Vier Wochen Exeter - NA-BIBB
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Kurstitel: Further Certificate for Teachers of Business English<br />
Dauer und Ort: 4 <strong>Wochen</strong> in <strong>Exeter</strong>, Großbritannien<br />
© D. Kullmann<br />
Warum haben Sie das Programm GRUNDTVIG<br />
gewählt; warum europäisch?<br />
Im Gegensatz zu einem deutschen Programm konnte ich<br />
in England die englische Sprache praktizieren und war<br />
nicht nur von einem deutschen Team von Schülern<br />
umgeben, sondern von einem Internationalen. Gerade<br />
der Erfahrungsaustausch mit Kollegen ist bei<br />
Fortbildungen wichtig für mich. Ferner beabsichtige ich<br />
auch das Fach „Interkulturelle Kommunikation“ zu<br />
unterrichten, weswegen der Kontakt zu einer national<br />
möglichst heterogenen Gruppe von Kollegen umso<br />
wichtiger war und ist.<br />
Welchen Herausforderungen sind Sie begegnet?<br />
Fachlich bestand die größte Herausforderung darin am<br />
letzten Lehrgangstag nach 14 Jahren erstmals wieder<br />
eine zweineinhalbstündige schriftliche Prüfung zu<br />
absolvieren.<br />
Wenn Sie diese Form<br />
der euopäischen<br />
Weiterbildungsmöglichkeit<br />
in GRUNDTVIG<br />
weiterempfehlen sollten,<br />
was würden Sie sagen?<br />
Auf Lehrerfortbildungen finde<br />
ich den Erfahrungsaustausch<br />
mit Kollegen<br />
genauso wichtig, wie den<br />
vermittelten Stoff. Da die<br />
Lehrerkollegen auf<br />
europäischer Ebene im<br />
Sinne von „Diversity“ viel<br />
heterogenere<br />
Erfahrungshintergründe<br />
haben, ist die Diskussion mit<br />
Ihnen einfach wertvoller.<br />
Ferner ist eine Fortbildung in<br />
der Zielsprache (Englisch)<br />
meiner Unterrichtsfächer<br />
eine wertvolle Bereicherung<br />
für die In-Übung-Haltung<br />
meiner eigenen<br />
Fremdsprachenkenntnisse.<br />
Weitere Informationen zu<br />
dieser Fortbildungsmaßnahme<br />
finden Sie unter:<br />
http://www.ipcexeter.co.uk<br />
/teacher-training/courses/<br />
Auf den folgenden Seiten finden Sie den Erfahrungsbericht „<strong>Vier</strong> <strong>Wochen</strong> <strong>Exeter</strong>“.
<strong>Vier</strong> <strong>Wochen</strong> <strong>Exeter</strong><br />
Stand: 01.01.2010<br />
Bild 1: Die Kirchturmspitzen der <strong>Exeter</strong> Cathedral über viktorianischen Reihenhäusern<br />
Für den Zeitraum zwischen dem 10. und 23. August 2008 sowie für den Zeitraum zwischen dem<br />
06. und 19. September 2009 erhielt ich jeweils ein EU-Stipendium „Grundtvig“ für eine<br />
Lehrerfortbildung in <strong>Exeter</strong>, Devon, England. Der folgende Bericht stellt meine landeskundlichen<br />
Beobachtungen dar, was für mich einen sehr wesentlichen Wert dieser beiden England-<br />
Aufenthalte darstellt. Die Ergebnisse sind bereits in meine Unterrichte eingeflossen und werden es<br />
auch weiterhin tun. Möge dieser Bericht für die Leser eine Motivation sein, sich ebenfalls für ein<br />
EU-Stipendium – es gibt auch noch „Leonardo da Vinci“ (für Auszubildende und Berufstätige)<br />
und „Comenius“ (für Lehrer im Schulbereich) – zu bewerben.<br />
Der vorliegende Bericht ergänzt meinen Bericht „Zwei <strong>Wochen</strong> <strong>Exeter</strong> – Landeskundliche<br />
Beobachtungen“ vom 25.12.2008. Rein landeskundliche Beobachtungen habe ich in meinen<br />
vorjährigen Bericht einfach eingeflochten, während ich erst am Ende des Berichts auf die<br />
Besonderheiten meines zweiten Aufenthaltes eingehe.<br />
Ich kam an einem Sonntag auf dem Flughafen von Bristol an und nahm den Bus nach <strong>Exeter</strong> in<br />
der Grafschaft Devon. Devon liegt an der englischen Südküste und grenzt im Westen unmittelbar<br />
an das wunderschöne Cornwall an. – Busse sind auch für längere Strecken billiger und teilweise<br />
schneller als die Bahn. Beeindruckend waren die großen Busbahnhöfe mit Wartehallen und<br />
kleinen Geschäften darin (Bistros, Kiosks, Toiletten etc.). Die Organisation der Busse an den<br />
Busbahnhöfen war auffallend gut und meine Busse waren auch alle pünktlich.
Während meiner Busfahrt nach <strong>Exeter</strong> sah ich auch eine große Werbung in Bristol: Das<br />
Wegwerfen von Zigarettenstummeln kostet 75 Pfund – ein Betrag, der nachdenklich stimmt.<br />
Unabhängig davon waren die Straßen unerwartet sauber und gut. Im Vergleich zu Deutschland<br />
sah ich während der ganzen Zeit auffallend lange Straßenzüge mit dem selben Häusertyp – und<br />
damit meine ich nicht nur die niedlichen kleinen Arbeiterhäuschen mit den kleinen Erkern (Bay<br />
Windows) im viktorianischen Stil, sondern auch stattlichere Häuser einheitlichen Typs.<br />
Bild 2: Amerikanisches Full-Size-Cabriolet (Oldsmobile) vor viktorianischen Reihenhäusern<br />
Am Busbahnhof in <strong>Exeter</strong> angekommen, wurde ich von meiner Gastfamilie – einem Rentner-Paar<br />
– sehr herzlich und kommunikativ in Empfang genommen. Tom war früher selbständiger<br />
Schornsteinfeger gewesen (ganz früher Soldat der britischen Rheinarmee in Deutschland) und<br />
Doris beaufsichtigte morgens das Frühstücksbüffet in einem „haunted“ (verfluchten) Hotel, in<br />
dem es spukt (sehr sympathisch). – Als Tom später von mir erfuhr, dass ich Cricket (die<br />
englischste aller Sportarten) spielte, hatte ich natürlich sofort einen dicken Stein im Brett.<br />
Sie fuhren mich dann – natürlich auf der falschen Straßenseite – zu sich nach Hause. Ihr Haus<br />
stand in dem Stadtviertel, das „Countess Wear“ heißt. Die Gräfin Wear hatte dieses Land unter<br />
der Auflage an die Stadt <strong>Exeter</strong> preiswert verkauft, dass sich dort Menschen mit wenig Geld ein<br />
Häuschen bauen bzw. kaufen können sollten. Die Häuser sahen auch alle sehr preiswert aus – die<br />
erste Etage war von außen einheitlich mit Wellblech verkleidet.<br />
Vor dem Haus stand eine Dattelpalme (Golfstromgebiet!), die ich dann auch zwei <strong>Wochen</strong> lang<br />
aus meinem Fenster heraus sehen konnte. Die Wände in meinem Zimmer waren übrigens lila<br />
gestrichen… dafür gab es aber keinen Schreibtisch. Glücklicherweise würde ich einen solchen<br />
auch nicht brauchen, da alle Hausaufgaben in der Schule erledigt werden konnten.
Bild 3: Das Haus meiner Gastgeber: Man beachte die Dattelpalme!<br />
In dem etwa 80 qm großen Haus (Wohnzimmer und Küche unten, drei Schlafzimmer und ein<br />
Badezimmer oben) lief im Wohnzimmer ständig der Fernseher von Tom und in der Küche der<br />
von Doris. Während Doris vorzugsweise „Soaps“ ansah, lief bei Tom ständig der „History<br />
Channel“. Im History Channel wurden auffallend viele Filme zum dritten Reich gezeigt, die<br />
zweifellos um Objektivität bemüht waren. Ständig wurden Filme über gescheiterte Widerstände<br />
oder Attentate auf Hitler gezeigt – oder aber die Gewissenskonflikte der Offiziere der Wehrmacht,<br />
was ich positiv zur Kenntnis nahm. – Der Garten dieses Häuschens war relativ groß und gepflegt.<br />
Und in punkto Sauberkeit und Ordnung war dies ein selbst für schweizerische Verhältnisse<br />
mustergültiger Haushalt.<br />
Am ersten Schultag wurden wir von unseren Gastfamilien mit dem Auto zur Schule gefahren und<br />
bekamen die Strecke des Autobusses gezeigt. Die Schule befand sich auf einem Hügel oberhalb<br />
des nur noch wenig benutzten Hafens. Sie war architektonisch „Georgian“: Backsteinbau mit<br />
weißen Fensterfaschen und Kassettenfenstern. Die Schule war in einem der Gebäude eines<br />
„Crescent“ bzw. eines mondsichelförmigen Gebäudekomplexes. „Unser“ Teil dieses Crescent war<br />
auch von dem bekannten, englischen Maler William Turner (1775 – 1852) gemalt worden.<br />
Es war ein alter auf die schulischen Zwecke angepasster Bau, der seinen Zweck erfüllte. Neben<br />
den Schulungsräumen gab es Aufenthalts- und Computerräume. Alles in allem war es sehr<br />
gemütlich.<br />
In meiner Klasse war ich der einzige Deutsche. Dies war mir ganz recht, da ich nicht nach<br />
England fahre, um Deutsche kennen zu lernen. Außerdem gab es einen Franzosen, Italiener, zwei<br />
Österreicherinnen, eine Rumänin, eine Slowakin und Spanier. Die Italiener und Spanier waren<br />
zweifellos am stärksten vertreten.
Bild 4: Mein Schulgebäude im Colleton Crescent<br />
Als ich die Rumänin darauf ansprach, dass ich Weihnachten 1991 in Bukarest Weihnachten<br />
gefeiert hätte und seinerzeit sehr von der dortigen Armut beeindruckt gewesen sei, meinte sie nur,<br />
dass sich außer der neu hinzugewonnenen Freiheit nichts geändert hätte. Sie selbst telefonierte<br />
aber ständig per Handy mit ihrem Mann in Rumänien und klimperte auf ihrem Laptop, der ein<br />
wireless LAN hatte. Als ich sie darauf ansprach, dass ich mir als nächstes vielleicht einen Dacia<br />
(= rumänische Autofirma, die zu 100% Renault gehört und zur Zeit die europaweit billigsten<br />
Autos herstellt) zulegen wolle, meinte sie nur, dass man solche Autos in Rumänien nicht fahren<br />
würde. Also sie würde ja Golf fahren. – Nun möge bitte kein falscher Eindruck entstehen: Diese<br />
Rumänin war ein herzensguter Mensch, was sich unter anderem darin zeigte, dass sie uns<br />
Teilnehmern am Ende des Kurses ihre Digitalfotos von uns per eMail zusandte und, während ich<br />
diesen Bericht schrieb, schickte sie uns allen per eMail Weihnachtsgrüße.<br />
Ab dem zweiten Tag fuhren wir selbständig mit dem Bus zum Unterricht. In England ist es üblich,<br />
dass ein wartender Fahrgast an der Bushaltestelle seine Hand ausstrecken muss, um dem<br />
Busfahrer anzuzeigen, dass er mitfahren will. Anderenfalls fährt der passierende Bus einfach<br />
weiter. – Es fiel auf, dass jeder Fahrgast den Busfahrer mit „Good morning“ begrüßte und dieser<br />
zurück grüßte. Verließ man den Bus sagte man zum Busfahrer „Thank you and good bye!“.<br />
Nachdem ich einmal meine <strong>Wochen</strong>karte verloren und nachgekauft hatte, sprach der nächste<br />
Busfahrer mich unaufgefordert darauf an, dass ich ja gar keine Plastikhülle für meine<br />
<strong>Wochen</strong>karte hätte – und gab mir eine dafür.<br />
Hatte der Bus einen Rollstuhlfahrer zu befördern, stieg der Busfahrer aus und legte zwei Schienen<br />
vor der Eingangstür aus und half dem Rollstuhlfahrer hinein bzw. heraus. Die Pünktlichkeit des<br />
Busfahrplans dürfte darunter etwas leiden, aber warum nicht – für diesen guten Zweck?
Schließlich sei hinsichtlich der Busfahrten erwähnt, dass ein Rückfahrschein – im Gegensatz zu<br />
Deutschland – preislich deutlich günstiger war. Gleiches galt für die <strong>Wochen</strong>tickets.<br />
Und wenn wir schon bei den Fahrpreisen sind, dann möchte ich es nicht unerwähnt lassen, dass<br />
ein Liter Diesel in England um rund zehn Pence teurer war als Benzin.<br />
Was mich verwunderte, war die Tatsache, dass die <strong>Exeter</strong> Police ausschließlich 3er BMW<br />
Caravans fuhr. So sehr dies mir als Deutschem schmeichelte, hatte ich schon den Eindruck, dass<br />
die ja viel Geld zu haben scheinen.<br />
Beim Thema Verkehr und Polizei sei auch erwähnt, dass – unseren Lehrern zufolge – es in<br />
England nicht verboten sein soll, bei rot über die Ampel zu gehen. Ferner bemerkenswert sind<br />
Kreuzungen – ich denke da u. a. an einen Kreisverkehr in Countess Wear – an denen es gar keine<br />
Ampeln für die Fußgänger gab. Als Fussgänger musste man dort schlicht auf die Ampeln für die<br />
Autos achten, um dann zu entscheiden, wann ein günstiger Moment für die Straßenüberquerung<br />
gekommen sei.<br />
Die Engländer sind bekannt dafür, viel über das Wetter zu sprechen. Umso amüsanter fand ich es,<br />
dass bereits ab dem dritten Schultag fast jeder der nicht-englischen Kursteilnehmer ebenfalls über<br />
das Wetter sprach – dies änderte sich nämlich ständig mit hoher Wechselhaftigkeit.<br />
In punkto englischen Regen kamen wir nicht zu kurz. Auch fanden wir heraus, dass die<br />
Engländer, die – es war Mitte August – an den nahe gelegenen Strand fuhren, neben der Badehose<br />
stets einen Regenschirm mitnahmen – und diesen bestimmt nicht gegen die Sonne! Während<br />
meiner zwei <strong>Wochen</strong> in <strong>Exeter</strong> hatte ich also für meinen 5-Euro-Knirps, den ich in Deutschland<br />
lediglich aus Sicherheitsgründen im Auto liegen – aber kaum benutzt - hatte, viel Verwendung.<br />
Am Ende meines Aufenthaltes, war er dermaßen zerzaust, dass ich mir im Tourist Office einen<br />
neuen für drei Pfund besorgen musste. Ein Regenschirm ist meiner Meinung nach genau das<br />
richtige Souvenir an einen Aufenthalt in England.<br />
Auch erlebte ich am <strong>Wochen</strong>ende, als das Wetter für kurze Zeit schön war, dass die Engländer<br />
sofort massenhaft draußen spazieren gingen. Auch dies kannte ich bisher nur aus der Literatur und<br />
war mir bei früheren Aufenthalten in England nicht so sehr aufgefallen.<br />
In dem Tourist Office hatte ich übrigens auch ein anderes Erfolgserlebnis: Das landeskundliche,<br />
zweibändige und sehr humorvoll geschriebene und illustrierte Buch, das meine Mutter im<br />
deutschen „British Shop“ entdeckt und mir geschenkt hatte, lag hier zum Kauf aus. Dieses Buch<br />
bringt die britische Kultur in aller Kürze auf den Punkt, und einige der in diesem Bericht<br />
beschriebenen Beobachtungen kannte ich aus eben diesem Buch.<br />
Der Unterricht war sehr interessant und erfüllte meine Erwartungen voll und ganz. Die Lehrer<br />
sprachen „Standard English“, was in Deutschland als „Oxford Englisch“ bezeichnet wird (eine<br />
rein deutsche Erfindung: Ich kenne keinen Engländer, der weiß, was „Oxford Englisch“ sein soll),<br />
und im Ergebnis wurde ich auf sehr verwertbare Literatur aufmerksam gemacht, die ich mir nach<br />
meiner Rückreise sofort bestellte.<br />
Der Beginn der Unterrichte amüsierte nicht nur alle Teilnehmer – sondern auch die Dozenten: Er<br />
erfüllte alle Klischees über die einzelnen Länder hinsichtlich der Pünktlichkeit. Während die<br />
beiden Österreicherinnen und ich stets pünktlich da waren, kamen die Italiener und Spanier<br />
regelmäßig zu spät.<br />
Wenn wir „Shopping“ gehen wollten, dann mussten wir dies direkt nach dem Unterricht tun, da<br />
die Geschäfte in <strong>Exeter</strong> um 17.30 Uhr schlossen. Ein schönes Beispiel für die Mittelalterlichkeit<br />
der Stadt <strong>Exeter</strong>. Hinweisen möchte ich aber auf meine sehr erfreulichen Anblicke der schönen<br />
alten Ladenfassaden englischer Geschäfte. Neuere Fassaden gab es natürlich auch, aber die
Engländer haben ja glücklicherweise sehr viel Sinn für Geschichte und Tradition – und nur wenig<br />
Schaden durch die Bombenangriffe des zweiten Weltkrieges. – Schließlich machte ich bei Tesco,<br />
einer Ladenkette wie REWE oder Edeka, die Erfahrung einer völlig automatisierten Ladenkasse.<br />
Wie ich zwischenzeitlich erfuhr, gibt es das in Deutschland wohl auch schon: z. B. bei Real.<br />
Bild 5: Traditionelle Ladenfassade an einer der Haupt-Einkaufsstraßen<br />
Was ebenfalls auffällig war, war die Vielzahl der „Charity Shops“. Dies sind Läden mit<br />
gebrauchten Büchern, Kleidern oder auch kleine Zoohandlungen, die von Pensionären<br />
ehrenamtlich zu Gunsten eines guten Zwecks geführt wurden. Es gilt als Ehrensache, dort<br />
einzukaufen.<br />
Nach der Schule und ggf. dem „Shopping“ fuhr ich „nach Hause“ zu Doris und Tom. Um 17.45<br />
Uhr gab es „tea“. Eigentlich war es ja die Hauptmahlzeit des Tages – und hätte demnach „dinner“<br />
heißen müssen. Aber Doris nannte es eben „tea“. „Supper“, ein improvisiertes, kleines<br />
Abendessen, soll zwischenzeitlich in England aus der Mode gekommen sein, da heutzutage in den<br />
meisten Familien beide Ehepartner arbeiten und mittags einen kleinen „lunch“ zu sich nehmen –<br />
weswegen sich „dinner“ – früher die Hauptmahlzeit zur Mittagszeit – begrifflich<br />
schwerpunktmäßig zum Abendessen gewandelt hat.<br />
Bei Doris bekam ich klassische englische Küche, mit der sie sich sehr viel Mühe gab. Zum<br />
Frühstück gab es moderner weise zwar kein „full breakfast“ dafür aber jede Menge Toast,<br />
Marmelade und Corn Flakes. Das ekelhafte englische porridge blieb mir erspart – und auch Doris<br />
und Tom fanden es ekelhaft. Als Mittagessen machte Doris ein wirklich perfektes Lunch Paket<br />
mit drei Gängen – und jeden Tag etwas anderes. Dass die Lunch Pakete von Doris keine<br />
Selbstverständlichkeit waren, sah ich bei meinen anderen Kursteilnehmern. Auch abends gab es<br />
jeden Tag etwas anderes und stets etwas typisch Englisches. So konnte ich dann am eigenen Leib<br />
erfahren, was gewürz- und saucenloses Essen bedeutet. – Dafür machte es aber einen gesunden<br />
Eindruck und schmeckte eigentlich auch sehr gut.
Im Zusammenhang mit typischen englischen Speisen sei kurz auf „Fish and Chips“ und „Chicken<br />
Curry“ eingegangen. „Fish and Chips“ kamen in England gegen Mitte des 19. Jahrhunderts auf<br />
und entwickelten sich schnell zur am weitesten verbreiteten Speise. Angemerkt sei, dass der echte<br />
Conaisseur Fish and Chips nur aus Zeitungspapier isst. Zwischenzeitlich wurde Fish and Chips<br />
allerdings von Chicken Curry überholt. Interessanterweise ist Chicken Curry zwar von einem<br />
indischen Koch erfunden worden – dieser lebte jedoch in England. Und erst aus England fand<br />
Chicken Curry den Weg nach Indien. – So viel zu einer kleinen landeskundlichen Einlage in<br />
unserem Unterricht.<br />
Doris erfüllte in einer Hinsicht auch das Klischee über englische Frauen: Einmal in der Woche<br />
ging sie zum Bingo spielen. Bingo ist für englische Frauen das, was für deutsche Männer die<br />
Skatrunde ist. Außerdem gehörte sie einer Weightwatcher Gruppe an und an ihrem Kühlschrank<br />
hingen einige Plaketten mit der Aufschrift: „Weightwatcher of the Week“.<br />
An den ersten Abenden nahm ich um 19.00 Uhr an den von ehrenamtlichen Mitarbeitern – die<br />
unter Verweis auf ihre Ehrenamtlichkeit die Annahme von Trinkgeld verweigerten – geführten<br />
Stadtführungen teil. Hierbei freundete ich mich mit einem spanischen Lehrer-Ehepaar an. Die<br />
erste Führung hatte natürlich ein besonders typisches englisches Thema: Geister und Flüche in<br />
<strong>Exeter</strong>. Wir hatten eine sehr amüsante Führerin und wurden in die finstersten Ecken des<br />
mittelalterlichen <strong>Exeter</strong> geführt. Permanent wurden wir zur Vorsicht aufgerufen, um nicht einem<br />
Fluch bzw. Geist zum Opfer zu fallen…<br />
Nach dieser ersten Führung setzten die beiden Spanier und ich uns in ein kleines Café mit Blick<br />
auf die <strong>Exeter</strong> Cathedral und bestellten uns „Devon Cream Tea“. Dies besteht aus „Scones“ mit<br />
Marmelade und „Clotted Cream“. Scones sind ein Mischung aus süßem Brot oder Kuchen –<br />
jedenfalls hat es eine sehr feste und krümelige Konsistenz. „Scones“ kannte ich bereits aus<br />
meinem Buch „British Life“, in dem das Kochrezept dazu abgedruckt ist. Clotted Cream ist eine<br />
Art Schlagsahne – allerdings sehr fest in der Konsistenz, fast schon wie Butter. Diese Scones<br />
schneidet man auf und tut Marmelade und Clotted Cream darauf. Dazu trinkt man natürlich Tee.<br />
Normalerweise werden zwei Scones bestellt – was auch völlig ausreichend ist, da diese Mahlzeit<br />
sehr mächtig ist. – Bei dieser Mahlzeit stellte ich dann auch fest, wie preiswert Tee in englischen<br />
Restaurants ist: 65 p pro Tasse. Eine Tasse Kaffee kostete mindestens 1,20 Pfund. Das merkte ich<br />
mir dann für weitere Aufenthalte in Pubs und Restaurants.<br />
Die zweite Führung, die ich mitmachte, ging zu den Katakomben von <strong>Exeter</strong>. Diese waren im 19.<br />
Jahrhundert kommerziell angelegt worden – doch aufgrund der hohen Gebühren wurden von den<br />
18.000 Plätzen nur vier belegt. Ein seinerzeit großer wirtschaftlicher Flop also.<br />
Auf einer anderen Führung wurde erwähnt, dass 25% der Bausubstanz von <strong>Exeter</strong> durch einen<br />
Bombenangriff im zweiten Weltkrieg zerstört worden sei. Der Hintergrund für diesen<br />
Bombenangriff soll der Folgende gewesen sein: Nach der Bombardierung von Dresden soll Hitler<br />
sich wutentbrannt einen Baedeker haben geben lassen und sich fünf historisch wertvolle Städte in<br />
England ausgesucht haben, um diese zur Vergeltung zu bombardieren. <strong>Exeter</strong> soll eine dieser fünf<br />
Städte gewesen sein. – Ferner wurde erwähnt, dass im Rahmen eines Modernisierungswahns in<br />
den sechziger Jahren, weitere 25% der alten Bausubstanz abgerissen worden sein soll. Dies hörte<br />
ich dahin gehend sehr gerne, da ich meine lieben deutschen Landsleute für ähnliche Taten in<br />
dieser Epoche bis zu diesem Zeitpunkt nie sonderlich gut leiden konnte – hiermit waren ihre<br />
Taten von meinen eigentlich für ihren Traditionssinn bekannten und diesbezüglich von mir so<br />
geschätzten Engländern aber im Sinne einer Relativierung rehabilitiert (na ja: sagen wir zumindest<br />
teilweise).<br />
Nach dem Abendessen und den ggf. durchgeführten Führungen trafen wir Schüler uns manchmal<br />
in Pubs in der City. Die Tatsache, dass man sich in englischen Pubs seine Getränke an der Theke<br />
abholen muss, was mit langem Warten verbunden sein kann, ist schon etwas<br />
gewöhnungsbedürftig. Erfreulich hingegen war die Tatsache, dass die lieben Engländer nicht
drängeln. Bekanntlich ist „Queuing“ ein heiliges englisches Ritual. – Eines der preiswertesten<br />
Pubs war gleichzeitig aus meiner Sicht das originellste: Es war ein Pub in einer umgebauten<br />
ehemaligen Kirche. Architektonisch war dies im Sinne der Gemütlichkeit und Noblesse<br />
erstaunlich gut gelungen.<br />
Bild 6: Kirche als Pub: George´s Meeting House in <strong>Exeter</strong><br />
Da das Rauchen in englischen Pubs verboten ist, hängen am Eingang draußen briefkastenartige<br />
Aschenbecher an der Wand. Diese waren mir auch schon an den Eingängen der Busbahnhöfe<br />
aufgefallen. Bleibt zu kritisieren, dass an vielen Bushaltestellen keine Abfalleimer bzw.<br />
Aschenbecher zur Verfügung standen.<br />
Wenn ich dann abends mit dem Bus nach Hause fuhr – gar nicht einmal so spät, um meinen<br />
Aufenthalt auch unter Erholungsgesichtspunkten zu genießen – war ich dann überrascht von der<br />
Schönheit der jungen Mädchen einerseits und über ihre leichte Bekleidung (Miniröcke, keine<br />
Jacke) bei vielleicht 16 Grad andererseits. Auch hierfür – für ihre fröstelnde Bekleidung – sind die<br />
Engländer bekannt, was ich bis dahin aber nur aus Büchern kannte. – Jedenfalls stiegen diese<br />
Schönheiten dann auch in den besseren Wohnvierteln aus dem Bus aus.<br />
Unsere Schule gab sich mit den Exkursionen, die die Highlights unseres Aufenthaltes waren,<br />
auffallend viel Mühe. Gleich am ersten Tag bekamen wir eine halbtägige Tour durch <strong>Exeter</strong>, in<br />
der wir nicht nur einen geschichtlichen geographischen Überblick über <strong>Exeter</strong> erhielten, sondern<br />
z. B. auch wie die Busse in <strong>Exeter</strong> fuhren und was an dem einen freien Tag des <strong>Wochen</strong>endes<br />
unternommen werden konnte. – Höhepunkt dieses ersten Exkursionstages war die Besichtigung<br />
der Kathedrale von <strong>Exeter</strong>, die das längste gotische Kirchenschiff der Welt haben soll. Sie stammt<br />
aus dem 11. Jahrhundert.<br />
Eine weitere halbtägige Tour führte uns nach Dartmoore, einer Hochmoorlandschaft in Devon, die<br />
durch das dort liegende Gefängnis über Geschichten von Sherlock Holmes bekannt wurde. Dort
laufen noch Wildpferde bzw. Ponys herum, die auch relativ zahm sind (Man kommt relativ nahe<br />
heran, aber streicheln lassen sie sich nicht). Die Landschaft sah etwa aus wie die Lüneburger<br />
Heide, allerdings mit einer eher gelben Vegetation. – Auf der Fahrt dahin fuhren wir durch sehr<br />
schmale Straßen, die so schmal waren, dass sie häufig nur in einer Richtung befahrbar waren.<br />
Bild 7: Wilde Ponys in Darmoore<br />
Eine weitere Tour führte uns nach Bath, der einzigen Stadt Englands mit heißen Quellen. Hier<br />
hatten bereits die Römer ein riesiges Thermalbad errichtet, das nach nunmehr zweitausend Jahren<br />
auffallend gut erhalten ist. – Auch die Architektur von Bath war auffallend nobel: Gelbe<br />
Sandsteingebäude des 18. Jahrhunderts mit teilweise atemberaubenden, gigantischen<br />
Wohnanlagen aus dieser Zeit. – Es sei angemerkt, dass Bath in auffallend vielen Schulbüchern<br />
erwähnt wird und mir auch daher vom Namen her bekannt war. Nun weiß ich auch warum.<br />
Zu guter letzt besichtigten wir noch Tintagel Castle, das angebliche – und jeder (außer den<br />
Kindern) weiß, dass es nicht so ist – Schloss von König Arthur, von dem bis heute gerätselt wird,<br />
auf wen diese Sagengestalt nun zurückzuführen sei. Selbst die Höhle von Merlin konnten wir<br />
besichtigen. – Jedenfalls konnte man in dem benachbarten Ort König Arthurs Schwert in allen<br />
Variationen und Preislagen (Plastik, Holz, Stahl) kaufen – teilweise mit dem Schild dazu. Dieser<br />
Ort war dermaßen kommerzialisiert, dass Hohenschwangau, am Fuße von Schloss<br />
Neuschwanstein, auch nicht annähernd mithalten kann.<br />
Während der Ausflüge nach Dartmoore, Bath und Tintagel Castle besichtigten wir jeweils auch<br />
noch ein kleineres, weniger prominentes Ziel, das aber auch stets Charme hatte. Auf dem Weg<br />
nach Tintagle Castle besichtigten wir z. B. das kleine Fischerdorf Boscastle. Hier wurden wir<br />
dann auch darauf hingewiesen, dass sich die Einwohner dieser Stadt aufgrund des geringen<br />
Einkommens es sich nicht mehr leisten konnten, in den schönen Häusern zu wohnen. Die schönen<br />
Häuser waren allesamt in Händen von Engländern aus wohlhabenderen Gegenden. Gleiches galt<br />
auch insbesondere für das angrenzende Cornwall. Wie auch aus der Landkarte mit der<br />
geographischen Einkommensverteilung in unserem Klassenzimmer hervorging, liegt der<br />
Durchschnittsverdienst in Devon bei 1.200 Pfund pro Monat.
Während all dieser Ausflüge war ich von dem<br />
guten Zustand der Autobahnen bzw.<br />
„Motorways“ beeindruckt – sie standen den<br />
deutschen um nichts nach. Was sich allerdings im<br />
Vergleich zu meinen letzten Englandaufenthalten<br />
Anfang der achtziger Jahre geändert hatte, war<br />
der Anblick der Autos: schwerpunktmäßig<br />
Japaner, Deutsche und Franzosen. Die schönen<br />
alten englischen Autos – so schlecht ihre Qualität<br />
ja gewesen sein mag – sind verschwunden. – Der<br />
Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass das<br />
ständig satte Grün der Landschaft beeindruckte,<br />
was in Anbetracht der Niederschlagsmengen<br />
nicht verwunderlich ist.<br />
Meine Rückreise von meinem ersten Auftenthalt<br />
in 2008 nach Deutschland trat ich mit der Bahn<br />
an, wohin ich von Doris und Tom gebracht<br />
wurde. Den Zutritt zum Bahnsteig haben nur<br />
Inhaber von Bahntickets. Was mich am Bahnsteig<br />
Bild 8: Palmen im Park der University of <strong>Exeter</strong><br />
überraschte, war eine große kunstvoll gestaltete<br />
Tafel über die namentliche Auflistung der im ersten und zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten<br />
aus <strong>Exeter</strong>. – Ich war froh, mit der Bahn zu fahren, weil dies meine kleine England-Erfahrung<br />
abrundete. Die Bahn war modern und eine Mischung aus IC und ICE.<br />
Auch während meines zweiten Aufenthaltes in 2009 war ich wieder zu Gast bei Doris und Tom,<br />
was ich auch wieder sehr zu schätzen wusste. Toms Gesundheitszustand – er war an Alzheimer<br />
erkrankt – hatte sich zwischenzeitlich leider spürbar verschlechtert.<br />
Die Teilnehmerinnen – diesmal war ich der einzige männliche Teilnehmer – kamen außer mir aus<br />
Deutschland (einmal mit chilenischem und einmal mit ceylonesischem Migrationshintergrund),<br />
Italien, Litauen, Polen und Tschechien. Betrachtet man die Herkunftsländer dieser Gruppe –<br />
insgesamt waren wir sieben – war eine entsprechend kühlere Atmosphäre nicht verwunderlich.<br />
Während dieses zweiten Aufenthaltes sah ich mir auch noch den preisgekrönten Campus der<br />
University of <strong>Exeter</strong> an. Dieser Preis soll wohl von der riesigen, parkartigen Fläche des Campus<br />
herrühren – an den Gebäuden kann dies wohl kaum gelegen haben, da es sich schwerpunktmäßig<br />
um hässliche Architektur der fünfziger Jahre handelte. Die University of <strong>Exeter</strong> ist eigentlich<br />
weniger bekannt – was vielleicht an ihren nur 13.000 Studierenden und ihrer nicht sonderlich<br />
langen Tradition liegen könnte. Sie ist aber in jüngeren Jahren häufiger unter den Top Ten des<br />
Vereinigten Königreichs aufgetaucht. – Der Grund meines Besuches des etwas außerhalb der<br />
Stadt liegenden Campus lag einfach darin, dass die University of <strong>Exeter</strong> spezielle Programme für<br />
die Fortbildung von Englischlehrern anbietet, weswegen ich später einmal hierauf zurückkommen<br />
könnte.<br />
Da ich während des zweiten Aufenthaltes auch nicht mehr so sehr mit der Erforschung von<br />
touristischen Höhepunkten von <strong>Exeter</strong> beschäftigt war, sondern stattdessen im Detail eher in die<br />
Tiefe gehen konnte, besorgte ich mir z. B. (teilweise in fünfzehnfacher Ausfertigung) ein Exposée<br />
von einem viktorianischen Reihenhäuschen, den <strong>Wochen</strong>prospekt mit Sonderangeboten von einer<br />
Supermarktkette, Überweisungsformulare und Prospekte von einer Bank, einen Stadtplan und<br />
einen Busfahrplan von <strong>Exeter</strong>, verschiedene Speisekarten etc. als so genannte „Realia“ für meine<br />
Unterrichte und ließ sie mir zu Hause teilweise laminieren.
Fachlich war der zweite Aufenthalt mit seinem Zertifikat als Abschluss zwar zu 80% lediglich<br />
eine Bestätigung meiner vorher absolvierten Fortbildungen einerseits und in der Praxis gemachten<br />
Erfahrungen andererseits – aber auch eine solche Bestätigung ist wichtig für meine fachliche<br />
Kompetenz und Selbstvertrauen. Ferner ist es ab einer gewissen Qualität schwer, sich die noch<br />
fehlenden 20% an Fachwissen anzueignen – und ich bin dankbar dafür. Fazit: Keine Minute war<br />
verschenkt.<br />
Was von dem England-Aufenthalt blieb, sind diese Erinnerungen, die ich in meine Unterrichte<br />
einfließen lasse, zwei Qualifikationen mit wertvollen Anregungen für meine Unterrichte und für<br />
meinen Lebenslauf, ein flüssigeres Englisch sowie der aufrecht erhaltene Kontakt zu den beiden<br />
Österreicherinnen aus dem ersten Aufenthalt sowie zu meiner Gastfamilie und der Schule.<br />
Besonders wichtig für mich war natürlich auch das international anerkannte<br />
“First Certificate for Teachers of Business English“ der London Chamber of Commerce and<br />
Industry (LCCI), das ich mit Auszeichnung bestand und das berufsqualifizierenden Charakter hat.<br />
Schließlich war es zwar keine neue Erkenntnis, dass regelmäßige Fortbildungen in meinem Beruf<br />
wichtig für mich sind, dafür aber sehr wohl, dass ich einmal im Jahr für mindestens eine Woche<br />
(z. B. für eine Fortbildung) nach England reisen sollte, um mir gegenüber meinen stets mit<br />
deutschem Akzent sprechenden Schülern die Flüssigkeit in der englischen Sprache (und dies in<br />
der richtigen Intonation) aufrecht zu erhalten.<br />
Möge dieser Bericht ein Beispiel dafür sein, dass die Europäische Union für den einzelnen<br />
Staatsbürger etwas sehr Unmittelbares, sehr Positives und Handfestes darstellen kann.<br />
Bild 9: Good bye!<br />
Bilder und Text: D. Kullmann