Judas-Kulturmagazin Juni 2008
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Das Höhlengleichnis<br />
Menschen in einer unterirdischen Höhle - mit einem<br />
Zugang zum Tageslicht. Von Kindheit an in<br />
Handschellen und Fußfesseln, fixiert mit starrem<br />
Blick nach vorn. Licht durch einen Scheinwerfer<br />
von weit oben. Zwischen dem Strahler<br />
und den Gefangenen führt obenher ein Weg,<br />
längs diesem eine Wand zwischen Gauklern und<br />
Zuschauern. Vaganten tragen allerlei Dinge, die<br />
über die Mauer herüberragen.<br />
Wir Knackis bekommen von uns selbst und voneinander<br />
nichts anderes zu sehen als die Spot-<br />
Schatten auf der gegenüberliegende Höhlenwand.<br />
Den Kopf zeitlebens unbeweglich, unfähig, miteinander<br />
zu reden, würde man dieses Vorhandene<br />
benennen, das man sähe. An den Zellenwänden<br />
bräche sich das Echo von drüben, wenn<br />
einer der Vorübergehenden spräche, man dächte,<br />
es rede der eben vorübergehende Schatten. Niemals<br />
würde man etwas anderes für das Wahre<br />
halten als diese Schatten.<br />
Befreiung von Fesseln und Torheit: Frei und gezwungen,<br />
gleich aufzustehen, den Kopf zu wenden,<br />
zu gehen und geblendet ins Licht zu sehen,<br />
unfähig, das zu erkennen, wovon man vorher die<br />
Schatten sah.<br />
Wenn nun jemand behauptete, man habe lauter<br />
Nichtiges gesehen, jetzt aber sähe man wirklicher<br />
- Wäre man nicht perplex und glaubte, der<br />
Schein sei doch realer als das Sein?<br />
Und wenn man seinen Blick auf das Licht selbst<br />
fokussierte, würden dann nicht die Augen<br />
schmerzen, und man wollte fliehen und zu dem<br />
zurückkehren, was man anzusehen imstande<br />
ist, fest überzeugt, dies sei weit gewisser als das<br />
Letztgesehene?<br />
Und würde man mit Gewalt von dort durch den<br />
unwegsamen Aufgang geschleift und nicht losgelassen,<br />
bis man ans Licht der Sonne gebracht<br />
wäre, es wäre schmerzhaft und man würde sich<br />
wehren. Geblendet vom Licht sähe man nichts<br />
von dem, was einem nun als das Wahre gegeben<br />
wird. Das braucht Gewöhnung...<br />
Anfangs würde man Schatten erkennen, dann<br />
die Bilder der Menschen, dann Spiegelbilder und<br />
dann erst sie selbst. Was am Himmel ist und den<br />
Himmel selbst würde man am liebsten bei Nacht<br />
betrachten und in das Mond- und Sternenlicht<br />
sehen, als bei Tage in die Sonne und in ihr Licht.<br />
Zuletzt wird man auch die Sonne selbst, nicht<br />
Bilder von ihr oder Reflektionen, anzusehen imstande<br />
sein.<br />
ICH SEHE WAS, WAS DU NICHT SIEHST IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII<br />
Und dann weiß man, daß sie es ist, die alle Zeiten<br />
und Jahre schafft und alles im Sichtbaren ordnet<br />
und für das, was man dort sah, die Ursache ist.<br />
Gedächte man nun des Knastes und der Dummheit<br />
der Ex-Mitgefangenen, würde man sich<br />
nicht über die Veränderung freuen, jene aber beklagen?<br />
Wenn sie dort Orden, Komplimente und Ämter<br />
für den hätten, der das Vorüberziehende am<br />
schärfsten sah und am besten behalten hatte,<br />
was zuerst oder zuletzt kam, und daher also am<br />
besten prognostizieren konnte, was nun passieren<br />
würde, wäre man dann noch scharf auf die<br />
Höhlenehre oder die Höhlenmacht?<br />
Oder würde man lieber im Prekariat darben und<br />
alles über sich ergehen lassen, statt wieder solche<br />
Vorstellungen zu haben wie dort und so zu<br />
leben?<br />
Würden bei einem Wiederabstieg die Augen<br />
nicht ganz von Dunkelheit besoffen?<br />
Wenn man wieder in der Begutachtung jener<br />
Schatten wetteifern sollte mit denen während es<br />
einem noch vor den Augen flimmert, würde man<br />
nicht ausgelacht, man sei schneeblind von oben<br />
zurückgekommen und es lohne nicht, daß man