Hammer Reformtag - Evangelische Kirche von Westfalen
Hammer Reformtag - Evangelische Kirche von Westfalen
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<strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong><br />
<strong>Kirche</strong> mit Zukunft - es geht weiter!<br />
<strong>Hammer</strong> <strong>Reformtag</strong> | 15. September 2007<br />
Dokumentation
INHALT<br />
<strong>Kirche</strong> mit Zukunft – es geht weiter............................... 2<br />
Impulsreferat <strong>von</strong> Sup. Peter Burkowski<br />
Ergebnisse der Arbeitsgruppen 1-12...............................17<br />
Nicht, dass ich´s schon ergriffen habe ... ....................... 29<br />
Predigt <strong>von</strong> Präses Buß zu Phil. 3, 12<br />
Herausgegeben vom Landeskirchenamt der<br />
<strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong><br />
Altstädter Kirchplatz 5, 33602 Bielefeld<br />
Redaktion: Christhard Ebert<br />
Die Dokumentation des <strong>Hammer</strong> <strong>Reformtag</strong>es<br />
kann zum Preis <strong>von</strong> drei Euro zzgl. Portokosten<br />
bestellt werden beim <strong>Evangelische</strong>n Medienhaus,<br />
1
SUPERINTENDENT PETER BURKOWSKI<br />
<strong>Kirche</strong> mit Zukunft – es geht weiter!<br />
Liebe Schwestern und Brüder,<br />
1. <strong>Kirche</strong>nreform als ständige Aufgabe der evangelischen <strong>Kirche</strong><br />
Es war am vorletzten Sonntag. Die <strong>Kirche</strong> war rappelvoll. Kein Wunder, immerhin<br />
feierten wir das 100. Jubiläum der alten Dame namens Kreuzkirche. Der Stadtteil<br />
war auf den Beinen, um dabei zu sein und zu gratulieren. Es war ein anrührender<br />
Gottesdienst, wunderbare Chormusik, eine Predigt, die die Herzen erreichte und mit<br />
der freundlichen Bitte endete, der 100jährigen Dame doch zum Geburtstag bloß<br />
kein Geld zu schenken. Sie – die alte Dame Kreuzkirche - freue sich mehr darüber,<br />
wenn alle am kommenden Sonntag wiederkämen und noch jemanden mitbringen<br />
würden. Denn darum sei sie da, die <strong>Kirche</strong>, um Gottes Liebe zu den Menschen zu<br />
tragen und die Freundlichkeit unseres Gottes zu feiern.<br />
Diese Gemeinde hat schon lange ein biblisches Leitbild. Es ist die Emmaus-Geschichte.<br />
Das Gemeindezentrum heißt so – und die Menschen in diesem Stadtteil<br />
können etwas damit anfangen. Dazu spiegelt sich der Emmaus-Weg vom Tod ins<br />
Leben in den neuen <strong>Kirche</strong>nfenstern wieder, hell – in kräftigen Farben. Man sieht<br />
der alten Dame die 100 Jahre nicht an nach dem facelifting, der großen Renovierung<br />
vor 10 Jahren.<br />
Reformprozesse beginnen nicht erst mit Beschlüssen oder Kampagnen, sondern<br />
waren und sind der Normalfall der evangelischen <strong>Kirche</strong> – eigentlich <strong>von</strong> Anfang an.<br />
Seit den Tagen der Reformation ist nichts so beständig wie die Veränderung. Dazu<br />
gab es im Laufe der Geschichte manchmal mehr Anlass und manchmal weniger.<br />
Aber immer wieder musste die reformatorische Frage gestellt werden, ob die <strong>Kirche</strong><br />
noch auf dem richtigen Weg ist, ob sie noch bei ihrer eigenen und eigentlichen<br />
Aufgabe ist, ob sie noch bei Gottes Auftrag ist, beim „gehet hin in alle Welt“ oder<br />
beim Wort aus dem 1. Petrusbrief: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu<br />
stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ (1. Petr. 3,15).<br />
Diese Frage ist quasi in das evangelische Selbstverständnis <strong>von</strong> Anfang an einge-<br />
2
aut, immer auch mit einem kritischen Blick auf die Institution <strong>Kirche</strong>, der sich hier<br />
und da auch auf die Organisation bezogen hat.<br />
Zugleich steht neben der Gestaltungsaufgabe in unserer <strong>Kirche</strong> und den Gemeinden<br />
aber auch die Begrenztheit unseres Wirkens, unseres Planens und Machens.<br />
Martin Luther sagt: „Denn wir sind es doch nicht, die da kündten die <strong>Kirche</strong> erhalten,<br />
unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen, unsere Nachkommen werdens<br />
auch nicht sein, sondern der ists gewest, ists noch, wird’s sein, der da spricht: ich<br />
bin bey euch bis zur welt ende.“<br />
Diese Vergewisserung ist gut in Zeiten des Umbruchs und der starken Veränderung<br />
der äußeren Gestalt unserer <strong>Kirche</strong>. Sie ist wichtig und grundlegend. Sie legt uns<br />
den Grund für alles Tun: nur mit Gottes Geist geht es weiter, nur im Hören auf<br />
Gottes Willen werden wir die richtigen Wege finden. In dieser Gewissheit und im<br />
Gebet haben vor 10 Jahren verantwortliche Menschen in unserer <strong>Kirche</strong> den Anstoß<br />
gegeben zu einem Reformprozess.<br />
Ich möchte uns ein wenig an diesen Weg der letzten 10 Jahre erinnern, möchte das,<br />
was wir in unserem westfälischen Reformprozess „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“ gemeinsam<br />
erarbeitet haben, in Beziehung setzen zum EKD-Impulspapier „<strong>Kirche</strong> der Freiheit“<br />
und dem Wittenberger Zukunftskongress. Und schließlich möchte ich versuchen<br />
festzuhalten, was wir beim Weitergehen im Gepäck behalten sollten, um es nicht zu<br />
verlieren.<br />
2. Erinnerung – 10 Jahre <strong>Kirche</strong>nreform in der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong><br />
Ja, es ist wirklich schon mehr als 10 Jahre her. Am 16. April 1997 hat die <strong>Kirche</strong>nleitung<br />
beschlossen, in unserer <strong>Kirche</strong> einen „Struktur- und Planungsausschuss“<br />
einzusetzen, der den Auftrag bekam:<br />
1. die landeskirchliche Ebene, also die Zahl und die Standorte der landeskirchlichen<br />
Ämter, Werke und Einrichtungen, zu überprüfen,<br />
2. sich das Zusammenspiel der drei kirchlichen Ebenen (<strong>Kirche</strong>ngemeinde,<br />
<strong>Kirche</strong>nkreis und Landeskirche) genauer anzusehen und<br />
3. die <strong>Kirche</strong>nkreis-Ebene und rechtliche Parallelstrukturen zu überprüfen.<br />
3
Der Grund für diese Entscheidung und diesen Auftrag war eigentlich kein anderer<br />
als der Grund für das Impulspapier der EKD im vergangenen Jahr. Die damals neu<br />
gewählte <strong>Kirche</strong>nleitung mit dem neu gewählten Präses Manfred Sorg hatte sich<br />
die Frage gestellt: Was passiert, wenn alles so weiter geht wie es jetzt ist? Was passiert,<br />
wenn nichts passiert?<br />
Schon damals war klar, was das Impulspapier noch viel deutlicher beschreibt. Neben<br />
den Folgen der Säkularisierungsprozesse in Westeuropa steht das, was wir vereinfachend<br />
Traditionsabbruch nennen. Fulbert Steffensky hat es einmal so formuliert,<br />
dass der Glaube, dass Spiritualität im Alltag auch eine Form braucht, weil<br />
sonst der Glaube verdunstet.<br />
Hierzu kam nun die Erkenntnis <strong>von</strong> Mitgliederverlust und der zurückgehenden Finanzmittel.<br />
Auf den Punkt gebracht geht es darum, das wir im Jahr 2030 etwa ein<br />
Drittel weniger Mitglieder haben werden und mit der Hälfte unserer Finanzkraft1 rechnen müssen. Diesen Herausforderungen kann mit „bloßen linearen Kürzungen in<br />
allen Bereichen…nicht mehr Rechnung getragen werden“ 2 . Von Anfang an wurde<br />
dies als eine geistliche Herausforderung angesehen, denn „in dieser Welt“ gilt die<br />
Sorge eben auch der Form, in der der Glaube lebendig sein kann und sich entfaltet.<br />
Aus heutiger Sicht können wir den damals Verantwortlichen nur danken für ihren<br />
verantwortlichen Beschluss, der den Reformprozess „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“ eröffnete<br />
und den richtigen Anstoß gab für viele Überlegungen in den dann folgenden Jahren.<br />
Ich möchte ausdrücklich heute diesen Dank aussprechen, weil ich auch weiß,<br />
wie viel Kritik und Gegenwind dieser Urspungsimpuls der <strong>Kirche</strong>nleitung Ende der<br />
90er Jahre ausgelöst hat und wie viel Kraft es brauchte, auf dem eingeschlagenen<br />
Weg zu bleiben.<br />
Aus meiner Sicht können wir drei Phasen unseres Reformprozesses „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“<br />
in der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong> beschreiben:<br />
Die erste Phase bezog sich auf die landeskirchliche Ebene und umfasste eine umfangreiche<br />
Konzentration und Neuzuordnung der Ämter, Werke und Einrichtungen.<br />
Ich will nur einige nennen, weil vielen <strong>von</strong> uns dieses gar nicht mehr so bewusst ist:<br />
4
• Zusammenlegung <strong>von</strong> Predigerseminar, Pastoralkolleg und Arbeitsstelle<br />
Gottesdienst und <strong>Kirche</strong>nmusik zum Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung<br />
am Standort Villigst.<br />
• Zusammenlegung <strong>von</strong> Akademie, Sozialamt, Umweltarbeit und Männerarbeit<br />
zum Institut für <strong>Kirche</strong> und Gesellschaft am Standort Iserlohn. Beim Stichwort<br />
„Standort Iserlohn“ wissen wir, dass hier inzwischen die Entwicklung<br />
weiter gegangen ist, der Standort wird aufgegeben und die Arbeit wird in<br />
Villigst konzentriert.<br />
• Zusammenlegung <strong>von</strong> Volksmissionarischem Amt und Gemeindeberatung<br />
zum Amt für missionarische Dienste in Dortmund mit Erweiterung der<br />
Aufgaben z. B. durch die Stadtkirchenarbeit.<br />
• Die Eingliederung des Dienstes an den Schulen ins Pädagogische Institut ist<br />
ebenso zu nennen wie die Aufgabe der Standorte Soest (Predigerseminar),<br />
Recklinghausen (Umweltbeauftragter) und Witten (Volksmissionarisches Amt).<br />
Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch die Reformvorlage „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“.<br />
Vorbereitet durch eine Befragung der damals 33 <strong>Kirche</strong>nkreise und der Arbeit in drei<br />
Projektgruppen erschien im Frühjahr 2000 das Heft „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft, Zielorientierungen<br />
für die <strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong>, Reformvorlage 2000“ .<br />
Die 100seitige Reformvorlage versucht, die gesellschaftlichen, die demographischen,<br />
die finanziellen und die eigenen Herausforderungen zu beschreiben und<br />
Handlungsmöglichkeiten in verschiedenen Hinsichten zu entwickeln. In einem etwa<br />
einjährigen Stellungnahmeverfahren wurde die Vorlage in den Gremien intensiv<br />
beraten und am Ende standen etwa 440 Stellungnahmen auf 1100 Druckseiten mit<br />
113 Anträgen an die Landessynode 2001.<br />
Es gab Zustimmung, Kritik und viele offene Fragen, die die Landessynode 2001<br />
aufgenommen, intensiv diskutiert und weitergeführt hat. Mit den Beschlüssen der<br />
Landessynode 2001 begann ein Prozess, in dem die Gestaltungsräume gebildet und<br />
konkrete Aufträge auf den Weg gebracht wurden. Diese Aufträge führten in den<br />
Folgejahren zu Beschlüssen und Umsetzungen3 .<br />
5
Wesentlich und grundlegend war dabei die Vergewisserung über unser <strong>Kirche</strong>nverständnis<br />
in den beiden Heften „ Unser Leben – Unser Glaube – Unser Handeln“ und<br />
„Unsere Geschichte – Unser Selbstverständnis“.<br />
Hier haben wir geklärt, welche Geschichte uns geprägt hat und welches Bild <strong>von</strong><br />
<strong>Kirche</strong> uns heute trägt und in Zukunft tragen soll:<br />
Eine <strong>Kirche</strong>, die aus der Befreiung der Rechtfertigung lebt und handelt, in der das<br />
allgemeine Priestertum aller Getauften und das Amt der öffentlichen Verkündigung<br />
aufeinander bezogen sind.<br />
Eine <strong>Kirche</strong>, die sich in ihrer Ordnung <strong>von</strong> der Gemeinde her aufbaut und deren<br />
Leitung auf drei Ebenen wahrgenommen wird.<br />
Eine <strong>Kirche</strong>, die durch gemeindliche und durch gemeinsame Dienste, durch die<br />
Ortsgemeinden und die funktionalen Arbeitsbereiche im Alltag der Menschen und in<br />
der Gesellschaft präsent sein möchte.<br />
Der Prozesslenkungsausschuss hat sich <strong>von</strong> vier Zielen leiten lassen, die die Aufmerksamkeit<br />
bündeln sollten:<br />
• Menschen gewinnen<br />
• Mitgliedschaft stärken<br />
• Verantwortung übernehmen<br />
• Glauben vermitteln4 .<br />
Diese 2. Phase unseres Reformprozesses endete mit der Landessynode 2005, die in<br />
einem fast einstimmigen Votum alle Verantwortlichen in unserer <strong>Kirche</strong> aufgefordert<br />
hat, die Ergebnisse des Reformprozesses ausdrücklich und verbindlich in ihre<br />
Beratungen und Entscheidungen aufzunehmen. Aus der großen Zahl der Ergebnisse<br />
möchte ich einige Beispiele nennen:<br />
• das <strong>Kirche</strong>nbild der Ev. <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong> in seinen beiden Teilen –<br />
und hierin besonders die zehn Leitsätze, die tragend geworden sind für viele<br />
konzeptionelle Zugänge<br />
• die Arbeitshilfe zur Erarbeitung <strong>von</strong> Gemeindekonzeptionen und <strong>Kirche</strong>nkreiskonzeptionen<br />
• den Leitfaden für regelmäßige Mitarbeitendengespräche<br />
6
• die Grundsätze für Führung, Leitung und Zusammenarbeit<br />
• die Arbeitshilfe zur Mitgliederorientierung<br />
• das Finanzausgleichsgesetz<br />
• oder den Förderpreis für kreatives Ehrenamt5 Gleichzeitig wurde 2005 ein weiterer Schritt getan. Die Landessynode hat einen<br />
Doppelpunkt gesetzt.<br />
Und damit bin ich bei der dritten Phase. Ich würde sie gern „die Phase der Klärungen<br />
und Umsetzungen“ nennen. Wer viel Papier erzeugt, verändert noch keine<br />
Wirklichkeit. Aber darum geht es zur Zeit.<br />
Wie können wir uns auf die Veränderungen einstellen, die wir jetzt schon spüren:<br />
Weniger Gemeindeglieder, weniger Geld, weniger öffentliche Akzeptanz? Was kann<br />
unser Beitrag sein, die Situation zu verändern? Wohin geht unser Weg? Wozu sind<br />
wir da als evangelische Gemeinde an diesem Ort? Müssen wir noch alles machen<br />
oder müssen wir uns konzentrieren? Und wenn ja, was sind unsere Aufgaben? Und<br />
wer macht das dann? Wie können wir wachsen? Wie kommen wir in Kontakt mit<br />
denen, die wir noch nicht kennen?<br />
In nahezu allen Bereichen unserer <strong>Kirche</strong> werden die regelmäßigen Mitarbeitendengespräche<br />
als gutes Mittel für notwendige Klärungen angesehen.<br />
Ich spüre in vielen Gemeinden, dass die Frage nach dem Wohin und Wozu dran ist.<br />
Einige sind dankbar über die Arbeitshilfe für Konzeptionen. Andere gehen andere<br />
Wege. Aber gemeinsam spüren wir, dass wir uns der Frage nach dem Ziel unserer<br />
Arbeit, nach einer verlässlichen Organisation, dass wir uns der Frage nach dem<br />
Auftrag und der Konzeption, auch nach Verantwortung und Klärungen nicht mehr<br />
entziehen können.<br />
In freier Entscheidung sollen sich nun alle Verantwortlichen auf allen Ebenen unserer<br />
<strong>Kirche</strong> die bisherigen Prozesse für ihr jeweiliges Handeln zu Eigen machen.<br />
Reform in der evangelischen <strong>Kirche</strong> entfaltet ihre Verbindlichkeit dadurch, dass sie<br />
in qualifizierter Form anerkannt und hergestellt wird: vor allem durch Beschlüsse<br />
<strong>von</strong> Presbyterien und Kreissynoden.<br />
7
Die Landessynode hat einen Reformbeirat unter dem Vorsitz <strong>von</strong> Oberkirchenrätin<br />
Doris Damke eingesetzt, der den Auftrag hat, die Umsetzungen der Veränderungsprozesse<br />
zu begleiten und zu unterstützen. Es geht darum, in dieser Phase, die Veränderungen,<br />
die auf den Weg gebracht wurden, zu verwurzeln, zu verstetigen. Mit<br />
bestimmten Themenschwerpunkten sind wir immer noch auf dem Weg. Ich denke<br />
an das Thema „Pfarrdienst“ oder die Frage der Implantation <strong>von</strong> Konzeptionen in<br />
<strong>Kirche</strong>nkreisen und <strong>Kirche</strong>ngemeinden. Der Reformbeirat trägt Impulse ein und ist<br />
bis 2008 berufen.<br />
Natürlich gehört auch die Verknüpfung des EKD-Impulses „<strong>Kirche</strong> der Freiheit“ mit<br />
dem westfälischen Reformprozess zu den Aufgaben des Reformbeirats. Auch dieser<br />
„<strong>Hammer</strong> <strong>Reformtag</strong>“ gehört zu den Aufgaben des Reformbeirats. Und damit bin ich<br />
bei meinem dritten Punkt:<br />
3. Das Impulspapier „<strong>Kirche</strong> der Freiheit“ als Verstärkung des westfälischen<br />
Prozesses<br />
Im vergangenen Jahr erschien das Impulspapier der EKD „<strong>Kirche</strong> der Freiheit“. Es<br />
hat in der Presse und in der innerkirchlichen Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit<br />
erfahren. Es gab eine Fülle sehr unterschiedlicher Reaktionen, die – in einer Auswahl<br />
– inzwischen in einem Materialband veröffentlicht wurden.<br />
Mein Eindruck ist, dass in unserer Landeskirche sowohl die Reaktion als auch die<br />
Aufregung über das EKD-Impulspapier relativ gering war. Vielleicht liegt es daran,<br />
dass vieles, was für Aufregung sorgte, bei uns im Rahmen des Reformprozesses<br />
schon durchgesprochen und ausdiskutiert worden ist.<br />
Denn manche Kritik kommt einem westfälischem Ohr sehr vertraut vor: theologisch<br />
zu schwach, kirchlicher Zentralismus, Überforderung, das Bestehende wird<br />
schlecht gemacht, Zerstörung gewachsener Strukturen6 .<br />
Auch die Ausgangsfrage kennen wir gut: Wie wird die evangelische <strong>Kirche</strong> im Jahr<br />
2030 unter den veränderten Rahmenbedingungen aussehen? Wie soll sie aussehen?<br />
Und was wäre heute zu verändern, wenn man nicht einfach mit „Weiter so!“<br />
zufrieden sein kann?<br />
8
Die geschenkte Freiheit des Glaubens spiegelt sich im westfälischen Reformprozess<br />
in unserem <strong>Kirche</strong>nbild oder in den Zielen des Reformprozesses deutlich wieder. Im<br />
Impulspapier der EKD ist sie so etwas wie der Herzschlag, der sich durch die Perspektiven<br />
für das Jahr 2030 (die sog. 12 Leuchtfeuer) zieht.<br />
<strong>Evangelische</strong> Freiheit ist dabei zugleich Freiheit <strong>von</strong> und Freiheit zu. Es geht darum,<br />
sich frei zu machen <strong>von</strong> den bisherigen Bindungen und Begrenzungen und die<br />
Freiheit zu einer jeweils neuen Perspektive zu gewinnen.<br />
Die Leuchtfeuer sollen <strong>von</strong> vier grundlegenden Motiven durchzogen und geprägt<br />
sein:<br />
• Von undeutlicher Aktivität hin zu geistlicher Profilierung<br />
„Wo evangelisch draufsteht, muss Evangelium erfahrbar sein. In diesem Motiv<br />
scheint das biblische Bild vom Licht der Welt auf, <strong>von</strong> dem Licht, das nicht unter dem<br />
Scheffel gestellt werden soll (vgl. Lukas 11,33).“<br />
• Vom Zwang zur Vollständigkeit hin zu Schwerpunktsetzung<br />
„Kirchliches Wirken muss nicht überall vorhanden sein, wohl aber überall sichtbar.<br />
Hier ist an die vielfältige Bedeutung des zeichenhaften Handelns Jesu zu denken.“<br />
• Von Klammern an Strukturen hin zu Beweglichkeit in den Formen<br />
„Nicht überall muss um des gemeinsamen Zieles willen alles auf dieselbe Weise<br />
geschehen; vielmehr kann dasselbe Ziel auch auf verschiedene Weise erreicht werden.<br />
Im Bild ‚vom Leib Christi’ darf man ‚den Juden ein Jude und den Griechen ein<br />
Grieche’ sein. (vgl. 1. Korinther 9,20).“<br />
• Von Selbstgenügsamkeit hin zu Außenorientierung<br />
Auch der Fremde soll Gottes Güte erfahren können, auch der Ferne gehört zu Christus.<br />
Das Bild vom ‚Christus als Haupt der Gemeinde’ veranschaulicht, dass seine<br />
Gegenwart in der Welt immer größer und weiter ist als der je eigene Glaube und die<br />
je eigene Gemeinde (vgl. Kolosser 1,15ff.).“<br />
In 12 Leuchtfeuern beschreibt das Impulspapier die als notwendig angesehenen<br />
Veränderungsschritte bis 2030. Es geht um jeweils drei Dimensionen unter vier<br />
großen Überschriften:<br />
9
• Aufbruch in den kirchlichen Kernangeboten<br />
• Aufbruch bei allen kirchlichen Mitarbeitenden<br />
• Aufbruch beim kirchlichen Handeln in der Welt<br />
• Aufbruch bei der kirchlichen Selbstorganisation.<br />
Die vier Foren des heutigen Tages nehmen diese Aufbrüche auf und führen sie sozusagen<br />
auf westfälische Weise weiter.<br />
In den Leuchtfeuern finden sich große Übereinstimmungen mit dem Grundanliegen<br />
der Reformvorlage „<strong>Kirche</strong> der Zukunft“ und dem, was wir in unserem <strong>Kirche</strong>nbild<br />
formuliert haben. An einigen Stellen ist zu spüren, dass wir es mit einer EKD-weiten<br />
Vorlage zu tun haben, die eben auch die – ganz anderen – Verhältnisse im Süden<br />
oder im Osten unseres Landes mit im Blick haben muss.<br />
Das Impulspapier ist ein starker, ein kräftiger Impuls gewesen. Aus meiner Sicht war<br />
er wichtig und „dran“. Man kann manches kritisch oder anders sehen, man kann das<br />
Fehlen der ökumenischen Dimension oder der Gerechtigkeitsfrage in diesem Papier<br />
beklagen, man kann auch die Frage stellen, ob die Machbarkeitssprache, die das<br />
Impulspapier durchzieht, so glücklich gewählt ist, und dennoch finde ich dieses<br />
Impulspapier wichtig und gut und „dran“, weil es deutlich macht – öffentlich und<br />
klar, dass wir uns um die Zukunft unserer <strong>Kirche</strong> sorgen und kümmern, dass wir uns<br />
auf den Weg machen und schon längst gemacht haben, dass Christinnen und<br />
Christen keine Angst vor Veränderungen haben und Herausforderungen mit Gottes<br />
Hilfe begegnen wollen.<br />
Vielleicht einige Anmerkungen zum Zukunftskongress in Wittenberg im Januar<br />
2007: Wichtiger als die Ergebnisse, die allesamt aus den zwölf Foren veröffentlicht<br />
worden sind und die Leuchtfeuer ganz stark „geerdet“ haben, waren – aus meiner<br />
Sicht, die große Gemeinschaft und die geistlichen Impulse, die Gottesdienste und<br />
Bibelarbeiten. Die Freiheit, <strong>von</strong> der wir geredet haben, war auch spürbar unter uns.<br />
Trotz sehr unterschiedlicher Haltungen und Meinungen war dieses ein Ort des<br />
Glaubens und des Gesprächs. Bischof Huber sagte zu Beginn: „Dass wir den Sorgengeist<br />
hinter uns lassen und uns dem Geist der Freiheit anvertrauen, ist das<br />
Wichtigste, was zu Beginn dieses Zukunftskongresses überhaupt geschehen kann.“ 8<br />
10
Vielleicht kann das ja auch unseren Tag heute hier in Hamm stark bestimmen und<br />
prägen, dass wir uns der Zusage Gottes anvertrauen, dessen Geist der Freiheit den<br />
Sorgengeist vertreibt.<br />
An zwei Stellen führt der EKD-Impuls weit über den westfälischen Reformprozess<br />
„<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“ hinaus und setzt deutlichere Akzente als wir es bisher in unserer<br />
<strong>Kirche</strong> getan haben: Es geht um eine Erweiterung des Gemeindebegriffes und<br />
um die Frage nach der Qualität kirchlicher Arbeit und pastoralen Handelns.<br />
1. Gemeindeformen<br />
Welche Gemeindeformen wird eine <strong>Kirche</strong> im Jahr 2030 haben? Im zweiten Leuchtfeuer<br />
wird für eine größere Vielfalt evangelischer Gemeindeformen plädiert. Neben<br />
die Parochie, neben die Ortsgemeinde treten andere Formen: Profilgemeinden mit<br />
einem besonderen geistlichen, kirchenmusikalischen, sozialen oder jugendbezogenen<br />
Schwerpunkt; geistliche Richtungsgemeinden; Passantengemeinden oder<br />
Mediengemeinden. Diese Diskussion haben wir bisher in unserer <strong>Kirche</strong> noch nicht<br />
richtig begonnen. Wir sollten sie dringend aufnehmen und weiterführen. Zwei<br />
Arbeitsgruppen des heutigen Tages bearbeiten dieses Thema.<br />
Aber wir sollten auch gleich im Blick behalten, was die Sache erst richtig aufregend<br />
macht. Das ist nämlich die dahinter liegende Frage nach der Verteilung der<br />
Finanzmittel. Zugespitzt formuliert und gefragt: Bekommt 2030 die Gemeinde oder<br />
Gemeindeform am meisten Geld, bei denen am meisten los ist, die am meisten<br />
aktive Mitglieder aufweist und den besten Gottesdienstbesuch hat? Hierin liegt<br />
auch die Frage: Wieviel Vielfalt – ich sage bewusst nicht Markt - an Angeboten<br />
und Formen wollen wir? Wollen wir das überhaupt? Und: Wie gehen wir dann mit<br />
Konkurrenz um?<br />
2. Qualität<br />
Die Frage nach der Qualität kirchlicher Arbeit und gemeindlicher Angebote ist gestellt<br />
(1. Leuchtfeuer) und nach meinem Eindruck gibt es bei vielen ein erleichtertes<br />
Aufatmen darüber, dass hiermit das „heimliche Schweigegebot über die geistliche<br />
Qualität kirchlicher Angebote“ 9 aufgehoben wurde. Auch hier sollten wir den<br />
Impuls aus dem gleichnamigen Papier aufnehmen und bei uns ins Gespräch brin-<br />
11
gen. Auch hierzu gibt es heute Gelegenheit in unseren Arbeitsgruppen.<br />
Dabei sollten wir uns aber auch klarmachen, dass auch hier die Frage nach Zahlen<br />
zu stellen sein wird. Was ist eigentlich so schlimm an dem Vorschlag des EKD-<br />
Papiers, dass wir uns vornehmen sollten, den Gottesdienstbesuch <strong>von</strong> 4 auf 10 % zu<br />
verbessern, oder dass es unser Ziel sein müsste, die Kinder aller evangelischen Eltern<br />
zu taufen? Ich glaube, hier muss das Gespräch unter uns beginnen oder dort anschließen,<br />
wo wir schon gute Erfahrungen gemacht haben.<br />
Einige in unserer <strong>Kirche</strong> haben bereits Standards für Amtshandlungen beschrieben:<br />
Was können Sie <strong>von</strong> uns erwarten? Was erwarten wir <strong>von</strong> Ihnen?<br />
Andere haben eine gute Feedback-Kultur eingeübt und spüren, wie hilfreich und<br />
entlastend Rückmeldungen sein können. Auch hier fangen wir nicht bei Null an,<br />
sondern gehen weiter.<br />
4. Es geht weiter! Was dürfen wir auf dem Weg nicht verlieren?<br />
4.1. Auftragsklarheit<br />
Durch unsere Taufe sind wir zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen. Damit<br />
sind wir alle <strong>von</strong> Gott in diese Welt gestellt, in Dienst genommen und beteiligt an<br />
der Kommunikation des Evangeliums, der guten Botschaft <strong>von</strong> Gott. Wir sind beteiligt<br />
an Gottes Gerechtigkeitshandeln in dieser Welt – als Befreite sind wir beauftragt.<br />
Unseren Auftrag als Christin und Christ, unseren Auftrag als <strong>Kirche</strong>ngemeinde und<br />
<strong>Kirche</strong> immer wieder zu erinnern, uns zu vergewissern – das ist unsere erste Aufgabe:<br />
im Gebet, in der Gemeinschaft, im Gespräch und im Gottesdienst.<br />
Darum bin ich dankbar für die zehn Leitsätze unsers <strong>Kirche</strong>nbildes, wo es z. B. heißt:<br />
„Wir machen Menschen Mut zum Glauben.<br />
Weil wir das Handeln Gottes als heilsam für unser Leben erfahren, wollen wir das<br />
Evangelium mit allen Menschen teilen. Darum erzählen wir immer wieder <strong>von</strong><br />
Gottes befreiender Liebe, ermutigen zum Vertrauen auf Christus und bieten Gemeinschaft<br />
in seiner <strong>Kirche</strong> an. Glaube entsteht, wo Menschen dem Evangelium<br />
Vertrauen schenken.“<br />
12
Das ist unsere erste Aufgabe, die wir nicht verlieren dürfen: die Klarheit über unseren<br />
Auftrag zu bewahren und ins Gespräch zu bringen.<br />
4.2. … und immer wieder: die Herausforderungen begreifen und annehmen<br />
Auch wenn es manchmal viel bequemer wäre, den Realitäten auszuweichen, die<br />
Entwicklungen beiseite zu schieben oder den Prognosen zu misstrauen, wir dürfen<br />
den Wirklichkeiten nicht ausweichen. Zur guten Haushalterschaft und zum verantwortlichen<br />
Handeln gehört auch immer eine nüchterne Bilanz der Situation.<br />
Deshalb bin ich für die Klarheit dankbar, in der sowohl in „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“ als<br />
auch im Impulspapier der EKD „<strong>Kirche</strong> der Freiheit“ die äußeren Faktoren, die uns<br />
bestimmen und bestimmen werden, beim Namen genannt werden.<br />
Zum einen bin ich dankbar für diese Klarheit, weil sie uns ermahnt, dass wir uns<br />
genau diesen Herausforderungen stellen und keine Ausreden suchen.<br />
Zum anderen bin ich dankbar dafür, weil sie uns entlastet. Denn ich glaube, wir<br />
brauchen vor einer Beschreibung der Qualität unserer Arbeit insgesamt keine Angst<br />
zu haben. Auf vielen Feldern sind wir wirklich gut. Ich glaube z. B., man kann voller<br />
Überzeugung behaupten, dass sich die Qualität des kirchlichen Unterrichts in den<br />
letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat, dass sich die Qualität der Schulgottesdienste<br />
deutlich verbessert hat und dass die Qualität des seelsorglichen Gesprächs<br />
sich deutlich verbessert hat.<br />
Wir müssen die Qualität oder Quantität unserer Arbeit nicht ursächlich und grundsätzlich<br />
für die Entwicklungen verantwortlich machen, sondern dürfen auch entlastend<br />
zur Kenntnis nehmen, dass diese Welt sich in grundlegender Weise mit hoher<br />
Geschwindigkeit verändert. Das spüren auch die Parteien, die Gewerkschaften,<br />
die Vereine und die Medien. In diesem Zusammenhang sollten wir die Erkenntnisse<br />
der Sozialwissenschaften sehr ernst nehmen. Das kann entlasten und Orientierung<br />
bieten. 10<br />
4.3. Mentalitätswandel<br />
Wir sollten außerdem beherzigen, was das Impulspapier „<strong>Kirche</strong> der Freiheit“ mit<br />
13
„Mentalitätswandel“ beschreibt. Es geht darum, eine einladende <strong>Kirche</strong> zu sein, in<br />
der Menschen nicht deshalb interessant sind, weil man neue Mitglieder gewinnen<br />
will, sondern weil Gott schon längst bei ihnen zu Hause ist. Es geht darum, eine<br />
einladende <strong>Kirche</strong> zu sein, zu der wir <strong>von</strong> Herzen gern einladen, über die wir gern<br />
öffentlich sprechen, in der etwas vom Geist der Freiheit spürbar ist und nicht der<br />
Sorgengeist regiert oder die Klage darüber, dass früher alles besser war.<br />
Mit „Mentalitätswandel“ ist zum einen eine Haltung der Zuversicht und Verheißung<br />
angesprochen, die sich nicht <strong>von</strong> der Sorge um das Bestehende allein gefangen<br />
nehmen lässt, sondern Veränderungen annehmen und gestalten will.<br />
„Mentalitätswandel“ hat aber auch eine inhaltliche Seite. Er fordert uns heraus und<br />
fragt uns, ob wir genug dafür tun, dass Menschen uns verstehen. Er fragt uns nach<br />
unserer Sprache, er fragt uns danach, ob wir die Differenzierung der gesellschaftlichen<br />
Milieus mit ihren verschiedenen Sprach- und Verhaltensformen wahrnehmen<br />
und annehmen. Er fragt uns, ob wir wirklich ein Interesse haben an denen,<br />
denen wir, denen die <strong>Kirche</strong> unbekannt geworden ist, die den Kontakt verloren haben<br />
oder nie einen hatten.<br />
„Mentalitätswandel“ fragt – in tiefer Weise – nach der missionarischen Dimension<br />
unseres Handelns. Darum dürfen wir die Frage nicht verlieren auf unserem Weg.<br />
4.4. Grundaufgabe: geistliche Leitung<br />
Ich habe in den letzten Jahren immer wieder eine Erfahrung gemacht, die die<br />
meisten <strong>von</strong> Ihnen – in welchen Rollen auch immer – gut kennen und teilen werden.<br />
Als die Reformvorlage veröffentlicht wurde, war die häufigste Reaktion: Das<br />
nicht auch noch! Als ich mit der Bitte kam, doch die beiden Hefte zum <strong>Kirche</strong>nbild<br />
im Presbyterium zu besprechen, war die Reaktion: Das nicht auch noch! Als die<br />
Bitte um die Erstellung <strong>von</strong> Gemeindekonzeptionen weitergegeben wurde, war die<br />
Reaktion: Das nicht auch noch! Als das EKD-Papier erschien, war die Reaktion … Sie<br />
wissen schon.<br />
Wir haben in unseren Leitungsgremien viel zu tun. Viele Punkte stehen auf den Tagesordnungen<br />
unserer Sitzungsvorlagen. Ich weiß, wo<strong>von</strong> ich rede. Gleichzeitig will<br />
14
aber die Klage auch nicht verstummen, dass wir viel zu wenig zu inhaltlichen<br />
Punkten und über geistliche Themen miteinander ins Gespräch kommen. Das gilt für<br />
Presbyterien ebenso wie für Kreissynodalvorstände.<br />
Nach unserer <strong>Kirche</strong>nordnung wacht das Presbyterium darüber, dass in der Gemeinde<br />
das Evangelium rein und lauter verkündigt wird und die Sakramente recht<br />
verwaltet werden. Es ist darauf bedacht, dass der missionarische, diakonische und<br />
ökumenische Auftrag der <strong>Kirche</strong>ngemeinde erfüllt wird, es ist verantwortlich für die<br />
hauptamtlich und ehrenamtlich Mitarbeitenden (vgl. Art. 56 und 57 KO).<br />
Dieses ist die Grundaufgabe der geistlichen Leitung einer <strong>Kirche</strong>ngemeinde, vor die<br />
eine Gemeindeleitung an jedem Ort und zu jeder Zeit neu gestellt ist. Wie sind wir<br />
Gemeinde Jesu Christi an diesem Ort und zu unserer Zeit? Diese Frage gilt es zu<br />
beantworten. Heute müssen wir sicher hinzufügen: Und wie geht das mit den<br />
knapper werdenden Ressourcen?<br />
Die Grundfragen des Reformprozesses sind also nicht etwas, was zusätzlich hinzukommt<br />
und „auch noch“ zu erledigen ist, sondern die grundlegende Leitungsaufgabe<br />
einer <strong>Kirche</strong>ngemeinde oder eines <strong>Kirche</strong>nkreises: Wie erfüllen wir unseren<br />
Auftrag an diesem Ort in unsere Zeit? Diese Frage kann ich verschieden bearbeiten<br />
oder beantworten. Es kann in der Form der Erarbeitung einer Gemeinde- oder <strong>Kirche</strong>nkreiskonzeption<br />
geschehen, in der geklärt wird, welche Schwerpunktsetzungen<br />
oder welche Profile gewählt und wie dieses organisiert werden kann. Auch andere<br />
Formen sind denkbar.<br />
Aber zu unserer Leitungsverantwortung gehört immer eine geistlich-theologische<br />
Vergewisserung über den Auftrag einer christlichen Gemeinde und ebenso über die<br />
Art und Weise, wie er wahrgenommen werden soll.<br />
Die Klärung <strong>von</strong> Aufgaben und Zielen, die Erarbeitung einer Konzeption ist also<br />
keine besondere Aufgabe in Reformprozessen, sondern eine Grundaufgabe in unserer<br />
Leitungsverantwortung. Sie hat Priorität, gibt Orientierung für Mitarbeitende<br />
und macht auskunftsfähig im Dialog mit den Menschen.<br />
<strong>Kirche</strong> mit Zukunft – es geht weiter! Und auf diesem Weg sind wir gut beraten,<br />
wenn wir unser Reden und Handeln <strong>von</strong> dem bestimmen lassen, was wir hoffen. Im<br />
Aufgeben und Zurücklassen der Osterbotschaft zu trauen; im Mangel die Hoffnung<br />
15
auf Gottes Himmel und Gottes neue Erde wach zu halten; auch das spüre ich unter<br />
uns. Das ist die Hoffnung, die nicht zuschanden wird, die Glaubenszuversicht, die<br />
uns unterscheidet <strong>von</strong> der Welt und dem Alltagsgejammer unserer Zeit. „Ebenso wie<br />
vom Glauben zu sagen ist, dass er durch die Liebe tätig ist, so ist <strong>von</strong> ihm auch zu<br />
sagen, dass er an der Hoffnung nicht irre wird. Die <strong>Kirche</strong> ist eine Gemeinschaft<br />
leidenschaftlicher Hoffnung“ 11 . Und wenn wir uns daran erinnern lassen durch<br />
unseren Gott und untereinander, dann geht es weiter: in eine gute Zukunft einer<br />
<strong>Kirche</strong> der Freiheit.<br />
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!<br />
Anmerkungen<br />
1 Vgl. <strong>Kirche</strong> der Freiheit S. 21/22; <strong>Kirche</strong> mit Zukunft S. 23ff.<br />
2 Beschluss der <strong>Kirche</strong>nleitung der EKvW vom 16.04.97<br />
3 Vgl. Bericht über den Stand des Reformprozesses „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“, Verhandlungen der 15.<br />
Westfälischen Landessynode 2005 – S. 66ff; zur Einordnung des westfälischen Reformprozesses: Jens<br />
Beckmann, Wohin steuert die <strong>Kirche</strong>?, Die evangelischen Landeskirchen zwischen Ekklesiologie und<br />
Ökonomie, Stuttgart 2007.<br />
4 Die Reihenfolge beschreibt keine Priorisierung.<br />
5 Vgl. Bericht über den Stand des Reformprozesses „<strong>Kirche</strong> mit Zukunft“, Verhandlungen der 15.<br />
Westfälischen Landessynode 2005 – S.207ff.<br />
6 hier im Hinblick auf die Zahl der Landeskirchen – bei uns im Blick auf die <strong>Kirche</strong>nkreise<br />
7 Zitate aus: <strong>Kirche</strong> der Freiheit – S. 45<br />
8 Zukunftskongress der Ev. <strong>Kirche</strong> in Deutschland – Dokumentation – S. 28<br />
9 <strong>Kirche</strong> der Freiheit – S. 51<br />
10 Vgl. Konzentration auf die Zukunft! Zehn Fakten zur Situation der <strong>Kirche</strong>; epd-Dokumentation 25/<br />
2007 S. 5ff; Christof Wolf, Kein Anzeichen für ein Wiedererstarken der Religion, Informationsdienst<br />
Soziale Indikatoren, Ausgabe 37, Januar 2007 – S. 7ff.<br />
16
Ergebnisse AG 1<br />
IN GOTTESDIENSTEN UND KASUALIEN MENSCHEN GEISTLICHE HEIMAT BIETEN.<br />
These:<br />
Gottes Gegenwart bietet Menschen geistliche Heimat.<br />
Kommentar:<br />
Wir bieten sowohl im <strong>Kirche</strong>njahr als auch im Lebenslauf verlässliche Zeiten und<br />
Räume an, in denen Mensch und Gott einander begegnen können. Alle Mitwirkenden<br />
in einem Gottesdienst sind sich bewusst, dass sie an dieser Begegnung teilhaben.<br />
In Wort und Sakrament wird die Gegenwart Gottes gefeiert. Ein ansprechend<br />
gestalteter Raum und eine gastfreundliche Atmosphäre helfen den Menschen, sich<br />
wohl zu fühlen und zu öffnen. Die Liturgie führt als ein klar erkennbarer Weg durch<br />
den Gottesdienst. Die Predigt als lebensnahe Verkündigung der biblischen Botschaft<br />
bildet eine Einheit mit der Liturgie und der musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes.<br />
Die kontinuierliche Fortbildung und kollegiale Beratung aller Mitwirkenden<br />
sind selbstverständlich. Der Gottesdienst ist Zentrum des Gemeindelebens und<br />
das Gemeindeleben trägt den Gottesdienst.<br />
Empfehlung:<br />
Gottesdienst und Gemeindeleben sind stärker zu vernetzen. Fortbildung und kollegiale<br />
Beratung sind gerade unter dem Gesichtspunkt <strong>von</strong> Qualitätsaspekten zu<br />
intensivieren.<br />
Weiteres Material:<br />
Sup. Anke Schröder, Pfr. Michael Krause: „Grundlegende Überlegungen“<br />
(www.reformprozess.de)<br />
17
Ergebnisse AG 2<br />
WAS MACHT GEMEINDE ZUR GEMEINDE?<br />
These:<br />
Um der Weitergabe des Glaubens und der Menschen willen werden in der EKvW die<br />
Parochie weiterentwickelt und ergänzende Gemeindeformen in den Blick genommen.<br />
Kommentar:<br />
In <strong>Westfalen</strong> vollzieht sich eine Flexibilisierung bzw. Ausdifferenzierung alternativer<br />
bzw. parochieergänzender Gemeindeformen, z. B. in Jugendkirchen, Citykirchen<br />
oder Richtungsgemeinden. Aber es besteht die Notwendigkeit, sich intensiv auf<br />
allen kirchlichen Ebenen damit zu befassen. Wir wünschen uns in unserer <strong>Kirche</strong><br />
mehr Mut und Entschlossenheit, neue Formen gemeindlichen Lebens auszuprobieren,<br />
damit mehr Menschen die Chance haben, das Evangelium zu hören und evangelische<br />
Glaubenspraxis kennen zu lernen.<br />
Empfehlung:<br />
Auch wenn die Zugehörigkeit zur Gemeinde am Wohnort (Parochie) weiterhin den<br />
Normalfall darstellen wird, sollte die EKvW <strong>Kirche</strong>nmitgliedern ebenso in anderen<br />
Gemeindeformen Beheimatung ermöglichen und dafür die rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
bis hin zur personellen und finanziellen Förderung schaffen bzw. sicherzustellen.<br />
Dazu bedarf es noch einer sorgfältigen theologischen und juristischen<br />
Klärung des Gemeindebegriffs.<br />
Weiteres Material:<br />
Pfr. Klaus.-J. Diehl, Pfr. Christoph Meyer: „Plädoyer für eine Vielfalt <strong>von</strong> Gemeindeformen“<br />
(Impulsreferat)<br />
(www.reformprozess.de)<br />
18
Ergebnisse AG 3<br />
PROFILIERUNG DER ORTSGEMEINDEN IM REGIONALEN KONTEXT.<br />
These:<br />
Gemeinden, die regional zusammenarbeiten, haben gute Zukunftsaussichten.<br />
Kommentar:<br />
Gemeinden, die in der Region zusammenarbeiten, schärfen ihr eigenes Profil und<br />
profitieren <strong>von</strong> den Stärken der anderen Gemeinden. Ihre Angebote können sich<br />
besser an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und erreichen eine größere<br />
Ausstrahlungskraft in der Region, ohne die lokale Bindung zu verlieren. Voraussetzung<br />
für die Zusammenarbeit ist eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens, die<br />
Zeit zum Wachsen braucht.<br />
Empfehlung:<br />
Gemeinden sollten künftig lernen, in Ergänzung statt in Konkurrenz zu denken.<br />
Dazu ist eine Kultur des offenen und wertschätzenden Gesprächs hilfreich, um –<br />
kleinschrittig zunächst und mit Hilfe externer Moderation oder Beratung – gemeinsame<br />
Projekte zu initiieren und bei der Erstellung <strong>von</strong> Gemeindekonzeptionen Profil<br />
und Angebot der Nachbargemeinden mitzubedenken.<br />
Dazu sollten die <strong>Kirche</strong>nkreise Beratungsangebote und Ressourcen zur Verfügung<br />
stellen sowie die Kommunikation zwischen leitenden Gemeindegremien unterstützen.<br />
Weiteres Material:<br />
Pfr. Frank Großer: „4K Hattingen – Ein Beispiel für Profilierung <strong>von</strong> Ortsgemeinden<br />
im regionalen Kontext“<br />
Pfr. Michael Westerhoff: „Wertschätzende Erkundung. Erste Schritte zur<br />
Regionalisierung“ (Powerpoint-Präsentation)<br />
(www.reformprozess.de)<br />
19
Ergebnisse AG 4<br />
PRIESTERTUM ALLER GETAUFTEN – PFARRBERUF ALS SCHLÜSSELBERUF?<br />
These:<br />
Die Erfüllung des Auftrags der <strong>Kirche</strong>, das Evangelium zu verkündigen, bedarf der<br />
Vielfalt der Gaben und Berufe, der gegenseitigen Stärkung und des geschwisterlichen<br />
Miteinanders.<br />
Kommentar:<br />
Aus dieser These folgt die besondere Verantwortung unserer <strong>Kirche</strong> für die ehrenund<br />
hauptamtlichen Mitarbeitenden.<br />
Empfehlung:<br />
1. Um dieses Miteinander zu stärken, soll ein Schwerpunkt des Pfarrdienstes<br />
darauf liegen, Menschen für die Mitarbeit in der <strong>Kirche</strong> zu gewinnen und sie darin<br />
zu unterstützen - Epheser 4,12.<br />
2. Auf allen Ebenen unserer Landeskirche muss Planungssicherheit für die<br />
neben- und hauptamtlichen Mitarbeitenden (inklusive Pfarrerinnen und Pfarrer)<br />
hergestellt werden. Dazu dienen konzeptionsgebundene Stellenpläne einschließlich<br />
Finanzierung und Finanzmodellen. Zur Qualitätssicherung der Personalentwicklung<br />
soll eine FEA und eine kontinuierliche Fortbildung verpflichtend für alle kirchlichen<br />
Mitarbeitenden eingeführt werden.<br />
3. Damit die Ehrenamtlichen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben befähigt werden,<br />
bedarf es einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für ein ehrenamtliches<br />
Engagement in der <strong>Kirche</strong>. Dazu sind eine transparente Informationskultur, eine<br />
klare Aufgabenbeschreibung und ein attraktives Aus- und Fortbildungsangebot<br />
erforderlich.<br />
Weiteres Material:<br />
Pfr. Gerd Kerl: „Priestertum aller Glaubenden und ordiniertes Amt in der <strong>Evangelische</strong>n<br />
<strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong>“ (Impulsreferat)<br />
(www.reformprozess.de)<br />
20
Ergebnisse AG 5<br />
GESCHENKTES VERTRAUEN – ENTSCHIEDENES HANDELN.<br />
These:<br />
<strong>Evangelische</strong> Spiritualität verwirklicht sich im Empfangen der bedingungslosen und<br />
verbindlichen Liebe Gottes und im entschiedenen Handeln in und aus ihrer Kraft.<br />
Kommentar:<br />
<strong>Evangelische</strong> Spiritualität umfasst die ganze Person in ihrem Lebens-Gespräch mit<br />
Gott. Sie verwirklicht sich in konkret-alltäglicher Lebensgestaltung – im Blick auf<br />
den Halt meines Lebens. Die Haltungen, die mich bestimmen, das Verhalten, das<br />
daraus erwächst, die Verhältnisse, die zu gestalten sind. Sie findet Ausdruck in der<br />
Fülle christlicher Gebets-, Meditations- und Kontemplationsformen, in der gottesdienstlichen<br />
Feier, in der Sprache der Musik. <strong>Evangelische</strong> Spiritualität weiß um das<br />
Beieinander <strong>von</strong> Glaube und Anfechtung. In Zeiten der Erfahrungslosigkeit des<br />
Glaubens, in Zeiten <strong>von</strong> Lebens- und Glaubenskrisen stärkt sie das Vertrauen darauf,<br />
dass Christus – unabhängig <strong>von</strong> der unmittelbar gegebenen Erfahrung – dennoch<br />
nahe ist. Auch der Glaube gegen alle Erfahrung ist eine Erfahrung.<br />
Der Gottesdienst im Alltag der Welt, die Aufgabe, zu unterscheiden und zu entscheiden,<br />
was Gottes Wille ist in der Gestaltung der Lebensverhältnisse, erwächst<br />
aus der empfangenen Barmherzigkeit (Röm 12, 1). Dieses Urteilsvermögen wird den<br />
Christen zugetraut und zugemutet; es ist Frucht der verwandelnden Kraft des<br />
Evangeliums. Es befreit dazu, mehr und mehr in und aus der Freiheit und Würde<br />
eines Kindes Gottes zu leben. Wer sich an der Würde des Menschen vergreift, greift<br />
Gott selber an. So engagiert sich eine lebenskräftige Spiritualität unbedingt für die<br />
Würde der Person und ist damit entschieden politisch.<br />
Empfehlung:<br />
Dafür braucht es in der <strong>Kirche</strong> der Zukunft und Freiheit in den verschiedenen<br />
kirchlichen Handlungsfeldern, in den Gemeinden, in Aus-, Fort- und Weiterbildung<br />
der ehren- und hauptamtlich Mitarbeitenden deutlich verstärkt spirituelle<br />
Erfahrungsräume, Vermittlung <strong>von</strong> und Anleitung zu geistlicher Praxis, Geistliche<br />
Begleitung. Um dies zu gewährleisten, sind dafür förderliche Bedingungen zu<br />
schaffen und notwendige Ressourcen zur Verfügung zu stellen.<br />
21
Ergebnisse AG 5<br />
INSTRUMENTE ZUR QUALITÄT KIRCHLICHEN HANDELNS IN DER EKVW.<br />
These:<br />
Die EKvW braucht ein System der Qualitätsentwicklung für eine zeitgemäße Kommunikation<br />
des Evangeliums.<br />
Kommentar:<br />
Qualitätsentwicklung ist ein andauernder Prozess, in dessen Verlauf sich die Mitarbeitenden<br />
verändern. Sie erhöht dauerhaft die Identifikation der Mitarbeitenden mit<br />
den Zielen und Aufgaben der <strong>Kirche</strong>. Dieser Prozess ist Aufgabe der jeweiligen<br />
Leitungsebene, die ihn anstoßen, steuern und verantworten muss.<br />
Empfehlung:<br />
Darum sollte Qualitätsmanagement als Know-how am IAFW installiert sein und für<br />
die verschiedenen Handlungsfelder abgerufen werden können.<br />
Leitungsebenen müssen mit den entsprechenden Befugnissen und Kompetenzen<br />
ausgestattet sein.<br />
Weiteres Material:<br />
Sup. Annette Kurschus: „Qualitätssicherung kirchlichen Handelns“ (Impulsreferat)<br />
(www.reformprozess.de)<br />
22
Ergebnisse AG 7<br />
HILFEHANDELN IN DER WELT – DIAKONIE.<br />
These:<br />
Diakonie ist Lebens- und Wesensäußerung der <strong>Kirche</strong> unabhängig <strong>von</strong> der jeweiligen<br />
Rechtsgestalt. In der EKvW werden ihre gemeinsame Verantwortung und ihr<br />
gemeinsames Handeln politisch und operativ auf allen Ebenen verankert.<br />
Kommentar:<br />
Diakonie in den Formen verbandlicher oder gemeindlicher Arbeit trägt unterschiedliche<br />
Kleider, ohne dass dies den Familienzusammenhalt infrage stellt.<br />
So wie eine Familie gelebte und fühlbare Identität, Rituale und Kommunikation<br />
braucht, übernimmt Diakonie mit ihren vielfältigen Einrichtungen und Diensten<br />
Verantwortung in <strong>Kirche</strong>ngemeinden, in Diakonischen Werken, in <strong>Kirche</strong>nkreisen<br />
und bei freien Trägern. So wie bei einem „Putzplan“ in der Familie braucht es die<br />
gemeinsame Verantwortung für den Dienst an Menschen, die Vermittlung des<br />
Glaubens, die Intensivierung ehrenamtlicher und hauptamtlicher Mitarbeit und<br />
Stärkung der Mitgliedschaft auch durch diakonisches Handeln.<br />
Empfehlung:<br />
Gelungener Familienzusammenhalt zeigt sich in gemeinsamen Diakonieprojekten.<br />
Diese sind zu fördern, um die diakonische Dimensionen kirchlichen Handelns und<br />
die kirchliche Dimension diakonischen Handelns in eine fruchtbare Beziehung zu<br />
bringen.<br />
Weiteres Material<br />
Anne Rabenschlag: „Nabelschau oder Chancen nutzen. Überlegungen aus diakonischer<br />
Sicht zum <strong>Hammer</strong> <strong>Reformtag</strong>“ (Powerpoint-Präsentation)<br />
Pfr. Günter Barenhoff: „Hilfehandeln in der Welt – Diakonie“ (Erläuterungen zur<br />
These)<br />
(www.reformprozess.de)<br />
23
Ergebnisse AG 8<br />
KIRCHE IN DER EINEN WELT UND DIE UNGERECHTE NUTZUNG VON RESSOURCEN.<br />
These:<br />
In der EKvW sind Menschen in ökumenischer Verbundenheit zu anderen Konfessionen<br />
und <strong>Kirche</strong>n in der Welt eine Bewegung der Hoffnung, in der sie einander<br />
inspirieren, zu Veränderungen ermutigen und Verantwortung wahrnehmen.<br />
Kommentar:<br />
Unsere ökumenische Verbundenheit mit Menschen anderer Konfessionen und<br />
<strong>Kirche</strong>n in der Welt ist ein Geschenk. Sie hilft uns auf verschiedenen Ebenen -<br />
persönlich, politisch, als Gemeinde und <strong>Kirche</strong> - unser Tun und Lassen mit anderen<br />
Augen zu sehen. Das wird deutlich im Blick auf die drängende Aufgabe des Klimaschutzes<br />
als ein Gebot der weltweiten Gerechtigkeit genauso wie im Blick auf die<br />
wachsende Kluft zwischen Arm und Reich auch als Anfrage an die soziale Verantwortung<br />
der Reichen.<br />
In der Wahrnehmung, dass beide Fragen auch die weltweite Gemeinschaft des<br />
Leibes Christi existentiell betrifft, wollen wir uns in eben dieser Gemeinschaft als<br />
Bewegung der Hoffnung einander inspirieren zu notwendigen Schritten – über die<br />
Grenzen <strong>von</strong> Armut, Unrecht und Hoffnungslosigkeit hinaus.<br />
Empfehlung:<br />
Die ökumenische Dimension ist als grundlegende Voraussetzung kirchlichen Lebens<br />
neu in den Blick zu nehmen und zu leben. In diese Erfahrungen können notwendige<br />
Veränderungen (z. B. im Rahmen der Klimaallianz, des „Grünen Hahnes“, der Solidarität<br />
mit den Armen) eingebettet und behutsam begleitet werden.<br />
Weiteres Material:<br />
Pfr. Klaus Breyer: „Klimagerechtigkeit und die Verantwortung der <strong>Kirche</strong>“ (Powerpoint-Präsentation)<br />
Pfr.´in Siegrid Reihs: „Soziale Verantwortung“ (Powerpoint-Präsentation)<br />
Protestantische <strong>Kirche</strong> in den Niederlanden: „Leben aus der Freude des Glaubens“<br />
(Beschluss der Generalsynode 2005)<br />
(www.reformprozess.de)<br />
24
Ergebnisse AG 9<br />
KIRCHE MIT ZUKUNFT IST EINE KIRCHE MIT BILDUNG.<br />
These:<br />
In der EKvW ist Bildung ein Querschnittsthema, das alle Bereich kirchlicher Arbeit<br />
und kirchlichen Lebens berührt. Das evangelische Bildungsverständnis umfasst mehr<br />
als Wissen und darf nicht auf den Erwerb <strong>von</strong> schulischen und beruflichen Abschlüssen<br />
reduziert werden. Dazu gehören soziale und kulturelle Kompetenzen,<br />
Alltagskompetenzen im Zusammenleben in der Gesellschaft und in der Natur, das<br />
Bemühen um Bildungsgerechtigkeit und die Sprachfähigkeit im Glauben.<br />
Kommentar:<br />
Der Bildungsauftrag der <strong>Kirche</strong> berührt alle Bereiche, in denen Menschen in<br />
Entwicklungs- und Veränderungsprozessen eingebunden sind. Schwerpunktmäßig<br />
ist dies neben der Erwachsenenbildung natürlich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.<br />
Durch die verschiedenen Träger der Bildungseinrichtungen innerhalb<br />
der EKvW wird ein breiter und praxisorientierter Bereich abgedeckt, innerhalb<br />
dessen Kooperation und Vernetzung weiter entwickelt werden müssen.<br />
Empfehlung:<br />
Kirchliche Bildung braucht ein kooperatives System, Kooperation und Vernetzung<br />
sowie die wechselseitige Nutzung <strong>von</strong> vorhandenen Kompetenzen sind zu stärken<br />
und zu vertiefen; die <strong>Kirche</strong> mit Zukunft benötigt eine theologisch-religiöse Grundbildung<br />
für alle ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter/innen; die Verständigung<br />
über Qualität und Standards und die Qualitätsentwicklung sollte in allen Bereichen<br />
voran gebracht werden.<br />
In der EKvW wird regelmäßig (z. B. alle 4 Jahre) ein Bildungsbericht erstellt. Er<br />
beschreibt, was wir unter evangelischer Bildung verstehen und hält fest, wo wir in<br />
den einzelnen Arbeitsbereichen stehen und worin die gegenwärtigen Herausforderungen<br />
gesehen werden. Dies geschieht im Gespräch und auch in Auseinandersetzung<br />
mit dem gesellschaftlichen Kontext. Der Bericht enthält auch Richtungsanzeigen<br />
für die künftige Arbeit. Er wird der Landessynode vorgelegt und regelmäßig<br />
fortgeschrieben. Wir halten es für sinnvoll, dass der Bildungsauftrag der <strong>Kirche</strong><br />
deutlicher in der <strong>Kirche</strong>nordnung der EKvW verankert wird.<br />
25
Ergebnisse AG 10<br />
ÜBERLEGUNGEN FÜR EIN EVANGELISCHES LEITUNGSVERSTÄNDNIS.<br />
These:<br />
Evangelisch leiten heißt: Im Hören auf Gottes Wort und in einem beteiligungsorientierten<br />
Verfahren Verantwortung für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität<br />
vor den Menschen und vor Gott zu übernehmen.<br />
Kommentar:<br />
<strong>Evangelische</strong> Leitung ist vor allem anderen geistliche Leitung im Hören auf Gottes<br />
Wort. Dazu gehört die Bereitschaft, Leitungsverantwortung auch wahrzunehmen.<br />
<strong>Evangelische</strong> Leitung begreift sich selbst in der Zusammenarbeit einer geschwisterlichen<br />
Gemeinschaft. Dazu gehören konsensorientierte Leitungsformen, die Förderung<br />
der vielfältigen Leitungskompetenzen und die Einführung effizienter Gremienstrukturen.<br />
Auch das Pfarramt ist als Leitungsamt ernst zu nehmen.<br />
Empfehlung:<br />
Die Kriterien eines evangelischen Leitungsverständnisses sollen in ein Beratungsund<br />
Stellungnahmeverfahren in allen kirchlichen Ebenen eingebracht werden.<br />
Weiteres Material:<br />
Pfr.´in Katrin Göckenjan: „Führe mich, o Herr, und leite... wie Leiten auf evangelisch<br />
geht.“ (Impulsreferat)<br />
(www.reformprozess.de)<br />
26
Ergebnisse AG 11<br />
„DENN GOTT LIEBT DIE, DIE FRÖHLICH GEBEN.“<br />
These:<br />
Fundraising umfasst alle Bereiche kirchlicher Arbeit und ist deshalb wesentlicher<br />
Bestandteil einer zukunftsfähigen <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong><br />
Kommentar:<br />
Fundraising basiert auf Beteiligung der Mitglieder und weiterer Freunde und<br />
Förderer und ist somit in erster Linie Beziehungsarbeit. In diesem Sinn dient es dem<br />
Gemeindeaufbau und ist deshalb auch als Leitungsaufgabe wahrzunehmen. Als für<br />
den Gemeindeaufbau förderliche Beziehungsarbeit muss es <strong>von</strong> allen haupt-,<br />
neben- und ehrenamtlich Mitarbeitenden gewollt sein und mitgetragen werden.<br />
Hauptamtliche Fundraiserinnen und Fundraiser, die mindestens auf der Ebene der<br />
<strong>Kirche</strong>nkreise eingestellt werden, beraten die <strong>Kirche</strong>ngemeinden und <strong>Kirche</strong>nkreise<br />
und wirken als Multiplikatoren, indem sie weitere haupt-, neben- und ehrenamtlich<br />
Mitarbeitende fortbilden.<br />
Empfehlung:<br />
Die Dimension <strong>von</strong> Fundraising als Beziehungsarbeit und Form des Gemeindeaufbaus<br />
soll den Leitungsverantwortlichen in Gemeinden und Einrichtungen weiter<br />
deutlich gemacht werden (Klärung des Selbstverständnisses, Definition <strong>von</strong> Zielen<br />
in der Gemeinde / Einrichtung). Für die weitere Implementierung und Koordinierung<br />
<strong>von</strong> gelingendem Fundraising auf allen Ebenen sind entsprechende personelle<br />
Ressourcen im Landeskirchenamt erforderlich.<br />
Weiteres Material:<br />
Manfred Brauers: „Tue Gutes und rede darüber – Erfahrungen bei der Einführung<br />
eines freiwilligen Kirchgeldes in Gemeinden“ (Impulsvortrag)<br />
Klaus-Peter Johner, “Wachsen gegen den Trend – Die <strong>Evangelische</strong> Stiftung ‚<strong>Kirche</strong><br />
für Bielefeld’“ (Powerpoint-Präsentation)<br />
(www.reformprozess.de)<br />
27
Ergebnisse AG 12<br />
ZUSAMMEN RÜCKEN – ZUSAMMENRÜCKEN<br />
These:<br />
Gelingende Kooperationen und Vereinigungen benötigen ein bestimmtes Maß an<br />
Prozessqualität. Diese herzustellen und zu sichern ist Leitungsaufgabe. Ein allgemeingültiges<br />
Rezept für gelingende Kooperations- und Vereinigungsprozesse in der<br />
EKvW gibt es nicht. Vereinigungsprozesse werden klappen, wenn Gemeinden,<br />
Presbyterien und Pfarrerinnen und Pfarrer es wollen und versuchen.<br />
Kommentar:<br />
Fördernde Rahmenbedingungen und Instrumente für gelingende Kooperations- und<br />
Vereinigungsprozesse sind bereits vorhanden. In bestimmten Fällen müssen weitere<br />
Rahmenbedingungen für die <strong>Kirche</strong>ngemeinden durch den <strong>Kirche</strong>nkreis geschaffen<br />
werden. Es gibt zwei Kräfte, um eine Beweglichkeit auf KG-Ebene zu initiieren:<br />
1. Von innen: aus dem Leitungsorgan Presbyterium heraus, „um zu entscheiden,<br />
solange es noch selber geht“.<br />
2. Von außen: Impulse und Vorgaben (z.B. Landessynode, Kreissynode …) sowie Instrumente<br />
(Planungsgespräch, Pfarrstellenplanung, Haushaltssicherungskonzept in<br />
Verbindung mit Gemeindekonzeption, <strong>Kirche</strong>nkreiskonzeption, Regelmäßiges Mitarbeitendengespräch,<br />
Visitation).<br />
Veränderungsprozesse sind nie abgeschlossen. Nach dem juristischen Datum einer<br />
Vereinigung beginnt die Arbeit erst richtig. Ressourcen (Zeit, Kraft, Geld) für den<br />
Prozess der eigenen Reflexion und für externe Begleitung sind einzuplanen. Transparenz<br />
im Prozessverlauf ist zu schaffen.<br />
Empfehlung:<br />
Mutmachende Beispiele und Erfahrungsberichte müssen in der EKvW weiter veröffentlicht<br />
werden. Ein Schwerpunkttag zum Thema „Kooperations- und Vereinigungsprozesse<br />
in der EkvW“ soll geplant werden. Auf der Basis der Abstimmung<br />
zwischen Gemeindeberatung und LKA soll eine Broschüre als ‘Materialien für den<br />
Dienst’ mit Checkliste und Knackpunkten im Prozessgeschehen herausgegeben<br />
werden.<br />
Weiteres Material:<br />
Claudia Enders: „Zusammen rücken – zusammenrücken“ (Impulsreferat)<br />
Henning Weihsbach-Wohlfahrt: „Zusammen rücken – zusammenrücken“ (Impulsreferat)<br />
28
PRÄSES ALFRED BUß<br />
Predigt zu Phil. 3, 12<br />
Philipper 3, 12 (Herrnhuter Lehrtext)<br />
Nicht, dass ich`s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei;<br />
ich jage ihm aber nach, ob ich`s wohl ergreifen könnte,<br />
weil ich <strong>von</strong> Christus Jesus ergriffen bin.<br />
Paul im Glück, liebe Gemeinde.<br />
Zwei Dinge weiß Paulus:<br />
Erstens: Er weiß, wo er hin will. Er hat ein Ziel -, das noch nicht erreicht ist.<br />
Zweitens: Der Weg, den er lange gegangen ist, hat ihn nicht ans Ziel gebracht.<br />
Paulus beschreibt seine Lebensgeschichte. Er erinnert sich an seine Glaubenserfahrungen.<br />
Er benennt seine Bemühungen, all das zu erfüllen, was das Gesetz,<br />
was seine Glaubenstraditionen ihm geboten haben.<br />
Jetzt weiß er sich auf einem anderen, auf einem neuen Weg – mit den Erfahrungen<br />
der Vergangenheit. Vieles hat er hinter sich gelassen, aufgegeben – mit dem Blick<br />
nach vorn, auf sein Ziel.<br />
Paul im Glück: wie Hans im Märchen gibt er vieles hin im Tausch für Neues auf<br />
seinem Weg. Nach den Maßstäben dieser Welt ist Hans ein wahrer Dummkopf: Er<br />
tauscht Gold gegen ein Pferd, das sich als Mähre erweist; abwärts geht die Spirale<br />
über Kuh, Schwein und Gans bis zum Mühlstein. Zuletzt hat er nichts mehr vorzuweisen.<br />
Und doch läuft Hans immer nur nach Hause, zielgerichtet nach Hause,<br />
dorthin, wo er die Erfüllung finden wird. Von den schweren Steinen befreit, ruft er<br />
aus: So glücklich wie ich – gibt es keinen Menschen unter der Sonne. Mit leichtem<br />
Herzen und frei <strong>von</strong> aller Last sprang Hans nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter<br />
war. Wie Hans im Glück, so verliert Paulus nicht aus den Augen, wohin er unterwegs<br />
ist. Er hat ein Ziel. Und weil er dieses Ziel hat, verschieben sich seine Maßstäbe,<br />
kann er loslassen, was ihn festhalten will und ihn beschwert: Und was mir<br />
Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet...ich erachte es für<br />
Dreck, damit ich Christus gewinne. (V7f)<br />
Nicht, dass er schon da wäre, nicht dass er`s ergriffen hätte oder vollkommen wäre<br />
...<br />
Nicht, dass wir schon am Ziel wären. Nicht, dass wir schon alles geschafft hätten.<br />
29
Nicht, dass wir vom Vorletzten unversehens ins Letzte geraten wären. Nicht, dass<br />
wir alle Erkentnnis hätten, aber:<br />
Wir haben ein Ziel. Wir sind unterwegs. Wir bewegen uns als <strong>Kirche</strong>.<br />
Doch wohlgemerkt: Paulus spricht hier nicht <strong>von</strong> der <strong>Kirche</strong>. Er spricht <strong>von</strong> seinem<br />
Glaubensweg, dem ganz persönlichen. Er spricht <strong>von</strong> dem vorgesteckten Ziel, dem<br />
Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus, <strong>von</strong> seinem<br />
Glaubensziel. Er spricht da<strong>von</strong>, dass er berufen, ja ergriffen ist; ergriffen <strong>von</strong> dem,<br />
der ihn belebt, inspiriert, motiviert; getragen <strong>von</strong> dem, der ihn befreit, befreit <strong>von</strong><br />
alten Bindungen zu neuen Wegen. Paulus spricht <strong>von</strong> der verheißenen Vollendung,<br />
<strong>von</strong> der Auferstehung, vom ewigen Leben.<br />
Paul im Glück! Auf sein Ziel hin ist er unterwegs – sehr wohl wissend, dass nicht er<br />
die Vollendung schafft, dass nicht er für das Letzte verantwortlich ist.<br />
Das Ziel des Paulus ist hier nicht die Gestaltung der <strong>Kirche</strong>, nicht die Aufstellung<br />
einer Institution – ihm geht es um die Gestaltung des Glaubens. Und deshalb eben<br />
doch um die Gestaltung der <strong>Kirche</strong>. Seine Gemeinde in Philippi will er gewinnen für<br />
seinen Hoffnungsweg.<br />
Die <strong>Kirche</strong> ist eine Gemeinschaft leidenschaftlicher Hoffnung, hat Peter Burkowski<br />
heute morgen gesagt. Und diese <strong>Kirche</strong> leidenschaftlicher Hoffnung hat es zu tun<br />
mit Menschen in und ausserhalb der <strong>Kirche</strong>, die meist alle irgendwelchen Zielen<br />
nachjagen, wie immer diese Ziele aussehen mögen.<br />
Heute vor einer Woche habe ich das einmal wieder sinnenfällig erlebt. Wir waren zu<br />
vier Männern für eine Woche auf Radtour, <strong>von</strong> der Saalequelle bei Hof im Fichtelgebirge<br />
durch den Thüringer Wald bis zur Mündung in Sachsen-Anhalt. Da gibt es<br />
neue Ziele, jeden Tag. Und manchmal muss man ihnen regelrecht nachjagen. Am<br />
Freitagabend hatten wir nach 470 km unser großes Ziel erreicht: Magdeburg an der<br />
Elbe. Es tut gut, dort anzukommen, wo man hinwollte. Doch bevor es am Samstag<br />
mit der Bahn zurückging nach <strong>Westfalen</strong> noch ein Besuch im Dom. Als ich den Dom<br />
betrat, widerfuhr mir Besonderes. Ich wurde am Ziel unserer Tour plötzlich umfangen<br />
<strong>von</strong> etwas viel Größerem. Seien Sie willkommen im Dom, stand da am Eingang,<br />
so wie Jesus jeden Menschen mit offenen Armen empfängt. Sie können reicher gehen<br />
als sie gekommen sind, wenn sie sich öffnen für Gott, ehrlich sind zu sich selbst und<br />
barmherzig mit ihren Mitmenschen. Und dann erlebte ich, was da stand. Der aufstrebende<br />
Raum nahm mich mit, führte mich weit über mich hinaus, ins Hohe der<br />
Gewölbe, ins Leichte, Lichte der Ornamente, in die Ahnung weiter Ewigkeit, die mit<br />
ihrem Lichtspiel durch die Öffnungen des Kreuzgangs in die Zeit zu fallen schien.<br />
Und merkwürdig: weit weg <strong>von</strong> dir bist du ganz bei dir selbst. Radtour, gegenwärti-<br />
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ge Stille und Paulusworte vermischen sich: wohin bist du unterwegs, was ist das<br />
Ziel, wem jagst du nach? Oft genug mit hängender Zunge wie auf mancher Bergetappe.<br />
Und am Ziel immer wieder ziellos.<br />
Auch Paulus ist unterwegs, er „vergisst“ – so vollmundig ist er -, was dahinten ist;<br />
legt für sich selbst ad acta, was zuvor sein Glaubensweg war. Er streckt sich aus<br />
nach dem, was da vorne ist; das zieht ihn an. Dem Ziel jagt er nach.<br />
Paulus gibt Sicherheiten auf, weil ihm die Zusage Jesu Christi eine neue Gewissheit<br />
gibt. Er ist nach vorn gewandt, in Erwartung, ganz Paul im Glück. Dahin ist er in<br />
Bewegung. Mit hängender Zunge scheint er zu laufen. Und weiß im Tiefsten doch:<br />
ich kann das Ziel <strong>von</strong> mir aus gar nicht erjagen, ich kann es nicht ergreifen, ich<br />
kann nur ganz darauf aus sein, weil ich <strong>von</strong> Christus ergriffen bin. Wie Hans im<br />
Glück - ich kann vieles loslassen und nach Hause laufen, weil ich ein Zuhause habe.<br />
Ob es der Dom in Magdeburg ist oder der <strong>Hammer</strong> <strong>Reformtag</strong>: <strong>Kirche</strong> weist immer<br />
über sich hinaus, sie ist nicht weniger und nicht mehr als ein lebendiges Zeichen<br />
mitten in der Welt für das Evangelium: Gott war in Christus und versöhnte die Welt<br />
mit sich selber (2.Kor.5,19). Wir leben in der mit Gott versöhnten, aber noch nicht<br />
erlösten Welt und haben darum ein Ziel. Gott selber will bei uns wohnen. Das kann<br />
uns gelassen machen in aller Bedrückung und <strong>von</strong> manchem Ballast befreien wie<br />
Hans im Glück: Mit leichtem Herzen und frei <strong>von</strong> aller Last sprang Hans nun fort, bis<br />
er daheim bei seiner Mutter war. Das mag ein anderes Jagen nach dem Glück sein.<br />
Ein Jagen im Verschnaufen und Innewerden und auch Loslassen wie im Magdeburger<br />
Dom oder auch wie heute.<br />
Denn dieser <strong>Reformtag</strong> heute ist Verschnaufpause. Er ist Wegstation.<br />
Es tat gut, sich hier und jetzt umzusehen, sich auszutauschen, sich zu vergewissern<br />
über den eingeschlagenen Weg, anderen <strong>von</strong> den eigenen Erfahrungen zu erzählen.<br />
Es ist wichtig, wahrzunehmen, wer mit unterwegs ist.<br />
Nicht, dass wir schon am Ziel wären. Wir sind nicht vollkommen. Das können und<br />
das wollen wir am Ende in der <strong>Kirche</strong> auch gar nicht sein.<br />
Wir sind auf dem Weg, weil wir ahnen: es könnte gehen, wir könnten etwas ergreifen,<br />
begreifen, gestalten. Und weil wir spüren – mit Paulus: wir sind längst ergriffen.<br />
Und auch dazu ermutigt Paulus: Nur, was wir schon erreicht haben, darin lasst uns<br />
auch leben.<br />
Darin lasst uns auch leben! Der Reformprozess geschieht nicht um seiner selbst<br />
willen – er geschieht auch nicht um unseretwillen Er geschieht noch nicht einmal<br />
um der <strong>Kirche</strong> willen. Er geschieht um Gottes und der Menschen willen. Der Re-<br />
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formprozess geschieht, dass alle Menschen <strong>von</strong> der Hoffnung erfahren, die in uns ist.<br />
Dass wir den Sorgengeist hinter uns lassen und uns dem Geist der Freiheit anvertrauen,<br />
ist das Wichtigste, was zu Beginn dieses Zukunftskongresses überhaupt geschehen<br />
kann, sagte Wolfgang Huber im Januar zu Beginn in Wittenberg.<br />
<strong>Kirche</strong> mit Zukunft – es geht weiter! Und auf diesem Weg sind wir gut beraten, wenn<br />
wir unser Reden und Handeln <strong>von</strong> dem bestimmen lassen, was wir hoffen, sagte<br />
Peter Burkowski heute morgen.<br />
Uns nicht vom Sorgengeist bestimmen lassen, sondern <strong>von</strong> dem, was wir hoffen –<br />
das lasst uns mitnehmen heute in unsere <strong>Kirche</strong>nkreise und Gemeinden. Uns bestimmen<br />
lassen, <strong>von</strong> dem was wir hoffen – wie mag das für uns gehen? Wohl nur<br />
so, dass wir mit allen Sinnen <strong>von</strong> der großen Hoffnung erzählen, die in uns ist und<br />
unser Vermögen doch weit übersteigt.<br />
Als ich den Dom in Magdeburg verließ, begleitete mich dieser Text: Ich möchte<br />
nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit.<br />
Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt... Ich will mich einhüllen<br />
lassen <strong>von</strong> der herben Kühle der <strong>Kirche</strong>n. Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen.<br />
Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche<br />
Geschwätz der Mitläufer. Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese<br />
Überschwemmung <strong>von</strong> überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen die schrille<br />
Lächerlichkeit der Marschmusik. Ich liebe betende Menschen. Ich brauche ihren<br />
Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen.<br />
Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche die unwirkliche<br />
Kraft ihrer Poesie. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die<br />
Diktatur der Parolen. Eine Welt ohne diese Dinge wäre eine Welt, in der ich nicht<br />
leben möchte. (Pascal Mercier aus: Nachtzug nach Lissabon, 2006)<br />
Und so frage ich am Ende dieses <strong>Reformtag</strong>es: Können Sie, können wir ohne diese<br />
Dinge in dieser Welt leben?<br />
Die <strong>Kirche</strong> ist eine Gemeinschaft leidenschaftlicher Hoffnung. Und wir gehören dazu<br />
– als Hans, Paul, Hanna, Paula im Glück. Nicht, dass ich`s schon ergriffen habe oder<br />
schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich`s wohl ergreifen könnte, weil<br />
ich <strong>von</strong> Christus Jesus ergriffen bin.<br />
Amen<br />
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