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Die Jahrtausendflut des Jahres 1342 prägt Deutschland

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Jber. Wetterau. Ges. ges. Naturkunde 158. Jg. S. 119 – 129, 7 Abb. Hanau 01.09.2008<br />

<strong>Die</strong> <strong>Jahrtausendflut</strong> <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> <strong>1342</strong> <strong>prägt</strong><br />

<strong>Deutschland</strong><br />

– Neue Forschungsergebnisse aus dem<br />

Einzugsgebiet <strong>des</strong> Mains<br />

Von Hans-Rudolf Bork und Annegret Kranz<br />

mit 7 Abbildungen<br />

1. Der Kirschgraben und sein Schwemmfächer im Spessart<br />

Das kastenförmige Tal der Elsava windet sich von Heimbuchenthal zum Höllhammer<br />

durch den Buntsandstein-Spessart. Kurz vor dem Erreichen <strong>des</strong> Höllhammers besitzt<br />

das Tal der Elsava eine andere Form: Es ist dort, wo der von Westen kommende<br />

Kirschgraben einmündet, schmaler als ober- und unterhalb. Am Westrand der Aue<br />

sitzt hier eine Form, die Geomorphologen als Schwemmfächer bezeichnen (Abb. 1).<br />

Offenbar ist das meiste Gestein, das bei der Einschneidung <strong>des</strong> Kirschgrabens in eine<br />

kaltzeitliche Delle westlich <strong>des</strong> Elsavatals abgetragen worden war, nur bis an den Rand<br />

der Elsava-Aue transportiert und dort abgelagert worden.<br />

Abb. 1: Der Schwemmfächer <strong>des</strong> Kirschgrabens am Westrand der Elsava-Aue südlich<br />

Heimbuchenthal im Spessart


Wann schnitt sich der Kirschgraben in den Sandstein? Welche klimatischen Bedingungen<br />

führten zur Einschneidung? Lösten viele normale Starkniederschläge oder wenige<br />

extrem intensive Niederschläge die Entstehung der im Querschnitt V-förmigen Schlucht<br />

<strong>des</strong> Kirschgrabens aus? Hat der Mensch die Einschneidung begünstigt oder stammt die<br />

Schlucht mit ihrem Schwemmfächer aus der letzten Kaltzeit, die vor etwa 11.700 Jahren<br />

endete?<br />

Schwemmfächer am Rand der Auen kleinerer Flüsse sind weder im Spessart noch in<br />

anderen reliefierten mitteleuropäischen Landschaften selten. Warum haben wir den<br />

Schwemmfächer <strong>des</strong> Kirschgrabens für unsere Untersuchungen ausgewählt? Eine Besonderheit<br />

gab den Anlass: Ein Pfeifenkopf aus der Zeit um 1820/30 zeigt im Vordergrund<br />

das damals im Besitz von Georg Ludwig Rexroth befindliche Eisenwerk <strong>des</strong><br />

Höllhammers und rechts im Hintergrund am Rand <strong>des</strong> oben erwähnten Schwemmfächers<br />

die Reste eines stattlichen steinernen Gebäu<strong>des</strong>. Es sind die heute nicht mehr<br />

oberflächlich zu erkennenden Relikte der Burg Mole (Abb. 2; www.spessartprojekt.de).<br />

Steinerne oder hölzerne Fundamente am Rand eines Schwemmfächers lassen erwarten,<br />

dass der Kern <strong>des</strong> Schwemmfächers nicht durch die Bautätigkeit zerstört wurde und andererseits<br />

zumin<strong>des</strong>t die jüngsten Schichten aufgrund der Baubefunde und zahlreicher<br />

Funde gut zu datieren sind. Daher<br />

begeleiteten wir eine archäologische<br />

Grabung, die im Frühjahr und<br />

Sommer 2008 an und um die Burg<br />

Mole vom Spessartprojekt unter<br />

der Leitung von Dr. Gerhard Ermischer<br />

und Harald Roßmanitz unter<br />

maßgeblicher ideeller, finanzieller und<br />

aktiver Unterstützung der Gemeinde<br />

Heimbuchenthal durchgeführt wurde<br />

(www.spessartprojekt.de).<br />

Abb. 2: Im Schwemmfächer verborgene<br />

Mauerreste <strong>des</strong> Wohnturms<br />

der Burg Mole in der Aue der Elsava<br />

südlich Heimbuchenthal


2. Wann wurden 650 kg schwere Sandsteine transportiert?<br />

Mit einem größeren Bagger wurden mehrere ausgedehnte Aufschlüsse (Bodengruben)<br />

auf dem Schwemmfächer geöffnet (Abb. 3). Außerhalb der Burg Mole besaßen sämtliche<br />

Aufschlüsse einen grundsätzlich identischen Grundaufbau:<br />

Abb. 3: Anlage eines Aufschlusses auf dem Schwemmfächer <strong>des</strong> Kirschgrabens


•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

In den oberen 50 bis 100 cm stand durch organische Substanz graubraun<br />

gefärbtes schluffiges Material an (Schluff ist die Korngröße zwischen Ton und<br />

Sand mit einem mittleren Durchmesser von 0,002 bis 0,063 mm gemäß DIN-<br />

Norm). Es enthielt zahlreiche, meist wenige Millimeter kleine Holzkohlestücke,<br />

die überwiegend auf Meilerplätzen im Einzugsgebiet <strong>des</strong> Kirschgrabens<br />

abgetragen worden waren.<br />

Darunter lag ein sandiger, stellenweise fast zwei Meter mächtiger<br />

Grobmaterialkörper. Das Grobmaterial bestand aus eckigen, länglichen<br />

Sandsteinen, die an den Rändern <strong>des</strong> Schwemmfächers vorwiegend 10 bis<br />

50 cm dick waren. Auf dem Kamm <strong>des</strong> Schwemmfächers und etwas weiter<br />

nach Norden besaß der Oberflächenabfluss, der die Steine in der Schlucht<br />

ausgerissen und auf den Schwemmfächer transportiert hatte, die größte Energie.<br />

Hier führte er kaum fassbar schwere Sandsteine heran: Einer der größeren war<br />

etwa 140 cm lang und 650 kg schwer (Abb. 4). Welche für uns heute kaum<br />

vorstellbaren Kräfte müssen aufgetreten sein, um einen derart schweren Stein<br />

aus dem Gesteinsverbund loszureißen und über viele Zehnermeter oder gar<br />

noch weiter zu transportieren? Heute werden in Mitteleuropa (außerhalb der<br />

Alpen) durch den Abfluss überaus heftiger Gewitterregen in kleinen Gerinnen<br />

Steine mit selten mehr als 30 cm Durchmesser bewegt.<br />

Im unteren Teil <strong>des</strong> Schwemmfächers wurden Grobsande gefunden, die Bänder<br />

mit zahlreichen kleineren Sandsteinen enthielten.<br />

Sandige und lehmige Auensedimente der Elsava unterlagerten den<br />

Schwemmfächer.<br />

<strong>Die</strong> Burg Mole wurde 1438 verlassen. Archäologische und baugeschichtliche<br />

Detailuntersuchungen der Burg Mole und <strong>des</strong> nördlichen Burggrabens durch Harald<br />

Roßmanitz, die zahlreiche Funde zutage förderten (darunter mehrere hundert<br />

Keramikfragmente), ermöglichten eine recht genaue Einengung der Ablagerungszeit<br />

<strong>des</strong> mächtigen Grobmaterialkörpers im Schwemmfächer in das 14 Jahrhundert.


Abb. 4: Vom Abfluss eines extrem starken Niederschlagsereignisses im 14. Jh. transportierte<br />

Sandsteine (geborgen aus einem Grobmaterialkörper im Schwemmfächer <strong>des</strong> Kirschgrabens<br />

am Rand der Aue der Elsava; Länge <strong>des</strong> Maßstabes: 1 m)<br />

3. War der Spessart im Mittelalter eine waldreiche Landschaft?<br />

Vollzogen sich diese gewaltigen Veränderungen <strong>des</strong> Kirschgrabens und seines<br />

Schwemmfächers im Verlauf <strong>des</strong> 14. Jahrhunderts in einer vom Wald beherrschten,<br />

abgelegenen Mittelgebirgslandschaft? In dem Märchen „Das Wirtshaus im Spessart“<br />

vermittelt Wilhelm Hauff 1828 der breiten Öffentlichkeit einen von Räubern beherrschten,<br />

dunklen Spessartwald. Ein knappes viertel Jahrhundert später beschreibt Rudolf<br />

Virchow (1852) in einem eindrucksvollen Reisebericht „<strong>Die</strong> Noth im Spessart“. Im 19.<br />

Jahrhundert spiegelte das von Virchow dargestellte Bild vom düsteren Spessart wohl<br />

tatsächlich zeitweise und lokal auch die soziale Wirklichkeit wider. Jedoch weisen jüngere<br />

Untersuchungen (vgl. die Wirtschaftsgeschichte <strong>des</strong> Spessart von Gerrit Himmelsbach,<br />

http://www.spessartprojekt.de/spessart/bibliothek/Wirtschaftsgeschichte.php) und auch<br />

unsere Grabungsergebnisse auf einen völlig anderen, waldarmen Spessart im 13. und<br />

frühen 14. Jahrhundert. Vor der Ablagerung <strong>des</strong> mächtigen Grobmaterialkörpers und der<br />

auf ihm liegenden schluffigen Schicht bedeckten nicht sehr dicke fruchtbare Böden aus<br />

Löß (in den trockenen Phasen vor allem der letzten Kaltzeit vom Wind herantransportierte<br />

und auch im Spessart abgelagerte Stäube) den überwiegenden Teil <strong>des</strong> Einzugsgebietes<br />

<strong>des</strong> Kirschgrabens. Heute sind nur noch in einem kleinen schmalen Gürtel entlang der<br />

Wasserscheide um den Heimathenhof Reste der kaltzeitlichen Lößdecke erhalten.


Der Schwemmfächer <strong>des</strong> Kirschgrabens informiert uns also exemplarisch nicht nur<br />

für den Spessart über DAS Umweltdrama <strong>des</strong> vergangenen Jahrtausends. Im Verlauf<br />

von wenigen Stunden oder Tagen hatte der Spessart seine ursprüngliche Fruchtbarkeit<br />

verloren; er wurde danach zwangsläufig zu einer Waldlandschaft – die bis in das 18.<br />

Jahrhundert von Eichen und Buchen dominiert war (nicht von Fichten oder Tannen).<br />

4. Der Verlauf <strong>des</strong> Jahrtausendregens im Juli <strong>1342</strong> in Mitteleuropa<br />

Welches extreme Niederschlagsereignis hat diese verheerende Umweltkatastrophe<br />

verursacht (da Menschen durch Landnutzung die Katastrophe erst ermöglichten,<br />

handelt es sich hier um eine Umweltkatastrophe und nicht um eine Naturkatastrophe!)?<br />

Schriftquellen geben eine klare Antwort: Kein Starkniederschlag wurde im 14.<br />

Jahrhundert (und auch in der Zeit davor und danach) derart of erwähnt; kein anderes<br />

Witterungsereignis hatte derart gravierende Folgen wie dasjenige im Juli <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong><br />

<strong>1342</strong> (Bork 1983, 2006, Dotterweich und Bork 2007).<br />

Schriftquellen belegen, dass eine warme, feuchte Luftmasse aus dem östlichen<br />

Mediterranraum in das westliche Mitteleuropa vorgedrungen war (Roth 1996, Bork et<br />

al. 1998). Hier strömte sie über eine kühlere, also schwerere Luftmasse im Nordwesten.<br />

<strong>Die</strong> auf der kühlen aufsteigende wärmere Luftmasse aus dem Mittelmeergebiet kühlte<br />

sich ab. Dabei kam es zu starker Kondensation, zu gravierender Wolkenbildung und zu<br />

ganz außergewöhnlich ergiebigen Niederschlägen. Am 19. Juli setzten die Starkregen<br />

in Franken und Thüringen ein. <strong>Die</strong> Front wanderte von hier aus weiter in westliche und<br />

nördliche Richtung und führte auch dort zu extrem hohen Niederschlagsintensitäten.<br />

Schließlich war der gesamte Raum zwischen Eider und Donau, Maas und Oder<br />

(möglicherweise gar bis zur Weichsel) betroffen.<br />

Der Bewegungsverlauf der Luftmassen wird nach dem niederländischen Meteorologen<br />

W. J. van Bebber als „Vb-Zugbahn“ bezeichnet. Eine derartige Wetterlage – mit<br />

feuchten, aus dem östlichen Mittelmeerraum anströmenden Luftmassen – ist gar nicht<br />

so selten. Sie war in jüngster Zeit verantwortlich beispielsweise für die Oderflut 1997<br />

und die Elbüberschwemmung 2002. <strong>Die</strong> Abflussmengen lagen <strong>1342</strong> wohl um das 50-<br />

bis 100-fache über denjenigen in den Jahren 1997 oder 2002.<br />

5. <strong>Die</strong> kurzfristigen Folgen <strong>des</strong> Jahrtausendregens<br />

Der Abfluss <strong>des</strong> Jahrtausendniederschlags floss im Kirschgraben zusammen. <strong>Die</strong><br />

Wassermassen rissen dort selbst große Steine aus dem Verband <strong>des</strong> Sandsteins; sie<br />

veränderten die Länge und die Form <strong>des</strong> Kirschgrabens, erhöhten und vergrößerten<br />

<strong>des</strong>sen Schwemmfächer drastisch. Vor allem der Abfluss dieses einen Regens nahm<br />

den Böden im Einzugsgebiet ihre Fruchtbarkeit für Jahrtausende und beendete damit an


vielen Standorten die vorausgegangene landwirtschaftliche Nutzung und den Weinbau.<br />

Wie wirkte der Katastrophenregen <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> <strong>1342</strong> andernorts? Grabungen der Autoren<br />

belegen ein Schluchtenreißen und starke flächenhafte Bodenerosion auch außerhalb <strong>des</strong><br />

Spessarts, ja in dem gesamten Raum, den der Regen im Juli <strong>1342</strong> heimsuchte und der<br />

in jenen Tagen nicht von dichter Vegetation bedeckt war (Bork 1983, 2006, Bork et al.<br />

2006, Dotterweich und Bork 2007).<br />

Abb. 5: „Am 21. Juli<br />

<strong>1342</strong> stieg der Main in<br />

wenigen Stunden gewaltig<br />

an. <strong>Die</strong> Mainbrücke<br />

mit ihren Türmen, die<br />

Mauern und viele steinerne<br />

Häuser der Stadt<br />

stürzten zusammen. Am<br />

Domportal erreichte das<br />

Wasser die steinernen<br />

Statuen, oberhalb der<br />

Stufen.“ (Bauinschrift<br />

vom Hof zum Großen<br />

Löwen in Würzburg,<br />

Mainfränkisches Museum<br />

in Würzburg; Quelle:<br />

Bork 2006)<br />

Schriftquellen beschreiben besonders die Wasserhöhen der resultierenden<br />

Überschwemmungen in den größeren Flußauen und die Infrastrukturschäden.<br />

Zwei Beispiele illustrieren die Schäden entlang <strong>des</strong> Mains. In Würzburg rissen die<br />

Wassermassen die Mainbrücke fort; das Hochwasser erreichte hier gar die steinernen<br />

Statuen oberhalb der Stufen <strong>des</strong> Domportals (Abb. 5). Grotefend (1884, S. 5f.) nennt<br />

ganz außergewöhnliche Wasserhöhen für 12 Kirchen in Frankfurt am Main am 20., 21<br />

oder 22. Juli <strong>1342</strong>:<br />

Sankt Jakob 3 Schuh<br />

Barfüßer Kirche 4 Schuh<br />

Sankt Niklas 6 Schuh<br />

St. Elsbeth 7 Schuh<br />

Kirche zum Heiligen Geist 7 Schuh<br />

St. Anna 7 Schuh<br />

Deutschherrenkirche 7 Schuh<br />

Kirche unser Frauen Brüder 7 Schuh<br />

Kirche zu den Weißen Frauen 7 Schuh<br />

Prediger Kirche 9 Schuh<br />

Kirche zu den drei heiligen Königen 12 Schuh<br />

St. Jörg bis unter die<br />

untersten Schwibbögen


Einige Berichte veranschaulichen die Dramatik <strong>des</strong> Ereignisses in Frankfurt am Main<br />

sowie in Sachsenhausen und die Reaktionen der Bewohner. „<strong>1342</strong> hat sich auf Marien<br />

Magdalenen Tag eine solche Flut ergossen, da mancher Ort unter Wasser gesetzt<br />

worden. […] Der Main war so hoch gestiegen, daß das Wasser rings um Sachsenhausen<br />

herumging und zu Frankfurt alle Straßen unter Wasser standen. Selbst in den Kirchen<br />

hatte man etliche Schuh hoch Wasser, darum Jedermann in der Furcht gestanden, die<br />

ganze Stadt würde vergehen. […] Zumittelst wollte die hohe Flut nicht ablassen sondern<br />

es riß auf St. Jacobs Tag um 1 Uhr die Brücke und der Turm samt dem Pfeiler darauf<br />

die neu erbaute Kapelle gegen Sachsenhausen zugestanden, aus dem Grund hinweg<br />

bis auf 6 Schwibbögen gegen Frankfurt zu. Zu Sachsenhausen machte das Wasser ein<br />

Loch oder Grube in die Erde welche 100 Ellen lang, 10 Ellen tief und 25 Ellen breit<br />

war, der Steinweg war auch ganz zerrissen. […]“ (Aus dem Nachlass der Rheinischen<br />

Naturforschenden Gesellschaft im Stadtarchiv Mainz, Abschriften und Quellen über<br />

Naturkatastrophen, die im 19. Jh. von Dr. Jos. Wittmann zusammengestellt worden<br />

waren; vgl. Abb. 6, 7).<br />

„Diß hat großen schrecken bracht, darum die von Sachsenhaußen auf den Mölberg<br />

genannt zum Hohenrad geflohen, allda hüttlein gemacht; die von Franckfurt in die<br />

dörfer. […] und auf denselbigen tag haben die einwohner alle gefastet zu waßer und<br />

brod und am nächsten tag nach sankt Jacob tag ein prozeß gehalten, alle geistlich und<br />

weltlich, reich und arm, barfus gangen, haben getragen 100 Stangenkerzen und 600<br />

kleine Kerzen […]“(Grotefend 1884, S. 5 f.).<br />

Abb. 6 u. 7: Das Jahr <strong>1342</strong> in den Abschriften und Quellen über Naturkatastrophen, die<br />

im 19. Jh. von Dr. Jos. Wittmann zusammengestellt worden waren (aus dem<br />

Nachlass der Rheinischen Naturforschenden Gesellschaft im Stadtarchiv Mainz)


6. <strong>Die</strong> langfristigen Folgen <strong>des</strong> Jahrtausendregens<br />

In den Mittelgebirgen <strong>Deutschland</strong>s gingen im Verlauf jener verheerenden Woche<br />

im Juli <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> <strong>1342</strong> vor allem bis dahin ackerbaulich genutzte fruchtbare,<br />

jedoch geringmächtige Böden verloren. Sie wurden häufig vollständig abgetragen.<br />

Seitdem stehen dort oftmals steinreiche oder lehmig-steinige Substrate an, die nur<br />

forstwirtschaftlich zu nutzen sind. Das abgespülte Substrat wurde hauptsächlich auf<br />

den Unterhängen und an den Rändern kleiner Talauen abgelagert.<br />

An manchen Mittelgebirgsstandorten werden sich durch bodenbildende Prozesse erst in<br />

vielen Jahrtausenden wieder landwirtschaftlich nutzbare Böden entwickelt haben. An<br />

anderen Mittelgebirgsstandorten wird zunächst die erneute Ablagerung von Lössen in<br />

der nächsten Kaltzeit und dann die darauf folgende Warmzeit abzuwarten sein, bis hier<br />

wieder ertragreicher Ackerbau betrieben werden kann.<br />

Ohne Kenntnis <strong>des</strong> Jahrtausendregens und seiner Folgen ist durchaus verständlich, dass<br />

Agrarhistoriker die „Fehlsiedlungstheorie“ entwickelten. <strong>Die</strong>se besagt, die Besiedlung<br />

einiger Bereiche in den Mittelgebirgen sei fehlgeschlagen, da die Siedler erst die dort<br />

schon immer charakteristische Unfruchtbarkeit der Böden selbst erfahren mussten und<br />

eine Aufgabe (Wüstfallen) resultierte. <strong>Die</strong>se Böden waren jedoch vor <strong>1342</strong> überwiegend<br />

fruchtbar und ackerbaulich nutzbar.<br />

Rascher vollzog sich die Regeneration von Böden in den Sanden der<br />

Jungmoränenlandschaften Norddeutschlands. Nach <strong>1342</strong> wüstgefallene Standorte<br />

bewaldeten sich auch dort. Jedoch entstanden im Verlauf weniger Jahrhunderte erneut<br />

Böden, die teilweise seit dem 17. oder 18. Jahrhundert wieder ackerbaulich genutzt<br />

werden konnten (Bork et al. 1998).<br />

In der Wetterau und in der Lößbörde nördlich der Mittelgebirge hat sich das Ereignis<br />

<strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> <strong>1342</strong> hingegen wohl auf weit mehr als 80% der Oberfläche kaum ausgewirkt.<br />

Viele Hänge besitzen hier eine geringe Neigung. <strong>Die</strong> Lösse waren (und sind) zumeist<br />

derart mächtig, dass auch nach der Abtragung der oberen Zentimeter oder Dezimeter<br />

ein ausreichender Teil <strong>des</strong> Lösses an den Standorten verblieb, um eine Fortsetzung <strong>des</strong><br />

Ackerbaus zu ermöglichen.<br />

<strong>Die</strong> Hänge und die kleineren Tiefenlinien lößerfüllter Beckenlandschaften (z. B.<br />

<strong>des</strong> Kraichgaus im nordwestlichen Baden-Württemberg oder <strong>des</strong> Untereichsfelds in<br />

Südniedersachsen) wurden hingegen stark zerschluchtet. Oftmals brachen die steilen,<br />

im Juli <strong>1342</strong> entstandenen Wände der Schluchten bald ein. Zwischen den kollabierten<br />

Blöcken in den Schluchten sedimentierte während schwacher Gewitterregen oberhalb im<br />

Ackerland abgetragenes Substrat. In der Folgezeit wurden die teilverfüllten Schluchten<br />

als Dauergrünland genutzt.


7. <strong>Die</strong> Entwicklung nach dem Jahrtausendregen<br />

Auf den Jahrtausendregen folgte für viele Bewohner Europas ein noch dramatischeres<br />

Ereignis: <strong>Die</strong> Beulenpest verursachte von 1348 bis 1350 ein Massensterben.<br />

Zusammen mit den Hungersnöten der zweiten Dekade <strong>des</strong> 14. Jahrhunderts bewirkte<br />

diese Pestpandemie ein Rückgang der Bevölkerungsdichte in <strong>Deutschland</strong> um mehr<br />

als ein Drittel. Der Bedarf an Ackerfläche nahm ab. Das Wüstfallen von Fluren, das<br />

u. a. bereits durch die Folgen <strong>des</strong> Jahrtausendregens viele Standorte nicht nur in den<br />

Mittelgebirgen erfasst hatte, verstärkte sich wesentlich. Im Vergleich zum späten 13.<br />

Jahrhundert verdreifachte sich die waldbedeckte Fläche <strong>Deutschland</strong>s nach der Mitte<br />

<strong>des</strong> 14. Jahrhunderts.<br />

Damit wurde auch eine veränderte Ernährung möglich. Im 13. Jahrhundert waren die<br />

Landschaften Mitteleuropas so intensiv zur Nahrungsmittelerzeugung genutzt worden<br />

wie wohl niemals davor. Hohe Fleischpreise ermöglichten vorwiegend nur einer kleinen<br />

Oberschicht den Verzehr von Fleisch. <strong>Die</strong> meisten Mitteleuropäer lebten von pflanzlichen<br />

Produkten, waren Vegetarier. Mit dem starken Rückgang der Bevölkerungszahl bis<br />

zur Mitte <strong>des</strong> 14. Jahrhunderts nahm der Nahrungsmittelbedarf ab und die Wälder<br />

dehnten sich danach aus. In den neuen Wäldern wurden vor allem Schweine und Rinder<br />

gehalten. Damit erhielt der überwiegende Teil der Bevölkerung Zugang zu Fleisch. Der<br />

Fleischkonsum schnellte in die Höhe, im Durchschnitt zeitweise wohl auf deutlich mehr<br />

als zwei Pfund Fleisch und Wurst pro Person und Tag (Bork 2006).<br />

<strong>Die</strong> beschriebenen Wechselwirkungen von naturräumlichen Gegebenheiten wie Relief-<br />

und Bodeneigenschaften, extremen Witterungsereignissen, Landnutzung und Ernährung<br />

sind faszinierend und – zumin<strong>des</strong>t teilweise – unerwartet.


7. Dank<br />

Wir danken Herrn Dr. Gerhard Ermischer und Herrn Harald Roßmanitz vom<br />

Archäologischen Spessart-Projekt und dem 1. Bürgermeister von Heimbuchenthal, Herrn<br />

Rüdiger Stenger, ganz herzlich für die Ermöglichung und die intensive Unterstützung<br />

der geoarchäologischen Untersuchungen an der Burg Mole bei Heimbuchenthal im<br />

Spessart. Herr Harald Roßmanitz datierte zahlreiche Keramikfunde in und um Burg<br />

Mole. Frau Gertrud Bork beschaffte und bearbeitete Material zum Jahrtausendregen<br />

von mehr als 20 zahlreichen Archiven in <strong>Deutschland</strong>.<br />

8. Literaturverzeichnis<br />

Bork, H.-R. (1983): <strong>Die</strong> holozäne Relief- und Bodenentwicklung in Lößgebieten –<br />

Beispiele aus dem südöstlichen Niedersachsen. In: H.-R. BORK & W. RICKEN,<br />

Bodenerosion, holozäne und pleistozäne Bodenentwicklung, Catena SUPPL.<br />

3: 1-93; Braunschweig<br />

Bork, H.-R. (2006): Landschaften der Erde unter dem Einfluss <strong>des</strong> Menschen. 207 S.<br />

Darmstadt (WBG / Primus-Verlag).<br />

Bork, H.-R., H. Bork, C. Dalchow, B. Faust, H.-P. Piorr & T. Schatz (1998): Landschaftsentwicklung<br />

in Mitteleuropa. Wirkungen <strong>des</strong> Menschen auf Landschaften.<br />

328 S. Gotha (Klett-Perthes).<br />

Dotterweich, M. und H.-R. Bork (2007): <strong>Jahrtausendflut</strong> <strong>1342</strong>. Archäologie in<br />

<strong>Deutschland</strong>. 4/2007, S. 38-40.<br />

Grotefend, H. (1884): Quellen zur Frankfurter Geschichte. Bd. 1. Frankfurt am Main.<br />

Roth, R. (1996): Einige Bemerkungen zur Entstehung von Sommerhochwasser aus<br />

meteorologischer Sicht. Zeitschr. f. Kulturtechnik u. Landentwicklung, 37:<br />

241-245.<br />

Anschrift der Autoren:<br />

Hans-Rudolf Bork und Annegret Kranz<br />

Ökologie-Zentrum<br />

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel<br />

Olshausenstr. 40<br />

24098 Kiel

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