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Warum und wozu brauchen wir in Zukunft noch einsprachige ...

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Die Sprache spielt also e<strong>in</strong>e erhebliche Rolle beim Er<strong>in</strong>nern.<br />

Mit ihr verfügt der Mensch erstens über das Speichermedium, <strong>in</strong> dem das Er<strong>in</strong>nerte haltbar,<br />

memorierbar, vermittelbar <strong>und</strong> jederzeit verfügbar gemacht werden kann. Sprache kann<br />

darüber h<strong>in</strong>aus als Mittel <strong>und</strong> als Produkt e<strong>in</strong>er Entkörperung des <strong>in</strong>dividuellen Er<strong>in</strong>nerns<br />

gesehen werden. Mit ihr <strong>wir</strong>d das e<strong>in</strong>mal Er<strong>in</strong>nerte aus dem <strong>in</strong>dividuellen Rahmen<br />

herausgelöst <strong>und</strong> über<strong>in</strong>dividuell, das heißt kollektiv <strong>und</strong> überzeitlich verfügbar gemacht. Sie<br />

ist also das kollektive Gedächtnis e<strong>in</strong>er Gesellschaft.<br />

Mit ihr ist außerdem die Möglichkeit gegeben, das Er<strong>in</strong>nerte kont<strong>in</strong>uierlich lebendig zu<br />

halten, es durch fortwährende Besprechung zu jeder Zeit, das heißt auch <strong>in</strong> der <strong>Zukunft</strong><br />

vergegenwärtigen zu können. Auch das Verb vergegenwärtigen muss hier als e<strong>in</strong> aktiver<br />

Prozess verstanden werden, bei dem sich das Er<strong>in</strong>nerte im zeitbezogenen Er<strong>in</strong>nerungszugriff<br />

beständig verändert. Mit der Sprache verändert sich also auch die Er<strong>in</strong>nerung selbst.<br />

Damit ist sie e<strong>in</strong> konstitutiver Faktor der Inhalte, <strong>in</strong> denen <strong>wir</strong> denken, kommunizieren,<br />

handeln <strong>und</strong> uns selber kennzeichnen. Die Art <strong>und</strong> Weise, wie <strong>wir</strong> über etwas sprechen,<br />

welche Ausdrücke <strong>wir</strong> benutzen, mit welchen Semantiken <strong>wir</strong> sie füllen <strong>und</strong> was sie<br />

repräsentieren, schafft e<strong>in</strong> allumfassendes, teils bewusstes, großenteils aber unbewusstes<br />

Systemoid von Inhalten, darunter auch von Bewertungen.<br />

Ich denke bei dem Gesagten nicht nur an offensichtliche Bezugsgegenstände wie Freiheit,<br />

Demokratie, Gnade, Gott, Bezugsqualitäten wie weiß <strong>und</strong> farbig, sondern auch an<br />

Unterscheidungen wie Literatur <strong>und</strong> Gebrauchsschrifttum, Poet, Dichter, Schriftsteller <strong>und</strong><br />

Schreiber, an H<strong>und</strong>, Köter <strong>und</strong> P<strong>in</strong>scher oder an verbale Setzungen wie aufklären, betreuen<br />

oder laden.<br />

Aufgabe der Lexikographie ist es, das allumfassende, teils bewusste, großenteils unbewusste<br />

Systemoid sprachkulturell geprägter Inhalte <strong>in</strong> ihren zeitbezogenen <strong>und</strong> wandelbaren<br />

Se<strong>in</strong>sweisen zu beobachten, sie bewusst zu machen. Dabei geht es nicht nur um e<strong>in</strong>zelne<br />

ausgewählte Wörter <strong>und</strong> ihre Bedeutungen, auch nicht um e<strong>in</strong>zelne Wortfelder. Das können<br />

semantische E<strong>in</strong>zeluntersuchungen auch. In der e<strong>in</strong>sprachigen Lexikographie geht es um den<br />

gesamten Wortschatz e<strong>in</strong>er Sprache als semantisches Systemoid. Es geht um die Inhalte, die<br />

mit jedem Wort e<strong>in</strong>er Sprache zu e<strong>in</strong>em lexikalischen Kulturnetz verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>sgesamt so etwas wie e<strong>in</strong>e lexikalisch fassbare Ideologie bzw. e<strong>in</strong> Ideologiesystem e<strong>in</strong>er<br />

Gesellschaft ausmachen. Die Lexikographie gew<strong>in</strong>nt damit die Aufgabe, diese Ideologie<br />

zeitübergreifend zu reflektieren <strong>und</strong> pragmal<strong>in</strong>guistisch mit ihren Trägergruppen, mit ihren<br />

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