Verstehen heißt Wiedererfinden - Freinet-Kooperative eV
Verstehen heißt Wiedererfinden - Freinet-Kooperative eV
Verstehen heißt Wiedererfinden - Freinet-Kooperative eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
3. Die natürliche Methode im<br />
Mathematikunterricht<br />
Inzwischen kann man von einer verbreiteten<br />
unterrichtli chen Praxis der natürlichen Methode des<br />
Mathematik unterrichts sprechen. Die Kräfte, die sie tragen,<br />
sind wie der stärker geworden.<br />
Vor 20 Jahren, als die natürliche Methode gerade dabei<br />
war Wurzeln zu schlagen, trat die moderne Mathematik in<br />
Erscheinung. Für den damals noch zarten Keim war dies<br />
eine Art Katastrophe. Einige von uns hatten sich schon<br />
auf den Weg gemacht; es waren aber zu wenige, um sich<br />
bei denjenigen Lehrern Gehör verschaffen zu können, die<br />
wegen der Einführung der modernen Mathe matik von<br />
Panik ergriffen waren. Und so wurde diese Idee wieder<br />
auf Eis gelegt.<br />
Inzwischen ist nicht nur die Angst vor der modernen<br />
Mathematik verblasst, weil die heutigen Lehrer sie beherrschen<br />
und keine Berührungsängste mehr haben, sie selbst<br />
hat auch an Bedeutung verloren.<br />
Dafür ist die natürliche Methode wieder aufgetaucht<br />
und bereit für einen neuen Aufschwung: Widmen wir ihr<br />
endlich all die Aufmerksamkeit, die sie verdient.<br />
Wie ich bereits angedeutet habe, ist die Idee dazu auf<br />
‘natürliche‘ Weise entstanden: Meine Frau und ich hatten<br />
die natürliche Methode bereits in den Bereichen Französisch,<br />
Lesen/Schreibenlernen, mündlicher Ausdruck,<br />
Musik, Körperausdruck, Texte verfassen und Zeichnen/<br />
Malen in den Klassenstufen 1 bis 3 erprobt und sind zu<br />
der Über zeugung gekommen, dass sie sich für all diese<br />
Bereiche hervorragend eignet.<br />
Und da ich mich immer darum bemüht habe, den Dingen<br />
auf den Grund zu gehen, habe ich ohne Unterlass an<br />
der Entwicklung meiner kleinen Theorie gearbeitet.<br />
Und ich hatte das Glück, sie mit <strong>Freinet</strong> und seiner Frau<br />
Elise diskutieren zu können. Ich habe ihnen viel geschrieben,<br />
um meine Hypothesen vorzustellen und um kriti sche<br />
Anregungen zu bekommen. So viel, dass ich mich eines<br />
Tages auf der theoretischen Ebene sicher genug fühlte, um<br />
mir folgende Fragen stellen zu können: „Wenn man mit<br />
dieser Methode so viel lernen und soviel Wissen erwerben<br />
kann, warum sollte man sie nicht auch im Fach Mathematik<br />
anwenden? Oder besitzt die Mathematik Eigenschaften,<br />
die dies ausschließen? Was muss man tun, damit die<br />
natürliche Methode auch der Mathematik gerecht wird?“<br />
Nun, um dies herauszufinden, blieb mir als <strong>Freinet</strong>-Lehrer<br />
nur eines übrig, nämlich es zu versu chen. Und das wagte<br />
ich mit Beginn des Schuljahres 1965. (22)<br />
Das Erstaunlichste ist, dass die natürliche Methode nun<br />
gerade in der Mathematik, dem Fach, in dem lange keiner<br />
daran dachte sie anzuwenden, ihre besten Resultate<br />
erzielt.<br />
Doch nachträglich ist das leicht einzusehen. Denn<br />
jeder Erkenntnisprozess beginnt damit, Hypothesen aufzustellen,<br />
um so die Komplexität der Welt zu strukturieren.<br />
Und einige erweisen sich als so wirksam, dass sie den<br />
Rang von Gesetzen erhalten. So wie auf der Ebene des Kindes<br />
die Ansammlung von wenigen Worten wie ‚maman‘<br />
(Mutter), ‚maison‘ (Haus), ‚murier‘ (Maulbeer baum) und<br />
‚michel (Michael) das Herauslösen des Konsonanten ‚m‘<br />
erlaubt. Und wenn später das Kind bei dem letzten Wort<br />
eines Satzes wie ‚Hier, je suis allê â la mer‘ (gestern bin<br />
ich ans Meer gegangen) zögert, weiß es sehr genau, dass<br />
es sich nicht um den Strand, das Land oder ein Fest handeln<br />
kann, weil es mit einem Zeichen beginnt, dessen phonetischen<br />
Wert es kennt ‘hier, je suis alle ä la mer‘ (gestern<br />
bin ich zum Meer gegangen.) Dies ist also die Taktik des<br />
(22) Ihr seht, wie alt diese Idee ist. Und trotzdem ist sie noch ganz frisch,<br />
ganz neu, ganz erfrischend.<br />
90 91