Der IKEA-Check - Die ver.di-Betriebsgruppe IKEA Wallau informiert
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<strong>Der</strong> <strong>IKEA</strong>-<strong>Check</strong><br />
<strong>Der</strong> „<strong>IKEA</strong>-<strong>Check</strong>“ ist der Start zu einer vierteiligen Staffel, in der das WDR Fernsehen an<br />
vier aufeinanderfolgenden Montagen populäre Konsummarken auf den Prüfstand stellt.<br />
Teil 1: Verführung<br />
Familie Neiss hat zwei Kinder, eine <strong>IKEA</strong>-Küche, Regale von <strong>IKEA</strong> und einen <strong>IKEA</strong>-<br />
Schlafzimmerschrank. Nebenan wohnt Musiker Björn. Björn ist In<strong>di</strong>vidualist - und kauft bei <strong>IKEA</strong>.<br />
Bei Studentin May Lin ist alles von <strong>IKEA</strong>.<br />
Bei <strong>IKEA</strong> kaufen alle: Familien, Alleinstehende, In<strong>di</strong>vidualisten, Angepasste, Junge, Alte. Wie<br />
macht <strong>IKEA</strong> das? <strong>IKEA</strong>-Pressesprecherin Sabine Nold erklärt: „Wir gucken uns zum Beispiel<br />
konkret an, wie Menschen leben. Das heißt, wir besuchen sie zu Hause und entwickeln danach<br />
Produkte.“<br />
4.00 Uhr morgens: Anlieferung in Köln-Ossendorf. <strong>Der</strong> Lkw ist voll mit dem Bestsellerschrank<br />
„Pax“. Es gibt keine Anlieferung während der Verkaufszeit. <strong>Die</strong> Regale sind immer voll. <strong>IKEA</strong> ist<br />
gut organisiert.<br />
Um 9.30 Uhr öffnet <strong>IKEA</strong> - aber nicht der Laden, sondern das Restaurant. Viele kommen auch,<br />
wenn sie gar keine Möbel brauchen. Zwei <strong>IKEA</strong>-Prinzipien gibt es gleich zum Frühstück: Alles<br />
scheint billig und alle sollen sich wohlfühlen.<br />
10.00 Uhr: An einem durchschnittlichen Wochentag macht eine <strong>IKEA</strong>-Filiale einen Umsatz von<br />
220.000 Euro. An Spitzentagen ist es mehr als doppelt so viel. Eine gute Stunde später sind <strong>di</strong>e<br />
ersten Kunden durch. Wir fragen einige von ihnen: „Wie viel ist denn da jetzt<br />
zusammengekommen?“ „355 Euro.“ „Wollten Sie das alles haben?“ „70 Prozent davon. So<br />
Kleinigkeiten nimmt man immer mit.“ Dazu sagt Sabine Nold: „Es gehört auch ein bisschen zum<br />
Einkaufserlebnis bei <strong>IKEA</strong>, dass ich einen konkreten Bedarf habe, einen Einkaufszettel habe, aber<br />
mich auch gerne inspirieren lassen möchte.“<br />
Inspiration? Leider bekommt man <strong>di</strong>e nicht immer umsonst. Was genau macht <strong>IKEA</strong> eigentlich da<br />
mit uns? Unser erster <strong>Check</strong> also:<br />
Wie <strong>ver</strong>führt <strong>IKEA</strong> seine Kunden?<br />
Wir beobachten das Studentenpaar Sally und Tim sowie Mutter und Tochter Sesterhenn beim<br />
Einkaufen. Eine Minikamera zeigt uns ihre Perspektive. <strong>Die</strong> Bilder zeigen wir anschließend<br />
Verkaufs- und Marketingprofi Linda Reichelt. Sie war über zehn Jahre Chefin einer <strong>IKEA</strong>-Filiale<br />
und meint auch heute noch, dass man von <strong>IKEA</strong> eine Menge lernen kann: „<strong>IKEA</strong> macht etwas, was<br />
andere in der Perfektion nicht machen.“<br />
Wir wollen herausfinden, was das ist. Mutter und Tochter Sesterhenn wollen Gartenmöbel kaufen.<br />
Doch zunächst weckt ein Sofa ihr Interesse: „Ist es nicht schön? Da guck mal, wie machen <strong>di</strong>e das?<br />
Preis gesenkt.“ Das Sofa steht dort nicht zufällig, wie Linda Reichelt bemerkt: „Also <strong>di</strong>ese Szene<br />
mit Mutter und Tochter gefällt mir unheimlich gut, weil man sieht, wie stark <strong>di</strong>e Kombiwirkung von<br />
Produkt und Preis ist - und das <strong>di</strong>rekt am Hauptweg.“<br />
Mutter und Tochter Sesterhenn schauen sich nun auch <strong>di</strong>e anderen Sofas an. Warum? Am Anfang
einer Abteilung gibt es <strong>di</strong>e sogenannte heiße Fläche: der Bestseller, das Lockangebot.<br />
Zwischendurch finden sich immer wieder Schnäppchen, auffällig gekennzeichnet und so gestellt,<br />
dass <strong>di</strong>e Kunden auch an allen anderen Sofas vorbei müssen. Am Ende wieder ein Schnäppchen.<br />
Mutter und Tochter Sesterhenn machen den Weg mit und fühlen sich nicht mal gedrängt: „Schön,<br />
dass wir hier so durchbummeln.“<br />
Und es bleibt nicht beim Bummeln: Sie kaufen zwar kein Schlafsofa, aber Bettwäsche. „So wie<br />
<strong>IKEA</strong> Waren präsentiert, werden Reize an bestimmten Stellen geschickt eingesetzt. Wenn ich <strong>di</strong>e<br />
Aufmerksamkeit des Kunden habe, dann ist <strong>di</strong>e Wahrscheinlichkeit dort auch sehr hoch, dass er<br />
zugreift“, erzählt Marketingprofi Linda Reichelt.<br />
Frauen wollen meist durch den ganzen Laden, Männer eher nicht. Selbst wenn <strong>di</strong>e Kunden den<br />
Hauptweg nicht <strong>ver</strong>lassen, kommt am Ende auf einer relativ kleinen Fläche leicht ein Kilometer<br />
zusammen. Und auf jeder Etage gibt es jeweils nur zwei <strong>ver</strong>steckte Abkürzungen.<br />
Inzwischen sind auch Sally und Tim losgezogen. Sie wollen ihre erste gemeinsame Wohnung<br />
einrichten und brauchen noch Regale und Stühle. Schließlich bleiben sie deutlich länger als zwei<br />
Stunden und haben ordentlich eingekauft: „Auch wenn es jedes Mal stresst, freut man sich trotzdem<br />
immer wieder herzufahren. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie macht es ja Spaß.“<br />
Auch Mutter und Tochter Sesterhenn sind nach anderthalb Stunden <strong>IKEA</strong> bester Dinge. Sie haben<br />
zwar keinen Gartentisch gefunden, aber Kleinkram für 111 Euro gekauft. Sally und Tim haben 100<br />
Euro mehr ausgegeben als geplant: insgesamt 248 Euro.<br />
Sage und schreibe 40 Prozent seines Umsatzes macht <strong>IKEA</strong> mit solchen Accessoires, <strong>di</strong>e meist dem<br />
Geldbeutel nicht wehtun, aber das Gefühl <strong>ver</strong>mitteln: <strong>IKEA</strong> - hat sich wieder mal gelohnt.<br />
Erstes <strong>Check</strong>-Urteil: <strong>Die</strong> Verführung ist geschickt.<br />
Teil 2: Qualität<br />
In der Kleinstadt Älmhult ist <strong>IKEA</strong> gegründet worden. Hier steht das allererste Einrichtungshaus.<br />
Im Hauptgebäude entsteht das Design. Zutritt bekommen wir nicht - Betriebsgeheimnis. Und im<br />
großen Testlabor werden <strong>IKEA</strong>-Produkte auf Sicherheit und Qualität geprüft. Obwohl wir Wochen<br />
im Voraus angefragt haben und unsere Ankunft abgesprochen war, bekommen wir keinen Zutritt.<br />
Aus Zeitgründen, heißt es.<br />
Doch wie gut ist <strong>IKEA</strong>? Immer wieder fallen billige Haushalts- und Elektrogeräte in Warentests<br />
auf, nicht unbe<strong>di</strong>ngt positiv. Also kaufen wir ein: <strong>di</strong>e Pfanne Steka für 1,99 Euro, eine<br />
Thermoskanne für 14,95 Euro, ein paar günstige Elektroteile und Küchengeräte mit<br />
Kunststoffgriffen. Alle Produkte unterziehen wir beim TÜV einem Sicherheitstest. Ist <strong>di</strong>e Kanne<br />
asbestisoliert? Sind <strong>di</strong>e Elektroteile wirklich sicher? Sind in den Griffen der Küchengeräte<br />
Weichmacher, <strong>di</strong>e krank machen können? Unser zweiter <strong>Check</strong> also:<br />
Wie gut ist <strong>di</strong>e Qualität?<br />
Das Ehepaar Neuhauser braucht einen Schrank. Sie haben sich für das Modell „Pax“ entschieden.<br />
Er ist 1,50 Meter breit und zwei Meter hoch und soll Schiebetüren haben. Wie schwierig ist der<br />
Aufbau? Eine Verkäuferin rät: „Sie müssten dazu wissen, dass sie das zu zweit aufbauen und am<br />
besten mit Wasserwaage, damit <strong>di</strong>e Schiebetüren ausgerichtet sind.“
Und wie gut ist <strong>di</strong>e Beratung ohne Kamera? Was sagen <strong>IKEA</strong>-Mitarbeiter, wie lange der Aufbau<br />
braucht? Unsere Stichprobe in sechs <strong>ver</strong>schiedenen Filialen ergab sechs <strong>ver</strong>schiedene Ergebnisse: In<br />
Kaarst kalkulierte der Verkäufer einen Tag mit drei Personen, in Köln-Godorf einen Tag mit zwei<br />
Personen, in Essen einen halben Tag und in Dortmund drei Stunden. Duisburg rechnete mit<br />
anderthalb Stunden und Köln-Ossendorf gerade mal mit einer Stunde.<br />
Zunächst müssen Neuhausers sich ihren Schrank zusammenstellen. 468 Euro kostet er komplett.<br />
<strong>Die</strong> Schiebetüren bieten dann <strong>di</strong>e erste Überraschung: „Wir müssen auch noch <strong>di</strong>e Schiebetüren?<br />
Ich dachte, das sind fertige Elemente.“<br />
Zurück zum TÜV: Halten <strong>di</strong>e Kunststoffgriffe unserer Haushaltsgeräte der Sicherheitsprüfung<br />
stand? Wurden Weichmacher darin gefunden? Ralf <strong>Die</strong>kmann vom TÜV Rheinland <strong>ver</strong>kündet das<br />
Ergebnis: „Alle Werte, <strong>di</strong>e wir sehen, sind unauffällig, halten also <strong>di</strong>e gesetzlichen Grenzwerte ein.“<br />
Auch <strong>di</strong>e anderen Produkte bestanden <strong>di</strong>e Tests. Doch Ralf <strong>Die</strong>kmann schränkt ein: „Das sagt<br />
aller<strong>di</strong>ngs noch nichts über <strong>di</strong>e Langzeitqualität der Produkte aus. Was uns zum Beispiel aufgefallen<br />
ist: Wenn man einen sehr schnellen Impuls auf <strong>di</strong>esen Pfannengriff gibt, dann bricht er ab. Das<br />
sollte bei einer guten Pfanne nicht sein.“ Und deshalb ist am Ende <strong>di</strong>e Pfanne doch bei uns<br />
durchgefallen.<br />
Bei Familie Neuhauser beginnt inzwischen der Aufbau des Kleiderschranks. Um Aufbau und<br />
Anleitung zu beurteilen, kommt ein Umzugsexperte und Profimonteur dazu. Er hat über 1.000<br />
„Pax“-Schränke bei Umzügen aufgebaut. Neuhausers sollen aber alleine klarkommen. Sie sind<br />
keine Anfänger und haben bereits einige <strong>IKEA</strong>-Erfahrung. Bis zu den Schiebetüren klappt auch<br />
alles reibungslos. Zwei Stunden werkeln <strong>di</strong>e Neuhausers daran. „Nie wieder Schiebetüren, im<br />
Leben nicht“, stöhnt Silke Neuhauser. Profimonteur Kai Weingarten meint dazu: „<strong>Der</strong> Pax-Aufbau<br />
ist eigentlich ziemlich einfach. Kompliziert sind <strong>di</strong>e Schiebetüren. Einige Schritte sind schlecht<br />
erklärt. Also da kann man schon <strong>ver</strong>zweifeln als Laie.“ Nach sechs Stunden steht der Schrank<br />
endlich fix und fertig an Ort und Stelle.<br />
Anschließend kommt Profimonteur Kai zu seinem eigentlichen Job: Wie viele Umzüge hält „Pax“<br />
eigentlich durch? In den Filmkulissen des WDR baut ihn Kai Weingarten erst auf und dann wieder<br />
ab, zieht um und baut wieder auf. Das dauert …<br />
… und gibt uns Zeit für „Jokkmokk“: ein Tisch und vier Stühle aus massivem Kiefernholz für 99<br />
Euro. Wie bekommt <strong>IKEA</strong> das hin?<br />
An der Uni<strong>ver</strong>sität Münster forscht der Forstexperte Professor Andreas Schulte. Er prüft für uns den<br />
Tisch. Er rechnet aus, was alleine das Kiefernholz kostet und wiegt dazu zunächst Tisch und Stühle.<br />
Das Gewicht beträgt etwa 31 Kilogramm. Dann rechnet er es, wie in der Holzbranche üblich, in<br />
Kubikmeter um. Bei einem Preis, den ein Tischler bei einem Sägewerk bezahlen muss, <strong>ver</strong>anschlagt<br />
er <strong>di</strong>e Kosten allein für das Holz auf 90 bis 120 Euro. Dabei hat der Wissenschaftler noch vorsichtig<br />
gerechnet.<br />
Und auf welches Ergebnis kommt der Praktiker? Tischler Beckmann hat einen Betrieb in der Nähe<br />
von Münster. Er kalkuliert noch Lack und Kleber und kommt auf reine Materialkosten von über 200<br />
Euro. Er meint: „Das kann ich einfach nicht nachvollziehen. Das schaffe ich nicht. Das kann ich<br />
Ihnen nicht darlegen.“ Und Forstexperte Professor Schulte meint: „Hier muss natürlich <strong>di</strong>e Frage<br />
gestellt werden, wo das Holz herkommt. Aus welchen Quellen kommt es? Kommt es tatsächlich aus<br />
nachhaltiger Waldbewirtschaftung? <strong>Die</strong>s würde ich erst mal zumindest in Frage stellen.“ Dazu<br />
später mehr …
Vorerst baut Kai Weingarten den Kleiderschrank immer noch auf und wieder ab. Viermal hat er das<br />
bereits hinter sich gebracht. Und es hat eigentlich ganz gut geklappt - mit einer Ausnahme, wie er<br />
berichtet: „Das, was sehr gelitten hat, sind <strong>di</strong>e Rückwände. Dadurch, dass <strong>di</strong>e genagelt sind beim<br />
<strong>IKEA</strong>-Schrank und weder Nut noch Feder haben wie bei anderen Schränken, sind <strong>di</strong>e sehr<br />
ausgerissen. (…) Je öfter er auf- und abgebaut wird - man kann ja nicht andauernd <strong>di</strong>e gleichen<br />
Löcher nehmen - hat man <strong>di</strong>e irgendwann am Rand komplett zerfranst und kriegt sie nicht mehr<br />
zum Halten.“<br />
Aber ist der Schrank noch sicher? Wir lassen ihn noch einmal vom TÜV untersuchen:<br />
Dauerhaltbarkeitsprüfung der Böden, Belastungstests der Kleiderstange. Insgesamt zwölf Tests hat<br />
Martin Schämann vom TÜV Rheinland an dem Schrank durchgeführt und dabei 15 Lebensjahre<br />
simuliert. Sein Ergebnis: „Bei sachgerechter Montage und vor allen Dingen unter Beachtung der<br />
Montageanleitung und der Folgeschritte in der Montage können wir durchaus sagen, dass auch nach<br />
mehrmaligem Aufbauen der Schrank seine Sicherheit nachgewiesen hat.“<br />
Insgesamt fünfmal ist der Schrank umgezogen und ist im Gegensatz zum abgebrochenen<br />
Pfannengriff immer noch okay.<br />
Zweites <strong>Check</strong>-Urteil: <strong>Die</strong> Qualität ist alles in allem ordentlich.<br />
Teil 3: Holzherkunft<br />
Zurück nach Schweden und zur Frage, wie <strong>IKEA</strong> <strong>di</strong>e Herkunft des Holzes kontrolliert. Das ist der<br />
Job von Anders Hildemann, dem obersten Waldexperten von <strong>IKEA</strong>. „Jeder Schritt der<br />
Produktionskette muss dokumentieren, woher der Tisch kommt. Und alle unsere Zulieferer müssen<br />
wissen, aus welcher Provinz das Holz kam. Wir haben Prüfungen <strong>di</strong>eser Zulieferkette, dass <strong>di</strong>e<br />
Information, <strong>di</strong>e wir von Ihnen bekommen, korrekt ist“, sagt er.<br />
<strong>IKEA</strong> nennt als Beispiel <strong>di</strong>e Wälder Masurens. Polen ist ein wichtiger Standort für <strong>IKEA</strong>. Fast das<br />
gesamte Holz, das <strong>IKEA</strong> aus Polen bezieht, ist mit dem Umweltsiegel FSC zertifiziert. Das heißt,<br />
dass <strong>di</strong>e Herkunft praktisch jedes einzelnen Baumes nachvollziehbar ist. Das klingt gut. Aber in<br />
Wielbark, drei Autostunden nördlich von Warschau, werden nur fünf Möbelstücke hergestellt. Was<br />
ist mit dem großen Rest? Und was ist mit Jokkmokk (siehe Teil 2)?<br />
Tatsächlich beträgt der Anteil des zertifizierten Holzes mit Umweltsiegel bei <strong>IKEA</strong> nur 24 Prozent.<br />
Wie und wo <strong>di</strong>e anderen 76 Prozent abgeholzt werden, weiß wohl nur <strong>IKEA</strong>. Auch einzelne Möbel<br />
können aus Holz mit und ohne Siegel bestehen. Das Holz von „Jokkmokk“ zum Beispiel hat<br />
deshalb das Siegel FSC Mix.<br />
Wie der Mix der Holzsorten genau aussieht, ist unklar. Klar ist nur: Das Mix-Siegel erlaubt auch<br />
einen sehr kleinen zertifizierten Holzanteil. Forstexperte Professor Andreas Schulte erklärt dazu:<br />
„<strong>Die</strong>ses Zertifikat sagt nur aus, dass ein kleinerer Anteil aus <strong>di</strong>eser nachhaltigen<br />
Waldbewirtschaftung kommt, ein größerer Teil aus gesicherten Quellen, wobei keine Aussage<br />
gemacht wird , wie <strong>di</strong>ese Quellen kontrolliert werden.“<br />
Professor Schulte schaut sich den Tisch genauer an und meint: „Man sieht, dass <strong>di</strong>e Jahrringe bei<br />
der Kiefer sehr groß und weit sind. <strong>Die</strong>s ist ein In<strong>di</strong>z dafür, dass <strong>di</strong>ese Kiefer sehr langsam wächst.<br />
Das deutet auf eine Herkunft hin, <strong>di</strong>e eher in kälteren Regionen zu suchen ist.“ <strong>Der</strong> Hinweis „Made<br />
in China“ macht <strong>di</strong>e Sache noch merkwür<strong>di</strong>ger. Woher stammt also das Holz?<br />
Wir wollen es genau wissen und geben eine Holzprobe von „Jokkmokk“ in <strong>di</strong>e Isotopenprüfung.
Dort nehmen Wissenschaftler quasi einen Fingerabdruck des Wasserstoffgehaltes im Holz. Unser<br />
Verdacht: Das Holz für „Jokkmokk“ kommt aus den Wäldern Russlands. Was viele nicht wissen: Es<br />
ist eine durch Raubbau besonders gefährdete Waldregion. Und tatsächlich bezieht <strong>IKEA</strong> von dort<br />
große Mengen Holz - ob von weit im Osten an Chinas Grenze oder aus dem Westen Russlands in<br />
Karelien.<br />
<strong>Die</strong> sogenannten borealen Regionen sind der größte zusammenhängende Naturwald der Welt und<br />
extrem wichtig für das Weltklima. Doch das russische Forstgesetz erlaubt dort größte<br />
Kahlschlagflächen. Darüber hinaus ist illegaler Holzeinschlag an der Tagesordnung.<br />
Wissenschaftler warnen vor dramatischen Umweltfolgen.<br />
Aber was ist nun das Ergebnis der Isotopenprüfung? Dr. Markus Boner vom TÜV Rheinland hat<br />
keine gute Nachricht: „Wir haben das anhand des Wasserstoffgehaltes untersucht: Es kommt aus<br />
borealen Regionen und aus Sibirien.“<br />
Unser Verdacht hat sich also bestätigt. Wir befragen nochmals den <strong>IKEA</strong>-Waldbeauftragten Anders<br />
Hildemann. Im Interview sprach er von Nachhaltigkeit und Transparenz. In einer E-Mail antwortet<br />
er jetzt: „In Bezug auf ‚Jokkmokk‘ können wir <strong>di</strong>e Zulieferer unserer Zulieferer nicht preisgeben,<br />
da <strong>di</strong>es sensible Wirtschaftsdaten sind.“<br />
Fest steht: <strong>IKEA</strong> bewegt sich auf dünnem Eis. In seinem Nachhaltigkeitsbericht schreibt <strong>IKEA</strong>:<br />
„Um unsere niedrigen Preise anbieten zu können, müssen wir weltweit Holz einkaufen. Das<br />
bedeutet auch, dass wir Holz aus Regionen beziehen, in denen illegal gefällt wird und andere nicht<br />
nachhaltige Forstwirtschaftspraktiken herrschen.“ Und Anders Hildemann ergänzt: „Unsere<br />
Aufgabe ist es, erschwingliche Möbel für <strong>di</strong>e Menschen herzustellen. Und um sie erschwinglich zu<br />
machen, müssen wir <strong>di</strong>e Kosten niedrig halten.“<br />
Forstexperte Professor Andreas Schulte meint dazu: „99 Euro für einen massiven Kieferntisch mit<br />
vier Stühlen ist nur schwer in Einklang zu bringen mit nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Das muss<br />
der Verbraucher <strong>ver</strong>stehen, wenn er den Tisch kauft.“<br />
Unser <strong>Check</strong>-Urteil: <strong>Die</strong> Holzherkunft ist oft undurchschaubar.<br />
Teil 4: Fairness<br />
Älmhult heißt der kleine Ort im schwe<strong>di</strong>schen Smaland, in dem das Unternehmen gegründet wurde.<br />
8.000 Menschen leben dort und 2.500 arbeiten für <strong>IKEA</strong>. Schwe<strong>di</strong>sch bedeutet hier: fair, gute<br />
Stimmung und irgendwie nett. Aber wir wollen der Sache auf den Grund gehen und fragen:<br />
Wie fair ist <strong>IKEA</strong>?<br />
Wir erkun<strong>di</strong>gen uns bei der Gewerkschaft <strong>ver</strong>.<strong>di</strong> in Frankfurt. Immer wieder soll es Ärger geben<br />
zwischen <strong>IKEA</strong> und dem Betriebsrat. Gewerkschaftssekretär Klaus Grawunder berät mal wieder<br />
einen Mitarbeiter von <strong>IKEA</strong>. Es geht um ein Dauerthema: Lars ist seit 19 Jahren bei dem<br />
Unternehmen als Teilzeitkraft beschäftigt. Doch bei 13 Arbeitsstunden pro Woche reicht es<br />
finanziell hinten und vorne nicht. Aber <strong>IKEA</strong> will ihn nur als Teilzeitarbeitnehmer, denn <strong>di</strong>e<br />
garantieren Flexibilität.<br />
<strong>Die</strong> Hälfte der <strong>IKEA</strong>-Mitarbeiter arbeitet in Teilzeit. <strong>IKEA</strong> zahlt nach Tarif 13,30 Euro <strong>di</strong>e Stunde.<br />
Ein Vollzeit<strong>ver</strong>käufer kommt so auf rund 2.200 Euro brutto. Jemand, der nur <strong>di</strong>e Hälfte arbeitet,
kommt auf rund 1.100 Euro.<br />
<strong>IKEA</strong> erklärt <strong>di</strong>e viele Teilzeitarbeit damit, dass man mal mehr, mal weniger Leute benötige, wie im<br />
Einzelhandel üblich. Wie zufrieden <strong>di</strong>e Mitarbeiter wirklich sind, dürfen wir während der<br />
Dreharbeiten nicht fragen. Auch Betriebsräte sind zurückhaltend. Eine Betriebsrätin, <strong>di</strong>e sich<br />
öffentlich kritisch geäußert hat, sollte sogar entlassen werden. Für Gewerkschaftssekretär Klaus<br />
Grawunder passt das ins Bild: „<strong>IKEA</strong> ist ein auf Profit orientiertes Unternehmen. <strong>IKEA</strong> gibt sich<br />
<strong>di</strong>esen jugendlichen Sozialtouch mit dem ‚Du‘. Aber der Hintergrund ist ein anderer. Dort wird<br />
knallhart Politik gemacht.“<br />
Einen der ersten Schritte in <strong>di</strong>e Welt machte <strong>IKEA</strong> in den damaligen Ostblock. Schon in den 70er-<br />
Jahren ließ <strong>IKEA</strong> in der DDR Möbel produzieren. <strong>Der</strong> VEB Heimgestaltung produzierte für <strong>IKEA</strong><br />
Kinderzimmer, Schlafzimmer, Bretter - über 20 Jahre lang. Wir begeben uns weiter auf<br />
Spurensuche. Aus Archiven bekommen wir Unterlagen der Stasi. <strong>Die</strong> dokumentieren <strong>di</strong>e<br />
Zusammenarbeit der DDR mit <strong>IKEA</strong>. Eine Spur führt uns nach Waldheim. Dort werden <strong>di</strong>e Reste<br />
des ehemaligen VEB Sitzmöbelwerk Waldheim abgerissen. <strong>Die</strong> Stasiunterlagen besagen: Waldheim<br />
produzierte einen <strong>IKEA</strong>-Klassiker: das Sofa Klippan. Auch <strong>IKEA</strong>-Gründer Ingvar Kamprad wird<br />
erwähnt. Und: In Waldheim arbeiteten zu Beginn der 80er-Jahre zahlreiche Strafgefangene und<br />
Zwangsarbeiter.<br />
Das Gefängnis liegt gleich nebenan. Walter Koslowski leitet seit Beginn der 80er-Jahre das<br />
Gefängnis. Er war dort zustän<strong>di</strong>g für <strong>di</strong>e Versorgung und Ökonomie. Er erinnert sich: „In<br />
Zusammenarbeit mit den VEBs war es sehr erforderlich, jede Ressource auszuschöpfen und das<br />
wurde getan. Daher ist es schon ein sehr wesentlicher Anteil an Gefangenenarbeit an den<br />
Produktionen der DDR gewesen.“<br />
Strafgefangene waren bei Erfüllung des Plansolls fest eingeplant. Das geht aus einem geheimen<br />
Ministerratsbeschluss von 1973 hervor. In den Gefängnissen der DDR saßen viele zu Unrecht. Rund<br />
20 Prozent der Gefangenen waren politische Häftlinge, Menschen, <strong>di</strong>e politisch nicht ins Konzept<br />
gepasst haben oder einfach nur das Land <strong>ver</strong>lassen wollten.<br />
Einer von ihnen ist Hans Otto Klare. Er ist als politischer Häftling anerkannt. Auch er wollte in den<br />
Westen und wurde geschnappt. Er berichtet aus seinem Gefangenenalltag: „Unser<br />
Arbeitskommando wohnte im oberen Teil, dort, wo <strong>di</strong>e Fenster <strong>ver</strong>blendet sind. Im unteren Teil des<br />
Gebäudes standen <strong>di</strong>e Maschinen, da wurde gearbeitet. Und das ging rund um <strong>di</strong>e Uhr. Man hatte<br />
kaum Ruhe, wenn man aus der Nachtschicht gekommen war und in Rufe schlafen wollte. (…) An<br />
den Maschinen war es so: Man hatte keine richtigen Sitze, keinen Gehörschutz, keine<br />
Arbeitshandschuhe. Es war noch primiti<strong>ver</strong> als es in der DDR-Wirtschaft schon gelaufen ist. Es war<br />
Sklavenarbeit.“ Klare stellte Scharniere und Beschläge her für ein schwe<strong>di</strong>sches<br />
Möbelunternehmen. Ein Mithäftling von Klare, der vor der Kamera nicht sprechen will, erzählt uns,<br />
wie er <strong>di</strong>e Teile später wiedererkannt hat - beim Einkauf bei <strong>IKEA</strong>.<br />
<strong>Die</strong> DDR soll für <strong>IKEA</strong> in Naumburg, Leipzig und Dresden produziert haben. Offenbar waren es<br />
mindestens 65 Produktionsstätten, entnehmen wir den Unterlagen. Was sagt <strong>IKEA</strong> zu <strong>di</strong>esem<br />
Kapitel seiner Geschichte? Pressesprecherin Sabine Nold antwortet: „Dazu kann ich Ihnen nichts<br />
sagen. Das ist 25 Jahre her und etwas, was in unserem Alltagsgeschäft heute nicht präsent ist.“<br />
Inzwischen, so <strong>IKEA</strong>, gebe es einen Lieferantenkodex, der akzeptable Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen<br />
einfordere. Zwangsarbeit <strong>ver</strong>urteile man. Das Thema DDR wolle man jetzt intern recherchieren.<br />
Dabei hatte <strong>IKEA</strong> offenbar schon weit früher Hinweise auf <strong>di</strong>e Zwangsarbeit. <strong>IKEA</strong>-Chef Ingvar<br />
Kamprad soll das - den Unterlagen der Stasispitzel zufolge - so kommentiert haben: „Herr Kamprad<br />
hatte eine offizielle Erklärung abgegeben, dass er von einer solchen Produktion keine Kenntnis<br />
hatte, <strong>di</strong>e aber, wenn es sie gibt, nach Ansicht von <strong>IKEA</strong> durchaus im gesellschaftlichen Interesse
läge.“<br />
Laut Branchenkennern <strong>ver</strong>kaufte <strong>di</strong>e DDR um <strong>di</strong>e Hälfte billiger als das seinerzeit nächstbillige<br />
Land Taiwan. Um das zu können, gehörte Zwangsarbeit zum Plan.<br />
Nach dem Ende der DDR wurde es <strong>IKEA</strong> dort zu teuer. Wenige Jahre später suchte das<br />
Unternehmen über <strong>di</strong>e schwe<strong>di</strong>sche Botschaft neue Produktionsmöglichkeiten in Nordkorea. In<br />
einem Schreiben der schwe<strong>di</strong>schen Botschaft heißt es: „<strong>IKEA</strong> hegt weitreichende Pläne, bestimmte<br />
Produkte künftig in Nordkorea herzustellen. <strong>Die</strong> Lohnbe<strong>di</strong>ngungen und Währungs<strong>ver</strong>hältnisse und<br />
damit <strong>di</strong>e Preissetzung sind in Nordkorea völlig anders als in anderen Ländern. Außerdem wird <strong>di</strong>e<br />
Arbeitskräftestruktur in Nordkorea in mehrerer Hinsicht von <strong>IKEA</strong> ungewöhnlich positiv bewertet.“<br />
Wir reden mit dem einzigen Insider aus der Firmenspitze, der offen über <strong>IKEA</strong> spricht. Vor zwei<br />
Jahren stieg Johan Stenebo aus, davor war er 20 Jahre lang Topmanager. Er bestätigt, dass es mit<br />
Diktaturen offenbar keine Berührungsängste gab: „Das war niemals im Bewusstsein meiner<br />
früheren Kollegen. Darüber wurde kaum gesprochen. Das macht auch keinem ein schlechtes<br />
Gewissen.“ Aus dem Geschäft mit Nordkorea wurde zwar nichts. Doch eine Zeitlang ließ <strong>IKEA</strong> in<br />
dem Diktatoren-Staat Birma produzieren. Heute ist es Weißrussland.<br />
Johan Stenebos Erfahrung kennt den Markt: „Wenn man in <strong>di</strong>esem Markt ist, muss man in Ländern<br />
produzieren, <strong>di</strong>e billigere Arbeitskosten als andere haben. Seit dem Anfang von <strong>IKEA</strong> ist das ganz<br />
oben auf der Agenda. <strong>Die</strong> Menschen in <strong>di</strong>esen Ländern sind arm. Sie machen jeden Job, den sie<br />
bekommen können, egal zu welchen Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen. Aber das ist, was ich sage: Einer muss<br />
den Preis bezahlen für <strong>di</strong>e billigen Preise. Das hat <strong>IKEA</strong> <strong>di</strong>e ganze Zeit nicht berücksichtigt.<br />
Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen sind auf der Agenda, aber eben nicht genug. Sie sollten sich kümmern, auch<br />
um <strong>di</strong>e, <strong>di</strong>e ganz weit unten in der Produktionspyramide arbeiten.“<br />
<strong>IKEA</strong> machte im <strong>ver</strong>gangenen Jahr weltweit einen Umsatz von rund 23 Milliarden Euro. <strong>Der</strong><br />
Gründer gilt inzwischen als einer der reichsten Männer der Welt. Heute parkt Ingvar Kamprad<br />
große Teile seines Vermögens in Steuerpara<strong>di</strong>esen wie Liechtenstein.<br />
Unser <strong>Check</strong>-Urteil: <strong>Die</strong> Fairness ist unzulänglich.<br />
Autoren:<br />
Christin Gottler, Michael Grytz<br />
Stand: 01.08.2011