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Sonderheft 2012 - Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie

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<strong>Sonderheft</strong> <strong>2012</strong>


Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

die <strong>Endokrinologie</strong> ist ein vielseitiges Fachgebiet.<br />

Neben den sehr häufigen Endokrinopathien wie<br />

Osteo porose, Diabetes mellitus und Erkrankungen<br />

der Schilddrüse gibt es auch eine Reihe seltener Erkrankungen<br />

unterschiedlichster endokriner Systeme,<br />

deren Diagnostik und Therapie ein spezielles Wissen<br />

voraussetzt.<br />

Seit 1997 veranstaltet die Akademie <strong>für</strong> Fortund<br />

Weiterbildung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Endokrinologie</strong> jährlich einen Intensivkurs zur Klinischen<br />

<strong>Endokrinologie</strong>. Und bereits zum vierten<br />

Mal werden mit dem <strong>Endokrinologie</strong> Informationen<br />

<strong>Sonderheft</strong> ausgewählte Beiträge des letzten Intensivkurses<br />

– der im November 2011 in Hamburg stattfand<br />

– vorgestellt. Als Beilage der <strong>Deutsche</strong>n Medizinischen<br />

Wochenschrift fasst das Heft neueste Entwicklungen<br />

auf dem Gebiet der Hormon- und Stoffwechselerkrankungen<br />

zusammen, die so einem<br />

breiteren Kollegium zugänglich gemacht werden.<br />

Das aktuelle Heft beinhaltet Updates aus klinischen<br />

Studien zu Schilddrüsenerkrankungen und<br />

endokrinen Tumoren. Ferner finden Sie Beiträge zu<br />

Minimaldiagnostik und Therapieansätze bei PCOS,<br />

praktische Behandlungsansätze bei Adipositas,<br />

zur Insulintherapie sowie medikamentöser Osteoporosetherapie.<br />

Wir freuen uns, wenn das <strong>Endokrinologie</strong> Informationen<br />

<strong>Sonderheft</strong> <strong>2012</strong> Sie bei der Betreuung<br />

Ihrer Patienten mit Endokrinopathien unterstützen<br />

kann.<br />

Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen<br />

Prof. Dr. med. Jörg Gromoll<br />

Präsident der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Endokrinologie</strong><br />

Prof. Dr. med. Christof Schöfl<br />

Schriftleiter der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Endokrinologie</strong><br />

und Herausgeber der <strong>Endokrinologie</strong> Informationen<br />

Jörg Gromoll<br />

Christof Schöfl<br />

Korrespondenz:<br />

Prof. Dr. med. Christof Schöfl<br />

Schwerpunkt <strong>Endokrinologie</strong> und<br />

Diabetologie<br />

Medizinische Klinik 1<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Ulmenweg 18<br />

91054 Erlangen<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

1<br />

Übersicht Editorial


<strong>Endokrinologie</strong><br />

Informationen<br />

<strong>Sonderheft</strong><br />

1 Editorial<br />

Übersichtsarbeiten<br />

4 Update Schilddrüse 2011<br />

7 Endokrine Tumoren – Neues aus Klinik<br />

und Forschung<br />

12 Minimaldiagnostik und Therapieansätze<br />

beim PCOS<br />

19 Adipositas – praktische Aspekte<br />

der Therapie<br />

23 Häufige Fallstricke bei der praktischen<br />

Durchführung einer Insulintherapie<br />

27 Effektivität und Nebenwirkungen der<br />

medikamentösen Osteoporosetherapie<br />

Pankreatische neuroendokrine<br />

Tumoren<br />

32 Therapiechance <strong>für</strong> Patienten mit<br />

fortgeschrittenen pNET<br />

18 Impressum<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

3<br />

Übersicht Inhalt


Übersicht<br />

Eine kranke Schilddrüse kann sich<br />

auf verschiedene Arten bemerkbar<br />

machen, ebenso unterschiedlich sind<br />

die Therapieformen bei der Schilddrüsenunterfunktion.<br />

Der folgende<br />

Beitrag fasst aktuelle Therapien zusammen<br />

und geht insbesondere auf<br />

5 Studien ein, die in den Jahren 2010<br />

und 2011 wichtig waren. Der Fokus<br />

liegt dabei auf der Behandlung von<br />

Hashimoto-Thyreoiditis und der<br />

endo krinen Orbitopathie.<br />

Update Schilddrüse<br />

2011<br />

Dagmar Führer<br />

4 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

1. Selentherapie<br />

bei Schilddrüsen-<br />

erkrankungen<br />

Selen ist ein essentielles Spurenelement<br />

und wird als Selenocystein<br />

in alle 3 Dejodasen eingebaut. Die<br />

Schilddrüse enthält mehr Selen als<br />

jedes andere Organ, ein Selenmangel<br />

verstärkt pathophysiologische Effekte<br />

eines Jodmangels. In einer Literaturanalyse<br />

fasst L. H. Duntas aktuelle<br />

Studien zur Selentherapie bei Schilddrüsenerkrankungen<br />

zusammen.<br />

Hierzu wurden 7 Studien ausgewertet,<br />

darunter waren 5 randomisierte<br />

und placebokontrollierte Untersuchungen.<br />

Insgesamt bewirkte die<br />

Selentherapie einen Abfall der TPO-<br />

Antikörper und eine Verbesserung<br />

der „Schilddrüsenechogenität“. Die<br />

klinische Relevanz der Selentherapie<br />

bleibt in den Studien jedoch offen,<br />

insbesondere ist unklar, welche klinischen<br />

Konsequenzen beispielsweise<br />

ein Abfall der TPO-Antikörper<br />

hat und wie sich die Langzeitverläufe<br />

nach der Selentherapie darstellen.<br />

Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund<br />

einer erhöhten Prävalenz<br />

von Diabeteserkrankungen nach ei-<br />

ner Selentherapie in anderen Populationen<br />

zu diskutieren.<br />

In einer aktuellen polnischen Arbeit<br />

wurde der Effekt einer Levothyroxin-<br />

und Selenomethionin-Therapie<br />

auf das Zytokinmuster (monozytäre<br />

und lymphozytäre Zytokine)<br />

und systemische Inflammationsparameter<br />

bei Frauen mit Hashimoto-<br />

Thyreoiditis untersucht (2). Insgesamt<br />

wurden 170 euthyreote Frauen<br />

mit neu diagnostizierter und zuvor<br />

unbehandelter Hashimoto-Thyreoiditis<br />

mit 41 übereinstimmenden gesunden<br />

Probandinnen untersucht<br />

und verglichen. Die Patientinnen erhielten<br />

in der doppelblinden Studie<br />

während der 6-monatige Behandlung<br />

entweder<br />

● Levothyroxin,<br />

● Selenomethionin,<br />

● die Kombination Levothyroxin<br />

plus Selenomethionin oder<br />

● Placebo.<br />

Im Vergleich zur Kontrolle zeigten<br />

Patientinnen mit Hashimoto-<br />

Thyreoiditis erhöhte monozytäre<br />

und lymphozytäre Zytokinprofile.<br />

Bei der Kombinationstherapie zeigte<br />

sich ein additiver Effekt bei der Ab-


nahme der Zytokine und CRP-Werte<br />

der euthyreoten Frauen mit Hashimoto-Thyreoiditis.<br />

Fazit<br />

Die Studie liefert Hinweise, dass<br />

mit der Schilddrüsenhormon- und<br />

Selentherapie möglicherweise systemisch<br />

in den Autoimmunprozess<br />

bei Patientinnen mit Hashimoto-<br />

Thyreoiditis eingegriffen wird. Die<br />

klinische Relevanz bleibt auch in<br />

dieser Studie unklar. Wünschenswert<br />

wäre z. B. eine Untersuchung von<br />

Veränderung der Lebensqualität, da<br />

die klinische Symptomatik bei Patientinnen<br />

mit Hashimoto-Thyreoiditis<br />

oftmals sehr vielgestaltig ist.<br />

Selen als neues Therapeutikum<br />

bei der endokrinen<br />

Orbitopathie<br />

Eine endokrine Orbitopathie (EO)<br />

ist bei über 50 % der Patienten mit<br />

Morbus Basedow nachweisbar. Das<br />

klinische Bild reicht von einer milden<br />

bis moderat ausgeprägten, hin<br />

zu einer schweren, visusbedrohenden<br />

EO. Die Studie der European Group<br />

on Graves Orbitopathy (EUGOGO)<br />

untersuchte 159 Patienten mit milder<br />

EO. Das Studiendesign war doppelblind,<br />

placebokontrolliert und<br />

randomisiert ausgelegt (3). Ziel war,<br />

den Einfluss von Selen (als antioxidatives<br />

Agens) und Pentoxifyllin (als<br />

antiinflammatorisches Agens) auf<br />

den EO-Verlauf zu untersuchen. Die<br />

Patienten wurden nach der Randomisierung<br />

mit Selen (100 µg 2×/Tag),<br />

Pentoxifyllin (600 mg 2×/Tag) oder<br />

Placebo (2×/Tag) <strong>für</strong> 6 Monate behandelt<br />

und dann weitere 6 Monate<br />

nach Ende der Therapie untersucht.<br />

Zum Zeitpunkt der Evaluation führte<br />

die Behandlung mit Selen zu einer<br />

signifikanten Verbesserung der Lebensqualität,<br />

einem geringeren Ausprägungsgrad<br />

der endokrinen Orbitopathie<br />

und einer geringeren Progression<br />

der endokrinen Orbitopathie<br />

im Vergleich zum Placebo. Der<br />

Clinical Activity Score (CAS), der als<br />

quantifizierbares Maß der EO-Aktivität<br />

gilt, nahm im Beobachtungs-<br />

zeitraum bei allen Patienten ab. Die<br />

größten Veränderungen gab es bei<br />

der Patientengruppe, die mit Selen<br />

behandelt wurde. Die 6-Monats-Ergebnisse<br />

wurden auch 12 Monate<br />

nach Behandlungsbeginn bestätigt.<br />

Eine deutliche Verschlechterung der<br />

EO mit Indikation zur immunsuppressiven<br />

Therapie zeigten 2 Patienten<br />

aus der Placebogruppe und einer<br />

aus der Pentoxifyllin-Gruppe. Unter<br />

Selen wurden keine Nebenwirkungen<br />

beobachtet.<br />

Fazit<br />

Für die Behandlung der milden<br />

endokrinen Orbitopathie gab es bislang<br />

keine evidenzbasierten medikamentösen<br />

Therapiekonzepte. Vorrangig<br />

ist das Erreichen einer euthyreoten<br />

Stoffwechsellage sowie das<br />

Einhalten einer Nikotinkarenz. Die<br />

EUGOGO-Studie untersuchte erstmals<br />

den Einsatz von Selen bei milder<br />

EO und zeigte, dass die Selentherapie<br />

zu einer Stabilisierung der EO<br />

und Verbesserung der Lebensqualität<br />

führen kann. Möglicherweise beruht<br />

dies auf einem günstigen antioxidativen<br />

Einfluss und / oder auf systemische<br />

antiinflammatorische Eigenschaften.<br />

Ein weiterer möglicher Effekt<br />

ist die Stabilisierung der Schilddrüsenfunktion<br />

durch Selen.<br />

2. Endokrine<br />

Orbitopathie<br />

Behandlung der Hyperthyreose<br />

bei endokriner<br />

Orbitopathie<br />

In einer aktuellen Literaturübersicht<br />

werden verschiedene Möglichkeiten<br />

der Behandlung einer Hyperthyreose<br />

bei Morbus Basedow und<br />

EO miteinander verglichen. Prinzipiell<br />

kommen 3 Behandlungsoptionen<br />

in Frage:<br />

1. Thyreostatische Therapie,<br />

2. Radiojodtherapie,<br />

3. Thyreoidektomie.<br />

Das Erreichen einer euthyreoten<br />

Stoffwechsellage und der Erhalt der<br />

Euthyreose (insbesondere postoperativ<br />

durch zügige gewichtsadaptierte<br />

LT4-Substitution) sind oberste<br />

Behandlungsziele. Ansonsten können<br />

aufgrund mangelnder evidenzbasierter<br />

Studiendaten, nur „experience-based“-Empfehlungenausgesprochen<br />

werden (Abb. 1).<br />

Thyreostatika und eine Thyreoidektomie<br />

haben – im Gegensatz zur<br />

Radiojodtherapie – per se keinen<br />

Einfluss auf den natürlichen Verlauf<br />

der EO. Die Radiojodtherapie kann zu<br />

einer Verschlechterung der endokrinen<br />

Orbitopathie oder zur de-novo-<br />

Manifestation der EO – insbesondere<br />

bei Rauchern – führen. Eine prophylaktische<br />

Steroidgabe kann dies verhindern.<br />

Demzufolge sollte bei aktiver<br />

endokriner Orbitopathie eine<br />

Radiojodtherapie nur unter Steroidschutz<br />

durchgeführt werden. Umgekehrt<br />

wird bei inaktiver EO eine<br />

Steroid gabe nur bei Vorliegen von<br />

Risikofaktoren – vor allem bei Rauchern,<br />

hohen TRAK-Titern und großer<br />

Struma – empfohlen.<br />

Bei moderater bis schwerer und<br />

aktiver endokriner Orbitopathie muss<br />

möglichst rasch eine Euthyreose<br />

herbeigeführt werden. Ob dies besser<br />

mittels Thyreostatika oder durch<br />

eine chirurgische Ablation erfolgen<br />

sollte, ist bislang nicht evidenzbasiert<br />

geklärt. Weitere Behandlungsoptionen<br />

– z. B. eine Rituximab-Therapie,<br />

die sowohl die Hyperthyreose<br />

als auch die endokrine Orbitopathie<br />

günstig beeinflussen kann – sind in<br />

großen Studien bislang nicht untersucht<br />

und damit <strong>für</strong> die Behandlung<br />

nicht zugelassen.<br />

Stellenwert der intravenösen<br />

Glukokortidoid-Therapie bei<br />

endokriner Orbitopathie<br />

Entsprechend der aktuellen Empfehlungen<br />

der EUGOGO sollte beim<br />

Vorliegen einer moderaten bis<br />

schweren aktiven endokrinen Orbitopathie<br />

eine immunsuppressive Therapie<br />

mit Steroiden durchgeführt<br />

werden. Dabei hat sich in den vergangenen<br />

Jahren die intravenöse<br />

Steroidgabe gegenüber der zuvor<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

5<br />

Übersicht


Übersicht<br />

Merkmale der EO Behandlung<br />

mild<br />

moderat<br />

bis schwer<br />

aktiv<br />

inaktiv<br />

aktiv<br />

inaktiv<br />

Abb. 1 Behandlung der Hyperthyreose bei EO.<br />

praktizierten oralen Steroidapplikation<br />

durchgesetzt. In einer Übersicht<br />

von randomisierten und nicht kontrollierten<br />

Studien, Konsensusempfehlungen<br />

sowie Metaanalysen werden<br />

Indikation, Behandlungseffekte<br />

und Nebenwirkungen der i. v.-Glukokortikoid-Therapiezusammengefasst<br />

und bewertet. Die Analyse umfasste<br />

15 nicht-randomisierte Studien<br />

mit insgesamt 346 Patienten<br />

aus den Jahren 1987–2009 sowie 10<br />

randomisierte Studien aus den Jahren<br />

2001–2005 (insgesamt 234 Patienten).<br />

Die intravenöse Glukokortikoid-Gabe<br />

war signifikant effektiver<br />

(Ansprechrate etwa 80 %) und<br />

signifikant nebenwirkungsärmer.<br />

Die Morbidität betrug unter der i. v.-<br />

Gabe im Mittel 6 %, die Mortalität<br />

0,6 %. Aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen<br />

wie akutem Leberversagen<br />

bei der Hochdosis-Steroidtherapie<br />

wird empfohlen, vor der<br />

i. v.-Glukokortikoid-Gabe eine Hepatitis<br />

auszuschließen. Zudem sollte<br />

die kumulative Steroiddosis unter<br />

8 g liegen. Mit Ausnahme der visusbedrohenden<br />

Optikusneuropathie,<br />

bei der sich eine tägliche Hochdosis<br />

Methyl prednisolon-Therapie (z. B. an<br />

3 Tagen in 2 aufeinander folgenden<br />

Wochen) empfiehlt, sollte von einer<br />

konse kutiven täglichen i. v.-Steroidgabe<br />

abgesehen werden. Das derzeit<br />

Hyperthyreose Orbitopathie<br />

M, RIT¹, Tx<br />

M, RIT², Tx<br />

M, RIT¹, Tx³<br />

M, RIT², Tx³<br />

visusbedrohend M<br />

gängigste Schema ist ein 12-wöchentliches<br />

Behandlungsintervall mit<br />

● wöchentlicher i. v.-Gabe von 0,5 g<br />

Methylprednisolon in den ersten<br />

6 Wochen, gefolgt von<br />

● 0,25 g Methylprednisolon in den<br />

darauffolgenden 6 Wochen.<br />

Unter i. v.-Steroidgabe wird empfohlen,<br />

etwa einmal pro Monat die<br />

Leber werte, Blutdruckparameter sowie<br />

den Blutzucker zu kontrollieren.<br />

Sofern es nach der 6-wöchigen<br />

Methylprednisolon-Therapie nicht<br />

zu einer klinischen Response kommt<br />

empfiehlt sich, die Therapie zu beenden<br />

und bei persistierender aktiver<br />

endokriner Orbitopathie Therapiealternativen<br />

(insbesondere chirurgische<br />

Dekompression) anzustreben.<br />

Aufgrund der hohen kumulativen<br />

Steroiddosen sollte – zumal beim<br />

Vorliegen einer manifesten Hyperthyreose<br />

– die Indikation zur Knochendichtemessung<br />

großzügig gestellt<br />

werden und auf eine adäquate<br />

Vitamin D-Substitution und ausreichende<br />

Kalziumzufuhr geachtet<br />

werden.<br />

Fazit<br />

Die aktuelle Übersichtsarbeit<br />

betont erneut den Stellenwert der<br />

i. v.-Steroidgabe bei endokriner Orbitopathie.<br />

Die orale Steroidgabe ist<br />

Selen<br />

abwarten<br />

Steroide in hohen Dosen<br />

ablative OP<br />

Glukokortikoide<br />

und / oder Druckminderung<br />

¹ Prophylaxe mit oralen Steroiden; ² Prophylaxe nur bei Risikofaktoren; ³ keine Evidenz zur Überlegenheit einer Therapieform<br />

M: Thyreostatika; RIT: Radiojodtherapie; Tx: Thyreoidektomie<br />

6 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

nicht mehr indiziert. Wesentlich ist,<br />

unerwünschte Nebenwirkungen der<br />

Steroide – vor allem Diabetes mellitus,<br />

Hepatopathie und Osteopenie /<br />

Osteoporose – zu berücksichtigen.<br />

Literatur<br />

1. Duntas LH. Selenium and the thyroid: a<br />

close-knit connection. J Clin Endocrinol<br />

Metab 2010; 95 (12): 5180–5188<br />

2. Krysiak R, Okopien B. The effect of levothyroxine<br />

and selenomethionine on lymphocyte<br />

and monocyte cytokine release<br />

in women with Hashimoto’s thyroiditis. J<br />

Clin Endocrinol Metab 2011; 96 (7):<br />

2206–2215<br />

3. Marcocci C, Kahaly GJ, Krassas GE, et al.<br />

European Group on Graves’ Orbitopathy.<br />

Selenium and the course of mild Graves’<br />

orbitopathy.N Engl J Med 2011; 364 (20):<br />

1920–1931<br />

4. Bartalena L. The dilemma of how to manage<br />

Graves’ hyperthyroidism in patients<br />

with associated orbitopathy. J Clin Endocrinol<br />

Metab 2011; 96 (3): 592–599<br />

5. Zang S, Ponto KA, Kahaly GJ. Clinical review:<br />

Intravenous glucocorticoids for<br />

Graves’ orbitopathy: efficacy and morbidity.<br />

J Clin Endocrinol Metab 2011; 96 (2):<br />

320–332<br />

Korrespondenzadresse<br />

Prof. Dr. Dr. med. Dagmar Führer<br />

Klinik <strong>für</strong> <strong>Endokrinologie</strong> und<br />

Stoffwechselerkrankungen<br />

Zentrallabor – Bereich Forschung<br />

und Lehre<br />

Universitätsklinikum Essen<br />

dagmar.fuehrer@uk-essen.de


Bild aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie.<br />

Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2009.<br />

Mit Ausnahme des differenzierten<br />

Schilddrüsenkarzinoms ist allen<br />

malignen endokrinen Malignomen<br />

gemeinsam, dass sie sehr selten sind<br />

und meist eine ungünstige Prognose<br />

haben. Häufig leiden die Patienten –<br />

neben der fortschreitenden Tumorerkrankung<br />

– an Symptomen des<br />

Hormonexzesses oder haben Probleme<br />

mit der Hormonsubstitution. Aus<br />

diesem Grund ist endokrinologische<br />

Expertise in der Behandlung dieser<br />

Patienten zwingend erforderlich.<br />

Die Seltenheit der Tumoren ist einer<br />

der Gründe, warum es noch bis vor<br />

5 Jahren kaum große Therapiestudien<br />

gab, die Evidenz <strong>für</strong> die bisherigen<br />

Therapien ist daher entsprechend<br />

niedrig. Auch wenn die Datenlage <strong>für</strong><br />

einige Tumoren immer noch begrenzt<br />

ist, gab es in den letzten Jahren große<br />

Fortschritte. In diesem Übersichtsartikel<br />

werden nun die aus meiner Sicht<br />

wesentlichen klinischen Studien der<br />

Jahre 2010 und 2011 kurz vorgestellt<br />

und kommentiert.<br />

Endokrine Tumoren –<br />

Neues aus Klinik und<br />

Forschung<br />

Martin Fassnacht<br />

Radiojodrefraktäres<br />

Schilddrüsenkarzinom<br />

Über 90 % alle Schilddrüsenkarzinome<br />

sind differenzierte (papilläre,<br />

follikuläre) Schilddrüsenkarzinome,<br />

die sehr erfolgreich mit totaler Thyreoidektomie,<br />

gefolgt von ablativer<br />

Radiojodtherapie sowie einer risikoadaptiertenSchilddrüsenhormontherapie<br />

behandelt werden können.<br />

Bei Fernmetastasen und bei Verlust<br />

der Radioiodspeicherfähigkeit ist die<br />

Prognose allerdings deutlich schlechter<br />

(10-Jahres-Überlebensrate < 15 %).<br />

Die einzig hier<strong>für</strong> zugelassene Therapie<br />

ist Doxorubicin – allerdings<br />

wenig effektiv. Das zunehmend bessere<br />

Verständnis der komplexen molekularen<br />

Pathogenese der Schilddrüsenkarzinome<br />

hat die Identifizierung<br />

zentraler Signalkaskaden<br />

und molekularer Targets ermöglicht.<br />

Die Folge ist, dass in den letzten Jahren<br />

mehrere Tyrosinkinase-Hemmer<br />

in Phase-II-Studien sehr erfolgsversprechend<br />

getestet wurden (v. a. Axitinib,<br />

Motesanib und Sorafenib).<br />

Eine weitere aktuelle Studie soll hier<br />

kurz dargestellt werden.<br />

In dieser multicentrischen USamerikanischen<br />

Phase-II-Studie wurden<br />

37 Patienten mit radiojod-refraktärem,<br />

differenziertem, progredientem<br />

Schilddrüsenkarzinom mit<br />

Pazopanib behandelt. Bei 49 % der<br />

Patienten kam zu einer partiellen<br />

Tumorresponse, die bei der Mehrzahl<br />

der Patienten mehr als 1 Jahr<br />

anhielt. Das mediane progressionsfreie<br />

Überleben aller Patienten lag<br />

bei 11,7 Monaten. Die Nebenwirkungen<br />

waren vergleichbar mit denen<br />

anderer Tyrosinkinasehemmer, wobei<br />

bei 43 % der Patienten die Dosis<br />

reduziert werden musste.<br />

Kommentar<br />

Mit Pazopanib hat sich die Anzahl<br />

der vielversprechenden Medikamente<br />

<strong>für</strong> das radiojod-refrakäre<br />

Schilddrüsenkarzinom nochmals erhöht.<br />

Die Substanz ist vor allem deshalb<br />

interessant, da die Rate der echten<br />

Tumorregressionen mit ca. 50 %<br />

deutlich höher liegt als bei den anderen<br />

bisher untersuchten Substanzen.<br />

Pazopanib ist in Deutschland<br />

<strong>für</strong> das Nierenzell-Karzinom (Han-<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

7<br />

Übersicht


Übersicht<br />

delsname Votrient ® ) zugelassen, somit<br />

ist es <strong>für</strong> individuelle Heilversuche<br />

(ähnlich wie Sorafenib) prinzipiell<br />

verfügbar. Da bisher keine Ergebnisse<br />

aus Phase-III-Studien vorliegen<br />

und zusätzlich davon auszugehen<br />

ist, dass weitere Fortschritte – z. B.<br />

durch Kombinationsbehandlungen<br />

und individualisierte Therapie – erzielt<br />

werden, sollte man Patienten<br />

weiterhin bevorzugt innerhalb klinischer<br />

Studien behandeln.<br />

Medulläres<br />

Schilddrüsenkarzinom<br />

Das medulläre Schilddrüsenkarzinom<br />

ist mit einer Inzidenz von 5 pro<br />

1 Mio. Einwohner jährlich deutlich<br />

seltener als das differenzierte Schilddrüsenkarzinom<br />

– 25–30 % sind familiären<br />

Ursprungs. Die Therapieoptionen<br />

waren bisher bei einer inoperablen<br />

Erkrankung ebenfalls sehr<br />

limitiert. Ausgehend von den heriditären<br />

Fällen mit RET-Keimbahnmutation<br />

versteht man inzwischen die<br />

Pathogenese deutlich besser, entsprechende<br />

zielgerichtete Medikamente<br />

konnten dadurch getestet<br />

werden.<br />

Die in der klinischen Testung fortgeschrittenste<br />

Substanz ist Vandetanib.<br />

Hier liegen seit Oktober 2011<br />

nun die Ergebnisse einer randomisierten<br />

Phase-III-Studie vor (Wells et<br />

al. 2011). In dieser Studie wurden<br />

331 Patienten mit hereditären und<br />

sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinomen<br />

untersucht. Dabei<br />

zeigte sich eine objektive Ansprechrate<br />

von 45 % mit einer signifikanten<br />

Verlängerung des progressionsfreien<br />

Überlebens, wobei in der Vandetanib-Gruppe<br />

die mediane Zeit noch<br />

nicht erreicht wurde. Rein rechnerisch<br />

ist das Risiko, einen Progress<br />

unter Vandetanib zu erleiden, um<br />

54 % reduziert (HR 0,46, 95 % CI, 0,31<br />

to 0,69; P < 0,001). Die typischen<br />

Neben wirkungen waren Diarrhoe,<br />

Hautausschlag und Hypertonus.<br />

Diese waren allerdings meist gut zu<br />

managen. Trotz der teilweise sehr<br />

langen Therapiedauer (im Median<br />

92 Wochen) mussten nur 12 % der<br />

8 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

Patienten die Therapie vorzeitig<br />

beenden, obwohl das Medikament<br />

täglich und kontinuierlich gegeben<br />

wurde.<br />

Kommentar<br />

Die Ergebnisse der Phase-III-Studie<br />

mit Vandetanib stellen einen<br />

großen Durchbruch bei der Behandlung<br />

des medullären Schilddrüsenkarzinoms<br />

(und generell endokriner<br />

Tumoren) dar. Die Zahlen sind zum<br />

objektiven Ansprechen und langfristiger<br />

Erkrankungskontrolle im Vergleich<br />

zu den Nebenwirkungen eindrücklich.<br />

Basierend auf diesen Daten<br />

wurde Vandetanib <strong>für</strong> das medulläre<br />

Schilddrüsenkarzinom im<br />

April 2011 unter dem Handelnamen<br />

Caprelsa ® in den USA zugelassen. In<br />

Europa wird die Zulassung Ende<br />

2011 bzw. Anfang <strong>2012</strong> erwartet<br />

(Stand 11/2011). Bis dahin kann die<br />

Anwendung von Vandetanib im Rahmen<br />

eines „Expanded-Access-Programms“<br />

an ausgewählten Studienzentren<br />

– auch in Deutschland –<br />

erfolgen. Sollte die Substanz dann<br />

auch in Europa zugelassen sein, steht<br />

erstmals eine medikamentöse Behandlung<br />

<strong>für</strong> endokrine Tumoren zur<br />

Verfügung, die erwiesenermaßen<br />

effek tiv ist. Aufgrund des teilweise<br />

indolenten Krankheitsverlaufs sind<br />

aus unserer Sicht primär nur diejenigen<br />

Patienten zu behandeln, bei<br />

denen ein Progress der Erkrankung<br />

dokumentiert wurde.<br />

Neuroendokrine Tumoren des<br />

gastroenteropankreatischen<br />

Systems<br />

Die histopathologische Einteilung<br />

neuroendokriner Tumoren wurde<br />

2010 von der WHO neu strukturiert<br />

(Bosman et al. 2010). Aus Platzgründen<br />

geht dieser Beitrag nur auf<br />

die malignen endokrinen Pankreas-<br />

Tumoren ein, da im letzten Jahr 2<br />

große Studien zur Behandlung dieser<br />

Tumorentität publiziert wurden.<br />

Insgesamt machen diese Tumoren<br />

nur ca. 1,5 % aller Pankreastumoren<br />

aus. Etwa 20 % der endokrinen Pankreas-Tumoren<br />

werden als hormon-<br />

aktiv eingestuft (z. B. Insulinom,<br />

Gastrinom). Bei ungefähr der Hälfte<br />

der Fälle liegt bereits bei Erstdiagnose<br />

eine metastasierte Erkrankung<br />

vor und die Prognose ist entsprechend<br />

schlecht (5-Jahresüberlebensrate<br />

30–40 %). Während sich<br />

die Operationsmöglichkeiten der lokalisierten<br />

Erkrankung in den letzten<br />

20 Jahren deutlich verbessert<br />

haben, waren die medikamentösen<br />

Therapieoptionen bei fortgeschrittener<br />

Erkrankung weiterhin sehr begrenzt.<br />

Anfang dieses Jahres sind nun<br />

2 große, randomisierte Studien zu<br />

diesem Thema erschienen. Beide<br />

schlossen nur Patienten mit progressivem,<br />

malignem neuroendokrinem<br />

Pankreastumor ein. Eine Studie testete<br />

bei 410 Patienten die Effektivität<br />

des mTOR-Inhibitors Everolimus<br />

(Yao et al. 2011). Hierbei zeigte sich,<br />

dass 10 mg Everolimus/d das Progressrisiko<br />

deutlich senkt (medianes<br />

progressionsfreie Überleben 11,0 vs.<br />

4,6 Monate). Objektive Tumorremissionen<br />

wurden dagegen nur sehr selten<br />

gesehen (5 % vs. 2 %). Das Überleben<br />

unterschied sich nicht signifikant,<br />

allerdings bekamen die Patienten<br />

aus der Placebo-Gruppe bei<br />

Progress Everolimus.<br />

Bei der 2., ebenfalls Pla cebokontrolierten<br />

Studie erhielten 171<br />

Patienten entweder Sunitinib<br />

(37,5 mg/d) oder Placebo. Hierbei<br />

verdoppelte sich das progressionsfreie<br />

Überleben von 5,5 auf 11,4<br />

Monate (Raymond et al. 2011). Die<br />

Studie wurde aufgrund des sich<br />

abzeichnenden Benefits vorzeitig<br />

abgebrochen. Bei 9,3 % der Sunitinib-<br />

Patienten wurde ein objektives Tumoransprechen<br />

dokumentiert, darunter<br />

gab es 2 komplette Remissionen,<br />

was bei keinem Patienten aus<br />

der Placebogruppe der Fall war. Zusätzlich<br />

kam es zu einer signifikanten<br />

Verlängerung des Überlebens,<br />

obwohl die Patienten aus der Placebo-Gruppe<br />

bei Progress das Verum<br />

bekamen.


Kommentar<br />

Mit den beiden erwähnten Untersuchungen<br />

liegen nun erstmals<br />

Ergebnisse aus Phase-III-Studien mit<br />

Patienten neuroendokriner Pankreastumoren<br />

vor, die nach modernen<br />

Responsekriterien ausgewertet wurden.<br />

Welcher Substanz im konkreten<br />

Einzelfall effektiver ist, bleibt schwer<br />

zu sagen. Ein Problem der Sunitinib-<br />

Studie ist sicher, dass sie wegen eines<br />

statistisch signifikanten Unterschieds<br />

im progressionsfreien Überleben<br />

vorzeitig abgebrochen wurde.<br />

Es ist zu bedenken, dass im Idealfall<br />

eine langfristige Therapie notwendig<br />

ist und dabei mögliche Nebenwirkungen<br />

doch Probleme machen<br />

können. Aus diesem Grund und weil<br />

zum Teil die Tumoren sehr langsam<br />

wachsen, ist die Indikation in jedem<br />

Einzelfall streng zu stellen.<br />

Nebennierenkarzinom<br />

Das Nebennierenkarzinom ist der<br />

seltenste der genannten Tumoren.<br />

Aktuell geht man davon aus, dass es<br />

jährlich ca. 80–120 Neuerkrankungen<br />

in Deutschland gibt (Fassnacht<br />

et al. 2011a). Im lokalisierten Stadium<br />

ist die komplette Resektion<br />

zweifelsfrei die Therapie der Wahl.<br />

Ob hier<strong>für</strong> zwingend eine offene<br />

Adrenal ektomie erforderlich ist, wird<br />

seit der Veröffentlichung von 3 relativ<br />

großen, retrospektiven Studien<br />

zu diesem Thema heftig diskutiert<br />

(Brix et al. 2010, Miller et al. 2010,<br />

Porpiglia et al. 2010). Während eine<br />

Studie aus den USA, die 17 laparoskopische<br />

Operationen mit 71 durchgeführten<br />

offenen Adrenalektomien<br />

verglich, behauptet, dass minimal<br />

invasive Operationen das rezidivfreie<br />

Überleben verkürzen, wird dies<br />

weder in der italienischen (18 bzw.<br />

25 Patienten) noch in der deutschen<br />

Studie (35 und 117 Patienten) bestätigt.<br />

Bei den europäischen Arbeiten<br />

ist die Prognose beider Gruppen<br />

(auch nach multivariater Adjustierung)<br />

jeweils vergleichbar.<br />

In einer weiteren retrospektiven<br />

Studie des <strong>Deutsche</strong>n Nebennierenkarzinom-Registers<br />

wurde bei 283<br />

Patienten die Wertigkeit einer<br />

Lymphadenektomie im Rahmen der<br />

Erstoperation untersucht (Reibetanz<br />

et al. 2011). Hierbei zeigte sich, dass<br />

sowohl das rezidivfreie als auch das<br />

Gesamtüberleben in der Gruppe der<br />

lymphadenektomierten Patienten<br />

(n = 47) signifikant besser war als in<br />

der Kontroll gruppe (HR 0,54; 95 %<br />

CI: 0,29–0,99; p = 0,049).<br />

Kommentar<br />

Die 3 retrospektiven Arbeiten<br />

lassen keine endgültige Antwort zur<br />

Frage des besten Operationsverfahrens<br />

des lokalisierten Nebennierenkarzinoms<br />

zu. Dennoch erscheint es<br />

gerechtfertigt, dass Patienten mit einem<br />

Nebennierentumor unklarer<br />

Dignität und ohne Hinweise auf eine<br />

lokale Invasivität, laparoskopisch<br />

operiert werden. Die Daten zur Studie<br />

der Lymphadenektomie legen allerdings<br />

nahe, bei Erstoperation des<br />

Nebennierenkarzinoms die lokoregionären<br />

Lymphknoten mit zu entfernen.<br />

Wichtig erscheint jedoch, dass<br />

die Operation solcher Tumoren an<br />

Fazit <strong>für</strong> die Praxis<br />

● In den letzten Jahren wurden<br />

große Fortschritte in der Behandlung<br />

endokriner Tumoren erzielt.<br />

● Sunitinib und Everolimus wurden<br />

erfolgreich in Phase-III-Studien<br />

bei neuroendokrinen Pankreastumoren<br />

getestet und sind inzwischen<br />

in Deutschland zugelassen.<br />

Falls Vandetanib <strong>für</strong> das medulläre<br />

Schilddrüsenkarzinom auf Basis<br />

der positiven Phase-III-Studie auch<br />

eine Zulassung erhält, sind innerhalb<br />

von 12 Monaten mehr Medikamente<br />

<strong>für</strong> endokrine Tumoren<br />

zugelassen worden als in den letzten<br />

30 Jahren insgesamt.<br />

● Beim radiojod-refraktärem, differenziertem<br />

Schilddrüsenkarzinom<br />

gibt es sehr vielversprechende Daten<br />

aus Phase-II-Studien über mehrere<br />

Multi-Tyrosinkinase-Hemmer.<br />

Die Rekrutierung <strong>für</strong> die Phase-III-<br />

Studie zu Sorafenib ist abgeschlossen.<br />

Bis zum Vorliegen erster Daten<br />

einem spezialisierten Zentrum erfolgen<br />

sollte. Als Richtgröße werden<br />

hier 20 Adrenalektomien pro Jahr<br />

angesehen.<br />

Nach der großen retrospektiven<br />

Arbeit von Terzolo et al. 2007 empfehlen<br />

der Großteil der europäischen<br />

Zentren auch nach der kompletten<br />

Tumorresektion eine adjuvante Therapie<br />

mit Mitotane. Die aktuelle Untersuchung<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Nebennierenkarzinom-Registers<br />

zeigt aber,<br />

dass die Prognosen bei Patienten im<br />

Tumorstadium II, die prospektiv<br />

nachverfolgt wurden (n = 31) deutlich<br />

besser sind (5-Jahres-Überleben<br />

> 90 %; Fassnacht et al. 2010) als es<br />

die retrospektiven Serien bisher beschrieben<br />

haben. Aus diesem Grund<br />

ist auch der Profit der nebenwirkungsbehafteten<br />

Mitotane-Therapie<br />

nicht unumstritten. Um dies zu<br />

klären, läuft seit Beginn 2011 die<br />

pro spektive randomisierte ADIUVO-<br />

Studie (Mitotane vs. „nur“ Nachbeobachtung)<br />

bei Patienten mit vermeintlich<br />

relativ niedrigem Rezidivrisiko.<br />

Patienten, die sich hier<strong>für</strong><br />

erscheint eine Off-Label Behandlung<br />

mit Pazopanib oder Sorafenib gerechtfertigt,<br />

wenn der Einschluss in<br />

eine klinische Studie nicht möglich<br />

ist. Die Kosten müssen von der<br />

Krankenkasse vorab genehmigt<br />

werden.<br />

● Beim Nebennierenkarzinom zeichnet<br />

sich aktuell eine Modifikation<br />

der Operationsstrategie ab, so dass<br />

alle Patienten mit Verdacht auf ein<br />

Nebennierenkarzinom an einem<br />

spezialisierten Zentrum operiert<br />

werden sollten.<br />

● Bei fortgeschrittenem Nebennierenkarzinom<br />

ist die Chemotherapie<br />

der Wahl die Kombination aus Etoposid,<br />

Doxorubicin, Cisplatin und<br />

Mitotane.<br />

● Die wichtigste Botschaft am<br />

Schluss: Generell sollten Patienten<br />

mit diesen seltenen Erkrankungen<br />

möglichst im Rahmen von klinischen<br />

Studien behandelt werden.<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

9<br />

Übersicht


Übersicht<br />

qualifizieren, sollten möglichst in<br />

die Studie mit eingeschlossen werden.<br />

Therapie des fortgeschrittenen<br />

Nebennierenkarzinoms<br />

Im Sommer 2011 sind jetzt erstmalig<br />

die Ergebnisse der randomisierten<br />

Studie beim Nebennierenkarzinom<br />

vorgestellt worden (Fassnacht<br />

et al. 2011b). Die Studie umfasste<br />

mehr als 300 Patienten mit<br />

nicht-resektabler Erkrankung. Dabei<br />

wurde die Kombinationstherapie<br />

von Etoposid, Doxorubicin, Cisplatin<br />

und Mitotane (EDP-M) mit der Kombination<br />

Streptozotocin und Mitotane<br />

verglichen. Beim medianen<br />

progressionsfreien Überleben zeigte<br />

sich ein sehr deutlicher Unterschied<br />

von 5 Monaten in der EDP-M Gruppe<br />

gegenüber 2,1 Monaten (p < 0,001)<br />

in der Streptozotocin-Gruppe. Das<br />

mediane Gesamtüberleben war in<br />

der EDP-M Gruppe mit 14,8 Monaten<br />

zwar 2,8 Monate länger als in<br />

der Streptozotocin-Gruppe, aber<br />

statis tisch nicht signifikant. Im Fall<br />

eines Progresses bekamen die Patienten<br />

jeweils das alternative Therapieregime<br />

angeboten. Dabei zeigte<br />

sich, dass EDP-M auch in der Zweitlinientherapie<br />

deutlich besser ab-<br />

10 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

schnitt. Die gravierenden Nebenwirkungen<br />

unterschieden sich nicht<br />

signifikant zwischen den beiden<br />

Gruppen.<br />

Kommentar<br />

Die oben dargestellte Studie lässt<br />

aus unserer Sicht 2 klare Interpretationen<br />

zu:<br />

1. EDP-M ist aktuell das effektivste<br />

Regime zur Behandlung des fortgeschrittenenNebennierenkarzinoms.<br />

2. Die Ergebnisse mit EDP-M sind<br />

jedoch weiterhin ernüchternd,<br />

es bedarf dringend besserer Therapieansätze.<br />

Referenzen<br />

– Brix D, Allolio B, Fenske W, et al. German<br />

Adrenocortical Carcinoma Registry Group<br />

2010 Laparoscopic versus open adrenalectomy<br />

for adrenocortical carcinoma: surgical<br />

and oncologic outcome in 152 patients.<br />

Eur Urol. 58 (4): 609–15<br />

– Bosman FT, Carneiro F, Hrubra RH, et al.<br />

WHO classification of tumours of the digestive<br />

systen. 4ed. IARC Press, Lyon 2010<br />

– Fassnacht M, Johanssen S, Fenske W, et al.<br />

Improved Survival in Patients with Stage II<br />

Adrenocortical Carcinoma Followed Up<br />

Prospectively by Specialized Centers J Clin<br />

Endocrinol Metab 2010; 95 (11): 4925–32<br />

– Fassnacht M, Libe R, Kroiss M, et al. Adrenocortical<br />

carcinoma: a clinician’s update.<br />

Nat Rev Endocrinol 2011a; 7 (6): 323–35<br />

– Fassnacht M, Terzolo M, Allolio B, et al. on<br />

behalf of the FIRM-ACT investigators.<br />

Etoposide, doxorubicin, cisplatin, and mitotane<br />

versus streptozotocin and mitotane<br />

in adrenocortical carcinoma – preliminary<br />

results from the first international<br />

phase III trial – the FIRM-ACT study.<br />

European Congress of Endocrinology Rotterdam<br />

2011b; OC2.1<br />

– Miller BS, Ammori JB, Gauger PG, et al.<br />

Laparoscopic resection is inappropriate in<br />

patients with known or suspected adrenocortical<br />

carcinoma. World J Surg 2010; 34:<br />

1380–5<br />

– Porpiglia F, Fiori C, Daffara F, et al. Retrospective<br />

Evaluation of the Outcome of<br />

Open Versus Laparoscopic Adrenalectomy<br />

for Stage I and II Adrenocortical Cancer.<br />

Eur Urol 2010<br />

– Raymond E, Dahan L, Baoul JC, et al. Sunitinib<br />

malate for the treatment of pancreatic<br />

neuroendocrine tumors. N Engl J Med<br />

2011; 364: 501–13<br />

– Reibetanz J, Jurowich C, Erdogan I, et al.<br />

Impact of Lymphadenectomy on the Oncologic<br />

Outcome of Patients with Adrenocortical<br />

Carcinoma. Ann Surg 2011 [Epub<br />

ahead of print]<br />

– Wells SA, Robinson BG, Gagel RF, et al.<br />

Vandetanib in Patients With Locally Advanced<br />

or Metastatic Medullary Thyroid<br />

Cancer: A Randomized, Double-Blind Phase<br />

III Trial. J Clin Oncol 2011; Epub Oct 24<br />

– Yao J, Shah MS, Ito T, et al. Everolimus for<br />

advanced pancreatic neuroendocrine tumors.<br />

N Engl J Med 2011; 364: 514–23<br />

Korrespondenzadresse:<br />

PD Dr. M. Fassnacht<br />

Universitätsklinikums Würzburg<br />

Medizinische Klinik I, Schwerpunkt<br />

<strong>Endokrinologie</strong> & Diabetologie<br />

Fassnacht_m@<br />

medizin.uni-wuerzburg.de


Übersicht<br />

Das Polyzystische Ovarsyndrom<br />

(PCOS) ist mit einer Prävalenz von bis<br />

zu 10 % eine der häufigsten hormonellen<br />

Störungen bei fertilen Frauen.<br />

Klinische Charakteristika sind Hyperandrogenismus,<br />

der sich äußerlich<br />

durch Hirsutismus, Akne oder androgenetische<br />

Alopezie bemerkbar macht,<br />

sowie eine chronische Anovulation,<br />

die mit einer verlängerten Zyklusdauer<br />

und unerfülltem Kinderwunsch<br />

einhergeht. Die Namensgebung des<br />

Syndroms erfolgte nach dem sonografisch<br />

oder laparoskopisch darstellbaren<br />

polyzystischen Aspekt der<br />

Ovarien. Eine äußerlich vermännlichte<br />

Erscheinung führt bei betroffenen<br />

Frauen meist zu einer erheblichen<br />

Einschränkung der Lebensqualität.<br />

Minimaldiagnostik<br />

und Therapieansätze<br />

beim PCOS<br />

Susanne Tan<br />

12 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

Wie die frühere Bezeichnung<br />

des PCOS als „Diabetes<br />

bärtiger Frauen“ impliziert,<br />

ist das PCOS neben den o. g.<br />

klassischen Charakteristika zudem<br />

häufig mit einer Adipositas und Insulinresistenz<br />

verbunden. Letztere<br />

führt nicht nur zu einer aggarvierten<br />

Hyperandrogenämie, sondern birgt<br />

auch das Risiko metabolischer Komplikationen<br />

wie die Entwicklung von<br />

Typ 2 Diabetes mellitus (T2DM) und<br />

Gestationsdiabetes. Darüber hinaus<br />

wird eine erhöhte kardiovaskuläre<br />

Morbidität und Mortalität und das<br />

häufigere Auftreten einer nicht-alkoholischen<br />

Steatohepatitis (NASH)<br />

mit dem Risiko <strong>für</strong> eine NASH-Leberzirrhose<br />

und einem hepatozellulären<br />

Karzinom diskutiert. Der folgende<br />

Text hebt die erforderliche Minimaldiagnostik<br />

zur Diagnosestellung, Erfassung<br />

der potentiellen langfristigen<br />

Morbidität und auch Therapieansätze<br />

bei PCOS hervor.<br />

Minimaldiagnostik<br />

zur Diagnosestellung<br />

PCOS-Definition<br />

Aktuell existieren 3 international<br />

anerkannte Definitionen des PCOS<br />

(s. Tabelle 1), die allgemein den Aus-<br />

schluss aller möglichen Differentialdiagnosen<br />

zur Diagnosesicherung<br />

fordern (s. Tabelle 2) [1–3]. Der Unterschied<br />

zwischen den 3 Definitionen<br />

liegt in der Betonung der einzelnen<br />

Definitionskriterien.<br />

Die 1990 auf der Konferenz der<br />

National Institutes of Child Health<br />

and Human Development (NIH)<br />

empfohlenen Hauptkriterien sind<br />

ihrer Wichtigkeit entsprechend in<br />

folgender Reihenfolge als PCOS definiert:<br />

● Hyperandrogenismus,<br />

● Oligo-Ovulation und<br />

● Ausschluss aller Differential diagnosen.<br />

Demnach ist das PCOS eine hyperandrogenämischeAusschlussdiagnose<br />

ovariellen Ursprungs bzw. mit<br />

ovariellen Konsequenzen. Das Vorliegen<br />

polyzystischer Ovarien (PCO)<br />

findet trotz der Namensgebung in<br />

der NIH-Definition keine Berücksichtigung.<br />

Der Rotterdam Konsensus<br />

erweiterte 2003 die diagnostischen<br />

Kriterien <strong>für</strong> das PCO, wonach<br />

das Vorliegen von 2 der 3 NIH-Kriterien<br />

– Hyperandrogenismus, Oligo-/<br />

Anovulation und PCO – unter Ausschluss<br />

anderer Endokrinopathien


Tab. 1 Definitionen des PCOS.<br />

Definitionskriterien<br />

1. Hyperandrogenismus klinisch (Hirsutismus, Akne, Alopezie)<br />

oder<br />

laborchemisch (Hyperandrogenämie)<br />

2. Chronische Anovulation Oligomenorrhoe (Zyklusdauer ≥ 35 Tage)<br />

oder<br />

Amenorrhoe (max. 1 Zyklus/6 Monate)<br />

3. Polyzystische Ovarien mind. ein Ovar mit ≥ 12 Follikel von je 2–9 mm Durchmesser<br />

oder<br />

mind. ein Ovar mit ≥ 10 ml Ovarvolumen<br />

PCOS-Definition nach NIH ESHRE / ASRM AEPCOS<br />

Kriterien 1+2 positiv 2 der 3 Kriterien positiv Kriterium 1 und ein weiteres der zwei<br />

übrigen Kriterien positiv<br />

+ Ausschluss aller Differentialdiagnosen<br />

Grad Anzahl der<br />

Läsionen<br />

pro Gesichtshälfte<br />

1 (mild) 1–10<br />

2 (mäßig) 11–20<br />

3 (schwer) 21–30<br />

4 (sehr<br />

> 30<br />

schwer)<br />

Abb.1 Akne-Grad nach Plewig und<br />

Klingmann.<br />

ein PCOS definiert. Die neuere Rotterdam-Definition<br />

umfasst damit<br />

alle Phänotypen der NIH-Definition,<br />

schließt aber neue Phänotypen mit<br />

ein: Patientinnen mit Hyperandrogenismus<br />

und PCO ohne Oligo-/Anovulation<br />

bzw. Patientinnen mit Oligo-/<br />

Anovulation und PCO ohne Hyperanrdogenismus.<br />

Die Androgen Excess<br />

and PCOS Society (AEPCOS-Society)<br />

empfahl 2006 den Hyperandrogenismus<br />

als sine qua non der PCOS-<br />

Definition. Demnach liegt ein PCOS<br />

bei Hyperandrogenismus und Oligo-/<br />

Anovulation und / oder PCO und unter<br />

Ausschluss anderer Störungen<br />

vor. Diese Definition nimmt im Vergleich<br />

zur NIH-Definition Patientinnen<br />

mit Hyperandrogenismus und<br />

PCO auf, schließt aber im Gegensatz<br />

zur Rotterdam-Definition Patientinnen<br />

ohne Hyperandrogenismus (nur<br />

Oligo-/Anovulation und PCO) aus.<br />

Der Unterschied dieser 3 verschiedenen<br />

Definitionen liegt in der Betonung<br />

des Hyperandrogenismus,<br />

sowohl in der NIH- als auch der<br />

AEPCOS Society Definition. Aufgrund<br />

der engen Assoziation zwischen<br />

Hyperandrogenismus und<br />

Hyper insulinismus legen diese beiden<br />

Definitionen den Schwerpunkt<br />

auf die metabolische Pathogenese<br />

und die möglichen metabolischen<br />

Komplikationen des PCOS.<br />

Definitionskriterien<br />

Der Hyperandrogenismus ist klinisch<br />

als Hirsutismus, oder weniger<br />

spezifischer als Akne oder Alopezie<br />

sichtbar. Die Klassifikation der Hirsu-<br />

tismus-Scores erfolgt nach Ferriman<br />

und Gallwey. Dabei werden 9 androgensensitiven<br />

Areale je nach Ausmaß<br />

der Behaarung 0–4 Punkte<br />

zugeordnet. Der Punktescore von<br />

mindestens 8 gilt als pathologisch<br />

(Tab. 5.1). Die Schweregrad-Einteilung<br />

von Akne und Alopezie erfolgt<br />

nach Plewig und Klingmann bzw.<br />

nach Ludwig (Abb. 1 und 2).<br />

Bei einem PCOS führen Hyperandrogenämie<br />

und -insulinismus zu<br />

einer gestörten Follikelreifung, die<br />

sich durch Zyklusstörungen und Akkumulation<br />

antraler Follikel bemerkbar<br />

macht. Die Zyklusstörung<br />

zeigt sich zumeist als Oligomenorrhoe<br />

mit einer Zyklusdauer von ≥ 35<br />

Tagen oder einer Amenorrhoe mit<br />

maximal einem Zyklus alle 6 Monate.<br />

Bis zu 20 % der PCOS-Patientinnen<br />

haben eine Eumenorrhoe. In diesem<br />

Fall erfolgt der Nachweis einer Anovu<br />

lation über eine wiederholte Progesteronbestimmung<br />

an Tag 22–24.<br />

Die polyzystischen Ovarien entstehen<br />

durch eine Anhäufung unterent-<br />

Grad I Lichtung des Frontalbereichs<br />

Grad II Lichtung des Frontoparietal-<br />

Bereichs<br />

Grad III ausgedehntere Lichtung des<br />

Frontoparietal-Bereichs<br />

Abb. 2 Alopezie-Grad nach Ludwig. Gradeinteilung der Alopecia androgenetica der Frau. (aus Dermatologie,<br />

Herausg. Ingrid Moll, Thieme Verlag, ISBN 3–13–126686–4).<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

13<br />

Übersicht


Übersicht<br />

Tab. 2 Differentialdiagnosen des PCOS.<br />

● Adrenogenitales Syndrom<br />

● Nicht-klassische adrenale Hyperplasie<br />

● Cushing-Syndrom<br />

● Androgen-sezernierende adrenale<br />

oder ovarielle Tumoren<br />

● HAIRAN-Syndrom<br />

● Postmenopausaler Hirsutismus<br />

● Schwangerschaft<br />

● (Peri-/Post-)Menopause<br />

● Prolaktinom<br />

● Hypothyreose<br />

● Gonadotrope Insuffizienz<br />

● Primäre Ovarialinsuffizienz<br />

wickelter Antralfollikel in der Ovar-<br />

Peripherie. Laut Definition liegt ein<br />

PCO bei mindestens 12 Follikeln mit<br />

jeweils einem Durchmesser von<br />

2–9 mm oder einem Ovarvolumen<br />

von mindestens 10 ml vor.<br />

Differentialdiagnostik des PCOS<br />

Für den Ausschluss der Differentialdiagnosen<br />

sind alle Erkrankungen,<br />

die ebenfalls zu Hyperandrogenismus<br />

oder Anovulation führen, zu<br />

überprüfen (Tab. 2). Die Evaluation<br />

der Differentialdiagnosen erfolgt<br />

primär anamnestisch und inspektorisch.<br />

Eine laborchemische Basis-Diagnostik<br />

ist <strong>für</strong> die Bestimmung von<br />

Prolaktin, TSH und 17-OH-Progesteron<br />

erforderlich. Die empfohlene<br />

Minimaldiagnostik, ein Flow-Sheet<br />

<strong>für</strong> die PCOS-Diagnosestellung und<br />

zur Abklärung der Differentialdiagnosen<br />

sind in Tabelle 3 bzw. Abbildung<br />

3 dargestellt.<br />

Langzeit-Morbidität<br />

Diabetes mellitus<br />

Frauen mit PCOS weisen häufig<br />

eine deutliche Insulinresistenz auf,<br />

die unabhängig von einer Adipositas<br />

bestehen kann und über das durch<br />

eine Adipositas erklärbare Ausmaß<br />

hinausreicht. Bis zu 70 % der Fälle aller<br />

und bis zu 95 % der adipösen<br />

PCOS-Patientinnen sind insulinresistent,<br />

wonach eine gehäufte Glukosetoleranzstörung<br />

als Prädiktor<br />

14 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

Tab. 3 Minimaldiagnostik.<br />

Chronische Anovulation<br />

Menarche<br />

Zyklusdauer<br />

Galaktorrhoe<br />

Kinderwunsch<br />

. Lebensjahr<br />

Chronische Anovulation Ja Nein<br />

Hyperandrogenismus<br />

Hirsutismus Ja Nein<br />

Ferriman/Gallwey-Score /36<br />

Akne Ja Nein<br />

Akne-Grad n.<br />

< 10 L/G 10–20 20–30 > 30<br />

Plewig / Klingmann<br />

I II III IV<br />

Alopezie Ja Nein<br />

Alopezie-Grad n. Ludwig I II III IV frontal<br />

Entwicklungsgeschwindigkeit rasch Langsam<br />

Cushing-spezifische Beschwerden Ja Nein<br />

Hyperandrogenismus Ja Nein<br />

Polyzystische Ovarien<br />

rechts links<br />

Ovarvolumen<br />

Follikelanzahl<br />

ml ml<br />

PCO Ja Nein<br />

Insulinresistenz<br />

Acanthosis nigricans Ja Nein<br />

Laborchemie<br />

Testosteron, SHBG<br />

LH, FSH, Estradiol, Progesteron<br />

Prolaktin<br />

TSH<br />

17OH-Progesteron<br />

Begleitkomplikationen Diagnostik<br />

Diabetes mellitus OGTT bei Erstdiagnose,<br />

normale Glukosetoleranz: OGTT 1×/2 Jahre,<br />

IFG oder PGT: 1×/1 Jahr<br />

Kardiovaskuläres Risiko – Nikotinabusus<br />

– Taillenumfang und BMI: bei jeder Visite<br />

– Blutdruck: bei jeder Visite<br />

– Lipidstatus bei Erstdiagnose<br />

– Normaler Lipidstatus: Kontrolle 1×/2 Jahre<br />

oder bei Gewichtszunahme<br />

– OGTT: ab BMI ≥ 30 kg/m2 oder bei<br />

DM-Risikofaktoren<br />

Steatosis hepatis – NAFLD GOT / GPT und Abdomensonographie,<br />

ggf. FNP bei persistierender Transaminasenerhöhung<br />

zum Ausschluss einer NASH


Abb. 3 Flow-Sheet PCOS-Diagnostik [5].<br />

Abkürzungen: DexaHT: Dexamethason-Hemmtest; DHEAS: Dehydroepiandrosteronsulfat; HAIRAN: Hyperandrogenismus Insulinresistenz Acanthosis Nigricans;<br />

17-OHP: 17-Hydroxyprogesteron; IH: Idiopathischer Hirsutismus; iU: im Urin; NCAH: nicht-klassische adrenale Hyperplasie; oGTT: Oraler Glukosetoleranztest;<br />

PCOS: polyzystisches Ovarsyndrom; Prl: Prolactin; T: Testosteron; TSH: Thyroidea stimulierendes Hormon; IVUS: intravaskulärer Ultraschall.<br />

Umrechnungsfaktor: DHEAS von ng/ml in μmol/l: Multiplikation mit 0,002714; Insulin von μIU/ml in pmol/l: Multiplikation mit 6; 17-OHP von ng/dl in nmol/l:<br />

Multiplikation mit 0,03; Progesteron von ng/ml in nmol/l: Multiplikation mit 3,18; Testosteron von ng/dl in nmol/l: Multiplikation mit 0,03467.<br />

Evaluation <strong>für</strong><br />

Androgensezernierenden<br />

Tumor<br />

Evaluation <strong>für</strong><br />

Cushing-Syndrom<br />

Evaluation <strong>für</strong><br />

HAIRAN-Syndrom<br />

Evaluation <strong>für</strong><br />

SD- oder<br />

Hypophysenerkrankung<br />

PCOS Evaluation <strong>für</strong><br />

NCAH<br />

Atypisches /<br />

ovulatorisches<br />

PCOS<br />

Idiopatischer<br />

Hirsutismus<br />

17-OHP<br />

< 10 000 ng/dl<br />

17-OHP<br />

> 10 000 ng/dl<br />

Raum forderung;<br />

wiederholt<br />

T > 200 ng/dl<br />

oder DHEAS<br />

> 6000 ng/ml<br />

HA<br />

und PCO<br />

Insulin<br />

> 300 mIU/ml;<br />

Glukose normal<br />

Hirsutismus<br />

ACTH-<br />

Test<br />

Ja Nein Ja Nein Ja Nein<br />

TSH↑oder PRL↑ T oder DHEAS↑<br />

TSH & Prl normal<br />

17-OHP<br />

> 200 ng/dL<br />

Progesteron<br />

< 4 ng/ml<br />

Progesteron<br />

≥ 4 ng/ml<br />

T und DHEAS<br />

IVUS Ovarien<br />

CT / MRT NN<br />

24 h Cortisol iU<br />

DexaHT<br />

23⁰⁰ Cortisol<br />

iS / Sp<br />

oGTT inklusive<br />

Glukose<br />

Insulin<br />

T und DHEAS<br />

TSH und PRL<br />

17-OHP<br />

Progesteron<br />

Tag 22–24<br />

Ja<br />

Nein<br />

Ja Nein<br />

Ja Nein Nein Ja<br />

Virilisierung<br />

Cushing-Symptome<br />

Acanthosis nigricans<br />

Eumenorrhoe<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

15<br />

Übersicht


Übersicht<br />

Tab. 4 Lipid-Zielwerte.<br />

Risiko LDL-Zielwerte<br />

[mg/dl]<br />

PCOS Optimales<br />

Risiko<br />

+ Adipositas, Hypertonie,<br />

Dysliproteinämie,<br />

Nikotin abusus, IGT, subklinische<br />

Arteriosklerose<br />

<strong>für</strong> einen Diabetes mellitus und eine<br />

kardiovaskuläre Morbidität vorliegt.<br />

Die Glukosetoleranzstörung manifestiert<br />

sich häufig schon in der Adoleszenz.<br />

PCOS-Patientinnen weisen<br />

ein 4- bis 5-fach erhöhtes Risiko <strong>für</strong><br />

die Entwicklung eines Diabetes mellitus<br />

im Vergleich zu gleichaltrigen<br />

gesunden Frauen auf [6]. Eine Meta-<br />

Analyse von 720 PCOS-Patientinnen<br />

und 4505 Kontrollen ergab ein 2,94fach<br />

erhöhtes Risiko <strong>für</strong> die Entwicklung<br />

von Gestationsdiabetes [7]. Die<br />

AEPCOS-Society empfiehlt bei Erstdiagnose<br />

daher einen oralen Glukosetoleranz-Test<br />

(oGTT) zur Abklä-<br />

Non-HDL-Zielwerte<br />

[mg/dl]<br />

≤ 130 ≤ 160<br />

Risiko ≤ 130 ≤ 160<br />

+ MBS Hohes Risiko ≤ 100 ≤ 130<br />

+ MBS und weitere Risikofaktoren,<br />

DM, Gefäß-<br />

oder Nierenerkrankung<br />

Hohes<br />

Risiko<br />

Tab. 5 Hirsutismus-Score nach Ferriman und Gallwey.<br />

≤ 70 ≤ 100<br />

rung einer gestörten Nüchternglukose<br />

(IFG), einer pathologischen<br />

Glukosetoleranz (PGT) oder eines<br />

manifesten Diabetes mellitus. Bei<br />

initial unauffälligem Befund sollte<br />

der oGTT im Abstand von 2 Jahren,<br />

bei Nachweis einer IFG oder pGT in<br />

jährlichen Abständen wiederholt<br />

werden [8].<br />

Kardiovaskuläres Risiko<br />

PCOS-Patientinnen haben häufiger<br />

ein ungünstiges metabolisches<br />

Risikoprofil und Anzeichen subklinischer<br />

Arteriosklerose. Ob sich das<br />

auch in einer erhöhten kardiovasku-<br />

lären Morbidität niederschlägt, wird<br />

kontrovers diskutiert. Studien die<br />

prämenopausale Zyklusstörungen,<br />

Hyperandrogenämien oder Hirsutismus<br />

als PCOS-Äquivalent verwendeten<br />

und Koronarangiografie-Befunde<br />

und kardiovaskuläre Mortalitäten<br />

als Endpunkte untersuchten, zeigten<br />

ein erhöhtes Risiko <strong>für</strong> eine kardiovaskuläre<br />

Morbidität und Mortalität<br />

bei Frauen mit einem PCOS-Äquivalent.<br />

Die AEPCOS-Society empfiehlt<br />

<strong>für</strong> die Erstdiagnose und Risikostratifizierung<br />

der PCOS-Patientinnen<br />

eine Einteilung der kardiovaskulären<br />

Risikofaktoren in 2 Gruppen [9]:<br />

1. Ein kardiovaskuläres Risiko liegt<br />

bei folgenden Risikofaktoren vor:<br />

(viszerale) Adipositas, Nikotinabusus,<br />

Hypertonie, Dyslipoproteinämie,<br />

IGT, positive Familienanamnese,<br />

Anzeichen subklinischer<br />

Arteriosklerose.<br />

2. Ein hohes kardiovaskuläres Risiko<br />

liegt bei folgenden Risikofaktoren<br />

vor: metabolisches Syndrom,<br />

Diabetes mellitus, manifeste<br />

Gefäß- oder Nierenerkrankung.<br />

Areal / Score 1 2 3 4<br />

1. Oberlippe Wenig Haare außen Kleiner Bart außen Oberlippenbart fast bis<br />

Mittellinie<br />

Bart bis Mittellinie<br />

2. Kinn Vereinzelt Haare Haaransammlung Komplette Haardecke Dichte komplette<br />

Haardecke<br />

3. Brust Einzelne periareolär Haare an der Mittellinie ¾ bedeckt Komplett bedeckt<br />

4. Rücken Einzelne Haare Mehrere Haare Komplette Haardecke Dichte komplette<br />

Haardecke<br />

5. Lenden Sakrales Haarpolster Polster mit lateraler<br />

Ausdehnung<br />

¾ bedeckt Komplette Haardecke<br />

6. Oberbauch Wenig Haare an der Mehr als bei 1 an der Halbe Haardecke Komplette Haardecke<br />

Mittellinie<br />

Mittellinie<br />

7. Unterbauch Einige Haare in der Strich von Haaren an Band von Haaren Umgekehrtes V<br />

Mittellinie<br />

der Mittellinie<br />

8. Oberarm Diskrete Behaarung Noch keine geschlossene<br />

Haardecke<br />

Halbe Haardecke Komplette Haardecke<br />

9. Oberschenkel Diskrete Behaarung Noch keine geschlossene<br />

Haardecke<br />

Halbe Haardecke Komplette Haardecke<br />

Die 9 androgensensitiven Arealen Oberlippe, Kinn, Brust, Rücken, Lenden, Oberbauch, Unterbauch, Oberarm und Oberschenkel<br />

werden je 0 (keine) bis 4 (dicht, ausgeprägt) Punkte zugeordnet. Ein Hirsutismus-Score ≥ 8 gilt als pathologisch.<br />

16 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong>


Nicht-alkoholische<br />

Steatohepatitis<br />

In 15–30 % der Fälle findet man<br />

erhöhte Werte von Transaminasen<br />

oder sonografische Aspekte einer<br />

nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung<br />

(NAFLD). Die Prävalenz einer<br />

NAFLD ist bei PCOS-Betroffenen im<br />

Vergleich zu gesunden, gleichaltrigen<br />

Kontrollen um das 2-Fache erhöht.<br />

Die NAFLD ist eine Lebererkrankung<br />

mit zumeist benignem Verlauf. Im<br />

Gegensatz dazu ist die nicht-alkoholische<br />

Steatohepatitis (NASH) eine<br />

schwerwiegende Erkrankung, die<br />

sich in 25 % der Fälle in eine Leberzirrhose<br />

mit möglichen Komplikationsrisiken<br />

wie portale Hypertension<br />

und hepatozelluläres Karzinom entwickelt.<br />

Ob PCOS-Patientinnen ein<br />

erhöhtes Risiko einer NASH haben ist<br />

bisher unklar. In einer Untersuchung<br />

mit 6 PCOS-Patientinnen und persistierender<br />

Leber enzym erhöhung<br />

wurde in allen 6 Leberbiopsien eine<br />

NASH nachgewiesen. Umgekehrt<br />

wurde bei NASH-Patientinen eine<br />

erhöhte PCOS-Prävalenz gefunden.<br />

Serologische NASH-Surrogatparameter<br />

wie Zytokeratin 18-Fragmente<br />

konnte mit einer Prävalenz von 27 %<br />

in einer PCOS-Kohorte nachgewiesen<br />

werden [10]. Gastroenterologisch<br />

wird das PCOS als ein Risikofaktor<br />

einer NAFLD betrachtet. Deshalb ist<br />

sind Kontrolle der Transaminasen,<br />

Durchführung einer Abdomensonografie<br />

und im Einzelfall histologische<br />

Abklärung mittels Leberbiopsie<br />

empfohlen [11].<br />

Therapieübersicht<br />

Die Therapie des PCOS ist individuell<br />

zu gestalten und sollte sich<br />

nach der vorrangigen Beschwerdesymptomatik<br />

richten. Häufig ist eine<br />

Monotherapie nicht ausreichend.<br />

Bei den meisten Therapien besteht<br />

keine explizite Zulassung <strong>für</strong> die<br />

Behand lung eines PCOS, weshalb sie<br />

dann als Off-Label-Use zum Einsatz<br />

kommen.<br />

Zyklusregulierung<br />

Bei fehlendem Kinderwunsch hat<br />

eine Zyklusregulierung die bessere<br />

Planbarkeit <strong>für</strong> die betroffene Patientin<br />

und im Falle einer Amenorrhoe<br />

die regelmässige Abblutung des Endometriums<br />

zum Ziel. Hierbei können<br />

Estradiol-Gestagen- und reine Progesteron-Präparate<br />

eingesetzt werden.<br />

Hyperandrogenismus<br />

Zur Therapie des Hyperandrogenismus<br />

eignen sich Estradiol-Gestagen-Präparate<br />

mit einem antiandrogen-wirksamen<br />

Gestagen wie z. B.<br />

Chlormadinonacetat. Ergänzend führt<br />

eine periphere Androgen-Blockade<br />

mit Spironolacton (50–200 mg), Flutamid<br />

(62,5–200 mg) oder Finasterid<br />

(2,5–5 mg) zu einem zusätzlichen<br />

Therapieeffekt. Lokal kann bei Hirsu<br />

tis mus im Gesichtsbereich das<br />

haarwachstumshemmende Eflornithin<br />

eingesetzt werden. Zur Behandlung<br />

der Alopezie steht Minoxidil<br />

als Topikum zur Verfügung. Metformin<br />

(1000–2550 mg) wirkt sich<br />

meist positiv auf eine Akne aus, wobei<br />

häufig kein merklich positiver<br />

Effekt auf Hirsutismus oder Alopezie<br />

zu beobachten ist.<br />

Infertilität<br />

Für eine reguläre Ovulation ist<br />

im Falle der fehlenden zeitlichen<br />

Dringlichkeit primär der Einsatz von<br />

Metformin anzustreben. Alternativ<br />

stehen die üblichen Fertilitätstherapien<br />

zur Verfügung. Clomifen (50–<br />

Fazit <strong>für</strong> die Praxis<br />

Das PCOS ist die häufigste hormonelle<br />

Störung fertiler Frauen. Die<br />

Diagnosestellung erfolgt über die 3<br />

Definitionskriterien Hyperandrogenisms,<br />

Oligo-/Anovulation und<br />

PCO. Sie erfordert zudem den Ausschluss<br />

aller Differentialdiagnosen,<br />

im wesentlichen Hypothyreose,<br />

Prolaktinom, adrenogeniale Syndrome<br />

bzw. deren nicht-klassische<br />

Formen. Darüber hinaus sollte auch<br />

bei der Erstdiagnose bereits ein Augenmerk<br />

auf metabolische Lang-<br />

100 mg) stimuliert als Estradiol-Rezeptorantagonist<br />

die GnRH-Sekretion.<br />

Bei fehlendem Ansprechen wird zumeist<br />

ein GnRH-Analogon eingesetzt.<br />

Glukosetoleranzstörung<br />

Bei Nachweis einer Glukosetoleranzstörung<br />

empfiehlt die AEPCOS-<br />

Society eine Optimierung der Lebensgewohnheiten<br />

sowie Gewichtsreduktion<br />

bei Adipositas. Der Einsatz<br />

von Insulinsensitisern wie Metformin<br />

ist mit dem Ziel der Reduktion<br />

von Körpergewicht, Insulinresistenz<br />

und zur Prävention der Glukosetoleranzstörung<br />

zu erwägen [8].<br />

Kardiovaskuläres Risiko<br />

Entsprechend der Empfehlung<br />

der AEPCOS-Society ist bei PCOS-Patientinnen<br />

ein regelmäßiges kardiovaskuläres<br />

Screening durchzuführen.<br />

Bei jeder Untersuchung sollten<br />

Blutdruck, BMI und Taillenumfang<br />

erfasst werden. Bei der Erstdiagnose<br />

ist initial und dann mindestens im<br />

2-jährlichen Abstand ein oGTT und<br />

Lipid-Status empfohlen [9]. Die LDL-<br />

und non-HDL-Ziele sind in Tabelle 4<br />

dargestellt.<br />

Literaturverzeichnis<br />

1. Zawadzki JK, Dunaif A. Diagnostic criteria<br />

for polycystic ovary syndrome: towards a<br />

rational approach. In: Dunaif A, Givens JR,<br />

Haseltine F, Merriam GR, Hrsg. Polycystic<br />

Ovary Syndrome. Cambridge, MA: Blackwell<br />

Scientific 1992: 377–384<br />

2. Revised 2003 consensus on diagnostic criteria<br />

and long-term health risks related to<br />

polycystic ovary syndrome (PCOS). Fertil<br />

Steril. 2004; 81 (1): 19–25<br />

zeitfolgen wie eine Glukosetoleranzstörung<br />

und Dyslipoproteinämie<br />

gerichtet werden. Die medikamentöse<br />

Therapie richtet sich individuell<br />

nach dem vorliegenden Beschwerdebild<br />

und reicht von der spezifischen<br />

Fertilitätstherapie über herkömmlicher<br />

oraler Kontrazeption<br />

(mit und ohne antiandrogen-wirksames<br />

Gestagen) und peripheren<br />

Androgen-Blockern bis hin zum Biguanid<br />

Metformin.<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

17<br />

Übersicht


Übersicht<br />

3. Azziz R, Carmina E, Dewailly D, et al. Criteria<br />

for Defining Polycystic Ovary Syndrome<br />

as a Predominantly Hyperandrogenic<br />

Syndrome: An Androgen Excess<br />

Society Guideline. JCEM 2006; 91 (11):<br />

4237–4245<br />

4. Rosenfield, Hirsutism. N Engl J Med 2005;<br />

353: 2578–88<br />

5. Goodarzi MO, Dumgesic D, Chazenbalk G,<br />

et al. Polycystic ovary syndrome: etiology,<br />

pathogenesis and diagnosis. Nat Rev<br />

Endo crinol 2011; 78: 219–231<br />

6. Moran LJ, Misso ML, Wild RA, et al. Impaired<br />

glucose tolerance, type 2 diabetes<br />

and metabolic syndrome in polycystic<br />

ovary syndrome: a systematic review<br />

and metaanalysis. Hum Reprod Update<br />

2010; 16: 347–363.<br />

7. Boomsma CM, Eijkemans MJ, Hughes EG,<br />

et al. A meta-analysis of pregnancy outcomes<br />

in women with polycystic ovary<br />

syndrome. Hum Reprod Update 2006;<br />

12: 673–683<br />

8. Salley KES, Wickham EP, Cheang KI, et al.<br />

Glucose Intolerance in Polycystic Ovary<br />

Syndrome—A Position Statement of the<br />

Androgen Excess Society. J Clin Endocrinol<br />

Metab 2007; 92: 4546–4556<br />

18 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

9. Wild RA, Carmina E, Diamanti-Kandarakis<br />

E, et al. Assessment of Cardiovascular<br />

Risk and Prevention of Cardiovascular<br />

Disease in Women with the Polycystic<br />

Ovary Syndrome: A Consensus Statement<br />

by the Androgen Excess and Polycystic<br />

Ovary Syndrome (AE-PCOS) Society.<br />

J Clin Endocrinol Metab 2010; 95<br />

(5): 2038–49 ()<br />

10. Tan S, Bechmann LP, Benson S, et al.<br />

Apoptotic Markers Indicate Nonalcoholic<br />

Steatohepatitis in Polycystic Ovary Syndrome<br />

J Clin Endocrinol Metab 2010; 95:<br />

343–348<br />

11. Loria P, Carulli L, Bertolotti M, et al. Endocrine<br />

and liver interaction: the role of endocrine<br />

pathways in NASH. Nat Rev Gastroenterol<br />

Hepatol 2009; 6, 236–247<br />

Korrespondenzadresse:<br />

Dr. med. Susanne Tan<br />

Klinik <strong>für</strong> <strong>Endokrinologie</strong> und<br />

Stoffwechselerkrankungen<br />

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Diese Publikation enthält Beiträge, die<br />

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Einzelne Beiträge sind ganz oder teilweise<br />

von einem Unternehmen gesponsert<br />

und sind separat gekennzeichnet.<br />

Hinweis:<br />

Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen<br />

Entwicklungen unterworfen. Forschung<br />

und klinische Erfahrung erweitern<br />

unsere Erkenntnis, insbesondere was Behandlung,<br />

medikamentöse Therapie sowie<br />

Diagnostik (Laborwerte etc.) anbelangt. Soweit<br />

in dieser Zeitschrift Dosierungen, Applikationen<br />

oder Laborwerte erwähnt werden,<br />

darf der Leser zwar darauf vertrauen,<br />

dass Autoren, Herausgeber und Verlag<br />

große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass<br />

diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung<br />

entsprechen. Für Angaben über<br />

Dosierungsanweisungen, Applikationsfor men<br />

und Laborwerte kann vom Verlag jedoch<br />

keine Gewähr übernommen werden. Jeder<br />

Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige<br />

Prüfung der Beipackzettel der verwendeten<br />

Präparate und ggf. nach Konsultation eines<br />

Spezialisten festzustellen, ob die dort angegebene<br />

Empfehlung <strong>für</strong> Dosierungen oder<br />

die Beachtung von Kontra indikationen<br />

gegenüber der Angabe in dieser Zeitschrift<br />

abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders<br />

wichtig bei selten verwendeten Präparaten<br />

oder solchen, die neu auf den Markt gebracht<br />

worden sind. Jede Dosierung oder<br />

Appli kation erfolgt auf eigene Gefahr des<br />

Benutzers. Laborwerte müssen immer auf<br />

ihre Plausibilität geprüft werden und sind<br />

abhängig vom jeweiligen Testgerät bzw.<br />

Testkit. Autoren und Verlag appellieren an<br />

jeden Benutzer, ihm auffallende Ungenauigkeiten<br />

dem Verlag mitzuteilen.


Auch im Jahre 2011 gab es keine<br />

Lösung der globalen und nationalen<br />

Adipositas Epidemie. Die Prävalenz<br />

steigt weltweit weiterhin deutlich an<br />

(1). Einziger Lichtblick ist – entgegen<br />

des weltweiten Trends – der leichte<br />

Rückgang von Übergewicht und Adipositas<br />

bei Kindern in Deutschland (2).<br />

Adipositas –<br />

praktische Aspekte<br />

der Therapie<br />

Jens Aberle<br />

Lifestyle Programme<br />

Den adipösen Patienten steht<br />

mittlerweile eine Vielzahl von Lebensstil-Interventionsprogrammen<br />

wie z. B. DocWeight ® , Mobilis ® oder<br />

Optifast ® zur Verfügung. Je nach<br />

Ausmaß der Adipositas und Begleiterkrankungen<br />

kann ein individuell<br />

<strong>für</strong> den Patienten ausgewähltes Programm<br />

zum Einsatz kommen. Die<br />

Kosten hier<strong>für</strong> werden von einigen<br />

Krankenversicherungen auf Antrag<br />

übernommen. Informationen hierzu<br />

und zu den durchführenden ernährungsmedizinischenSchwerpunktpraxen,<br />

Kliniken und Therapiegruppen<br />

stehen auf den jeweiligen Internetseiten<br />

zur Verfügung. Leider nehmen<br />

viele Patienten in der Regel nach<br />

Beendigung des Programmes wieder<br />

an Körpergewicht zu (3). Dieses Problem<br />

konnte durch multimodale<br />

Therapiekonzepte bisher nicht gelöst<br />

werden.<br />

Medikamentöse Therapie<br />

Derzeit stehen in Deutschland<br />

2 Präparate zur Therapie der Adipositas<br />

zur Verfügung: das Amphetaminderivat<br />

Amfepramon (Regenon ® )<br />

sowie Orlistat (alli ® ). Beide Präparate<br />

sind jedoch in der Praxis wenig effektiv.<br />

Der Einsatz von Amfepramon ist<br />

auf Grund starker, vor allem vegetativer<br />

Nebenwirkungen auf einen kurzen<br />

Zeitraum von maximal 3 Monaten<br />

begrenzt. Orlistat steht als OTC-<br />

Medikament in der Dosierung 60 mg<br />

zur Verfügung. Die Wirksamkeit ist<br />

jedoch durch die gastrointestinalen<br />

Nebenwirkungen limitiert.<br />

Effektiver bei der Therapie von<br />

Adipositas sind GLP-1-Analoga. Die<br />

zulassungskonforme Verordnung<br />

setzt jedoch das Vorliegen eines Diabetes<br />

mellitus Typ 2 voraus. Dennoch<br />

liegen valide Daten auch zur<br />

Senkung des Körpergewichtes ohne<br />

Diabetes vor (4). Durch Liraglutid<br />

lässt sich eine Gewichtsreduktion von<br />

etwa 10 kg nach 2 Jahren erzielen.<br />

Nicht zu be<strong>für</strong>chten sind hierbei auf-<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

19<br />

Übersicht


Übersicht<br />

Abb. 1 Sonografische Darstellung<br />

und Volumenbestimmung des Magenballons<br />

(Quelle: <strong>Endokrinologie</strong> UKE).<br />

tretende Hypoglykämien. Allerdings<br />

müssen beim Off-Label-Gebrauch die<br />

Kosten vom Patienten selbst getragen<br />

werden.<br />

Endoskopische Therapie<br />

Der Magenballon ist seit Jahren<br />

bei der Therapie der Adipositas effektiv<br />

im Einsatz (5). Allerdings ist<br />

dieser ebenfalls zeitlich limitiert: Der<br />

flüssig keitsgefüllte Ballon muß laut<br />

Hersteller nach 6 Monaten wieder<br />

explantiert werden. Seit ca. einem<br />

Jahr befindet sich jedoch ein weite-<br />

a b<br />

rer Ballon auf dem Markt, der bis zu<br />

einem Jahr im Magen verbleiben<br />

kann (6). Die Materialkosten liegen<br />

bei ca. 900 €, hinzu kommt der Aufwand<br />

<strong>für</strong> Implantation und Explantation<br />

sowie <strong>für</strong> die Nachsorge. In<br />

einzelnen Fällen werden die Kosten<br />

von den Krankenversicherungen<br />

übernommen. Meist müssen die Patienten<br />

jedoch privat <strong>für</strong> die Therapiekosten<br />

aufkommen. Eine sonografische<br />

Volumenkontrolle ist alle 3<br />

Monate sinnvoll, um einen Verlust an<br />

Flüssigkeit rechtzeitig zu erkennen<br />

(Abb. 1). Neuere endoskopische Verfahren,<br />

wie z. B. das Endobarrier System<br />

® sind ebenfalls bei der Senkung<br />

des Körpergewichtes und Verbesserung<br />

der diabetologischen Stoffwechsellage<br />

effektiv (7, Abb. 2). Grundsätzlich<br />

versucht man die Systeme so<br />

zu optimieren, dass sie eine möglichst<br />

lange Therapiedauer gewährleisten.<br />

Der Endobarrier ist in Deutschland<br />

<strong>für</strong> eine Implantationszeit von einem<br />

Jahr zugelassen. Die Materialkosten<br />

betragen etwa 3500 €.<br />

Abb. 2 a und b EndoBarrier ® (Quelle: GI Dynamic Inc, Lexington, USA).<br />

6000<br />

7000<br />

10 000<br />

1100<br />

5000<br />

2500 1800<br />

13 000<br />

21 300<br />

Belgien / Luxemburg<br />

Frankreich<br />

Norwegen<br />

Österreich<br />

Großbritannien<br />

Spanien<br />

Italien<br />

Deutschland<br />

Polen<br />

Abb. 3 Anzahl bariatrischer Operationen pro Jahr in europäischen Ländern<br />

(Quelle: Covidien, Mansfield, USA).<br />

20 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

Bariatrische Chirurgie<br />

Derzeit werden pro Jahr ca.<br />

5000 bariatrische Operationen in<br />

Deutschland durchgeführt. Damit<br />

liegt Deutschland beim europäischen<br />

Vergleich im unteren Bereich<br />

(Abb. 3). Die Zahl der Grad 3 adipösen<br />

Menschen liegt hierzulande jedoch<br />

bei 2 % der Bevölkerung. Daher<br />

ist die sogenannte Penetranz, also<br />

die Anzahl der durchgeführten Operationen<br />

bezogen auf die Anzahl der<br />

Patienten mit gegebener Indikation,<br />

mit 0,73 deutlich geringer. Dies liegt<br />

u. a. am aufwendigen Antrag <strong>für</strong> die<br />

Kostenübernahme durch die Krankenversicherungen.<br />

Das Verfahren<br />

der Begutachtung von adipösen<br />

Patienten wurde 2009 durch eine<br />

MDK-interne Leitlinie vereinheitlicht<br />

und reguliert. Grundsätzlich<br />

müssen Patienten, bei denen ein<br />

Operationswunsch besteht, folgende<br />

Unterlagen der Krankenversicherung<br />

vorlegen:<br />

1. Antrag des behandelnden Zentrums<br />

mit Darlegung und Begründung<br />

der Indikation (BMI > 40<br />

oder > 35 mit Diabetes mellitus).<br />

2. Nachweis eines erfolglos durchgeführten<br />

multimodalen Therapieprogramms<br />

(Ernährungs- und<br />

Bewegungstherapie) über mindestens<br />

6 Monate.<br />

3. Psychosomatische Einschätzung<br />

und Zustimmung zur Operation.<br />

4. Ein Ernährungstagebuch.<br />

Liegen diese Unterlagen der<br />

Krankenversicherung vollständig<br />

vor, werden sie an den zuständigen<br />

MDK weitergeleitet. Häufig jedoch<br />

kommt es erst gar nicht zur Bearbeitung<br />

des Antrags, weil die notwendigen<br />

Unterlagen nicht komplett sind.<br />

Die neue S3-Leit linie zur operativen<br />

Adipositastherapie erlaubt eine primäre<br />

Indikationsstellung (also ohne<br />

vorherige konservative Versuche),<br />

wenn eine konservative Therapie<br />

mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit<br />

erfolglos bliebe. In der Praxis wird<br />

diese Argumentation meist ab einem<br />

BMI von 60 kg/m² akzeptiert.


Tab. 1 Laborparameter in festen<br />

zeitlichen Intervallen nach bariatrischer<br />

Chirurgie.<br />

Nachsorge alle 3–6 Monate im 1. Jahr,<br />

dann jährlich.<br />

Laborparameter:<br />

– Blutbild<br />

– Elektrolyte<br />

– Glukose<br />

– Eisen und Ferritin, ggf. Ferritinsättigung<br />

– Vitamin B12<br />

– 25-OH Vitamin D<br />

– PTH<br />

– Vitamin B6<br />

– Folsäure<br />

Optional:<br />

Vitamin B1, Vitamin A, Zink<br />

Knochendichtemesung in jährlichen<br />

Abständen.<br />

Die Nachsorge der Patienten ist<br />

ein elementarer Bestandteil der bariatrischen<br />

Therapie und beginnt mit<br />

seiner Entlassung aus dem Krankenhaus.<br />

Praktisch bedeutsam sind u. a.:<br />

● Verabreichung von Ursodexoxycholsäure<br />

(400–600 mg/d) <strong>für</strong> einen<br />

Zeitraum von ca. 6 Monaten<br />

zur Verhinderung der Bildung<br />

von Gallensteinen oder Sludge.<br />

● Erhebung eines Laborstatus in<br />

festgelegten zeitlichen Intervallen<br />

(Tab. 1).<br />

● Eine präventive und ggf. therapeutischeNährstoffsupplementation.<br />

Die hierzu kürzlich publizierten<br />

Leitlinien der Endocrine<br />

Society geben detaillierte Empfehlungen<br />

(8).<br />

In letzter Zeit ist der Verlust an<br />

Knochenmasse postoperativ zunehmend<br />

in das Bewusstsein der behan-<br />

delnden Ärzte gerückt. Die Reduktion<br />

der Knochenmasse ist proportional<br />

zum Gewichtsverlust und häufig auf<br />

eine Vitamin D-Mangel zurückzuführen.<br />

Bei Vitamin D-Mangel empfiehlt<br />

die Endocrine Society die tägliche<br />

Aufnahme von 50 000 IE Vitamin<br />

D bis zum Erreichen einer<br />

adäquaten Substitution. In der Prävention<br />

sind mindestens 1000 IE/d<br />

erforderlich. Zusätzlich ist die Einnahme<br />

von 500–1000 mg Kalzium/d<br />

sinnvoll. Hierbei ist jedoch zu beachten,<br />

dass Kalziumkarbonat wegen fehlender<br />

Magensäureproduktion kaum<br />

resorbierbar ist. Stattdessen empfiehlt<br />

beispielsweise die Gabe von<br />

Kalziumzitrat.<br />

Aus juristischer Sicht ist die frühe<br />

postoperative Gabe von Metformin<br />

zu überdenken, da vor allem in den<br />

ersten 6 Monaten nach einem bariatrischen<br />

Eingriff eine hungerazidotische<br />

Stoffwechselsituation vorliegt,<br />

die formell eine Kontraindikation <strong>für</strong><br />

Metformin darstellt (9).<br />

Das Auftreten von postalimentären<br />

hyperinsulinämischen Hypoglykämien<br />

ist vor allem <strong>für</strong> Patienten<br />

nach einer Magenbypass-Operation<br />

ein zunehmendes Problem.<br />

Meist ist hier<strong>für</strong> ein Dumping-Syndrom<br />

die Ursache. Allerdings scheint<br />

bei einigen Patienten eine Hypertrophie<br />

von β-Zellen aufzutreten, die<br />

vereinzelt schwere neuroglykopenische<br />

Symptome verursachen kann<br />

(10). Es ist die Aufgabe des Endokrinologen<br />

/ Diabetologen, diese bei der<br />

Nachsorge bariatrisch operierter Patienten<br />

zu differenzieren. Therapeutisch<br />

kommen diätetische, medikamentöse<br />

und in seltenen Fällen operative<br />

Strategien in Frage.<br />

Literatur<br />

1. Swinburn BA, Sacks G, Hall KD, et al. The<br />

global obesity pandemic: shaped by<br />

global drivers and local environments.<br />

Lancet. 2011; 27; 378 (9793): 804–14<br />

2. Moss A, Klenk J, Simon K, et al. Declining<br />

prevalence rates for overweight and<br />

obesity in German children starting<br />

school. Eur J Pediatr. 2011; 13 [Epub<br />

ahead of print]<br />

3. Tsai AG, Wadden TA. Systematic review:<br />

an evaluation of major commercial weight<br />

loss programs in the United States. Ann<br />

Intern Med. 2005; 4; 142 (1): 56–66.<br />

Review<br />

4. Astrup A, Carraro R, Finer N, et al. Safety,<br />

tolerability and sustained weight loss over<br />

2 years with the once-daily human GLP-1<br />

analog, liraglutide. Int J Obes (Lond).<br />

2011; 16; doi:10.1038/jo.2011.158 [Epub<br />

ahead of print]<br />

5. Dumonceau JM. Evidence-based review<br />

of the Bioenterics intragastric balloon<br />

for weight loss. Obes Surg. 2008; 18<br />

(12): 1611–7. Epub 2008; 21. Review<br />

6. Machytka E, Klvana P, Kornbluth A, et al.<br />

Adjustable Intragastric Balloons: A<br />

12-Month Pilot Trial in Endoscopic<br />

Weight Loss Management. Obes Surg.<br />

2011; 8 [Epub ahead of print]<br />

7. Schouten R, Rijs CS, Bouvy ND, et al. A<br />

multicenter, randomized efficacy study<br />

of the EndoBarrier Gastrointestinal Liner<br />

for presurgical weight loss prior to bariatric<br />

surgery. Ann Surg. 2010; 251 (2):<br />

236–43<br />

8. Endocrine and Nutritional Management<br />

of the Post-Bariatric Surgery Patient.<br />

An Endocrine Society Clinical Practice<br />

Guideline. 2010<br />

9. Aberle J, Reining F, Dannheim V, et al.<br />

Metformin after Bariatric Surgery – an<br />

Acid Problem. Exp Clin Endocrinol Diabetes.<br />

2011; 13 [Epub ahead of print]<br />

10. Foster-Schubert KE. Hypoglycemia complicating<br />

bariatric surgery: incidence and<br />

mechanisms. Curr Opin Endocrinol Diabetes<br />

Obes. 2011; 18 (2): 129–33<br />

Korrespondenzadresse<br />

PD. Dr. med. Jens Aberle<br />

Zentrum <strong>für</strong> Innere Medizin, <strong>Endokrinologie</strong><br />

und Diabetologie<br />

Interdisziplinäres Adipositaszentrum<br />

Universitätsklinikum Hamburg-<br />

Eppendorf<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

21<br />

Übersicht


Der vorliegende Artikel zeigt die<br />

häufigsten Fehlerquellen bei der<br />

Durchführung einer Insulintherapie,<br />

die jedem behandelnden Arzt geläufig<br />

sein sollten. Die übliche Vorgehensweise<br />

in unserer Abteilung wird hier<br />

kurz zusammengefasst. Der Fokus liegt<br />

dabei bewusst auf den technischen<br />

Aspekten der intensivierten konventionellen<br />

Insulintherapie (ICT). Dass<br />

diese aufwendige Behandlungsform<br />

auch stark von der psychischen Verfassung<br />

des Patienten, Lebenssituation,<br />

Krankheitsakzeptanz und Beziehung<br />

zum Behandler team abhängig ist,<br />

versteht sich von selbst. Die einvernehmliche<br />

Ab machung eines realistischen<br />

Therapieziels ist natürlich die<br />

Basis jeder erfolgreichen Insulintherapie<br />

(1).<br />

Häufige Fallstricke<br />

bei der praktischen<br />

Durchführung einer<br />

Insulintherapie<br />

Desirée Hauke, Rosalie Lohr und Andreas Lechner<br />

Einleitung<br />

Als Medizinstudent und später als<br />

Arzt lernt man die Insulintherapie<br />

zunächst als theoretisches Konzept<br />

kennen. Die verschiedenen Insuline,<br />

ihre Wirkkurven, der Zusammenhang<br />

zwischen Insulineinheiten und<br />

Blutzucker, das Basis-Bolus-Prinzip<br />

der ICT – all diese Dinge sind geläufig.<br />

Treten dann bei der Behandlung von<br />

Patienten zu hohe oder schwankende<br />

Verstehen / Berechnen<br />

Schätzen<br />

Insulin, Pen,<br />

Injektionstechnik<br />

Spritzstellen<br />

Insulinschema<br />

Mensch<br />

mit Diabetes<br />

Therapieziel<br />

Lebensqualität<br />

Blutzucker<br />

Blutzuckerwerte auf, so ist es ein<br />

häufiger ärztlicher Reflex, zuerst das<br />

gewählte Insulinschema zu hinterfragen<br />

oder zu ändern. Bei der praktischen<br />

Umsetzung der ICT kann es<br />

aber an mehreren Stellen zu Problemen<br />

oder Fehlern kommen, die<br />

den Therapieerfolg stark beeinflussen<br />

können. Dies wird zu selten beachtet<br />

oder komplett an die Diabetesberater<br />

delegiert.<br />

Aufzeichnung von<br />

Therapie und Blutzucker<br />

Blutzucker-<br />

Selbstmessung<br />

Abb. 1 Wesentliche Zwischenschritte bei der praktischen Umsetzung einer<br />

Insulintherapie.<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

23<br />

Übersicht


Übersicht<br />

Vom Insulinschema zum<br />

Blutzucker des Patienten<br />

und wieder zurück<br />

Wie Abbildung 1 zeigt, sind mehrere<br />

störanfällige Zwischenschritte<br />

notwendig, um vom Spritzplan zum<br />

tatsächlichen Blutzucker und wieder<br />

zurück zu kommen. Nur wenn sichergestellt<br />

ist, dass in diesen Schritten<br />

keine größeren Probleme bestehen,<br />

kann über den eigentlichen Therapieplan<br />

nachgedacht werden. Bei<br />

jedem Praxisbesuch des Patienten<br />

muss deshalb die korrekte Therapiedurchführung<br />

erneut überprüft werden,<br />

insbesondere bei Problemen<br />

mit der Blutzuckereinstellung.<br />

Im Einzelnen erscheinen uns die<br />

folgenden Punkte besonders wichtig:<br />

1. Verstehen, Berechnen, Schätzen<br />

Jede Insulintherapie muss früher<br />

oder später vom Patienten selbst<br />

durchgeführt werden. Eine Ausnahme<br />

bilden Fälle, bei denen Pflegende<br />

die Behandlung übernehmen. Der<br />

Patient muss seine Therapie also<br />

verstehen und selbst umsetzen. Erhält<br />

er einen Spritzplan, muss er diesen<br />

auch lesen können. Häufig setzt<br />

eine ICT zudem das Beherrschen der<br />

Grundrechenarten voraus, etwa<br />

wenn ein Korrekturfaktor vorgegeben<br />

wird.<br />

Das korrekte Abschätzen von<br />

Kohlenhydratmengen (KEs bzw. BEs)<br />

stellt in diesem Bereich das häufigste<br />

Problem dar. Es muss sehr gut gelernt<br />

und immer wieder geübt werden.<br />

Letztlich geben Lebenssituation, Ausbildungsstand,<br />

Herkunft und kognitive<br />

Fähigkeiten des Patienten vor,<br />

wie komplex eine Insulintherapie<br />

sein darf. Funktioniert eine vorgeschlagene<br />

Behandlung schlecht, muss<br />

immer auch überprüft werden, ob<br />

der Patient zur Umsetzung der Therapie<br />

überhaupt (noch) in der Lage<br />

ist. Tabelle 1 fasst einige Punkte zusammen,<br />

die bei der Erstellung eines<br />

Insulinplans <strong>für</strong> Patienten beachtet<br />

werden sollten bzw. die dem Patienten<br />

bei der Umsetzung der Behandlung<br />

helfen können.<br />

24 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

Tab. 1 Wichtige Punkte bei der<br />

Erstellung eines verständlichen<br />

Spritzplans.<br />

● Ausreichende Schriftgröße bei Patienten<br />

mit Visuseinschränkung.<br />

● Verwendung einer Farbkodierung<br />

<strong>für</strong> die jeweiligen Insuline, die sich<br />

ebenso auf Pens und Patronen findet<br />

(z. B. gelb <strong>für</strong> Normalinsulin).<br />

● Bilder und Symbole <strong>für</strong> Analphabeten<br />

und Menschen mit schlechten<br />

Deutschkenntnissen.<br />

● Klare und einfache Formulierungen.<br />

● Verständnisüberprüfung bei Ausgabe<br />

des Plans und auch immer<br />

wieder im Verlauf.<br />

2. Insulin, Pen, Injektionstechnik<br />

Obwohl die Einführung der Insulinpens<br />

die Therapie wesentlich vereinfacht<br />

hat, gibt es mit der Handhabung<br />

dieser Hilfsmittel immer<br />

wieder Probleme. Daher sind bei<br />

Einstellungsschwierigkeiten folgenden<br />

Fragen abzuarbeiten:<br />

Sind die Insulinpens (Basis- und<br />

Bolusinsulin) eventuell verwechselt<br />

worden?<br />

Vorbeugend ist darauf zu achten,<br />

dass die Patienten unterschiedliche<br />

Pens erhalten bzw. diese selbst markieren.<br />

Aufkleber, z. B. mit Besteck<br />

bzw. Mond sind bei den jeweiligen<br />

Firmen erhältlich.<br />

Wurde der vorgesehene Pen <strong>für</strong> das<br />

jeweilige Insulin verwendet?<br />

Die Patronen passen zwar oft in<br />

die Pens anderer Hersteller, eine<br />

korrekte Insulinabgabe ist dann aber<br />

nicht gesichert. Außerdem verfällt<br />

die Herstellergarantie.<br />

Ist das verwendete Insulin noch intakt?<br />

Die Temperaturempfindlichkeit<br />

des Insulins ist ein häufiges Problem<br />

insbesondere im Sommer. Wird es<br />

beispielsweise im heißen Auto vergessen,<br />

geht die Wirkung des Insulins<br />

verloren. Ebenso ist eine zu starke<br />

Kühlung zu vermeiden – z. B. bei winterlichen<br />

Außentemperaturen oder<br />

Lagerung des Insulinvorrates im hinteren<br />

Kühlschrankbereich, wo die<br />

Temperaturen um 0 °C liegen können.<br />

Vorsorglich können empfindliche<br />

Ma terialien (BZ-Teststreifen, Insulin,<br />

GlucaGen Hypokit) unterwegs durch<br />

eine Isoliertasche geschützt werden.<br />

Das Haltbarkeitsdatum des Insulins<br />

ist zu beachten. Unabhängig davon<br />

ist die Patrone 4 bis 6 Wochen<br />

nach Anbruch zu wechseln (Herstellerangaben<br />

auf Insulinverpackung beachten).<br />

Verfärbungen oder Ausflocken<br />

können bei abgelaufenem Insulin<br />

auftreten. Meistens ist aber keine<br />

optische Veränderung zu erkennen.<br />

Beherrscht der Patient das Patroneneinlegen<br />

und die Injektionstechnik?<br />

Hierzu gibt zunächst die jeweilige<br />

Penanleitung Auskunft. Tabelle 2 fasst<br />

darüber hinaus kurz die korrekte Injektionstechnik<br />

zusammen. Zur Injektion<br />

gehört die vorherige Probeabgabe<br />

einer kleinen Menge Insulin<br />

in die Luft bzw. auf den Handrücken<br />

als Funktionskontrolle. Letzteres ist<br />

besonders <strong>für</strong> sehbehinderte Menschen<br />

hilfreich. So können die meisten<br />

Penprobleme vor der Injektion<br />

ausgeschlossen werden.<br />

Tab. 2 Korrekte Injektionstechnik<br />

mit einem Insulinpen (2).<br />

● NPH- bzw. Mischinsuline vor der Anwendung<br />

mindestens 20 × schwenken<br />

(nicht schütteln!), bis eine<br />

homogene Trübung erkennbar ist.<br />

● Neue Pennadel auf Pen schrauben.<br />

● 1–2 Einheiten Insulin einstellen und<br />

als Funktionskontrolle in die Luft<br />

oder auf den Handrücken abgeben.<br />

● Einheiten einstellen, die gespritzt<br />

werden sollen.<br />

● Hautfalte an der Einstichstelle<br />

bilden und senkrecht einstechen<br />

(Hautfalte bei 4–5 mm Nadeln<br />

meist nicht notwendig).<br />

● Insulin spritzen und die Pennadel<br />

mindestens 10–15 Sekunden in<br />

der Haut halten (Pen darf nicht<br />

mehr stark nachtropfen).<br />

● Hautfalte loslassen.<br />

● Pen aus der Einstichstelle ziehen.<br />

● Pennadel sofort vom Pen<br />

abschrauben und entsorgen,<br />

Pen ohne Nadel lagern.


Wird die Nadel zu früh nach der<br />

Injektion wieder herausgezogen?<br />

Nach Insulinabgabe muss die<br />

Nadel noch 10–15 Sekunden in der<br />

Haut verbleiben (bei hohen Insulindosen<br />

> 20 IE pro Injektion sogar > 20<br />

Sekunden), da sonst wieder Insulin<br />

aus dem subkutanen Gewebe herauslaufen<br />

kann. Eine zuvor gebildete<br />

Hautfalte sollte losgelassen werden,<br />

bevor die Pennadel aus der Haut<br />

gezogen wird.<br />

Wird die Pennadel direkt nach<br />

jeder Injektion abgenommen und<br />

verworfen?<br />

Wird der Pen mit Nadel gelagert,<br />

können sich Luftblasen in der Patrone<br />

bilden, die zu unberechenbarer Insulindosierung<br />

führen. Außerdem<br />

kann Insulin heraustropfen, was<br />

beim ver-/gemischten NPH-Insulin zu<br />

relevanten Konzentrationsveränderungen<br />

führen kann. Zudem verliert<br />

so die Kolbenstange des Pens den<br />

Kontakt zur Insulinpatrone. Es wird<br />

bei der nächsten Abgabe nichts oder<br />

zu wenig injiziert.<br />

Ist die innere Pennadel umgebogen?<br />

Dieses Problem tritt zum Beispiel<br />

bei Patienten mit einem Tremor auf.<br />

Insulin kann so gar nicht injiziert<br />

werden, die scheinbare Abgabe von<br />

bis zu 10 IE ist durch die Elastizität<br />

im System aber möglich.<br />

Ist der Pen heruntergefallen und die<br />

Patrone defekt?<br />

Durch Haarrisse tritt Insulin aus,<br />

so dass zu wenig oder gar nichts injiziert<br />

wird. Diese Risse sind oft nicht<br />

direkt sichtbar. Eher kann der typische<br />

Insulingeruch oder Feuchtigkeit<br />

durch ausgetretenes Insulin wahrgenommen<br />

werden.<br />

3. Spritzstellen<br />

Nicht nur die Wahl des Insulins,<br />

auch die Stelle in die injiziert wird,<br />

kann die Schnelligkeit der Insulinwirkung<br />

beeinflussen. Wir empfehlen<br />

folgendes Vorgehen:<br />

● Sämtliche Insuline, egal ob Lang-<br />

oder Kurzzeitinsulin, die tags-<br />

Übersicht<br />

Abb. 2 Typisches Bild teilweise vernarbter „Lieblingsspritzstellen“ am rechten<br />

Mittelbauch bei einem Patienten mit langjährigem Typ-2-Diabetes.<br />

über gespritzt werden, sollten (erfragen, betrachten, abtasten<br />

möglichst in den Bauch gespritzt und Alternativen aufzeigen). Beim<br />

werden, länger wirkende Insu- Wechsel von deutlichen „Liebline<br />

eher in die äußeren Bauchlingsspritzstellen“ an andere Stelbereiche,<br />

Kurzzeitinsuline innen. len empfehlen wir initial eine<br />

● Langzeitinsuline, die am Abend prophylaktische Dosisreduktion<br />

gespritzt werden, sollten in das um 50 %.<br />

obere Drittel des seitlichen Ober- ● Kurze Pennadeln (4–5 mm) sind<br />

schenkels injiziert werden, um in der Regel auch bei Erwachse-<br />

die gewünschte Langzeitwirkung nen ausreichend, selbst bei Adi-<br />

über Nacht zu erreichen. Für positas. Sie ermöglichen einen<br />

Basis insuline morgens empfehlen besseren Wechsel der Injektions-<br />

wir eher den seitlichen Bauch, da stellen und verursachen weniger<br />

das Insulin im Oberschenkel Vernarbungen. Eine Injektion ist<br />

durch die tägliche Muskelarbeit oft ohne Bildung einer Hautfalte<br />

bei Bewegung eine ungewollt möglich, außer bei sehr schlan-<br />

schnellere Wirkung zeigen kann. ken Patienten oder muskulösen<br />

● Von der Injektion in den Ober- Oberschenkeln. Hier wird durch<br />

arm raten wir ab, da die Gefahr die Hautfalte das Risiko der ver-<br />

einer intramuskulären Injektion sehentlichen i. v.- oder i. m.-In-<br />

hier höher ist. Außerdem besteht<br />

durch die ständige Muskelarbeit<br />

jektion weiter minimiert.<br />

der Arme das Risiko einer unvor- 4. Blutzucker-Selbstmessung<br />

hergesehen raschen Insulinre- Die Blutzuckermessung ist ein<br />

sorption mit Unterzuckergefahr. weiterer Punkt, der trivial klingt und<br />

● Der regelmäßige Wechsel der häufig zu Fehlinterpretationen führt.<br />

Spritzstellen ist ebenso wichtig, Einige Punkte sind hier besonders<br />

wie der konsequente Wechsel der wichtig:<br />

Pennadeln! Oft sind die Gründe ● Lagerung und Haltbarkeit der<br />

<strong>für</strong> schwankende BZ-Werte Ver- Teststreifen beachten. Diese sind<br />

narbungen oder Lipodystrophien, hitze- und feuchtigkeitsempfind-<br />

die an den „Lieblingsspritzstellen“ lich. Die Haltbarkeit ist auf der<br />

entstehen (Abb. 2). Hier wirkt Streifendose angegeben.<br />

das Insulin nur vermindert oder ● Die Messgeräte selbst haben eine<br />

verzögert. Die Spritzstellen eines spezifische Arbeitstemperatur-<br />

Patienten müssen deshalb im- und Luftfeuchtigkeitsbereiche<br />

mer wieder kontrolliert werden (Herstellerangaben beachten).<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

25<br />

Übersicht


Übersicht<br />

● Je nach Typ des Messgeräts muss<br />

auf die korrekte Kodierung bei<br />

jeder neuen Streifenpackung geachtet<br />

werden.<br />

● Vor dem Messen müssen die<br />

Hände gewaschen werden, eine<br />

Desinfektion ist nicht notwendig<br />

da diese falsche Werte bedingt.<br />

Zucker, Fruchtsaft, oder auch<br />

Handcremes und balsamierte Taschentücher<br />

können die Blutzuckerwerte<br />

extrem verändern. Ein<br />

Zucker von 400 mg/dl nach dem<br />

Essen einer Orange kommt beispielsweise<br />

immer wieder vor<br />

und gibt, wenn er nicht mit sauberen<br />

Händen kontrolliert wird,<br />

Anlass zu gefährlichen Korrekturboli.<br />

● Abnahmestellen an den Fingern<br />

oder Ohrläppchen geben Blutzuckerwerte<br />

sehr aktuell wieder,<br />

Stellen am Unter- und Oberarm<br />

oft nur verzögert. Die Stechhilfe<br />

sollte an der seitlichen Fingerbeere<br />

angesetzt werden. An Daumen<br />

und Zeigefinger sollte nicht<br />

gemessen werden, da hier die<br />

Berührungssensibilität im Alltag<br />

besonders wichtig ist. Entlastung<br />

der Finger können Daumenballen<br />

oder Handkante bieten. Hierbei<br />

werden mehr Geduld bei der<br />

Probengewinnung und spezielle<br />

Aufsatzkappen benötigt.<br />

● Es muss ausreichend tief und immer<br />

mit einer frischen Lanzette<br />

in der Stechhilfe gestochen werden.<br />

Heftiges Massieren oder<br />

26 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

Quetschen der Finger, um Blut zu<br />

gewinnen, führt durch interstitielle<br />

Flüssigkeit zu falschen Werten.<br />

Aus dem gleichen Grund wird<br />

der erste Blutstropfen immer abgewischt.<br />

Erst der 2. wird <strong>für</strong> die<br />

Messung verwendet.<br />

5. Aufzeichnung von Therapie<br />

und Blutzucker<br />

Wurde alles bisher Genannte<br />

korrekt durchgeführt, so sind nun<br />

Blutzuckeraufzeichnungen notwendig,<br />

um den Behandlungserfolg einer<br />

ICT zu beurteilen. Die meisten Patienten<br />

führen manuelle Aufzeichnungen.<br />

Alternativ stehen Computerprogramme,<br />

Smartphone-Apps<br />

oder die Speicher der Messgeräte zur<br />

Verfügung. Grundlegend ist, dass<br />

neben den Blutzuckerwerten auch<br />

Kohlenhydratmengen, abgegebene<br />

Insulinmengen und besondere Aktivitäten,<br />

z. B. Sport dokumentiert<br />

werden müssen. Nur dann ist eine<br />

adäquate Beurteilung und Therapieanpassung<br />

möglich. In Kombination<br />

mit den Patientenaufzeichnungen<br />

bewährt sich das Auslesen des Messgerätespeichers.<br />

Hier sind meist nur<br />

Blutzuckerwerte und Zeitpunkte gesammelt,<br />

da<strong>für</strong> entfällt das häufig<br />

vorkommende Weglassen „unschöner“<br />

Werte. Auch Unterzuckerphasen,<br />

in denen der Patient Wichtigeres zu<br />

tun hatte, als Tagebuch zu schreiben,<br />

sind im Gerätespeicher festgehalten.<br />

Eine gute und angstfreie Arzt-Patientenbeziehung<br />

ist eine Grundvor-<br />

aussetzung da<strong>für</strong>, dass brauchbare<br />

Aufzeichnungen vorgelegt werden.<br />

Ansonsten kann es vorkommen, dass<br />

„geschönte“ Blutzuckerverläufe bis<br />

hin zu vollkommenen Phantasiewerten<br />

mitgebracht werden. Der Gebrauch<br />

mehrerer Messgeräte kann<br />

dazu führen, nur das Gerät mit den<br />

besten Werten mit in die Sprechstunde<br />

zu bringen.<br />

Fazit<br />

Eine erfolgreiche Insulintherapie<br />

setzt voraus, eine Bewusstheit <strong>für</strong><br />

mögliche Schwierigkeiten bei der<br />

Behandlung zu schaffen. Gibt es<br />

Einstellungsprobleme, sind eine<br />

Vielzahl von Zwischenschritten zu<br />

überprüfen. Diese können nicht<br />

ausschließlich an Diabetesberater<br />

oder andere Berufsgruppen delegiert<br />

werden. Für den Therapieerfolg<br />

ist eine ausführliche und<br />

gegebenenfalls auch wiederholte<br />

Patientenschulung sehr wichtig.<br />

Literaturangaben<br />

1. Böhm BO, Dreyer M, Fritsche A, et al.<br />

S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes.<br />

<strong>Deutsche</strong> Diabetesgesellschaft 2011<br />

2. Cureu B, Dobrinski E, Liersch J, et al. Die<br />

Injektion bei Diabetes mellitus. VDBD Verband<br />

der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe<br />

in Deutschland e. V. 2011<br />

Korrespondenzadresse<br />

Dr. med. Andreas Lechner<br />

Diabeteszentrum<br />

Medizinische Klinik Innenstadt<br />

Ludwig-Maximilians-Universität<br />

andreas.lechner@med.uni-muenchen.de


Die folgenden Darstellungen berücksichtigen<br />

– soweit nicht anders angegeben<br />

– vor allem die Bewertungen<br />

und Empfehlungen der aktuellen Leitlinien<br />

des Dachverbandes Osteologie<br />

e. V. (DVO) zur Prävention, Diagnostik<br />

und Therapie der Osteoporose, mit<br />

entsprechendem Empfehlungsgrad in<br />

Klammern. Die Leitlinien werden<br />

fortlaufend auf Basis der DELBI-Kriterien<br />

aktualisiert und planmäßig<br />

alle 3 Jahre vollständig überarbeitet<br />

(zuletzt 2009). Die S3-Leitlinie gibt<br />

praxisnahe Empfehlungen unter<br />

Berücksichtigung von Kosten-Nutzen-<br />

Aspekten <strong>für</strong> die Prävention von<br />

osteoporotischen Frakturen bei Risikopatienten.<br />

In der Osteoporose-Leitlinie<br />

werden nicht-medikamentöse<br />

Basistherapien (Kapitel 10.1), Indikationen<br />

<strong>für</strong> eine spezifische medikamentöse<br />

Therapie der Osteoporose<br />

(Kapitel 10.3) und Evidenz der Präparate<br />

mit nachweislich bester Frakturrisiko-senkender<br />

Wirkung (Kapitel<br />

10.4.) ausführlich dargestellt.<br />

Die nächste Aktualisierung ist <strong>für</strong><br />

2013 vorgesehen.<br />

Effektivität und<br />

Nebenwirkungen der<br />

medikamentösen<br />

Osteoporosetherapie<br />

Oliver Bock<br />

Therapieziele und<br />

Indikationen<br />

Primäres Ziel in der Osteoporosetherapie<br />

ist die Risikoreduzierung<br />

krankheitsassoziierter Komplikationen<br />

wie Wirbelkörper-, Hüft- und<br />

anderer Frakturen. Medikamentöse<br />

Therapien sollten vorwiegend bei<br />

Patienten mit deutlich erhöhtem<br />

Frakturrisiko eingesetzt werden. Die<br />

Therapien sollten in klinischen Studien<br />

mit einer Population vergleichbaren<br />

Frakturrisikos sowie mit Frakturen<br />

als primäre Endpunkte evaluiert<br />

worden sein.<br />

Eine spezifische medikamentöse<br />

Therapie wird empfohlen, wenn das<br />

– auf Grundlage der verfügbaren<br />

epidemiologischen Daten wie Alter,<br />

Geschlecht, klinische Risikofaktoren<br />

– geschätzte 10-Jahres-Risiko <strong>für</strong><br />

Wirbelkörper- und proximale Femurfrakturen<br />

>30% beträgt und zusätzlich<br />

die T-Werte der DXA-Knochendichtemessung<br />

an der LWS, am proximalen<br />

Femur (Hüfte) und/oder am Oberschenkelhals<br />

erniedrigt sind (D).<br />

Bei einer <strong>für</strong> DXA T-Werte < −2,0<br />

SD belegten durchschnittlichen medikamentösen<br />

Frakturrisikosenkung<br />

von 30–40 % (Summe aus Wirbelkör-<br />

perfrakturen und peripheren Frakturen)<br />

entspricht dies bei einer<br />

Behandlungs dauer von je 5 Jahren<br />

einer dem Krankheitsbild angemessenen<br />

und kosteneffektiven „Number<br />

need ed to treat“ (NNT) von etwa<br />

15, zur Verhinderung einer Wirbelkörper-<br />

und / oder peripheren Fraktur.<br />

Überblick der Medikamente<br />

Die derzeit verfügbaren Medikationen<br />

haben verschiedene Wirkmechanismen<br />

und sind vereinfacht in<br />

● Osteoklasten-Hemmer (Antiresorptiva)<br />

und<br />

● Osteoblasten-Stimulatoren (Osteoanabolika)<br />

einzuteilen oder haben wie Strontiumranelat<br />

einen dualen Mechanismus<br />

(Tab. 1).<br />

Denosumab ist bei den aktuellen<br />

DVO-Leitlinien 2009 noch nicht<br />

berücksichtigt, da es erst seit 2010<br />

verfügbar ist. Das Präparat ist bei<br />

postmenopausalen Frauen mit Osteoporose<br />

und bei Männern mit Osteoporose<br />

unter hormonablativer Therapie<br />

(HALT) beim Prostata-Karzinom<br />

zugelassen. Eine Risikoreduktion <strong>für</strong><br />

Wirbelkörper- und nicht-vertebrale<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

27<br />

Übersicht


Übersicht<br />

Tab. 1 Wirkmechanismen im Vergleich.<br />

Klassifizierung Zielzelle / Prinzip Mechanismus<br />

Alendronat<br />

Risedronat<br />

Ibandronat<br />

Zoledronat<br />

Bisphosphonate OC – antiresorptiv FPP-Synthase ↓<br />

Denosumab humaner mAK OC – antiresorptiv RANK-Ligand-<br />

Inhibition<br />

Raloxifen SERM OC – antiresorptiv ERp-Modulation<br />

Strontiumranelat Erdalkalimetall (Sr) OB / OC – dual CaS-Rp<br />

Teriparatid<br />

Parathormon<br />

PTH (-Analogon) OB – osteoanabol<br />

PTH, intermittierend<br />

Anmerkung: Obwohl aufgrund der verschiedenen Wirkmechanismen eine klare Rationale<br />

<strong>für</strong> den differenzierten Einsatz von Antiresorptiva und Osteoanabolika zu bestehen scheint,<br />

können wegen fehlender Evidenzen aus vergleichenden klinischen Studien mit Fraktur-Endpunkten<br />

keine differentialtherapeutischen Empfehlungen abgeleitet werden.<br />

OC: Osteoklasten; OB: Osteoblasten; mAK: monoklonaler Antikörper; SERM: Selective Estrogen<br />

Receptor Modulator; ERp: Estrogen Receptor; FPP-Synthase: Farnesylpyrophosphatsynthase;<br />

RANKL: Receptor Activator of Nuclear Factor κB; CaS-Rp: Calcium Sensing Receptor<br />

Frakturen bei postmenopausaler Osteoporose<br />

wurde in der FREEDOM-<br />

Studie belegt (A).<br />

Eine ausführliche Übersicht der<br />

Charakteristika der einzelnen Präparate<br />

ist in Kapitel 10.3 der Langfassung<br />

der DVO-Leitlinien 2009 und<br />

im <strong>Endokrinologie</strong> Informationen<br />

<strong>Sonderheft</strong> 2011 (hier inklusive Denosumab)<br />

nachzulesen.<br />

Effektivität – Medikamente<br />

mit höchstem Empfehlungsgrad<br />

im Vergleich<br />

Die DVO-Leitlinie nennt eine<br />

Reihe von Präparaten, die – in der<br />

Regel über einen Zeitraum von mindestens<br />

3 Jahren – nachweislich<br />

Wirbelkörperfrakturen bei postmenopausaler<br />

Osteoporose um 40–70 %<br />

reduzieren (A-Klassifizierung).<br />

Die Risikoreduktion <strong>für</strong> periphere<br />

Frakturen fällt unterschiedlich aus.<br />

Eine uneingeschränkte A-Klassifizierung<br />

<strong>für</strong> beide Zielparameter (Reduktion<br />

vertebraler und nicht-vertebraler<br />

Frakturen) besitzen nur die<br />

Bisphosphonate Alendronat, Risedronat<br />

und Zoledronat sowie Strontiumranelat<br />

(ca. 20–50 %). Östrogene<br />

hingegen sind trotz ihrer Frakturrisikosenkung<br />

nicht <strong>für</strong> die Langzeittherapie<br />

empfohlen (Tab. 2).<br />

Leider gehen die Leitlinien nicht<br />

näher auf die durchaus unterschiedlichen<br />

Daten zur Hüftfrakturrisikosenkung<br />

ein. Dies ist umso bedauerlicher,<br />

da die Indikation <strong>für</strong> eine spezifische<br />

medikamentöse Therapie<br />

auf der Grundlage des geschätzten<br />

10-Jahres-Risikos <strong>für</strong> Wirbelkörper-<br />

und Hüftfrakturen zu stellen ist. Bisher<br />

zeigten nur Risedronat und Zoledronat<br />

und zuletzt auch Denosumab<br />

in den ITT-Analysen bei den jeweiligen<br />

Gesamtpopulationen eine Sen-<br />

kungen des Hüftfrakturrisikos. Bei<br />

Strontiumranelat konnte dies in<br />

einer voraus geplanten Subgruppenanalyse,<br />

bei Alendronat in einer<br />

Post-hoc-Subgruppenanalyse nachgewiesen<br />

werden. So ist nach Auffassung<br />

des Autors bei Patienten mit<br />

erhöhtem Sturz- und damit auch<br />

Hüftfrakturrisiko eher eine Medikation<br />

einzusetzen, die zusätzlich das<br />

Hüftfrakturrisiko senkt.<br />

Bei noch differenzierterer Betrachtung<br />

fällt auf, dass Präparate mit<br />

ähnlich relativer Risikosenkung <strong>für</strong><br />

Hüftfrakturen in altersbezogenen<br />

Subgruppenanalysen in Phase-III-<br />

Frakturstudien durchaus unterschiedliche<br />

Tendenzen zeigen. Während<br />

Zoledronat (RRR <strong>für</strong> Hüftfrakturen<br />

in HORIZON-PFT 41 %, p = 0,002) bei<br />

älteren Patienten ≥ 75 Jahre keine signifikante<br />

Abnahme von Hüftfrakturen<br />

zeigt, sind es bei Denosumab<br />

(RRR <strong>für</strong> Hüftfrakturen in FREEDOM<br />

40 %, p = 0,04) offensichtlich insbesondere<br />

diese älteren Hochrisikopatienten<br />

mit zusätzlich besonders<br />

niedriger DXA-Knochendichte am<br />

Oberschenkelhals (≤ −2,5 SD T-score),<br />

die überdurchschnittlich mit einer<br />

Risikoreduktion von 62 % bzw. 60 %<br />

profitierten (p = 0,007 bzw. 0,02).<br />

An dieser Stelle sei jedoch darauf<br />

verwiesen, dass die DVO-Leitlinien<br />

2009 eine „generelle oder bei bestimmten<br />

Patientenuntergruppen<br />

vorhandene Überlegenheit eines bestimmten<br />

Medikaments in Hinblick<br />

auf eine Fraktursenkung“ aufgrund<br />

des Fehlens von Head-to-head-Studien<br />

mit Frakturereignissen als primärem<br />

Endpunkt als nicht belegt<br />

betrachtet. Bei der individuellen<br />

Therapieauswahl sollten aber „die<br />

Tab. 2 Medikamentöse Therapie der postmenopausalen Osteoporose, deren Frakturrisiko-senkende Wirkung am<br />

besten belegt ist (nach DVO-Leitlinien 2009, modifiziert).<br />

Alen-<br />

dronat<br />

Iban-<br />

dronat<br />

Rise-<br />

dronat<br />

Zole-<br />

dronat<br />

Östro-<br />

gene*<br />

Ralo-<br />

xifen<br />

Strontiumranelat<br />

Teri-<br />

paratid<br />

Parat-<br />

hormon<br />

RRR <strong>für</strong> WK-Fx + (A) + (A) + (A) + (A) + (A) + (A) + (A) + (A) + (A)<br />

RRR <strong>für</strong> non-vert. Fx + (A) + (B)** + (A) + (A) + (A) – + (A) + (B) –<br />

RRR: relative Risikoreduktion; WK-Fx: Wirbelkörperfrakturen; non-vert. Fx: nicht-vertebrale Frakturen<br />

*in der Regel nur, wenn vasomotorische Beschwerden der Haupteinnahmegrund sind<br />

** in einer Untergruppe von Frauen mit einem T-Wert < −3,0 SD am Oberschenkelhals<br />

28 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong>


Tab. 3 Applikationsformen und Zulassungsstatus (09 / 2011) <strong>für</strong> die Medikamente mit höchstem Empfehlungsgrad.<br />

oral i. v. s. c. PMO CIOP Opo d. Mannes<br />

Alendronat 10 mg/d und 70 mg/Wo. – – X X X<br />

Risedronat 5 mg/d, 35 mg/Wo. und 2 × 75 mg/Mo. – – X X X<br />

Ibandronat 150 mg/Mo. 3 mg/3 Mo. – X<br />

Zoledronat – 5 mg/Jahr – X X X<br />

Denosumab* – – 60 mg/6 Mo. X X**<br />

Raloxifen 60 mg/d – – X<br />

Strontiumranelat 2 g/d – – X<br />

Teriparatid – – 20 µg/d X X X<br />

Parathormon – – 100 µg/d X<br />

PMO: postmenopausale Osteoporose bzw. Osteoporose bei postmenopausalen Frauen; CIOP: Corticoid Induced Osteoporosis (kortikosteroidinduzierte<br />

Osteoporose); Opo d. Mannes: Osteoporose des Mannes (primär bzw. sekundär bei Hypogonadismus)<br />

* Denosumab ist von den aktuellen DVO-Leitlinien 2009 noch nicht berücksichtigt, da es erst seit 2010 verfügbar ist. Eine entsprechend<br />

positive Bewertung in der aktualisierten Fassung <strong>2012</strong> ist aufgrund der bisher publizierten Daten und den Bewertungsmaßstäben des<br />

DVO zu erwarten. Einzelne Mitgliedergesellschaften des DVO wie die Schweizerische Vereinigung gegen die Osteoporose (SVGO) haben<br />

Denosumab bereits in ihre Empfehlungen aufgenommen.<br />

** Denosumab 60 mg beim Mann <strong>für</strong> die „Behandlung von Knochenschwund im Zusammenhang mit Hormonablation bei Männern mit<br />

Prostatakarzinom mit erhöhtem Frakturrisiko“ zugelassen<br />

möglichen Neben- und Zusatzwirkungen,<br />

die Kosten und die Einnahmemodalität<br />

in die Überlegungen<br />

einbezogen werden“.<br />

Zur Fraktursenkung beim Mann<br />

sind:<br />

● Alendronat (B),<br />

● Risedronat (B),<br />

● Zoledronat (C) und<br />

● Teriparatid (C) (Extrapolation zu<br />

Frakturdaten der Frau bei gleicher<br />

Änderung der Knochendichte)<br />

zur Therapie der Osteoporose zugelassen<br />

und in den Leitlinien empfohlen.<br />

Es ist eine ähnliche frakturschützende<br />

Wirkung wie bei den Frauen<br />

anzunehmen (A–C). Zugelassen und<br />

empfohlen bei kortikosteroid-induzierten<br />

Osteoporose sind Alendronat<br />

(B), Risedronat (C), Zoledronat (C)<br />

und Teriparatid (B) (vgl. Tab. 3).<br />

Sicherheit und<br />

Nebenwirkungen<br />

Unter Berücksichtigung der bestehenden<br />

Indikationen und Kontraindikationen<br />

sowie der entsprechenden<br />

Einnahme- und Applikationsvorschriften<br />

besteht <strong>für</strong> Osteoporosemedikamente<br />

mit dem höchsten<br />

Empfehlungsgrad ein generell sehr<br />

gutes Nutzen-Risiko-Verhältnis.<br />

a) Extraossäre Nebenwirkungen<br />

Bisphosphonate<br />

Bisphosphonate werden derzeit<br />

am häufigsten eingesetzt. Typische<br />

bzw. häufige Nebenwirkungen<br />

(≥ 1:100) sind muskuloskelettale<br />

Schmerzen (bei allen Applikationsformen)<br />

bzw. Akute-Phase-Reaktionen<br />

(bei i. v.-Applikation), die in der Regel<br />

passager sind, häufig jedoch einen negativen<br />

Einfluss auf die Compliance<br />

der Patienten haben. Bei oraler Applikation<br />

sind obere gastrointestinale<br />

Nebenwirkungen bis hin zur Ösophagitis<br />

häufig. Ein möglicherweise erhöhtes<br />

Risiko <strong>für</strong> Ösophagus-Karzinome<br />

wurde in den letzten Jahren wiederholt<br />

diskutiert, kann aber derzeit<br />

nicht belegt werden. Ebenfalls kontrovers<br />

diskutiert wurde das erhöhte<br />

Risiko <strong>für</strong> Vorhofflimmern. Ebenfalls<br />

kontrovers diskutiert wurde ein möglicherweise<br />

erhöhtes Risiko <strong>für</strong> Vorhofflimmern<br />

(VHF-assoziierte SAE erhöht<br />

in HORIZON-PFT-Zulassungsstudie<br />

mit Zoledronat, post-hoc-Analyse<br />

der Zulassungsstudien mit Alendronat).<br />

Ein kausaler Zusammenhang ist<br />

aber auch hier nicht belegt. Leichte<br />

Hypokalziämien und Hypophosphatämien<br />

sind selten, fast immer<br />

asymptomatisch und eher Zeichen<br />

einer inadäquaten Kalzium- und / oder<br />

Vitamin D-Versorgung.<br />

Bisphosphonate sind potentiell<br />

nephrotoxisch. Sie sollten insbesondere<br />

in bei der i. v.-Applikation nur<br />

unter strikter Einhaltung von Kontraindikationen<br />

(Kreatinin-Clearance<br />

< 30 ml/min <strong>für</strong> Ibandronat / Risedronat<br />

bzw. < 35 ml/min <strong>für</strong> Alendronat<br />

/ Zoledronat) und Applikationsvorschriften<br />

(z. B. Infusionsdauer bei<br />

Zoledronat, ausreichende Hydratisierung)<br />

eingesetzt werden.<br />

Denosumab<br />

Denosumab ist die einzige Substanz,<br />

die bezüglich der Nierenfunktion<br />

ohne Einschränkung zugelassen<br />

ist. Die randomisierten Studien bei<br />

postmenopausalen Frauen zeigten<br />

häufigere kutane bzw. subkutane Infektionen<br />

im Vergleich zur Kontrollgruppe,<br />

bei Männern mit HALT bei<br />

Prostata-Karzinom häufiger Katarakte.<br />

Eine Kaualitätsbeziehung ist<br />

jeweils nicht erwiesen, vergleichbare<br />

Beobachtungen wurden aus anderen<br />

Studien nicht berichtet.<br />

Raloxifen<br />

Als selektiver Estrogenrezeptormodulator<br />

(SERM) führt Raloxifen<br />

sehr häufig (> 1:10) und vor allem<br />

bei jüngeren, postmenopausalen<br />

Frauen zu Hitzewallungen und häufig<br />

(≥ 1:100) zu Wadenkrämpfen. Ve-<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

29<br />

Übersicht


Übersicht<br />

Abb. 1 Klinisches Bild einer Bisphosphonat-assoziierten Kieferosteonekrose.<br />

Diese sind bei der Behandlung von Osteoporose-Patienten mit einer geschätzten<br />

Prävalenz von ca. 1:10 000–1:15 000 sehr selten. Sie treten bei<br />

Patienten mit onkologischer Behandlungsindikation (Knochenmetastasen,<br />

Multiples Myelom, Tumorhyperkalziämie) und i. d. R. 3-4 wöchentlicher,<br />

hochdosierter i. v.-Applikation deutlich häufiger auf (ca. 1:10–1:100).<br />

nöse thrombembolische Ereignisse<br />

treten gelegentlich (≥ 1:1000 – < 1:100)<br />

auf. Sehr selten (< 1:10 000) sind tödliche<br />

Schlaganfälle, insbesondere bei<br />

Risikopatientinnen beschrieben.<br />

Strontiumranelat<br />

Insbesondere zu Beginn der Therapie<br />

führt Strontiumrenalat mitunter<br />

zu Übelkeit, Durchfällen oder<br />

unspezifischen Kopfschmerzen<br />

(≥ 1:100). In einer Analyse der gepoolten<br />

Daten zweier Zulassungsstudien<br />

(SOTI & TROPOS) wurde ein<br />

gering erhöhtes Risiko <strong>für</strong> venöse<br />

Thrombembolien festgestellt. Die<br />

Kausalität ist noch fraglich. Sehr selten<br />

(< 1:10 000) sind schwere Überempfindlichkeits-<br />

und allergische<br />

Reaktionen bis hin zum DRESS-Syndrom.<br />

Teriparatid und Parathormon<br />

Diese Medikationen führen oftmals<br />

(> 1:10) zu passageren Kopfschmerzen,<br />

Schwindel, Übelkeit oder<br />

auch Erbrechen. Eine Hyperkalziämie<br />

oder Hyperkalziurie scheint<br />

unter Parathormon (PTH 1-84)<br />

100 µg/d häufiger als unter Teriparatid<br />

(PTH 1-34) 20 µg/d aufzutreten.<br />

Gliederschmerzen sind wiederholt<br />

beschrieben worden.<br />

30 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

b) Ossäre Sicherheit<br />

Bisphosphonate und Denosumab<br />

sind hochpotente Osteoklastenhemmer.<br />

Insbesondere bei der Langzeitanwendung<br />

dieser Substanzen<br />

wird seit einigen Jahren auch ein<br />

Abb. 2 CT-Scan zeigt eine bilaterale,<br />

zweiseitigen Bishosphonat-assoziierten<br />

atypischen Femurfraktur bei<br />

einer 76-jährigen Patientin mit Osteoporose<br />

nach einer Bisphosphonat-<br />

Langzeittherapie. Die komplette<br />

Fraktur rechts trat nach 65 Monaten<br />

Therapie mit Alendronat auf, die<br />

inkomplette Fraktur links wurde<br />

nach weiteren 16 Monaten Therapie<br />

mit Alendronat bzw. Ibandronat diagnostiziert.<br />

möglicher unerwünschter ossärer<br />

Effekt einer „Übersuppression“ des<br />

Knochenmetabolismus diskutiert.<br />

Bisphosphonat-assoziierte Kieferosteonekrosen<br />

(osteonecrosis of the<br />

jaw, ONJ) sind in der Osteoporosetherapie<br />

erstmals 2003 beschrieben<br />

worden. Die Prävalenz wird aktuell<br />

in Metaanalysen und anhand eigener<br />

Daten (Elsbeth-Bonhoff-Register,<br />

Charité Berlin, Zentrum <strong>für</strong> Muskel-<br />

und Knochenforschung) auf < 1:10 000<br />

geschätzt und liegt damit deutlich<br />

unter der ONJ-Prävalenz bei Patienten<br />

mit Knochenmetastasen, die<br />

ebenfalls mit Bisphosphonaten therapiert<br />

werden (> 1:10 – < 1:100; meist<br />

i. v.-Applikation, kürzere Dosierungsintervalle,<br />

höhere Dosierungen).<br />

Eine Kausalität der seltenen ONJ bei<br />

Osteoporosepatienten in Verbindung<br />

der Bisphosphonattherapie ist weiterhin<br />

in der Diskussion.<br />

Inzwischen liegen auch einzelne<br />

Fallberichte <strong>für</strong> ONJ aus klinischen<br />

Langzeitstudien zu Denosumab bei<br />

postmenopausaler Osteoporose vor.<br />

Die Inzidenz <strong>für</strong> ONJ in onkologischen<br />

Denosumab-Studien (höhere<br />

Dosierungen, häufigere Applikationen)<br />

ist etwa gleich mit der bei mit<br />

Zoledronat behandelten Kontrollgruppen.<br />

Über sogenannte atypische Femurfrakturen<br />

(AFF), die Bisphosphonat-assoziiert<br />

sind, wurde erstmals<br />

2004 berichtet. Dabei handelt es sich<br />

um atraumatische, oftmals bilateral<br />

auftretende diaphysäre (subtrochantere)<br />

und schlecht heilende<br />

Frakturen mit meist sehr speziellem<br />

radiologischen Erscheinungsbild:<br />

● Quer oder schräg verlaufende<br />

Frakturlinien,<br />

● keine Splitterfragmente (ggf. mediales<br />

Keilfragment),<br />

● verdickte Kortikalis,<br />

● periostale Reaktionen der lateralen<br />

Kortikalis.<br />

Inkomplette Frakturen betreffen<br />

die laterale Kortikalis, wo die größten<br />

Biegekräfte auf den Knochen<br />

wirken.


Für ONJ und AFF wird eine mögliche<br />

„Übersuppression“ des Knochenstoffwechsels<br />

durch Bisphosphonate<br />

(und Denosumab) als eine<br />

der Ursachen diskutiert. Eine Assoziation<br />

mit der Therapiedauer wird<br />

von vielen Autoren vermutet, eine<br />

Langzeitexposition ist aber nicht<br />

zwingende Voraussetzung. Unumstritten<br />

ist hingegen, dass es sich bei<br />

ONJ und AFF nicht um monokausale<br />

Folgen der entsprechenden Osteoporosetherapie<br />

handelt. Als zusätzliche<br />

Risikofaktoren werden immunkompromitierende<br />

Faktoren wie<br />

Kortikosteroid-Therapie, Diabetes<br />

mellitus oder Autoimmun- und andere<br />

entzündliche Systemerkrankungen<br />

sowie Vitamin D-Mangel<br />

diskutiert, bei der AFF auch Protonenpumpeninhibitoren.<br />

Eine allgemeine Frakturheilungsverzögerung<br />

bei Bisphosphonat-<br />

Patienten ist ebenfalls bekannt, die<br />

klinische Relevanz ist aber eher umstritten.<br />

Für die osteoanabol wirksamen<br />

Substanzen Teriparatid und Strontiumranelat<br />

hingegen gibt es präklinische<br />

und erste klinische Hinweise<br />

<strong>für</strong> eine Beschleunigung der Frakturheilung.<br />

Die zusätzliche und eventuell<br />

erwünschte ossäre Wirkung wird<br />

derzeit in klinischen Studien untersucht,<br />

auch <strong>für</strong> neue in der Entwicklung<br />

befindlichen Osteoanabolika wie<br />

den Sclerostin-Antikörper.<br />

Es sind bislang 2 Fälle bekannt,<br />

die nach einer Teriparatidbehandlung<br />

ein Osteosarkom entwickelten<br />

(< 1:100 000).<br />

Therapiedauer<br />

Osteoporose ist eine chronische<br />

Erkrankung. Die DVO-Leitlinien<br />

empfehlen eine spezifische Pharmakotherapie<br />

entsprechend der definierten<br />

Indikation zur medikamentösen<br />

Behandlung <strong>für</strong> den Zeitraum<br />

des erhöhten Frakturrisikos. In der<br />

Konsequenz handelt es sich also in<br />

aller Regel um eine Langzeit- bis<br />

Dauertherapie.<br />

Entsprechend ihrer unterschiedlichen<br />

Wirkmechanismen bzw. Halbwertzeiten<br />

ist von einer unterschiedlichen<br />

Nachhaltigkeit der erwünschten<br />

ossären Effekte auszugehen.<br />

Diese ist insbesondere <strong>für</strong><br />

Raloxifen (und Östrogene), aber auch<br />

<strong>für</strong> Teriparatid und Parathormon<br />

wohl nur <strong>für</strong> die Zeit der Anwendung<br />

anzunehmen. Hingegen kann bei Bisphosphonaten<br />

und auch Strontiumranelat<br />

von einer längeren Nachhaltigkeit<br />

ausgegangen werden. Klinische<br />

Studiendaten, die diese Annahmen<br />

belegen, sind allerdings nur<br />

unzureichend vorhanden.<br />

Dabei sollte die Therapie mit einem<br />

bestimmten Medikament gemäß<br />

DVO-Leitlinien nur über den Zeitraum<br />

erfolgen, <strong>für</strong> den die frakturrisikosenkende<br />

Wirkung belegt ist.<br />

Frakturdaten aus placebo-kontrollierten<br />

RCT liegen <strong>für</strong> die anderen<br />

Substanzen in der Regel nur <strong>für</strong> 3–5<br />

Jahre vor. Für einige Substanzen sind<br />

Frakturdaten aus Nachbeobachtungen<br />

und Verlängerungsstudien unterschiedlicher<br />

Designs verfügbar:<br />

● Alendronat, Risedronat und Strontiumranelat:<br />

10 Jahre,<br />

● Raloxifen: 9 Jahre,<br />

● Zoledronat: 6 Jahre.<br />

Insbesondere <strong>für</strong> Bisphosphonate<br />

mit längeren Halbwertzeiten wie<br />

Alendronat und Zoledronat sollte die<br />

Anwendung in der Regel zunächst<br />

auf 3–5 Jahre beschränkt werden.<br />

Auf Grundlage des individuellen<br />

Risiko profils des Patienten sollte gegebenenfalls<br />

über eine längere Therapiedauer<br />

bzw. eine Therapiepause<br />

entscheiden werden. Die Verlängerungsstudien<br />

zu Alendronat (FLEX)<br />

und Zoledronat (HORIZON-PFT-E1)<br />

zeigten, dass die Gesamtinzidenz osteoporotischer<br />

Frakturen bei Patienten<br />

in Langzeittherapie (10 Jahre<br />

Alendronat, 6 Jahre Zoledronat) nicht<br />

signifikant unterschiedlich war im<br />

Vergleich zu Patienten mit Therapiepause<br />

(nach 5 Jahren Alendronat,<br />

3 Jahre Zoledronat). Jedoch profitierten<br />

z. B. Hochrisiko-Patienten<br />

von einer Langzeittherapie bezüglich<br />

reduzierter non-vertebraler Frakturen.<br />

Andererseits gab es keine<br />

Hinweise auf eine eingeschränkte<br />

ossäre oder extraossäre Langzeitsicherheit<br />

der Präparate.<br />

Die Zeit der Anwendung <strong>für</strong> Teriparatid<br />

und Parathormon ist gemäß<br />

der Zulassung auf 2 Jahre beschränkt.<br />

Für den Nachweis der Effektivität<br />

bestimmter sequentieller Therapien<br />

stehen derzeit nur begrenzt<br />

Studiendaten zur Verfügung. Bei den<br />

untersuchten Endpunkten der Studie<br />

handelt es sich ausschließlich um<br />

Surrogatparameter der Knochenfestigkeit,<br />

die sehr kritisch beurteilt<br />

werden müssen. Frakturdaten stehen<br />

hier (noch) nicht ausreichend zur<br />

Verfügung.<br />

Literatur:<br />

1. http://www.dv-osteologie.org/<br />

dvo_leitlinien/dvo-leitlinie-2009<br />

(Langfassung)<br />

2. Fassbender WJ, Willmann B: Therapie der<br />

Osteoporose: wie lange und welches Präparat?<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen 2011;<br />

<strong>Sonderheft</strong>: 29–33<br />

3. Bock O, Felsenberg D: Bisphosphonates in<br />

the management of postmenopausal osteoporosis<br />

– optimizing efficacy in clinical<br />

practice. Clin Interv Aging. 2008; 3 (2):<br />

279–97<br />

4. Rizzoli R, Reginster JY, Boonen S, et al. Adverse<br />

reactions and drug-drug interactions<br />

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postmenopausal osteoporosis. Calcif Tissue<br />

Int. 2011; 89 (2): 91–104<br />

5. Khosla S, Burr D, Cauley J, et al. Bisphosphonate-associated<br />

osteonecrosis of the<br />

jaw: report of a task force of the American<br />

Society for Bone and Mineral Research. J<br />

Bone Miner Res. 2007; 22(10): 1479–91<br />

6. Shane E, Burr D, Ebeling PR, et al. Atypical<br />

subtrochanteric and diaphyseal femoral<br />

fractures: report of a task force of the<br />

American Society for Bone and Mineral<br />

Research. J Bone Miner Res. 2010; 25 (11):<br />

2267–94<br />

Weitere Literatur auf Anfrage beim<br />

Verfasser.<br />

Korrespondenzadresse<br />

Dr. med. Oliver Bock<br />

Charité Berlin – Campus Benjamin<br />

Franklin, Zentrum <strong>für</strong> Muskel- und<br />

Knochenforschung<br />

Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin<br />

E-Mail: oliver.bock@charite.de<br />

<strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

31<br />

Übersicht


Übersicht pNET<br />

Therapiechance <strong>für</strong> Patienten<br />

mit fortgeschrittenen pNET<br />

Bei pankreatischen neuroendokrinen Tumoren (pNET) liegt zum Zeitpunkt der<br />

Diagnose häufig bereits eine fortgeschrittene Erkrankung vor, sodass eine operative<br />

Entfernung des Tumors nicht mehr möglich ist. In diesem Stadium beträgt die 5-<br />

Jahres-Überlebensrate nur 27 %, die mediane Überlebensdauer liegt bei 2 Jahren (1).<br />

Wie Prof. Bertram Wiedenmann aus Berlin, auf einer Pressekonferenz 1 berichtete,<br />

stellt Everolimus 2 eine neue Behandlungsoption <strong>für</strong> Patienten mit progredienten<br />

fortgeschrittenen pNET dar: „Das Sicherheitsprofil ist gut handhabbar, die orale<br />

Anwendung mit der 1-mal täglichen Gabe denkbar einfach.“<br />

Everolimus verlängert<br />

signifikant progressionsfreies<br />

Überleben<br />

Die europäische Arzneimittelbehörde<br />

EMA erteilte im September<br />

2011 Everolimus die Zulassung zur<br />

1 Launch-Pressekonferenz „Zulassung von<br />

Everolimus bei fortgeschrittenen pNET<br />

– mTOR-Inhibition als neues Therapiekonzept“,<br />

veranstaltet von Novartis im<br />

September 2011 in Leipzig<br />

2 Afinitor ® , Novartis Pharma GmbH, Nürn-<br />

berg<br />

Therapie von NET pankreatischen Ursprungs<br />

mit progressiver Erkrankung.<br />

In der <strong>für</strong> die Zulassung relevanten<br />

Phase-III-Studie RADIANT-3 (2) erhielten<br />

die 410 Studienteilnehmer<br />

entweder täglich oral 10 mg Everolimus<br />

oder Placebo, jeweils in Kombination<br />

mit Best Supportive Care. Das<br />

Studiendesign ermöglichte somit<br />

auch eine Therapie mit Somatostatin-Analoga<br />

zur Symptomkontrolle.<br />

Die Verum-Patienten profitierten<br />

Experteninterview mit Prof. Dr. Bertram Wiedenmann,<br />

Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Virchow-Klinikum<br />

? Herr Professor Wiedenmann,<br />

was spricht aus Ihrer Sicht <strong>für</strong> den<br />

Einsatz des mTOR-Inhibitors Everolimus<br />

bei progredienten fortgeschrittenen<br />

pNET?<br />

! Die Datenlage ist hier eindeutig:<br />

In der Phase-III-Studie RADIANT-3<br />

wurden Wirksamkeit und Sicherheit<br />

<strong>für</strong> den mTOR-Inhibitor Everolimus<br />

bei progredienten fortgeschrittenen<br />

pNET im Vergleich zu<br />

Placebo nachgewiesen (1). Dabei<br />

war Everolimus signifikant wirksam<br />

unabhängig von einer vorherigen<br />

Chemotherapie vs. ohne. Auf<br />

Basis dieser Ergebnisse hat der oral<br />

verfügbare mTOR-Inhibitor im<br />

September 2011 die europä ische<br />

Zu lassung <strong>für</strong> diese Indikation erhalten.<br />

? Sie sind Leiter des größten NET-<br />

Zentrums in Deutschland. Wie sind<br />

Ihre Praxiserfahrungen mit Everolimus<br />

bei pNET?<br />

! Die mTOR-Inhibitoren sind bei<br />

fortgeschrittenem pNET wirksam.<br />

Als Extrembeispiel <strong>für</strong> die Wirksamkeit<br />

von Everolimus verweise ich<br />

gerne auf einen meiner Patienten mit<br />

pNET, der nach mehreren Vorbehandlungen<br />

und einem schlechten<br />

Karnofsky- Index, weit unter 50, sich<br />

eigentlich schon aufgegeben hatte.<br />

Seine Frau und ich konnten ihn dann<br />

doch zu einer Everolimus-Therapie<br />

überreden. Zwei Monate später hat<br />

mich dieser Patient angerufen und<br />

mir berichtet, dass <strong>für</strong> ihn der Frühling<br />

wieder angefangen hat. Aktuell<br />

nimmt er immer noch Everolimus. Er<br />

hat eine Stomatitis und fühlt sich<br />

Mit freundlicher Unterstützung der Novartis Pharma GmbH, Nürnberg.<br />

32 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2012</strong>; <strong>Sonderheft</strong><br />

langfristig deutlich mehr von der<br />

Therapie mit diesem oral verfügbaren<br />

mTOR-Inhibitor: Everolimus verlängerte<br />

das progressionsfreie Überleben<br />

(PFS) signifikant auf mehr als<br />

das Doppelte (4,6 Monate vs. 11,0 Monate;<br />

HR = 0,35; 95 %-KI 0,27–0,45;<br />

p < 0,0001). Nach 18 Monaten waren<br />

34,2 % der mit Everolimus behandelten<br />

Patienten progressionsfrei (8,9 %<br />

unter Placebo). Zugleich senkte der<br />

mTOR-Inhibitor das Risiko der Tumorprogression<br />

signifikant um 65 %<br />

(p < 0,0001). Bei knapp der Hälfte der<br />

Patienten wurde der Wirkstoff als<br />

Erstlinientherapie eingesetzt: Auch<br />

hier verlängerte Everolimus signifikant<br />

das PFS auf mehr als das Doppelte<br />

(11,4 vs. 5,4 Monate; p < 0,001).<br />

Gabriele Fischer von Weikersthal,<br />

München<br />

Referenzen:<br />

1. Yao et al. J Clin Oncol 2008; 26: 3063–3072<br />

2. Yao et al. New Eng J Med 2011; 364: 514–<br />

523<br />

etwas abgeschlagen, insgesamt hat er<br />

jedoch wieder an Gewicht zugenommen<br />

und es geht ihm besser.<br />

? Wie schätzen Sie den Stellenwert<br />

der Everolimus-Therapie bei<br />

fortgeschrittenen pNET ein?<br />

! Die Zulassungsstudie RADIANT-3<br />

ist ein evidenzbasierter Nachweis<br />

<strong>für</strong> die Wirksamkeit und auch <strong>für</strong><br />

die Eignung von Everolimus bei<br />

fortgeschrittenen pNET im klinischen<br />

Alltag. Es bleibt jedoch abzuwarten,<br />

wie ausgeprägt Nebenwirkungen<br />

im Rahmen der Langzeittherapie<br />

auftreten.<br />

Vielen Dank <strong>für</strong> das Interview!<br />

Referenz:<br />

1. Yao et al. New Eng J Med 2011; 364:<br />

514–523

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