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Der Autor-Übersetzer Sondierungen in ... - Ilma Rakusa

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Emily Dick<strong>in</strong>son, René Char und vielen andern unnachahmlich übersetzt, <strong>in</strong>dem er<br />

sich die fremde Stimme zu eigen machte. Diese Aneignung im Transformationstiegel<br />

des künstlerischen Prozesses, nennen wir sie Celanisierung, tut dem Orig<strong>in</strong>altext<br />

nicht nur ke<strong>in</strong> Unrecht, sie verhilft ihm zu neu-orig<strong>in</strong>ärem Glanz. Genauigkeitsexperten<br />

mögen da gewisse E<strong>in</strong>wände haben. Unbestritten aber handelt es sich um<br />

Nachdichtungen auf Augenhöhe.<br />

Ob Celan aus Pflicht oder aus Neigung übersetzte, bleibe dah<strong>in</strong>gestellt. Möglicherweise<br />

folgte er e<strong>in</strong>fach dem Ruf der Sprache, die ihn bei «se<strong>in</strong>en» <strong>Autor</strong>en besonders<br />

affizierte. Da wird die Aff<strong>in</strong>ität zur Herausforderung, die sich mit Verantwortung<br />

paart. Im Bewusstse<strong>in</strong>, dass das Handwerk des Schreibens von dem des Übersetzens<br />

sich nur wenig unterscheidet: «Handwerk - das ist Sache der Hände. Und<br />

diese Hände wiederum gehören nur e<strong>in</strong>em Menschen, d.h. e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>maligen und<br />

sterblichen Seelenwesen, das mit se<strong>in</strong>er Stimme und se<strong>in</strong>er Stummheit e<strong>in</strong>en Weg<br />

sucht.»<br />

Me<strong>in</strong>e Entscheidung zu übersetzen fiel bei der Lektüre autobiographischer Er<strong>in</strong>nerungstexte<br />

von Mar<strong>in</strong>a Zwetajewa. Die Gedichte der Russ<strong>in</strong> erschienen mir zu<br />

schwierig, ihre poetische Prosa aber reizte mich. Es reizten mich die Bilder und<br />

Wortspiele, die Vergleiche und Rhythmen, kurz: die Intensität des Sprachgebarens.<br />

Hier war Nachdichtung gefragt. Ich wagte den Versuch. - Auf jenen ersten, vor<br />

dreissig Jahren, folgten viele weitere: Prosa, Essays, Briefe, das Versdrama<br />

«Phoenix». Die Schwierigkeiten wurden nicht kle<strong>in</strong>er, aber mittlerweile kannte ich<br />

den Code, bewegte ich mich <strong>in</strong> Zwetajewas Denk- und Sprachraum, als wär's me<strong>in</strong><br />

eigener. Die Vertrautheit führte zu manchen Idiosynkrasien, aber ich wusste, was ich<br />

tat, was ich tun musste.<br />

Noch heute fällt es mir unschwer, diese Wahl zu begründen - und zu rechtfertigen.<br />

Immerh<strong>in</strong> habe ich zehn Jahre me<strong>in</strong>es <strong>Übersetzer</strong>lebens mit Zwetajewa zugebracht.<br />

Ihre radikalen Sprachgesten fasz<strong>in</strong>ieren mich nach wie vor, während ich <strong>in</strong> ihren Capricen<br />

und Manierismen trotzige Selbstverliebtheit zu erkennen glaube. Als Person<br />

ist sie mir längst zur Schwester geworden. Doch gab es Zeiten, da ich fürchtete, zu<br />

ihrem Double zu werden. Was mit Anziehung beg<strong>in</strong>nt, kann leicht zur Überidentifikation<br />

führen und sich schliesslich <strong>in</strong>s Gegenteil verkehren. <strong>Der</strong> Vorgang des Übersetzens<br />

kennt alle Stadien zwischen Nähe und Distanz, zwischen Empathie und

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