nicole gemeinsam abendessen, auch wenn Nicole glamourösere<br />

Fre<strong>und</strong>e bevorzugte.<br />

Als Michaels älterer Bruder, Sam LaForte, sich mit<br />

Fran auf <strong>die</strong> Suche nach Michael machte, dachte er<br />

daran zurück, wie sein kleiner Bruder <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> zu ihm<br />

gelaufen kamen, wenn sie mit irgendjemandem Arger<br />

bekommen hatten. Dieses Mal war es anders. Wie<br />

Tausende andere Menschen, liefen Sam <strong>und</strong> Fran in<br />

New York herum, gingen in Krankenhäuser <strong>und</strong> teilten<br />

Handzettel aus, um der Ungewissheit irgendwie ein<br />

Ende zu machen. Die hochschwangere Fran bat sogar<br />

über den Fernsehsender NBC um Informationen <strong>und</strong><br />

sagte unter Tränen: »Man möchte am liebsten sterben.<br />

Ich weiß nicht, wo er ist. Aber ich weiß, er hätte<br />

mich sofort angerufen, wenn er rausgekommen wäre,<br />

weil er es das letzte Mal auch gemacht hat. Also muss<br />

er irgendwo verletzt liegen.«<br />

-335-


Tage später erhielt Sam LaForte einen Anruf, dass<br />

man Michael gef<strong>und</strong>en habe. »Sie sagten, er sei okay,<br />

in dem Sinne, dass seine Leiche vollständig war. Damit<br />

hatten wir Gewissheit, aber es war schrecklich.«<br />

Am 21. September nahm <strong>Cruise</strong> mit vielen anderen<br />

Prominenten vor 89 Millionen Zuschauern an der großen<br />

Fernseh-Spendenaktion »Tribute to Heroes« teil,<br />

um Geld für <strong>die</strong> Opfer des 11. September zu sammeln.<br />

Zuvor kuschelte er auf einem Sofa mit seiner Fre<strong>und</strong>in<br />

Penelope Cruz. Als <strong>Cruise</strong> dann an der Reihe war, zollte<br />

er Father Mike seinen Respekt, dem Pfarrer der New<br />

Yorker Feuerwehr, der während des Rettungseinsatzes<br />

ums Leben gekommen war, verlor aber kein einziges<br />

Wort über seinen guten Fre<strong>und</strong> Michael LaForte.<br />

Dessen Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte w<strong>und</strong>erte das sehr.<br />

Sting widmete seinen Song Fragile bei derselben Veranstaltung<br />

seinem Fre<strong>und</strong> Herman Sandler, der bei<br />

dem Anschlag ums Leben gekommen war. Dass <strong>Tom</strong><br />

seinen guten Fre<strong>und</strong> Michael LaForte nicht in ähnlicher<br />

Weise öffentlich ehrte, befremdete <strong>und</strong> verärgerte viele<br />

Leute in Glen Ridge. Sein Schulkamerad Vinnie Travisano<br />

wusste, wie nah sich <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Michael gestanden<br />

hatten. »Ich war ganz schön sauer auf ihn.<br />

Wir saßen vor dem Fernseher <strong>und</strong> warteten darauf,<br />

dass er etwas zum Verlust seines guten Fre<strong>und</strong>es Michael<br />

sagen würde, <strong>und</strong> er sagte kein Wort. Das war<br />

für uns in Glen Ridge ein Schlag, für alle, <strong>die</strong> ihn kannten.<br />

Es hätte den Leuten viel bedeutet. Dass <strong>Tom</strong> kein<br />

Wort sagte, hat uns weh getan.« Er schickte Fran La-<br />

Forte zwar Blumen, <strong>und</strong> seine Mutter Mary Lee South<br />

ging zur Beerdigung, aber <strong>Tom</strong> hat sich öffentlich nie<br />

zum Verlust seines Fre<strong>und</strong>es geäußert.<br />

Dazu muss man wissen, dass Scientologen dem Tod<br />

sehr nüchtern <strong>und</strong> sachlich gegenüberstehen. Sie<br />

sprechen vom »Zurücklassen des Körpers« <strong>und</strong> glauben,<br />

dass der Geist eines Menschen irgendwann in der<br />

-336-


Zukunft in einen anderen Körper zurückkehrt. Aus ihrer<br />

Sicht kann Ron Hubbard, der 1986 starb, also jeden<br />

Tag zurückkehren, deshalb bauen sie auch r<strong>und</strong><br />

um den Globus großzügige Häuser für den toten Gründer.<br />

Sicherlich hätte sich Michael – sein Lebensmotto war<br />

»life is a cabaret« – über eine solche öffentliche Ehrung<br />

im Fernsehen gefreut, doch bei <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> hatte<br />

das Trauma des 11. September offenbar an sein Innerstes<br />

gerührt. Sam LaForte sagt: »Ich habe seitdem<br />

eine völlig andere Einstellung zum Leben, <strong>und</strong> viele<br />

andere Menschen auch. Es w<strong>und</strong>ert mich nicht, dass<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> sich verändert hat.« Die Hilflosigkeit, <strong>die</strong><br />

Verwirrung <strong>und</strong> das ungläubige Entsetzen, das viele<br />

Menschen in aller Welt nach dem 11. September empfanden,<br />

passte so gar nicht zu der selbstsicheren Art,<br />

in der <strong>Tom</strong> sonst sein Leben führte. »Nach dem 11.<br />

September war ich so zornig, am Boden zerstört. Ich<br />

dachte nur noch: Was kann ich tun, um zu helfen?«,<br />

sagte er später.<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> war weniger ein trauernder als ein zorniger<br />

Mann; sein engster Kreis erlebte <strong>die</strong> Veränderung<br />

hautnah mit. Aus den Rauchwolken über der Skyline<br />

von Manhattan wurde <strong>Scientology</strong>s einflussreichster<br />

Fürsprecher geboren. Später beschrieb er das Ereignis<br />

so: »Als <strong>die</strong> Türme eingestürzt waren <strong>und</strong> wir <strong>die</strong> Folgen<br />

der Katastrophe sahen, bekam ich <strong>die</strong>ses Bild von<br />

den riesigen Rauchschwaden über Manhattan nicht<br />

mehr aus dem Kopf.«<br />

Als sein enger Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> <strong>Scientology</strong>-Führer David<br />

Miscavige den 11. September als »Weckruf« bezeichnete,<br />

hörte <strong>Tom</strong> sicher genau zu. Ein <strong>Scientology</strong>-<br />

Insider berichtet: »<strong>Tom</strong> hat bestimmt mit Miscavige<br />

darüber gesprochen, was er zur Verbreitung von<br />

<strong>Scientology</strong> tun könne, denn offenbar wurde <strong>die</strong> Zeit<br />

knapp.« Zweifellos bestätigten <strong>die</strong> Ereignisse um den<br />

-337-


11. September <strong>die</strong> apokalyptische Weltsicht L. Ron<br />

Hubbards. Die Mitglieder von <strong>Scientology</strong> sollten sich<br />

noch mehr engagieren, noch härter arbeiten, um den<br />

von »Händlern des Chaos« überrannten Planeten zu<br />

retten. H<strong>und</strong>erte von sogenannten Volunteer Ministers<br />

(»Ehrenamtliche Geistliche«) in auffälligen gelben T-<br />

Shirts wurden zu Gro<strong>und</strong> Zero geschickt, um den Rettungskräften<br />

»Kontaktbeistand« – eine Art spirituelle<br />

Massage – anzubieten, neue Mitglieder zu werben <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Arbeit der dort tätigen Psychologen zu behindern.<br />

Sie zeigten sich derartig hartnäckig, dass <strong>die</strong> National<br />

Mental Health Association <strong>die</strong> ahnungslose Bevölkerung<br />

warnend darauf hinwies, dass Scientologen auf<br />

dem Gelände tätig seien.<br />

Hubbards Worte schufen Klarheit für <strong>Cruise</strong>, sie zeigten<br />

ihm das Chaos <strong>und</strong> das Böse in den Vorgängen auf<br />

der Welt aus einem größeren Blickwinkel. Die zeitliche<br />

Vision, <strong>die</strong> <strong>Scientology</strong> anbot, war verlockend. Sie beseitigte<br />

<strong>die</strong> bestehende Unsicherheit <strong>und</strong> Verlassenheit,<br />

indem sie auf den größeren Kampf verwies, der<br />

seit Jahrtausenden im Gange war; solche lokalen Zerstörungen<br />

waren nur ein Teil davon. Für <strong>Tom</strong> waren<br />

<strong>die</strong> Tage, da er sich bedeckt hielt, vorbei; er sah sich<br />

jetzt als Vertreter seiner Religion mit einer höheren<br />

Aufgabe betraut. Alle mussten sich mehr engagieren,<br />

aber auf <strong>Tom</strong>s Schultern ruhte eine noch größere Verantwortung.<br />

Seine Berühmtheit brachte <strong>die</strong> Pflicht mit<br />

sich, <strong>Scientology</strong> den Massen nahezubringen.<br />

Am 16. November 2001, dem Tag, an dem Fran La-<br />

Forte den Sohn zur Welt brachte, der seinen Vater<br />

niemals kennenlernen sollte, unterzeichnete <strong>Tom</strong> <strong>die</strong><br />

endgültige finanzielle Regelung seiner Scheidung von<br />

Nicole. Jetzt konnte er neu durchstarten. Er zog sich<br />

erst einmal in <strong>die</strong> vertraute Geborgenheit seiner eigenen<br />

<strong>und</strong> der <strong>Scientology</strong>-Familie zurück. Seine<br />

Schwestern zogen mit ihren Kindern in sein neues<br />

-338-


Haus in Hollywood, seine Mutter kam regelmäßig zu<br />

Besuch <strong>und</strong> begann mit der Zeit, ebenso wie Penelope,<br />

mit Kursen im Celebrity Centre. Es wurde gemunkelt,<br />

dass er <strong>und</strong> Penelope bald heiraten würden.<br />

Verstärkt wurde der Eindruck des 11. September,<br />

scheinbar ein Beweis der <strong>Scientology</strong>-Lehre, durch<br />

Einflüsse aus seiner eigenen großen Familie. Jetzt, da<br />

keine kritische Nicole mehr da war, lautete <strong>die</strong> Botschaft<br />

seiner Schwester Lee Anne, einer überzeugten<br />

Scientologin, dass er sich wieder intensiv der Kirche<br />

widmen müsse. <strong>Scientology</strong> verfügte über <strong>die</strong> notwendigen<br />

Instrumente, um ihm seine gescheiterte Ehe, <strong>die</strong><br />

Gerüchte über seine sexuelle Orientierung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Katastrophe<br />

des 11. September bewältigen zu helfen.<br />

<strong>Tom</strong> hatte sich zwar seiner Religion immer verb<strong>und</strong>en<br />

gefühlt, war aber nie lautstark dafür eingetreten,<br />

manchmal schien ihm seine Verbindung zu <strong>die</strong>ser Organisation<br />

fast peinlich zu sein. Seine PR-Agentin Pat<br />

Kingsley hatte 1993 Zweifel an seiner Religion als<br />

»unamerikanisch« zurückgewiesen. Damals hatte er<br />

seine Mitgliedschaft tatsächlich in Frage gestellt, <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Führung hatte sich hinter den Kulissen<br />

eifrig bemüht, ihren weltweit bekannten Hollywoodstar<br />

»zurückzugewinnen«. Jetzt verwandelte sich der<br />

Mann, der Fragen zu <strong>Scientology</strong> so lange ausgewichen<br />

war, in einen glühenden Verfechter <strong>die</strong>ser Lehre.<br />

Erste Hinweise auf seine veränderte Einstellung gab<br />

es im Dezember 2001, als <strong>Tom</strong> auf Promotion-Tour für<br />

seinen Film Vanilla Sky war, interessanterweise eine<br />

Geschichte über den reichen Besitzer eines Verlagsimperiums,<br />

der mit der Hilfe der mysteriösen Firma »Life<br />

Extensions« nach seinem Tod weiterlebt. Als das Thema<br />

während eines Interviews mit Vanity Fair angeschnitten<br />

wurde, schien sich <strong>Cruise</strong> mit einem Schlag<br />

vollkommen zu verändern, wie der Interviewer über-<br />

-339-


ascht anmerkte. Seine Stimme sank fast zu einem<br />

Flüstern herab, <strong>und</strong> seine Augen bekamen einen »intensiven,<br />

flackernden Blick«, als er sagte: »Seit dem<br />

11. September haben <strong>die</strong> Dinge eine andere Bedeutung.<br />

Wir haben eine Verpflichtung, nicht nur für unser<br />

Land, sondern für den ganzen Planeten.« Bei einem<br />

anderen Gespräch bemerkte <strong>Tom</strong>: »Ich denke, <strong>die</strong> Sache<br />

mit dem World Trade Center hat <strong>die</strong>ses Land gewissermaßen<br />

seiner zivilisatorischen Firnis beraubt.«<br />

Während der weltweiten Werbekampagne für Vanilla<br />

Sky, <strong>die</strong> im neuen Jahr begann, nutzte <strong>Tom</strong> zum ersten<br />

Mal seinen <strong>Star</strong>status, um <strong>Scientology</strong> offensiv zu<br />

»verkaufen«. Und Penelope besuchte gemeinsam mit<br />

ihm <strong>die</strong> amerikanischen Botschafter in Frankreich,<br />

Deutschland <strong>und</strong> Spanien – alles Länder, in denen<br />

man <strong>Scientology</strong> sehr ablehnend gegenübersteht –,<br />

um <strong>die</strong> Sache der »Religionsfreiheit« zu unterstützen.<br />

In Berlin traf sich das Paar mit US-Botschafter Dan<br />

Coats <strong>und</strong> versuchte, ihn zur Einflussnahme auf <strong>die</strong><br />

deutsche Regierung zu bewegen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Sekte vom<br />

Verfassungsschutz überwachen ließ; <strong>Scientology</strong> sollte<br />

endlich offiziell als Religion anerkannt werden. Nach<br />

dem Gespräch gab <strong>Cruise</strong> fast eine ganze St<strong>und</strong>e lang<br />

Autogramme <strong>und</strong> unterhielt sich mit von der Anwesenheit<br />

des <strong>Star</strong>s schwer beeindruckten Mitarbeitern<br />

der Botschaft.<br />

Es war nicht das erste Mal, dass <strong>Scientology</strong> auf<br />

Prominente zurückgriff, um auf einem für sie wichtigen<br />

Markt einen Fuß in <strong>die</strong> Tür zu bekommen. Im Januar<br />

1997 setzten 34 Hollywood-Persönlichkeiten, darunter<br />

Dustin Hoffman, Gol<strong>die</strong> Hawn, Larry King <strong>und</strong> Oliver<br />

Stone, ihren Namen unter einen offenen Brief an den<br />

damaligen B<strong>und</strong>eskanzler Helmut Kohl, in dem sie <strong>die</strong><br />

Behandlung von Scientologen in Deutschland mit der<br />

Judenverfolgung unter Hitler verglichen. Die ganzseitige<br />

Anzeige, <strong>die</strong> in der International Herald Tribüne<br />

-340-


erschien, veranlasste das US-Außenministerium zu der<br />

scharfen Äußerung, dass der Brief eine »ungeheuerliche<br />

Beschuldigung« darstelle, <strong>die</strong> in »keiner Weise<br />

konkrete Vorgänge widerspiegle«. Später stellte sich<br />

heraus, dass fast alle, <strong>die</strong> unterschrieben hatten, zwar<br />

nicht unbedingt Scientologen waren, aber mit <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> oder John Travolta in Verbindung standen. Als<br />

Antwort darauf stellte der deutsche Botschafter klar,<br />

dass <strong>Scientology</strong> eine Gefahr für <strong>die</strong> demokratischen<br />

Gr<strong>und</strong>prinzipien Deutschlands darstelle. »Die pseudowissenschaftlichen<br />

Kurse der Organisation können <strong>die</strong><br />

psychische <strong>und</strong> physische Ges<strong>und</strong>heit eines Menschen<br />

ernsthaft gefährden, <strong>und</strong> sie beutet ihre Mitglieder<br />

aus.« Ohne sich entmutigen zu lassen, erschienen im<br />

September 1997 <strong>die</strong> Promi-Scientologen Chick Corea,<br />

Isaac Hayes <strong>und</strong> John Travolta vor einem Kongressausschuss<br />

in Washington, um sich über <strong>die</strong> Behandlung<br />

von Scientologen in Deutschland zu beschweren.<br />

In Spanien, einer nächsten Station der Promotion-<br />

Tour für Vanilla Sky – wo <strong>Scientology</strong> Kidnapping,<br />

Steuerbetrug <strong>und</strong> Schädigung der öffentlichen Ges<strong>und</strong>heit<br />

vorgeworfen wurde, es jedoch nie zu einer<br />

rechtlichen Verurteilung kam –, war Penelopes Anwesenheit<br />

in ihrer Heimatstadt Madrid ein erheblicher<br />

Vorteil. Die Tatsache, dass eine berühmte spanische<br />

Katholikin sich demonstrativ an <strong>die</strong> Seite ihres Scientologen-Fre<strong>und</strong>es<br />

stellte, gab <strong>die</strong>ser Lehre einen Anstrich<br />

von Legitimität. Was natürlich <strong>die</strong> Absicht dahinter<br />

war.<br />

Die Kritik an seiner Religion verstärkte höchstens<br />

<strong>Tom</strong>s missionarischen Eifer. Er nahm sich eine Auszeit<br />

von der Promotion-Tour für Vanilla Sky, um einem<br />

frenetisch jubelnden, nahezu hysterischen Scientologen-Publikum<br />

in Hollywood zu verkünden, dass er nun<br />

»<strong>die</strong> wichtigste Sache seines Lebens« geschafft habe:<br />

Er hatte <strong>die</strong> hohe Stufe eines Operating Thetan V (»O-<br />

-341-


perierender Thetan«) erreicht. Es war ein mühsamer –<br />

<strong>und</strong> kostspieliger – Weg gewesen, sich über <strong>die</strong> verschiedenen<br />

Hubbard-Kurse von OT III zu OT V hochzuarbeiten.<br />

<strong>Tom</strong> hatte nun außer seiner Berühmtheit<br />

auch andere Referenzen vorzuweisen <strong>und</strong> durfte Leute<br />

auf allen niedrigeren Stufen von Hubbards New-Era-<br />

Dianetik auditieren.<br />

Doch Hubbards Lehre hatte noch viel mehr zu bieten.<br />

Bei Hubbard verband sich <strong>die</strong> überbordende Phantasie<br />

eines Science-Fiction-Autors mit den zweckorientierten<br />

Predigerqualitäten eines Sektenführers. Nach seiner<br />

Vorstellung spielte sich das Leben in verschiedenen<br />

Universen <strong>und</strong> Zeiten ab, er behauptete, bereits zweimal<br />

im Himmel gewesen zu sein, <strong>und</strong> versprach, nach<br />

seinem Tod auf <strong>die</strong> Erde zurückzukehren. Hubbards<br />

galaktische Vision lieferte <strong>die</strong> Vorlage für John Travoltas<br />

vernichtend kritisierten Film Battlefield Earth aus<br />

dem Jahr 2000. Es war <strong>die</strong> Vision einer Welt, in der <strong>die</strong><br />

Erde zu einer nahezu unbewohnten Ödnis geworden<br />

ist, in der »böse außerirdische Psychlos« <strong>die</strong> wenigen<br />

Menschen beherrschen, <strong>die</strong> nach der Zerstörung tausend<br />

Jahre zuvor übrig geblieben sind. Die letzten Überlebenden<br />

verbünden sich <strong>und</strong> versuchen verzweifelt,<br />

<strong>die</strong> Psychos von der Erde zu vertreiben, ehe <strong>die</strong><br />

Menschheit für immer verloren ist.<br />

Für Scientologen ist eine solch apokalyptische Weltsicht<br />

keine Fiktion. Die Kirche gibt Millionen dafür aus,<br />

Hubbards Gedanken auf H<strong>und</strong>erte von Edelstahltafeln<br />

<strong>und</strong> -Scheiben eingravieren zu lassen, <strong>die</strong> dann, in<br />

hitzebeständigen Titanbehältern verpackt, damit sie<br />

eine nukleare Katastrophe überstehen, an mindestens<br />

drei abgelegenen Orten in Kalifornien <strong>und</strong> New Mexico<br />

in unterirdischen Gewölben eingelagert werden. Ein<br />

solcher Platz in Santa Fe, New Mexico, ist mit riesigen<br />

Hieroglyphen ähnlich Getreidekreisen gekennzeichnet.<br />

Diese Markierungen sollen Außerirdischen signalisie-<br />

-342-


en, dass es einmal intelligentes Leben auf der Erde<br />

gegeben hat, <strong>und</strong> ihnen das Auffinden <strong>die</strong>ser Intelligenz<br />

erleichtern – nur für den Fall, dass wir auf unserem<br />

Planeten nicht lange genug überleben. Es ist aufschlussreich,<br />

dass <strong>die</strong>se Science-Fiction-Weltsicht, über<br />

<strong>die</strong> man sich fast überall nur lustig macht, einen<br />

Menschen wie <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> ansprechen konnte.<br />

Doch sie tat es. <strong>Tom</strong> saugte jedes Wort in sich auf,<br />

klammerte sich zutiefst überzeugt an jeden Satz. Hubbards<br />

Schriften waren für ihn so verbindlich wie <strong>die</strong><br />

Bibel. Jedes Wort, jede Äußerung, jeder Gedanke in<br />

den Schriften der Kirche war f<strong>und</strong>amental, besaß absolute<br />

Gültigkeit – unveränderbar wie in Stein gemeißelt,<br />

oder vielmehr auf Titantafeln. Als Kind hing <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> oft Tagträumen nach, er schaute gerne in <strong>die</strong><br />

Sterne <strong>und</strong> liebte Filme wie E.T. Als erwachsener Mann<br />

hat er eine manichäisch-dualistische Weltsicht: Es gibt<br />

nur schwarz oder weiß, richtig oder falsch, gut oder<br />

böse. Entweder du gehörst dazu, oder du bist draußen.<br />

Hubbards Schriften bestätigten <strong>Tom</strong>s eigene Gedanken<br />

<strong>und</strong> Gefühle. <strong>Der</strong> Mann, den er seinen großen<br />

Lehrer <strong>und</strong> Mentor nannte, hatte ihm ein Glaubenssystem<br />

gegeben, das genau zu seiner Persönlichkeit passte.<br />

Seine Vorliebe für technische Dinge <strong>und</strong> <strong>die</strong> Möglichkeiten<br />

der Zukunft hatte <strong>Cruise</strong> ein paar Monate zuvor<br />

dadurch in <strong>die</strong> Praxis umgesetzt, dass er in einem Hotel<br />

in Santa Monica eine Geheimkonferenz von Wissenschaftlern<br />

<strong>und</strong> Technokraten organisierte. Er bereitete<br />

sich gerade auf den Spielberg-Film Minority Report<br />

vor, der im Jahr 2054 spielen sollte, <strong>und</strong> <strong>Cruise</strong> erhoffte<br />

sich von den Teilnehmern Einschätzungen dazu, wie<br />

<strong>die</strong> Zukunft aussehen würde, weil der Film möglichst<br />

realistisch werden sollte.<br />

Das pseudotechnische Gehabe <strong>und</strong> <strong>die</strong> futuristische<br />

Weltsicht von <strong>Scientology</strong> sprachen den Technik-Freak<br />

-343-


in ihm an. Es machte ihm Spaß, Handbücher zu lesen;<br />

<strong>die</strong> wissenschaftliche Sprache gefiel ihm. Vielleicht<br />

kam sich der »mittelmäßige« Schüler aus Glen Ridge<br />

dadurch besonders klug vor.<br />

Im Frühjahr 2002 schien sich für <strong>Tom</strong> ein Lebenstraum<br />

zu erfüllen – als erster Schauspieler ins All zu<br />

fliegen. Er hatte einen privaten Besuch bei der NASA<br />

in Florida arrangiert, um <strong>die</strong> Astronauten des Shuttle-<br />

Programms kennenzulernen. Dies ist bei der NASA<br />

keineswegs üblich, sondern war eine Gegenleistung<br />

dafür, dass <strong>Tom</strong> den Kommentar zu einem Film über<br />

<strong>die</strong> Internationale Raumstation gesprochen <strong>und</strong> deren<br />

schwerfällige Website auf Vordermann gebracht hatte.<br />

Nur begleitet von seinem <strong>Scientology</strong>-Sprecher Michael<br />

Doven, verbrachte <strong>Tom</strong> zwei Tage mit den Astronauten,<br />

beobachtete sie beim Training, auch in den<br />

Wassertanks, wo sie sich wie in der Schwerelosigkeit<br />

des Alls bewegten, <strong>und</strong> schlüpfte sogar in einen<br />

Raumanzug.<br />

Nach der eintägigen Einführung wurden er <strong>und</strong> Doven<br />

mit einer Gruppe von Astronauten in das Haus des<br />

NASA-Generals Jefferson Howell eingeladen. Während<br />

sie <strong>die</strong> Tex-Mex-Küche kosteten <strong>und</strong> gutgekühltes Bier<br />

von der örtlichen Brauerei Shirer genossen, konnte<br />

<strong>Tom</strong> vor Aufregung kaum ruhig sitzen, erzählte ununterbrochen<br />

von seiner Liebe zum Fliegen <strong>und</strong> stellte<br />

unendlich viele Fragen zur Raumfahrt. Während man<br />

sich über Bergsteigen, Stockcar-Rennen, Fallschirmspringen<br />

<strong>und</strong> seine anderen Hobbys unterhielt, äußerte<br />

sein Gastgeber auch ein paar warnende Worte zu<br />

<strong>Tom</strong>s jungenhaft-ungestümer Art, <strong>die</strong> Dinge anzugehen.<br />

»Er sollte als alter Knabe, der schon ein paarmal<br />

fast mit einem Flugzeug abgestürzt wäre, auch mal an<br />

seine Grenzen denken«, meinte der Gastgeber, General<br />

Jefferson Howell, nachdem <strong>Tom</strong> ihm von seinen<br />

Beinahe-Abstürzen erzählt hatte.<br />

-344-


Beim Schwadronieren mit Männern, <strong>die</strong> er aufrichtig<br />

bew<strong>und</strong>erte, war <strong>Tom</strong> in seinem Element. Mit »Helden<br />

der Nation«, wie <strong>Tom</strong> Wolfe sie in seinem Bestseller<br />

beschrieb, modernen Abenteurern <strong>und</strong> Piraten.<br />

Das war umso pikanter, als <strong>Tom</strong> sich für seinen<br />

nächsten Film The Last Samurai gerade einen Bart<br />

stehen ließ. Er handelt von Kriegern mit einem Ehrenkodex,<br />

Pflichtgefühl <strong>und</strong> Mut, ähnlich den Werten der<br />

Männer <strong>und</strong> Frauen, <strong>die</strong> an jenem Abend um den Tisch<br />

saßen. Während <strong>Tom</strong> bewies, dass er genug Mumm in<br />

den Knochen hatte, um sich mit Astronautentraining<br />

zu versuchen, zerbarsten seine Träume vom Flug ins<br />

All in tausend Teile, als im Februar 2003 das Space-<br />

Shuttle Columbia beim Wiedereintritt in <strong>die</strong> Erdatmosphäre<br />

über Texas in Flammen aufging <strong>und</strong> das Programm<br />

für mehr als zwei Jahre eingefroren wurde.<br />

Daraufhin rief <strong>Tom</strong> den damaligen Chef des Astronautencorps,<br />

Charlie Precourt, an <strong>und</strong> drückte ihm sein<br />

Beileid aus.<br />

Den Weltraum musste <strong>Tom</strong> vorerst seinem spirituellen<br />

Führer L. Ron Hubbard überlassen. Dafür machte<br />

er rasante Fortschritte bei der Entwicklung zum eigenen<br />

Gott, arbeitete sich zum Operating Thetan VI<br />

hoch, ein Zeichen, wie eifrig er seinen Körper mit Hilfe<br />

des Selbstauditing von den Geistern toter Seelen befreite.<br />

Als er im Juli 2002 bei einer Graduierungsfeier<br />

in Clearwater, Florida, vor einem ekstatischen Scientologen-Publikum<br />

sprach, empfing ihn eine Atmosphäre<br />

der Anbetung wie für den wiedergekehrten Messias,<br />

<strong>die</strong> Verwandlung vom Celebrity-Mitglied zum demagogischen<br />

Prediger war vollzogen. Er dankte seiner Familie,<br />

erwähnte stolz, dass eine seiner Schwestern gerade<br />

»clear« geworden sei, eine andere <strong>die</strong> Stufe OT III<br />

erreicht habe, <strong>und</strong> dankte namentlich »Dave« Miscavige<br />

– <strong>die</strong> verkürzte Form des Namens sollte bewusst<br />

-345-


andeuten, wie nahe sie sich stehen – <strong>und</strong> natürlich vor<br />

allem seinem Mentor L. Ron Hubbard.<br />

Er versprach der ihm huldigenden Menge feierlich,<br />

sein Leben von nun an der Verbreitung der <strong>Scientology</strong>-Lehre<br />

zu widmen. Das war zwar nicht mehr, als<br />

Hubbard von einem Scientologen, der <strong>die</strong>se hohe Stufe<br />

erreicht hatte, ohnehin erwartete, aber von <strong>Tom</strong>s missionarischem<br />

Eifer <strong>und</strong> Engagement wäre selbst der<br />

Gründer der Bewegung beeindruckt gewesen. <strong>Der</strong> Society-Reporter<br />

Jess Cagle kam während eines Gesprächs<br />

im Juni 2002 zu dem Schluss: »<strong>Cruise</strong> ist<br />

mehr als ein Verteidiger von <strong>Scientology</strong>, er ist ein<br />

entschiedener Fürsprecher.«<br />

Er war nicht nur Fürsprecher, sondern auch Lehrer,<br />

Spender, Prediger <strong>und</strong> Anwerber, der seine Prominenz<br />

<strong>und</strong> sein Image als gepflegter Actionheld einsetzte, um<br />

Zugang zu den Schalthebeln der Macht zu bekommen,<br />

während er <strong>Scientology</strong> als ganz gewöhnliche Institution<br />

für ganz normale Leute darstellte – »wie der Rotary<br />

Club oder <strong>die</strong> Baptistengemeinde«. Das war ein wesentlicher<br />

Bestandteil von Hubbards Strategie: durch<br />

den Einsatz prominenter Mitglieder Anerkennung <strong>und</strong><br />

Glaubwürdigkeit gewinnen – <strong>und</strong> neues »Frischfleisch«<br />

zu rekrutieren.<br />

<strong>Tom</strong> machte sich mit Begeisterung an seine Aufgabe.<br />

Als er in Neuseeland The Last Samurai drehte, gab er<br />

James Packer, dem Sohn von Australiens reichstem<br />

Mann Kerry Packer, eine zusätzliche Rolle als Samurai.<br />

<strong>Der</strong> von einer überlebensgroßen Vaterfigur dominierte<br />

James Packer, übergewichtig <strong>und</strong> untrainiert, machte<br />

eine traurige Figur. Nicht nur, dass seine Firma One.Tel<br />

Communications bankrott gegangen war, auch<br />

seine Frau hatte ihn nach nur zwei Jahren Ehe verlassen.<br />

Sein »Ruin« war für jeden offensichtlich – <strong>und</strong> es<br />

dauerte nicht lange, bis er sich in <strong>Scientology</strong>-Literatur<br />

vertiefte, im <strong>Scientology</strong>-Zentrum in D<strong>und</strong>as Kurse<br />

-346-


absolvierte <strong>und</strong> nach Hollywood zum Celebrity Centre<br />

flog. Im Juli 2002, auf der Party zu <strong>Tom</strong>s 40. Geburtstag,<br />

konnte man den Eindruck bekommen, der<br />

35-jährige Geschäftsmann mache gerade seine Midlifecrisis<br />

durch <strong>und</strong> nicht der ältere Schauspieler. Später<br />

sagte Packer, er bew<strong>und</strong>ere <strong>Cruise</strong> »unheimlich – sein<br />

Auftreten, seine Bescheidenheit, seine Werte, seine<br />

Anständigkeit«.<br />

Packer war ein idealer Adept. Er war nicht nur unglaublich<br />

reich <strong>und</strong> emotional durcheinander, sondern<br />

auch eine bekannte Persönlichkeit in einem Land, das<br />

<strong>Scientology</strong> ablehnend gegenüberstand, in dem es in<br />

einem Regierungsbericht von 1965 sogar hieß, <strong>die</strong> Organisation<br />

sei »von Übel«. Er war nur einer von einer<br />

ganzen Reihe Prominenter, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong> für <strong>Scientology</strong> zu<br />

gewinnen versuchte, wobei es nicht nur darum ging,<br />

dass <strong>die</strong> Betreffenden reich <strong>und</strong> berühmt waren, sondern<br />

dass sie auch eine gewisse gesellschaftliche Stellung<br />

in ihren Ländern oder Gemeinschaften hatten. So<br />

wurden wegen ihrer Stellung in der afroamerikanischen<br />

Gemeinschaft zum Beispiel der Schauspieler Will<br />

Smith <strong>und</strong> seine Frau Jada Pinkett Smith umworben,<br />

<strong>und</strong> es hieß, dass Jada offenbar ihre Kinder zu Hause<br />

unterrichtet <strong>und</strong> dabei Hubbards Lerntechniken anwendet.<br />

Es war auch nicht von Nachteil, dass <strong>Tom</strong>s<br />

neue Liebe Penelope Cruz aus Spanien kam, einem<br />

Markt, den <strong>Scientology</strong> zu entwickeln <strong>und</strong> auszubeuten<br />

gedachte.<br />

Außer neue Mitglieder zu werben, spendete er auch<br />

großzügig für verschiedene <strong>Scientology</strong>-<strong>Projekt</strong>e, im<br />

September 2002 über 1,2 Millionen Dollar für ein mit<br />

<strong>Scientology</strong> verb<strong>und</strong>enes Ges<strong>und</strong>heitszentrum in New<br />

York zur Betreuung der Rettungskräfte vom 11. September.<br />

»Nach der Katastrophe vom 11. September<br />

musste ich einfach etwas tun. Ich wusste doch, wie<br />

viel Gift da herumflog. Ich war informiert«, erklärte er<br />

-347-


gegenüber dem Magazin Marie Claire. Dieses von ihm<br />

unterstützte Zentrum mit Namen »New York Rescue<br />

Workers Detoxification Project« behauptete, mit <strong>Scientology</strong><br />

in keiner direkten Verbindung zu stehen, allerdings<br />

wurden ausschließlich Behandlungen nach der<br />

Hubbard-Lehre angeboten. Eingerichtet wurde es von<br />

der Fo<strong>und</strong>ation For Advancements in Science and Education<br />

(FASE; »Stiftung zur Förderung von Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Bildung«), einer Tarnorganisation von <strong>Scientology</strong>,<br />

<strong>die</strong> seit 1981 <strong>die</strong> Forschung zu Hubbards<br />

Entgiftungsprogramm leitet.<br />

Dr. David E. Root, der dem Beirat angehörte, war voll<br />

des Lobes für <strong>Tom</strong>s Engagement. »Wir werden nie<br />

vergessen, was <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> für <strong>die</strong> uniformierten Rettungskräfte<br />

im Dienste New Yorks tut. Sein Engagement<br />

für <strong>die</strong>ses <strong>Projekt</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> bemerkenswerten Resultate,<br />

<strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Entgiftung erzielt werden, sind<br />

einer der wenigen Lichtblicke bei <strong>die</strong>ser schrecklichen<br />

Tragö<strong>die</strong>.«<br />

An <strong>die</strong> 300 Feuerwehrleute <strong>und</strong> andere Rettungskräfte<br />

unterzogen sich in der Klinik in Lower Manhattan<br />

einem kostenlosen Entgiftungsprogramm nach der<br />

Lehre Hubbards. Es umfasste Saunagänge bei hoher<br />

Temperatur, das Trinken mehrfach ungesättigter<br />

Pflanzenöle, wie sie üblicherweise zum Fritieren verwendet<br />

werden, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Einnahme bedenklich hoher<br />

Dosen Niacin (Vitamin B3), das bei Überdosierung zu<br />

Leberschäden, Herzrasen, Hautrötungen <strong>und</strong> metabolischer<br />

Azidose – einer potenziell tödlichen Übersäuerung<br />

des Blutes – führen kann. Manche der Behandelten<br />

setzten während <strong>die</strong>ser Entgiftung sogar vom Arzt<br />

verschriebene Medikamente wie Antidepressiva, Asthmamittel<br />

<strong>und</strong> blutdrucksenkende Tabletten ab.<br />

Das Entgiftungsprogramm entsprach in allem außer<br />

dem Namen exakt dem sogenannten »Purification<br />

R<strong>und</strong>own« (»Reinigungs-R<strong>und</strong>own«) – der Scientolo-<br />

-348-


gy-Mitgliedern empfohlenen, umstrittenen Methode<br />

zur »Reinigung«. Zu den langen Saunagängen <strong>und</strong><br />

körperlichen Übungen gibt es eine möglicherweise erf<strong>und</strong>ene<br />

Geschichte über den Sänger Michael Jackson,<br />

dessen frühere Frau Lisa Marie Presley ihn 1994 mit<br />

der <strong>Scientology</strong>-Lehre vertraut machte. Michael Jackson<br />

hatte <strong>Scientology</strong> schon viel länger im Visier gehabt<br />

als <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>; vor lauter Begeisterung darüber,<br />

ein so prominentes Mitglied anwerben zu können, hatte<br />

<strong>Scientology</strong>-Führer David Miscavige sogar dessen<br />

»Moonwalk« gelernt <strong>und</strong> führte <strong>die</strong>s öffentlich an Bord<br />

des <strong>Scientology</strong>-Kreuzschiffs Freewinds vor. Nach völlig<br />

aus der Luft gegriffenen, bösartigen Gerüchten soll<br />

das Gesicht Jacksons, der sich zahlreichen chirurgischen<br />

Eingriffen unterzogen hat, während des »Purification<br />

R<strong>und</strong>own« in der Sauna begonnen haben zu<br />

zerfließen; er habe ausgesehen »wie <strong>die</strong> Hexe im Zauberer<br />

von Oz«. Kurze Zeit später soll Jackson <strong>die</strong> Organisation<br />

verlassen haben.<br />

Andere kritische Bewertungen zu Hubbards Entgiftungsprogramm<br />

sind wesentlich f<strong>und</strong>ierter, nüchterner<br />

<strong>und</strong> beunruhigender. Als Ärzte der New Yorker Feuerwehr<br />

das Rescue Workers Detoxification Project überprüften,<br />

kamen sie zu dem Schluss, dass es sich nicht<br />

um ein medizinisch begründetes Behandlungsschema<br />

zur Entgiftung handelt. Frank Gribbon, stellvertretender<br />

Chef der New Yorker Feuerwehr, sagte gegenüber<br />

der New York Daily News: »Wir billigen es nicht.«<br />

Nicht nur <strong>die</strong> größte Gewerkschaft der Stadt entzog<br />

dem <strong>Projekt</strong> seine Unterstützung, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Feuerwehr<br />

tätigen Ärzte rieten den Feuerwehrleuten dringend,<br />

ihre ärztlich verschriebenen Medikamente weiter<br />

zu nehmen. »Es gibt keine Belege dafür, dass das<br />

[Entgiftungsprogramm] hilft«, sagte der stellvertretende<br />

medizinische Leiter David Prezant.<br />

-349-


Noch vernichtender beurteilten andere Experten<br />

Hubbards Methoden <strong>und</strong> Schlussfolgerungen, nachdem<br />

sie sich gründlich damit beschäftigt hatten. <strong>Der</strong> Toxikologe<br />

Dr. Ronald E. Gots, der ein ähnliches <strong>Projekt</strong><br />

1988 in Louisiana analysierte, bezeichnete <strong>die</strong> Methode<br />

als »Quacksalberei« <strong>und</strong> merkte an, dass »kein anerkanntes<br />

Toxikologen-Gremium, kein Institut für Arbeitsmedizin<br />

<strong>und</strong> keine staatliche Behörde eine derartige<br />

Behandlung unterstützt oder empfiehlt«. Ein kanadischer<br />

Arzt, Dr. David Hogg, bezeichnete viele von<br />

Hubbards Behauptungen hinsichtlich des »Purification<br />

R<strong>und</strong>own« als »Trugschlüsse oder sogar bewusste Lügen«.<br />

In seiner 1981 verfassten fünfseitigen Analyse<br />

führt er abschließend aus: »Hubbard ist ein großer<br />

Ignorant. Er zeigt durchweg einen völligen <strong>und</strong><br />

manchmal gefährlichen Mangel an Kenntnissen auf<br />

den Gebieten Biochemie, Physik <strong>und</strong> Medizin. Seine<br />

Theorien basieren auf falschen Schlüssen <strong>und</strong> Lügen,<br />

<strong>und</strong> keine lässt sich wissenschaftlich belegen. Darüber<br />

hinaus bringt sein Programm nicht nur <strong>die</strong> versprochenen<br />

Wirkungen nicht, es kann sogar ges<strong>und</strong>heitsschädlich<br />

sein. Es kann deshalb niemandem empfohlen<br />

werden.«<br />

In ähnlicher Weise beurteilte ein weiterer Experte,<br />

Bruce Roe, Professor für Chemie <strong>und</strong> Biochemie an der<br />

Universität von Oklahoma, Hubbards Entgiftungsprogramm<br />

als »reine Kurpfuscherei. Vereinzelt enthält es<br />

wissenschaftliche Erkenntnisse, aber es ist überwiegend<br />

unlogisch, <strong>und</strong> Mr. Hubbards Schlussfolgerungen<br />

entbehren jeder wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>lage.«<br />

Nach <strong>Tom</strong>s Denkart war es ganz einfach: Er wusste<br />

mehr als <strong>die</strong> Ärzte. Er war jetzt ein medizinischer Experte,<br />

weil er Hubbard gelesen hatte. »Ich bin ein<br />

Mensch, der über etwas nachdenkt, <strong>und</strong> wenn ich<br />

weiß, dass es richtig ist, frage ich niemand anderen.<br />

Ich gehe nicht zu jemandem hin <strong>und</strong> sage: >He, was<br />

-350-


meinst du dazu?< Ich habe meine Entscheidungen,<br />

beruflich wie privat, immer allein getroffen«, erzählte<br />

er später dem Autor Neil Strauss. Tatsächlich schien<br />

seine Denkungsart über seine Religion hinauszugehen,<br />

<strong>die</strong> das »Purification R<strong>und</strong>own« als eine religiöse Praxis<br />

bezeichnet, <strong>die</strong> allein auf spirituellen Nutzen ausgerichtet<br />

sei.<br />

<strong>Scientology</strong> hatte ihn bereits davon überzeugt, dass<br />

er alle Antworten kannte. Er kannte <strong>die</strong> Wahrheit,<br />

denn Hubbard war <strong>die</strong> Wahrheit, <strong>die</strong> Quelle, wie Scientologen<br />

es sehen. Jeder andere Standpunkt war pure<br />

Ignoranz. »Viele Arzte haben kaum Erfahrung auf <strong>die</strong>sem<br />

Gebiet«, sagte er mit der Selbstsicherheit eines<br />

Stammtischexperten. »Es gibt alle möglichen Gifte in<br />

der Umwelt, <strong>die</strong> einen Menschen psychisch beeinflussen<br />

können. Eine Bleivergiftung, zum Beispiel, kann<br />

bewirken, dass ein Mensch sich benimmt, als wäre er<br />

völlig verrückt, depressiv. Und <strong>die</strong>se Menschen leben<br />

noch, dachte ich. Diese Männer <strong>und</strong> Frauen, <strong>die</strong> bei<br />

den Rettungsarbeiten ihr Leben riskieren. Und ich<br />

wusste, ich konnte etwas tun, um ihnen zu helfen.«<br />

<strong>Tom</strong> war bereits Anwerber neuer Promi-Mitglieder,<br />

großzügiger Spender <strong>und</strong> medizinischer Experte. Und<br />

jetzt versuchte er sich in Lobbyarbeit bei den Entscheidungsträgern<br />

in Washington als Autorität für<br />

Menschenrechte, für Erziehung <strong>und</strong> Bildung. <strong>Scientology</strong><br />

hatte viel dazugelernt seit der Zeit, als man <strong>die</strong><br />

Regierung als Feind ansah <strong>und</strong> David Miscavige einen<br />

anderen führenden Scientologen spöttisch fragte, warum<br />

er denn überhaupt wählen gehe. Jetzt engagierte<br />

<strong>Scientology</strong> hochkarätige professionelle Lobbyisten,<br />

um ihre Sache zu vertreten, unterstützt durch den<br />

Glitzer <strong>und</strong> Glamour ihrer Hollywoodberühmtheiten.<br />

Am 13. Juni 2003 fand ein privates Treffen statt zwischen<br />

einem der mächtigsten Männer Amerikas, dem<br />

stellvertretenden Außenminister Richard Armitage, <strong>und</strong><br />

-351-


<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>, seinem Fre<strong>und</strong> <strong>Tom</strong> Davis, Chef des Celebrity<br />

Centre in Hollywood, <strong>und</strong> Kurt Weiland, einem<br />

österreichischen Scientologen, der bei <strong>Scientology</strong>s<br />

Office of Special Affairs (OSA) Leiter der Abteilung Äußeres<br />

war. Dreißig Minuten lang hörte sich Armitage<br />

an, was sie an Bedenken über <strong>die</strong> Behandlung von<br />

Scientologen in einigen Ländern, insbesondere<br />

Deutschland, vortrugen.<br />

Zuerst konnte nicht einmal <strong>Tom</strong>s <strong>Star</strong>status ein Treffen<br />

mit Armitage ermöglichen; er musste sich mit John<br />

Hanford, dem Sonderbotschafter für Religionsfreiheit,<br />

zufriedengeben. Doch <strong>Tom</strong> blieb hartnäckig <strong>und</strong><br />

schrieb an Armitage persönlich, dass er »sehr daran<br />

interessiert sei, mit ihm zu sprechen. Ich kenne Ihre<br />

Geschichte <strong>und</strong> Ihre Pflichten als stellvertretender Außenminister<br />

<strong>und</strong> bin sicher, dass ich Ihnen meine Gedanken<br />

in einem kurzen Gespräch darstellen kann.«<br />

<strong>Tom</strong> unterstrich, dass er über <strong>die</strong> angeblichen Menschenrechtsverletzungen<br />

an Scientologen in Deutschland<br />

gut informiert sei: »Ich habe mich zu <strong>die</strong>sen Vorgängen<br />

k<strong>und</strong>ig gemacht <strong>und</strong> bin bemüht, stets auf<br />

dem Laufenden zu sein«, schrieb er einigermaßen geschwollen.<br />

»Ich beobachte <strong>die</strong> Situation in <strong>die</strong>sen Ländern<br />

sehr genau <strong>und</strong> habe im vergangenen Monat von<br />

Versuchen erfahren, den Auftritt zweier amerikanischer<br />

Künstler zu verhindern, nur weil sie Mitglieder<br />

der <strong>Scientology</strong>-Kirche sind.«<br />

<strong>Cruise</strong> erinnerte Armitage auch an seine verschiedenen<br />

Besuche bei amerikanischen Botschaften in Europa,<br />

dass er im vergangenen Jahr <strong>die</strong> US-Botschaften in<br />

Deutschland, Frankreich <strong>und</strong> Spanien besucht <strong>und</strong> mit<br />

dem jeweiligen Botschafter über das Problem der religiösen<br />

Intoleranz in <strong>die</strong>sen Ländern gesprochen habe.<br />

Er erwähnte auch, dass er hoffe, ein Gespräch mit Vizepräsident<br />

Dick Cheney führen zu können.<br />

-352-


Am Tag nach seinem Treffen mit Armitage saß <strong>Tom</strong><br />

mit Cheneys Stabschef Scooter Libby zusammen. Zwei<br />

Jahre später, als Libby wegen Meineids <strong>und</strong> Behinderung<br />

der Justiz vor Gericht stand, erinnert sich Craig<br />

Schmall, der CIA-Mitarbeiter, der dem Stabschef täglich<br />

Instruktionen gegeben hatte, in seiner Zeugenaussage<br />

daran, dass Libby »aufgeregt« gewesen sei<br />

<strong>und</strong> damit geprahlt habe, dass er sich zu einem persönlichen<br />

Gespräch mit <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> Penelope Cruz<br />

treffe. Gegenstand des Gesprächs waren wieder einmal<br />

<strong>Tom</strong>s Bedenken hinsichtlich der Behandlung von<br />

Scientologen in Deutschland.<br />

Diese Episode zeigt – zur gleichen Zeit musste sich<br />

<strong>die</strong> Regierung zunehmend Sorgen machen wegen des<br />

Debakels im Irak –, wie leicht sich <strong>Star</strong>s Zugang zu<br />

<strong>und</strong> Einfluss auf höchste Regierungskreise verschaffen<br />

können. Nicht was er wusste, verschaffte <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

eine Au<strong>die</strong>nz bei <strong>die</strong>sen vielbeschäftigten, mächtigen<br />

Männern, sondern wer er war. Früher hing der politische<br />

Einfluss von der Herkunft, von Geld <strong>und</strong> gesellschaftlicher<br />

Stellung ab. In unserer auf Berühmtheit<br />

fixierten Gesellschaft sind von <strong>Star</strong>s tief beeindruckte<br />

Politiker Wachs in den Händen der neuen Gattung von<br />

Klinkenputzern aus Hollywood.<br />

Im selben Monat, also im Juni 2003, schlüpfte <strong>Tom</strong><br />

noch in eine weitere Rolle; er verwandelte sich von<br />

einem Experten für Menschenrechte zum Experten für<br />

Erziehung <strong>und</strong> Bildung <strong>und</strong> besuchte Washington, um<br />

über das Programm der Regierung Bush »No Child Left<br />

Behind« Geldmittel für L. Ron Hubbards »Study Tech«<br />

lockerzumachen. Diesmal bezog er sich auf seine persönliche<br />

Erfahrung <strong>und</strong> schrieb es Hubbards Lehrmethoden<br />

zu, dass er seine Lernschwierigkeiten überw<strong>und</strong>en<br />

habe. »Wir haben ernsthafte Probleme im Bildungswesen.<br />

Ich kenne mich da aus«, erklärte er kategorisch<br />

<strong>und</strong> meinte damit seinen Kampf gegen <strong>die</strong><br />

-353-


Dyslexie. »Acht Millionen Kinder bekommen heute Medikamente<br />

wegen Schulproblemen.«<br />

Seine Sachkenntnis schien keine Grenzen zu kennen:<br />

»Kennen Sie Ritalin, Adderall, auf <strong>die</strong> Psyche wirkende<br />

Medikamente?« Und <strong>Cruise</strong> fuhr fort: »Von der chemischen<br />

Zusammensetzung her sind sie dasselbe wie<br />

Kokain. Ich wette, das haben Sie nicht gewusst.« Das<br />

Pharmaunternehmen Novartis, das seit über 50 Jahren<br />

das Medikament Ritalin herstellt, bemerkt dazu nüchtern:<br />

»Ritalin macht nicht abhängig, wenn es wie empfohlen<br />

eingenommen wird, wohingegen Kokain ein hohes<br />

Suchtpotenzial hat. Ritalin <strong>und</strong> Kokain sind zwei<br />

sehr verschiedene Substanzen. Sie beeinflussen zwar<br />

ähnliche Teile des Gehirns, wirken dort jedoch unterschiedlich.«<br />

Während Millionen amerikanischer Lehrer <strong>und</strong> Erzieher<br />

niemals <strong>die</strong> Chance bekommen, persönlich mit<br />

dem für ihren Bereich verantwortlichen Minister zu<br />

sprechen, speiste <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> mit dem damaligen Minister<br />

für Erziehung <strong>und</strong> Bildung Rod Paige <strong>und</strong> seinem<br />

Büroleiter John Danielson zu Mittag. Sie waren beeindruckt<br />

von seiner schlüssigen <strong>und</strong> mit Leidenschaft<br />

vorgetragenen Darstellung <strong>und</strong> hörten ihm aufmerksam<br />

zu, als er berichtete, dass es ihm vor <strong>Scientology</strong><br />

Mühe gemacht habe, Düsenflugzeuge fliegen zu<br />

lernen, weil er <strong>die</strong> Handbücher nicht lesen konnte. Erst<br />

als ein Fre<strong>und</strong> ihm Hubbards »Study Tech« nahebrachte,<br />

habe er seine Schwierigkeiten überwinden können<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Prüfung für <strong>die</strong> Fluglizenz bestanden. Wie effektiv<br />

<strong>Cruise</strong>’ Lobbyarbeit ist, beweist <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass er <strong>und</strong> Danielson, der inzwischen in der Privatwirtschaft<br />

arbeitet, enge Fre<strong>und</strong>e wurden, sich häufig<br />

zum Mittagessen trafen <strong>und</strong> Danielson schließlich sogar<br />

ein Study Technology Center in Missouri besuchte.<br />

<strong>Tom</strong> schien ausnahmsweise aus persönlicher Erfahrung<br />

zu berichten. Aber wie wahr ist seine Geschichte?<br />

-354-


Er hat im Laufe der Jahre zwei verschiedene Versionen<br />

seines Kampfes gegen <strong>die</strong> Dyslexie verbreitet. In der<br />

ersten, vor seiner Bekehrung zu <strong>Scientology</strong>, schrieb<br />

er es seinem eisernen Willen <strong>und</strong> der Unterstützung<br />

durch seine Mutter zu, dass er lesen gelernt habe. Wie<br />

bereits erwähnt, bekam er 1985 sogar von Nancy Reagan<br />

im Weißen Haus eine Auszeichnung für seine<br />

Bemühungen überreicht, <strong>die</strong>se Lernstörung in aller<br />

Welt bekannt zu machen.<br />

Nachdem er 1986 Mitglied der <strong>Scientology</strong>-Kirche<br />

wurde, änderte sich <strong>die</strong> Geschichte. Bei den aufgeregten<br />

Interviews, <strong>die</strong> er im Laufe des Jahres 2003 gab,<br />

um Werbung für <strong>die</strong> Lerntechniken von <strong>Scientology</strong> zu<br />

machen, behauptete er, ein »funktionaler Analphabet«<br />

gewesen zu sein, bevor er Hubbard für sich entdeckte.<br />

Nach seiner eigenen Aussage konnte der junge Thomas<br />

Mapother weder richtig lesen noch schreiben. Was<br />

implizit heißt, dass dreizehn Jahre Schule ihm nicht<br />

viel gebracht hatten. In einer Geschichte im Magazin<br />

People mit dem Titel »Mein harter Weg zum Lesen«<br />

zeigte er Verständnis für seine Lehrer <strong>und</strong> meinte, sie<br />

hätten bei ihm nur versagt, weil sie nicht <strong>die</strong> richtigen<br />

didaktischen Instrumente zur Verfügung hatten. »Ich<br />

hatte so viele verschiedene Lehrer, <strong>und</strong> ich habe wirklich<br />

Mitgefühl mit ihnen. Ich weiß, wie sehr sie sich mit<br />

mir abgemüht haben. Sie haben mich angespornt, sich<br />

um mich gekümmert <strong>und</strong> wollten, dass ich gute Leistungen<br />

bringe, aber sie hatten nicht <strong>die</strong> richtigen Instrumente,<br />

um mir wirklich helfen zu können.« Die<br />

Instrumente, <strong>die</strong> ihnen fehlten, waren natürlich <strong>die</strong><br />

Instrumente von <strong>Scientology</strong>.<br />

Erst mit Mitte zwanzig sei ihm ein Licht aufgegangen,<br />

sagte er, als er den <strong>Scientology</strong>-Techniken begegnete<br />

<strong>und</strong> Wörterbücher zu benutzen lernte. Wörter in einem<br />

Lexikon nachzuschlagen ist eine der »Techniken«, <strong>die</strong><br />

<strong>Scientology</strong> seinen Mitgliedern anbietet. »Niemand<br />

-355-


erzählt einem von Wörterbüchern«, sagte er dem Autor<br />

Dotson Rader. »Bei vielen Wörtern kannte ich einfach<br />

nicht ihre Bedeutung.«<br />

Bei späteren Interviews, in denen er von seiner<br />

schwierigen Schulzeit sprach, ging er sogar noch weiter<br />

<strong>und</strong> behauptete, dass er nie wirklich an Dyslexie<br />

gelitten habe, sondern <strong>die</strong>ses Etikett ihm fälschlicherweise<br />

von Schulpsychologen verpasst worden sei –<br />

den Erzfeinden von <strong>Scientology</strong>. Als Larry King <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> im November 2003 interviewte, fragte ihn der<br />

Talkmaster, ob er an Dyslexie leide oder jemals gelitten<br />

habe. <strong>Tom</strong> stritt es dreimal r<strong>und</strong>heraus ab. Er sah<br />

King offen in <strong>die</strong> Augen <strong>und</strong> sagte, er habe niemals<br />

Probleme mit dem Lesen oder Schreiben gehabt.<br />

Stattdessen wiederholte er <strong>die</strong> Geschichte, <strong>die</strong> er<br />

schon zahlreichen anderen Interviewern erzählt hatte:<br />

dass man ihn als lerngestört »etikettiert« habe <strong>und</strong> er<br />

sich erst, nachdem er 1986 Scientologe geworden war,<br />

dank der Geheimnisse von L. Ron Hubbards »Study<br />

Technology« (dt.: Lerntechnik) von <strong>die</strong>sem falschen<br />

Etikett habe befreien können.<br />

Die w<strong>und</strong>erbare Wirkung von Study Tech sei der<br />

Gr<strong>und</strong>, erklärte er, dass er ein beträchtliches Maß an<br />

Zeit <strong>und</strong> Geld für das Hollywood Education and Literacy<br />

Project (HELP; Bildungs- <strong>und</strong> Alphabetisierungsprojekt)<br />

investiert habe, eine angeblich säkulare Organisation,<br />

<strong>die</strong> kostenlosen Nachhilfeunterricht für Kinder<br />

<strong>und</strong> Erwachsene anbietet – nach Hubbards Lernmethode<br />

Study Tech. Aus demselben Gr<strong>und</strong> schnitt er<br />

auch gemeinsam mit Jenna Elfman, Isaac Hayes, Anne<br />

Archer <strong>und</strong> dem Kongressabgeordneten Lacey Clay<br />

feierlich das Band durch bei der Eröffnung des neuen<br />

Lehrerausbildungszentrums Applied Scholastics International<br />

in St. Louis – das ausschließlich nach Hubbards<br />

Lehrmethoden arbeitet.<br />

-356-


»Hätte ich mir als Kind gewünscht, dass es so etwas<br />

gibt?«, fragte <strong>Tom</strong>. »Unbedingt. Es hätte mir viele<br />

St<strong>und</strong>en, Tage <strong>und</strong> Wochen voller Schmerz <strong>und</strong> Scham<br />

erspart.« Gegenüber dem Magazin Marie Claire erklärte<br />

er bescheiden: »Heute kann ich alles lernen.<br />

Hätte ich <strong>die</strong>se Dinge schon damals gewusst… o Mann,<br />

ich hätte schon mit elf Jahren <strong>die</strong> Uni hinter mir gehabt<br />

<strong>und</strong> das Studium im Schnellzugtempo durchgezogen.«<br />

Für jemand, der mit seinen Schulerfahrungen hausieren<br />

geht, um staatliche Gelder lockerzumachen, zeigt<br />

sich <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> erstaunlich zugeknöpft, sobald jemand<br />

seine Behauptungen überprüfen will. Wenn sich<br />

Journalisten in der Vergangenheit auch nur oberflächlich<br />

mit seiner Schulzeit beschäftigt haben, reagierte<br />

er darauf stets auf <strong>die</strong> bekannte Weise, nämlich mit<br />

Androhung rechtlicher Schritte <strong>und</strong> Einschüchterung<br />

durch Profis. Als <strong>die</strong> Reporterin Stephanie Mansfield<br />

mit einem früheren Schulfre<strong>und</strong> von ihm sprach, der<br />

nur Gutes über <strong>Tom</strong> zu sagen wusste, erklärte ihr seine<br />

PR-Agentin Pat Kingsley wütend, sie werde bei keinem<br />

ihrer Promi-K<strong>und</strong>en mehr einen Interviewtermin<br />

bekommen. Sie stand zu ihrem Wort. <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> setzt<br />

sich zwar lautstark für <strong>die</strong> Meinungsfreiheit seiner Mit-<br />

Scientologen ein, aber wenn andere von ihrer Redefreiheit<br />

Gebrauch machen, lässt er sie mit anwaltlicher<br />

oder sonstiger professioneller Hilfe gnadenlos m<strong>und</strong>tot<br />

machen.<br />

Was hat er also zu verbergen? Lehrer, ehemalige<br />

Schulkameraden <strong>und</strong> andere vermitteln ein ganz anderes<br />

Bild von <strong>Tom</strong>s Schulzeit, ein Bild, das mit der<br />

<strong>Scientology</strong>-Propaganda nicht übereinstimmt. Pennyann<br />

Styles, <strong>die</strong> dreißig Jahre an der Robert Hopkins<br />

Public School in Ottawa unterrichtete, erinnert sich<br />

sehr gut an <strong>Cruise</strong>. Sie weiß noch, dass er mit acht<br />

Jahren mit ungefähr zehn anderen Kindern in eine<br />

-357-


Förderklasse kam. Um <strong>die</strong>se spezielle Förderung zu<br />

erhalten, hatte er zuerst von einem Schulpsychologen<br />

begutachtet werden müssen, der bei ihm eine Lernstörung<br />

diagnostizierte.<br />

Pennyann Styles hat Zweifel an <strong>Cruise</strong>’ Behauptung,<br />

dass allein Study Tech ihn von seinen Problemen erlöst<br />

hat. »Wir können Dyslexie nicht heilen, aber wir können<br />

Kindern Bewältigungsstrategien vermitteln, damit<br />

sie gut durchs Leben kommen. Er sagt, <strong>Scientology</strong><br />

habe ihn geheilt, aber kein einziger auf <strong>die</strong>sem Gebiet<br />

kompetenter Lehrer würde ihm das meiner Meinung<br />

nach abnehmen. Eine Dyslexie begleitet einen das<br />

ganze Leben lang. Er möchte <strong>Scientology</strong> als <strong>die</strong> Rettung<br />

bei allen Problemen hinstellen. Es ist eine Schande!«<br />

Auch <strong>Cruise</strong>’ Behauptung, er sei nie im Gebrauch von<br />

Wörterbüchern unterwiesen worden, löst bei seiner<br />

ehemaligen Lehrerin Stirnrunzeln aus. »Aber natürlich<br />

wurden Lexika verwendet«, erinnert sich Pennyann<br />

Styles. »Vor allem zu <strong>Tom</strong>s Zeit waren eine Menge<br />

Lexika vorhanden, denn <strong>die</strong> Schule war damals brandneu<br />

<strong>und</strong> mit reichlich Geld ausgestattet. Ich erinnere<br />

mich sogar, dass sein Klassenlehrer <strong>die</strong> Schüler immer<br />

wieder mit ihrer Handhabung vertraut gemacht hat.«<br />

George Steinburg leitete damals <strong>die</strong> Theater AG an<br />

der Robert-Hopkins-Schule, <strong>und</strong> er hatte ein ausgesprochen<br />

gutes Verhältnis zu <strong>Cruise</strong>. George Steinburg<br />

hatte auch seine Assistentin Marilyn Richardson gebeten,<br />

<strong>Cruise</strong> beim Textlernen zu helfen, indem sie ihm<br />

<strong>die</strong> entsprechenden Passagen vorlas. Auch sie überraschte<br />

<strong>Cruise</strong>’ Behauptung, er sei ein »funktionaler<br />

Analphabet« gewesen. Sie erinnert sich: »<strong>Tom</strong> Mapother<br />

konnte lesen, aber er brauchte sehr lange. Er<br />

hatte ein sehr gutes Gedächtnis, deshalb konnte er<br />

seinen Text ziemlich schnell.« Und Marilyn erinnert<br />

sich auch, dass <strong>Tom</strong>s Mutter ihm in der gleichen Weise<br />

-358-


geholfen hat. Es war also eindeutig nicht so, dass ihm<br />

ein Psychologe mit der Dyslexie-Diagnose ein »falsches<br />

Etikett« aufgeklebt hat, wie er heute alle Welt<br />

glauben machen will.<br />

Obwohl man bei ihm am Anfang seiner schulischen<br />

Laufbahn eine Lernstörung diagnostiziert hatte, kam er<br />

als Teenager offenbar so gut zurecht, dass er keine<br />

besondere Hilfe mehr brauchte. Dank der zusätzlichen<br />

Förderung <strong>und</strong> Unterstützung durch seine Mutter <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Lehrer an der Robert-Hopkins-Schule hatte er seine<br />

Probleme weitestgehend überw<strong>und</strong>en – ganze zwölf<br />

Jahre bevor L. Ron Hubbard in sein Leben trat.<br />

Nach der sechsten Klasse wechselte <strong>Tom</strong> von der Robert-Hopkins-Schule<br />

in <strong>die</strong> Henry-Munro-Mittelschule<br />

in Ottawa. Sein Klassenlehrer Byron Boucher unterrichtete<br />

ihn in mehreren Fächern, darunter auch in<br />

Englisch <strong>und</strong> Mathematik. Boucher, inzwischen im Ruhestand,<br />

erinnert sich an alle Schüler <strong>die</strong>ses Jahrgangs<br />

<strong>und</strong> sagt, in seinen Fächern sei <strong>Tom</strong> Mapother nicht<br />

als lerngestört aufgefallen. Und ganz sicher sei er nie<br />

als förderbedürftig eingestuft worden. Wenn er Probleme<br />

mit dem Lesen <strong>und</strong> Schreiben gehabt hätte,<br />

dann, so Boucher, wäre der Rektor informiert <strong>und</strong> alles<br />

Notwendige unternommen worden, um ihm zu helfen.<br />

»Er war einfach ein durchschnittlicher Schüler. Die Beschreibung<br />

funktionaler Analphabet< deckt sich nicht<br />

mit meiner Erinnerung. Ich kann <strong>die</strong>se Geschichte<br />

nicht glauben. Ein Analphabet kann nicht lesen <strong>und</strong><br />

schreiben, <strong>und</strong> das trifft in <strong>die</strong>sem Fall nicht zu. Es ist<br />

schlichtweg nicht wahr.«<br />

Nach Bouchers Aussage gehörte <strong>Cruise</strong> weder zu den<br />

besten noch zu den schlechtesten Schülern in der<br />

Klasse, sondern bewegte sich im Mittelfeld. Er brauchte<br />

keine besondere Förderung, sondern war schlicht<br />

ein durchschnittlicher Schüler. Bouchers Einschätzung<br />

wird allgemein geteilt. Von der Mittelschule an ver-<br />

-359-


wenden ehemalige Schulkameraden wie Glen Gobel<br />

<strong>und</strong> andere, wenn sie <strong>Cruise</strong>’ mäßige schulische Leistungen<br />

beschreiben sollen, genau dasselbe Wort –<br />

»durchschnittlich«.<br />

Fre<strong>und</strong>innen wie Nancy Ärmel <strong>und</strong> Diane Van Zoeren,<br />

<strong>die</strong> mit ihm am Küchentisch Hausarbeiten machten,<br />

war jedenfalls nie aufgefallen, dass er Probleme mit<br />

dem Lesen oder Schreiben hatte. Auch wenn er mit<br />

Kathy <strong>und</strong> Lorraine Gauli Texte las, gab es keinen<br />

Hinweis darauf. Er konnte sich ja sogar vor seinen<br />

Lehrer <strong>und</strong> <strong>die</strong> Mitschüler hinstellen <strong>und</strong> nach dem vor<br />

ihm liegenden Text seine Rolle deklamieren.<br />

Stimmiger wird das Bild vielleicht durch das, was <strong>die</strong><br />

Forschung inzwischen herausgef<strong>und</strong>en hat, dass nämlich<br />

Dyslexie nicht geheilt, aber zufriedenstellend bewältigt<br />

werden kann, wenn sie in jungen Jahren erkannt<br />

<strong>und</strong> das Kind entsprechend gefördert wird. Genau<br />

das ist an seiner Gr<strong>und</strong>schule, der Robert-<br />

Hopkins-Schule, geschehen. Bei seinem Übertritt in <strong>die</strong><br />

Henry-Munro-Mittelschule wurde er nicht mehr als förderbedürftig<br />

betrachtet. Da Dyslexie durch eine »unzureichende<br />

Verschaltung« im Gehirn verursacht wird,<br />

lässt sich das Problem beim jungen, sich entwickelnden<br />

Gehirn wirksam behandeln. Das ist viel schwieriger<br />

bei einem ausgereiften Gehirn – sicherlich jenseits<br />

der zwanzig, als <strong>Tom</strong> seine Dyslexie nach eigener Aussage<br />

dank Study Tech überwand.<br />

Anstatt sich jahrelang bei Lehrern durchzumogeln,<br />

<strong>die</strong> »nicht <strong>die</strong> Instrumente besaßen, mir wirklich zu<br />

helfen«, scheint <strong>Cruise</strong> vielmehr das Glück gehabt zu<br />

haben, einer ganzen Reihe engagierter, fürsorglicher<br />

Lehrer zu begegnen -<strong>und</strong> eine ebenso fürsorgliche<br />

Mutter zu haben –, <strong>die</strong> frühzeitig das Richtige unternahmen,<br />

so dass er von der Mittelschule an keine Hilfe<br />

mehr benötigte.<br />

-360-


Natürlich ist <strong>die</strong> schlichte Tatsache, dass herkömmliche<br />

didaktische Methoden helfen, weder der Sache von<br />

<strong>Scientology</strong> förderlich, noch verhilft sie ihr zu Steuervergünstigungen<br />

oder staatlichen Geldern für ihre Bildungsprogramme.<br />

Also musste <strong>die</strong> Geschichte umgeschrieben<br />

werden: <strong>Tom</strong> verdankte alles nur <strong>Scientology</strong>.<br />

Die neue Lehre nach <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> stößt durchaus auf<br />

Kritik. Von der International Dyslexia Association sind<br />

<strong>die</strong> Behauptungen des Schauspielers öffentlich angegriffen<br />

worden. Ihr Vorsitzender J. Thomas Viall bemerkte<br />

dazu: »Wenn eine derart prominente Persönlichkeit<br />

wie <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> Dinge äußert, <strong>die</strong> sich wissenschaftlich<br />

schwer erhärten lassen, dann stellt sich <strong>die</strong><br />

Frage, was andere an Dyslexie leidende Menschen in<br />

Reaktion auf eine solche – in Anführungszeichen – Erfolgsstory<br />

tun. Es gibt nicht gerade viele wissenschaftliche<br />

Belege dafür, dass <strong>die</strong> Lehre von L. Ron Hubbard<br />

das geeignete Mittel zur Überwindung der Dyslexie<br />

ist.«<br />

Von seinem überlegenen Wissen zutiefst überzeugt,<br />

wischte <strong>Cruise</strong> derlei Kritik erneut beiseite. Er hatte<br />

sich k<strong>und</strong>ig gemacht. Ja, aber nur in den Schriften von<br />

L. Ron Hubbard; sich anderweitig zu informieren, wäre<br />

Ketzerei gewesen. In <strong>die</strong>sem hermetisch abgeschlossenen<br />

Universum, das mit LRH beginnt <strong>und</strong> endet,<br />

wird keine andere Weltsicht, nicht einmal ein anderer<br />

Standpunkt toleriert. Es ist das Nordkorea der Religion.<br />

Doch <strong>Tom</strong> fühlte sich in <strong>die</strong>sem Universum offensichtlich<br />

wohl. Im Januar 2004 erhielt er nicht nur den<br />

ehrenvollen Status des »Gold Meritorious«, weil er seiner<br />

Kirche 1 Million Dollar gespendet hatte, er erreichte<br />

auch <strong>die</strong> hohe Stufe eines Operating Thetan VII, auf<br />

der der Mensch sein eigener Gott wird, wie Hubbard<br />

versprach. Es bedeutete, dass <strong>Tom</strong> mehrmals täglich<br />

-361-


<strong>die</strong> Elektroden seines E-Meter anlegte <strong>und</strong> seinen Körper<br />

nach toten Geistern absuchte. Eine ähnliche Routine<br />

wie auf niedrigeren Stufen, nur dass <strong>die</strong> Geister<br />

schwerer zu entdecken <strong>und</strong> zu beseitigen waren.<br />

Bei <strong>die</strong>sem Vorgang kommen <strong>die</strong> Betreffenden in eine<br />

selbst verursachte hypnotische Trance, <strong>die</strong> zu Realitätsverlust<br />

führen kann. <strong>Der</strong> Ex-Scientologe Peter Alexander,<br />

der <strong>die</strong> Stufe OT VII erreichte, bemerkt dazu:<br />

»Du glaubst, an all deinen Problemen sind <strong>die</strong>se Thetanen<br />

schuld. Wenn du wieder in <strong>die</strong> Realität zurückkehrst,<br />

dann denkst du ungefähr so: >Hey, was für<br />

ein toller Tag; mein H<strong>und</strong> ist überfahren worden, aber<br />

das macht nichts. Ich weiß, dass ich ein Wesen bin,<br />

das schon seit ewigen Zeiten lebt, in Kontakt mit all<br />

<strong>die</strong>sen lange verlorenen Thetanen. Also ist nichts wirklich<br />

ein Probleme Genau <strong>die</strong>ses Verhalten kann man<br />

bei <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> beobachten.«<br />

<strong>Cruise</strong> triefte förmlich vor <strong>Scientology</strong>, war vollkommen<br />

durchdrungen von <strong>die</strong>ser Lehre. Er war physisch<br />

von Scientologen umgeben, wurde geistig <strong>und</strong> emotional<br />

von ihnen in einen Kokon eingesponnen <strong>und</strong> sah<br />

den Rest der Welt durch Hubbards ideologische Brille.<br />

Er kannte nicht nur alle Antworten, in seiner Welt hatten<br />

auch keine Nicht-Scientologen, kritische Stimmen<br />

oder selbst mildeste Kritik einen Platz. Neil Strauss<br />

vom Magazin Rolling Stone, der immer sehr schmeichelhaft<br />

über ihn berichtet hatte, war sehr erstaunt,<br />

wie heftig <strong>Tom</strong> reagierte, als er ihn nach seiner Religion<br />

fragte. »Manche Leute, na ja, wenn sie was gegen<br />

<strong>Scientology</strong> haben, na ja, dann, fuck you.« Dann<br />

sprang er auf, das Gesicht rot vor Zorn, <strong>und</strong> stach mit<br />

dem Finger auf den imaginären Feind ein: »Fuck you.«<br />

<strong>Tom</strong> näherte sich immer mehr dem dunklen Zentrum<br />

von Hubbards Universum, <strong>und</strong> für Leute, <strong>die</strong> in den<br />

Augen von Scientologen »suppressive persons« oder<br />

»potential trouble sources« sind, war absolut kein<br />

-362-


Platz. Ebenso wie viele gewöhnliche Scientologen für<br />

ihre Religion ihre persönlichen Beziehungen geopfert,<br />

ihre Frau, ihren Mann, ihre Kinder, Brüder <strong>und</strong><br />

Schwestern schon von sich gestoßen hatten, so wenig<br />

zögerte <strong>Tom</strong>, sich von seiner langjährigen PR-Agentin<br />

Pat Kingsley <strong>und</strong> seiner Fre<strong>und</strong>in Penelope Cruz zu<br />

trennen, als klar wurde, dass Penelope sich nicht dazu<br />

überwinden konnte, seiner Organisation beizutreten.<br />

Bezeichnenderweise wurde Pat Kingsley 2004 genau<br />

am 13. März entlassen, an L. Ron Hubbards Geburtstag;<br />

der Hollywood-Schauspieler ersetzte sie<br />

durch seine Schwester <strong>und</strong> überzeugte Scientologin<br />

Lee Anne DeVette. Wie so viele seiner Trennungen,<br />

beruflich wie privat, ging auch <strong>die</strong>se kalt <strong>und</strong> klinisch<br />

über <strong>die</strong> Bühne. »Wenn ich meine, dass [meine Leute]<br />

nicht tun, was ich von ihnen will… hey, dann feuere ich<br />

sie!«, bemerkte er später dazu. Vierzehn Jahre lang<br />

war Pat Kingsley sein Schutzschild <strong>und</strong> seine eiserne<br />

Faust gewesen, hatte rücksichtslos dafür gesorgt, dass<br />

er nicht zu oft in den Me<strong>die</strong>n präsent war oder zu sehr<br />

bedrängt wurde. Was das Magazin Slate seine »teflonbeschichtete<br />

Persona« nannte, war fast ausschließlich<br />

Kingsleys Werk.<br />

Vorherrschende Meinung in Hollywood ist, dass ihre<br />

Beziehung im Herbst 2003 <strong>die</strong> ersten Risse bekam, als<br />

<strong>Tom</strong>, frisch zurück von seiner Lobbyarbeit in Washington,<br />

sich zur PR-Tour für seinen neuesten Film The<br />

Last Samurai bereitmachte. Da Pat Kingsley das Gefühl<br />

hatte, dass sein missionarischer Eifer seinem<br />

Image schadete <strong>und</strong> von den Filmen ablenkte, für <strong>die</strong><br />

er <strong>die</strong> Werbetrommel rühren sollte, traf sie mit seiner<br />

Agentur CAA <strong>und</strong> einem engen Fre<strong>und</strong> von <strong>Tom</strong> eine<br />

inoffizielle Vereinbarung, dass sie sich mit ihm zusammensetzen<br />

<strong>und</strong> ihm sagen würden, dass er ihrer<br />

Ansicht nach zu weit ging. Als es dann so weit war,<br />

sagte nur Kingsley offen ihre Meinung. »Von <strong>die</strong>ser<br />

-363-


Minute an war sie erledigt«, meinte ein Hollywood-Insider<br />

dazu.<br />

Kingsley bezahlte den Preis dafür, dass sie aussprach,<br />

was viele Leute in Hollywood seit einiger Zeit<br />

für sich dachten. Ein erfahrener Manager aus der Unterhaltungsbranche<br />

kommentierte: »Als er seine Position<br />

im Filmgeschäft dafür zu nutzen begann, seine<br />

privaten Ansichten zu verbreiten, machte er sich damit<br />

sofort angreifbar. Beides geht nun mal nicht. Plötzlich<br />

hat jeder das Recht, zurückzuschlagen. Pat Kingsley<br />

hat hervorragende Arbeit geleistet; sie schirmte ihn<br />

ab, seine öffentliche Persona wurde sorgsam aufgebaut,<br />

aber jetzt ist <strong>die</strong> schöne Fassade dahin, <strong>und</strong> er<br />

vertritt mit größter Überzeugung den Glauben an etwas,<br />

das der Rest von uns merkwürdig findet. Er<br />

kommt absolut selbstgerecht rüber.«<br />

Zur gleichen Zeit, als er <strong>die</strong>se berufliche Beziehung<br />

löste, verabschiedete er sich von der Frau, <strong>die</strong> allgemein<br />

als seine künftige Braut angesehen wurde. So<br />

sehr er auch versucht hatte, <strong>die</strong> spanische Schauspielerin<br />

für seine Religion zu gewinnen, <strong>die</strong> dreijährige<br />

Liebesbeziehung mit Penelope Cruz stieß auf ein unerwartetes<br />

Hindernis – ihren Vater Eduardo Zu Beginn<br />

ihrer Romanze im Jahr 2001 hatte Eduardo dem Paar<br />

seinen Segen gegeben, aber ganz wohl war ihm nicht<br />

dabei. Wie der Madrider Einzelhändler spanischen<br />

Journalisten erzählte, wollte er »110 Prozent sicher<br />

sein«, dass der zweimal geschiedene Schauspieler es<br />

wirklich ernst meinte. »<strong>Tom</strong> ist ein netter Kerl, aber<br />

ich muss wissen, dass seine Liebe zu meiner Tochter<br />

für ein Leben reicht.« Penelope las zwar eifrig scientologische<br />

Texte, machte Auditing-Kurse <strong>und</strong> sogar, wie<br />

zumindest ein Bericht wissen will, einen »Purification<br />

R<strong>und</strong>own«, ließ sich aber nie voll <strong>und</strong> ganz mit der<br />

Lehre ein. »Ich respektiere alle Religionen, möchte<br />

mich im Moment aber keiner von ihnen anschließen«,<br />

-364-


sagte sie taktvoll. Dennoch begleitete sie <strong>Tom</strong> auf seiner<br />

Mission zur Verbreitung der <strong>Scientology</strong>-Botschaft<br />

in Europa <strong>und</strong> war auch im Sommer 2003 an seiner<br />

Seite, als er in Washington Lobbyarbeit betrieb.<br />

Es hat den Anschein, als hätte sich Eduardo zunehmend<br />

Sorgen wegen der Verbindung seiner geliebten<br />

Tochter zu einer Gruppe gemacht, <strong>die</strong> <strong>die</strong> spanische<br />

Regierung beunruhigte. Das war ganz typisch für ihn.<br />

Als zum Beispiel ein spanischer Talkshow-Master verkündete,<br />

Penelope bekomme ein uneheliches Kind von<br />

<strong>Tom</strong>, war er sofort zur Stelle, um ihren Ruf <strong>und</strong> den<br />

der Familie zu verteidigen. Nun begann er, das Internet<br />

nach Informationen über <strong>Scientology</strong> zu durchsuchen,<br />

wusste aber nicht, wo er sich Rat holen sollte. Er<br />

machte sich Sorgen, dass seine berühmte Tochter in<br />

etwas hineingezogen werden könnte, was er als Sekte<br />

betrachtete – <strong>und</strong> dann, wie so viele andere, für ihn<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Familie verloren sei. Schließlich wandte er sich<br />

per E-Mail an eine Hilfsorganisation für Sektenmitglieder<br />

<strong>und</strong> ihre Familien. Dort erkannte man erst nach<br />

langer Korrespondenz, dass es sich um den Vater von<br />

Penelope Cruz handelte. Selbst heute will <strong>die</strong> Organisation<br />

ihren Namen nicht öffentlich machen, um andere<br />

Familien oder potenzielle <strong>Scientology</strong>-Aussteiger<br />

nicht zu entmutigen, Kontakt mit ihnen aufzunehmen.<br />

Familie kontra Religion – ein gnadenloses Dilemma,<br />

unter dem schon viele <strong>Scientology</strong>-Mitglieder gelitten<br />

haben. Für Penelope stand immer <strong>die</strong> Familie an erster<br />

Stelle. Zu ihrem wertvollsten Besitz zählt ein Ring, den<br />

ihr ihre Großmutter geschenkt hat, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Schauspielerin<br />

besucht auch häufig ihre Familie in Madrid. »Zeit<br />

für <strong>die</strong> Familie zu haben, ist uns sehr wichtig, da sind<br />

wir eisern«, sagte Penelope einmal. »Wir sind immer<br />

für <strong>die</strong> anderen da, alle von uns. Wir wissen, dass wir<br />

uns auf den Rest der Familie verlassen können, deshalb<br />

nehmen wir uns immer Zeit.«<br />

-365-


Was immer <strong>die</strong> Familie an positiven oder negativen<br />

Ansichten zu Penelopes Verbindung mit <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Scientology</strong> gehabt haben mag, im Dezember<br />

2003 spielten sie keine Rolle mehr. Während Penelope<br />

den italienischen Film Non Ti Muovere drehte, erlitt<br />

ihr Vater einen Herzinfarkt, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Tochter eilte nach<br />

Madrid an sein Krankenbett. In den sechs Wochen, <strong>die</strong><br />

sie bis zu seiner Genesung in Spanien verbrachte,<br />

scheint sie sich wieder ganz der Familie <strong>und</strong> ihrem katholischen<br />

Glauben zugewandt zu haben. Bei der Golden-Globes-Verleihung<br />

im neuen Jahr – <strong>Tom</strong> war für<br />

seine Leistung in The Last Samurai nominiert –<br />

glänzte sie durch Abwesenheit, <strong>und</strong> ebenso im Januar<br />

2004, als er Gast in der Talkshow Inside the Actors<br />

Studio war <strong>und</strong> vor dem bew<strong>und</strong>ernden Publikum von<br />

seinen Erfolgen erzählen konnte. Offenbar befand sich<br />

der wichtigste Mann in ihrem Leben in Madrid.<br />

Im März 2004 gab das Paar seine Trennung bekannt.<br />

Sie hätten sich »in aller Fre<strong>und</strong>schaft« getrennt, erklärte<br />

ihr Sprecher Robert Garlock, bemüht, <strong>Scientology</strong><br />

aus der emotionalen Geschichte herauszuhalten.<br />

»Sie hat Kurse bei der Kirche gemacht <strong>und</strong> sie hilfreich<br />

gef<strong>und</strong>en.« Seine vorsichtige Formulierung deckte sich<br />

mit Penelopes eigenen zurückhaltenden Äußerungen<br />

über <strong>die</strong> Organisation. Sie habe viele Bücher gelesen,<br />

<strong>und</strong> »manches, was ich darin gef<strong>und</strong>en habe, hat mir<br />

im Leben geholfen«.<br />

Vielleicht hatte ihre Zurückhaltung damit zu tun, dass<br />

sie vom Office of Special Affairs – das ist der <strong>Scientology</strong>-eigene<br />

Geheim<strong>die</strong>nst – zweimal zum Gespräch<br />

gebeten wurde. Er hat Zugang zu den vertraulichen<br />

Akten über jedes einzelne Mitglied, kann <strong>und</strong> will frühere<br />

Geständnisse nutzen, um Ex-Scientologen zu diskreditieren.<br />

»Vermutlich hat man sie gewarnt, nichts<br />

zu sagen«, kommentiert ein ehemaliger OSA-Chef.<br />

-366-


Ihr Vater äußerte sich wesentlich offener. »Sie hatte<br />

mehr Glück als ich«, erklärte Penelopes Vater Eduardo,<br />

eine aufschlussreiche Bemerkung, <strong>die</strong> einiges über<br />

ihre belastenden Erfahrungen aussagt. Auf <strong>die</strong> Frage,<br />

ob er traurig sei über das Ende der Beziehung seiner<br />

Tochter, antwortete er r<strong>und</strong>heraus: »Nein, dafür gibt<br />

es keinen Gr<strong>und</strong>.« Eduardo Cruz mag sich über <strong>die</strong><br />

Trennung gefreut haben, seine Tochter blieb jedoch -<br />

im Gegensatz zu Nicole Kidman – mit <strong>Tom</strong> befre<strong>und</strong>et.<br />

Nicht lange nach der Trennung wollte <strong>die</strong> Gerüchteküche<br />

in Hollywood von einer Verbindung zwischen<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> der Schauspielerin Jennifer Garner wissen,<br />

<strong>die</strong> etwa zur selben Zeit von ihrem Mann, dem Schauspieler<br />

Scott Foley, geschieden wurde, als <strong>Tom</strong> <strong>und</strong><br />

Penelope ihre Trennung bekanntgaben. Es habe ihn<br />

erwischt, erzählte man, als er <strong>die</strong> graduierte Chemikerin<br />

in seiner Lieblings-TV-Show Alias sah. Angeblich<br />

hinterließ er auf ihrer Mailbox Botschaften, »ob sie<br />

wisse, was Freiheit sei«, eine so banale Frage, dass<br />

Jennifer Garner offenbar ihren Fre<strong>und</strong>innen davon berichtete.<br />

Einem anderen Gerücht zufolge soll <strong>Tom</strong>, als<br />

er von Jennifers Vorliebe für Tiger erfuhr, ihr ein solches<br />

Tier in einem Käfig nach Hause geschickt haben.<br />

Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den<br />

höheren Rängen von <strong>Scientology</strong>. Natürlich dementierten<br />

Jennifer Garners Repräsentanten <strong>die</strong>se Geschichte<br />

– schließlich ist es auch für jemanden mit einer Kreditkarte<br />

von Neiman Marcus schwierig, an einen lebenden<br />

Tiger zu kommen –, aber sie legt <strong>die</strong> Vermutung<br />

nahe, dass wohl alle Augen innerhalb <strong>Scientology</strong><br />

ständig auf <strong>Cruise</strong> gerichtet waren, um ihn unter Kontrolle<br />

zu halten.<br />

Seine Verbindung zu <strong>Scientology</strong> mag sein Liebesleben<br />

beeinträchtigt haben, zum Verständnis seiner<br />

Filmrollen scheint ihm seine Religion zu helfen. Während<br />

der Dreharbeiten zu Collateral ergründete er <strong>die</strong><br />

-367-


Persönlichkeit von Vincent, einem skrupellosen Auftragskiller,<br />

indem er Hubbards Untersuchung über antisoziales<br />

Verhalten <strong>und</strong> Persönlichkeit stu<strong>die</strong>rte. »Bei<br />

<strong>Scientology</strong> gibt es sehr viel Wissen, sehr viel Material<br />

über antisoziale Menschen. Daraus habe ich mir Vincents<br />

Moralkodex erarbeitet.« Unerwähnt ließ er, dass<br />

nach Hubbards Ansicht auch Politiker, Polizisten, Journalisten<br />

<strong>und</strong> bizarrerweise auch Bestatter zu <strong>die</strong>sen<br />

asozialen »Händlern des Chaos« zählten.<br />

<strong>Scientology</strong> als Hintergr<strong>und</strong>information für eine Filmrolle<br />

war eine Sache, doch im Herbst 2004 errichtete<br />

er am Set für seinen neuesten Film Krieg der Welten<br />

buchstäblich einen Stützpunkt für seine Religion. <strong>Tom</strong>,<br />

seine Schwester Lee Anne DeVette, sein Agent Kevin<br />

Huvane <strong>und</strong> Regisseur Steven Spielberg mussten persönlich<br />

an Ron Mayer, den Vorstandschef der Universal<br />

Studios, appellieren, damit <strong>Scientology</strong> im Studio ein<br />

Zelt aufstellen durfte. Die Erlaubnis wurde unter der<br />

Voraussetzung erteilt, dass das Zelt nicht zur Rekrutierung<br />

neuer Mitglieder benutzt würde.<br />

Die Folge war, dass während der gesamten Dreharbeiten<br />

»Volunteer Ministers« von <strong>Scientology</strong> in dem<br />

großen Zelt anwesend waren, um den Schauspielern<br />

<strong>und</strong> Mitgliedern der Filmcrew »Beistand« zu leisten.<br />

Die köstliche Pointe – dass eine neue, der Wiedergeburt<br />

anhängende Religion sich auf den Set zu einem<br />

Film nach einem Buch des erklärten Atheisten H.G.<br />

Wells locken lässt, der jeden Gedanken an eine Unsterblichkeit<br />

seiner selbst oder seines Körpers entschieden<br />

zurückwies – entging offenbar sowohl <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> wie auch allen anderen. Als er nach dem <strong>Scientology</strong>-Zelt<br />

gefragt wurde, meinte Spielberg ziemlich<br />

betreten, es werde ja niemand gezwungen, hineinzugehen.<br />

Typischerweise zeigte sich <strong>Tom</strong> wesentlich aggressiver,<br />

als <strong>Der</strong> Spiegel eine Antwort von ihm haben<br />

wollte. »Die >Volunteer Ministers< von Scientolo-<br />

-368-


gy waren hier, um Kranken <strong>und</strong> Verletzten zu helfen.<br />

Die Leute am Set wussten es zu schätzen.« Dass <strong>die</strong>se<br />

Aufgabe traditionell von Ärzten <strong>und</strong> Krankenschwestern<br />

wahrgenommen wird, ignorierte er, <strong>und</strong> schlüpfte<br />

mühelos in seine Rolle als omnipotenter Prediger <strong>und</strong><br />

Heiler.<br />

»Es interessiert mich nicht, woran jemand glaubt. Es<br />

interessiert mich nicht, welcher Nationalität er ist. Aber<br />

wenn jemand von den Drogen loskommen will,<br />

dann kann ich ihm helfen. Wenn jemand lesen lernen<br />

will, dann kann ich ihm helfen. Wenn jemand kein<br />

Krimineller mehr sein will, dann kann ich ihm Instrumente<br />

an <strong>die</strong> Hand geben, wie er sein Leben zum Besseren<br />

wenden kann. Sie haben keine Ahnung, wie viele<br />

Menschen etwas über <strong>Scientology</strong> erfahren wollen.«<br />

Mit großem Glaubenseifer trachtete <strong>Tom</strong> danach, sein<br />

Bild in der Öffentlichkeit zu bewahren – eine unangreifbare,<br />

gottgleiche Figur, <strong>die</strong> auf der Leinwand <strong>und</strong><br />

im Leben imstande war, <strong>die</strong> Probleme <strong>die</strong>ser Welt zu<br />

lösen. Hier stand ein Mann, der, wenn er nicht gerade<br />

dabei war, auf der Kinoleinwand den Planeten zu retten,<br />

im richtigen Leben junge Damen aus ihrer Bedrängnis<br />

befreite. Die Geschichten sind Legion: Im<br />

Jahr 1996 hielt er seinen Wagen auf der Straße an, um<br />

dem Opfer eines Raubüberfalls in Santa Monica zur<br />

Seite zu stehen, dessen Krankenhausrechnungen er<br />

dann auch noch bezahlte. »Wenn er schon nicht Superman<br />

ist«, sagte <strong>die</strong> dankbare Heloisa Vinhas,<br />

»dann kann er mein Batman werden.« Im gleichen<br />

Jahr rettete er zwei Kinder, <strong>die</strong> bei dem aufgeregten<br />

Massenauflauf anlässlich der Premiere von Mission:<br />

Impossible in London beinahe erdrückt worden wären.<br />

Er ließ ein Beiboot von seiner Jacht zu Wasser,<br />

um fünf Schiffbrüchige vor der Insel Capri im Mittelmeer<br />

zu retten, <strong>und</strong> tröstete eine weinende Londoner<br />

Hausfrau, der man gerade vor ihrer Wohnung in der<br />

-369-


Nähe seines gemieteten Hauses im Zentrum ihren teuren<br />

Schmuck geraubt hatte. Während der Dreharbeiten<br />

zu The Last Samurai im Jahr 2003 hielt er mit<br />

seinem Wagen an, um einem Paar, das im hintersten<br />

Neuseeland eine Reifenpanne hatte, beim Aufziehen<br />

des Reserverads zu helfen.<br />

Ein Jahr später, im November 2004, erklärte <strong>Tom</strong> in<br />

einem langen Interview voller Selbstbeweihräucherungen,<br />

warum er als guter Samariter handle. Dieses Interview<br />

wurde geführt anlässlich der erstmaligen Verleihung<br />

der Freiheitsmedaille für besonderen Heldenmut<br />

durch <strong>Scientology</strong> bei einer Galaveranstaltung im<br />

St. Hill Manor in England. Seinen Zuhörern sagte er:<br />

»Man kann nicht an einer Unfallstelle vorbeifahren,<br />

denn als Scientologe ist man der Einzige, der Hilfe leisten<br />

kann.« Während er mit solchen Feststellungen <strong>die</strong><br />

Scientologen in ihrer Annahme bestätigte, sie seien<br />

Mitglied einer überlegenen Spezies – <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> der<br />

Größte unter all <strong>die</strong>sen weitentwickelten Wesen –,<br />

kam <strong>die</strong>ser Ton arroganter Selbstgewissheit in der allgemeinen<br />

Öffentlichkeit zusehends schlechter an. An<br />

<strong>die</strong>sem Abend jedoch waren alle gekommen, um <strong>Tom</strong><br />

anzubeten; seine Leistungen wurden in einem langen<br />

Video mit Lobeshymnen dargestellt, bevor ihm von<br />

seinem großen Fre<strong>und</strong> David Miscavige <strong>die</strong> Ehrung zuteil<br />

wurde. Die enge Bindung zwischen dem <strong>Star</strong> <strong>und</strong><br />

seinem geistigen Führer muss an <strong>die</strong>sem Abend für<br />

jeden der Anwesenden deutlich sichtbar gewesen sein.<br />

Als sie auf der Bühne aufeinandertrafen, sahen sie sich<br />

geradeheraus tief in <strong>die</strong> Augen, ohne auch nur ein einziges<br />

Mal dabei zu zwinkern, <strong>und</strong> sie begrüßten sich<br />

überschwenglich. Miscavige lobte <strong>Tom</strong> als den überzeugtesten<br />

Scientologen, den er kenne, <strong>und</strong> überreichte<br />

ihm dann <strong>die</strong> Medaille für <strong>die</strong> hohe Ehrung. Aber<br />

damit nicht genug der Lobhudelei. Miscavige fuhr fort,<br />

seinen Fre<strong>und</strong> in Begriffen zu beschreiben, <strong>die</strong> eines<br />

-370-


Propheten würdig gewesen wären: »Fünftausend Menschen<br />

in neunzig Ländern hören seine Worte als Scientologe<br />

– jede St<strong>und</strong>e. Jede St<strong>und</strong>e, jede Minute greifen<br />

<strong>die</strong> Menschen zur LRH-Technologie… nur weil sie<br />

wissen, dass <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> ein Scientologe ist.« Da <strong>Tom</strong><br />

zudem eine Spende in Höhe von zweieinhalb Millionen<br />

Dollar überreicht hatte, rechtfertigte <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Verleihung<br />

einer zweiten Medaille, des Ver<strong>die</strong>nstordens in<br />

Platin.<br />

Auch wenn er nicht an ein Leben im Himmel glaubte,<br />

erweckte <strong>Tom</strong> den Anschein, als sei er hienieden verschieden<br />

<strong>und</strong> empfinge jetzt im Jenseits <strong>die</strong> Lobeshymnen<br />

<strong>die</strong>ser riesigen Versammlung. Dann war er an<br />

der Reihe, David Miscavige zu loben: »Ich habe nie<br />

einen kompetenteren, intelligenteren, toleranteren <strong>und</strong><br />

hingebungsvolleren Menschen jenseits meiner Erfahrungen<br />

mit LRH kennengelernt.« Dann richtete er seine<br />

verbale Feuerkraft auf »unterdrückerische Personen«,<br />

ehe er verkündete, dass Scientologen »<strong>die</strong> Experten<br />

für den Geist« seien.<br />

Als der Beifall verklungen war, wurde unter den engagiertesten<br />

Scientologen jedoch unzufriedenes Murmeln<br />

laut. Die Mitglieder der Sea Org wissen, was Opfer<br />

bedeutet. Sie alle haben sich auf eine Milliarde Jahre<br />

vertraglich verpflichtet, <strong>die</strong> Expansion der Organisation<br />

über alles andere zu stellen: über Geld, Familie,<br />

Ruhm, Prestige. Sie sind <strong>die</strong> Elite. Doch hier war ein<br />

Mann, der schon alles hatte, der wegen seiner Berühmtheit<br />

mit Ruhm <strong>und</strong> Ehrungen überhäuft wurde<br />

<strong>und</strong> nicht, weil er Opfer gebracht hatte. Es war, als<br />

würden ihre unsichtbaren, unermüdlichen Anstrengungen<br />

hinter den Kulissen nichts zählen im Vergleich<br />

zum Glamour eines <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>.<br />

Einen Monat später wurde das Aushängeschild von<br />

<strong>Scientology</strong> gebeten, zusammen mit Oprah Winfrey<br />

<strong>die</strong> Moderation bei einem Konzert zu Ehren der neuen<br />

-371-


Nobelpreisträgerin, der kenianischen Professorin <strong>und</strong><br />

Umweltaktivistin Wangari Maathai, in Norwegen zu<br />

übernehmen. Zuvor sagte <strong>Tom</strong> ein paar Worte, nicht<br />

als Schauspieler, sondern als Mann der Religion: »Zu<br />

den Dingen, an <strong>die</strong> wir [Scientologen] glauben, gehören<br />

Frieden <strong>und</strong> Freiheit. Ich bin stolz, hier sein zu<br />

dürfen, <strong>und</strong> sehr stolz, als Scientologe hier zu sein <strong>und</strong><br />

teilhaben zu dürfen.«<br />

Falls <strong>Cruise</strong> in Oslo einen Empfang wie auf der <strong>Scientology</strong>-Gala<br />

erwartet hatte, sah er sich getäuscht. Gegen<br />

<strong>die</strong> Wahl einer derart umstrittenen Persönlichkeit<br />

wurde lautstark protestiert. Die Zeitungen zitierten<br />

einen Osloer Priester mit den Worten: »Das ist eine<br />

manipulative Sekte, <strong>die</strong> sich Leben <strong>und</strong> Geld der Menschen<br />

greift.« Ein anderer <strong>Scientology</strong>-Kritiker, Andreas<br />

Heldal-L<strong>und</strong>, äußerte sich so: »Es ist absolut falsch,<br />

<strong>Cruise</strong> <strong>die</strong> Gala moderieren zu lassen. Ich kenne massenhaft<br />

Menschen, deren Leben durch <strong>Scientology</strong> zerstört<br />

worden ist, <strong>und</strong> das Nobelpreiskonzert ist ein so<br />

wichtiges Ereignis.«<br />

Diese Kritiker interessierten <strong>Tom</strong> ebenso wenig wie<br />

andere. Sie standen so weit unter ihm, dass er sie<br />

kaum hörte. Er war der Allergrößte, in jeder Hinsicht:<br />

berühmter Fürsprecher, großzügiger Spender, geschickter<br />

Lobbyist, Menschenrechtsaktivist, medizinischer<br />

Experte, Pädagogik-Guru, Heiler, inspirativer<br />

Prediger – es gab nichts, was <strong>die</strong>ser Mann nicht konnte.<br />

Er war zum Meister des Universums geworden.<br />

-372-


11<br />

Es war kalt geworden in Montreal, aber sie würde<br />

auch nicht mehr lange dort bleiben müssen. Die atemberaubende<br />

Schauspielerin Sofia Vergara drehte gerade<br />

<strong>die</strong> letzten Szenen des Films Vier Brüder, einer<br />

blutigen Rachestory. Während sie noch mit ihrem früheren<br />

Fre<strong>und</strong> Mark Wahlberg am Set arbeitete, erhielt<br />

das in Kolumbien geborene Model eine interessante<br />

Einladung, <strong>und</strong> zwar zur Pre-Oscar-Party des Schauspielers<br />

Will Smith <strong>und</strong> seiner Frau Jada Pinkett Smith<br />

in Los Angeles. <strong>Der</strong> mit dem Paar befre<strong>und</strong>ete Jamie<br />

Foxx war für seine Leistung als der blinde Jazzpianist<br />

Ray Charles nominiert worden – eine Gratulationsparty<br />

allererster Güte. Nach den frostigen Minusgraden in<br />

Kanada in <strong>die</strong>sem Februar würden Sonne <strong>und</strong> Glamour<br />

Hollywoods eine willkommene Abwechslung sein.<br />

An einem milden Dienstagabend im Februar 2005<br />

schritt Sofia <strong>die</strong> Stufen des Museum of Modern Art in<br />

Los Angeles hinauf, wo <strong>die</strong> Party schon in vollem Gange<br />

war. Sie trug ein schwarz-weiß bedrucktes Seidenkleid<br />

<strong>und</strong> klobigen Türkisschmuck, der w<strong>und</strong>erbar mit<br />

ihrer olivfarbenen Haut <strong>und</strong> dem dunklen Haar kontrastierte,<br />

aber noch bemerkenswerter als ihre strahlende<br />

Erscheinung war <strong>die</strong> Tatsache, dass kein Mann<br />

an ihrer Seite war. Obwohl sie vom Magazin FHM zu<br />

einer der h<strong>und</strong>ert aufregendsten Frauen der Welt gewählt<br />

worden war, kam Sofia allein.<br />

Ohne Mann, das hieß kaum interessant für <strong>die</strong> Presse.<br />

Es gab H<strong>und</strong>erte von schönen Menschen in LA. Sofia<br />

mochte in Lateinamerika als Talkshow-Moderatorin<br />

berühmt sein, als Model <strong>und</strong> als Schauspielerin, aber<br />

sie musste es erst noch auf <strong>die</strong> nächste Stufe schaf-<br />

-373-


fen. An <strong>die</strong>sem Abend hatten <strong>die</strong> Paparazzi eine andere<br />

Beute im Visier.<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> erschien als Teil eines verblüffenden Trios,<br />

nämlich mit seiner früheren Fre<strong>und</strong>in Penelope<br />

Cruz <strong>und</strong> ihrem neuen Partner, dem Schauspieler Matthew<br />

McConaughey. <strong>Cruise</strong> lächelte <strong>und</strong> winkte geduldig,<br />

während Penelope Matthew den Kameras präsentierte.<br />

<strong>Der</strong> Hollywoodliebling <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> ohne Begleiterin<br />

– eine sensationelle Story.<br />

Doch das sollte sich schnell ändern, denn es gab einen<br />

Plan. Auf der Party hatte <strong>Tom</strong> nur Augen für einen<br />

Menschen – Sofia Vergara. Kaum hatte er <strong>die</strong> kolumbianische<br />

Schönheit entdeckt, ließ er Penelope <strong>und</strong><br />

Matthew allein <strong>und</strong> stellte sich ihr vor. Er war nett <strong>und</strong><br />

charmant <strong>und</strong> ließ bei jeder Gelegenheit sein berühmtes<br />

Megawattlächeln aufblitzen.<br />

Vielleicht wusste er, dass das Lächeln eines Mannes<br />

bei der ehemaligen Studentin der Zahnmedizin der<br />

Weg zu ihrem Herzen war. Ihre Tante Lilita Jamarillo<br />

sagte später einmal: »Am wichtigsten war für Sofia bei<br />

einem Mann, dass er gute Zähne hatte.« Ob er von<br />

ihrer dentalen Vergangenheit wusste, sei dahingestellt,<br />

über ihre Karriere als Schauspielerin schien er sehr<br />

viel zu wissen. Die Schmeicheleien kamen ihm leicht<br />

über <strong>die</strong> Lippen.<br />

Geschmeichelt nahm sie seine Einladung auf einen<br />

Kaffee bei Jerry’s Famous Deli in Hollywood an, dem<br />

klassischen Promi-Treff für den späten Abend – ein<br />

professioneller <strong>Tom</strong>-<strong>Cruise</strong>-Doppelgänger ist dort<br />

Stammgast –, bei dem <strong>die</strong> Paparazzi nach einem Abstecher<br />

zum Ivy oder Mastro’s als Letztes vorbeischauten.<br />

Wenn Berühmtheiten bei Jerry’s auftauchen, können<br />

sie davon ausgehen, von ihnen »abgeschossen«<br />

zu werden. Natürlich wurden sie fotografiert, <strong>Tom</strong> winkend,<br />

mit der »geheimnisvollen« Begleiterin, einen<br />

Pashminaschal um <strong>die</strong> schmalen Schultern, an seiner<br />

-374-


Seite. An einem Abend war Sofia von der unbekannten<br />

Partygängerin zum Stadtgespräch geworden.<br />

Am nächsten Tag prangten Bilder des neuen Paares<br />

in den Klatschkolumnen, <strong>die</strong> Spekulationen über Penelope<br />

Cruz <strong>und</strong> Matthew McConaughey rutschten weiter<br />

nach unten. Genauso hatte sich <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> das vorgestellt.<br />

Am nächsten Tag sah sich Sofia von dem gnadenlos<br />

romantischen Mr. <strong>Cruise</strong> mit Anrufen, SMS <strong>und</strong> E-Mails<br />

bombar<strong>die</strong>rt; er schickte ihr Blumen, kleine Botschaften<br />

<strong>und</strong> Pralinen. Sie war geschmeichelt <strong>und</strong> fand es<br />

aufregend, ebenso wie ihre Fre<strong>und</strong>innen, <strong>die</strong> seine<br />

Botschaften kichernd kommentierten <strong>und</strong> <strong>die</strong> Blumensträuße<br />

bew<strong>und</strong>erten.<br />

Sofia Vergaras PR-Agentin Karen Tenser war natürlich<br />

entzückt, dass der Name ihrer Klientin gemeinsam<br />

mit dem eines <strong>Star</strong>s von <strong>die</strong>sem Kaliber in den Schlagzeilen<br />

erschien. Sofia hingegen nahm <strong>Tom</strong>s Werben<br />

gelassen hin <strong>und</strong> bemerkte lässig, er sei der »kleinste<br />

Mann, mit dem sie je aus war«. Immerhin hatte man<br />

<strong>die</strong> wohlproportionierte Ms Vergara – mit eins siebzig<br />

ebenso groß wie ihr neuer Begleiter – schon mit sehr<br />

begehrten Junggesellen gesehen. Ihr erster Fre<strong>und</strong><br />

war der Latino-Superstar Luis Miguel, das südamerikanische<br />

Pendant des jungen Frank Sinatra. <strong>Tom</strong>s<br />

Charmeoffensive trug dennoch Früchte.<br />

Sofia willigte ein, erst später als geplant nach Montreal<br />

zurückzukehren, <strong>und</strong> nahm <strong>Tom</strong>s Angebot an,<br />

noch ein bisschen in seinem Haus in Hollywood auszuspannen.<br />

Sie brachte ihren Sohn Manolo mit, den sie<br />

mit 18 Jahren bekommen hatte. Manolo spielte mit<br />

<strong>Cruise</strong>’ Kindern Connor <strong>und</strong> Isabella <strong>und</strong> war begeistert,<br />

als <strong>Tom</strong> ihn hinten auf seinem Mountainbike mitfahren<br />

ließ. Wenn <strong>die</strong>se Beziehung funktionieren sollte,<br />

das wussten <strong>Tom</strong> wie Sofia, dann musste es auch mit<br />

den Kindern klappen. Zu einem Reporter hatte Sofia<br />

-375-


einmal gesagt, sie verabrede sich abends am liebsten<br />

mit ihrem zwölfjährigen Sohn. Eine enge Fre<strong>und</strong>in von<br />

ihr behauptet: »Sie ist an erster Stelle Mutter, nicht<br />

Karrierefrau.«<br />

Abgesehen von der Tatsache, dass beide alleinerziehend<br />

waren, hatte das Paar auch sonst viel gemeinsam,<br />

angefangen beim frühen Ruhm. Sofia wurde mit<br />

17 Jahren an einem kolumbianischen Strand von einem<br />

Fotografen »entdeckt«. Ihr erster Modelauftrag<br />

brachte ihr weitere Engagements ein, insbesondere als<br />

Protagonistin in einem Pepsi-Werbespot, der in ganz<br />

Lateinamerika ausgestrahlt wurde. Ebenso wie <strong>Tom</strong><br />

lockte sie das Abenteuer. Sie war auf einer Rinderfarm<br />

im kolumbianischen Barranquilla aufgewachsen, war in<br />

ihrer Kindheit viel geritten <strong>und</strong> im Fluss geschwommen.<br />

Das eigensinnige Mädchen, das in der Familie liebevoll<br />

»La Toti« genannt wurde, war <strong>die</strong> ideale Kandidatin<br />

für <strong>die</strong> Moderation einer Reiseshow mit dem Titel<br />

Fuera de Serie – »Außergewöhnlich« –, in der sie an<br />

extreme Ziele r<strong>und</strong> um den Globus geschickt wurde.<br />

Für einen Mann, der Fallschirmspringen, Düsenflugzeuge<br />

fliegen <strong>und</strong> Mountainbiken zu seinen Hobbys<br />

zählt, spricht eine solche Frau wohl <strong>die</strong> richtige Sprache.<br />

Auch in spiritueller Hinsicht ähnelten sich ihre Biographien.<br />

Beide, <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Sofia, wurden katholisch<br />

erzogen. Am Anfang ihrer Schauspielerkarriere hatte<br />

sie auf den guten Rat der Nonnen an ihrer Schule vertraut,<br />

hochdotierte Angebote des Playboy für <strong>die</strong> Zurschaustellung<br />

ihrer 80DD-Oberweite lieber abzulehnen.<br />

<strong>Tom</strong> hingegen orientierte sich nicht mehr an<br />

seiner katholischen Vergangenheit. Er richtete sich in<br />

moralischen Fragen inzwischen nach einem ganz anderen<br />

Kompass.<br />

-376-


Es dauerte nicht lange, bis <strong>Cruise</strong> Sofia beiläufig vorschlug,<br />

ihn zum »CC«, wie er sagt, dem Celebrity<br />

Centre in Hollywood, zu begleiten. Dort wurde sie vom<br />

»kleinen Chef« der Kirche, David Miscavige, begrüßt<br />

<strong>und</strong> herumgeführt. Er war charmant <strong>und</strong> aufmerksam.<br />

Sie bekam <strong>Scientology</strong>-Literatur überreicht, zum gelegentlichen<br />

Durchblättern. Eine angenehme Einführung<br />

in <strong>die</strong> Welt von <strong>Scientology</strong>.<br />

Doch bei <strong>die</strong>ser Gelegenheit erkannte Sofia etwas<br />

anderes: <strong>Tom</strong> war nie allein. Überall, wo er hinging,<br />

war er von Scientologen umgeben – bei ihm zu Hause,<br />

in seinem Wagen, im Restaurant. Sie hatten stets ein<br />

Lächeln im Gesicht, aber sie fand <strong>die</strong> Leute »aufdringlich<br />

<strong>und</strong> autoritär«.<br />

Ende Februar, als sie nach Montreal zurückkehrte,<br />

um <strong>die</strong> Dreharbeiten zu beenden, bombar<strong>die</strong>rte <strong>Cruise</strong><br />

sie mit Anrufen. Er war vollkommen besessen von der<br />

neuen Frau in seinem Leben. Als sie Anfang März 2005<br />

wieder nach Hollywood kam, verbrachten sie jede Minute<br />

miteinander. Wenn nicht bei ihm zu Hause, dann<br />

im Celebrity Centre. Sofia nahm sogar ihre Mutter<br />

Margarita in das prunkvolle <strong>Scientology</strong>-Gebäude mit.<br />

Anders als bei ihrer Tochter packte man ihr keinen<br />

Berg Literatur auf den Arm, als sie wieder ging. Alle<br />

Bekehrungsbemühungen konzentrierten sich auf Sofia<br />

– wie seit ihrer ersten Begegnung mit <strong>Cruise</strong>.<br />

Obwohl sie sich erst seit ein paar Wochen kannten,<br />

war <strong>die</strong> Beziehung so intensiv geworden, dass eine<br />

Heirat als der nächste logische Schritt erschien. Eine<br />

Fre<strong>und</strong>in Sofias sagte mir: »Sie hatte seine Kinder<br />

kennengelernt, er castete sie für <strong>die</strong> Rolle als seine<br />

Frau, das steht fest. Wenn sie gewollt hätte, wäre sie<br />

heute <strong>die</strong> neue Mrs <strong>Cruise</strong>. Ob es weitergehen sollte?<br />

Aber sicher. Er wollte sie heiraten, das war der Plan.«<br />

Das Casting verlief plangemäß. <strong>Cruise</strong> hatte eine<br />

temperamentvolle, sportliche, abenteuerlustige Frau<br />

-377-


gef<strong>und</strong>en. Und sie hatte ein Kind, ein zusätzlicher<br />

Pluspunkt, denn sie bewies damit ihre Fruchtbarkeit.<br />

Sie konnte ihm genau das geben, was er suchte. Eine<br />

Verbindung auf ewig – der Promi-Scientologe <strong>und</strong> seine<br />

First Lady.<br />

Die Tage vergingen, <strong>und</strong> für Sofia ergab sich allmählich<br />

ein Bild, das ihr nicht sonderlich gefiel. So liebevoll<br />

<strong>und</strong> aufmerksam <strong>Tom</strong> auch war, sie empfand seine<br />

Welt als erdrückend, den zur Schau gestellten Frohsinn<br />

als übertrieben, <strong>und</strong> wusste nie genau, ob das,<br />

was er tat, auf echter Begeisterung beruhte oder nur<br />

gut gespielt war. Sie hatte das Gefühl, dass sie beschattet<br />

oder beobachtet wurde <strong>und</strong> man ihre Telefonate<br />

abhörte. Es war, als würden er <strong>und</strong> <strong>Scientology</strong><br />

<strong>die</strong> Kontrolle über ihr Leben übernehmen. Sicherlich<br />

befürchteten ihr langjähriger Manager Luis Balaguer<br />

<strong>und</strong> seine Mitarbeiter, ihre Tage seien gezählt, <strong>und</strong> sie<br />

würden bald durch ein von <strong>Cruise</strong> ausgewähltes Team<br />

ersetzt.<br />

Ihr wurde klargemacht, dass sie sich von ihrem katholischen<br />

Glauben trennen <strong>und</strong> Scientologin werden<br />

müsse, wenn <strong>die</strong> Beziehung weitergehen sollte. Dieser<br />

Punkt war für <strong>Tom</strong> ganz entscheidend. Dass der Hollywood-Liebling<br />

<strong>und</strong> prominente Scientologe mit einer<br />

Frau verheiratet sein sollte, <strong>die</strong> nicht seiner Kirche angehörte,<br />

wäre vollkommen unmöglich. »Sie hatte im<br />

Gr<strong>und</strong>e Angst vor <strong>Scientology</strong>«, erinnert sich eine<br />

Fre<strong>und</strong>in. »Sie glaubte wirklich, dass Gott sie zur Strafe<br />

in der Hölle schmoren lassen würde, wenn sie dort<br />

Mitglied wird. Das hat sie gesagt.« Die frivole Unbeschwertheit,<br />

mit der sie anfangs von ihren Erlebnissen<br />

berichtet hatte, gab es nicht mehr; ihre Fre<strong>und</strong>innen<br />

machten sich ernsthaft Sorgen um ihr Wohlergehen.<br />

»Wir hatten Angst um sie«, heißt es aus ihrem engen<br />

Fre<strong>und</strong>eskreis.<br />

-378-


Sie hätten sich keine Sorgen zu machen brauchen.<br />

Sofia war zwar von Nonnen erzogen worden, hatte<br />

aber auch in der harten Schule des Lebens ihre Lektionen<br />

gelernt. Sie war alleinerziehende Mutter, ihr Bruder<br />

war bei einem vermasselten Entführungsversuch<br />

ums Leben gekommen, <strong>und</strong> sie hatte drei Jahre zuvor<br />

Schilddrüsenkrebs gehabt <strong>und</strong> ihn überw<strong>und</strong>en. Später<br />

sagte sie: »Es war furchtbar, aber ich wusste, ich würde<br />

den Krebs besiegen.« Schlagfertig, clever <strong>und</strong> eigensinnig<br />

wie sie war, erwies sie sich als immun gegenüber<br />

den Schmeicheleien von <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> <strong>Scientology</strong>.<br />

Ihre Fre<strong>und</strong>in meint dazu: »Sofia stammt aus<br />

Kolumbien, <strong>und</strong> da sind <strong>die</strong> Frauen knallhart. Es ist<br />

sinnlos, sie kontrollieren zu wollen, das weiß man,<br />

wenn man sie kennt… Sie hatte genug Gelegenheit,<br />

nach Hollywood <strong>und</strong> zu <strong>Tom</strong> zu kommen. Von so etwas<br />

lässt sie sich nicht beeinflussen – sie ist ein sehr eigenständiger<br />

Mensch.«<br />

Sofia erzählte ihren Fre<strong>und</strong>innen, man habe sie nicht<br />

nur ganz bewusst als potenzielle Braut für <strong>Tom</strong> ins<br />

Visier genommen, sondern auch als künftiges neues<br />

<strong>Scientology</strong>-Mitglied mit »hohem Bekanntheitsgrad«,<br />

das eine attraktive Galionsfigur für spätere Rekrutierungsaktionen<br />

in Lateinamerika abgeben würde. Die<br />

unerwartete Einladung zu Will Smiths Party, <strong>die</strong><br />

»spontane« Entscheidung, noch zu Jerrys Famous Deli<br />

zu gehen, <strong>die</strong> »beiläufigen« Besuche im Celebrity<br />

Centre – all <strong>die</strong>se Dinge ergaben langsam einen Sinn.<br />

Sie sollten sie beeindrucken <strong>und</strong> letztlich zu <strong>Scientology</strong><br />

bekehren.<br />

Doch sie beeindruckten sie nicht, sondern bewirkten<br />

das Gegenteil. <strong>Tom</strong>s ständiges »Liebesbombardement«<br />

– <strong>die</strong> endlos langen Botschaften, <strong>die</strong> Anrufe <strong>und</strong><br />

E-Mails –, es war einfach zu viel. Sie erkannte es als<br />

ein Theater, das dem höheren Zweck, seiner Religion,<br />

<strong>die</strong>nen sollte. Am Osterwochenende <strong>die</strong>ses Jahres hat-<br />

-379-


ten sie <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> einen Besuch in Clearwater, dem<br />

<strong>Scientology</strong>-Zentrum in Florida, vereinbart. Doch sie<br />

versetzte ihn, packte ihre Reisetasche <strong>und</strong> »verschwand«<br />

für ein paar Tage. Fünf Tage lang hinterließ<br />

er immer wieder Nachrichten <strong>und</strong> Botschaften, aber<br />

sie weigerte sich strikt, ihn zurückzurufen. Selbst heute<br />

wird der Ort, wohin sie verschwand, geheim gehalten<br />

– für den Fall, dass sie <strong>die</strong>ses Schlupfloch noch<br />

einmal brauchen sollte. Eine Fre<strong>und</strong>in kommentiert<br />

trocken: »Das ist schon ein ausgeflippter Typ, da hat<br />

sie sich lieber aus dem Staub gemacht.«<br />

Sofia ist da fre<strong>und</strong>licher. Sie sagt, dass sie <strong>Tom</strong> als<br />

Fre<strong>und</strong> mag <strong>und</strong> sie miteinander Spaß gehabt hätten,<br />

dass sie aber durch sein Verhalten auch ein sehr klares<br />

Bild davon bekommen habe, wer er ist <strong>und</strong> wie er<br />

»tickt«. »Man muss seinen Glauben respektieren <strong>und</strong><br />

dass er versucht, ihn auf jede mögliche Weise zu<br />

verbreiten«, meint jemand aus Sofias engem Fre<strong>und</strong>eskreis.<br />

Im Endeffekt lief es darauf hinaus, dass sie<br />

nicht bereit war, sich selbst oder ihren Glauben aufzugeben,<br />

um ihre Karriere zu befördern – oder <strong>die</strong><br />

nächste Mrs <strong>Cruise</strong> zu werden.<br />

Sofia war klug genug, <strong>die</strong> Folgen des Spiels abzusehen,<br />

das da gespielt wurde. Und es scheint, dass <strong>Tom</strong><br />

es, obwohl er ständig seine Liebe <strong>und</strong> Zuneigung beteuerte,<br />

ebenfalls als Spiel sah, wenn auch ein Spiel<br />

mit hohem Gewinnpotenzial. Die letzten Blumen, <strong>die</strong><br />

er Sofia geschickt hatte, waren noch nicht verblüht,<br />

als <strong>Tom</strong> schon Sträuße an ein neues Mädchen schickte<br />

– eine propere, großäugige Schauspielerin aus dem<br />

Herzen Amerikas.<br />

Seit Tagen stand in John Carrabinos Büro in Beverly<br />

Hills das Telefon nicht mehr still. Jeder schien sich nur<br />

noch für <strong>die</strong> junge Schauspielerin zu interessieren, <strong>die</strong><br />

er managte – Katie Holmes –, <strong>und</strong> ihr Liebesleben.<br />

Seit dem 5. März 2005, als sie öffentlich <strong>die</strong> Verlobung<br />

-380-


mit ihrem langjährigen Fre<strong>und</strong> Chris Klein gelöst hatte,<br />

dem <strong>Star</strong> der Teenie-Komö<strong>die</strong> American Pie, wurde<br />

über einen neuen Mann in ihrem Leben spekuliert. Man<br />

hatte gesehen, wie sie in einem Coffeeshop in New<br />

York den umschwärmten Schauspieler Josh Harnett<br />

küsste. Die Gerüchteküche brodelte. Ein derart übersteigertes<br />

Interesse zu managen, ist nie einfach; Carrabino<br />

musste Anfragen aus dem ganzen Land abwimmeln.<br />

Es muss also eine gewisse Erleichterung –<br />

<strong>und</strong> auch eine Überraschung – gewesen sein, als Anfang<br />

April das Büro von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> in der Leitung war<br />

<strong>und</strong> nicht wieder ein Klatschkolumnist. Man fragte aus<br />

heiterem Himmel wegen eines Treffens zwischen dem<br />

Hollywoodliebling <strong>und</strong> dem Nachwuchsstar an.<br />

Ihr Manager war überrascht von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>’ Einladung,<br />

Katie Holmes hingegen ganz aus dem Häuschen<br />

vor Freude. Seit den Kindertagen in Toledo, Ohio, hatte<br />

sie davon geträumt, den Actiondarsteller aus Hollywood<br />

einmal zu treffen, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Familie hatte sie immer<br />

wieder wegen ihrer Schwärmerei aufgezogen. Sie<br />

werde ihn eines Tages heiraten, hatte sie zu ihren drei<br />

älteren Schwestern gesagt, <strong>und</strong> in einem w<strong>und</strong>erschönen<br />

großen Haus wohnen, wo sie sich morgens von<br />

ihrem Schlafzimmer aus in ihren eigenen Swimmingpool<br />

gleiten lassen könne. Selbst 1996, als sie sich <strong>die</strong><br />

Rolle der Joey Potter, eines in einer Kleinstadt aufwachsenden<br />

Teenagers, in der erfolgreichen Jugendserie<br />

Dawson‘s Creek schnappte, schwärmte sie noch<br />

für ihn. In erster Linie hatte sie <strong>die</strong> Rolle wohl ihrer<br />

schier unirdischen Unschuld – <strong>und</strong> dem schelmischen<br />

Blick ihrer grünen Augen – zu verdanken.<br />

»Sie hatte so unglaubliche Augen«, erinnerte sich der<br />

Drehbuchautor Kevin Williamson. »Es ging alles über<br />

<strong>die</strong> Augen.« Von Nonnen erzogen <strong>und</strong> in einer gottesfürchtigen<br />

Familie behütet auf gewachsen, war Katie<br />

mit ihren 17 Jahren eine richtige Unschuld vom Lande,<br />

-381-


als sie zum ersten Mal in Wilmington, North Carolina,<br />

am TV-Set erschien. Ihre Co-<strong>Star</strong>s James Van <strong>Der</strong><br />

Beek <strong>und</strong> Josh Jackson zogen sie denn auch weidlich<br />

auf mit ihrer Schwärmerei <strong>und</strong> ihrer Naivität in sexuellen<br />

Dingen.<br />

Sie hielt immer engen Kontakt zu ihrer Familie <strong>und</strong><br />

den Fre<strong>und</strong>en in Toledo <strong>und</strong> telefonierte täglich mit<br />

ihrer Mutter Kathy, <strong>die</strong> gerade eine Eierstockkrebs-<br />

Operation hinter sich hatte. Kathy besuchte sie oft am<br />

Set, <strong>und</strong> ihre beste Fre<strong>und</strong>in Meghann Birie, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

ganze Mannschaft mit ihrer Loyalität <strong>und</strong> ausgeglichenen<br />

Art beeindruckte, leistete ihrer Fre<strong>und</strong>in sogar<br />

sechs Monate lang Gesellschaft. Als sie ihre erste Immobilie<br />

kaufte, sah ihr Vater Martin, Sozius in einer<br />

Anwaltskanzlei, den Vertrag durch, <strong>und</strong> er war auch<br />

zur Stelle, als sie <strong>die</strong> Vereinbarung für <strong>die</strong> Fernsehserie<br />

unterschrieb. »Sie hat ihm absolut vertraut, <strong>und</strong> zu<br />

Recht«, sagte ein Mitglied der Filmcrew.<br />

Ihre Eltern begannen sich Sorgen zu machen, als sie<br />

merkten, dass Josh <strong>und</strong> James um ihre jüngste Tochter<br />

rivalisierten. Was zwischen den dreien ablief, war<br />

eine Episode wie in Dawson’s Creek, nur ins reale<br />

Leben übertragen. Zuerst verabredete sie sich mit<br />

dem sanften, liebenswerten James, doch dann erlag<br />

sie dem Bösen-Jungen-Charme von Josh, der früher<br />

einmal aus seiner irischen Herkunft das Recht ableitete,<br />

sich sinnlos zu betrinken. Die beiden jungen Männer,<br />

<strong>die</strong> so gute Fre<strong>und</strong>e gewesen waren, dass sie<br />

während der ersten Staffel sogar ein Zimmer geteilt<br />

hatten, wurden richtiggehende Feinde, <strong>und</strong> es kam<br />

mehrmals sogar fast zu einer Prügelei. Sie konnten<br />

nicht einmal mehr zusammen in der Maske sitzen.<br />

Katies Beziehung mit Josh, einem notorischen Schürzenjäger,<br />

machte ihren Eltern Sorgen. Da sich der Sexualk<strong>und</strong>eunterricht<br />

bei den Nonnen auf <strong>die</strong> Mahnung<br />

beschränkt hatte, Enthaltsamkeit zu üben, beschloss<br />

-382-


ein Crewmitglied bei Dawson’s Creek, ihr auch ein<br />

paar praktische Ratschläge zu geben, <strong>und</strong> berichtet:<br />

»Ich sprach mit ihr über Kondome <strong>und</strong> dass man verhüten<br />

muss. Danach war sie bestimmt vorsichtig.«<br />

Diese Erfahrungen mit den beiden jungen Männern<br />

ließen sie erwachsen werden. Bei der dritten Staffel<br />

war sie nicht mehr das süße unschuldige Mädchen aus<br />

Toledo, sondern eine junge Frau, <strong>die</strong> wusste, was sie<br />

wollte – klüger <strong>und</strong> zynischer gegenüber der Filmbranche,<br />

aber dennoch entschlossen, sich in Hollywood einen<br />

Namen zu machen. Nach ihrem ersten Film Go,<br />

einer Action-Komö<strong>die</strong>, im Jahr 1999 bekam sie in verschiedenen<br />

Filmen kleine Rollen, darunter 2000 in dem<br />

Film Die Wonder Boys an der Seite von Michael<br />

Douglas; sie spielte ein College-Mädchen, das in seinen<br />

Lehrer verknallt ist. Ein Leinwandkuss mit der Hollywoodlegende<br />

war für <strong>die</strong> junge Katie, <strong>die</strong> für Filmstars<br />

schwärmte, eine Sensation. »Katie war hin <strong>und</strong><br />

weg, aber auch sehr nervös«, erinnert sich eine<br />

Fre<strong>und</strong>in von Dawson’s Creek. »Zum Glück sahen<br />

alle, dass sie jung <strong>und</strong> unerfahren war, <strong>und</strong> nahmen<br />

sie unter ihre Fittiche.«<br />

Ebenso wie Katie Holmes’ Karriere, mit der es weiter-<br />

<strong>und</strong> aufwärtsging, entwickelte sich ihr Liebesleben.<br />

Fre<strong>und</strong>e stellten sie dem Schauspieler Chris Klein vor,<br />

der mit der unglaublich erfolgreichen Teenie-Komö<strong>die</strong><br />

American Pie gerade ganz oben schwamm. Nach<br />

Fernsehauftritten bei Saturday Night Live <strong>und</strong> mehreren<br />

Filmen, darunter Nicht auflegen! mit Colin Farrell,<br />

hatte Katie so viel vorzuweisen, dass sie bei einem<br />

TV-Special mit Gastgeber Jules Asner eine ganze<br />

St<strong>und</strong>e über ihr Leben <strong>und</strong> ihre Karriere erzählen<br />

konnte.<br />

Im Herbst 2002 verbrachte Asners Filmcrew mehrere<br />

Tage bei Katies Familie in deren weitläufigem, schindelgedecktem<br />

Haus in Toledo. In <strong>die</strong>ser interessanten<br />

-383-


Dokumentation, <strong>die</strong> erstmals im Oktober 2002 ausgestrahlt<br />

wurde, kommt <strong>die</strong> junge Schauspielerin als witziges,<br />

selbstbewusstes <strong>und</strong> willensstarkes, gelegentlich<br />

störrisches Mädchen daher, mit einer großen Portion<br />

Selbstironie. Und es wurde ebenfalls deutlich, dass<br />

ihre bew<strong>und</strong>ernde Familie sie bei jedem Schritt auf<br />

ihrem Weg liebevoll unterstützt <strong>und</strong> beraten hatte. Sie<br />

war ein fröhliches Mädchen, das innig geliebt wurde,<br />

ein Goldstück, in einer gutkatholischen Familie aufgewachsen<br />

<strong>und</strong> mit viel Verständnis erzogen.<br />

Als man an Heiligabend 2003, kurz nach Katies fünf<strong>und</strong>zwanzigstem<br />

Geburtstag, gemeinsam in <strong>die</strong><br />

Christkönigkirche zur Mitternachtsmesse ging, gab es<br />

einen besonderen Gr<strong>und</strong>, Gott zu danken. Katies langjähriger<br />

Fre<strong>und</strong> Chris Klein hatte sie am Abend gefragt,<br />

ob sie ihn heiraten wolle – nachdem er zuerst<br />

ihren Vater nervös um seinen Segen gebeten hatte.<br />

Als Beweis, dass er es ernst meinte, hatte Klein angeblich<br />

500.000 Dollar für einen Verlobungsring ausgegeben<br />

– für das Geld hätte man in Toledo ein solides<br />

Haus mit fünf Schlafzimmern kaufen können. Das<br />

aufgeregte Paar plante, im Herbst des folgenden Jahres<br />

in Los Angeles zu heiraten.<br />

Bis dahin hatte Katie einiges zu tun. Sie hatte in dem<br />

Kinohit Batman Begins <strong>die</strong> weibliche Hauptrolle bekommen<br />

<strong>und</strong> spielte neben Christian Bale dessen Jugendfre<strong>und</strong>in<br />

Rachel Dawes. Sie besuchte auch Filmpremieren<br />

– darunter <strong>die</strong> von Collateral, dem Action-<br />

Thriller mit <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>. Sie war Gast bei zahlreichen<br />

Partys der Schickeria, wo sie Leute wie das Model Elle<br />

Macpherson, <strong>die</strong> Schauspielerin Sienna Miller <strong>und</strong> den<br />

Schauspieler Jude Law traf. Sie hatte ihr burschikoses<br />

Joey-Potter-Image eindeutig hinter sich gelassen <strong>und</strong><br />

entwickelte sich zu einem schönen <strong>und</strong> talentierten<br />

Filmstar.<br />

-384-


Als sie im September 2004 nach Hollywood zurückkehrte,<br />

zeigte sich deutlich, dass <strong>die</strong> Beziehung zu ihrem<br />

Verlobten in der Krise steckte. Während Katie als<br />

kommender <strong>Star</strong> gehandelt wurde, hatte Chris große<br />

Mühe, Arbeit zu finden, nachdem er eine Rolle bei der<br />

letzten Fortsetzung von American Pie ausgeschlagen<br />

hatte. Die Me<strong>die</strong>ngerüchte von einer Beziehungskrise<br />

bestätigten sich, als es im Oktober in einem Restaurant<br />

zu einem Streit kam.<br />

Die Hochzeit wurde auf nach Weihnachten verschoben,<br />

<strong>und</strong> das Paar verbrachte <strong>die</strong> Feiertage beim Skifahren<br />

in Aspen, Colorado – einem Ort, mit dem er<br />

»viele gute Erinnerungen« verbinde, wie Chris sagte.<br />

Doch <strong>die</strong> »Flitterwochenstimmung« hielt nicht lange.<br />

Katie arbeitete an einer Hauptrolle in der Filmsatire<br />

Thank You for Smoking. Dass Chris Klein im Februar<br />

in San Diego erwischt wurde, wie er betrunken Auto<br />

fuhr, 150 St<strong>und</strong>en Sozial<strong>die</strong>nst <strong>und</strong> eine Geldstrafe<br />

von 1800 Dollar aufgebrummt bekam, schien sie nicht<br />

mehr zu kümmern. Es war für Katie der Tropfen, der<br />

das Fass zum Überlaufen brachte; im März löste das<br />

Paar seine Verlobung offiziell. Zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />

sprachen sie nicht mehr miteinander. Zum Gr<strong>und</strong> für<br />

<strong>die</strong> Trennung blieb Chris vage: »Wir sind erwachsen<br />

geworden. Die Realität hatte <strong>die</strong> Phantasie eingeholt.«<br />

Realität war, dass Katies Stern im Aufgehen begriffen<br />

war. Das war es wahrscheinlich, was <strong>Tom</strong> anzog. Als<br />

sein Büro bei Katies Manager anrief, hieß es, das Treffen<br />

sollte so bald wie möglich stattfinden, es ginge um<br />

einen Film. <strong>Tom</strong> spreche schon seit Wochen mit verschiedenen<br />

Schauspielerinnen, er suche jemand für<br />

<strong>die</strong> weibliche Hauptrolle in Mission: Impossible III<br />

als Verlobte von Ethan Hunt. Es war Katies große<br />

Chance, aber sie schien nur eine von vielen zu sein,<br />

<strong>und</strong> bald kursierten Gerüchte, dass mehr hinter dem<br />

Casting steckte. Die Auswahl der Kandidatinnen beför-<br />

-385-


derten <strong>die</strong>se Gerüchte noch. Es wurde auch berichtet,<br />

dass außer Jessica Alba, <strong>die</strong> sich im Jahr zuvor von<br />

ihrem Verlobten getrennt hatte, auch Kate Bosworth<br />

auf <strong>die</strong>ser Liste stand; sie hatte sich im Februar ebenfalls<br />

von ihrem Fre<strong>und</strong>, dem Schauspieler Orlando<br />

Blum, getrennt. Es folgte Scarlett Johansson, <strong>die</strong> Single<br />

war, aber offensichtlich nur an älteren Männern<br />

interessiert. Unter den Klatschkolumnisten wurde gemunkelt,<br />

dass <strong>Cruise</strong> nach mehr Ausschau hielt als<br />

nach einer Schauspielerin für eine Hauptrolle. Auch in<br />

seinem Leben war ein Platz frei geworden.<br />

Katie Holmes stand auf derselben Liste wie <strong>die</strong> anderen.<br />

Sie mag begeistert gewesen sein, aber <strong>Cruise</strong><br />

hatte sein Netz weit ausgelegt. Katie passte, aber das<br />

galt auch für viele andere. Was wirklich zählte, war, ob<br />

sie den Test bestand. Als Carrabino Katie von dem<br />

Treffen mit <strong>Cruise</strong> erzählte, flog sie von New York, wo<br />

sie damals lebte, sofort nach Los Angeles. Das war um<br />

den 11. April 2005 – weniger als drei Wochen nachdem<br />

<strong>Tom</strong> Sofia Vergara heftig umworben hatte. Zwei<br />

Wochen lang wurde Katie von Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Familie<br />

nicht mehr gesehen. Sie verschwand. Diese vierzehn<br />

Tage mit <strong>Cruise</strong> brachten <strong>die</strong> Entscheidung. Danach<br />

hatte sie alle Mitbewerberinnen um <strong>die</strong> Rolle an seiner<br />

Seite ausgestochen.<br />

Wie bei der ersten Begegnung zwischen <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole<br />

Kidman, bestand auch zwischen <strong>die</strong>sen beiden<br />

sofort eine starke Beziehung. »Es war Liebe auf den<br />

ersten Blick«, gestand sie Talkmaster Jay Leno. <strong>Cruise</strong><br />

fuhr mit ihr am Strand von Santa Monica entlang, ihre<br />

erste Fahrt auf einem Motorrad. »Es ging ganz<br />

schnell«, erinnerte sie sich später. »Ich war in ihn verliebt,<br />

schon als ich ihm zum ersten Mal <strong>die</strong> Hand gab.«<br />

Katie bekam <strong>die</strong> Rolle bei Mission: Impossible III<br />

nicht, sie hatte eine andere Art von Beziehung geknüpft.<br />

Kurz nach <strong>die</strong>sem Treffen fuhr vor Katies Haus<br />

-386-


eine Limousine mit Blumen <strong>und</strong> Pralinen vor. Offenbar<br />

hatte er – eine generöse Geste -Katies Wagen reinigen<br />

<strong>und</strong> umlackieren lassen. Einer Frau den Hof machen,<br />

das beherrschte <strong>Cruise</strong> – schließlich war es erst wenige<br />

Wochen her, dass er Sofia Vergara umworben hatte.<br />

Als Zugabe überreichte er ihr noch ein <strong>Scientology</strong>-<br />

Handbuch.<br />

Ihre erste richtige Verabredung war ein Sushi-Dinner<br />

an Bord eines seiner am Flughafen von Santa Monica<br />

geparkten Privatjets. Es war ein Vorgeschmack auf <strong>die</strong><br />

Dinge, <strong>die</strong> da kommen sollten – nicht nur auf das luxuriöse<br />

Leben, sondern weil sie nicht allein waren.<br />

Während des ganzen Abendessens war <strong>Cruise</strong>’ engster<br />

Scientologen-Fre<strong>und</strong>eskreis anwesend. Wer genau dabei<br />

war, lässt sich nicht in Erfahrung bringen -<br />

wahrscheinlich zählte zu den Gästen aber auch <strong>Scientology</strong>-Führer<br />

David Miscavige <strong>und</strong> eine zu Katies neuer<br />

bester Fre<strong>und</strong>in designierte Frau – <strong>die</strong> hochgewachsene,<br />

stets wachsame Jessica Feshbach Rodriguez.<br />

Katie sollte von <strong>die</strong>sen Leuten mehr sehen, als sie sich<br />

je hätte vorstellen können.<br />

Offenbar hat sie ihr Casting in der <strong>Scientology</strong>-<br />

Gesellschaft bestanden. Natürlich wollte <strong>Tom</strong> <strong>die</strong> junge<br />

Schauspielerin auch seinen Kindern Isabella <strong>und</strong> Connor<br />

vorstellen, <strong>die</strong> wenige Wochen zuvor noch mit Sofia<br />

Vergaras Sohn Manolo gespielt hatten.<br />

Als Katie nach New York zurückflog, sprühten ihre<br />

Augen. Ein paar Tage später hörte jemand, wie sie im<br />

<strong>Star</strong>bucks-Coffeeshop am Waverly Place in der Nähe<br />

ihrer Wohnung in Soho einer Fre<strong>und</strong>in von ihrer neuen<br />

Liebe vorschwärmte. »Er hat mich seinen Kindern vorgestellt!«,<br />

flüsterte sie. »Und am Wochenende nimmt<br />

er mich in seinem Privatjet mit nach Rom!«<br />

<strong>Tom</strong> holte Katie am 23. April in New York ab <strong>und</strong> flog<br />

mit ihr nach Rom, wo sie in einer Suite im Hotel Hassler<br />

wohnten, <strong>die</strong> pro Nacht 3500 Dollar kostet. Er hatte<br />

-387-


das Doppelbett mit roten Rosenblättern bestreuen lassen<br />

<strong>und</strong> aß mit ihr im selben Restaurant, in dem er<br />

etwas mehr als ein Jahr zuvor mit Penelope Cruz gesessen<br />

hatte. Die beiden wurden von Paparazzi gesichtet,<br />

es war ihr erster Auftritt als bis über beide Ohren<br />

verliebtes Paar. Das Bild sollte einem in den folgenden<br />

Monaten noch oft begegnen.<br />

In den USA sah Sofia Vergara <strong>die</strong> Bilder von <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> seiner neuen Liebe im Fernsehen. Erst da<br />

wurde ihr klar, wie knapp sie entkommen war. »Zu<br />

mir hat Sofia gesagt, dass ihr das arme Mädchen leidtut.<br />

Katie ist viel schwächer <strong>und</strong> naiver als Sofia«, erzählte<br />

eine Fre<strong>und</strong>in.<br />

Sofia hatte Mitleid mit dem Mädchen, das ihren Platz<br />

eingenommen hatte; für ihre Familie <strong>und</strong> <strong>die</strong> Fre<strong>und</strong>e<br />

in Toledo war es geradezu ein Schock. Erst sechs Wochen<br />

zuvor hatte sie sich von ihrem Verlobten Chris<br />

Klein getrennt, <strong>und</strong> jetzt ging sie mit einem zweimal<br />

geschiedenen Mann, der sechzehn Jahre älter war als<br />

sie. Als sie Katie mit <strong>Tom</strong> anlässlich der David-di-<br />

Donatello-Awards am 29. April über den roten Teppich<br />

schreiten sahen, fielen den Eltern noch andere Veränderungen<br />

an ihrer sonst so lebhaften Tochter auf.<br />

Während sie lächelte, ihre neue Liebe küsste <strong>und</strong> für<br />

Fotos posierte, war Katie ungewöhnlich schweigsam –<br />

<strong>und</strong> versuchte, sich kleiner zu machen. Diesem Muster<br />

sollten künftig alle öffentlichen Auftritte folgen; hin<br />

<strong>und</strong> wieder gab <strong>Tom</strong> ein kurzes Interview, um aller<br />

Welt zu sagen, wie »toll« <strong>und</strong> »w<strong>und</strong>erbar« Katie sei<br />

<strong>und</strong> wie sehr sie sich liebten. Und Katie stand lächelnd<br />

daneben, ohne ein einziges Wort zu sagen.<br />

Spontaneität war für <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> ein Fremdwort. Andere<br />

kontrollieren, ihnen Befehle geben, Chancen abwägen<br />

– damit kannte er sich aus. Und vermied jedes<br />

Risiko. »Er ist pedantisch <strong>und</strong> sehr eigen, wie Martha<br />

Stewart«, sagte ein Fre<strong>und</strong> zu mir, wobei er seine<br />

-388-


Worte sorgfältig wählte. Im Mai 2005, seine Romanze<br />

mit Katie Holmes war gerade ein paar Wochen alt, trat<br />

er in Chicago bei Oprah Winfreys TV-Show auf, angeblich<br />

um seinen neuesten Film Krieg der Welten zu<br />

promoten. <strong>Tom</strong> ist ein alter Hase im PR-Zirkus. Im<br />

grellen Licht der Studioscheinwerfer beherrschte er<br />

seinen Part, zeigte sich umgänglich <strong>und</strong> herzlich, stand<br />

aber in dem Ruf, nur solche persönlichen Details preiszugeben,<br />

<strong>die</strong> er wirklich öffentlich machen wollte.<br />

Oprah bemerkte später dazu: »<strong>Tom</strong> ist normalerweise<br />

sehr verschlossen <strong>und</strong> hat seine eigenen Vorstellungen,<br />

was er dir erzählt <strong>und</strong> was nicht.« Auch Oprah ist<br />

in <strong>die</strong>sem Geschäft ein alter Hase; sie akzeptierte ihre<br />

Rolle als Cheerleader für seinen neuen Film, versuchte<br />

ihm’ aber dennoch ein paar Leckerbissen über seine<br />

jüngste Romanze zu entlocken. Monate nach seiner<br />

Heirat mit Nicole, zum Beispiel, hatte das frisch vermählte<br />

Paar auf Oprahs Sofa gesessen <strong>und</strong> ihr berichtet,<br />

wie glücklich sie seien, während sie gleichzeitig<br />

Schleichwerbung für ihren neuen Film In einem fernen<br />

Land machten.<br />

Beide, Oprah wie <strong>Tom</strong>, kannten <strong>die</strong> Spielregeln.<br />

Schließlich lieferten sie sich schon seit Jahren Wortgefechte,<br />

beruflich wie gesellschaftlich. Sowohl <strong>Tom</strong> wie<br />

auch ihr Nachbar John Travolta hatten mehrmals versucht,<br />

sie für <strong>Scientology</strong> zu gewinnen. Aber heute<br />

schien es, als hätte <strong>Tom</strong> das Buch mit den Regeln<br />

fortgeworfen, <strong>und</strong> Oprah fragte sich, welches Spiel er<br />

eigentlich spielte.<br />

Kaum hatte er ihr Studio betreten, begann er eine<br />

Vorstellung hinzulegen, <strong>die</strong> einen Oscar ver<strong>die</strong>nt hätte,<br />

wäre er nicht so schwer zu bekommen. Vor einem<br />

Publikum begeistert kreischender, nahezu hysterischer<br />

Frauen kniete sich der Romeo aus New Jersey vor der<br />

verblüfften Talkmasterin hin, als wollte er ihr einen<br />

Heiratsantrag machen. Er hieb mit der Faust in <strong>die</strong><br />

-389-


Luft. Er lachte hysterisch. Er sprang rückwärts auf <strong>die</strong><br />

Couch, schon keine geringe Leistung, wenn das Fernsehen<br />

nicht live dabei ist. Er hielt sich mit den Händen<br />

den Kopf, als wäre er völlig überwältigt. Während<br />

<strong>Tom</strong>, manchmal ziemlich zusammenhanglos, von seiner<br />

neuen Liebe erzählte, von Romantik, roten Rosen<br />

<strong>und</strong> Tauchen plapperte, rief Oprah immer wieder dazwischen:<br />

»Du bist verrückt!«, insgesamt ungefähr<br />

neunzehnmal.<br />

»Ich bin verliebt! Ich bin verliebt!«, verkündete<br />

<strong>Cruise</strong> lauthals <strong>und</strong> warf <strong>die</strong> Hände in <strong>die</strong> Luft. »Ich<br />

kann jetzt nicht cool sein, gelassen. Es ist passiert,<br />

<strong>und</strong> ich möchte es feiern. Ich möchte sie feiern. Sie ist<br />

eine ganz besondere Frau… sie ist w<strong>und</strong>erbar.« Einmal<br />

in Schwung gekommen, war er nicht mehr zu stoppen.<br />

Er pries Katies »Großzügigkeit, ihren Elan, ihre Vitalität«.<br />

Und er enthüllte während <strong>die</strong>ser ungewöhnlichen<br />

Darbietung, dass <strong>die</strong> inzwischen berühmt-berüchtigte<br />

Motorradfahrt auf einer Maschine stattgef<strong>und</strong>en hatte,<br />

<strong>die</strong> Steven Spielberg ihm geliehen hatte. <strong>Der</strong> per Videolink<br />

zugeschaltete Regisseur bat den Schauspieler<br />

vergeblich, seinen Film zu promoten, anstatt nur von<br />

sich selbst <strong>und</strong> seiner neuen Liebe zu reden. »Erzähl<br />

doch ein bisschen über Krieg der Welten, wir kommen<br />

nämlich bald in <strong>die</strong> Kinos!«<br />

Erst als Oprah ihn fragte, seit wann er <strong>die</strong> Frau kenne,<br />

<strong>die</strong> seine Welt so erschüttert hatte, besann <strong>Tom</strong><br />

sich auf den ursprünglichen Zweck des Auftritts <strong>und</strong><br />

sagte, sie sollten über seinen neuen Film reden. Oprah<br />

hatte eine unangenehme Tatsache aufgedeckt: <strong>Tom</strong><br />

kannte Katie erst seit etwas mehr als einem Monat.<br />

Trotzdem hatte er offenbar schon <strong>die</strong> Absicht, sie zu<br />

heiraten, als wollte er das Mädchen nicht enttäuschen,<br />

das dem Magazin Seventeen einmal erzählt hatte, es<br />

sei sein Traum, Mrs <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> zu werden.<br />

-390-


Später gestand Oprah, <strong>die</strong> das Paar zwei Tage vor<br />

dem Interview bei ihrem Legends Ball in Santa Barbara<br />

getroffen hatte, <strong>Tom</strong>s Verhalten sei ihr rätselhaft<br />

erschienen – <strong>und</strong> nicht wenig verdächtig. Sie habe<br />

während des Interviews immer wieder versucht, dahinterzukommen,<br />

ob es echte Zuneigung sei oder eine<br />

einstu<strong>die</strong>rte Vorstellung. »Es war noch wilder, als es<br />

mir vorkam«, sagte sie. »Ich habe einfach versucht,<br />

für mich selbst bei der Wahrheit zu bleiben, weil ich<br />

nicht begriff, was da vor sich ging. Ich habe es ihm<br />

nicht abgenommen, nein. Deshalb habe ich immer<br />

wieder gesagt: >Du bist verrückt, du bist wirklich verrückt!


y of American Slang zum Ausdruck des Jahres gekürt<br />

<strong>und</strong> definiert als »von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> inspirierter umgangssprachlicher<br />

Ausdruck für übertrieben begeistertes<br />

oder bizarres Verhalten«.<br />

Auch <strong>Tom</strong>s Motivation wurde eingehend untersucht.<br />

Warum legte ein 42-jähriger Mann, der zwei Ehen hinter<br />

sich hatte, dessen zwei kleine, in ihrem Alter besonders<br />

empfängliche Kinder ihn im Fernsehen sahen,<br />

ein derartiges Verhalten an den Tag? Selbst wenn er<br />

wie das Glück in Person wirkte, es war kein normales<br />

Verhalten, schon gar nicht für einen Mann, der dem<br />

Ausdruck »<strong>Cruise</strong> Control« eine neue Bedeutung gegeben<br />

hatte. Er hatte sich unberechenbar, exaltiert<br />

<strong>und</strong> unkontrolliert verhalten, fast als wäre er mental<br />

abgehoben. Janet Carroll, <strong>die</strong> in Lockere Geschäfte<br />

seine Mutter spielte, bemerkte hierzu trocken: »Leute<br />

fragen mich, ob ich damals, als ich mit ihm arbeitete,<br />

gewusst hätte, dass er sich zu einem Spinner entwickeln<br />

würde.«<br />

Als er <strong>Tom</strong> wie einen Besessenen auf <strong>und</strong> nieder<br />

springen sah, fühlte sich der Ex-Scientologe Peter Alexander<br />

an sein eigenes Verhalten erinnert. Er hatte,<br />

ebenso wie <strong>Tom</strong>, <strong>die</strong> Stufe eines Operating Thetan VII<br />

erreicht, auf der der Mensch angeblich auf der Schwelle<br />

zum Superman steht. »Das Herumspringen auf der<br />

Couch ließ sich direkt auf den Umstand zurückführen,<br />

dass er keinen Bezug zur Realität mehr hat«, sagte<br />

Alexander. »Kein normaler, geistig ges<strong>und</strong>er Mensch<br />

würde so auf eine Liebesbeziehung reagieren, weil er<br />

ein Gespür für sich selbst <strong>und</strong> ein Gespür für seinen<br />

Platz in der Realität hätte. Als OT VII verliert man <strong>die</strong>ses<br />

Gespür, weil ein Teil von einem immer noch in <strong>die</strong>sem<br />

hypnotischen, tranceähnlichen Zustand ist.«<br />

Nur 48 St<strong>und</strong>en später stand <strong>Tom</strong>s Religion im Mittelpunkt<br />

eines PR-Karussells, <strong>und</strong> der Schauspieler<br />

wechselte mühelos von der Seifenoper zu Volksreden<br />

-392-


auf der Seifenkiste. <strong>Der</strong> Mann, der sich bereits als Experte<br />

für Erziehung <strong>und</strong> Bildung, Menschenrechte, Religionsfreiheit,<br />

Entgiftung <strong>und</strong> Drogenentzug hingestellt<br />

hatte, hatte ein neues Fachgebiet entdeckt.<br />

<strong>Cruise</strong> präsentierte sich im Fernsehen als Experte für<br />

Wochenbettdepression. Zielscheibe seiner Attacke war<br />

<strong>die</strong> Schauspielerin Brooke Shields, der <strong>Star</strong> aus seinem<br />

ersten Film Endlose Liebe.<br />

In einer wenige Wochen zuvor erschienenen Autobiographie<br />

hatte Brooke Shields berichtet, dass sie Antidepressiva<br />

genommen hatte, als sie an einer Wochenbettdepression<br />

litt. Woraufhin <strong>Cruise</strong> einen Auftritt bei<br />

Access Hollywood nutzte, um <strong>die</strong> Schauspielerin dafür<br />

zu kritisieren. »Ich mache mir Sorgen um Brooke<br />

Shields. Sie ist eine unglaublich talentierte Frau – [aber]<br />

wo ist ihre Karriere hin?«<br />

Mit der PR für Krieg der Welten schien es wieder<br />

nichts zu werden. »Diese Medikamente sind gefährlich.<br />

Ich habe schon Leuten helfen können, davon wegzukommen«,<br />

erklärte <strong>Cruise</strong>. »Wenn wir über Wochenbettdepression<br />

reden, dann behandelt man Frauen am<br />

besten, indem man ihnen Vitamine gibt.« Es ist ein<br />

Glaubensartikel von <strong>Tom</strong>s Kirche, dass eine psychische<br />

Erkrankung mit Vitaminen <strong>und</strong> nicht mit klinisch erprobten<br />

Medikamenten behandelt werden soll.<br />

Brooke Shields, <strong>die</strong> in London gerade an einem Musical<br />

arbeitete, reagierte später auf <strong>Cruise</strong>’ Kritik mit<br />

einer ironischen Erwiderung auf der Meinungsseite der<br />

New York Times. Was sie schrieb, dürfte dem entsprochen<br />

haben, was viele empörte Frauen <strong>und</strong> Ärzte<br />

empfanden: »Ich fühle mich aufgerufen, nicht nur für<br />

mich selbst zu sprechen, sondern auch <strong>die</strong> H<strong>und</strong>erttausenden<br />

von Frauen, <strong>die</strong> schon einmal an einer<br />

Wochenbettdepression gelitten haben. Ich möchte <strong>die</strong><br />

kühne Behauptung aufstellen, dass Mr <strong>Cruise</strong> noch<br />

niemals an einer Wochenbettdepression gelitten hat…<br />

-393-


<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>’ Äußerungen sind unverantwortlich <strong>und</strong><br />

gefährlich… <strong>Tom</strong> sollte sich weiter darum kümmern,<br />

<strong>die</strong> Welt vor Außerirdischen zu retten, <strong>und</strong> <strong>die</strong> an einer<br />

Wochenbettdepression erkrankten Frauen selbst entscheiden<br />

lassen, welche Behandlung am besten für sie<br />

ist.«<br />

Ein bislang treuer Verbündeter war angesichts der<br />

lautstarken Proteste sicher alles andere als erfreut über<br />

<strong>Tom</strong>s jüngste Darbietungen. So wie <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> zu<br />

Recht den Ruf hat, sehr konzentriert <strong>und</strong> voller Energie<br />

zu arbeiten, so ist Steven Spielberg, der Regisseur<br />

von Krieg der Welten, nicht nur für seine Kreativität<br />

bekannt, sondern auch für seinen absoluten Einsatz<br />

für jeden seiner Filme. Spielberg war nicht sehr angetan<br />

davon, dass <strong>die</strong> teure PR-Kampagne für den Film<br />

durch <strong>die</strong> Attacke seines alten Fre<strong>und</strong>es auf Brooke<br />

Shields <strong>und</strong> seine Mätzchen auf einer Couch völlig aus<br />

dem Gleis geriet. Spielbergs Fre<strong>und</strong>en fiel auf, dass er<br />

ab <strong>die</strong>sem Zeitpunkt von <strong>Tom</strong> nur in der Vergangenheitsform<br />

sprach.<br />

Spielberg <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> hatten sich am Set von<br />

Lockere Geschäfte zum ersten Mal getroffen. Beide<br />

Männer rühmten sich ihrer konzentrierten, engagierten<br />

Arbeit <strong>und</strong> lobten sich gegenseitig in den höchsten Tönen.<br />

Als es den Anschein hatte, als würde Minority<br />

Report nicht gedreht, weil beide zu viel Geld verlangten,<br />

rief Spielberg den jüngeren Mann an <strong>und</strong> überredete<br />

ihn, seine Gagenforderung herunterzuschrauben.<br />

Er hatte auch kein Problem mit <strong>Tom</strong>s Religion. Er hatte<br />

sich zwar nicht besonders intensiv mit <strong>Scientology</strong> beschäftigt,<br />

bevor <strong>die</strong> Kirche am Set von Krieg der Welten<br />

ihre Zelte aufschlug, Scientologen aber immer als<br />

höfliche <strong>und</strong> angenehm wirkende Menschen empf<strong>und</strong>en,<br />

<strong>die</strong> einen guten Augenkontakt herstellten <strong>und</strong><br />

sich an ihrem Gegenüber interessiert zeigten. Er erzählte<br />

gerne <strong>die</strong> Geschichte, wie ein früherer Partner<br />

-394-


seiner jetzigen Frau Kate Capshaw sie einem Test mit<br />

dem E-Meter unterzogen hatte, um herauszufinden, ob<br />

sie eine Affäre mit dem Hollywoodregisseur hatte. Den<br />

<strong>Scientology</strong>-Test bestand sie, aber kurz danach verließ<br />

sie ihn wegen Spielberg.<br />

Selbst als <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Steven Spielberg während der<br />

Dreharbeiten von Krieg der Welten einmal mit David<br />

Miscavige zu Mittag aßen, wurde nicht über <strong>Scientology</strong><br />

gesprochen, sondern über <strong>die</strong> Vorteile von Flugsimulatoren.<br />

<strong>Tom</strong>s Glauben kam ins Spiel, als eines von<br />

Spielbergs Kindern wegen Lernproblemen Hilfe<br />

brauchte. <strong>Der</strong> Schauspieler schlug vor, Spielberg solle<br />

den Jungen in ein <strong>Scientology</strong>-Center in Hollywood<br />

bringen. Das tat Spielberg auch, doch als man ihm<br />

sagte, gemäß den <strong>Scientology</strong>-Gr<strong>und</strong>sätzen müssten<br />

seine Medikamente abgesetzt werden, verzichtete er<br />

auf ihre Hilfe. Im Zuge der Legendenbildung um <strong>Cruise</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Scientology</strong> wurde aus <strong>die</strong>ser Episode inzwischen<br />

<strong>die</strong> Geschichte, dass Spielberg den eines seiner Kinder<br />

behandelnden Psychiater namentlich erwähnt habe<br />

<strong>und</strong> daraufhin innerhalb weniger Tage Scientologen<br />

vor dessen Praxis Mahnwachen abhielten.<br />

Während der übertriebene Klatsch den <strong>Scientology</strong>-<br />

Mythos aufpolierte, war <strong>die</strong> sich abkühlende Fre<strong>und</strong>schaft<br />

zwischen dem Regisseur <strong>und</strong> dem Schauspieler<br />

eine typische Hollywoodgeschichte – es ging immer<br />

nur ums Geld. Spielberg fürchtete schlichtweg, <strong>Tom</strong>s<br />

Verhalten könnte sich negativ auf das Einspielergebnis<br />

ihres Films auswirken. Einer seiner langjährigen Weggefährten<br />

sagte dazu: »Das Ende der Fre<strong>und</strong>schaft<br />

war, dass <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> sich in Stevens Augen nicht<br />

teamgerecht verhielt. Er brachte <strong>die</strong> PR für den Film<br />

durch seine Sofa-Mätzchen völlig aus dem Gleis. Steven<br />

konzentriert sich voll <strong>und</strong> ganz auf <strong>die</strong> Sache, an<br />

der er gerade arbeitet, <strong>und</strong> dann widmet er sich der<br />

nächsten Aufgabe. Er engagiert sich schonungslos für<br />

-395-


seine Kunst. Wer ihn enttäuscht, mit dem arbeitet er<br />

nicht mehr.«<br />

Wenn schon Spielberg <strong>Tom</strong>s Verhalten missbilligte,<br />

kann man sich unschwer vorstellen, wie es Katies Eltern<br />

ging, als sie den Mann, den sie noch gar nicht<br />

persönlich kannten, Oprah Winfrey seine unsterbliche<br />

Liebe zu ihrer Tochter demonstrieren sahen. Ihr Ex-<br />

Verlobter Chris Klein hatte Mr Holmes wenigstens noch<br />

um seine Einwilligung gebeten, ehe er ihr einen Heiratsantrag<br />

machte.<br />

Nur wenige Jahre zuvor hatten Katies Familie <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>e Kamerateams in Toledo willkommen geheißen<br />

<strong>und</strong> ihnen fröhlich von Katie <strong>und</strong> ihrem Erfolg bei<br />

Daivson’s Creek erzählt. Jetzt herrschte dröhnendes<br />

Schweigen. Nicht einmal mehr Meghann Birie, ihre<br />

Fre<strong>und</strong>in aus Kindergartentagen, <strong>die</strong> immer einen ausgleichenden<br />

Einfluss auf Katie gehabt hatte, spielte<br />

mehr eine Rolle. <strong>Tom</strong>s Schwester Lee Anne DeVette<br />

schrieb Briefe an <strong>die</strong> örtliche Kirchengemeinde, an Katies<br />

frühere Schule <strong>und</strong> sogar <strong>die</strong> Lokalzeitung mit der<br />

Bitte, <strong>die</strong> Privatsphäre der Familie zu respektieren <strong>und</strong><br />

nicht über Toledos berühmte Tochter zu reden. Ganz<br />

Toledo war stolz auf Katie Holmes, aber <strong>Tom</strong>Kat<br />

schien ein gefährliches Thema zu sein. <strong>Der</strong> katholische<br />

Priester am Ort, Father Mike Brown, verhielt sich sehr<br />

typisch <strong>und</strong> wollte keinen Kommentar zu Katies Verbindung<br />

mit <strong>Scientology</strong> abgeben. »<strong>Scientology</strong> betrifft<br />

nur eine Familie hier, <strong>und</strong> ich möchte ihre Privatsphäre<br />

respektieren«, war alles, was er sagte.<br />

Ebenso wie <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> danach Nicole wurde auch Katie<br />

Holmes von <strong>Scientology</strong> im Handumdrehen in einen<br />

Kokon eingesponnen <strong>und</strong> kontrolliert. Lee Anne DeVettes<br />

Forderungen an <strong>die</strong> Einwohner von Katies Heimatstadt,<br />

Schweigen zu bewahren, waren erst der Anfang.<br />

Katie wurde sehr schnell in das Leben auf dem Planeten<br />

<strong>Tom</strong> integriert, <strong>und</strong> selbst dem ganz zufälligen Be-<br />

-396-


obachter fiel auf, dass aus der lebhaften jungen<br />

Schauspielerin eine perfekte, ewig lächelnde »Frau an<br />

seiner Seite« in moderner Version geworden war. Eine<br />

Webseite mit Namen »FreeKatie.net«, gewidmet der<br />

»Befreiung Katies, einer jungen, begabten Schauspielerin,<br />

<strong>die</strong> von Kräften, <strong>die</strong> wir vielleicht nie verstehen<br />

werden, gefangen gehalten wird«, machte mit T-<br />

Shirts, Trucker-Mützen, Aufklebern <strong>und</strong> Kaffeebechern<br />

mit der Botschaft »Free Katie« ein Bombengeschäft.<br />

Als Erstes musste ihr Name weg. <strong>Tom</strong> bevorzugte<br />

Kate, also hieß sie fortan Kate. Dann kam ihr Auftreten<br />

an <strong>die</strong> Reihe. Das Mädchen, dessen blitzende grüne<br />

Augen den Regisseur von Dawson’s Creek fasziniert<br />

hatten, wirkte jetzt wie erloschen. »In meiner Familie<br />

kann niemand zum eigenen Vorteil lügen«, hatte sie<br />

einmal gesagt. »Wir geraten immer in Schwierigkeiten.<br />

Unsere Augen verraten alles.« Bei der PR-<br />

Tour für Batman Begins fielen den Journalisten ihre<br />

leeren, leblosen Augen auf. Robert Haskell schrieb,<br />

ihre Augen »blickten ins Leere«. Von anderen bekam<br />

sie den Spitznamen Katie »Totauge« Holmes.<br />

Nicht nur ihre Augen, auch der Rest ihres Gesichtes<br />

wurde einer strengen Prüfung unterzogen. Als ihre<br />

Haut Pickel <strong>und</strong> Flecken bekam, schrieb man sie <strong>Scientology</strong>s<br />

»Purification R<strong>und</strong>own« zu, bei dem der Körper<br />

durch Vitamingaben, Sport <strong>und</strong> lange Saunagänge von<br />

Giftstoffen befreit werden soll. In Wirklichkeit war es<br />

ein Bläschenausschlag – eine Hauterscheinung, <strong>die</strong> in<br />

der Familie liegt <strong>und</strong> in Kates Fall von Stress ausgelöst<br />

wird.<br />

An <strong>die</strong> Stelle von Katies natürlicher Lebhaftigkeit<br />

schien eine Art vorgefertigte Verzückung zu treten,<br />

wenn sie <strong>die</strong> immer gleichen Liebesschwüre wiederholte.<br />

»Ich bin überwältigt, ich bin so glücklich«, sagte<br />

sie dem Boulevardreporter Rüben Nepales. »Ich bin<br />

glücklich, also werde ich einfach weiterlächeln«, er-<br />

-397-


klärte sie Christopher Goodwin vom Magazin Tatler.<br />

Gegen Ende eines Interviews kam ein Sicherheitsmann<br />

in den Raum mit einer Chanel-Halskette aus Diamanten,<br />

einem Geschenk von <strong>Tom</strong>. »So ist mein Mann,<br />

mein Mann!«, rief Katie aus, als sie das Kästchen öffnete.<br />

Während seiner Ehe mit Nicole Kidman hatte<br />

<strong>Tom</strong> sich ähnlich verhalten, sie mitten in einem Interview<br />

angerufen, Geschenke oder Botschaften geschickt.<br />

Es sollte wohl an <strong>Tom</strong>s Allgegenwart erinnern,<br />

selbst wenn er physisch nicht anwesend war.<br />

Als Vertretung für <strong>Tom</strong> fungierte auch Katies offizielle<br />

neue beste Fre<strong>und</strong>in, Jessica Feshbach Rodriguez, ein<br />

Mitglied der Elitetruppe Sea Org. Sie war ihre Betreuerin<br />

bei <strong>Scientology</strong> <strong>und</strong> von ihrer höheren spirituellen<br />

Mission abgestellt, um Katie im Sommer 2005 auf ihrer<br />

PR-Tour für Batman Begins zu begleiten. Jessica<br />

war nicht nur innerhalb von <strong>Scientology</strong> aufgewachsen<br />

<strong>und</strong> ausgebildet worden, sie stammte aus einer reichen<br />

Familie von Wertpapierhändlern, <strong>die</strong> ihrer Kirche<br />

Millionen von Dollar gespendet hatten; ihre Tante managte<br />

ein <strong>Scientology</strong>-Center in Florida. Ihre Anwesenheit<br />

war ein Hinweis darauf, wie wichtig es <strong>Scientology</strong><br />

war, Katie möglichst schnell zu ihrer Sache zu<br />

bekehren.<br />

Wenn Kate redete, registrierte Jessica Feshbach jedes<br />

einzelne Wort. Oder sprach gleich für sie. Bei einem<br />

Interview mit dem Journalisten Robert Haskell,<br />

als Katie nicht sofort wusste, wie sie ihre Gefühle für<br />

<strong>Tom</strong> beschreiben sollte, war Jessica sofort zur Stelle.<br />

»Du betest ihn an«, soufflierte sie. Und Katie fand<br />

prompt wieder ins richtige Gleis: »Ich bin so glücklich<br />

<strong>und</strong> so – als hätte ich ein w<strong>und</strong>erbares Geschenk bekommen.«<br />

Als ein Journalist wissen wollte, was Katie<br />

zu der allgemeinen Skepsis gegenüber ihrer neuen<br />

Liebe meine, antwortete Jessica für sie: »Um ehrlich<br />

zu sein, wir lesen solches Zeug nicht, weil es einfach<br />

-398-


unverschämt ist.« Andere Teilnehmer der PR-Tour erinnern<br />

sich, dass Jessica Feshbach Mitarbeiter oft herablassend<br />

behandelte, der PR-Arbeit gegenüber Misstrauen<br />

an den Tag legte <strong>und</strong> bei Interviews häufig störend<br />

dazwischenfuhr.<br />

Jessica war <strong>die</strong> zentrale Figur in dem neuen Team,<br />

das Katie bald betreuen sollte. Innerhalb weniger Wochen<br />

wurden <strong>die</strong> treuen PR-Berater <strong>und</strong> persönlichen<br />

Fre<strong>und</strong>e der Schauspielerin abserviert. Anfang Juni<br />

wurde ihr Agent bei CAA, Brandt Joel, entlassen <strong>und</strong><br />

durch <strong>Tom</strong>s Männer in derselben Agentur – Rick Nicita<br />

<strong>und</strong> Kevin Huvane – ersetzt. <strong>Der</strong> Nächste war ihr langjähriger<br />

Manager John Carrabino, der auch Renee<br />

Zellweger vertrat. Als sie für ihre Rolle in Unterwegs<br />

nach Cold Mountain einen Preis der Screen Actors<br />

Guild bekam, dankte sie ganz besonders Carrabino:<br />

»Jeder braucht einen John Carrabino. Ich habe das<br />

Glück, dass Sie mir Ihre klugen Worte schenken.« Eine<br />

Klugheit, <strong>die</strong> Katie nicht mehr brauchte. Als Letzte<br />

musste Leslie Sloane-Zelnick gehen, <strong>die</strong> neun Jahre<br />

lang ihre PR-Agentin war; sie wurde durch <strong>Tom</strong>s<br />

Schwester <strong>und</strong> glühende Scientologin Lee Anne DeVette<br />

ersetzt.<br />

Katies Fre<strong>und</strong>en daheim in Toledo erging es nicht anders.<br />

Nicht nur Meghann Birie, auch andere Fre<strong>und</strong>e<br />

klagten, dass sie keinen Kontakt mehr mit der jungen<br />

Schauspielerin hätten.<br />

Ein ehemaliger Schulkamerad, der anonym bleiben<br />

möchte, beschrieb <strong>die</strong> <strong>Tom</strong>Kat-Beziehung als »seltsam«<br />

<strong>und</strong> verglich sie mit der glücklosen Paarung Liza<br />

Minelli <strong>und</strong> David Gest. Ihre Kommentare waren denen<br />

von Sofia Vergaras Fre<strong>und</strong>en auffallend ähnlich, <strong>die</strong><br />

anfängliche Freude wich schnell dem Unbehagen.<br />

»Erst fanden wir es toll, dass Katie mit <strong>Tom</strong> ausging,<br />

aber dann entfernte sie sich immer mehr, <strong>und</strong> ich<br />

-399-


merkte, das liegt daran, dass wir nicht bei <strong>Scientology</strong><br />

sind. Es wurde irgendwie seltsam.«<br />

Erst bei der Premiere von Batman Begins im Juni<br />

lernten Katies Eltern <strong>Tom</strong> kennen. Er bezauberte seine<br />

zukünftigen Schwiegereltern mit seinem berühmten<br />

Lächeln, das bei <strong>die</strong>ser Gelegenheit besonders strahlend<br />

war, <strong>und</strong> führte sie – zumindest einem Bericht<br />

zufolge – durch das Celebrity Centre. Dieser Mann<br />

rauchte nicht, trank nicht <strong>und</strong> nahm keine Drogen;<br />

seine Mutter machte zum Abendessen sogar Brathähnchen.<br />

Was gab es da auszusetzen? Dennoch blieb das<br />

ungute Gefühl, dass sie zwar einen Sohn gewannen,<br />

dafür aber eine Tochter verloren.<br />

Wenige Tage nach <strong>die</strong>sem ersten Treffen, am 31. Juni,<br />

schrieb Katie ihr altes Leben buchstäblich ab, als<br />

sie den Kugelschreiber aufs Papier setzte <strong>und</strong> bei<br />

<strong>Scientology</strong> unterschrieb. Wenige Religionen erwarten<br />

von ihren Anhängern, dass sie rechtlich verbindliche<br />

Dokumente unterzeichnen, aber <strong>Scientology</strong> ist keine<br />

gewöhnliche Religion. Seit dem Tod der Scientologin<br />

Lisa McPherson im Jahr 1995 muss gr<strong>und</strong>sätzlich ein<br />

Vertrag unterschrieben werden. McPherson, <strong>die</strong> nach<br />

einem Autounfall in Florida an einer psychischen Störung<br />

litt, starb an einer Lungenembolie, während sie in<br />

Clearwater, Florida, in Obhut der Kirche war. Sie war<br />

in einem sichtbar ausgetrockneten Zustand, ihr stark<br />

abgemagerter Körper mit Kakerlakenbissen übersät.<br />

Daraufhin wurde <strong>Scientology</strong> in zwei Punkten eines<br />

schweren Verbrechens angeklagt – unterlassene Hilfestellung<br />

<strong>und</strong> medizinische Therapie ohne offizielle Zulassung<br />

– <strong>und</strong> <strong>die</strong> Praktiken <strong>und</strong> Lehren der Kirche auf<br />

den Prüfstand gestellt.<br />

Begründet wurde <strong>die</strong> Anklage damit, dass man sie<br />

nicht früher zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht<br />

hatte aus Angst, sie würde in <strong>die</strong> Psychiatrie<br />

eingewiesen, <strong>die</strong> von Scientologen gr<strong>und</strong>sätzlich abge-<br />

-400-


lehnt wird. Stattdessen musste sie sich einem sogenannten<br />

»Introspection R<strong>und</strong>own« (»Selbstbeobachtungs-R<strong>und</strong>own«)<br />

unterziehen, bei dem ein psychotischer<br />

Scientologe isoliert <strong>und</strong> wiederholt auditiert<br />

wird. Lisas Tod zog nicht nur ein langes Gerichtsverfahren<br />

nach sich, das mit einer vom Richter angeordneten<br />

außergerichtlichen Einigung endete, sondern<br />

führte zu einem Vertrag mit der sogenannten »Lisa-<br />

Klausel«, wonach neue Mitglieder oder ihre Familien<br />

<strong>die</strong> Kirche nicht gerichtlich belangen können, falls es in<br />

Zusammenhang mit einem »Introspection R<strong>und</strong>own«<br />

zu Verletzungen oder zum Tod kommt. Diese Klausel<br />

endet wie folgt: »Ich akzeptiere <strong>und</strong> übernehme alle<br />

bekannten <strong>und</strong> unbekannten Risiken der Verletzung,<br />

des Verlustes oder der Beschädigung, <strong>die</strong> aus meiner<br />

Entscheidung, am >Introspection R<strong>und</strong>own< teilzunehmen,<br />

resultieren, <strong>und</strong> entbinde ausdrücklich alle<br />

natürlichen <strong>und</strong> juristischen Personen uneingeschränkt<br />

von jeglicher Haftung im Zusammenhang mit meiner<br />

oder ihrer Teilnahme an meinem Introspection R<strong>und</strong>own.«<br />

<strong>Der</strong> Vertrag bedeutete einen gr<strong>und</strong>legenden Eingriff<br />

in Menschenrechte eines Mitglieds <strong>und</strong> <strong>die</strong> seiner zukünftigen<br />

Kinder, denn sollte jemand oder eines seiner<br />

Kinder jemals an einer psychischen oder unheilbaren<br />

Krankheit leiden, dürfen sie sich nur nach den <strong>Scientology</strong>-Methoden<br />

behandeln lassen. Man darf sich weder<br />

in psychiatrische Behandlung begeben noch Psychopharmaka<br />

nehmen. Sollte eine Frau an einer Wochenbettdepression<br />

erkranken – wie fast jede zehnte<br />

Frau nach der Entbindung –, wäre sie in den Händen<br />

von Scientologen, denn sie hatte sich dem Scientologen-Mantra<br />

unterworfen: »<strong>Der</strong> Geist allein kann den<br />

Körper retten oder heilen.«<br />

Besorgte ehemalige Scientologen erkannten, wie bedenklich<br />

<strong>die</strong>ser von Katie unterschriebene Vertrag ist.<br />

-401-


Ein früheres Mitglied der Sea Org ergriff <strong>die</strong> Initiative<br />

<strong>und</strong> schickte Martin Holmes eine Kopie des <strong>Scientology</strong>-Vertrages,<br />

des ersten Rechtsdokuments, das Katie<br />

unterschrieben hatte, ohne dass ihr Vater, selbst Anwalt,<br />

es zuvor durchgesehen hatte. <strong>Der</strong> Vertrag war<br />

eine wasserdichte Zusage an <strong>Scientology</strong>, ihr Leben<br />

vollständig kontrollieren zu dürfen. Sie hatte <strong>Scientology</strong><br />

<strong>die</strong> Erlaubnis erteilt, sie während des Introspektions-R<strong>und</strong>owns<br />

von ihrer Familie <strong>und</strong> allen anderen<br />

»Ursachen potenzieller geistiger Störung« zu isolieren.<br />

Damit bestand <strong>die</strong> reale Möglichkeit, dass sie den Kontakt<br />

zu ihrer Familie verlor – wie H<strong>und</strong>erte Scientologen<br />

vor ihr. Sofia Vergara hatte genau <strong>die</strong>se Befürchtung,<br />

doch alles, was bei Sofia <strong>die</strong> Alarmglocken hatte<br />

schrillen lassen, schien Katie zu akzeptieren.<br />

Vier Tage nach Unterzeichnung des <strong>Scientology</strong>-<br />

Vertrages musste Katie erneut eine Entscheidung treffen.<br />

Entsprechend seinem sonstigen Verhalten in <strong>die</strong>ser<br />

Romanze machte <strong>Tom</strong> aus seinem Heiratsantrag<br />

ein öffentliches Ereignis. In Paris, oben auf dem Eiffelturm,<br />

kniete er sich vor Katie hin <strong>und</strong> überreichte ihr,<br />

nachdem er ein selbstverfasstes Gedicht vorgelesen<br />

hatte, einen besonders wertvollen Verlobungsring.<br />

Die Wahl des Zeitpunkts lässt vermuten, dass ihr Eintritt<br />

bei <strong>Scientology</strong> eine notwendige Vorbedingung<br />

war, damit Katie den Ring bekam – <strong>die</strong> Märchenhochzeit,<br />

<strong>die</strong> Erfüllung ihres Kindheitstraums. Es lagen Welten<br />

zwischen dem Verhalten von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> Chris<br />

Klein, der Katies Vater um seine Zustimmung gebeten<br />

<strong>und</strong> ihr im Haus der Familie den Heiratsantrag gemacht<br />

hatte.<br />

Vollkommen übernächtigt gab <strong>Cruise</strong> in Paris eine<br />

Pressekonferenz. Diese Nachricht konnte nicht warten.<br />

Er verkündete, dass er Katie Holmes heiraten würde.<br />

»Heute ist ein w<strong>und</strong>erbarer Tag für mich. Ich bin mit<br />

einer w<strong>und</strong>erbaren Frau verlobt.«<br />

-402-


Eine halbe Welt entfernt verließ Katies Fre<strong>und</strong>in Meghann<br />

Birie in Toledo gerade das Kino, wo sie Batman<br />

Begins angeschaut hatte, als ihr Handy zu piepsen<br />

begann. Auf der Mailbox war eine Nachricht von Katie,<br />

<strong>die</strong> ihr aufgeregt von ihrer Verlobung berichtete. Sie<br />

hatte Meghann seit Beginn ihrer stürmischen Romanze<br />

mit <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> nicht gesehen, aber es war sehr aufmerksam<br />

von Katie, ihre beste Fre<strong>und</strong>in zu informieren,<br />

bevor <strong>die</strong> Neuigkeit <strong>die</strong> Drähte zum Glühen<br />

brachte. Aber es war auch traurig. Eine Stimme aus<br />

der Vergangenheit, <strong>die</strong> von ihrem alten Leben Abschied<br />

nahm.<br />

-403-


12<br />

Für TV-Moderator Matt Lauer begann der Arbeitstag<br />

ganz normal – eine live gefilmte Rettungsaktion in<br />

letzter Minute, ein Auto mit einem eigenen Willen <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Invasion von Außerirdischen auf der Erde. Ach,<br />

<strong>und</strong> ein Wettbewerb im Herausschmecken von Keksmarken.<br />

Am 22. Juni 2005 verließ Matt wie gewöhnlich<br />

morgens um 4 Uhr 30 sein Haus in Westchester <strong>und</strong><br />

kam bei Sonnenaufgang in Manhattan an. Auf dem<br />

Weg zu den NBC-Studios im Rockefeller Center ging er<br />

seine Notizen für <strong>die</strong> Show Today <strong>die</strong>ses Tages durch.<br />

Als Erstes stand <strong>die</strong> herzerwärmende Geschichte von<br />

der Rettung des kleinen Brennan Hawkins auf dem<br />

Programm, der vor vier Tagen aus seinem Pfadfinderlager<br />

in den Wäldern Utahs verschw<strong>und</strong>en war. Die<br />

Schauspielerin Lindsay Lohan würde über ihren neuesten<br />

Film Herbie: Fully Loaded – Ein toller Käfer<br />

startet durch plaudern, der Schauspieler Tim Robbins<br />

von seiner Rolle in dem Science-Fiction-Thriller Krieg<br />

der Welten erzählen.<br />

Nach der Show war Matt für ein Interview mit <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> über den Spielberg-Film eingeplant, das aufgezeichnet<br />

werden sollte. Er sah dem Gespräch mit<br />

<strong>Cruise</strong> entspannt entgegen, denn er hatte ihn in der<br />

Vergangenheit schon mehrmals interviewt <strong>und</strong> fand<br />

<strong>Tom</strong>, im Gegensatz zu anderen Hollywood-<strong>Star</strong>s, umgänglich<br />

<strong>und</strong> professionell. Zudem interessierte Matt<br />

das Thema persönlich. Er <strong>und</strong> sein Produktionsteam<br />

hatten sich den Film angesehen; er hatte allen sehr<br />

gefallen, <strong>und</strong> Matt wollte gerne mehr über <strong>die</strong> Themen<br />

wissen, <strong>die</strong> der visionäre Autor H.G. Wells in seinem<br />

Roman, auf dem der Film basierte, angerissen hatte.<br />

-404-


Matt war gut vorbereitet; er hatte das Buch schließlich<br />

gelesen.<br />

Vor dem Interview begrüßte Lauer <strong>Tom</strong> in seiner<br />

Garderobe, <strong>und</strong> <strong>die</strong> beiden Männer erk<strong>und</strong>igten sich<br />

nach ihren jeweiligen Kindern. <strong>Tom</strong> war in Topform<br />

<strong>und</strong> plauderte angeregt mit der NBC-Talkmasterin Jill<br />

Rappaport, während Lauer den Rahmen für das Interview<br />

mit <strong>Tom</strong>s Schwester <strong>und</strong> PR-Agentin Lee Anne<br />

DeVette besprach. <strong>Tom</strong>s neue Verlobte war zwar im<br />

Studio anwesend, aber DeVette erklärte kategorisch,<br />

Katie wolle nicht herbeigeholt <strong>und</strong> wie eine Trophäe<br />

präsentiert werden, sondern von der Kulisse aus zuschauen.<br />

Abgesehen davon werde <strong>Tom</strong> gerne über<br />

alles reden; Matt solle nur loslegen mit seinen Fragen.<br />

Als <strong>die</strong> beiden Männer, mit Mikrofonen versehen, auf<br />

den Barhockern saßen, stellte Matt seinen Gast im T-<br />

Shirt vor <strong>und</strong> erk<strong>und</strong>igte sich ironisch, ob denn in seinem<br />

Leben irgendetwas Interessantes geschehen sei.<br />

Natürlich war <strong>Tom</strong> schon wochenlang in den Schlagzeilen.<br />

Seit seinem Herumgehüpfe auf Oprahs Couch,<br />

seinem Eintreten für Schnellfeuerwaffen <strong>und</strong> seiner<br />

Attacke gegen Brooke Shields war aus dem verbindlichen,<br />

selbstbeherrschten Filmstar eine umstrittene<br />

Figur geworden; er mag wohl auch nicht den Witz kapiert<br />

haben, als ihn ein TV-Kamerateam in London ein<br />

paar Tage vor der Premiere seines neuen Films mit<br />

einer Wasserpistole beschoss. Nach ein bisschen lockerem<br />

Geplauder begann Lauer zu bohren, wie <strong>Tom</strong><br />

mit der gesteigerten Publicity zurechtkam. »Ich lebe<br />

einfach mein Leben, Matt«, erwiderte <strong>Tom</strong> immer wieder.<br />

Doch plötzlich war es mit der netten Stimmung<br />

vorbei. Als Lauer ihn nach seinem <strong>Scientology</strong>-Glauben<br />

fragte, veränderte sich der Schauspieler körperlich,<br />

verwandelte sich vom lockeren Filmstar in einen erbitterten<br />

Prediger, er schloss <strong>die</strong> Augen <strong>und</strong> schüttelte<br />

gereizt den Kopf über Lauers scheinbare Ignoranz hin-<br />

-405-


sichtlich seines Glaubens, der Psychiatrie, der Medikamente<br />

<strong>und</strong> Drogen. »<strong>Scientology</strong> ist etwas, das<br />

Sie nicht verstehen«, blaffte er den TV-Moderator an,<br />

wie ein Lehrer einen Schüler, der schwer von Begriff<br />

ist. Lauer spürte, wie in <strong>die</strong>sem Moment bei <strong>Tom</strong> etwas<br />

umschaltete; der Schauspieler legte seine professionelle<br />

Maske sichtbar ab <strong>und</strong> verwandelte sich vom<br />

höflichen Talkshowgast in einen aggressiven Redner.<br />

»Es war, als könne er nicht anders«, sagte Lauer später<br />

gegenüber Fre<strong>und</strong>en. »Als hätte er jahrelang auf<br />

<strong>die</strong>se Chance gewartet.«<br />

Am Ende war Lauer mehr daran interessiert, über<br />

<strong>Tom</strong>s neuen Film zu reden, als der Filmstar selbst.<br />

<strong>Tom</strong> ließ eine, wie es schien, vorbereitete Tirade vom<br />

Stapel über <strong>die</strong> Übel der Psychiatrie, mischte Bedauern<br />

über Brooke Shields <strong>und</strong> ihre Einnahme von Antidepressiva<br />

mit giftigen Äußerungen über den ganzen<br />

Ärztestand. Seine Ansichten waren nicht neu – im Vorjahr<br />

hatte er ein Verbot der Psychiatrie gefordert –,<br />

aber <strong>die</strong>ses Mal sprach ein messianischer Eifer aus<br />

seinen Schmähungen, <strong>und</strong> gegenüber seinem Gesprächspartner<br />

legte er einen herablassenden Ton an<br />

den Tag: »Ich war noch nie ein Fre<strong>und</strong> der Psychiatrie.<br />

Nie. Ich war nicht damit einverstanden, bevor ich<br />

Scientologe wurde, <strong>und</strong> als ich mich dann mit der Geschichte<br />

der Psychiatrie befasste, wurde mir klar, warum<br />

ich dagegen war.«<br />

Nur wenige Minuten zuvor hatte er jede Kritik an seinem<br />

Verhalten mit einem Achselzucken abgetan <strong>und</strong><br />

wiederholt, er lebe sein Leben, wie er wolle. Aber dem<br />

Rest der Welt wollte er <strong>die</strong>se Möglichkeit offenbar nicht<br />

zugestehen, der sollte nach seinen Vorstellungen, nach<br />

den von ihm gewählten Werten leben. Als Lauer ihn<br />

herausforderte <strong>und</strong> fragte, was denn so falsch sei an<br />

Brooke Shields’ Entscheidung für <strong>die</strong>se Medikamente,<br />

wenn sie ihr helfen, wich <strong>Tom</strong> der Frage aus, gab laut-<br />

-406-


stark <strong>die</strong> bekannten <strong>Scientology</strong>-Phrasen über sogenannte<br />

Menschenrechtsverletzungen durch <strong>die</strong> Psychiatrie<br />

zum Besten, insbesondere <strong>die</strong> Verabreichung von<br />

Medikamenten an Kinder gegen deren Willen: »Wissen<br />

Sie, was Adderall ist? Kennen Sie Ritalin? Wissen Sie,<br />

dass mit Ritalin inzwischen auf der Straße gedealt<br />

wird? Begreifen Sie das?«<br />

Trotz des feindseligen Tons seines Gastes blieb der<br />

erfahrene TV-Moderator hartnäckig bei der Sache <strong>und</strong><br />

wies höflich darauf hin, dass Brooke Shields sich selbst<br />

für <strong>die</strong> Medikamente entschieden habe; nichts sei gegen<br />

ihren Willen geschehen. Verärgert den Kopf schüttelnd,<br />

fuhr <strong>Tom</strong> fort: »Matt, Matt, Matt, Matt… nein,<br />

Sie verstehen nicht. Das ist das Problem. Sie kennen<br />

<strong>die</strong> Geschichte der Psychiatrie nicht. Ich schon.« Ebenso<br />

wenig kannte sie Brooke Shields, wenigstens <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> zufolge. Das war eine kühne Behauptung, doch<br />

Lauer blieb beim Thema, denn er wusste, wie er später<br />

sagte, dass er <strong>die</strong> »Sache schon hinkriegen« werde.<br />

<strong>Der</strong> Schauspieler behauptete, dass Medikamente<br />

das Problem nur verdeckten, dass <strong>die</strong> Lösung in Vitaminen,<br />

Sport <strong>und</strong> »verschiedenen anderen Dingen«<br />

liege, in der Praxis also in Hubbards »Purification R<strong>und</strong>own«.<br />

Dann kam <strong>die</strong> Killerfrage, als Lauer sagte: »Wenn<br />

Brooke Shields Antidepressiva helfen, warum ist das<br />

nicht in Ordnung?« <strong>Tom</strong> antwortete: »Ich bin damit<br />

nicht einverstanden. Und ich glaube, dass es eine höhere<br />

<strong>und</strong> bessere Lebensqualität gibt.« Er wirkte verärgert,<br />

als wolle Matt Lauer nicht mit ihm über <strong>die</strong>se<br />

wichtigen Dinge sprechen. <strong>Tom</strong> setzte hier eine klassische<br />

<strong>Scientology</strong>-Technik ein – von einer intelligenten<br />

Frage abzulenken, indem man den Kritiker attackiert.<br />

Genau denselben Trick hatte er in der Woche zuvor bei<br />

dem australischen Journalisten Peter Overton angewandt,<br />

der sich, wie viele seiner Kollegen, gezwunge-<br />

-407-


nermaßen endlose Exkurse über <strong>Tom</strong>s Religion anhören<br />

musste, bevor er zur Gegenwart kommen durfte.<br />

Als er ganz offen gefragt hatte, ob <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole<br />

Kidman als Eltern noch eine Beziehung miteinander<br />

hätten <strong>und</strong> beruflich miteinander redeten, blaffte ihn<br />

<strong>Tom</strong> an: »Jetzt gehen Sie zu weit.« Und meinte dann,<br />

er solle seine »Manieren wieder hervorholen«. Als Overton<br />

sich entschuldigte, setzte <strong>Tom</strong> das Interview<br />

fort, als wäre nichts geschehen. Es hatte den Anschein,<br />

als sei <strong>Tom</strong>s Ärger gespielt gewesen, wie so<br />

vieles in seinem Leben, ein Verhalten, das stark nach<br />

Hubbards Strategie »immer den Angreifer angreifen«<br />

roch.<br />

Auf ähnliche Weise lenkte <strong>Tom</strong> bei Matt Lauer mit einer<br />

bewusst geringschätzigen Bemerkung vom eigentlichen<br />

Thema ab. Als man darauf zu sprechen kam,<br />

dass hyperaktive Kinder das Medikament Ritalin bekämen,<br />

beschuldigte <strong>Tom</strong> den TV-Moderator, »glib«<br />

(aalglatt, zungenfertig) zu sein – ein von <strong>Scientology</strong><br />

benutztes Wort für einen Menschen, der sich nur oberflächlich<br />

mit einem Thema befasst, ohne sich eingehend<br />

zu informieren. »Sie wissen nicht einmal, was<br />

Ritalin ist«, höhnte <strong>Tom</strong>. »Sie müssen mal <strong>die</strong> Forschungsunterlagen<br />

lesen, wie man zu <strong>die</strong>sen Theorien<br />

kam, <strong>und</strong> sie selbst beurteilen, Matt. Ich habe das getan.<br />

Und Sie sollten es auch tun… Sie sollten ein bisschen<br />

verantwortungsbewusster sein, Matt.« <strong>Der</strong> Ton<br />

war herrisch <strong>und</strong> herablassend. <strong>Tom</strong> gab damit zu verstehen,<br />

dass ein einflussreicher TV-Mann wie Matt in<br />

wichtigen Fragen besser Bescheid wissen müsste.<br />

Dass ein in Sachen PR so routinierter Mensch wie <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> einen Interviewer persönlich angreift, der ihn<br />

doch in sein Studio eingeladen <strong>und</strong> ihm Gelegenheit<br />

gegeben hatte, seinen Film <strong>und</strong> seine Religion zu<br />

»verkaufen«, war praktisch noch nie passiert.<br />

-408-


Als das Interview beendet war, wusste Lauer, dass<br />

da etwas Interessantes passiert war, aber er war sich<br />

nicht sicher, was er damit machen sollte. <strong>Tom</strong> hingegen<br />

plagten keine Zweifel; er war von seiner Vorstellung<br />

hingerissen. Ebenso seine Scientologen-<br />

Schwester. Später erzählte er dem Magazin GQ: »Ich<br />

fand mich ziemlich beherrscht. Ich fand, es war ein<br />

super Interview. Ich war nicht genervt, ich wollte mich<br />

einfach intensiv mitteilen.« Er wollte sogar unbedingt<br />

weiter mit dem Moderator plaudern <strong>und</strong> fragte ihn, ob<br />

er mit Brooke Shields Kontakt gehabt habe. Dann,<br />

nachdem er Matt Lauer auf bekannte Weise mit einem<br />

Arm »umarmt« hatte, war er fort. Matt <strong>und</strong> sein Produzent<br />

mussten zusehen, dass sie das Video bis zur<br />

Ausstrahlung des Interviews zwei Tage später geschnitten<br />

bekamen.<br />

Es wurde zwar gemunkelt, wichtige Teile des Interviews<br />

seien auf dem Boden des Schneideraums gelandet,<br />

in Wirklichkeit wurde aber, abgesehen von gelegentlichen<br />

Wiederholungen, sehr wenig herausgeschnitten.<br />

Nach der Ausstrahlung des Interviews gab<br />

es einen Feuersturm an Diskussionen <strong>und</strong> PR, <strong>und</strong> genau<br />

das hatten <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> andere führende Scientologen<br />

beabsichtigt. Die amerikanische Öffentlichkeit reagierte<br />

auf <strong>Tom</strong>s Auftritt verw<strong>und</strong>ert, ehemalige Scientologen<br />

eher erschrocken: Sie konnten sehen, wie <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> sich vor ihren Augen in den <strong>Scientology</strong>-Führer<br />

David Miscavige verwandelte. Die aggressiven Gesten,<br />

der herablassende Ton, <strong>die</strong> ärgerlichen Bemerkungen<br />

– all das spiegelte eine echte Miscavige-Tirade wider.<br />

<strong>Tom</strong> sprach mit der »Stimme seines Herrn«. »Er hörte<br />

sich bei dem Interview genauso an wie David Miscavige«,<br />

bemerkte Karen Pressley, ehemals enge Mitarbeiterin<br />

des <strong>Scientology</strong>-Führers. »Es war fast so, als<br />

hätte Miscavige <strong>Tom</strong> seine Persönlichkeit eingeflößt. Es<br />

war gruselig.«<br />

-409-


In ganz Amerika kamen andere ehemalige Mitarbeiter<br />

des <strong>Scientology</strong>-Führers unabhängig voneinander zu<br />

demselben Schluss. Ein Ex-Scientologe, der sieben<br />

Jahre für ihn arbeitete, meinte dazu: »Ich hätte<br />

schwören können, dass ich David Miscavige vor mir<br />

habe. Er redet genauso hochtrabend daher, ist absolut<br />

überzeugt von seiner Meinung <strong>und</strong> gibt es niemals zu,<br />

wenn er sich geirrt hat.« <strong>Der</strong> ehemalige Scientologe<br />

Bruce Hines, der Nicole Kidman auditiert hat, äußerte<br />

sich in gleicher Weise: »Als er über <strong>die</strong> Psychiatrie<br />

sprach, redete er genauso wie David Miscavige. <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> ist in seinem Ubereifer ein Spiegelbild von Miscavige.<br />

Sie stehen sich sehr nah, sie spiegeln sich gegenseitig.«<br />

Für Menschen außerhalb von <strong>Scientology</strong> war <strong>Cruise</strong>’<br />

Ausbruch in Today schockierend, es gab über 1000<br />

Zuschauerreaktionen – 300 mehr als gewöhnlich bei<br />

einem Interview mit dem Präsidenten. Viele kritisierten<br />

<strong>Tom</strong> heftig für sein Verhalten gegenüber Matt Lauer<br />

<strong>und</strong> ebenso für seine Attacke auf Brooke Shields.<br />

Sie antwortete persönlich in der New York Times:<br />

»„Zu behaupten, dass es nicht richtig von mir war,<br />

meine Depression mit Medikamenten zu behandeln,<br />

<strong>und</strong> dass ich stattdessen hätte Vitamine nehmen <strong>und</strong><br />

Körperübungen machen sollen, beweist ein absolutes<br />

Unwissen über Wochenbettdepression <strong>und</strong> Geburt generell.«<br />

David Rice, Vorsitzender der National Coalition<br />

of Human Rights Activists, stimmte dem zu <strong>und</strong> forderte<br />

<strong>Tom</strong> auf, sich »auf einen Milchkasten zu stellen<br />

<strong>und</strong> bei Ms Shields von Angesicht zu Angesicht für <strong>die</strong><br />

grobe Beleidigung ihrer selbst <strong>und</strong> H<strong>und</strong>erttausender<br />

anderer Frauen, <strong>die</strong> an Wochenbettdepression leiden,<br />

zu entschuldigen. Und er sollte lernen, den M<strong>und</strong> zu<br />

halten bei Sachen, von denen er absolut nichts versteht.«<br />

-410-


<strong>Tom</strong>s Äußerungen waren nicht nur demagogisch,<br />

sondern auch potenziell lebensbedrohlich. Medizinische<br />

Experten <strong>und</strong> Psychiater warnten, dass leicht beeinflussbare<br />

Personen auf <strong>Tom</strong> hören <strong>und</strong> ihre Medikamente<br />

absetzen könnten – mit furchtbaren Folgen. Die<br />

Krimi-Autorin Patricia Cornwell, <strong>die</strong> sich in Vorbereitung<br />

eines psychologischen Thrillers intensiv mit der<br />

Psychiatrie beschäftigte, bezeichnete seine Kommentare<br />

als »lächerlich« <strong>und</strong> »unglaublich verantwortungslos«.<br />

Und das von einer Ehrenvereinigung medizinischer<br />

Forscher herausgegebene Journal for Clinical<br />

Investigation wies warnend darauf hin, dass Menschen,<br />

<strong>die</strong> einer Behandlung bedürften, sich durch seine<br />

Berühmtheit davon abhalten lassen könnten.<br />

Und das war erst der Anfang. <strong>Der</strong> Congressional<br />

Mental Health Caucus, ein Ausschuss mit über 90 Mitgliedern<br />

des US-Kongresses aus beiden Parteien, kritisierte<br />

seine Ausführungen ebenfalls <strong>und</strong> sagte, er verstärke<br />

damit negative Wahrnehmungen. Die American<br />

Psychiatric Association, <strong>die</strong> National Alliance for the<br />

Mentally III <strong>und</strong> <strong>die</strong> National Mental Health Association<br />

gingen in einer gemeinsamen Erklärung mit dem<br />

Schauspieler hart ins Gericht: »Geistige <strong>und</strong> psychische<br />

Störungen sind echte Krankheiten, <strong>die</strong> Millionen<br />

von Amerikanern betreffen… Es ist unverantwortlich<br />

von Mr <strong>Cruise</strong>, <strong>die</strong> PR-Tour für seinen Film dazu zu<br />

nutzen, für seine persönlichen ideologischen Ansichten<br />

zu werben <strong>und</strong> Menschen mit einer geistigen oder psychischen<br />

Krankheit davon abzuhalten, sich der notwendigen<br />

Behandlung zu unterziehen.« Sie wiesen<br />

darauf hin, dass jeden Tag zehn Kinder infolge einer<br />

unbehandelten geistigen oder psychischen Erkrankung<br />

durch Selbstmord sterben. Wenn eine Veränderung<br />

der Geisteshaltung, wie <strong>Tom</strong> sie befürworte, irgendetwas<br />

bewirken würde, meinte der republikanische Kongressabgeordnete<br />

Tim Murphy, dann hätten solche<br />

-411-


Erkrankungen schon während der Hexenprozesse von<br />

Salem geheilt werden können: »Mit seiner Werbung<br />

für eine solche Lehre macht <strong>Cruise</strong> den Menschen falsche<br />

Hoffnungen, <strong>die</strong> sie davon abhalten, sich <strong>die</strong> notwendige<br />

Hilfe zu holen.«<br />

Kurz nach <strong>Tom</strong>s Auftritt in Today postete eine betroffene<br />

Mutter anonym folgenden Beitrag auf der<br />

NBC-Webseite:<br />

Ich möchte erzählen, wie <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> unser Familienleben<br />

beeinflusst hat. Meine Tochter ist manischdepressiv<br />

<strong>und</strong> muss Medikamente nehmen. Es ist eine<br />

Krankheit, <strong>die</strong> nicht heilbar ist, sondern nur medikamentös<br />

behandelt werden kann. Als <strong>Tom</strong> auf allen Kanälen<br />

seine Tiraden gegen Medikamente losließ, hörte<br />

sie ganz konzentriert zu (Manisch-Depressive lassen<br />

sich sehr leicht beeinflussen, also bitte keine Vorverurteilung)<br />

<strong>und</strong> entschied, dass <strong>Tom</strong> wahrscheinlich recht<br />

hatte. Sie fühlte sich so w<strong>und</strong>erbar, dass sie ihre Medikamente<br />

nicht mehr nahm, <strong>und</strong> dann ging es psychisch<br />

abwärts mit ihr. Gestern Abend haben wir erfahren,<br />

dass sie, nachdem sie jetzt Selbstmedikation<br />

mit Alkohol betreibt, vielleicht noch zwei Wochen zu<br />

leben hat. Vielen Dank, <strong>Tom</strong>. Sie sind ein totaler Idiot.<br />

Bitte kommen Sie doch vorbei mit Ihren Zaubermittelchen<br />

<strong>und</strong> helfen unserer Familie, über ihren Kummer<br />

hinwegzukommen.<br />

Ähnliche Postings erschienen auf der Webseite der<br />

TV-Talkshow Dr. Phil, nachdem Gastgeber Dr. Phil<br />

McGraw eine Live-Diskussion zu den von <strong>Tom</strong> angerissenen<br />

Fragen veranstaltet hatte.<br />

Die Korrektheit <strong>die</strong>ses Postings ließ sich nicht nachprüfen,<br />

<strong>und</strong> solche anonyme Kritik können Scientologen<br />

als das Werk von Unruhestiftern abtun, <strong>die</strong> ihnen<br />

Schaden zufügen wollen, aber Jeannine Udall zog sich<br />

nicht in <strong>die</strong> Anonymität zurück. Ihr platzte schier der<br />

Kragen, als sie zu Hause in Kalifornien <strong>Tom</strong>s Tiraden in<br />

-412-


Today am Fernsehen verfolgte. Die hochgewachsene,<br />

aus einer gläubigen Mormonenfamilie stammende<br />

Jeannine war 25 Jahre alt <strong>und</strong> Sekretärin bei den Universal<br />

Studios, als sie zu <strong>Scientology</strong> kam. Ein Kollege<br />

hatte ihr monatelang damit in den Ohren gelegen, aber<br />

was sie letztlich überzeugte, war <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass John Travolta <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> dort Mitglieder waren.<br />

Wenn <strong>die</strong> Sache gut genug ist für <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>,<br />

dachte sie sich, dann ist sie auch gut genug für mich.<br />

Dieser Gedanke kostete sie fast das Leben.<br />

Anfangs lief alles w<strong>und</strong>erbar. Sie kam in eine <strong>Scientology</strong>-Tarnorganisation<br />

<strong>und</strong> ver<strong>die</strong>nte gutes Geld mit<br />

Verkäufen, stieg zum Operating Thetan V auf. Als<br />

loyaler Fußsoldat leistete Jeannine 17 Jahre lang harte<br />

Arbeit für <strong>die</strong> Sache von <strong>Scientology</strong>, dann ging es ihr<br />

aufgr<strong>und</strong> verschiedener unglücklicher Ereignisse psychisch<br />

immer schlechter. Im Jahr 2001 fuhr <strong>die</strong> einst<br />

so unbekümmerte Frau nach Santa Barbara, schrieb<br />

Abschiedsbriefe an ihre Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> <strong>die</strong> Familie, <strong>und</strong><br />

wollte sich vor einen einfahrenden Zug werfen. Sie litt<br />

an einer schweren psychischen Erkrankung, sie war<br />

depressiv geworden.<br />

Doch Jeannine weigerte sich wegen ihres <strong>Scientology</strong>-Glaubens,<br />

zu einem Psychiater zu gehen. Selbst als<br />

ihre Familie sie zwang, sich helfen zu lassen, kämpfte<br />

ihre innere Konditionierung noch dagegen an. Nach<br />

einer Therapie beim Windhorse-<strong>Projekt</strong> in Boulder,<br />

Colorado, ging sie in das Wellspring-Retreat im Mittleren<br />

Westen. Nach vielen Therapiest<strong>und</strong>en konnte sie<br />

sich endlich ihren Gefühlen von Wertlosigkeit <strong>und</strong><br />

Schuld stellen, <strong>die</strong> sie nach ihrer Abkehr von <strong>Scientology</strong><br />

überflutet hatten. Ihre Botschaft an <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>?<br />

»Möge Gott verhüten, dass er oder seine Kinder als<br />

Scientologen jemals krank werden. Mir hat <strong>die</strong> Psychiatrie<br />

das Leben gerettet. Sie ist nicht das Übel, von<br />

dem er immer redet.«<br />

-413-


Jeannine hatte Glück: Sie lebt noch. Für andere Menschen<br />

war <strong>die</strong> Verbindung mit <strong>Scientology</strong> tödlich.<br />

Nach <strong>Tom</strong>s Auftritt bei Today erschien in LA Weekly<br />

eine Anzeige, in der der Schauspieler <strong>und</strong> seine Kirche<br />

für den Tod der <strong>Scientology</strong>-Auditorin Elli Perkins verantwortlich<br />

gemacht wurden. Die 54-jährige Frau <strong>und</strong><br />

Mutter war von ihrem schizophrenen Sohn mit 77<br />

Messerstichen getötet worden. Er hatte <strong>die</strong> ihm vom<br />

Arzt verschriebenen Medikamente nicht mehr genommen,<br />

weil ihre Einnahme den Gr<strong>und</strong>sätzen von <strong>Scientology</strong><br />

widersprach. Bezeichnenderweise fand <strong>die</strong> Tat<br />

am 13. März statt, bei der jährlichen Feier von L. Ron<br />

Hubbards Geburtstag. In der Anzeige hieß es: »Danke,<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> der <strong>Scientology</strong>-Kirche, für Ihren<br />

fachmännischen Rat zu geistiger Ges<strong>und</strong>heit. Elli Perkins<br />

wurde am 13. März 2003 von ihrem schizophrenen<br />

Sohn getötet, den sie mit Vitaminen statt mit psychiatrischen<br />

Mitteln behandeln sollte.«<br />

Als <strong>Tom</strong> Matt Lauer im Juni abkanzelte, stand seine<br />

Verlobte stumm <strong>und</strong> unsichtbar in der Kulisse <strong>und</strong> sah<br />

zu. Ende Oktober jedoch saß Katie Holmes in der Mitte<br />

der ersten Reihe -sie, <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> das Sea-Org-Mitglied<br />

Jessica Feshbach Rodriguez waren Ehrengäste beim<br />

jährlichen Patron Ball in St. Hill Manor, der britischen<br />

<strong>Scientology</strong>-Zentrale. Auf den ersten Blick wirkte <strong>die</strong>ser<br />

Abend, bei dem alle Anwesenden in Anzug <strong>und</strong><br />

großer Garderobe erschienen waren, wie eine gewöhnliche<br />

Großveranstaltung. Erst als ein Video gezeigt<br />

wurde, das <strong>die</strong> gewalttätige Zerstörung der professionellen<br />

Psychiatrie im Rahmen einer Kampagne der<br />

»globalen Demolierung« darstellte, wurde der Enthusiasmus,<br />

der hier herrschte, deutlich. Trotz aller Zweifel,<br />

<strong>die</strong> sie hegen mochte, spendete Katie an der Seite<br />

von <strong>Tom</strong> heftigen Applaus, während David Miscavige<br />

sein Publikum mit glühenden Worten anfeuerte <strong>und</strong><br />

über <strong>die</strong> Feinde von <strong>Scientology</strong> herzog, wobei er wie<br />

-414-


ein Maschinengewehr eine Statistik nach der anderen<br />

abfeuerte, <strong>die</strong> den Erfolg der eigenen Organisation belegen<br />

sollten.<br />

Ein desillusioniertes <strong>Scientology</strong>-Mitglied, das an dem<br />

Ball teilnahm, verglich den Abend mit einer faschistischen<br />

K<strong>und</strong>gebung. »Es kann äußerst unangenehm<br />

sein, das Böse live zu erleben«, sagte sie. »Du liest es<br />

nicht in einem Buch, du siehst es nicht im Fernsehen,<br />

sondern bist mittendrin. Und <strong>die</strong> ganzen indoktrinierten<br />

Leute auch. Du siehst das Böse <strong>und</strong> möchtest etwas<br />

dagegen tun. Aber du weißt, wenn du etwas tust,<br />

wirst du fortgeschafft, >den Autoritäten< übergeben,<br />

<strong>und</strong> das ist dann dein Ende.«<br />

Es war <strong>die</strong> Feuertaufe für Katie Holmes, inmitten eines<br />

Meers von Scientologen. Ein früheres Mitglied bemerkte<br />

ironisch: »Vielleicht zeigt <strong>Tom</strong> Katies Eltern ein<br />

Video von dem Abend. Sie werden bestimmt begeistert<br />

sein.« Katie sah <strong>Tom</strong> <strong>die</strong> ganze Zeit mit »unverhohlener<br />

Bew<strong>und</strong>erung« an, nicht nur als er stehende Ovationen<br />

für seine Spenden an <strong>Scientology</strong> entgegennahm,<br />

auch als ihn Mike Rinder, komman<strong>die</strong>render<br />

Offizier des Office of Special Affairs, für seine Haltung<br />

gegenüber der Psychiatrie pries. Mike Rinder zufolge<br />

war der Einfluss von <strong>Tom</strong> Terrific so gewaltig, dass <strong>die</strong><br />

Food and Drug Administration, <strong>die</strong> amerikanische Arzneimittelbehörde,<br />

nur einen Tag nach dem Interview<br />

an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils eine<br />

»black box warning«, einen zusätzlichen Warnhinweis<br />

für zwei Psychopharmaka herausgab. Die Welt hörte<br />

aufmerksam zu, als <strong>Tom</strong> sprach.<br />

Während nun <strong>die</strong> Scientologen <strong>Tom</strong> zuhörten, beobachteten<br />

sie Katie intensiv, <strong>die</strong> Sea-Org-Mitglieder<br />

möglicherweise mit wissender Neugier. Einige Tage<br />

vor dem Ball in St. Hill hatte Katie eine der letzten<br />

Verbindungen zu ihrem alten Leben gekappt; sie feuerte<br />

Leslie Sloane-Zelnick, seit den ersten Drehtagen<br />

-415-


von Dawson’s Creek ihre PR-Agentin. Am 5. Oktober<br />

wurde Leslie Sloane-Zelnick durch Lee Anne DeVette<br />

ersetzt, <strong>die</strong> der Welt unverzüglich mitteilte, dass Katie<br />

ein Kind von <strong>Tom</strong> erwartete. In Katies Karriereplanung<br />

war das nicht vorgesehen gewesen. Während ihrer<br />

Zeit bei Dawson’s Creek hatte Katie sich, damals 21<br />

Jahre alt, einmal im New Yorker East Village <strong>die</strong> Tarotkarten<br />

legen lassen <strong>und</strong> war entsetzt gewesen, als <strong>die</strong><br />

Karten sagten, dass sie 2006 Mutter werden würde.<br />

»Ich möchte nicht mit 27 Mutter sein!«, hatte sie gejammert.<br />

Ihre katholischen Eltern, <strong>die</strong> schon Katies<br />

Pläne missbilligt hatten, mit ihrem früheren Verlobten<br />

Chris Klein zusammenzuleben, sollen ziemlich unglücklich<br />

gewesen sein, dass sie jetzt unverheiratet<br />

schwanger war. Obwohl Katies neue PR-Agentin in einem<br />

Brief alle Mitglieder der Kirchengemeinde in Toledo<br />

aufforderte, sich öffentlicher Kommentare zu enthalten,<br />

äußerte eine Fre<strong>und</strong>in der Familie, Kathleen<br />

Jensen, ihre Meinung. »Ich mag mir gar nicht vorstellen,<br />

was ihre Eltern jetzt durchmachen«, sagte Ms<br />

Jensen. »Sie muss das Baby unbedingt in der katholischen<br />

Kirche taufen lassen.«<br />

Unter normalen Umständen hätten auch Scientologen<br />

nicht viel von einer Schwangerschaft außerhalb der<br />

Ehe gehalten. Als bekannte Scientologen hätten <strong>Tom</strong><br />

<strong>und</strong> Katie vor einem Ethikoffizier erscheinen müssen,<br />

<strong>und</strong> es wäre ihnen gesagt worden, dass sie einen »Overt«<br />

begangen hätten, eine schändliche Handlung –<br />

gewissermaßen eine Sünde. Hätte ein Mitglied der Sea<br />

Org denselben »Overt« begangen, wäre es zur »Rehabilitation<br />

Project Force« geschickt worden, der <strong>Scientology</strong>-Version<br />

eines Arbeitslagers.<br />

Für <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Katie galten natürlich nicht <strong>die</strong>selben<br />

Regeln wie für andere Scientologen. <strong>Tom</strong> war entzückt<br />

über <strong>die</strong> Neuigkeit von Katies Schwangerschaft, <strong>und</strong><br />

innerhalb der Scientologen-Welt grenzte <strong>die</strong> Begeiste-<br />

-416-


ung schon an Hysterie. Einige Sektenmitglieder<br />

glaubten ernsthaft, dass Katie Holmes mit dem Baby<br />

schwanger ging, das das Gefäß für L. Ron Hubbards<br />

Geist sein würde, wenn er von seiner Reise durch <strong>die</strong><br />

Galaxie zurückkehre. Wahre Gläubige waren überzeugt,<br />

<strong>Tom</strong>s Baby werde <strong>die</strong> Reinkarnation von L. Ron<br />

Hubbard sein. Einige fanatische Sea-Org-Mitglieder<br />

mutmaßten gar, <strong>die</strong> Schauspielerin habe sich vielleicht<br />

mit L. Ron Hubbards eingefrorenem Samen befruchten<br />

lassen. In einem nachdenklichen Moment mag sich<br />

Katie so gefühlt haben, als wäre sie in eine reale Version<br />

des Horrorfilms Rosemaries Baby geraten, in<br />

dem eine ahnungslose junge Frau vom Teufel geschwängert<br />

wird. So absurd <strong>die</strong>se Theorie auch klingt,<br />

innerhalb der Sekte wurde sie offenbar als absolut<br />

plausibel betrachtet. <strong>Der</strong> <strong>Scientology</strong>-Gründer prophezeite,<br />

er werde etwa 20 Jahre nachdem er »seinen<br />

Körper zurückgelassen« hatte, in irgendeiner Form auf<br />

<strong>die</strong> Erde zurückkehren. Es war auch nicht das erste<br />

Mal, dass <strong>die</strong> Scientologen von <strong>die</strong>ser Wahnvorstellung<br />

ergriffen wurden. Als Hubbards Tochter Suzette einen<br />

rothaarigen Sohn zur Welt brachte – <strong>die</strong>selbe Haarfarbe<br />

hatte der Sektengründer –, verfolgten neugierige<br />

Anhänger den Kleinen auf der Basis in Hemet auf<br />

Schritt <strong>und</strong> Tritt. Es wurde so nervtötend, dass Suzettes<br />

damaliger Mann Guy White es an der Zeit fand, <strong>die</strong><br />

Bewegung zu verlassen. Auch der Führungsstab der<br />

Organisation glaubte an Hubbards Rückkehr. Mitte der<br />

neunziger Jahre wurde Bonnie View, das eigens für<br />

Hubbard erbaute Haus in Hemet, in Erwartung seiner<br />

unmittelbar bevorstehenden Rückkehr renoviert. Beide,<br />

David Miscavige <strong>und</strong> Mike Rinder, ließen bildlich<br />

gesprochen <strong>die</strong> Peitsche knallen, damit <strong>die</strong> mit Bau<br />

<strong>und</strong> Einrichtung des Hauses beschäftigten Trupps von<br />

Sea-Org-Mitgliedern schneller arbeiteten, weil der große<br />

Mann bald zurückkehren sollte. Bei einer denkwür-<br />

-417-


digen Einsatzbesprechung fuhr Miscavige <strong>die</strong> Sea-Org-<br />

Leute wütend an: »Wenn ihr meint, ihr baut ein Haus,<br />

in dem niemand wohnen wird, dann träumt ihr.« Als<br />

<strong>die</strong> Villa fertiggestellt war, engagierte Miscavige eine<br />

Hauswirtschafterin, <strong>die</strong> alles für Hubbards Rückkehr<br />

vorbereiten sollte. Einem wahren Gläubigen wie <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong>, der von anderen Scientologen schon als Messias<br />

bejubelt wird, musste es als durchaus plausibel<br />

erscheinen, dass sein ungeborenes Kind irgendwie dazu<br />

bestimmt war, L. Ron Hubbards Platz einzunehmen.<br />

Die Art <strong>und</strong> Weise, wie <strong>Tom</strong> sich auf <strong>die</strong> Geburt vorbereitete,<br />

vermittelte jedenfalls den Eindruck, dass er<br />

dem Ereignis, das für Scientologen das spirituelle Äquivalent<br />

zur Jungfrauengeburt sein dürfte, mit ebensolch<br />

atemloser Vorfreude entgegensah. Selbst in den<br />

Mutterleib wurde hineingeschaut; der Schauspieler gab<br />

200.000 Dollar für ein Ultraschallgerät aus, um <strong>die</strong><br />

Entwicklung des Babys zu überwachen. In den ersten<br />

Wochen machte er unendlich viele Bilder von dem<br />

wachsenden Embryo. »Ich bin ein Filmemacher, ich<br />

muss das Filmmaterial vom Vortag sehen!«, erklärte<br />

er. Als er einem skeptischen Reporter erzählte, dass<br />

Katie das Gerät »24 St<strong>und</strong>en am Tag« um den Leib<br />

geschnallt trage, wusste man nicht recht, ob es vielleicht<br />

doch ein Witz sein sollte. Katie spielte <strong>die</strong> Sache<br />

später herunter <strong>und</strong> sagte, sie hätten das Gerät nur<br />

für <strong>die</strong> Arzttermine zu Hause. Als Mediziner darauf<br />

hinwiesen, dass ein unnötig häufiger Einsatz des Ultraschallgeräts<br />

ein Risiko für Mutter <strong>und</strong> Kind darstellen<br />

könnte, gab <strong>Tom</strong> zurück, er habe sich an <strong>die</strong> FDA-<br />

Richtlinien gehalten.<br />

Offenbar war es mit dem Ultraschallgerät noch nicht<br />

genug, denn er soll auch ein Lernsystem für Föten gekauft<br />

haben, das sich Katie um den Bauch schnallte.<br />

Das Gerät soll offenbar Informationen an das Baby im<br />

Mutterleib geben. In Florida wurde Katie einmal zum<br />

-418-


Verlassen eines Kinos aufgefordert, weil es ständig<br />

einen leisen Summton von sich gibt, von dem sich <strong>die</strong><br />

anderen Kinobesucher gestört fühlten. Es wurde auch<br />

behauptet <strong>und</strong> anschließend dementiert, dass er Katies<br />

Handy mit einer Tracking-Funktion aufgerüstet<br />

habe, damit er Tag <strong>und</strong> Nacht wusste, wo sie sich befand.<br />

<strong>Der</strong> Rest des Universums war schwieriger zu kontrollieren.<br />

Mittlerweile war <strong>Tom</strong> so etwas wie eine Witzfigur.<br />

Aus seinem Herumgehüpfe auf Oprahs Couch war<br />

nicht nur eine feste Redewendung geworden, in Blogger-Kreisen<br />

hieß es inzwischen auch, Katie habe sich<br />

von der »A-Liste zum Alien, von hip zu hypnotisiert«<br />

entwickelt. Vielleicht war es ein Zeichen für <strong>die</strong> Panikstimmung<br />

im Camp <strong>Cruise</strong>, dass <strong>Tom</strong> wenige St<strong>und</strong>en<br />

nach seiner Rückkehr aus England, wo er sich in der<br />

Bew<strong>und</strong>erung der Scientologen gesonnt hatte, seine<br />

Schwester Lee Anne DeVette als seine PR-Chefin entließ.<br />

Am 7. November -nur einen Monat nachdem sie<br />

<strong>die</strong> PR-Arbeit für Katie übernommen hatte – wurde sie<br />

dazu degra<strong>die</strong>rt, sich um seine philanthropischen Aktivitäten<br />

zu kümmern, <strong>die</strong> überwiegend mit <strong>Scientology</strong><br />

in Verbindung standen. Ihren Platz nahmen Paul Bloch<br />

<strong>und</strong> Arnold Robinson von der etablierten PR-Firma Rogers<br />

and Cowan in Hollywood ein. Dass Arnold Robinson<br />

<strong>Tom</strong> im November bei einer ganz normalen Reise<br />

nach Shanghai <strong>und</strong> Xitang begleitete – er drehte dort<br />

zwei Wochen für Mission: Impossible III –, machte<br />

deutlich, wie wenig sie darauf vertrauten, dass <strong>Tom</strong><br />

nicht doch wieder »entgleiste«. Bei vielen Hollywood-<br />

Insidern galt er, der früher einmal <strong>Tom</strong> Zuverlässig<br />

gewesen war, nun als unsicherer Kantonist.<br />

Obwohl das <strong>Cruise</strong>-Schiff nun Bloch <strong>und</strong> Robinson als<br />

Lotsen an Bord hatte, ließ sich der Tsunami an Klatsch<br />

<strong>und</strong> Spott, der über den Hollywoodstar hereinbrach,<br />

nicht stoppen. Berüchtigt für seine Humorlosigkeit –<br />

-419-


<strong>und</strong> Prozesssucht – bei Spekulationen über seine Religion<br />

<strong>und</strong> seine Sexualität, hatte er im November 2005<br />

wenig zu lachen, als das Fernsehen eine Folge der Zeichentrickserie<br />

South Park mit dem provokanten Titel<br />

»Gefangen im Wandschrank« ausstrahlte (to come out<br />

of the closet = sich als Homosexueller bekennen; closet<br />

= Wandschrank), in der <strong>Scientology</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> stets<br />

neuen Gerüchte über seine sexuelle Orientierung auf<br />

<strong>die</strong> Schippe genommen wurden. Es war schlimm genug,<br />

dass es in der halbstündigen Folge, zu der <strong>die</strong><br />

Schöpfer der Serie, Matt Stone <strong>und</strong> Trey Parker, das<br />

Buch schrieben, einen Dauerwitz gab, bei dem <strong>Tom</strong><br />

sich weigerte, aus einem Kleiderschrank herauszukommen,<br />

womit angedeutet wurde, dass er sich weigere,<br />

seine Homosexualität zuzugeben. Noch mehr<br />

Schaden richtete vielleicht <strong>die</strong> ironisch gemeinte Erläuterung<br />

von <strong>Scientology</strong>s Schöpfungsmythos an, bei<br />

dem der böse galaktische Herrscher Xenu Millionen<br />

von Menschen auf <strong>die</strong> Erde schickt <strong>und</strong> sie dort in <strong>die</strong><br />

Luft jagen lässt, worauf ihre entkörperten Seelen in<br />

ewiger Qual umhertreiben. <strong>Der</strong> Mythos war nicht nur<br />

höchst genau dargestellt – Stone <strong>und</strong> Parker hatten<br />

sich von einem <strong>Scientology</strong>-Experten Hintergr<strong>und</strong>informationen<br />

geholt –, es gab auch eine Bildunterschrift,<br />

auf der stand: »Das glauben Scientologen tatsächlich«.<br />

Es war eine genial gemachte Comedy, lustig<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig informativ, <strong>und</strong> brachte der TV-Serie<br />

sogar eine Emmy-Nominierung ein. Steven Spielberg<br />

sagte später zu Fre<strong>und</strong>en, er habe durch South Park<br />

mehr über <strong>Scientology</strong> erfahren als jemals von <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong>.<br />

South Park läuft auf dem US-Kabelsender Comedy<br />

Central, der zum Me<strong>die</strong>nkonglomerat Viacom gehört –<br />

zu dessen wichtigsten K<strong>und</strong>en wiederum <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong><br />

zählt. Nach Ausstrahlung der Folge gab es innerhalb<br />

wie außerhalb der Firma heftige Diskussionen. <strong>Tom</strong><br />

-420-


soll so wütend gewesen sein, dass er darauf bestand,<br />

<strong>die</strong> Comedy-Serie dürfe weder in Amerika noch<br />

sonstwo auf der Welt noch einmal ausgestrahlt werden.<br />

In Großbritannien zog Channel Four, der <strong>die</strong> Senderechte<br />

zu South Park besaß, <strong>die</strong> Folge zurück aus<br />

Angst, der Schauspieler könnte einen Prozess gegen<br />

den Sender anstrengen. Obwohl <strong>Tom</strong> später leugnete,<br />

<strong>die</strong> Serie zu kennen – ein bisschen unaufrichtig, wo<br />

doch sein Image ihm so wichtig ist –, war der Schaden<br />

nun schon angerichtet, <strong>und</strong> Me<strong>die</strong>n wie Öffentlichkeit<br />

scharten sich schützend um <strong>die</strong> bedrängten Autoren.<br />

Von den Machern der Simpsons bekamen Stone <strong>und</strong><br />

Parker Blumen für ihren Mut, das Team von King of<br />

the Hill schickte ihnen eine Nachricht, sie täten »Gottes<br />

Werk«.<br />

Die Geschichte zog immer neue Kreise, <strong>und</strong> das<br />

frustrierte den neuen PR-Agenten Paul Bloch nicht wenig.<br />

Im März erklärte der Sänger <strong>und</strong> Scientologe Isaac<br />

Hayes, bei South Park <strong>die</strong> Stimme des »Chefs«,<br />

dass er nicht mehr bei der TV-Serie mitarbeiten werde,<br />

angeblich weil <strong>die</strong> umstrittene Folge später im selben<br />

Monat noch einmal wiederholt werden sollte. In<br />

seiner Kündigung, <strong>die</strong> in der unverwechselbaren Sprache<br />

von <strong>Scientology</strong> abgefasst war, warf er Matt Stone<br />

<strong>und</strong> Trey Parker »religiöse Intoleranz <strong>und</strong> Borniertheit«<br />

vor. Als Antwort darauf bemerkte Stone,<br />

dass »Isaac in 10 Jahren <strong>und</strong> über 150 Folgen kein<br />

Problem damit gehabt habe, wenn man sich in der Serie<br />

über Christen, Muslime, Mormonen <strong>und</strong> Juden lustig<br />

gemacht habe«. Außerdem hatte er bei einem früheren<br />

Interview ganz entspannt geklungen, als er sich<br />

zu der Folge äußerte, <strong>und</strong> Stone <strong>und</strong> Parker scherzhaft<br />

ermahnt, »ein paar <strong>Scientology</strong>-Kurse zu machen,<br />

damit sie verstehen, was wir machen.«<br />

Es hat den Anschein, dass hinter Hayes’ »Rücktritt«<br />

<strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Führung steckte, insbesondere als he-<br />

-421-


auskam, dass Hayes Mitte Januar einen leichten<br />

Schlaganfall erlitten hatte <strong>und</strong> sich im März, als er seinen<br />

»Rücktritt« beschloss, Fre<strong>und</strong>en zufolge noch in<br />

der Genesungsphase befand. Dann wurde berichtet,<br />

dass <strong>die</strong> Erklärung eigentlich von der Managerin des<br />

Sängers, Christina »Kumi« Kimball, einer Scientologin,<br />

gekommen war. Beobachter schlossen daraus, dass<br />

<strong>Scientology</strong> den kränkelnden Mann, dessen Frau ein<br />

Baby erwartete, zu <strong>die</strong>ser »Kündigung« gezwungen<br />

hatte, um den Ruf der Organisation zu schützen. Die<br />

Washington Post kommentierte: »Hayes’ Verhalten<br />

lässt <strong>die</strong> Scientologen genau so aussehen, wie viele,<br />

viele Menschen sie einschätzen: intolerant, humorlos<br />

<strong>und</strong> Leibeigene einer dämonischen, <strong>die</strong> Seelen zerstörenden<br />

Sekte, <strong>die</strong> keine abweichende Meinung duldet.«<br />

Die hitzigen Diskussionen gingen weiter, bis <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> gewissermaßen als letzte Warnung erklärt haben<br />

soll, wenn <strong>die</strong> Folge wiederholt werde, dann werde<br />

er für seinen kommenden Kinohit Mission: Impossible<br />

III keinerlei Werbung schalten. Angesichts <strong>die</strong>ser<br />

Drohung gab Viacom, <strong>die</strong> hinter beidem, Mission:<br />

Impossible III <strong>und</strong> South Park, stehende Firma,<br />

schließlich klein bei. Als <strong>die</strong> Folge zurückgezogen wurde,<br />

gaben Matt Stone <strong>und</strong> Trey Parker eine Erklärung<br />

heraus, in der es hieß: »Nun, <strong>Scientology</strong>, ihr habt<br />

vielleicht DIESE Schlacht gewonnen, aber der Millionen<br />

Jahre dauernde Kampf um <strong>die</strong> Erde hat gerade erst<br />

begonnen! Für den Moment habt ihr uns gestoppt, aber<br />

euer kläglicher Versuch, <strong>die</strong> Welt zu retten, wird<br />

fehlschlagen!«<br />

<strong>Cruise</strong>’ Sieg über South Park kostete einen nicht geringen<br />

Preis. Hollywood-Insider erkannten, dass <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong>’ Engagement für <strong>Scientology</strong> zu einem Ärgernis<br />

wurde, das sich unter dem Strich negativ auswirken<br />

konnte. Früher wohlmeinende Magazine wurden kritischer.<br />

Im März brachte das von <strong>Tom</strong>s Fre<strong>und</strong> Jann<br />

-422-


Wenner herausgegebene Magazin Rolling Stone einen<br />

langen Artikel, in dem das schändliche Tun von <strong>Scientology</strong><br />

genauestens beschrieben wurde, <strong>und</strong> Vanity<br />

Fair fragte auf seinem Titelblatt: »Hat <strong>Tom</strong> noch alle<br />

Tassen im Schrank?« Die Vergeltung ließ nicht lange<br />

auf sich warten. <strong>Der</strong> Rolling Stone bekam ausnahmsweise<br />

keinen Zugang zum Set von Mission:<br />

Impossible, um ein Interview mit Wenners Fre<strong>und</strong> zu<br />

führen.<br />

Doch <strong>die</strong> übliche Aufregung um einen Actionfilm mit<br />

<strong>Cruise</strong> konzentrierte sich nun weniger auf den Filmstar<br />

als auf seine Verlobte, <strong>und</strong> der Schauspieler musste<br />

endlose Fragen zu Katies ges<strong>und</strong>heitlicher Verfassung<br />

beantworten, während der Countdown bis zur Geburt<br />

seines ersten biologischen Kindes lief. Obwohl Katies<br />

Mutter Ende März bei einer Baby-Party im Celebrity<br />

Centre in Hollywood anwesend war, stellten <strong>die</strong> Boulevardzeitungen<br />

<strong>die</strong> Schauspielerin als Gefangene einer<br />

Sekte dar, <strong>die</strong> ohne <strong>Tom</strong> oder ihre Aufpasser von<br />

<strong>Scientology</strong> kaum das Haus verlassen durfte. Wurde<br />

Katie auf dem örtlichen Bauernmarkt oder bei einem<br />

Kaffee gesichtet, wurde in den Klatschspalten stets<br />

groß darüber berichtet. Natürlich erbte sie, als sie in<br />

das großzügige Anwesen ihres Verlobten in Beverly<br />

Hills zog, gleich seine Familie mit – seine Mutter Mary<br />

Lee Mapother South <strong>und</strong> seine jüngere Schwester Cass<br />

Darmody mit ihren beiden Kindern Liam <strong>und</strong> Aden.<br />

Während Katie ihr neues Leben begann, waren Mary<br />

Lee <strong>und</strong> Cass dabei, ihre Welt wieder aufzubauen.<br />

<strong>Tom</strong>s Mutter hatte 2005 alles aufgegeben, um in der<br />

Nähe ihres abgöttisch geliebten Sohns zu sein. Sie<br />

hatte nicht nur <strong>die</strong> katholische Kirche verlassen – sie<br />

war sogar Eucharistiehelferin gewesen –, sondern nach<br />

zwanzig Ehejahren auch ihren Mann Jack South <strong>und</strong><br />

ihren Fre<strong>und</strong>eskreis in Marco Island, Florida. Ein sonderbarer<br />

Sinneswandel. Eine Fre<strong>und</strong>in aus ihrer ehe-<br />

-423-


maligen Kirchengemeinde bemerkte dazu: »Sie hat<br />

ihren Glauben aufgegeben <strong>und</strong> ist zu <strong>Scientology</strong> gegangen.<br />

Ich kann es einfach nicht glauben, ich bin<br />

sehr traurig.« Als <strong>Tom</strong>s jüngere Schwester Cass 2004<br />

geschieden wurde, zog sie mit ihren beiden Kindern<br />

ebenfalls zu ihrem Bruder. Auch Cass litt an Dyslexie,<br />

bestand aber auf häuslichem Unterricht für ihre Kinder<br />

nach »Applied Scholastics«, bei dem alles nach den<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>und</strong> Prinzipien von <strong>Scientology</strong> ausgerichtet<br />

ist. Auch Katie, deren Niederkunft näher rückte,<br />

akzeptierte <strong>und</strong> übernahm <strong>die</strong> <strong>Scientology</strong>-Rituale.<br />

Sollte es doch ein wenig beängstigend gewesen sein,<br />

mit ihren zukünftigen angeheirateten Verwandten zusammenzuleben,<br />

so ließ Katie sich jedenfalls nichts<br />

anmerken, sondern erklärte voller Begeisterung: »Es<br />

ist immer etwas los zu Hause, ich finde es toll.« Vielleicht<br />

erinnerte es sie an das Familienleben in Toledo,<br />

wo sich Katie, wie sie dem TV-Moderator Jules Asner<br />

erzählte, immer ein wenig verlassen vorkam, wenn<br />

ihre älteren Geschwister zur Schule aufbrachen <strong>und</strong> es<br />

still wurde im Haus.<br />

Die meisten Kommentare provozierte <strong>die</strong> Art <strong>und</strong><br />

Weise, wie <strong>die</strong> Geburt ablaufen sollte. Hubbards Anhänger<br />

folgen dem Ritual der »stillen Geburt«, denn<br />

sie gehen davon aus, dass sich jedes laute Geräusch<br />

oder Wort, das während des Geburtsvorgangs <strong>und</strong> sogar<br />

in der ersten Lebenswoche geäußert wird, schädlich<br />

auf das Baby auswirken kann. Damit steht Hubbard<br />

nicht allein. Viele Menschen glauben an ein »Geburtstrauma«,<br />

wonach das Baby einen psychischen<br />

Schaden erleidet, wenn es aus dem warmen, behaglichen<br />

Mutterleib in helles Licht kommt <strong>und</strong> laute Geräusche<br />

hört. <strong>Der</strong> Science-Fiction-Autor glaubte, dass<br />

dadurch schädliche »Engramme« entstehen, <strong>die</strong> im<br />

späteren Leben <strong>die</strong>ses Menschen umso mehr Auditing<br />

notwendig machen. Die Fortpflanzung sollte laut Hub-<br />

-424-


ard von Anfang bis Ende in Stille stattfinden. »Seid<br />

still während <strong>und</strong> nach dem Geschlechtsakt«, ermahnte<br />

er seine Anhänger in seinem Buch Kinder-Dianetik.<br />

Kurze Zeit bevor bei Katie <strong>die</strong> Wehen einsetzten, wurden<br />

in <strong>Tom</strong>s Haus in Beverly Hills eine ganze Reihe<br />

von fast zwei Meter großen Schildern aufgestellt, auf<br />

denen alle während Katies Niederkunft Anwesenden<br />

daran erinnert wurden, absolutes Schweigen <strong>und</strong> Ruhe<br />

zu bewahren. Am 24. März 2006 half <strong>Tom</strong>s Neffe Liam<br />

ihm sogar, einen Stapel großer Karten in <strong>die</strong> Räume<br />

des Paares zu tragen. »Sei still, bewege dich langsam<br />

<strong>und</strong> überlegt«, stand auf einer. Und <strong>Tom</strong> erklärte:<br />

»Wir haben mit der Familie Seminare gemacht, einfach<br />

um alle zu unterweisen, so dass jeder es versteht. Die<br />

Kinder, sogar auch Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> andere Leute.« <strong>Der</strong><br />

Reporterin Diane Sawyer sagte er, dass <strong>die</strong> Mutter<br />

durchaus Laute von sich geben dürfe, aber nichts sagen<br />

solle.<br />

Das auf <strong>Tom</strong>s Anwesen tätige Personal musste nicht<br />

daran erinnert werden, dass es bei seiner Arbeit still<br />

<strong>und</strong> diskret sein sollte. Sobald <strong>die</strong> Leute <strong>die</strong> Hochsicherheitstore<br />

passiert hatten, betraten sie eine Welt<br />

kontrollierter Ruhe, mit Betonung auf »kontrolliert«.<br />

Das Personal wurde von einer deutschen Gouvernante<br />

überwacht; jeder beobachtete jeden. Sie wurden aufgefordert,<br />

still zu sein, <strong>und</strong> wenn sie etwas sagten,<br />

dann mit gedämpfter Stimme. Die Putzkolonne, <strong>die</strong><br />

täglich in der Dämmerung begann <strong>und</strong> um acht Uhr<br />

morgens wieder ging, um <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Katie nicht zu stören,<br />

hatte strikte Anweisung, bei der Arbeit ganz leise<br />

zu sein. Die Wohnung selbst wirkte wie eine geschmackvoll<br />

eingerichtete, aber anonyme Suite in einem<br />

vornehmen Hotel oder einer exklusiven Privatklinik.<br />

Ein Insider berichtete: »Es war so still dort, wie<br />

man es sich nur vorstellen kann, geradezu unwirklich.«<br />

-425-


Im Eingang stand ein Riesenporträt von <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Katie<br />

in trauter Zweisamkeit, eine Nähe, <strong>die</strong> sich nicht im<br />

Haus widerspiegelte. Die beiden wohnten in separaten<br />

Flügeln mit eigenen Bädern, Schlaf- <strong>und</strong> Wohnzimmern,<br />

<strong>die</strong> Kinder Isabella <strong>und</strong> Connor bei ihrem Vater.<br />

Angeblich schliefen sie getrennt, weil <strong>Tom</strong> schnarcht.<br />

Man wusste wohl nicht, wie Hubbard <strong>die</strong> Auswirkung<br />

<strong>die</strong>ses Geräuschs auf <strong>die</strong> Entwicklung des Babys einschätzen<br />

würde. Am 18. April 2006 – zwanzig Jahre<br />

<strong>und</strong> drei Monate nach L. Ron Hubbards Tod – wurde<br />

Katie in <strong>die</strong> Klinik St. John’s in Santa Monica gebracht,<br />

wo sie keinen rothaarigen Jungen, sondern ein Mädchen<br />

zur Welt brachte, das 3373 Gramm wog <strong>und</strong> 51<br />

Zentimeter groß war. Nachdem sie etliche Vornamenbücher<br />

durchforstet hatten, nannten sie ihre erste<br />

Tochter Suri, was »rote Rose« bedeutet, wie sie später<br />

entdeckten. Nach 12 St<strong>und</strong>en verließen Katie <strong>und</strong> Suri<br />

<strong>die</strong> Klinik, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> flog mit seiner kostbaren Fracht<br />

auf seine 400 Morgen große Ranch in Telluride, Colorado,<br />

um nach <strong>Scientology</strong>-Lehre eine Woche in Stille<br />

zu verbringen.<br />

Obwohl <strong>die</strong> Geburt von <strong>Tom</strong>s erstem biologischem<br />

Kind nicht ganz <strong>die</strong> von fanatischen Scientologen erhoffte<br />

Wiederkehr war, erregte seine Ankunft weltweite<br />

Aufmerksamkeit, <strong>und</strong> Klinik wie Anwesen in Hollywood<br />

wurden von Dutzenden Fotografen, Reportern<br />

<strong>und</strong> Kamerateams belagert. <strong>Der</strong> Journalist Mark Lawson<br />

bemerkte dazu trocken: »Es gab früher schon Kinder,<br />

deren Geburt ein gewisses Interesse erregte –<br />

Jesus Christus, Elizabeth Windsor, Brooklyn Beckham<br />

–, doch <strong>die</strong> Ankunft von Suri <strong>Cruise</strong> hat alle Rekorde<br />

gebrochen.«<br />

Die anwesenden Me<strong>die</strong>nvertreter versäumten nicht,<br />

darauf hinzuweisen, dass am selben Tag in derselben<br />

Klinik auf demselben Flur auch <strong>die</strong> kürzlich von <strong>Tom</strong><br />

wegen der Einnahme von Antidepressiva arg geschol-<br />

-426-


tene Brooke Shields ein Kind zur Welt brachte, ihre<br />

zweite Tochter Grier. Ebenfalls nicht unkommentiert<br />

blieb <strong>die</strong> Erklärung von Nicole Kidmans Pressesprecherin,<br />

dass sie entgegen Me<strong>die</strong>nberichten keine<br />

Glückwünsche an Katie zu Suris Geburt geschickt habe.<br />

Das dürfte kaum jemanden überrascht haben. Ihre<br />

Fre<strong>und</strong>e hatten gesagt, es sei für sie »wie ein Schlag<br />

in den Magen« gewesen, als Katies Schwangerschaft<br />

bekannt wurde. Zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt bemühte sich<br />

Nicole, von ihrem zukünftigen Ehemann, dem mit Drogenproblemen<br />

kämpfenden Country-Sänger Keith Urban,<br />

schwanger zu werden. Sie war in <strong>Tom</strong>s Leben<br />

<strong>und</strong>, wie es schien, auch im Leben ihrer Adoptivkinder<br />

ganz an den Rand gerückt. Connor <strong>und</strong> Isabella wurden<br />

nicht nur gemäß der Lehre Ron Hubbards erzogen,<br />

Nicole sah <strong>die</strong> beiden auch nur selten. Katie war mühelos<br />

in <strong>die</strong> Rolle ihrer Stiefmutter geschlüpft, <strong>und</strong> es<br />

gab zahllose Fotos von ihr <strong>und</strong> <strong>Tom</strong>, wie sie den Kindern<br />

beim Fußballspielen mit ihren Schulmannschaften<br />

zusahen.<br />

Es zeigte sich, dass Katies Eltern ebenso in den Hintergr<strong>und</strong><br />

gedrängt worden waren wie Nicole Kidman.<br />

Während ihre Tochter nach <strong>Scientology</strong>-Ritual ein Kind<br />

zur Welt brachte, befanden sie sich 3000 Meilen entfernt<br />

in ihrem Ferienhaus in Florida. Als Katie wegen<br />

ihrer starken Schmerzen eine von <strong>Scientology</strong> gebilligte<br />

Periduralanästhesie bekam, war <strong>Tom</strong>s zu <strong>Scientology</strong><br />

konvertierte Mutter Mary Lee, <strong>die</strong> auf dem Anwesen<br />

des Paares lebte, in ihrer Nähe. Es dauerte noch zwei<br />

Wochen, bis Katies Eltern, <strong>die</strong> ihr während ihrer Hollywood-Karriere<br />

stets zur Seite gestanden hatten, ihre<br />

Enkelin zum ersten Mal sahen. In den Boulevardzeitungen,<br />

<strong>die</strong> das Leben von <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Katie zur Seifenoper<br />

gemacht hatten, wurde ihr Vater <strong>und</strong> Anwalt Marty<br />

Holmes als jemand dargestellt, der sinnlose Nachhutgefechte<br />

führte, um <strong>die</strong> Interessen seiner Tochter<br />

-427-


zu schützen. Wenn er es schon nicht verhindern konnte,<br />

dass sie sich ganz auf <strong>die</strong> Rolle der Ehefrau beschränkte,<br />

dann konnte er wenigstens dafür sorgen,<br />

dass sie eine reiche Ehefrau wurde. Ende Mai hatten<br />

sich Katies Vater <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> auf einen Ehevertrag über<br />

eine Summe von 52 Millionen Dollar geeinigt; angeblich<br />

sollte Katie für jedes Ehejahr 3 Millionen Dollar<br />

bekommen, <strong>und</strong> 19 Millionen Dollar sollten in einen<br />

Treuhandfonds für seine Tochter <strong>und</strong> seine Enkelin<br />

gehen, unabhängig davon, ob <strong>die</strong> Ehe weiterbestand<br />

oder nicht. Marty mag seine Tochter verloren haben,<br />

aber Katie hatte ein kleines Vermögen »gewonnen«.<br />

Katie habe deshalb auf einen Ehevertrag gedrängt,<br />

hieß es, weil sie möglichst schnell heiraten wollte, um<br />

in dem Fall, dass sich ihre Wege einmal trennten, mit<br />

ihm um das Sorgerecht für Suri kämpfen zu können.<br />

Andernfalls hätte sie bei seiner finanziellen Schlagkraft<br />

– <strong>und</strong> seinem Superstar-Status in Hollywood – keine<br />

Chance gehabt. Das Magazin Newsweek zitierte einen<br />

Fre<strong>und</strong> der Familie Holmes wie folgt: »Wenn sie jetzt<br />

geht, wird <strong>Tom</strong> ihr das Sorgerecht für Suri streitig machen,<br />

<strong>und</strong> auf rechtlichem Weg käme Katie nicht gegen<br />

ihn an, weil er den längeren Atem hat. Sie weiß,<br />

dass sie ihn heiraten muss, um das Geld für einen<br />

Sorgerechtsstreit zu haben.« Die ständigen Spekulationen<br />

waren hart für Katie, <strong>die</strong> zugab, dass sie den<br />

Klatsch in den bunten Blättern <strong>und</strong> im Unterhaltungsfernsehen<br />

immer verfolgt. »Es wird so viel Mist erzählt<br />

über meine Eltern <strong>und</strong> meine Geschwister, es ist echt<br />

frustrierend«, sagte sie der Journalistin Jane Sarkin.<br />

Während sie sich in der Öffentlichkeit nichts anmerken<br />

ließ, begannen sich in der Fassade der trauten<br />

Zweisamkeit schon <strong>die</strong> ersten Risse zu zeigen.<br />

-428-


13<br />

Während Katie <strong>und</strong> <strong>die</strong> kleine Suri in den Rocky<br />

Mountains unter den wachsamen Blicken von <strong>Scientology</strong>-Mitarbeitern<br />

in aller Ruhe eine intensive Bindung<br />

zueinander aufbauten, machte <strong>Tom</strong> möglichst viel<br />

Wirbel für Mission: Impossible III. Im April 2006,<br />

nicht einmal eine Woche nach Suris Geburt, flog er zur<br />

Premiere des Films nach Rom <strong>und</strong> anschließend einige<br />

Wochen r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Erde, wie um <strong>die</strong> atemlose Spannung<br />

des Films nachzuahmen. Vor der New Yorker<br />

Premiere im Mai fuhr er mit dem Motorrad, per<br />

Schnellboot, mit dem Sportwagen, mit U-Bahn <strong>und</strong><br />

Taxi durch Manhattan, ehe er schließlich mit einem<br />

Hubschrauber vor dem Kino landete. Zur Promotion<br />

für seinen Film in Japan mietete er für sich selbst <strong>und</strong><br />

150 Fans einen Superschnellzug.<br />

Obwohl der Film unter Regie von J.J. Abrams, dem<br />

Schöpfer der TV-Serien Lost <strong>und</strong> Alias, mit Sprüngen<br />

von Wolkenkratzern, explo<strong>die</strong>renden Brücken <strong>und</strong> anderen<br />

hochdramatischen Actionszenen nicht gerade<br />

geizte, schlummerte der <strong>Star</strong> der Familie – zumindest<br />

was <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n betraf – in einer Wiege auf der Ranch<br />

in Telluride in den Bergen Colorados. Nichts war <strong>Tom</strong><br />

zu viel für Mutter <strong>und</strong> Tochter: Er soll sogar seinen<br />

Gulfstream-Jet nach Kalifornien geschickt haben, um<br />

kistenweise Diät-Kirschlimonade <strong>und</strong> spezielle Bio-<br />

Lebensmittel heranzuschaffen. Als Katie bei der Hollywood-Premiere<br />

im Mai erschien, ruhten <strong>die</strong> Augen der<br />

ganzen Welt auf der jungen Mutter. Während <strong>Tom</strong><br />

fröhlich erzählte, dass er zehn Kinder haben wolle <strong>und</strong><br />

Katie für <strong>die</strong> Hochzeit wieder in Form kommen müsse,<br />

fanden professionelle Katie-Beobachter, dass sie »mü-<br />

-429-


de <strong>und</strong> elend« aussehe. Dann wurde sie auf schnellstem<br />

Weg nach Colorado zurückgeschickt, zum »B&B«,<br />

wie <strong>Tom</strong> es nannte. Sie stillte <strong>die</strong> Kleine, er war zuständig<br />

für das Bäuerchen – <strong>und</strong> den Windelwechsel.<br />

Falls sie Suri mit Hubbards Gerstenbrei für Babys gefüttert<br />

haben sollten – er behauptete, sich aus seiner<br />

Zeit bei römischen Soldaten vor 2000 Jahren an <strong>die</strong>ses<br />

Rezept zu erinnern –, so haben sie jedenfalls nichts<br />

darüber verlauten lassen. Mutter <strong>und</strong> Tochter verbrachten<br />

den Sommer abseits vom Rampenlicht in der<br />

Gesellschaft seiner <strong>und</strong> ihrer Familie, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Zeit<br />

mit Golf, Segelfliegen <strong>und</strong> Grillpartys vertrieb. Während<br />

<strong>Tom</strong> mit Isabella <strong>und</strong> Connor über den selbst angelegten<br />

Motocrosskurs brauste, arbeitete Katie eifrig<br />

an einem Quilt, in den auch Familienfotos integriert<br />

wurden.<br />

Die Tatsache, dass das Paar sich zurückgezogen hatte<br />

<strong>und</strong> Suri erst drei Monate später der Öffentlichkeit<br />

präsentiert wurde – natürlich auf dem Titelblatt der<br />

Vanity Fair, mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung der Promi-<br />

Fotografin Annie Leibovitz –, löste <strong>die</strong> wildesten <strong>und</strong><br />

durch nichts berechtigten Spekulationen darüber aus,<br />

ob <strong>die</strong> Kleine vielleicht einen Geburtsfehler habe. Als<br />

<strong>die</strong> Welt schließlich einen Blick auf sie werfen durfte,<br />

konnte jeder sehen, dass sie keinerlei Ähnlichkeit mit<br />

L. Ron Hubbard hatte. Mit ihren dichten schwarzen<br />

Haaren <strong>und</strong> den großen braunen Augen war sie ein<br />

Abbild ihrer Eltern. Die Fotositzung nahm fünf Tage in<br />

Anspruch, ein bisschen mehr als <strong>die</strong> halbe St<strong>und</strong>e, <strong>die</strong><br />

Leibovitz brauchte, um <strong>die</strong> Königin von England zu fotografieren.<br />

Im Juni – <strong>und</strong> das war ein aufschlussreicher<br />

Kontrapunkt zu dem Me<strong>die</strong>nrummel um <strong>Tom</strong>, Katie<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> kleine Suri – heiratete Nicole Kidman in<br />

einem Vorort von Sydney, Australien, den Country-<br />

Sänger Keith Urban, im traditionellen weißen Kleid <strong>und</strong><br />

in einer katholischen Kirche. »Für Nicole ist es eine<br />

-430-


spirituelle Heimkehr zur Kirche <strong>und</strong> zu ihrem Glauben«,<br />

bemerkte Pfarrer Paul Coleman, der das Paar<br />

traute. Mit <strong>die</strong>ser traditionellen Zeremonie distanzierte<br />

sich <strong>die</strong> Schauspielerin klar <strong>und</strong> deutlich von ihrer früheren<br />

Liebelei mit <strong>Scientology</strong>.<br />

Während der Rest der Welt verzückt <strong>die</strong> kleine Suri<br />

umgurrte, waren in Hollywood alle Augen auf <strong>Tom</strong>s<br />

neuesten Filmsprössling, Mission: Impossible III,<br />

gerichtet. Obwohl sich <strong>Tom</strong>s kühne Entscheidung, für<br />

den Film den TV-Regisseur J.J. Abrams zu engagieren,<br />

mit im Allgemeinen positiven Besprechungen ausgezahlt<br />

hatte, spielte das entscheidende erste Wochenende<br />

in Amerika nur 48 Millionen Dollar ein; bei Mission:<br />

Impossible II waren es 58 Millionen Dollar gewesen.<br />

Zwar brachte der Film, dessen Herstellung 200<br />

Millionen Dollar gekostet hatte, weltweit nahezu 400<br />

Millionen ein <strong>und</strong> noch einmal halb so viel aus dem<br />

DVD-Verkauf, doch war man in Hollywood, vor allem<br />

bei der Produktionsfirma Paramount, übereinstimmend<br />

der Meinung, dass <strong>Tom</strong>s eifriges Missionieren für<br />

<strong>Scientology</strong> bis zu 100 Millionen an Profit gekostet haben<br />

dürfte. Geradezu ein Verbrechen in Hollywood, wo<br />

jeder den Gott anbeten darf, den er will, solange Gott<br />

Mammon dabei nicht zu kurz kommt.<br />

Jetzt wurde <strong>Tom</strong> von seinesgleichen gerichtet. Die<br />

Zeugen der Anklage führten an, dass laut einer Gallup-<br />

Umfrage für USA Today im Mai 2006 nur ein gutes<br />

Drittel der Bevölkerung eine positive Meinung von dem<br />

<strong>Star</strong> hatte; im Vergleich zu den beinahe 60 Prozent<br />

vom Vorjahr ein drastischer Rückgang. Uber <strong>die</strong> Hälfte<br />

sah ihn nun negativ, verglichen mit weniger als einem<br />

Drittel im Jahr 2005. Und vor allem hatte der einstmals<br />

»sexiest man« der Welt vor allem wegen seiner<br />

Attacke gegen Brooke Shields bei seinen weiblichen<br />

Fans erheblich an Sympathie eingebüßt. Als <strong>Tom</strong> Ende<br />

August Brooke Shields zu Hause in Hollywood besuch-<br />

-431-


te <strong>und</strong> mit ihr bei Omelett mit <strong>Tom</strong>aten <strong>und</strong> Basilikum<br />

Frieden schloss, war es viel zu spät. <strong>Der</strong> Marketing-<br />

Guru Paul <strong>Der</strong>garabedian meinte dazu: »Es ist immer<br />

schwer zu sagen, warum ein Film <strong>die</strong> Erwartungen<br />

nicht erfüllt, aber in <strong>die</strong>sem Fall kann man es nicht<br />

dem Marketing ankreiden. Die Gründe liegen woanders.«<br />

Doch der Produzent Garth Drabinsky, der <strong>Tom</strong><br />

zu Beginn seiner Karriere eine Hauptrolle in dem Film<br />

Die Aufreißer von der High School gegeben hatte,<br />

unterstrich, dass erst seine Leistung <strong>die</strong> Trilogie Mission:<br />

Impossible kommerziell <strong>und</strong> künstlerisch zu einem<br />

derartigen Erfolg gemacht hatte. Er sagte: »Er<br />

hat mit der MI-Trilogie als Schauspieler <strong>und</strong> Produzent<br />

Unglaubliches geleistet. Es war eine Herkulesarbeit,<br />

das darf man nicht so leichthin abtun. Er schuftet am<br />

Set wie ein Irrer, <strong>und</strong> als Produzent wird er weiterhin<br />

großartige Arbeit abliefern.«<br />

Die Tatsache, dass <strong>Tom</strong> im Juni 2006 auf dem 1.<br />

Platz der »Celebrity List« des Magazins Forbes stand,<br />

machte keinen großen Eindruck auf <strong>die</strong> Herren in feinem<br />

Zwirn bei Paramount. Als Ende Juli sein Vertrag<br />

zur Verlängerung anstand, wurde er einer Todsünde<br />

für schuldig bef<strong>und</strong>en: Er kostete einfach zu viel. Zwar<br />

hatte er Paramount während der vierzehnjährigen Zusammenarbeit<br />

über eine Milliarde Dollar eingebracht,<br />

aber nun wollten deren Manager im Zuge der Vertragsverhandlungen<br />

seine allgemeinen Produktionskosten<br />

von 10 auf 2 Millionen Dollar jährlich reduzieren.<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Paula Wagner, <strong>die</strong> Partnerin seiner Produktionsfirma,<br />

wiesen <strong>die</strong>ses Ansinnen zurück. Zu <strong>die</strong>sem<br />

Zeitpunkt suchten sie bereits nach einem anderen<br />

Studio, aber bisher war keine Einladung gekommen.<br />

Während der Verhandlungen sollen nach nicht bestätigten<br />

Gerüchten auf Brad Grey, den Chef des Paramount<br />

Studios, als er eines Abends sein Büro verließ,<br />

etwa ein Dutzend Scientologen zugekommen sein<br />

-432-


<strong>und</strong> versucht haben, ihn unter Druck zu setzen, er solle<br />

mit <strong>Cruise</strong> einen guten Deal abschließen. Offenbar<br />

stand Grey seinen Mann <strong>und</strong> weigerte sich, dem Druck<br />

nachzugeben.<br />

Als schließlich das Urteil gesprochen wurde, gab wohl<br />

eher <strong>Tom</strong>s <strong>Scientology</strong>-Glaube den Ausschlag als <strong>die</strong><br />

Produktionsvorkosten. Sumner Redstone, der achtzigjährige<br />

Vorstandschef von Paramounts Muttergesellschaft<br />

Viacom, erklärte in einem Interview mit dem<br />

Wall Street Journal: »Sosehr wir ihn persönlich auch<br />

schätzen, wir hielten es für falsch, seinen Vertrag zu<br />

verlängern. Sein Verhalten in letzter Zeit war für Paramount<br />

nicht akzeptabel.« Und er bemerkte noch spitz:<br />

»Es hat nichts mit seinen Qualitäten als Schauspieler<br />

zu tun, er ist sagenhaft gut. Aber wir denken, dass<br />

jemand, der kreativen Selbstmord begeht <strong>und</strong> der<br />

Firma Einnahmeeinbußen verursacht, nicht bei uns auf<br />

dem Filmgelände sein sollte.« Später bemerkte er gegenüber<br />

Vanity Fair, <strong>Cruise</strong> sei wegen seiner Kritik an<br />

Brooke Shields zu einer »Hassfigur« für Frauen geworden.<br />

»Er hat nicht nur einer <strong>die</strong> Lust auf seine Filme<br />

verdorben, sondern allen Frauen, <strong>und</strong> einer Menge<br />

Männer dazu.«<br />

Es hieß, Steven Spielberg, der bei Paramount praktisch<br />

angestellt war, habe bei <strong>Cruise</strong>’ Demontage tatenlos<br />

zugesehen; offenbar wurmte ihn <strong>Tom</strong>s Verhalten<br />

während der PR-Tour für Krieg der Welten immer<br />

noch. Bald jedoch wiesen alle Finger auf Redstones<br />

Frau Paula Fortunato, <strong>die</strong> »empört« war über <strong>Tom</strong>s<br />

Kritik an Brooke Shields <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en gegenüber sagte:<br />

»Ich möchte keinen einzigen <strong>Tom</strong>-<strong>Cruise</strong>-Film<br />

mehr sehen.« Ein Sprecher von Viacom räumte ein,<br />

dass Paula Fortunato <strong>Tom</strong>s Ansichten »nicht teile«,<br />

betonte aber, sie habe alle seine Filme gesehen.<br />

Das <strong>Cruise</strong>-Lager schlug umgehend zurück. Seine<br />

Geschäftspartnerin Paula Wagner erklärte, sie <strong>und</strong><br />

-433-


<strong>Tom</strong> hätten <strong>die</strong> Vertragsverhandlungen zugunsten einer<br />

unabhängigen Finanzierung abgebrochen, Redstone<br />

»versuche nur, das Gesicht zu wahren«. <strong>Tom</strong>s Anwalt<br />

Bert Fields sagte wütend: »Dass ein Me<strong>die</strong>nmogul<br />

wie Sumner Redstone sich so gehässig, so aufgeblasen,<br />

so gereizt äußert… sagt mehr über Sumner<br />

Redstone <strong>und</strong> Viacom als über <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>.«<br />

In den folgenden Wochen kämpften Wagner <strong>und</strong><br />

<strong>Cruise</strong> um <strong>die</strong> Finanzierung ihrer Produktionsfirma.<br />

Schließlich konnte <strong>Tom</strong>s guter Fre<strong>und</strong> Kevin Huvane<br />

eine Investorengruppe gewinnen, darunter Mark Shapiro,<br />

der <strong>die</strong> Six-Flags-Erlebnisparks betreibt; Daniel<br />

Snyder, Eigentümer des Footballteams Washington<br />

Redskins; <strong>und</strong> den Immobilienmagnaten Dwight<br />

Schar. Ein leitender Agenturmitarbeiter sagte gegenüber<br />

der Los Angeles Times: »Das riecht sehr nach<br />

Kurzschlussreaktion, nach Plan C, vielleicht sogar Plan<br />

D. Wenn man seinen Vertrag mit dem Studio verliert<br />

<strong>und</strong> sich mit Erlebnisparks zusammentut, dann gibt es<br />

ein Problem.« Historisch gesehen gab es aber immer<br />

wieder Trennungen zwischen Studios <strong>und</strong> ihren <strong>Star</strong>s,<br />

man denke nur an 1919, als <strong>die</strong> Stummfilmstars Charlie<br />

Chaplin, Mary Pickford <strong>und</strong> Douglas Fairbanks ihr<br />

eigenes Studio, <strong>die</strong> »United Artists«, gründeten, damit<br />

sie einen größeren Anteil der Gewinne behalten konnten.<br />

Im Oktober kam dann, eine passende Fügung,<br />

MGM auf <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> Wagner zu <strong>und</strong> bot ihnen an, das<br />

kränkelnde United-Artists-Studio zu übernehmen. Paula<br />

Wagner wurde Hauptgeschäftsführerin, <strong>Tom</strong> Produzent,<br />

<strong>und</strong> dann feierten <strong>die</strong> beiden bei Mastro’s in Beverly<br />

Hills mit einer Flasche Jahrgangschampagner für<br />

550 Dollar. Ihr Ziel war, <strong>die</strong> große Zeit des United-<br />

Artists-Studios, das etwa vier Filme im Jahr produzierte,<br />

»wieder aufleben« zu lassen.<br />

-434-


Filmstar, Vater, Filmmogul: <strong>Tom</strong> hatte ein ereignisreiches<br />

Jahr hinter sich, als er zum dritten Mal in seinem<br />

Leben heiratete.<br />

Am 12. November 2006 schlossen er <strong>und</strong> Katie mit<br />

einer kleinen privaten Zeremonie zivilrechtlich den<br />

B<strong>und</strong> fürs Leben. Sechs Tage später heirateten sie auf<br />

einem italienischen Märchenschloss vor Familie <strong>und</strong><br />

Hollywoodprominenz noch einmal, während <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n<br />

<strong>und</strong> sogar <strong>die</strong> Brautjungfern draußen warten mussten.<br />

Zwar verweigerte der katholische Ortspfarrer seinen<br />

Segen, aber <strong>die</strong> Hochzeit nach <strong>Scientology</strong>-Ritus im<br />

Odescalchi-Schloss in Bracciano nahe Rom machte<br />

aufgr<strong>und</strong> der zahlreich erschienenen illustren Gäste<br />

dennoch weltweit Schlagzeilen. Gekommen waren <strong>die</strong><br />

Sängerin J-Lo <strong>und</strong> Marc Anthony, Will <strong>und</strong> Jada Pinkett<br />

Smith, Jim Carrey, Jenny McCarthy, Jenna Elfman,<br />

Victoria Beckham <strong>und</strong> sogar Brooke Shields, <strong>die</strong> sagte:<br />

»Ich freue mich so für <strong>die</strong> beiden.« Durch Abwesenheit<br />

glänzten unter anderem Oprah Winfrey, <strong>die</strong> nach <strong>Tom</strong>s<br />

Mätzchen in ihrer Show öffentlich Bedenken geäußert<br />

hatte, <strong>und</strong> ebenso <strong>die</strong> Scientologen John Travolta <strong>und</strong><br />

Kirstie Alley, <strong>die</strong> später auch nicht auf der von Paula<br />

Wagner gegebenen Party in Los Angeles erschienen.<br />

Nicole Kidman war natürlich gar nicht eingeladen worden,<br />

hatte aber als Hochzeitsgeschenk eine 4000 Dollar<br />

teure Vase geschickt -vermutlich, wie ein Witzbold<br />

meinte, um sie nicht werfen zu müssen. Von Katies<br />

Fre<strong>und</strong>en aus ihrer Zeit in Toledo oder bei Dawson ‘s<br />

Creek waren wenige da, dafür umso mehr Scientologen,<br />

unter anderen ihre Betreuerin Jessica Feshbach<br />

Rodriguez. <strong>Tom</strong>s Trauzeuge war David Miscavige, wie<br />

schon bei seiner Hochzeit mit Nicole; Katies Trauzeugin<br />

war ihre Schwester Nancy Blaylock.<br />

Nach einem »schlichten, aber eindringlichen« zwanzigminütigen<br />

<strong>Scientology</strong>-Ritual, zu dem unter anderem<br />

bizarre Gelöbnisse gehörten, tauschte das Paar<br />

-435-


Ringe aus <strong>und</strong> krönte <strong>die</strong> Zeremonie mit einem – inzwischen<br />

zum Markenzeichen gewordenen – langen<br />

öffentlichen Kuss. Abgesehen von der eigentlichen Zeremonie<br />

war der bewegendste Moment der, darin waren<br />

sich <strong>die</strong> meisten Anwesenden einig, als der blinde<br />

italienische Opernsänger Andrea Bocelli den versammelten<br />

Gästen ein Ständchen brachte, auch wenn er<br />

es als praktizierender Katholik abgelehnt hatte, an der<br />

Zeremonie selbst teilzunehmen. »Das war«, erklärte<br />

David Miscavige mit gesetzter Stimme, als er sein Glas<br />

auf das Paar erhob, »eine Hochzeit wahrer Minds.«<br />

Katies Vater Marty Holmes schob alle Bedenken beiseite<br />

<strong>und</strong> sagte, sein neuer Schwiegersohn sei »genau<br />

der Richtige« für seine heißgeliebte Tochter.<br />

Später flogen <strong>die</strong> frisch Vermählten zu Flitterwochen<br />

<strong>und</strong> Tauchurlaub auf <strong>die</strong> Malediven, wo sie bereits <strong>die</strong><br />

Luxusjacht von <strong>Tom</strong>s Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> <strong>Scientology</strong>-<br />

Konvertiten Jamie Packer erwartete. Sie waren offenbar<br />

nicht allein, denn man sah auf dem römischen<br />

Flughafen Ciampino auch David <strong>und</strong> Shelley Miscavige<br />

an Bord des Privatjets gehen, ehe er zu dem achtstündigen<br />

Flug nach Male, der Hauptstadt der Malediven,<br />

abhob. Allerdings war das Wetter leider so schlecht,<br />

dass das Paar den Urlaub vorzeitig beendete. Später<br />

bestritt <strong>die</strong> Kirche, dass <strong>die</strong> Miscaviges <strong>die</strong> beiden in<br />

<strong>die</strong> Flitterwochen begleitet hätten, aber <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> sein<br />

bester Fre<strong>und</strong> sahen sich ohnehin bald wieder.<br />

Ihren ersten Silvesterabend als Ehepaar verbrachten<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Katie zusammen mit 2000 anderen Scientologen<br />

im Shrine Auditorium in Los Angeles, wo sie David<br />

Miscavige, der von der »globalen Vernichtung« der<br />

Psychiatrie mittels »smart bombs« <strong>und</strong> Granaten<br />

schwadronierte, begeistert Beifall spendeten. Manche<br />

Anwesende fühlten sich wieder einmal an eine Nazi-<br />

K<strong>und</strong>gebung erinnert.<br />

-436-


Als er in groben Zügen umriss, wie <strong>die</strong> Organisation<br />

zur Beherrschung der Welt <strong>und</strong> zum »Clearing des<br />

Planeten«, wie er sagte, gelangen wollte, wurde deutlich,<br />

welch entscheidende Rolle <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Katie bei deren<br />

Strategie spielten. Nachdem er statistische Daten<br />

über <strong>die</strong> Kilometer von Zeitungspapier <strong>und</strong> <strong>die</strong> St<strong>und</strong>en<br />

an Fernsehzeit, <strong>die</strong> sich mit <strong>Scientology</strong> beschäftigten,<br />

heruntergerasselt hatte, erklärte Miscavige das<br />

von den Me<strong>die</strong>n als »Hochzeit des Jahrh<strong>und</strong>erts« bezeichnete<br />

Ereignis zur großen Chance, den ganzen<br />

Planeten an <strong>die</strong> Lehre <strong>und</strong> <strong>die</strong> Werte von <strong>Scientology</strong><br />

heranzuführen. Damit bestätigte sich der Verdacht<br />

derjenigen Hochzeitsgäste, <strong>die</strong> das Gefühl hatten, das<br />

Ereignis sei ebenso sehr ein Termin zur PR für <strong>Scientology</strong><br />

gewesen wie zur ehelichen Verbindung zweier<br />

Menschen. Natürlich war <strong>die</strong> Hochzeit beides. David<br />

Miscavige, der einem Vertrauten einmal gestanden<br />

hatte, dass er am Straßenrand Laserkunst verkaufen<br />

würde, wenn er nicht Scientologe wäre, war es hervorragend<br />

gelungen, mit seinem besten Fre<strong>und</strong> als Werbeträger<br />

seine Religion zu verkaufen. Vom Zelt der<br />

Scientologen am Set von Krieg der Welten <strong>und</strong> den<br />

Attacken gegen Brooke Shields bis zur »stillen Geburt«<br />

von Suri <strong>und</strong> dem Spektakel von <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Katies<br />

Hochzeit hatte sich <strong>Scientology</strong> an den <strong>Star</strong>status des<br />

Schauspielers gehängt, <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> war bereit gewesen,<br />

seine Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> seine Popularität für seine<br />

Religion zu opfern.<br />

Miscavige hielt eine weitere Herausforderung für seinen<br />

Botschafter in aller Welt bereit. Es war zwar keine<br />

unmögliche, aber mit Sicherheit eine schwierige Mission:<br />

gemeinsam mit John Travolta <strong>die</strong> Verbreitung von<br />

<strong>Scientology</strong> in Großbritannien <strong>und</strong> dem Rest Europas<br />

anzuführen. Während <strong>Scientology</strong> in den USA Steuerfreiheit<br />

genießt, wurde in Frankreich, Spanien <strong>und</strong><br />

Belgien gegen <strong>die</strong> Organisation ermittelt, in Groß-<br />

-437-


itannien für eine Zeitlang ein Verbot ausgesprochen<br />

<strong>und</strong> ihr in Deutschland aufgr<strong>und</strong> der eigenen totalitären<br />

Geschichte größtes Misstrauen entgegengebracht.<br />

Im Jahr 2006 hatte <strong>Tom</strong> hinter den Kulissen technische<br />

<strong>und</strong> finanzielle Hilfe geleistet, als <strong>Scientology</strong> in<br />

der Londoner Innenstadt für 31 Millionen Dollar ein<br />

Gebäude von einer saudi-arabischen Immobilienfirma<br />

gekauft hatte. »Es ist ein entscheidender Moment, mit<br />

<strong>die</strong>ser Niederlassung werden wir <strong>die</strong> Leute rekrutieren,<br />

<strong>die</strong> den Planeten kontrollieren«, bemerkte ein begeisterter<br />

Scientologe bei der großen Eröffnung der Londoner<br />

Zentrale im Oktober 2006. Abgesehen von einigen<br />

Lokalgrößen nahmen so gut wie keine Prominenten<br />

an der Eröffnung teil. Das zu ändern, war unter<br />

anderem <strong>Tom</strong>s Aufgabe.<br />

Als Kandidaten kamen zuallererst David <strong>und</strong> Victoria<br />

Beckham in Frage, <strong>die</strong> bekanntesten Prominenten in<br />

Großbritannien mit einer begeisterten Anhängerschaft<br />

in Europa <strong>und</strong> dem Fernen Osten. <strong>Der</strong> Schauspieler<br />

hatte David Beckham, den Ex-Kapitän der englischen<br />

Fußball-Nationalmannschaft, im Jahr 2003 kennengelernt,<br />

nachdem er sich bei einem Besuch in der spanischen<br />

Hauptstadt ein Spiel seines damaligen Clubs<br />

Real Madrid angesehen hatte. Man hätte meinen können,<br />

dass der Sohn eines Gasinstallateurs aus dem<br />

armen Londoner East End <strong>und</strong> der Hollywoodstar außer<br />

ihrer Begeisterung für Sport <strong>und</strong> schnelle Wagen<br />

wenig gemeinsam hatten, aber es entwickelte sich eine<br />

Fre<strong>und</strong>schaft zwischen ihnen. Interessanterweise<br />

lernten beide Männer ihre Ehefrauen auf der Leinwand<br />

kennen: <strong>Tom</strong> entdeckte Nicole Kidman für sich, als sie<br />

<strong>die</strong> Hauptrolle in Todesstille spielte, David verliebte<br />

sich in <strong>die</strong> Sängerin Victoria, auch Posh Spice genannt,<br />

als er sich ein Video der Spice Girls ansah.<br />

»Posh <strong>und</strong> Becks«, deren weltweite Popularität sie für<br />

<strong>Scientology</strong> zum Top-Promi-Material machte, bekamen<br />

-438-


offenbar einen festen Platz in <strong>Tom</strong>s Rolodex. Nicht nur<br />

das – er stellte sie bereits 2004 auch seinem Fre<strong>und</strong><br />

David Miscavige, dem Führer der <strong>Scientology</strong>, vor. Gerade<br />

mal sechs Wochen nachdem <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Miscavige<br />

in Madrid ein neues Zentrum von <strong>Scientology</strong> eröffnet<br />

hatten, flog Miscavige wieder nach Spanien, wo er einige<br />

Zeit mit Posh <strong>und</strong> Becks <strong>und</strong> ihren Kindern verbrachte.<br />

Zwar hatte er von Fußball keinen blassen<br />

Schimmer, aber Ende Oktober saß er tapfer bei einem<br />

Match auf der Tribüne <strong>und</strong> sah Real Madrid, Davids<br />

Team, im Bernabeau-Stadion in der spanischen Hauptstadt.<br />

David, der an <strong>die</strong>sem Tag nicht spielte, war dabei,<br />

ebenso dessen Mutter Sandra, seine Frau Victoria<br />

<strong>und</strong> ihre beiden Kinder Romeo <strong>und</strong> Brooklyn <strong>und</strong> auch<br />

<strong>Tom</strong>. Alle saßen in einer eigenen Box im Stadion. Miscavige<br />

flog um <strong>die</strong> halbe Welt, um <strong>die</strong> beiden zu sehen,<br />

<strong>und</strong> man kann <strong>die</strong>s durchaus als einen Hinweis<br />

auf <strong>die</strong> Bedeutung, <strong>die</strong> man <strong>die</strong>sem prominenten Paar<br />

in der Organisation beimisst, interpretieren.<br />

Wie zuvor bei Penelope Cruz <strong>und</strong> Sophia Vergara gab<br />

<strong>Tom</strong> den Beckhams einführende Informationen zu seiner<br />

Religion. Im Oktober 2005 wurde Victoria beobachtet,<br />

wie sie in dem Buch Assists for Illnesses<br />

and Injuries (Beistände für Krankheiten <strong>und</strong> Verletzungen)<br />

von L. Ron Hubbard las. Man vermutete,<br />

sie lese das Selbsthilfebuch, weil <strong>die</strong> Blitzlichter der<br />

Fotografen bei ihrem Sohn Romeo epileptische Anfälle<br />

ausgelöst hatten. Doch da gab es ein Problem: Wenn<br />

sich <strong>die</strong> Beckhams <strong>Scientology</strong> anschlossen, durfte<br />

Romeo keines der ihm vom Arzt verschriebenen Medikamente<br />

mehr nehmen. Und das konnte böse Folgen<br />

haben, wie Tory Christman, eine ehemalige Scientologin,<br />

am eigenen Leib feststellte. Als Christman bei<br />

<strong>Scientology</strong> Mitglied wurde, unterwarf sie sich dem<br />

Diktat ihrer neuen Religion <strong>und</strong> setzte <strong>die</strong> ihr verord-<br />

-439-


neten Medikamente gegen Epilepsie ab, was zahlreiche<br />

lebensbedrohliche Anfälle zur Folge hatte.<br />

Doch darüber konnte man später nachdenken. Zu der<br />

Zeit wurde David Beckham nicht nur von <strong>Scientology</strong><br />

umworben, sondern auch von einem anderen amerikanischen<br />

Konglomerat, der Anschutz Entertainment<br />

Group, <strong>die</strong> ihn nach Hollywood zu Los Angeles Galaxy,<br />

einem Fußballverein der Oberliga, locken wollte. Als<br />

Anschutz im Herbst 2006 seinen Mann bekam, fragte<br />

David »seinen klugen Fre<strong>und</strong>« <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> telefonisch<br />

um Rat, <strong>und</strong> der Schauspieler ermutigte ihn zum Umzug<br />

in den Westen.<br />

Während <strong>Tom</strong> Davids Karriere in neue Bahnen lenkte,<br />

ließ Katie sich von Victoria in Sachen Mode beraten.<br />

Im Oktober 2006 flogen <strong>die</strong> beiden ohne Männer zur<br />

Modewoche nach Paris, wo sie in ähnlicher oder komplementärer,<br />

oft von Victoria ausgewählter Aufmachung<br />

auftraten; ihr Mode-Ratgeber That Extra Half<br />

an Inch ist inzwischen zum Bestseller geworden. Die<br />

beiden wurden Fre<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> Vertraute, <strong>und</strong> als im<br />

Dezember 2006 ein Foto-Shooting für den Februartitel<br />

von Harper’s Bazaar anstand, wurde sie von Katie<br />

gebeten, sie als Stylistin zu unterstützen. Katie hat<br />

zwar ihre eigenen Vorstellungen in Sachen Mode – besonders<br />

<strong>die</strong> Sachen von Marc Jacobs <strong>und</strong> Armani gefallen<br />

ihr –, aber als sie im Frühjahr 2007 ihre Frisur veränderte,<br />

ließ sie sich einen Bob wie ihre englische<br />

Fre<strong>und</strong>in schneiden.<br />

Es war, als hätte Katie eine Generalverwandlung wie<br />

<strong>die</strong> walisische Schauspielerin Catherine Zeta Jones<br />

durchgemacht, <strong>die</strong> sich nach ihrer Heirat mit dem altge<strong>die</strong>nten<br />

Hollywoodkollegen Michael Douglas vom<br />

frischen, flippigen Glamourgirl zu einer Schönheit im<br />

klassischen Stil wandelte. In ähnlicher Weise wandelte<br />

sich <strong>die</strong> neue Mrs <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> vom langhaarigen, lockeren,<br />

naiven Mädchen zu einer eleganten Frau in<br />

-440-


schicken Designerkleidern <strong>und</strong> hochhackigen Schuhen<br />

mit raffiniert geschnittenen, kürzeren Haaren.<br />

Für <strong>die</strong>se Verwandlung hatte <strong>die</strong> intelligente, oft sehr<br />

impulsive Schauspielerin vermutlich einen hohen Preis<br />

bezahlt. Sie war zwar sehr verliebt in <strong>Tom</strong>, aber <strong>die</strong><br />

romantischen Illusionen der Anfangszeit waren wohl<br />

schon lange dahin. Sie hatte sich in eine Vorstellung<br />

verliebt, <strong>die</strong> sie sich als unbekümmerter Teenager gemacht<br />

hatte, als sie ihren Schwestern vorschwärmte,<br />

dass sie eines Tages <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> heiraten würde. Die<br />

Presse zog den unvermeidlichen Vergleich mit Prinzessin<br />

Diana <strong>und</strong> dem stürmischen Werben von Prinz<br />

Charles, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Hochzeitsfeier wirkte in der Tat ein<br />

bisschen überlaufen. Katie <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> lebten wie Mitglieder<br />

des Hochadels von Hollywood -immer umgeben<br />

von Menschen, nie für sich allein. Zu Hause kümmerte<br />

sich ein Team von Kindermädchen <strong>und</strong> Erzieherinnen<br />

um den Säugling Suri <strong>und</strong> um Connor <strong>und</strong> Isabella; es<br />

gab Köche, Gärtner, Hauspersonal, <strong>die</strong> jeder kleinsten<br />

Marotte von ihr eilfertig nachkamen, <strong>und</strong> wenn sie<br />

zum Shopping ging – <strong>und</strong> für eine »Karrierefrau« tat<br />

sie das ziemlich oft –, begleitete sie ein Bodyguard,<br />

der <strong>die</strong> Schwärme von Paparazzi abwimmelte. <strong>Tom</strong><br />

war schwer beschäftigt, hauchte seinem Studio, United<br />

Artists, kreatives Leben ein <strong>und</strong> verschaffte seinem<br />

umstrittenen Glaubensbekenntnis <strong>die</strong> gebührende Aufmerksamkeit.<br />

Die frisch verheiratete Katie wollte einfach mit ihrem<br />

Mann zusammensein – <strong>und</strong> ihn nicht teilen. Man könnte<br />

durchaus Verständnis aufbringen, wenn sie sich<br />

allmählich allein <strong>und</strong> isoliert gefühlt hat, denn sie<br />

wohnte in ihrem neuen Heim in Beverly Hills getrennt<br />

von <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> konnte sich nur hin <strong>und</strong> wieder eine gemeinsame<br />

St<strong>und</strong>e mit ihm stehlen, während er sich<br />

fast ausschließlich auf <strong>die</strong> Promotion für sein Filmstudio<br />

<strong>und</strong> seine Religion konzentrierte. Mit anderen Wor-<br />

-441-


ten: Er war allgegenwärtig, rief ständig an, um sich<br />

nach ihrem <strong>und</strong> dem Wohlbefinden seiner heißgeliebten<br />

Tochter zu erk<strong>und</strong>igen, wie sie geschlafen <strong>und</strong> was<br />

sie gegessen hatte. Dieses Kontrollverhalten, das<br />

schon Nicole irritiert hatte, fiel nun vermutlich auch<br />

Katie auf, <strong>die</strong> viel weniger von einer Primadonna hatte<br />

als ihre Vorgängerin. Es war auch nicht gerade hilfreich,<br />

dass seine Mutter <strong>und</strong> seine Schwester bei ihnen<br />

lebten. Katie, <strong>die</strong> junge Mutter, fühlte sich, wie man<br />

einigen veröffentlichten Berichten entnehmen kann,<br />

manchmal richtiggehend eingeengt <strong>und</strong> bedrängt<br />

durch <strong>die</strong> ständige Nähe zu seiner permanent gutgelaunten<br />

Mutter, seiner Schwester <strong>und</strong> deren Kindern.<br />

Oft fuhr sie nur zum Shopping nach Beverly Hills, um<br />

aus dem Haus zu kommen <strong>und</strong> eine Zeitlang für sich<br />

zu sein.<br />

In der Öffentlichkeit herrschte eitel Sonnenschein.<br />

Katie lächelte <strong>und</strong> hing an seinem Arm, aber in der<br />

Privatsphäre konnte man eine völlig andere Katie erleben.<br />

Sie war dauernd müde <strong>und</strong> wirkte ziemlich einsam,<br />

als trüge sie eine schwere Last auf ihren schmalen<br />

Schultern. »Jenseits der Kameras war sie eine völlig<br />

andere Person«, meinte ein Geschäftspartner. »Ich<br />

würde sie nicht als fröhlich bezeichnen. Eine verliebte<br />

Frau wirkt auf mich anders – eher das Gegenteil. Sie<br />

schien niedergedrückt zu sein <strong>und</strong> traurig, ganz <strong>und</strong><br />

gar nicht wie eine Frau, <strong>die</strong>, gerade frisch verheiratet,<br />

einem neuen Leben entgegensieht. Sie war immer so,<br />

wenn ich sie traf – teilnahmslos <strong>und</strong> negativ, eine<br />

ziemlich deprimierte Person.«<br />

In den ersten Monaten nach der Geburt von Suri hätte<br />

man Kathies physischen <strong>und</strong> emotionalen Ermüdungszustand<br />

noch als Ausdruck einer postnatalen<br />

Depression deuten können, wie sie junge Mütter öfters<br />

ereilt. <strong>Tom</strong> hatte Brooke Shields natürlich öffentlich<br />

kritisiert, weil sie Medikamente genommen hatte, um<br />

-442-


<strong>die</strong> Verzweiflung <strong>und</strong> <strong>die</strong> düsteren Phasen, <strong>die</strong> mit der<br />

Depression nach der Geburt ihres ersten Kindes einhergingen,<br />

zu bekämpfen. Da Katie jetzt aber Scientologin<br />

war, war es für sie unvorstellbar, sich der klassischen<br />

medizinischen Verfahren zu be<strong>die</strong>nen. Das unbeschwerte<br />

Mädchen aus der Zeit von Dawson ‘s<br />

Creek war verschw<strong>und</strong>en. Alle, <strong>die</strong> sie näher kannten<br />

<strong>und</strong> sahen, meinten, sie sähe älter aus, als sie tatsächlich<br />

war; sie wirkte traurig, körperlich <strong>und</strong> emotional<br />

ausgebrannt. Wer es wagte, einen Zusammenhang<br />

zwischen Katies offenk<strong>und</strong>iger Persönlichkeitsveränderung<br />

<strong>und</strong> dem Zustand der Ehe der frisch<br />

Vermählten herzustellen, sah sich schnell mit <strong>Tom</strong>s<br />

Zorn konfrontiert – oder genauer gesagt, mit seinen<br />

Rechtsanwälten, <strong>die</strong> aufmerksam darauf achteten,<br />

dass <strong>die</strong> Boulevardpresse keine Geschichten verbreitete,<br />

in denen anderes zu lesen war, als dass Katie<br />

glücklich <strong>und</strong> zufrieden sei.<br />

Die kleine Suri war zwar <strong>die</strong> reine Freude, aber <strong>die</strong>jenigen,<br />

<strong>die</strong> Katie kannten, hatten den Eindruck, dass<br />

sie an dem Weg, den sie eingeschlagen hatte, zweifelte.<br />

Ihre Schauspielerkarriere lief auf Sparflamme, sie<br />

wirkte unglücklich <strong>und</strong> vermittelte irgendwie den Eindruck,<br />

»gefangen« zu sein, als sei ihr plötzlich klar<br />

geworden, was es hieß, mit einem der mächtigsten<br />

Männer Hollywoods verheiratet zu sein. Allerdings<br />

kann man ihre Aussage gegenüber der Zeitschrift<br />

Harper’s Bazaar, es sei eine »Ehre«, neben <strong>Tom</strong> in<br />

einem Film aufzutreten, auch als Ausdruck ihres Wunsches<br />

deuten, ihre Ehe sowohl beruflich, als auch privat<br />

erfolgreich zu gestalten.<br />

Als sie ihre erste Rolle nach der Geburt von Suri annahm,<br />

schwor <strong>Tom</strong>, während der sechswöchigen<br />

Dreharbeiten zu Mad Money in Shreveeport, Louisiana,<br />

an ihrer Seite zu bleiben. Er mochte dabei <strong>die</strong> besten<br />

Absichten gehabt haben, aber seine eigenen beruf-<br />

-443-


lichen Verpflichtungen brachten es schließlich mit sich,<br />

dass er oft zwischen ihrem Haus in Beverly Hills <strong>und</strong><br />

dem Drehort hin- <strong>und</strong> herflog, jeweils drei St<strong>und</strong>en in<br />

ihrem eigenen Privatjet. Welche Vorahnungen Katie<br />

über <strong>die</strong> Zukunft ihrer Verbindung mit <strong>Tom</strong> auch immer<br />

gehabt haben mochte, sein Umgang mit Nicole<br />

Kidman konnte ihr hier als warnendes Beispiel <strong>die</strong>nen.<br />

Katie wusste, dass Nicoles Kontakt zu den gemeinsam<br />

adoptierten Kindern auf das Internet <strong>und</strong> E-Mail beschränkt<br />

worden war. <strong>Tom</strong> hatte praktisch das Sorgerecht<br />

<strong>und</strong> erzog <strong>die</strong> Jugendlichen in seinem Glauben.<br />

So schickte man beispielsweise Isabella <strong>und</strong> Connor im<br />

Jahr 2007 auf ein Sommercamp von <strong>Scientology</strong> in<br />

Portland in Oregon, anstatt sie mit ihrer Mutter <strong>die</strong><br />

Ferien verbringen zu lassen. Nicoles Interview in Vanity<br />

Fair im September 2007, in dem sie <strong>Tom</strong> mit der<br />

Enthüllung irritierte, dass sie in den frühen Tagen ihrer<br />

Ehe eine Fehlgeburt gehabt hatte, wurde von Beobachtern<br />

als eine Warnung an ihn gedeutet, ihr mehr<br />

von ihren elterlichen Rechten zuzugestehen, anderenfalls<br />

könnte sie mehr über <strong>die</strong> Geschichte ihrer zehnjährigen<br />

Ehe auspacken. In gewisser Weise lässt sich<br />

<strong>die</strong>ses Interview als eine ko<strong>die</strong>rte Unterhaltung zwischen<br />

Nicole <strong>und</strong> ihrem Ex-Ehemann lesen. Nicht nur<br />

ließ sie sich mit dem Kind ihrer Schwester im Arm fotografieren<br />

– was als Ausdruck ihres Kinderwunsches<br />

gedeutet werden kann –, sie deutete ferner an, dass<br />

sie eines Tages auch <strong>die</strong> »komplizierten« Hintergründe<br />

der Adoption von Isabella in Florida im Jahr 1993 erklären<br />

würde. Man ging damals davon aus, dass <strong>Scientology</strong><br />

bei der Adoption <strong>die</strong> Hand im Spiel hatte, obwohl<br />

weder <strong>Tom</strong> noch Nicole jemals <strong>die</strong> Gerüchte<br />

kommentierten, bei der Mutter des Kindes handle es<br />

sich um ein verarmtes Mitglied der Sea Org; auch <strong>die</strong><br />

Identität der Mutter wurde nie preisgegeben.<br />

-444-


Was auch immer Katie in ihrem Inneren bewegen<br />

mochte: Sie war diskret, <strong>und</strong> nur ihr zurückhaltendes<br />

Benehmen <strong>und</strong> der Eindruck wehmütiger Trauer <strong>die</strong>nten<br />

denjenigen, <strong>die</strong> ihr nahestanden oder sie kannten,<br />

als Anhaltspunkt für ihre Interpretation, dass Ehe <strong>und</strong><br />

Mutterschaft sich für sie möglicherweise doch anders<br />

gestalteten, als es in der Broschüre den Anschein hatte.<br />

In der Öffentlichkeit war sie <strong>die</strong> perfekte Ehefrau<br />

aus Hollywood <strong>und</strong> setzte eine tapfere Miene in ihrem<br />

neuen Leben auf. »Ich habe einen Ehemann <strong>und</strong> Kinder,<br />

<strong>die</strong> ich anbete«, sagte sie <strong>und</strong> wirkte glücklich<br />

<strong>und</strong> entspannt an der Seite von <strong>Tom</strong>. Als David <strong>und</strong><br />

Victoria Beckham im Juli 2007 in Los Angeles eintrafen,<br />

schmissen Katie <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> zur Begrüßung eine exklusive<br />

Party im Museum of Contemporary Art mit illustren<br />

Gästen. Auf der Gästeliste mit sechsh<strong>und</strong>ert<br />

Namen standen <strong>die</strong> Mitveranstalter Will Smith <strong>und</strong> Jada<br />

Pinkett Smith, Oprah Winfrey, George Clooney,<br />

Steven Spielberg <strong>und</strong> Jim Carrey. <strong>Tom</strong> zog alle Register,<br />

um seine britischen Gäste zu beeindrucken. Zwar<br />

gibt es in Hollywood nichts umsonst -<strong>und</strong> wenn man<br />

so will, hat auch jede Party ihren Preis –, aber zur Zeit<br />

der Abfassung <strong>die</strong>ser Zeilen steht eine Bekehrung der<br />

Beckhams zu seinem Glauben noch aus.<br />

Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, denn nur wenige<br />

können der hartnäckigen <strong>Cruise</strong>-Umarmung widerstehen.<br />

<strong>Der</strong> Schauspieler konzentriert sich auf<br />

Menschen, <strong>die</strong> in bestimmten ethnischen Gruppen oder<br />

geographischen Regionen großen Einfluss haben. Zur<br />

Willkommensparty, auf der auch ein grübelnder David<br />

Miscavige nicht fehlte, waren zahlreiche Prominente<br />

gekommen, <strong>die</strong> <strong>Tom</strong>s Schmeicheleien anfangs zurückgewiesen<br />

hatten, ihnen dann aber doch erlegen<br />

waren. Er pflegte fre<strong>und</strong>schaftlichen Kontakt mit der<br />

Schauspielerin <strong>und</strong> Sängerin Jennifer Lopez, deren Vater<br />

zwanzig Jahre lang bei <strong>Scientology</strong> gewesen war,<br />

-445-


um sie für seine Religion zu gewinnen <strong>und</strong> dadurch<br />

mehr Hispano-Amerikaner zu erreichen. Ebenso wie<br />

Oprah Winfrey wurden auch Will Smith – der <strong>Tom</strong> im<br />

Jahr 2007 den Spitzenplatz als »Stärkster Schauspieler<br />

des Planeten« der Newsweek abnahm – <strong>und</strong> seine<br />

Frau Jada Pinkett Smith wegen ihrer Popularität in der<br />

afroamerikanischen Gemeinde zu Zielscheiben von<br />

<strong>Scientology</strong>. Ähnlich war es mit der Frau, <strong>die</strong> gerade<br />

noch <strong>die</strong> Flucht ergreifen konnte; auch Sofia Vergara<br />

konnte auf eine begeisterte Fan-Gemeinde in Südamerika<br />

bauen.<br />

Immer fre<strong>und</strong>lich, mit einem breiten Lächeln im Gesicht<br />

<strong>und</strong> der berühmten Umarmung, bewies <strong>Tom</strong> großes<br />

Geschick im Umgang mit anderen Prominenten<br />

<strong>und</strong> unbedarften, bew<strong>und</strong>ernden Fans gleichermaßen.<br />

Er strahlte das Selbstvertrauen <strong>und</strong> den Elan eines<br />

Politikers aus – oder einer großen Nummer in Hollywood<br />

–, <strong>und</strong> genau das war er mittlerweile. Anfang<br />

2007 gab <strong>Tom</strong>, inzwischen etwas schwerer geworden<br />

<strong>und</strong> öfter in Anzug <strong>und</strong> Krawatte fotografiert als, im<br />

Vergleich zu früher, in Jeans <strong>und</strong> T-Shirt, grünes Licht<br />

für seinen ersten Film als Produzent von United Artists,<br />

Von Löwen <strong>und</strong> Lämmern, einen Polit-Thriller<br />

mit Leinwandlegende Robert Redford als Hauptdarsteller<br />

<strong>und</strong> Regisseur. Als <strong>Tom</strong>s Film-Comeback nach der<br />

unschönen Trennung von Paramount angekündigt, löste<br />

der Film in den USA schon vor dem Einzug in <strong>die</strong><br />

Kinos im November 2007 eine heftige Kontroverse<br />

aus, denn das Motto des Films – »Wer für nichts steht,<br />

kann für alles fallen« – empörte Konservative, <strong>die</strong> ihn<br />

beschuldigten, nicht nur eine Antikriegs-, sondern eine<br />

antiamerikanische Haltung zu vertreten. Interessanterweise<br />

fand <strong>die</strong> Filmpremiere in London statt, das als<br />

Zielmarkt für <strong>Scientology</strong> bei <strong>Tom</strong> ganz oben auf der<br />

Liste steht, <strong>und</strong> nicht in den USA.<br />

-446-


Bevor <strong>Tom</strong> auf dem Leicester Square in London anlässlich<br />

der Premiere des Films Von Löwen <strong>und</strong><br />

Lämmern am 22. Oktober 2007 auftrat, bestand er<br />

darauf, dass <strong>die</strong> Taschen aller Fotografen auf Wasserpistolen<br />

untersucht wurden. Er wollte keine Wiederholung<br />

des Vorfalls, der sich zwei Jahre zuvor ereignet<br />

hatte, als ein Fernsehteam ihn mit Wasser bespritzte,<br />

während er in der Menge <strong>die</strong> Hände schüttelte. Zwar<br />

widmete er sich beinahe zwei St<strong>und</strong>en seinen Fans,<br />

begrüßte sie, schüttelte Hände, doch der Film wurde<br />

von der Kritik nicht sonderlich gut aufgenommen.<br />

»Das Drama hat den Glanz einer Fünf-Watt-Birne«,<br />

schrieb James Christopher in der Times, jener Zeitung,<br />

<strong>die</strong> das Filmfestival sponserte, auf dem <strong>die</strong>ser<br />

Film präsentiert wurde. Die Besprechungen beschrieben<br />

<strong>Tom</strong> in seiner Rolle als republikanischer Falke als<br />

einen »polternden, aalglatten Frauenhelden, der [Meryl<br />

Streep, <strong>die</strong> eine zynische Journalistin spielt] in völlig<br />

unglaubwürdiger Weise anhimmelt«. Auch wenn<br />

der Film mit den Konflikten im Irak <strong>und</strong> in Afghanistan<br />

ein kontroverses Thema aufnahm, ging der Hollywoodstar<br />

geschickt allen Fragen im Hinblick auf den Krieg<br />

gegen den Terror aus dem Weg. Was er jedoch mitteilte,<br />

war, dass er plane, seinen Fre<strong>und</strong> David Beckham<br />

mit zu einem Autorennen zu nehmen oder mit ihm<br />

zum Fliegen zu gehen, um ihn etwas aufzuheitern,<br />

nachdem sein neuer Verein, <strong>die</strong> L.A. Galaxy, es in <strong>die</strong>ser<br />

Saison, in der Beckham verletzungsbedingt häufig<br />

ausfiel, nicht in <strong>die</strong> Endr<strong>und</strong>e geschafft hatte.<br />

Zeigte <strong>Tom</strong>s erste Arbeit mit United Artists, dass sein<br />

Studio <strong>die</strong> Absicht hatte, sich auf heiklere Themen einzulassen,<br />

so stellte das nächste <strong>Projekt</strong> eine gewagte<br />

Verbindung von Glauben <strong>und</strong> Film dar – es erschien<br />

als ein weiteres Symbol seines völligen Aufgehens in<br />

der Aufgabe, <strong>Scientology</strong> zu fördern. Während <strong>Tom</strong><br />

<strong>und</strong> seine Kollegen auf dem Gelände von United Artists<br />

-447-


Drehbücher für mögliche Filme durchsahen, waren David<br />

Miscavige <strong>und</strong> seine Untergebenen in der Kommandozentrale<br />

von <strong>Scientology</strong> in Hemet zugange <strong>und</strong><br />

planten <strong>die</strong> Invasion von Deutschland. Gelegentlich<br />

kam <strong>Tom</strong> in dem Wüstenbunker vorbei. Er ist heute de<br />

facto <strong>und</strong> informell <strong>die</strong> Nummer zwei der Organisation,<br />

eingeb<strong>und</strong>en in alle Aspekte der Planung <strong>und</strong> Strategie.<br />

Ebenso wie <strong>die</strong> Bewohner des Kabbalah Centre<br />

nichts ohne <strong>die</strong> Zustimmung ihrer großen Vorbildfigur<br />

<strong>und</strong> Zahlmeisterin Madonna tun, so orientiert sich <strong>die</strong><br />

gesamte Marketingstrategie von <strong>Scientology</strong> an <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong>.<br />

Deutschland mit seinem potenziellen Markt von 82<br />

Millionen Menschen ist eine äußerst verlockende Beute.<br />

Zudem wäre es ein ungeheurer PR-Triumph, in einem<br />

Land offiziell als Religionsgemeinschaft anerkannt<br />

zu werden, wo <strong>Scientology</strong> als kommerzielles Unternehmen<br />

angesehen wird, als eine totalitäre Organisation,<br />

<strong>die</strong> leicht beeinflussbare Menschen ausnutzt. Kurz<br />

gesagt, aus deutscher Sicht stellt <strong>Scientology</strong> eine Gefahr<br />

für <strong>die</strong> demokratische Gesellschaft dar. Im Laufe<br />

der Jahre haben verschiedene deutsche B<strong>und</strong>esländer<br />

Maßnahmen ergriffen, um ihre Bürger vor <strong>Scientology</strong><br />

zu schützen, deren Aktivitäten vom B<strong>und</strong>esamt für<br />

Verfassungsschutz beobachtet werden.<br />

Dem allen hält <strong>Scientology</strong> hartnäckig entgegen, dass<br />

<strong>die</strong> deutsche Haltung eine Verweigerung des Gr<strong>und</strong>rechts<br />

auf Religionsfreiheit darstellt, <strong>und</strong> <strong>die</strong> entsprechende<br />

Lobbyarbeit in Washington zu <strong>die</strong>ser Menschenrechtsfrage<br />

belastete <strong>die</strong> Beziehungen zwischen<br />

den USA <strong>und</strong> Deutschland. Im Januar 2007 errichtete<br />

<strong>Scientology</strong> mit der Eröffnung einer glitzernden,<br />

sechsstöckigen Niederlassung im Herzen Berlins einen<br />

Brückenkopf. Zwei Monate später parkte <strong>Scientology</strong><br />

gewissermaßen seine Panzer auf Deutschlands ideologischem<br />

Rasen – eine brillante Zangenbewegung –, als<br />

-448-


<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> verkündete, dass er einen Film über Oberst<br />

Claus Schenk Graf von Stauffenberg drehen <strong>und</strong><br />

selbst <strong>die</strong> Hauptrolle spielen werde. <strong>Der</strong> Adlige erwarb<br />

sich durch sein fehlgeschlagenes Attentat auf Adolf<br />

Hitler im letzten Jahr des Zweitens Weltkriegs einen<br />

Platz im deutschen Heldenpantheon.<br />

Nicht nur, dass ein führender Scientologe eine Symbolfigur<br />

der neuen deutschen Demokratie darstellen<br />

sollte; <strong>die</strong> Filmemacher wollten auch genau an den<br />

historischen Stätten drehen, wo <strong>die</strong> Geschichte begann<br />

<strong>und</strong> endete. Damit demonstrierte <strong>die</strong> Achse<br />

<strong>Cruise</strong>/Miscavige Machiavellismus pur. Sie wollten ihre<br />

ideologischen Sturmtruppen im Tarnkleid künstlerischer<br />

Integrität <strong>und</strong> religiöser Freiheit durch <strong>die</strong> Straßen<br />

Berlins marschieren lassen, <strong>und</strong> der Film konnte<br />

als Vorwand dafür gesehen werden. <strong>Tom</strong>s Anwesenheit<br />

auf deutschem Boden löste in allen gesellschaftlichen<br />

Gruppen eine Debatte über Recht <strong>und</strong> Unrecht in<br />

Sachen <strong>Scientology</strong> aus. Und genau das war der Plan<br />

gewesen. »Das Thema Stauffenberg wurde gezielt gewählt«,<br />

betont ein früherer Scientologe, der in <strong>die</strong> Pläne<br />

der Organisation bezüglich einer verstärkten Präsenz<br />

in Europa eingeweiht war. »Es war ein genialer<br />

Schachzug, um es ihnen unter <strong>die</strong> Nase zu reiben. Die<br />

<strong>Scientology</strong>-Führung lachte sich einen Ast. Es löste<br />

eine Debatte in Deutschland aus, Differenzen unter<br />

den Politikern, <strong>und</strong> genau das wollten sie.«<br />

Als Mitglieder der Familie Stauffenberg, <strong>die</strong> evangelische<br />

Kirche <strong>und</strong> Politiker den Film attackierten, wurde<br />

<strong>die</strong> Kontroverse heftiger. <strong>Der</strong> älteste Sohn des Helden,<br />

Berthold Graf von Stauffenberg, Generalmajor a.D.<br />

erklärte: »<strong>Scientology</strong> ist eine totalitäre Ideologie. Es<br />

ist schlicht makaber, wenn ein bekennender Scientologe<br />

wie Herr <strong>Cruise</strong> das Opfer eines totalitären Regimes<br />

spielen soll.« Von der evangelischen Kirche wurde <strong>Tom</strong><br />

mit dem berüchtigten Nazi-Propagandisten Joseph<br />

-449-


Goebbels verglichen; deren Beauftragter für Sekten-<br />

<strong>und</strong> Weltanschauungsfragen in Berlin-Brandenburg,<br />

Thomas Gandow, erahnte <strong>die</strong> eigentliche Absicht hinter<br />

dem Film: »Dieser Film wird für <strong>Scientology</strong> <strong>die</strong><br />

gleiche Propagandawirkung haben wie <strong>die</strong> Olympischen<br />

Spiele 1936 für <strong>die</strong> Nazis.« Als bekannt wurde,<br />

dass United Artists in Deutschland drehen wollte, forderten<br />

Politiker lautstark zur Gegenwehr auf. Harald<br />

Kammerbauer, der Sprecher des Verteidigungsministeriums,<br />

sagte: »United Artists wird keine Drehgenehmigung<br />

an militärischen Stätten erhalten, wenn Graf<br />

Stauffenberg von <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> gespielt wird, der öffentlich<br />

erklärt hat, ein Mitglied der <strong>Scientology</strong>-Sekte zu<br />

sein. Die B<strong>und</strong>eswehr hat ein besonderes Interesse<br />

daran, dass <strong>die</strong> Ereignisse vom 20. Juli <strong>und</strong> <strong>die</strong> Person<br />

Stauffenbergs seriös <strong>und</strong> authentisch porträtiert werden.«<br />

Worauf sich tapfer <strong>Tom</strong>s Bataillone in den Kampf<br />

warfen. Rupert Everett, der <strong>Star</strong> aus Shrek, erklärte,<br />

<strong>Scientology</strong> sei auch nicht lächerlicher als andere Religionen.<br />

Ob der offen schwule Schauspieler wusste,<br />

dass laut Hubbard Homosexuelle »in aller Stille <strong>und</strong><br />

ohne Trauer entfernt werden« sollten, ist nicht bekannt.<br />

Auch Paula Wagner feuerte eine Breitseite ab<br />

<strong>und</strong> erklärte, <strong>Tom</strong>s persönliche Glaubensvorstellungen<br />

seien »für <strong>die</strong> Handlung des Films, für Thema oder<br />

Inhalt ohne Belang«. Das war nichts anderes als <strong>die</strong><br />

Wahrheit, da Drehbuchautor Chris McQuarrie <strong>und</strong> Regisseur<br />

Bryan Singer, das kreative Duo hinter dem<br />

intelligent konstruierten Krimi Die üblichen Verdächtigen,<br />

keine Ahnung hatten, dass ihr Stauffenberg-<br />

<strong>Projekt</strong> möglicherweise als trojanisches Pferd herhalten<br />

musste, um <strong>die</strong> Sache <strong>Scientology</strong>s zu fördern.<br />

<strong>Der</strong> Mann, um den sich in <strong>die</strong>sem Krieg der Worte alles<br />

drehte, verhielt sich geradezu staatsmännisch <strong>und</strong><br />

entwaffnend besonnen. Nachdem er an einem Sonn-<br />

-450-


tagmorgen im Juni, während er zur Besichtigung der<br />

Drehorte in Berlin war, <strong>Scientology</strong>s neuer Europazentrale<br />

einen Besuch abgestattet hatte, eröffnete<br />

<strong>Tom</strong> mit einem diplomatischen Schachzug gelassen<br />

eine zweite Front; er lud, was ungewöhnlich ist, ausgewählte<br />

Journalisten zu einer Cocktailparty ein, damit<br />

sie andere Mitglieder der Crew, darunter Bill Nighy,<br />

Kenneth Branagh <strong>und</strong> Terence Stamp, kennenlernen<br />

<strong>und</strong> am Set <strong>die</strong> Dreharbeiten zu einer Szene verfolgen<br />

konnten. Er sprach sehr respektvoll über den katholischen<br />

Adligen, der einen Tag nach dem versuchten<br />

Attentat, bei dem <strong>die</strong> Bombe den »Führer« zwar verletzt,<br />

aber nicht getötet hatte, exekutiert wurde. »Er<br />

hatte erkannt, dass er etwas unternehmen musste,<br />

<strong>und</strong> das kostete ihn schließlich das Leben. Er wusste<br />

um das Risiko. Es nötigt einem Respekt ab, wenn<br />

Menschen für ihre Überzeugung eintreten.«<br />

Dieser letzte Satz könnte auch eine Metapher sein für<br />

<strong>die</strong> Faszination, <strong>die</strong> der Schauspieler auf alle Welt ausübt.<br />

Ganz bestimmt erinnerte <strong>die</strong> Szene, in der er als<br />

Stauffenberg seinen Kindern beim Spielen zusieht, ehe<br />

er wenig später zu seiner schrecklichen Mission aufbricht,<br />

<strong>die</strong> anwesenden Journalisten daran, warum er<br />

seit über zwei Jahrzehnten zu den Top-Leuten seiner<br />

Branche zählt. »Ohne unterstützenden Dialog, das Gesicht<br />

von einer Augenklappe verschattet, schafft es<br />

<strong>Tom</strong> dennoch, Trauer <strong>und</strong> inneren Aufruhr zu vermitteln«,<br />

schrieb der Boulevardreporter Rüben Nepales.<br />

»Diese Szene erinnerte uns daran, warum wir immer<br />

fanden, dass <strong>Tom</strong> als Schauspieler unterschätzt wird.<br />

Die ganzen Kontroversen überdecken <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass der Mann einer der besten Schauspieler seiner<br />

Generation ist.«<br />

Innerhalb weniger Wochen machte sich <strong>die</strong> Strategie<br />

bezahlt. Das deutsche Verteidigungsministerium winkte<br />

mit der weißen Fahne <strong>und</strong> genehmigte <strong>die</strong> Drehar-<br />

-451-


eiten an militärischen Stätten. Nach <strong>die</strong>ser bitteren<br />

Niederlage wurde dem Film ein Zuschuss von 4,8 Millionen<br />

Euro zugesprochen, weil er ein Thema der deutschen<br />

Geschichte behandelte. Und so flogen am 17.<br />

Juli 2007, ohne dass ein Schuss abgefeuert wurde,<br />

Kampfflugzeuge im Tiefflug über das Dorf Löpten bei<br />

Berlin, an denen das eigentlich verbotene Nazi-Symbol<br />

prangte das Hakenkreuz. Nur wenigen Deutschen dürfte<br />

bewusst gewesen sein, dass sie erobert werden sollten.<br />

<strong>Tom</strong> mochte zwar <strong>die</strong>se Schlacht gewonnen haben,<br />

aber der Krieg war keineswegs beendet. Während <strong>Tom</strong><br />

in den Berliner Babelsberg-Studios drehte – einst von<br />

Goebbels für seine Nazi-Propaganda geschätzt –,<br />

musste <strong>Scientology</strong> eine Niederlage nach der anderen<br />

hinnehmen. Zuerst machten ein vierzehnjähriges Mädchen<br />

<strong>und</strong> ihr Stiefbruder, <strong>die</strong> Kinder einer hochrangigen<br />

deutschen Scientologin, Schlagzeilen, als sie von<br />

ihrem Zuhause in Berlin ausrissen, um der Organisation<br />

zu entkommen. Sie suchten Zuflucht in Hamburg,<br />

wo es für Menschen, <strong>die</strong> aus Sekten flüchten, sichere<br />

Häuser gibt. Dann erschien das Schwarzbuch <strong>Scientology</strong><br />

von Ursula Caberta, seit 1992 Leiterin der Arbeitsgruppe<br />

<strong>Scientology</strong> der Hamburger Innenbehörde,<br />

eine vernichtende Kritik der Organisation, <strong>die</strong> sofort<br />

zum Bestseller wurde. In Belgien kam man nach zehnjährigen<br />

Ermittlungen zu dem Schluss, dass <strong>die</strong> Organisation<br />

als kriminelle Vereinigung zu betrachten sei,<br />

<strong>und</strong> Staatsanwalt Jean-Claude Van Espen empfahl,<br />

<strong>Scientology</strong> wegen Betrugs <strong>und</strong> Erpressung anzuklagen.<br />

Die Organisation erklärte, sich gegen <strong>die</strong> Beschuldigungen<br />

zur Wehr zu setzen.<br />

Den potenziell größten Schaden richtete jedoch der<br />

innere Feind an. Während <strong>Tom</strong> in seiner Rolle als<br />

Stauffenberg Sprengstoff in seine Aktentasche packte,<br />

war ein Abtrünniger gerade dabei, seine eigene Bombe<br />

-452-


platzen zu lassen. Hinter schusssicherem Glas, geschützt<br />

von bewaffneten Wachleuten, berichtete ein<br />

Mann, der behauptete, ein leitender Scientologe zu<br />

sein, Christian Marken, in einem Stuttgarter Gebäude<br />

deutschen Verfassungsschutzmitarbeitern von seinen<br />

Erlebnissen bei der Organisation. Aus Angst, in Amerika<br />

nicht mehr sicher zu sein – viele Ex-Scientologen<br />

sind überzeugt, manchmal mit gutem Gr<strong>und</strong>, dass <strong>die</strong><br />

örtliche Polizei mit den <strong>Scientology</strong>-Organisationen<br />

unter einer Decke steckt –, verließ er sein Haus in Buffalo,<br />

New York, <strong>und</strong> suchte Zuflucht in Deutschland,<br />

seinem Heimatland. Eine ironische Umkehrung der<br />

dunklen Jahre, als Juden aus Nazi-Deutschland flohen,<br />

um in Amerika Zuflucht zu finden.<br />

Was Markert den deutschen Geheim<strong>die</strong>nstleuten zu<br />

erzählen hatte, klang vertraut, aber dennoch beunruhigend.<br />

Eine schwierige Beziehung zu den Eltern, ein<br />

bewegter beruflicher Werdegang, der mit Haftbefehlen<br />

wegen Betrugsvorwurf in Frankreich <strong>und</strong> Irland einherging,<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Suche nach einem Lebenssinn nach<br />

dem Tod seiner Mutter hatten ihn zehn Jahre zuvor zu<br />

<strong>Scientology</strong> geführt. Zur Überprüfung seiner Identität<br />

legte Markert, heute 36 Jahre alt, einen Brief der<br />

Church of <strong>Scientology</strong> in Buffalo vor, in dem es hieß,<br />

er sei ein gutes <strong>und</strong> langjähriges Mitglied. Er sagte, er<br />

hätte für <strong>Scientology</strong> in Irland <strong>und</strong> Kalifornien gearbeitet,<br />

bevor er dann nach Buffalo versetzt wurde. Markert<br />

war nicht nur für den Buchladen zuständig, er betonte<br />

auch, dass er für eine gewisse Weile als Leiter<br />

des »Office of Special Affairs« geheim<strong>die</strong>nstliche Aufgaben<br />

übernommen habe, insbesondere das Schikanieren<br />

von ehemaligen Scientologen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Organisation<br />

kritisierten. Als Beweis legte er hochsensible OSA-<br />

Dokumente vor, <strong>die</strong> große Ähnlichkeit mit entsprechenden<br />

Unterlagen aus dem Archiv der Arbeitsgruppe<br />

<strong>Scientology</strong> in Hamburg aufwiesen. Markert berichtete<br />

-453-


der deutschen Polizei, er habe <strong>die</strong> systematische Einschüchterung<br />

von 85 Familien <strong>und</strong> Einzelpersonen koordiniert.<br />

Wer den M<strong>und</strong> hielt, wurde in Ruhe gelassen;<br />

wer seine frühere Religion angriff, wurde als<br />

»suppressive person« angesehen <strong>und</strong> bekam »den<br />

geballten Zorn der Organisation« zu spüren. Entsprechend<br />

der Schulung war <strong>die</strong> Methode immer <strong>die</strong>selbe.<br />

Als Erstes nahm er sich <strong>die</strong> angeblich vertraulichen<br />

»Ethik«-Akten vor, in denen sich Geständnisse in Sachen<br />

Sex, Drogen <strong>und</strong> Ähnlichem finden, mit dem man<br />

einen Menschen »ruinieren« kann. Gemäß Markert<br />

wurde eine Familie, ein Elternpaar mit Tochter, ein<br />

ganzes Jahr lang jeden Tag belästigt, mit Tausenden<br />

unerbetener Besuche, mit Telefonanrufen <strong>und</strong> Drohbriefen<br />

bombar<strong>die</strong>rt. Markert sagte den Geheim<strong>die</strong>nstleuten,<br />

<strong>die</strong> damals als »suppressive person« betrachtete<br />

Frau habe zweimal versucht, sich das Leben<br />

zu nehmen. <strong>Der</strong> dritte Selbstmordversuch war dann<br />

erfolgreich. »Damals habe ich mir nichts dabei gedacht«,<br />

sagte er. »Für einen Scientologen ist der Tod<br />

keine große Sache, man lässt einfach nur den Körper<br />

zurück.« Markert <strong>und</strong> seine Mitarbeiter sahen sich<br />

nicht als <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Frau in den Tod getrieben<br />

hatten. Schließlich entsprach ihre Vorgehensweise<br />

den Jahre zuvor von Ron Hubbard festgelegten<br />

Anweisungen, wonach Feinde von <strong>Scientology</strong> »betrogen,<br />

verfolgt, belogen <strong>und</strong> zerstört werden« können.<br />

Selbst <strong>die</strong> befragenden Geheim<strong>die</strong>nstleute, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Methoden<br />

von <strong>Scientology</strong> kannten, waren schockiert von<br />

der kalkulierten Brutalität einer Organisation, <strong>die</strong> sich<br />

selbst eine Religion nennt. »Es war <strong>die</strong> erste Geschichte,<br />

<strong>die</strong> er mir erzählte, als ich ihn traf«, sagte Ursula<br />

Caberta, <strong>die</strong> Leiterin der Arbeitsgruppe <strong>Scientology</strong> in<br />

Hamburg.<br />

Markert war gewissermaßen eine wandelnde Blaupause<br />

für <strong>Scientology</strong>s zukünftige Strategie zur Ex-<br />

-454-


pansion in Großbritannien <strong>und</strong> Europa, in deren Mittelpunkt<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> stand. Er betonte, dass <strong>die</strong>se Strategie<br />

bei einer Besprechung mit David Miscavige im<br />

April 2007 in Hemet festgelegt worden sei, bei der<br />

Markert <strong>die</strong> Chance erhielt, sich beim Aufbau der Organisation<br />

in Europa zu beteiligen. <strong>Scientology</strong> fehlte<br />

es an Muttersprachlern, <strong>und</strong> so arbeiteten beispielsweise<br />

in Berlin etliche Mitglieder aus England, <strong>die</strong> kein<br />

Deutsch sprachen. Während seines ersten – <strong>und</strong> letzten<br />

– Besuchs in der Zentrale hatte er nach eigenem<br />

Bek<strong>und</strong>en das Gefühl, als würde er ein Hochsicherheitsgefängnis<br />

betreten. Seinem Eindruck nach<br />

herrschte auf dem Gelände eine paranoide Atmosphäre.<br />

Bevor er David Miscavige gegenüberstand, musste<br />

Markert so strenge Sicherheitskontrollen über sich ergehen<br />

lassen, als wäre er auf dem Weg zum Präsidenten<br />

der USA.<br />

Während <strong>die</strong> Organisation der Außenwelt gewöhnlich<br />

sehr misstrauisch gegenübersteht, diskutierten zu der<br />

Zeit etliche Mitglieder darüber, wie man jüngst eine<br />

Bedrohung vonseiten der Me<strong>die</strong>n neutralisiert hatte.<br />

John Sweeney, ein investigativer TV-Journalist, der für<br />

<strong>die</strong> Londoner BBC arbeitet, sollte in Amerika herausfinden,<br />

ob <strong>Scientology</strong> nun eine Sekte ist oder eine<br />

Religion. Da man sich sicher war, dass Sweeney kritisch<br />

berichten würde, setzten sie <strong>die</strong> bekannte <strong>Scientology</strong>-Methode<br />

in Gang, nämlich ihn zu diskreditieren.<br />

<strong>Der</strong> Plan war einfach, aber wirkungsvoll: Sweeney <strong>und</strong><br />

sein Kamerateam sollten r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Uhr belästigt<br />

werden, bis er <strong>die</strong> Nerven verlor <strong>und</strong> »ausrastete« –<br />

idealerweise vor den Augen des <strong>Scientology</strong>-<br />

Kamerateams, das ihn verfolgte, um das Ganze zu filmen.<br />

Indem sie unkontrolliertes Verhalten dokumentierten,<br />

entkräfteten sie <strong>die</strong> Argumentation eines<br />

<strong>Scientology</strong>-Kritikers, so stichhaltig sie auch sein<br />

mochte. Ein früherer Scientologe berichtete: »Es war<br />

-455-


ein ganz simpler Plan. Sie >hetzen< dich, bis du explo<strong>die</strong>rst,<br />

machen so lange Druck, bis du ganz wirr bist<br />

im Kopf.« Die Taktik funktionierte besser als erwartet.<br />

Im März, bei der Unheil prophezeienden <strong>Scientology</strong>-<br />

Ausstellung »Psychiatrie des Todes« in Hollywood, verlor<br />

Sweeney <strong>die</strong> Beherrschung <strong>und</strong> begann den hochrangigen<br />

Scientologen <strong>Tom</strong>my Davis zu beschimpfen,<br />

Sohn der Schauspielerin Anne Archer, der ihn während<br />

der gesamten Recherchetour verfolgt hatte. Später<br />

sagte Sweeney dazu: »Ich bin angebrüllt <strong>und</strong> bespitzelt<br />

worden. Man ist um Mitternacht in mein Hotelzimmer<br />

eingedrungen; ich wurde von prominenten<br />

Scientologen als >bigott< beschimpft <strong>und</strong> von finsteren<br />

Fremden durch <strong>die</strong> Straßen von Los Angeles gejagt.<br />

Später in England haben fremde Leute bei meinen<br />

Nachbarn <strong>und</strong> meiner Schwiegermutter angerufen,<br />

bei meiner Hochzeit hat jemand spioniert <strong>und</strong> ist<br />

geflüchtet, als wir ihn gestellt haben.«<br />

Als <strong>die</strong> Konfrontation im Mai in der bekannten BBC-<br />

Magazinsendung Panorama ausgestrahlt wurde, erreichte<br />

<strong>die</strong> Sendung eine Rekordeinschaltquote – <strong>und</strong><br />

zwei Millionen Zugriffe weltweit bei YouTube. <strong>Scientology</strong><br />

nutzte <strong>die</strong> Geschichte zwar weidlich aus <strong>und</strong> investierte<br />

geschätzte 60.000 Dollar in Werbe-DVDs <strong>und</strong><br />

andere Materialien, doch überwiegend sprachen sich<br />

<strong>die</strong> Kommentare für den bedrängten Reporter aus.<br />

»Nach einer Woche <strong>Scientology</strong> hatte ich meine Stimme<br />

verloren, aber nicht meinen Verstand«, sagte<br />

Sweeney, der im Nachhinein erkannte, dass er hereingelegt<br />

worden war.<br />

Während <strong>Scientology</strong>-Mitglieder über ihren jüngsten<br />

Coup gegen <strong>die</strong> BBC diskutierten, schnüffelte der berüchtigte<br />

Privatdetektiv Eugene Ingrams, den <strong>Scientology</strong><br />

regelmäßig engagiert, im Privatleben des südkalifornischen<br />

Radiomoderators Vince Daniels herum,<br />

nachdem <strong>die</strong>ser gewagt hatte, <strong>die</strong> Arbeit von Narco-<br />

-456-


non, dem Drogenrehabilitationsprogramm von <strong>Scientology</strong>,<br />

in seiner Sendung zu kritisieren. Im August<br />

kündigte er bei KCCAA-Radio, als Gr<strong>und</strong> gab er Differenzen<br />

mit dem Management an.<br />

Während <strong>Scientology</strong>-Gründer Ron Hubbard sich in<br />

hohem Maß auf <strong>die</strong> versteckte Verbreitung falscher<br />

Daten verließ, hat Miscavige immensen Erfolg mit der<br />

Strategie, Berühmtheiten als Werbetrommler für <strong>die</strong><br />

Organisation einzusetzen. Miscavige betonte gegenüber<br />

Markert, dass <strong>Star</strong>s wie <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> John Travolta<br />

als Stoßtruppe der Organisation in Großbritannien <strong>und</strong><br />

Europa eingesetzt werden würden. <strong>Tom</strong> würde auf seiner<br />

gegenwärtigen Rolle als Wanderbotschafter aufbauen<br />

<strong>und</strong> sich mit Hilfe seines Prominentenstatus Zugang<br />

zu Politikern <strong>und</strong> anderen Entscheidungsträgern<br />

in Wirtschaft <strong>und</strong> Showgeschäft verschaffen. Miscavige<br />

bemerkte einmal, dass ein Politiker kein Scientologe<br />

sein müsse, um ihrer Sache förderlich zu sein; er müsse<br />

nur einen guten Scientologen hinter sich haben. »Er<br />

stellte klar, dass Prominente wie <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> alles ihnen<br />

Mögliche tun, um in Europa Fuß zu fassen <strong>und</strong><br />

<strong>Scientology</strong> bekannter zu machen. Für ihn ist es ein<br />

Riesenmarkt – in Italien ist <strong>Scientology</strong> bereits erfolgreich.<br />

Er hat sich lang <strong>und</strong> breit darüber ausgelassen.«<br />

Miscavige prahlte sogar damit, dass <strong>Tom</strong>s Studio, United<br />

Artists, innerhalb der Organisation als gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

Pro-<strong>Scientology</strong> betrachtet werde <strong>und</strong> dass zunehmend<br />

ergebene Sea-Org-Mitglieder dort arbeiteten,<br />

<strong>die</strong> sich in den Gold Production Studios in Hemet<br />

<strong>die</strong> ersten Sporen ver<strong>die</strong>nt hatten. Bei Von Löwen<br />

<strong>und</strong> Lämmern waren der Schauspieler Michael<br />

Pena, der Komponist Kark Isham, einige Kameraleute,<br />

Musiktechniker <strong>und</strong> diverse Mitglieder des Produktionsteams<br />

Scientologen.<br />

Einige Wochen nach dem Treffen mit Miscavige wollte<br />

Markert, der <strong>Scientology</strong>-Buchhändler <strong>und</strong> Angehöriger<br />

-457-


des <strong>Scientology</strong>-Geheim<strong>die</strong>nstes war <strong>und</strong> auch predigende<br />

Funktion hatte, <strong>die</strong> Organisation verlassen. Ein<br />

früheres Sea-Org-Mit-glied verhalf ihm zur Flucht, <strong>und</strong><br />

dann flog er nach Deutschland. Als abtrünniges Mitglied<br />

zog er sich, wie er schon erwartet hatte, den geballten<br />

Zorn von <strong>Scientology</strong> zu. Markert wurde vorgeworfen,<br />

ein Betrüger zu sein, ein »V-Mann« der<br />

deutschen Sicherheitsorgane, der nur kurz in der Organisation<br />

gewesen sei, <strong>und</strong> bizarrerweise auch Psychiater.<br />

Die diskreditierende Strategie von <strong>Scientology</strong><br />

war teilweise erfolgreich, denn ein deutscher R<strong>und</strong>funksender<br />

schlussfolgerte, dass Markerts Geschichte<br />

Widersprüche enthalte <strong>und</strong> in ihrer Gesamtheit nicht<br />

glaubhaft sei. Die Heftigkeit <strong>und</strong> das Ausmaß der Diskreditierungsversuche<br />

legten jedoch nahe, wie wichtig<br />

er für <strong>die</strong> Organisation gewesen sein muss, was Ursula<br />

Caberta veranlasste, ihn zu fragen, ob er wichtige Informationen<br />

über <strong>die</strong> Organisation zurückhalte.<br />

Hier verliert sich <strong>die</strong> Geschichte im Dunkeln – wie jeder<br />

Versuch, in <strong>die</strong> labyrinthische Welt von <strong>Scientology</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Geisteswelt der Anhänger einzudringen. Als ich<br />

in aller Form bei einem Anwalt, der für <strong>Scientology</strong><br />

tätig war, anfragte, warum man sich dermaßen anstrengte,<br />

eine Person zu verunglimpfen, <strong>die</strong> angeblich<br />

doch nur für kurze Zeit ein Mitglied der Organisation<br />

gewesen sei, erhielt ich eine erstaunliche Antwort. In<br />

einem Schreiben stellt <strong>die</strong>ser Anwalt kategorisch fest:<br />

»Christian Markert hat Herrn Miscavige persönlich nie<br />

getroffen oder mit ihm gesprochen <strong>und</strong> war auch nie in<br />

den Räumlichkeiten der Golden Era Production. Er<br />

betrat eine Kirche der <strong>Scientology</strong> zum ersten Mal, als<br />

er Anfang April 2007 begann, für <strong>die</strong> Church of <strong>Scientology</strong><br />

in Buffalo zu arbeiten, wo er behauptete, er<br />

wolle <strong>die</strong> Menschen über <strong>Scientology</strong> aufklären. Er<br />

wurde eingestellt <strong>und</strong> arbeitete als Bürokraft für <strong>die</strong><br />

Buchhandlung der Kirche.«<br />

-458-


Allerdings findet sich in einem Brief, der direkt aus<br />

der Rechtsabteilung der Church of <strong>Scientology</strong> in Buffalo<br />

stammt, datiert vom 9. März 2007, eine Darstellung,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong>ser Behauptung völlig widerspricht. Dieser<br />

Brief <strong>die</strong>nte der Unterstützung von Markerts Antrag für<br />

ein Visum als zeitlich befristeter religiöser Mitarbeiter:<br />

»Herr Markert erfüllt alle Voraussetzungen für <strong>die</strong> Erteilung<br />

eines R-l-Visums, da er seit zehn Jahren Scientologe<br />

ist <strong>und</strong> in den vergangenen drei Jahren sein<br />

großes Können im Bereich der Dianetik unter Beweis<br />

gestellt hat. Sein Wissen <strong>und</strong> seine Vertrautheit mit<br />

den Schriften der Kirche werden hier in Buffalo dringend<br />

benötigt, <strong>und</strong> Herr Markert soll hier als Seelsorger<br />

assistieren.«<br />

Ein Seelsorger oder ein Betrüger? Ursula Caberta<br />

vertritt <strong>die</strong> Meinung, dass <strong>die</strong> Verwirrung r<strong>und</strong> um den<br />

Fall Markert direkt auf <strong>Tom</strong>s Fre<strong>und</strong> David Miscavige<br />

zurückgeht. Es ist ein schweres Vergehen im Regelwerk<br />

der Scientologen, wenn man es als Mitglied versäumt,<br />

einen »Knowledge Report« über vermutete<br />

Verdächtige zu verfassen, von denen man annimmt,<br />

sie könnten <strong>die</strong> Organisation verlassen oder sie<br />

»hochgehen« lassen. Es wäre <strong>und</strong>enkbar, dass man<br />

Miscavige mit einem Abtrünnigen, so kurz vor seinem<br />

Abgang, in Verbindung brächte. Technisch gesehen,<br />

wäre er dann nämlich seiner Pflicht nicht nachgekommen<br />

<strong>und</strong> müsste bestraft werden. Daher wohl <strong>die</strong> heftigen<br />

Versuche, den armen Markert zu diskreditieren.<br />

Wenn er wirklich einer war, der <strong>die</strong> dunklen Künste<br />

der Scientologen praktizierte, dann hatte Markert Einblick<br />

in das Herz der Organisation. »Bei <strong>Scientology</strong><br />

geht es nicht um Geld«, sagte er. »Das ist keine Religion;<br />

es ist eine extreme politische Organisation. Was<br />

Hubbard wollte, war <strong>die</strong> Weltmacht. Er wollte <strong>die</strong> Welt<br />

regieren.« <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>’ Bekenntnis zu seinem Glauben<br />

verleiht einer, wie Markert es nun einschätzt, »gefähr-<br />

-459-


lichen <strong>und</strong> kriminellen Sekte« eine falsche Legitimität.<br />

»Sein Eintreten für <strong>Scientology</strong> lässt <strong>die</strong> Organisation<br />

– insbesondere Jüngeren – harmlos <strong>und</strong> sicher erscheinen.<br />

Nach dem, was ich gesehen habe, zögere ich<br />

nicht zu behaupten, dass <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> eine der gefährlichsten<br />

Berühmtheiten der Welt ist.«<br />

Dies ist zwar <strong>die</strong> Aussage eines desillusionierten Deserteurs,<br />

aber das bedeutet nicht zwingend, dass es<br />

sich nur um eine isolierte Position oder <strong>die</strong> Meinung<br />

eines Außenseiters handelt. Wollte man es etwas fairer<br />

formulieren, könnte man möglicherweise sagen, dass<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> Macht <strong>und</strong> Einfluss gewinnt, indem er geschickt<br />

<strong>die</strong> Bedingungen der Me<strong>die</strong>ngesellschaft nutzt,<br />

<strong>die</strong> markante Sprüche braucht <strong>und</strong> in der jeder Berühmtheiten<br />

anbetet. Er zählt zu den führenden Köpfen<br />

einer neuen Gattung von Anhängern des Celebrity-<br />

Kults, <strong>die</strong> ihren Status als <strong>Star</strong> nutzen, um Zugang zu<br />

den Korridoren der Macht, zu den Fernsehstudios <strong>und</strong><br />

den Titelgeschichten zu bekommen.<br />

Ebenso wie Bob Geldof <strong>und</strong> Bono ihre Kontakte <strong>und</strong><br />

ihre Bekanntheit wirkungsvoll genutzt haben, um gegen<br />

<strong>die</strong> Armut in der Dritten Welt zu kämpfen, bestreitet<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> eine Kampagne für seine umstrittene<br />

Religion. <strong>Der</strong> Unterschied liegt darin, dass Bono <strong>und</strong><br />

Geldof <strong>die</strong> Welt ändern wollen, wohingegen <strong>Tom</strong> zu<br />

einer Organisation gehört, <strong>die</strong> den Planeten beherrschen<br />

will. Während Bono <strong>und</strong> Geldof offen für ihr Anliegen<br />

eintreten, operiert <strong>Tom</strong>s Organisation im Verborgenen;<br />

sie versteckt sich hinter gezielten Kampagnen<br />

gegen bestimmte Medikamente wie Ritalin oder<br />

Antidepressiva, wobei ihr wahres Anliegen <strong>die</strong> »globale<br />

Auslöschung« der Psychiater <strong>und</strong> anderer Professionen<br />

des Ges<strong>und</strong>heitswesens ist.<br />

Im Gegensatz zu Politikern können Berühmtheiten<br />

wie <strong>Cruise</strong> <strong>die</strong> genaue Untersuchung <strong>und</strong> detaillierte<br />

Auseinandersetzung mit ihren Positionen <strong>und</strong> Prakti-<br />

-460-


ken verhindern. Die Me<strong>die</strong>n sind schlicht entzückt, sie<br />

vor <strong>die</strong> Kamera oder aufs Titelblatt zu bekommen. Solange<br />

<strong>Tom</strong>s Gesicht verkaufsfördernd wirkt, werden<br />

<strong>die</strong> Journalisten durch jeden Reifen springen, den man<br />

ihnen hinhält, <strong>und</strong> sie werden Kurse von <strong>Scientology</strong><br />

besuchen, nur um Zugang zu ihm zu kriegen. In <strong>die</strong>sem<br />

Zusammenhang sei auf den ehemaligen Mitarbeiter<br />

des Weißen Hauses, Scooter Libby, verwiesen, der<br />

gezeigt hat, wie gerne sich Politiker im sanften Glanz<br />

eines Hollywoodstars sonnen, mit dem sie sich zeigen<br />

können. In <strong>die</strong>sem von Unterwürfigkeit geprägten Klima<br />

hat sich <strong>Tom</strong> zum Meister der starken Sprüche<br />

entwickelt, der für sein Anliegen eher mit Behauptungen<br />

als mit Argumenten wirbt, der Slogans anbietet,<br />

statt intellektuelle Substanz zu vermitteln. Welcher<br />

Politiker hätte beispielsweise behaupten dürfen, wie<br />

<strong>Tom</strong> es in einem Fernsehinterview in der Sendung Entertainment<br />

Tonight im Jahr 2005 tat, <strong>die</strong> Psychiatrie<br />

sei eine »Nazi-Wissenschaft« <strong>und</strong> Methadon, ein Ersatzstoff<br />

zur Behandlung der Abhängigkeit von Heroin,<br />

sei ursprünglich nach Adolf Hitler »Adolophine« benannt<br />

worden? Zwar stimmt keine der beiden Aussagen,<br />

aber <strong>Tom</strong>s Popularität als Schauspieler gibt solchen<br />

Statements unvermeidlich ein gewisses Gewicht<br />

<strong>und</strong> eine Authentizität.<br />

In einer Zeit, in der einer wie <strong>Tom</strong> weitaus mehr<br />

Macht hat als ein durchschnittlicher Senator, wo weltweiter<br />

Einfluss <strong>und</strong> große Reichweite zusammenfallen,<br />

haben er <strong>und</strong> <strong>Scientology</strong> praktisch eine Freikarte in<br />

der Hand, <strong>die</strong> sie auch weidlich nutzen. Laut dem Mental<br />

Health Matters Political Action Committee sind zum<br />

Beispiel von Mitgliedern der Legislative in Arizona 28<br />

Gesetzentwürfe von <strong>Scientology</strong> vorgelegt worden, <strong>die</strong><br />

darauf abzielen, den Zugang für <strong>und</strong> <strong>die</strong> medikamentöse<br />

Behandlung von Kindern mit geistigen oder<br />

psychischen Störungen zu begrenzen. Die Lobbygrup-<br />

-461-


pe fragt <strong>die</strong> Wähler auf ihrer Webseite, ob sie künftige<br />

Entscheidungen zu Fragen der Behandlung solcher<br />

Krankheiten in ihrem Staat <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> überlassen<br />

wollen. Es entbehrt in <strong>die</strong>sem Zusammenhang nicht<br />

einer gewissen Ironie, dass Dr. Gary Lebendiger, ein<br />

Stiefbruder <strong>Tom</strong>s aus der zweiten Ehe seines Vaters,<br />

Kinderpsychiater ist, was dem Schauspieler selbst offensichtlich<br />

nicht bekannt ist.<br />

Natürlich ist <strong>Tom</strong> nur das lächelnde Sprachrohr für<br />

<strong>die</strong> Lehren jenes Mannes, den er als seinen Mentor<br />

bezeichnet – L. Ron Hubbard. Alles, was der über Psychiatrie<br />

– oder auch über Geburt, Ehe <strong>und</strong> das Leben<br />

als solches – geschrieben hat, ist per definitionem heilig<br />

<strong>und</strong> unantastbar. Sein Wort ist <strong>Scientology</strong>-Lehre.<br />

Weder <strong>Tom</strong>, noch irgendein anderer Scientologe darf<br />

von seinen Lehren <strong>und</strong> Praktiken abweichen. Das ist<br />

einer der fatalen Schwachpunkte in <strong>Tom</strong>s Prognose für<br />

unseren Planeten. Man kann das am Beispiel von Hubbards<br />

zwanghafter Gegnerschaft zur Psychiatrie demonstrieren.<br />

Abgesehen von der persönlichen Kränkung,<br />

<strong>die</strong> er empfand, als medizinische Experten sein<br />

Buch Dianetik, das F<strong>und</strong>ament von <strong>Scientology</strong>, verwarfen,<br />

beschäftigte sich Hubbard mit der Psychiatrie<br />

in den vierziger <strong>und</strong> fünfziger Jahren, als man nur sehr<br />

wenig über <strong>die</strong> Funktionsweise des Gehirns wusste.<br />

Psychiatrie ist wie <strong>die</strong> Computerwissenschaft eine Disziplin,<br />

<strong>die</strong> sich rasch entwickelt. Wenn man universelle<br />

Regeln <strong>und</strong> Vorschriften über <strong>die</strong> Wissenschaft von der<br />

geistigen Ges<strong>und</strong>heit aufstellt, dann ist das so, als<br />

würde man eherne Gesetze der Datenverarbeitung<br />

formulieren, <strong>die</strong> auf den schwerfälligen Maschinen der<br />

Nachkriegszeit basierten, als man für Rechenoperationen,<br />

<strong>die</strong> heute von einem mikroskopischen<br />

Chip erledigt werden, eine Maschinerie benötigte, <strong>die</strong><br />

einen ganzen Raum ausfüllte <strong>und</strong> dabei weit weniger<br />

Leistungsfähigkeit hatte. Rein philosophisch basiert<br />

-462-


Hubbards Weltsicht auf dem Zustand des Planeten<br />

kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist eine intellektuell<br />

statische Sichtweise – unfähig, irgendwelche<br />

Fortschritte der Zivilisation, <strong>die</strong> sich seit <strong>die</strong>ser Zeit<br />

ergeben haben, anzuerkennen oder aufzunehmen.<br />

Man übertreibt wohl nicht, wenn man <strong>Scientology</strong> als<br />

das Äquivalent zur Fiat Earth Society bezeichnet, einer<br />

Gruppierung, <strong>die</strong> in einer Art Zeitkapsel lebt <strong>und</strong> in<br />

unverbrüchlicher Treue zu den Regeln steht, <strong>die</strong> ihr<br />

Gründer aufgestellt hat. Noch heute kommunizieren<br />

hochrangige Scientologen untereinander über verschlüsselte<br />

Telex-Mitteilungen, statt sich moderner<br />

Kommunikationsmethoden wie E-Mails zu be<strong>die</strong>nen –<br />

weil Hubbard es so verfügt hat.<br />

Wenn sich <strong>Scientology</strong>, so wie <strong>die</strong> Fiat Earth Society,<br />

damit begnügen würde, ein zurückgebliebener, auf<br />

sich selbst bezogener Verein zu sein, dann würden sie<br />

wenig Schaden anrichten. Aber dem ist nicht so. Die<br />

unermüdliche Expansion der Organisation <strong>und</strong> ihrer<br />

Tarnorganisationen ist durch den Charme <strong>und</strong> <strong>die</strong> Überzeugungskraft<br />

ihres Titelhelden ermöglicht worden,<br />

dessen modern wirkende Erscheinung, Bekanntheit<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>lichkeit den totalitären Eifer <strong>die</strong>ser Glaubensgemeinschaft<br />

kaschieren. Wenn sich Kabarettisten<br />

über <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> lustig machen, dann ist das vielleicht<br />

ein Witz auf seine Kosten – aber zugleich machen wir<br />

uns auch selbst damit lächerlich.<br />

Mehr als jeder andere Filmstar ist <strong>Tom</strong> ein Messias,<br />

der <strong>die</strong> Ängste <strong>und</strong> Zweifel unserer Zeit bricht <strong>und</strong> widerspiegelt,<br />

der sich der uneingeschränkten Macht der<br />

<strong>Star</strong>s in der heutigen Welt be<strong>die</strong>nt <strong>und</strong> unsere Neigung<br />

zu religiösem Extremismus <strong>und</strong> das unfassliche Ausmaß<br />

der Globalisierung ausnutzt. Zwar mögen <strong>die</strong><br />

Fortschritte der Wissenschaft, Medizin <strong>und</strong> Technologie<br />

den Eindruck erwecken, wir befänden uns im Zeitalter<br />

der Moderne, aber <strong>die</strong> Welt ist dabei, in den Würgegriff<br />

-463-


eines apokalyptischen F<strong>und</strong>amentalismus zurückzufallen.<br />

Die Auseinandersetzungen von heute ähneln oft<br />

eher den Debatten, <strong>die</strong> man vor dem Zeitalter der<br />

Aufklärung führte, als messianische Theorien fröhliche<br />

Urständ feierten. Auf dem Marktplatz der Ideen werden<br />

rationale Auseinandersetzungen <strong>und</strong> wissenschaftliche<br />

Methoden häufig von den extremsten – <strong>und</strong> unbewiesenen<br />

– Dogmen niedergeschrien. <strong>Tom</strong> ist einer<br />

von denen, <strong>die</strong> hier am lautesten schreien, <strong>und</strong> er verkauft<br />

dabei <strong>die</strong> unbewiesenen, wertlosen Muster seines<br />

Glaubens.<br />

In einem Zeitalter des materiellen Überflusses <strong>und</strong><br />

der spirituellen Armut ist <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> unwiderstehlich –<br />

<strong>und</strong> gefährlich –, denn er steht für etwas; er lobt <strong>die</strong><br />

Tugenden eines Glaubens, über den man sich lustig<br />

macht, <strong>und</strong> den man doch fürchtet. Dieser Glaube existiert<br />

<strong>und</strong> blüht, wie er selbst, durch Verstellung.<br />

Eine himmlisches Paar – wenn man an einen Himmel<br />

glaubt.<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> zählt sicherlich zur »ersten Garde der<br />

amerikanischen Schauspieler seiner Generation« <strong>und</strong><br />

stand dementsprechend zu Recht in einer Reihe mit<br />

solchen Lichtgestalten wie Al Pacino, Robert De Niro<br />

<strong>und</strong> Julia Roberts, als ihm <strong>die</strong>se Ehrung durch das New<br />

Yorker Museum of Moving Images im November 2007<br />

zuteil wurde, aber sein Charme hat noch eine andere<br />

Dimension. Was man sieht, ist nicht das, was man bekommt.<br />

Sein Image des netten Jungen von nebenan,<br />

seine Energie <strong>und</strong> sein gewinnendes Lächeln stellen<br />

ihn in eine Reihe mit <strong>Tom</strong> Hanks <strong>und</strong> Jimmi Stewart<br />

als einen jener Typen vom Schlag »Einer wie du <strong>und</strong><br />

ich«, der bei allen gut ankommt – ein Schauspieler,<br />

der uns ein Gefühl der Sicherheit in einer unsicheren<br />

Welt vermittelt. Aber seine Geschichte lässt vermuten,<br />

dass der Mensch hinter <strong>die</strong>sem Lächeln weitaus nervöser,<br />

bedrohlicher <strong>und</strong> sogar finster ist. Steven Spiel-<br />

-464-


erg erkannte <strong>die</strong>se Qualität, als er in Minority Report<br />

Regie führte. Spielberg wies <strong>Tom</strong> an, in <strong>die</strong>ser<br />

Rolle nicht zu lächeln, da er <strong>die</strong> Ikonographie des<br />

<strong>Cruise</strong>’schen Lächelns durchschaute. An einer Stelle<br />

verfiel er in sein charakteristisches Lächeln, <strong>und</strong> Spielberg<br />

merkte plötzlich: »Jetzt hab ich’s. Er hat <strong>die</strong><br />

w<strong>und</strong>erbare unbeschreibliche Magie, <strong>die</strong> man nicht<br />

analysieren oder kopieren kann. Er ist ein Filmstar im<br />

wahrsten Sinne des Wortes.«<br />

Er ist aber auch ein Mensch voller Widersprüche: ein<br />

verunsichertes Kind, das auf <strong>die</strong> unver<strong>die</strong>nten Schläge<br />

seines Vaters wartet, ein Erwachsener auf der Suche<br />

nach Gewissheit <strong>und</strong> Kontrolle. Ein Alphamann, der<br />

seine Stunts selber spielt, es sei denn, er ist den damit<br />

verb<strong>und</strong>enen Herausforderungen nicht gewachsen, ein<br />

Mann auf der Suche nach Anerkennung durch den<br />

Geist seines unwirschen Vaters. Heute ist er selbst ein<br />

Vater, <strong>und</strong> er liebt ganz offensichtlich das Familienleben;<br />

dennoch führt er einen Kreuzzug für einen Glauben,<br />

bei dem geliebte Menschen immer gegeneinander<br />

aufgehetzt werden. Er ist ein Romantiker, der sich von<br />

einer Sek<strong>und</strong>e zur anderen verlieben kann, sich dann<br />

aber auch abwendet <strong>und</strong>, ohne einen Blick zurückzuwenden,<br />

davongeht. Ein Mensch mit einer bestimmten,<br />

zielgerichteten Präsenz, der aber gleichzeitig nicht allein<br />

sein möchte. In seiner Karriere, <strong>die</strong> bereits ein<br />

Vierteljahrh<strong>und</strong>ert umspannt, hat er Piloten, Ärzte,<br />

Geheimagenten, Krieger, Attentäter, Vampire <strong>und</strong><br />

Kriegshelden gespielt. Aber vielleicht ist <strong>die</strong> komplexeste<br />

Figur, <strong>die</strong> er jemals gespielt hat, <strong>die</strong> des <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> selbst.<br />

-465-


Danksagung<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> zählt weltweit zu den bekanntesten <strong>und</strong><br />

bemerkenswertesten Persönlichkeiten, ein Hollywoodstar,<br />

so berühmt wie kontrovers. Beim Verfassen seiner<br />

Biographie habe ich jede Menge Dankesschulden<br />

angehäuft bei all jenen, <strong>die</strong> ihre Erinnerungen, Einsichten<br />

<strong>und</strong> Einschätzungen beisteuerten.<br />

Ohne <strong>die</strong> Unterstützung <strong>und</strong> Anleitung der im Folgenden<br />

genannten Personen wäre <strong>die</strong>ses Porträt von<br />

<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> nicht so dicht <strong>und</strong> gehaltvoll ausgefallen.<br />

Mein besonderer Dank geht an Patricia Greenway,<br />

Nancy Many <strong>und</strong> Tracy Nesdoly; ihnen danke ich für<br />

ihre Erkenntnisse <strong>und</strong> ihr Engagement. Danken möchte<br />

ich auch Daisy Garnett, Fiona Gray, Ali <strong>und</strong> Lydia<br />

Morton, Delissa Needham, <strong>Tom</strong> Rayner, Jack Shenker<br />

<strong>und</strong> Bronwen T.<br />

Bei der Klagewut, <strong>die</strong> <strong>Scientology</strong> <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> an<br />

den Tag legen, blieb es nicht aus, dass viele der befragten<br />

Zeitzeugen es vorgezogen haben, anonym zu<br />

bleiben. Ihre Erkenntnisse <strong>und</strong> Hinweise waren nichtsdestotrotz<br />

genauso wertvoll <strong>und</strong> hilfreich. Allerdings<br />

war ich erstaunt, wie viele Menschen sich bereit erklärten,<br />

sich öffentlich über den Filmstar <strong>und</strong> sein<br />

Schicksal zu äußern.<br />

Im Gewächshaus von Hollywood – dem Dschungel, in<br />

dem <strong>die</strong> meisten gerne im Hintergr<strong>und</strong> bleiben –<br />

möchte ich den folgenden Personen danken: Peter Alexander,<br />

Paul Barresi, Janet Charlton, John Connolly,<br />

Richard DiSabatino, Mark Ebner, Marlise Kast, Sharlene<br />

Martin, Kim Masters <strong>und</strong> Skip Press.<br />

Wenn man etwas über <strong>Tom</strong>s Geschichte in Erfahrung<br />

bringen will, steht man vor nicht unerheblichen<br />

Schwierigkeiten; ein farbiges Leben, apokalyptische<br />

-466-


Visionen <strong>und</strong> technische Details müssen bewältigt<br />

werden. Viele, <strong>die</strong> mit ihm zu tun hatten, lecken noch<br />

ihre W<strong>und</strong>en <strong>und</strong> wollen über ihre Erfahrungen nicht<br />

offen sprechen. Ich möchte hier jenen danken, <strong>die</strong><br />

mich bei der Hand nahmen <strong>und</strong> über <strong>die</strong> »Brücke des<br />

Verständnisses« führten: Chuck Beatty, Graham Berry,<br />

Maureen Bolstad, Nan Herst Bowers, Shelly Britt,<br />

Ursula Caberta, Tory Christman, Paulette Cooper, Vince<br />

Daniels, J. C. Hallman, Bruce Hines, Professor Stephen<br />

Kent von der University of Alberta in Kanada,<br />

Frank Oliver, Michael Pattinson, Karen Pressley, Jesse<br />

Prince, Phil Spickler, John Sweeney, Dave Sweetland,<br />

Michael Tilse, Professor Dave Touretzky von der Carnegie<br />

Mellon University, Jeannine Udall <strong>und</strong> Guy White.<br />

<strong>Tom</strong> <strong>und</strong> seine Agenten haben aktiv versucht, all jene<br />

einzuschüchtern, <strong>die</strong> versuchten, seine Darstellung<br />

der eigenen Kindheit <strong>und</strong> Schulzeit zu überprüfen.<br />

Doch viele seiner ehemaligen Lehrer, Schulfre<strong>und</strong>e<br />

<strong>und</strong> viele andere, <strong>die</strong> ihn aus <strong>die</strong>ser Zeit kannten, waren<br />

willig <strong>und</strong> bereit, über ihre Erinnerungen zu reden.<br />

In den meisten Fällen erinnerte man sich mit einer<br />

gewissen Zuneigung an den Jungen, den sie Maypo<br />

nannten. Diese Erinnerungen waren eine große Hilfe<br />

bei der Erarbeitung eines authentischen Porträts. Ich<br />

danke hier ganz besonders Asta Arnot, Lionel Aucoin,<br />

Bryon Boucher, Kathy Burns, Cathy Carella, Angelo<br />

Corbo, Diane Cox, Lorraine Gauli-Rufo, Sean Gauli,<br />

Amy, Babydol <strong>und</strong> Tobe Gibson, Glen Gobel, Sam La-<br />

Forte, Alan, Irene, Jennifer, Murray <strong>und</strong> Scott Lawrie,<br />

Jonathan Lebendiger, Dr. Kevin McGrath, Carol<br />

Trumpler, Nancy Maxwell, Cathy Mindel, Nancy Price,<br />

Marilyn Richardson, Wendy Santo, Pamela Senif,<br />

Krystyna Smith, Pennyann Styles, Phil, Ron <strong>und</strong> Vinnie<br />

Travisano, Sharon Waters sowie Val Wright.<br />

-467-


Danken möchte ich auch Dave »Bio« Baranek, Dominic<br />

Carman, Janet Carroll, Eileen Collins, Richard Corliss,<br />

Richard Crouse, Garth Drabinsky, General Jefferson<br />

D. Howell, Dayna Steele Justiz, Michael O’Keefe<br />

<strong>und</strong> Frederic Raphael. Ihre Erkenntnisse <strong>und</strong> Erinnerungen<br />

haben <strong>die</strong> Darstellung um eine zusätzliche<br />

wichtige Perspektive erweitert.<br />

Dankbar bin ich für <strong>die</strong> aufmunternde Unterstützung<br />

durch Janie Schaffer <strong>und</strong> den unermüdlichen <strong>und</strong> anregenden<br />

Einsatz meiner Verlegerin Sally Richardson,<br />

meines Lektors Hope Dellon <strong>und</strong> meines Presseagenten<br />

John Murphy.<br />

Andrew Morton<br />

London, im Oktober 2007<br />

-468-


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Bildnachweis<br />

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oben rechts: www.franciscan-alumni.org<br />

unten: Henry Munro School Yearbook<br />

Seite 2 oben: Philip Travisano<br />

unten: Everett Collection/Rex Features<br />

Seite 3 Fotex Me<strong>die</strong>n Agentur GmbH/Rex Features<br />

Seite 4 oben: Peter C. Borsari<br />

unten: Kip Rano/Rex Features<br />

Seite 5 oben: Fay Beverley Simcock/Rex Features<br />

unten: Fotos International/Rex Features<br />

Seite 6 oben: Rex Features<br />

unten links: Peter Brooker/Rex Features<br />

unten rechts: Rex Features/Diana Funeral/Rex Features<br />

Seite 7 Richard Young/Rex Features<br />

Seite 8 Albert Ferreira/Rex Features<br />

Seite 9 oben: Bill Davila/Rex Features<br />

unten: www.promotionaladventures.com, www.cafepress.<br />

com, www. tomcruiseisnuts.com, www.t-shirthumor.com,<br />

www.clayboys.com<br />

Seite 10 J.J. Guill/picture-alliance/dpa<br />

Seite 11 oben: Alex Berliner/BEI/Rex Features<br />

unten: Jim Smeal/BEI/Rex Features<br />

Seite 12 Rex Features<br />

Seite 13 Pignatiello/Rex Features<br />

Seite 14 Sipa Press/Rex Features<br />

Seite 15 Sipa Press/Rex Features<br />

Seite 16 epa United Artists Ent./picture-alliance/dpa<br />

-471-


oben links: Im Schulsport fiel <strong>Tom</strong> durch ungebremste Härte auf. Bei<br />

einem Hockeyspiel verlor er einen Schneidezahn.<br />

oben rechts: <strong>Tom</strong> beim Fußballspiel im Internat St. Francis in Cincinnati,<br />

Ohio<br />

unten: <strong>Tom</strong>s Klasse in der Henry-Munro-Mittelschule in Ottawa. <strong>Tom</strong><br />

steht in der mittleren Reihe (Zweiter von rechts), seine damalige »Braut«<br />

Rowan Hopkins in der hinteren Reihe (Dritte von links).


oben: <strong>Tom</strong> (ganz links) in der Rolle des Nathan Detroit in dem Musical<br />

Guys and Dolls (April 1980)<br />

unten: Die Greaser Gang in Coppolas Film Die Outsider (1983). In der<br />

vorderen Reihe v.l.n.r.: Emilio Estevez, Rob Lowe, C. Thomas Howell, Matt<br />

Dillon, Ralph Macchio, Patrick Swayze <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> rechte Seite: <strong>Tom</strong><br />

<strong>Cruise</strong> im Jahr 1986, als ihm seine Rolle als wagemutiger Pilot in Top Gun<br />

<strong>Star</strong>ruhm einbrachte


oben: <strong>Der</strong> Film Lockere Geschäfte (1983) verhalf <strong>Tom</strong> zum Durchbruch.<br />

Mit seiner Filmpartnerin Rebecca de Mornay lebte er eine Weile in Manhattan<br />

zusammen.<br />

unten: <strong>Tom</strong> mit seiner Mutter Mary Lee Mapother South bei der Oscar-<br />

Verleihung 1990


L. Ron Hubbard bei einem Versuch<br />

mit dem E-Meter. Dieser simple<br />

Lügendetektor, der angeblich <strong>die</strong><br />

Gedanken des reaktiven Geistes<br />

messen kann, wird von Scientologen<br />

bei Auditings eingesetzt.<br />

Nach L. Ron Hubbards Tod übernahm<br />

David Miscavige <strong>die</strong> Führung von<br />

<strong>Scientology</strong>. Er ermutigte <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong>,<br />

sich der Sekte anzuschließen; seitdem<br />

sind <strong>die</strong> beiden enge Fre<strong>und</strong>e.


oben: <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> Nicole Kidman zusammen mit Prinzessin Diana bei<br />

der Londoner Premiere ihres Films In einem fernen Land (Dezember 1991)<br />

unten links: <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole bei der Premiere von Batman Forever in<br />

Hollywood (Juni 1995)<br />

unten rechts: <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Nicole zusammen mit Steven Spielberg bei der<br />

Trauerfeier für Prinzessin Diana im September 1997 - dahinter <strong>Tom</strong> Conti<br />

<strong>und</strong> <strong>Tom</strong> Hanks


oben: <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> Penelope Cruz lernten sich im Jahr 2001 bei den<br />

Dreharbeiten für Vanilla Sky kennen. Hier posieren <strong>die</strong> beiden bei der<br />

Londoner Premiere von <strong>Tom</strong>s Film Last Samurai im Januar 2004.


oben: <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> im Einsatz für das von <strong>Scientology</strong> initiierte Entgiftungsprojekt<br />

für <strong>die</strong> Rettungshelfer beim Einsturz des World Trade Centers<br />

am 11. September 2001. <strong>Tom</strong>, der das <strong>Projekt</strong> fördert, spricht hier bei einer<br />

Benefizveranstaltung im April 2007.<br />

rechte Seite oben: Als Actionschauspieler, der sich bei vielen Stunts nicht<br />

doubeln lässt, hegt <strong>Tom</strong> eine Vorliebe für schnelle Motorräder,<br />

rechte Seite unten: Seit seinem denkwürdigen Auftritt in Oprah Winfreys<br />

Show blüht in den USA der Handel mit parodistischen Scherzartikeln.<br />

Auch Websites, <strong>die</strong> sich über <strong>Tom</strong>s Mitgliedschaft bei <strong>Scientology</strong> lustig<br />

machen (z.B. www.tomcruiseisnuts.com), werden massenhaft angesteuert.


oben: Zwei prominente Hollywood-Scientologen: <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> <strong>und</strong> John<br />

Travolta (Februar 2004)<br />

unten: Steven Spielberg, Bill Clinton <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> bei einer Veranstaltung<br />

der von Spielberg gegründeten »Survivors of the Shoah Visual<br />

History Fo<strong>und</strong>ation« im Februar 2005<br />

linke Seite: Anlässlich der Eröffnung des neuen <strong>Scientology</strong>-Zentrums in<br />

Madrid im September 2004 hält <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> eine Rede


oben: <strong>Tom</strong> <strong>und</strong> Katie mit ihrer Tochter Suri (November 2006)<br />

linke Seite: Katie Holmes <strong>und</strong> <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> bei der Londoner Premiere von<br />

Krieg der Welten im Juni 2005


Drei Frauen, <strong>die</strong> in <strong>Tom</strong>s Leben eine wichtige Rolle spielen: seine Schwester<br />

Lee Anne DeVette, seine Mutter Mary Lee Mapother South <strong>und</strong> seine Frau<br />

Katie Holmes bei einer Vorführung der Giorgio Armani Prive Collection in<br />

Los Angeles im Februar 2007


<strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> umarmt seine Tochter Suri während einer Pause bei den<br />

Dreharbeiten zu dem Stauffenberg-Film Valkyrie in Berlin (September<br />

2007). Dass Claus Schenk Graf von Stauffenberg in <strong>die</strong>sem Film von einem<br />

bekennenden Scientologen dargestellt wird, erregte in Deutschland<br />

vehementen Widerspruch.<br />

folgende Seite: <strong>Tom</strong> <strong>Cruise</strong> als Claus Schenk Graf von Stauffenberg in<br />

dem Film Valkyrie.

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