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Urologische Sportverletzungen - Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin

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K.-H. Bichler, A. Zumbrägel, W. Mattauch und S. Lahme<br />

<strong>Urologische</strong> <strong>Sportverletzungen</strong><br />

Trauma of the genitourinary tract<br />

<strong>Urologische</strong> Klinik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen<br />

Zusammenfassung<br />

Mit diesem Beitrag sollen die wichtigsten Verletzungsarten auf urologischem<br />

Fachgebiet vorgestellt werden, die bei der Ausübung verschiedener<br />

Sportarten beobachtet werden können. <strong>Sportverletzungen</strong> im Fachgebiet<br />

Urologie sind zwar im Vergleich zu anderen Fachgebieten (z.B.<br />

Unfallchirurgie) seltener anzutreffen, können jedoch schwerwiegende<br />

Folgen nach sich ziehen, wenn sie nicht rechtzeitig und fachkompetent<br />

erkannt bzw. behandelt werden. So können beispielsweise Nierenverletzungen<br />

als Folge von Sportunfällen beim Fußballspiel, im Reitsport und<br />

beim Alpin-Ski auftreten. Aber auch Verletzungen des äußeren Genitale,<br />

Harnblasen- und Harnröhrenverletzungen sind hier zu nennen. Abhängig<br />

vom Schweregrad der Verletzung ist eine rasche Diagnostik und<br />

Therapie, bis hin zu operativen Maßnahmen erforderlich, um eventuelle<br />

Spätfolgen zu vermeiden. Bedeutung kommt der sogenannten<br />

Sporthämaturie zu, die differentialdiagnostisch zu einer umfangreichen<br />

urologischen Abklärung zwingt. Vor diesem Hintergrund ist ein Mindestmaß<br />

an urologischen Fachwissen auch in der Sporttraumatologie<br />

wünschenswert und sollte Gegenstand der ärztlichen Fortbildung sein.<br />

Schlüsselwörter: <strong>Urologische</strong> Traumatologie, Nierenverletzungen,<br />

Hodentorsion, Blasenruptur, Harnröhrenruptur,<br />

Sporthämaturie, Sporthämoglobinurie<br />

Einleitung<br />

Verletzungen des Urogenitaltraktes beim Sport sind, gemessen<br />

an der Häufigkeit anderer bei <strong>Sportverletzungen</strong> beteiligter<br />

Organe, eher selten. Trotzdem kann es im Einzelfalle<br />

zu erheblichen Schädigungen nach Gewalteinwirkung kommen,<br />

die eine unverzügliche urologische Versorgung des Patienten<br />

erfordern. Desweiteren können nicht erkannte urologische<br />

Schädigungen des Urogenitaltraktes infolge Sportverletzung<br />

zu ernsthaften Spätproblemen („Page-Niere“,<br />

Urinom, Hodenatrophie u.a.) führen, so dass die Notwendigkeit<br />

der suffizienten urologischen Primärversorgung betont<br />

werden muss.<br />

Tabelle 1 zeigt den Bezug der Verletzungen zu bestimmten<br />

Sportarten, wobei erkennbar ist, dass Fußball, Rad- und<br />

Skisport sowie Leichtathletik im Vordergrund stehen. Interessant<br />

sind hierzu auch die Zahlen der schweizerischen<br />

Unfallversicherung, die 270 Verletzungen des Genitaltraktes<br />

im Berichtsjahr bei Sportunfällen verzeichnet, wobei etwa<br />

50% beim Fußball auftraten (Tab. 2 und 3) (9).<br />

Urologie Übersichten<br />

Summary<br />

This article deals with the most important types of observed sports injuries<br />

pertaining to the field of urology. Although sports injuries relating<br />

to the urological specialty are not as frequent as those in other medical<br />

fields (such as emergency surgery), sports injuries may have grave<br />

consequences if not recognized and treated early and expertly. Renal injuries,<br />

for example, occur as consecutive symptoms of sports injuries in<br />

soccer, horseback riding or in downhill skiing, as do injuries of the outer<br />

genitals, bladder and urethra. Depending on the degree of severity of<br />

injury, immediate diagnosis and treatment and even surgical measures<br />

are imperative in order to avoid possible sequelae. Important in this context<br />

is the so-called sports haematuria which requires extensive urological<br />

diagnostics. In view of these background facts, it is clear that a<br />

basic command of theoretical urological expertise should be a requirement<br />

in sports traumatology and should also be an area of advanced<br />

medical training.<br />

Keywords: Trauma of the genitourinary tract, renal trauma, testicular<br />

torsion, bladder trauma, urethral injury, exercise related haematuria,<br />

exertional haemoglobinuria<br />

Prinzipiell kann unterschieden werden in Verletzungen<br />

des oberen Harntraktes, der Harnblase, der Harnröhre, des<br />

Penis und des Skrotums (Hoden). Außerdem hat sich unter<br />

dem Gesichtspunkt der notwendigen Therapie die Differenzierung<br />

in offene und geschlossene Verletzungen bewährt.<br />

Tabelle 1: Verletzungen des Urogenitaltraktes bei unterschiedlichen<br />

Sportarten<br />

Verletzungen Sportart<br />

• Äußeres Genitale (Vulva, Meatus) Fußball, Rad- und Motorradfahren<br />

• Hoden (Zerreißung der Kapsel) Reiten, Ski alpin, Leichtathletik<br />

• Nebenhoden (Einrisse u. Hämatome)<br />

• Penis (Ablederung, Harnröhrenverletzungen)<br />

• Harnröhren- und Harnblasenverletzungen<br />

(Beckenfraktur,<br />

Straddle-Verletzungen)<br />

• Nierenverletzungen (Kontusion,<br />

Kapselhämatome, Parenchymzerreißungen,<br />

Nierenstielabrisse)<br />

Fußball, Reiten, Ski alpin,<br />

Leichtathletik (Sprungdisziplinen)<br />

Radfahren, Motorradfahren<br />

Fußball, Reiten, Ski alpin, Rodeln<br />

Jahrgang 51, Nr. 11 (2000) DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 359


Übersichten Urologie<br />

Tabelle 2: Genitalverletzungen im Sport. SUVA, Schweiz (n= 270,<br />

hochgerechnete 10 %-Stichprobe), Verletzungsarten (zit. aus 9).<br />

Verletzungsarten Anteile in Prozent<br />

Hodenkontusion 55 %<br />

Vorhaut- und Frenulumverletzungen 10 %<br />

Hodenruptur 5 %<br />

Hodentorsion 5 %<br />

Scrotumwunde 5 %<br />

Penishämatom 5 %<br />

Samenstrangquetschung 5 %<br />

Sonstiges (u.a. Labium [Risswunde], Blasenruptur,<br />

Schwellkörperverletzung) 10 %<br />

Gesamt 100 %<br />

(davon 52% beim Fußball)<br />

Tabelle 3: Genitalverletzungen im Sport. SUVA, Schweiz (n= 270, hochgerechnete<br />

10 %-Stichprobe), Kausalitätsvarianz (Zit. aus 9).<br />

Unfallhergang Anteil in Prozent Sportart<br />

Schlag, Tritt oder 43% Fußball, Handball,<br />

Zusammenprall mit Karate<br />

Gegner<br />

Bälle 18 % Fußball, Volleyball<br />

Aufprall gegen harten 39 % Skifahren, Baden,<br />

Gegenstand, Sturz- Schlitteln, Joggen<br />

situation, Sonstiges<br />

Bodenbeschaffenheit 4 % Fußball<br />

Verletzungen des äußeren Genitale<br />

Stumpfe Verletzungen des äußeren Genitale mit Prellungen<br />

von Penis und Skrotum können zu unterschiedlich ausgeprägten<br />

Hämatomen führen, die zumeist keine operative Intervention<br />

erfordern, im Einzelfalle muss jedoch eine opera-<br />

Abbildung 1:<br />

Beispiel einer<br />

Hodenruptur<br />

a) Hodenkapselzerreißung<br />

bei einem<br />

Fußballspieler (D.H,<br />

22J.). Unfallhergang:<br />

Fußtritt gegen<br />

das Skrotum<br />

b) Schematische<br />

Darstellung eines<br />

Kapselrisses des<br />

Hodens und operative<br />

Versorgung<br />

tive Revision und Hämatomausräumung in Erwägung gezogen<br />

werden (bzgl. Harnröhrenverletzung, s. dort).<br />

Schwieriger ist die Frage der operativen Freilegung des<br />

Hodentraumas zu beantworten. Nicht zwangsläufig liegt<br />

dabei immer ein großes Skrotalhämatom vor. Da aber auch<br />

intrakapsulär gelegene Hämatome zur Druckerhöhung<br />

innerhalb des Hodens führen können, sind Sonographie<br />

und gegebenenfalls Angiodynographie unverzichtbare<br />

Untersuchungsmethoden beim Skrotaltrauma. Wichtig ist es,<br />

die Zerreißung der tunica albuginea, d.h. der unmittelbaren<br />

Hodenhülle zu erfassen (Abb.1a und 1b). Bei nicht rechtzeitig<br />

durchgeführter oder unterlassener Hodenfreilegung muss<br />

eine Atrophie des Organs be<strong>für</strong>chtet werden. Um derartige<br />

Verletzungen nicht zu übersehen, kommt der fachurolo-<br />

Abbildung 2:<br />

Beispiel einer<br />

Hodentorsion<br />

a) Operationssitus<br />

einer Hodentorsion<br />

nach skrotaler Freilegung<br />

(3 Std alte<br />

Torsion nach Fahrradfahren,<br />

Patient<br />

B.D, 16 J.). Der<br />

Hoden ist um<br />

mindestens 1800<br />

torquiert und zeigt<br />

eine blau-livide Verfärbung<br />

als Ausdruck<br />

der Ischämie.<br />

b) Nach Retorquierung<br />

kommt es<br />

zum Rückgang der<br />

Ischämie. Der Hoden<br />

konnte erhalten<br />

werden und wurde<br />

orchidopexiert.<br />

gischen Untersuchung mit Sonographie eine erhebliche Bedeutung<br />

zu.<br />

Auch die Differentialdiagnose Hodentorsion muss beim<br />

stumpfen Hodentrauma bedacht werden. Definitionsgemäß<br />

versteht man unter einer Hodentorsion die Verdrehung des<br />

Hodens um die Längsachse des Samenstranges (synonym:<br />

Samenstrangtorsion). Die klinisch-diagnostische Abgrenzung<br />

der Hodentorsion auch von einer akuten Epididymitis<br />

(Nebenhodenentzündung) kann erschwert sein. Neben der<br />

Anamnese, dem Hodenpalpationsbefund und dem Urinstatus<br />

ist die Hoden-Angiodynographie unter Umständen richtungsweisend,<br />

wenn sich eindeutige intratestikuläre Perfusionsimpulse<br />

feststellen lassen. Bleibt jedoch der geringste<br />

a) b)<br />

Abbildung 3: Schematische Darstellung der Harnblasenrupturen<br />

a) intraperitoneale Harnblasenruptur b) extraperitoneale Harnblasenruptur<br />

360 DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN Jahrgang 51, Nr. 11 (2000)


Verdacht auf eine Hodentorsion, ist die sofortige Hodenfreilegung<br />

unumgänglich, da die Prognose durch die begrenzte<br />

Ischämiezeit von max. 4-6 Stunden bestimmt wird.<br />

Jenseits der 4-6 Stunden liegen bereits irreversible Schädigungen<br />

mit Nekrosebildungen des Hodenparenchyms vor,<br />

so dass nur noch die Orchiektomie bleibt. Über die Entwicklung<br />

und Entstehung von Hodentorsionen ist wenig bekannt.<br />

Als gesichert gilt, dass anatomische Veränderungen, wie verlängerter<br />

Samenstrang, „Glockenschlegelhoden“ oder pathologische<br />

Kremasterkontraktionen die Entstehung von Hodentorsionen<br />

begünstigen können. Die Frage, inwieweit<br />

sportliche Betätigungen oder Sporttraumata eine Hodentorsion<br />

verursachen können, ist wenig untersucht. In einer retrospektiven<br />

Auswertung von 71 Patienten mit Hodentorsion<br />

aus unserem Krankengut kam es in 8,4% der Fälle zur Hodentorsion<br />

(7,17) nach sportlicher Aktivität. Ein Beispiel <strong>für</strong><br />

eine Hodentorsion nach Fahrradfahren zeigen die Abbildungen<br />

2a und 2b.<br />

Harnblasenverletzungen<br />

Harnblasenverletzungen kommen gehäuft beim Fußball und<br />

beim Wintersport vor. Bei stumpfen Traumen ist hier die gefüllte<br />

Blase mehr verletzungsgefährdet als die entleerte. Leitsymptom<br />

sind Hämaturie bzw. Tamponade (durch Blutkoagel)<br />

bzw. akutes Abdomen. Kommt es zur Harnblasenruptur,<br />

so muss zwischen einer intraperitonealen bzw. extraperitonealen<br />

unterschieden werden (Abb. 3a und 3b). Bei Beteiligung<br />

des Peritoneums besteht in der Regel eine Abwehrspannung<br />

im Bereich des Abdomens. Zur Abklärung ist<br />

bei Verdacht auf Harnblasenverletzung eine Kontrastmitteldarstellung<br />

erforderlich (Zystogramm). Während kleinere<br />

Schleimhautrisse allein mit einer Katheterableitung ausreichend<br />

versorgt sind, machen Verletzungen mit Extravasation<br />

offen-operative Versorgung notwendig.<br />

Harnröhrenverletzungen<br />

Harnröhrenverletzungen treten häufig in Kombination mit<br />

Beckenfrakturen bzw. bei „Straddle“-Verletzungen auf (Abb.<br />

4a). Zur Symptomatik gehört die Hämaturie bzw. Harnsperre<br />

Abbildung 4:<br />

Harnröhrenruptur<br />

nach ‘Straddle-Verletzung’<br />

a) Schematische<br />

Darstellung<br />

Urologie Übersichten<br />

Abbildung 5: Beispiel einer Harnröhrenverletzung<br />

a) Schematische Darstellung der Harnröhre<br />

Abbildung 5:<br />

b) Normalbefund im<br />

retrograden Urethrogramm:<br />

die Kontrastmittel-(KM-)<br />

darstellung zeigt eine<br />

im Kaliber normwertige<br />

vordere und<br />

hintere Harnröhre<br />

mit Kontrastmittelübertritt<br />

in die Blase<br />

ohne Hinweis <strong>für</strong> eine<br />

Urethrastriktur<br />

oder KM-Extravasation<br />

c) Bulbäre Harnröhrenverletzung<br />

im<br />

retrograden Urethrogramm:<br />

die KM<br />

Darstellung zeigt<br />

eine ausgeprägte<br />

Extravasation der<br />

hinteren Harnröhre.<br />

sowie Schwellung und Schmerzhaftigkeit im Verletzungsbereich.<br />

Auch skrotale Hämatome können wegweisend <strong>für</strong> eine<br />

Harnröhrenverletzung sein (Abb. 4b). Die rektale Untersuchung<br />

kann bei totalem Harnröhrenabriss im hinteren Anteil<br />

den typischen Befund der kranial dislozierbaren Prostata<br />

b) Skrotales Hämatom,<br />

wegweisend<br />

<strong>für</strong> eine Harnröhreverletzung<br />

Jahrgang 51, Nr. 11 (2000) DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 361


Übersichten Urologie<br />

ergeben. Ein einmaliger Katheterisierungsversuch kann unternommen,<br />

sollte jedoch nicht vom Ungeübten durchgeführt<br />

werden, da neben der Verschlimmerung des Befundes<br />

(„via falsa“) eine Infektion begünstigt werden kann (6). Unter<br />

klinischen Bedingungen bringt die retrograde Urethrographie<br />

die Entscheidung (Abb. 5). Die Abbildungen zeigen<br />

schematisch die Anatomie der Harnröhre (Abb. 5a), sowie<br />

den Normalbefund einer Harnröhre (Abb. 5b) im Vergleich zu<br />

einer bulbären Harnröhrenverletzung (Abb. 5c) im retrograden<br />

Urethrogramm.<br />

Zur Behandlung der Harnröhrenverletzung hat sich bei<br />

uns ein zweizeitiges Vorgehen bewährt. Zunächst sollte eine<br />

suprapubische Harnblasenableitung durch Zystostomiekatheter<br />

erfolgen. Einer operativen Versorgung des Harnröhrendefektes<br />

im Intervall geben wir den Vorzug gegenüber<br />

der sofortigen operativen Versorgung. Hier bestehen allerdings<br />

je nach Klinik z.T. differente Vorgehensweisen. Neben<br />

offen-operativen haben sich auch endoskopische Techniken<br />

mit kombiniertem transurethralem und transvesikalem<br />

Vorgehen bewährt (5,6).<br />

Nierenverletzungen<br />

Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, werden Nierenverletzungen<br />

verschiedenen Ausmaßes bei folgenden Sportarten am häufigsten<br />

beobachtet: Fußball, Reiten, Ski (alpin) und Rodeln<br />

(9, 12,16). Sie können aber auch in anderen Disziplinen auftreten.<br />

Die anatomisch geschützte<br />

Lage der Nieren<br />

unterhalb des Rippenbogens<br />

spielt <strong>für</strong> die Häufigkeit<br />

und Ausprägung der<br />

<strong>Sportverletzungen</strong> des<br />

oberen Urogenitaltraktes<br />

eine wichtige Rolle. Es<br />

bedarf einer wesentlichen<br />

Gewalteinwirkung, damit<br />

Abbildung 6: Nierenruptur nach<br />

Verletzung beim Fußballspielen (H.E, 17J.<br />

männlich)<br />

a) Die Nieren-Angiographie zeigt einen<br />

Perfusionsdefekt der rechten Niere im<br />

mittleren und unteren Drittel sowie den<br />

Parenchymeinriss<br />

b) Operationssitus der Nierenruptur mit Quereinriss<br />

in Höhe des Nierenhilus<br />

ein stumpfes Trauma zur<br />

Verletzung der Nieren<br />

führt. Oft ist eine Verletzung<br />

des knöchernen<br />

Thorax begleitend. Die<br />

Ausprägung des Nierenschadens wird nach Hodges (13) bzw.<br />

modifiziert nach Peters (14) in drei Grade eingeteilt.<br />

• Grad I bezieht sich auf Nierenkontusionen oder kleineren<br />

Parenchymverletzungen mit subkapsulärem Hämatom.<br />

• Grad II zeigt bereits eine tiefergehende Parenchymruptur<br />

mit Beteiligung der Nierenkapsel aber noch ohne<br />

Verletzung des Hohlsystems.<br />

• Grad III umfasst die schweren Parenchymverletzungen<br />

mit Hohlraumbeteiligung oder Nierengefäßverletzungen/Nierenstielabriss.<br />

Diese Einteilung spielt <strong>für</strong> die Behandlung der verschiedenen<br />

Verletzungen eine wichtige Rolle.<br />

Im Rahmen einer retrospektiven Untersuchung unseres<br />

Krankengutes konnten wir während eines Zeitraums von 17<br />

Jahren insgesamt 26 ernsthafte, klinisch zu behandelnde<br />

Verletzungen des Urogenitaltraktes beim Sport beobachten<br />

(3) (kleinere Verletzungen, die ambulant versorgt werden<br />

konnten, sind nicht in diese Untersuchung eingegangen). Bei<br />

18 dieser Patienten lag eine Nierenverletzung vor. Berücksichtigt<br />

man die Gesamtzahl der im Untersuchungszeitraum<br />

behandelten Nierenverletzungen (n=164), so beträgt die<br />

Häufigkeit der Verletzungen beim Sport 11%. Andere Arbeitsgruppen,<br />

so z.B. Ennemoser kommen zu einem noch<br />

höheren Anteil an sportbedingten Nierenverletzungen (37,5<br />

%) (12,15).<br />

Beim Verdacht auf eine Nierenverletzung bei einem entsprechenden<br />

Unfallmechanismus (z.B. Sturz vom Pferd oder<br />

beim Skifahren und dabei erfolgendem Aufschlagen auf die<br />

Flanke, Tritt beim Fußballspiel ins Nierenlager u.a.) sowie<br />

Nachweis von Prellmarken bzw. Hämaturie sind entsprechende<br />

diagnostische Maßnahmen notwendig: Unerlässlich<br />

ist die urologische Basisdiagnostik mit Urinstatus, weitere<br />

Labordiagnostik (Blutbild, Kreatinin, Gerinnungsstatus) und<br />

Sonogramm. Röntgenologisch haben sich zur Beurteilung<br />

des Hohlraumsystems und des Nierenparenchyms die Ausscheidungsurographie<br />

und das Computertomogramm bewährt.<br />

Zur Zeitersparnis bei der urologischen Primärdiagnostik<br />

hat sich bei Verdacht auf Nierenkontusion/-ruptur bewährt,<br />

initial das Computertomogramm anzufertigen. Eine<br />

anschließend durchgeführte Nierenleeraufnahme komplettiert<br />

die Diagnostik mit dem renal ausgeschiedenen Kontrastmittel.<br />

Bei Verdacht auf Nierenstielverletzung bzw. zur<br />

c) Operationssitus mit fast vollständiger Durchtrennung<br />

der Niere in zwei Hälften. Der blaue<br />

Zügel markiert den Harnleiter.<br />

d) Schematische Darstellung dieser Nierenruptur,<br />

Grad II-III nach Hodges (13)<br />

362 DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN Jahrgang 51, Nr. 11 (2000)


Abbildung 8a: Schematische Darstellung<br />

der Sporthämaturie. Bei entleerter Blase<br />

und bedingt durch den Druck der inneren<br />

Organe kommt es zur Kompression der Blase<br />

mit mechanischer Reibung des Blasendachs<br />

am Blasenboden<br />

präoperativen Planung (insbesondere in Hinsicht auf rekonstruktive<br />

Maßnahmen) ist die Erkennung der Gefäßverhältnisse<br />

wichtig. Hier kommt die selektive Nierenangiographie<br />

in Frage.<br />

Während Grad 1 und manche Verletzungen Grad 2 ein<br />

konservatives Vorgehen erlauben (Bettruhe, Antibiotische<br />

Prophylaxe, Laborkontrollen: Hämoglobin, Erythrocyten,<br />

Kreatinin), sind in Teilen von Grad 2, sicher aber bei Grad 3-<br />

Verletzungen der Niere operative Maßnahmen indiziert (2,4).<br />

Ein Beispiel einer Grad II-III Nierenverletzung als Sporttraumafolge<br />

soll anhand der Abbildung 6 vorgestellt werden.<br />

Abbildung 6a zeigt die Angiographie eines 16 Jahre alten<br />

Torwartes, der nach Zusammenstoß mit einem Gegenspieler<br />

wegen einer Makrohämaturie zur urologischen Abklärung<br />

kam. Der intraoperative Situs (Abb. 6b) zeigt eine vollständige<br />

Nierenruptur. Eine Rekonstruktion war in dieser Situation<br />

nicht möglich, so dass eine Nephrektomie durchgeführt<br />

werden musste. Die schematische Darstellung dieser<br />

Nierenruptur ist in Abbildung 6c abgebildet.<br />

Abbildung 7: Pathophysiologie der Hämoglobinurie<br />

Abbildung 8b: Schematische Darstellung der<br />

durch Kompression mechanisch verursachten<br />

Schleimhautverletzungen in der Harnblase<br />

Urologie Übersichten<br />

Abbildung 8c: Endoskopischer Befund einer<br />

Schleimhautverletzungen mit Erosion des<br />

Urothels im Rahmen einer Sporthämaturie.<br />

So bleibt festzuhalten: Besteht aufgrund der<br />

Ausscheidungsurographie oder des Computertomogramms<br />

der Verdacht auf eine Läsion des Hohlraumsystems oder des<br />

Parenchyms, so ist eine Nierenfreilegung indiziert. Inwieweit<br />

die Kontinuität der Niere wiederhergestellt werden kann, ist<br />

intraoperativ zu entscheiden. Ggf. muss auch die Nephrektomie<br />

in Erwägung gezogen werden. Dabei ist zu bedenken,<br />

dass leider nicht zu selten die Verletzung von größerem Ausmaß<br />

ist, als es im Röntgenbild erscheint.<br />

Hämaturie<br />

(Erythrozyturie/Hämoglobinurie)<br />

Unter Sporthämaturie versteht man die gelegentlich auftretende,<br />

rot-bräunliche Verfärbung des Urins nach Ausdauersportarten<br />

(z.B. Langlauf, Marathon). Das Phänomen kann<br />

als Mikro- oder Makrohämaturie bzw. Hämoglobinurie auftreten<br />

und verlangt umfangreiche differentialdiagnostische<br />

Kenntnisse und Untersuchungsstrategien (8). Richtungsweisende<br />

Bedeutung kommt der Urinuntersuchung (Urinstix,<br />

Mikroskopie) zu, wo zwischen Erythrozyturie (positiver Urinstix<br />

und mikroskopischen Nachweis von Erythrozyten)<br />

und Hämoglobinurie (Urinstix auf Hämoglobin positiv, jedoch<br />

in der Mikroskopie keine Erythrozyten) unterschieden<br />

werden kann. Die Erythrozyturie kann Folge von pathologischen<br />

Veränderungen im Bereich der ableitenden Harnwege<br />

in Form von Entzündungen, Tumoren, Traumata und Anomalien<br />

sein und bedarf der umfangreichen urologischen<br />

Diagnostik. Die Hämoglobinurie spricht <strong>für</strong> eine prärenale<br />

Ursache und sollte entsprechend abgeklärt werden (z.B. hämolytische<br />

Prozesse oder Myolyse).<br />

Die Hämoglobinurie kann als Folge sportlicher Belastung<br />

auftreten, sie wird in der Literatur mit den Begriffen<br />

„Marsch-Hämoglobinurie“ oder „Sporthämoglobinurie“ bezeichnet<br />

(8,10,11). Abhängig vom Laufstil, der Laufdistanz<br />

und der Beläge (harter Boden, Straßenasphalt,etc.) kommt es<br />

dabei im Fußsohlenbereich zur mechanischen Beeinflussung<br />

der Kapillaren und konsekutiv zur Erythrozytenfragmentati-<br />

Jahrgang 51, Nr. 11 (2000) DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 363


Übersichten Urologie<br />

on mit Hämolyse. Das Ergebnis ist eine Dunkelverfärbung<br />

des Urins mit Hämoglobinurie. Zur Pathophysiologie siehe<br />

Abbildung 7.<br />

Aber auch eine Erythrozyturie kann nach sportlicher Belastung<br />

auftreten, verursacht durch leichte Erosionen der<br />

Harnblasenschleimhaut. Es handelt sich dabei um Traumatisierungen<br />

des Urothels, die nach scheuernden Bewegungen<br />

(innere Schürfungen) des Blasendachs mit dem Harnblasenboden<br />

entstehen. Bei Langstreckenläufern kann so das Urothel<br />

durch die in der Bauchhöhle befindlichen Organe, insbesondere<br />

bei geleerter Blase, aufeinander gedrückt werden<br />

und zu den genannten Veränderungen führen. Die Abbildungen<br />

8a-c geben sowohl den schematischen Ablauf als<br />

auch den endoskopischen Befund wider. Die stets leicht gefüllte<br />

Blase während der sportlichen Aktivität stellt eine protektive<br />

Maßnahme zur Vermeidung von Sporthämaturien<br />

dar.<br />

Resumée<br />

Zusammengefasst ist festzuhalten, dass urologische Verletzungen<br />

bei Sporttraumen zwar selten sind, im Einzelfall jedoch<br />

bei nicht rechtzeitiger Erkennung zu ernsthaften Spätschäden<br />

führen können. Vor allem Nierenverletzungen können<br />

zu schwerwiegenden Folgen führen und nehmen einen<br />

besonderen Stellenwert ein. Wesentliches Symptom bei<br />

Verletzungen der Niere bzw. der ableitenden Harnwege ist<br />

die Hämaturie (Makro-, Mikro-). Hier ist unverzüglich die<br />

weitere urologische Abklärung erforderlich. Als bildgebende<br />

Verfahren haben sich die Sonographie bzw. das Ausscheidungsurogramm,<br />

das Computertomogramm sowie die Angiographie<br />

bewährt. Ausgehend von dem Verletzungsgrad ist<br />

die Therapie zu entscheiden. Bei Beteiligung des Parenchyms<br />

oder des Hohlraumsystems ist eine operative Therapie erforderlich.<br />

Durch Sportunfälle verursachte Harnblasen- bzw. Harnröhrenverletzungen<br />

erfordern eine urologische Diagnostik<br />

und Therapie. Bei Leitsymptomen wie Hämaturie bzw.<br />

Harnverhalt sollte der Sportarzt an derartige Verletzungen<br />

(z.B. „Straddle“) denken. Vorsicht ist bei Katheterisierungsversuchen<br />

geboten. Zur operativen Versorgung von Harnröhrenverletzungen<br />

kommt nach Möglichkeit ein zweizeitiges<br />

Vorgehen in Betracht.<br />

Bei Skrotaltraumen ist vor allem die Frage der operativen<br />

Freilegung zu entscheiden (Kapselzerreißung). Ein besonderer<br />

Stellenwert kommt dabei der Sonographie zu. Die Differentialdiagnose<br />

„Hodentorsion“ mit der imperativen offenen<br />

Abklärung ist hier zu bedenken.<br />

Eine rot-bräunliche Verfärbung des Urins bedarf der umfangreichen<br />

Diagnostik, um ernsthafte urologische Erkrankungen<br />

auszuschließen. Differentialdiagnostisch kann es jedoch<br />

auch sportbedingt zur Hämoglobinurie und Erythrozyturie<br />

kommen, verursacht durch mechanische Irritationen im<br />

Bereich der Fußsohlen und Harnblase.<br />

Die urologische Sporttraumatologie (1) weist den <strong>Sportmedizin</strong>er<br />

darauf hin, sich auch in diesem Fachgebiet Mindestkenntnisse<br />

anzueignen, um seiner Tätigkeit in allen Bereichen<br />

gerecht zu werden. Andererseits muss der Urologe,<br />

der sich sportärztlich engagieren möchte, um Kenntnisse der<br />

sportartspezifischen Verletzungsmechanismen bemüht sein.<br />

Literatur<br />

1. Bichler KH, Lahme S, Zumbrägel A, Mattauch W: Sport-Urologie. Einhorn-Presse-Verlag,<br />

Reinbek 1997.<br />

2. Bichler KH: <strong>Sportverletzungen</strong> und Sportschäden. in: KH. Bichler (Hrsg):<br />

Das urologische Gutachten. Springer, Berlin 1994.<br />

3. Bichler KH: <strong>Sportverletzungen</strong> des Urogenitaltraktes. Sportarzt und<br />

<strong>Sportmedizin</strong>. 21 (1970).<br />

4. Bichler KH, Strohmaier WL.: Nierenerkrankungen, -verletzungen und -<br />

fehlbildungen, in: K.-H. Bichler: Das urologische Gutachten. Springer,<br />

Berlin 1994.<br />

5. Bichler KH, Flüchter SH.: Zur Problematik der Harnröhrenruptur bei<br />

Beckenfrakturen. Unfallheilkunde 82 (1979) 477-484.<br />

6. Bichler KH, Wilbert DM, Maurer F, Weise K: Die Behandlung der hinteren<br />

Harnröhrenruptur. Aktuelle Traumatologie 27 (1997) 204-212.<br />

7. Bichler KH, Nelde HJ: Hodentorsion - eine Notfallsituation in der Urologie.<br />

Notfallmedizin 12 (1995) 622-630.<br />

8. Bichler KH. Nelde HJ, Lahme S: Hämaturie unter sportlicher Belastung<br />

(Sporthämturie), in: Bichler KH, Lahme S, Zumbrägel A, Mattauch W<br />

(Hrsg): Sport-Urologie, Einhorn-Presse-Verlag GmbH Reinbek (1997) 30-<br />

40<br />

9. Biener K: Sportunfälle – Epidemiologie und Prävention. Verlag Hans Huber,<br />

Bern 1992.<br />

10. Buckle RM: Exertional (march) haemoglobinuria. Lancet I (1965) 1136.<br />

11. Davidson RJ: Exertional haemoglobinuria: a report on three cases with<br />

studies on the haemolytic mechanism. J. Clin. Pathol. 17 (1964) 536.<br />

12. Ennemoser O, Höltl L, Reissigl A, Bartsch G: Skisportverletzungen aus urologischer<br />

Sicht, in: Bichler KH, Lahme S, Zumbrägel A, Mattauch W<br />

(Hrsg): Sport-Urologie, Einhorn-Presse-Verlag GmbH Reinbek (1997) 64-<br />

70.<br />

13. Hodges CV, Gilbert DR, Scott WW: Renal trauma. J. Urol. 66 (1951) 627.<br />

14. Peters PC, Bright TC: Blunt renal injuries. Urol Clin North Am 4 (1977) 19.<br />

15. Strohmaier WL, Bichler KH, Nelde HJ: <strong>Urologische</strong> Verletzungen beim<br />

Wintersport. Vortrag, Sporttraumatologisches Symposium „Verletzungen<br />

beim Skilauf“ Stuttgart 1985<br />

16. Strohmaier WL: <strong>Urologische</strong> Probleme im Reitsport, in: Bichler KH, Lahme<br />

S, Zumbrägel A, Mattauch W (Hrsg): Sport-Urologie, Einhorn-Presse-Verlag<br />

GmbH Reinbek (1997) 71-75.<br />

17. Zumbrägel A, Bichler KH, Brück D, Nelde HJ: Hodentorsion nach sportlicher<br />

Belastung, in: Bichler KH, Lahme S, Zumbrägel A, Mattauch W<br />

(Hrsg): Sport-Urologie, Einhorn-Presse-Verlag GmbH Reinbek (1997) 76-<br />

82.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. med. Karl-Horst Bichler<br />

Ärztl. Direktor der <strong>Urologische</strong>n Klinik<br />

Eberhard-Karls-Universität Tübingen<br />

Hoppe Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen<br />

Tel.: (07071) 298 66 13, Fax: 29 50 92<br />

E-mail: bichler@med.uni-tuebingen.de<br />

364 DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN Jahrgang 51, Nr. 11 (2000)

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