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Zum Gedenken an Alfred A. Häsler von Prof. Werner Kramer ...

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Trauerfeier für <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong><br />

Worte des <strong>Gedenken</strong>s <strong>an</strong> <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Werner</strong> <strong>Kramer</strong><br />

Die Suche nach dem Menschen<br />

„Auf der Suche nach dem Menschen bin ich zum Schreiber geworden.“ So lautet der<br />

erste Satz in einem der Bücher <strong>von</strong> <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong>. Damit ist der Grundakkord des<br />

Lebens <strong>von</strong> <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> <strong>an</strong>geschlagen: Mensch – Menschlichkeit – Menschenwürde<br />

– Menschenrechte. Ich denke, er wäre auch mit der Erweiterung seines Satzes<br />

einverst<strong>an</strong>den: „Auf der Suche nach dem Menschen bin ich zu dem Menschen<br />

geworden, der ich bin.“<br />

Auf diesem Wege ist <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> jedem Einzelnen <strong>von</strong> uns, jeder Einzelnen<br />

begegnet. So haben wir ihn kennen und lieben gelernt. Darum sind wir hier zur<br />

Abschiedsfeier zusammen gekommen. Wir sehen <strong>Alfred</strong> vor uns, sein schönes<br />

offenes Gesicht, sein Lächeln, seine Augen. Wir hören seine warme Stimme, Geschichten,<br />

die wir mit ihm erlebt haben, sind um uns. Jeder, jede <strong>von</strong> uns könnte<br />

jetzt da<strong>von</strong> erzählen.<br />

Es war Freds Wunsch, dass ich hier stehe und einige Worte der Verbundenheit<br />

spreche. Ich tue dies stellvertretend für Sie alle.<br />

Dialoge zu Zeitfragen<br />

In den Sechzigerjahren, also vor bald fünfzig Jahren, habe ich <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> kennen<br />

gelernt. Zuerst indirekt durch das, was er schrieb. Es war die Zeit seiner Mitarbeit bei<br />

der Tageszeitung „Die Tat“ und beim Heft des Buchklubs „Ex Libris“. Regelmässig<br />

erschienen Beiträge über Besuche bei bek<strong>an</strong>nten und unbek<strong>an</strong>nten Zeitgenossen.<br />

Im „Ex Libris“ lautete der Titel stets „Zu Besuch bei...“ Unterzeichnet waren die<br />

Berichte jeweils mit dem Pseudonym Jeremias, vielleicht ein Hauch seiner lebensl<strong>an</strong>gen<br />

Verehrung für den <strong>an</strong>dern Berner Jeremias: Gotthelf.<br />

Im Rückblick formulierte Fred das Anliegen dieser Arbeiten so: „In den sechziger<br />

Jahren machte ich den Dialog zu Zeitfragen zum Arbeitsprinzip.“ Dialog zu Zeitfragen,<br />

nicht Theorien über Zeitfragen, nicht Ideologien, sondern Dialoge mit lebendigen<br />

Menschen, sozusagen Erkundungsgespräche mit bek<strong>an</strong>nten und unbek<strong>an</strong>nten<br />

Zeitgenossen. Unter den bek<strong>an</strong>nten waren Karl Jaspers, Existenzphilosoph in Basel,<br />

Carl Zuckmayer, Schriftsteller und Dramatiker, Flüchtling vor den Nazis, über die<br />

USA nach Kriegsende schliesslich ins Wallis gekommen und der jüdische Denker<br />

Herm<strong>an</strong>n Levin Goldschmidt in Zürich. Unter den unbek<strong>an</strong>nten etwa der Primarlehrer<br />

Paul Weber, in Wirklichkeit der beste Kenner und grösste Sammler einheimischer<br />

Schmetterlinge oder die polnische Schriftstellerin Mascha Kaleko, die zeitweise in<br />

der Schweiz lebte, und <strong>von</strong> der ich damals noch nie gehört hatte. In all diesen Dia-


Trauerfeier für <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong><br />

Worte des <strong>Gedenken</strong>s <strong>an</strong> <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong> <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Werner</strong> <strong>Kramer</strong><br />

logen erschienen Zeitfragen im Spiegel, im Brennglas der je eigenen Erfahrung, des<br />

je eigenen Lebens. Für mich waren diese Gespräche Oasen, bunte Gärten voller<br />

farbiger Blumen, jede <strong>von</strong> eigener Gestalt, im G<strong>an</strong>zen aber ein paradiesischer<br />

Zusamenkl<strong>an</strong>g der Vielfalt.<br />

Ich bewunderte die Gabe <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong>s, einen offenen Raum zu schaffen, in denen<br />

sich seine Gesprächspartner frei bewegen konnten. Er wollte nicht einfach führen,<br />

sondern war auch bereit, sich führen zu lassen, und so gel<strong>an</strong>gten beide, der Interviewer<br />

und sein Gesprächspartner, gemeinsam zu immer tieferer Erfahrung und<br />

Erkenntnis.<br />

Genau so ging es mir bei den ersten persönlichen Begegnungen. Sofort spielte das<br />

Leben zwischen uns. Natürlich gab es m<strong>an</strong>che gemeinsame Berührungspunkte:<br />

Publizistik, Sprache, Literatur im Austausch mit meiner Frau. Ich war damals Seminardirektor,<br />

so waren unsere Themen oft Schule, Bildungsfragen, Menschenbildung,<br />

aber auch Politik, die Suche nach sozialer Gerechtigkeit. Bei diesen Gesprächen<br />

lernte ich Fred als einen guten Zuhörer mit starker Einfühlungsgabe kennen, der<br />

einem schon durch das blosse aufmerksame Zuhören half, dem näher zu kommen,<br />

was einen bewegte. Bei aller Ernsthaftigkeit der Gespräche zeigte sich Fred als<br />

heiteren Menschen, gemütvoll, humorvoll, oft mit einem Lächeln in seinen lebhaften<br />

Augen. Und wenn die Situation allzu feierlich zu werden drohte, führte er mit einem<br />

Spass wieder zurück in die alltägliche Realität. So konnte er sich gegen bewundernde<br />

Worte zur Wehr setzen mit der Bemerkung: „Nein, ich bin kein Heiliger. Ich<br />

bin ein Mensch aus Fleisch und Blut – und wenn du wüsstest, aus was für Fleisch<br />

und was für Blut.“ Ja, auch ich selber erlebte diese „Dialoge zu Zeitfragen“ als Wegstrecken<br />

eigener Klärung und Rechenschaftsablage.<br />

Aussenseiter - Innenseiter<br />

1983 erschien ein Buch <strong>von</strong> Fred mit dem für mich merkwürdigen Titel „Aussenseiter<br />

– Innenseiter. Portraits aus der Schweiz“. Das Werk war Frucht der Mitarbeit bei der<br />

damals renommierten Wochenzeitschrift „Weltwoche“. Da las ich z. B. Portraits <strong>von</strong><br />

Max Bill, Ellen Widm<strong>an</strong>n, Konrad Farner, Gottlieb Duttweiler.<br />

Sie alle nennt Fred zunächst „Aussenseiter“. Sie sind auf der Aussenseite der Wirklichkeit<br />

tätig und leisten hier Ausserordentliches. Gleichzeitig erkennt Fred sie alle<br />

aber ebenso als „Innenseiter“. Sie kennen in hohem Masse auch die Innenseite der<br />

Wirklichkeit, der persönlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit. Das gibt ihnen<br />

die Perspektive eines grösseren Zusammenh<strong>an</strong>gs. Und dies hat Folgen: Die Innenseite<br />

nötigt sie, die Wegrichtung des eigenen Tuns zu ändern, bek<strong>an</strong>nte Geleise zu<br />

verlassen, sich neu auszurichten. Damit stossen sie <strong>an</strong> bei vielen Menschen ihrer<br />

Umgebung. Sie ernten Kopfschütteln, werden zu „Aussenseitern“ im engeren Wortsinn.<br />

Sie werden kritisiert, abgelehnt, ausgestossen, verfemt. Und doch sind es<br />

gerade diese Aussenseiter, die neue Wege weisen, welche sich mit der Zeit als<br />

notwendig erweisen, in die Zukunft führen und <strong>an</strong>dern Menschen Orientierung in<br />

sich ändernden Verhältnissen geben.<br />

Das war so bei Max Bill, dem Maler und Gestalter der Konstruktiven, bei Konrad<br />

Farner, dem Marxisten und Theologen, bei Gottlieb Duttweiler, dem Unternehmer mit<br />

der Erkenntnis des „sozialen Kapitals“. Alle wurden abgelehnt, bekämpft, waren als<br />

Aussenseiter abgestempelt und verfemt. Die Folgezeit machte deutlich, dass ihre<br />

Wege notwendig waren, ihr Leiden nicht sinnlos war, ihr Beispiel <strong>an</strong>dern Menschen<br />

Orientierung gab.<br />

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Trauerfeier für <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong><br />

Worte des <strong>Gedenken</strong>s <strong>an</strong> <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong> <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Werner</strong> <strong>Kramer</strong><br />

Beim Lesen dieses Buches dachte ich immer wieder: Einer, der Musterbeispiel eines<br />

solchen „Aussenseiters – Innenseiters – Aussenseiters“ ist, fehlt unter diesen Portraits:<br />

<strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> selber. Denn als Aussenseiter im ersten Sinne war er sein g<strong>an</strong>zes<br />

Leben aktiv, tätig auf der Aussenseite der Wirklichkeit: als Schriftsetzer, als Schreiber,<br />

Verleger, Schriftsteller, als Antiquar, als Hilfsarbeiter, als Leiter eines Hilfswerks.<br />

Und dies immer mit vollem Einsatz. <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> ist gleichzeitig das Musterbeispiel<br />

eines „Innenseiters“. Seine Innenseite wurde genährt durch das praktische Christentum<br />

seiner frommen Mutter, durch seinen Lehrer Stähli durch die Anleitung zu Ver<strong>an</strong>twortung<br />

für die Schwachen, in den Dreissigerjahren im Berner Oberl<strong>an</strong>d durch<br />

den Widerst<strong>an</strong>d gegen die Erfahrungen <strong>von</strong> schweizerischem Antisemitismus, in<br />

Zürich d<strong>an</strong>n durch den religiösen Sozialismus <strong>von</strong> Leonhard Ragaz. Unübersehbar<br />

nötigte ihn diese Innenseite zu seinem eigenen Weg. Dadurch wurde er auch zum<br />

Musterbeispiel des Aussenseiters im engeren Sinn: Er wurde abgelehnt, ausgegrenzt,<br />

verfemt, aber gerade darin schliesslich als Wegweiser <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt, der <strong>an</strong>dern<br />

Orientierung ermöglicht.<br />

Das will ich aus dem Leben <strong>von</strong> <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> belegen. M<strong>an</strong>che <strong>von</strong> Ihnen kennen<br />

wohl die Geschichte seiner schweren Aussenseiterjahre im Anschluss <strong>an</strong> den<br />

Zweiten Weltkrieg. Ich erinnere mich noch genau <strong>an</strong> den Abend, als Fred mir diese<br />

Erfahrungen erzählte, und wie mich das Erzählte empörte. Er berichtete <strong>von</strong> seinen<br />

Reisen unmittelbar nach dem Krieg nach Polen, ins Jugoslawien Titos und in <strong>an</strong>dere<br />

Oststaaten. Von seiner Vorbereitung auf die Nachkriegshilfe, <strong>von</strong> der Gründung der<br />

Koost, der Koordinationsstelle für Nachkriegshilfe, deren Geschäftleiter er wurde.<br />

Von der Begegnung und der Freundschaft mit Sozialisten/Kommunisten in diesen<br />

Ländern und in der Schweiz, die sich einsetzten für den Aufbau eines gerechten,<br />

demokratischen Sozialismus, <strong>von</strong> seinem eigenen Engagement in der jungen Partei<br />

der Arbeit, auf dem nicht moskauhörigen Flügel. Er erzählte, wie alle Hoffnungen<br />

zunichte gemacht wurden: In den Ländern Osteuropas durch die Unterjochung durch<br />

die stalinistische Diktatur, in der Schweiz durch politische Kommunistenjagd, bei der<br />

sich Personen mit brauner Verg<strong>an</strong>genheit wieder als schweizerische Patrioten, als<br />

unheimliche Patrioten, aufspielen konnten.<br />

Das Ergebnis: <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> und der Kreis <strong>von</strong> Männern und Frauen um die Koost<br />

wurden überwacht, abgehört, verleumdet, der ungetreuen Geschäftsführung und der<br />

Veruntreuung bezichtigt und verhaftet. Bei einem eindeutig politisch motivierten<br />

Prozess wurden Verdächtigungen als Tatsachen geh<strong>an</strong>delt, Fred <strong>Häsler</strong> wegen einer<br />

ihm zur Last gelegten Deliktsumme <strong>von</strong> Fr. 500.- zu einer bedingten Gefängnisstrafe<br />

verurteilt.<br />

Damit war seine Existenz vernichtet, er verlor seine Arbeitsstelle wurde bei Stellenbewerbungen<br />

abgewiesen, die Wohnung wurde ihm gekündigt, er musste schauen,<br />

wo er als Untermieter vorübergehend unterkommen konnte. Und das in einem Zeitraum,<br />

da seine junge Frau Zofia aus Warschau nach Zürich und die kleine Tochter<br />

Joh<strong>an</strong>na zur Welt gekommen war. Da war Fred in jeder Beziehung Aussenseiter.<br />

Dieses Schicksal ist ein grelles Schlaglicht auf das, was im formellen Rechtsstaat<br />

der Nachkriegsschweiz und bei seinen Repräsent<strong>an</strong>ten <strong>an</strong> Unrecht und Menschenvernichtung<br />

möglich war.<br />

Für mich ist es fast unbegreiflich, dass dies Fred nicht gebrochen hat. Zwar hatte er<br />

dar<strong>an</strong> jahrel<strong>an</strong>g zu tragen und zu kauen. Aber diese schwierigen Erfahrungen haben<br />

ihn stärker, unabhängiger, hellhöriger, kritischer gemacht. Hellhörig für Beschönigung,<br />

Heuchelei und verschwiegenes Unrecht, kritisch gegen Mythen, Geschichtsfälschung,<br />

Verdrängung. Durch diese Haltung und das daraus folgende H<strong>an</strong>deln<br />

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Trauerfeier für <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong><br />

Worte des <strong>Gedenken</strong>s <strong>an</strong> <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong> <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Werner</strong> <strong>Kramer</strong><br />

wurde der „Aussenseiter“ zum Vorbild, zur Orientierungsperson für viele und erntete<br />

dafür Anerkennung, Achtung, D<strong>an</strong>kbarkeit bis zum heutigen Tag. Damit bin ich bei<br />

seinem Buch „Das Boot ist voll“, und was sich daraus ergeben hat.<br />

Das Boot ist – nicht voll!<br />

1967 erschien <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong>s Buch „Das Boot ist voll. Die Schweiz und die Flüchtlinge<br />

1933-1945“. Damit wurde sein Name schweizweit bek<strong>an</strong>nt bis zum heutigen<br />

Tag. Dass viele Menschen ihm das d<strong>an</strong>ken, zeigte sich für mich, als wir am 31. August<br />

1992, am 50. Jahrestag, der Rede <strong>von</strong> BR Eduard <strong>von</strong> Steiger gedachten, in<br />

der er den ominösen Satz <strong>von</strong> der Schweiz als dem kleinen Rettungsboot prägte,<br />

das nicht Platz hat für die vielen, die sich hineindrängen wollen. An diesem Tag<br />

führte die Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz eine Gedenk- und Besinnungsver<strong>an</strong>staltung<br />

durch, bei der <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> das entscheidende Referat hielt. Es<br />

kamen Hunderte <strong>von</strong> Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Und das zu einem Zeitpunkt,<br />

wo wegen der Flüchtlingsströme aus dem Bosnienkrieg in der Schweiz wieder<br />

ähnliche Stimmen laut wurden.<br />

Wer das Buch „Das Boot ist voll“ liest, k<strong>an</strong>n sich seiner Wirkung nicht entziehen.<br />

<strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> gibt hier nicht nur Zahlen und einen soziologischen Überblick. Er lässt<br />

die Stimmen der Verfolgten, der <strong>an</strong> der Grenze zurückgewiesenen und im KZ Umgekommenen<br />

oder ihrer Angehörigen direkt zu Worte kommen und kontrastiert diese<br />

Stimmen mit dem Wortlaut der Erlasse <strong>von</strong> Behörden und Verfolgern. Dies alles rückt<br />

dem Leser auf den Leib und fragt ihn unausgesprochenermassen: Wo warst du, was<br />

hast du get<strong>an</strong>, oder was hättest du get<strong>an</strong>, was wirst du tun? Es erstaunt nicht, dass<br />

Markus Imhoof aus dem Schicksalsstr<strong>an</strong>g einer Gruppe dieser Flüchtlinge den Film<br />

„Das Boot ist voll“ geschaffen hat.<br />

Eben ist Freds Buch in 10. Auflage mit einem Vorwort <strong>von</strong> Roger de Weck erschienen.<br />

Dies belegt nicht nur die Qualität des Buches, sondern auch seine traurige<br />

Aktualität <strong>an</strong>gesichts der Wellen der Verschärfung der schweizerischen Asyl- und<br />

Ausländergesetzgebung. Auch wenn die Situation nicht die gleiche ist, tauchen doch<br />

die <strong>an</strong>alogen Schlagworte und Kategorisierungen auf: Damals galten die Juden nicht<br />

als schutzwürdige Menschen, weil sie keine echten, „politischen Flüchtlinge“ seien.<br />

Heute nennt m<strong>an</strong> viele Asylsuchende trotz ihrer existentiellen Not „unechte Flüchtlinge“,<br />

blosse „Wirtschaftsflüchtlinge“.<br />

„Das Boot ist voll“ und der Einsatz auf vielen Ver<strong>an</strong>staltungen zur Flüchtlingspolitik<br />

der Schweiz im Zweiten Weltkrieg machten Fred zur Inst<strong>an</strong>z für Wahrhaftigkeit und<br />

Gerechtigkeit, zur Stimme des Gewissens. Dafür wurde ihm viel Anerkennung,<br />

m<strong>an</strong>che Ehrung zuteil:<br />

Die Theologische Fakultät der Universität Zürich verlieh ihm den Dr. theol. h.c. Aus<br />

zwei Gründen freute er sich über diese Ehrung. Er erklärte mir das so: Ich habe ja im<br />

Berner Oberl<strong>an</strong>d nur die Volksschule besuchen können. Jetzt Doktor einer Uni wie<br />

Zürich zu sein, zeigt, dass ich doch eine gewisse Bildung gewonnen habe. Dass es<br />

ein Doktortitel der Theologie war, berührte ihn, da ihm die Religiosität immer die<br />

tiefste Dimension seines Wesens und seiner Motivation war.<br />

Er wurde Honorary Fellow der Hebrew University Jerusalem als D<strong>an</strong>k für seine<br />

lebensl<strong>an</strong>ge Solidarität mit jüdischen Menschen und ihrem Schicksal.<br />

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Trauerfeier für <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong><br />

Worte des <strong>Gedenken</strong>s <strong>an</strong> <strong>Alfred</strong> A. <strong>Häsler</strong> <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Werner</strong> <strong>Kramer</strong><br />

Der N<strong>an</strong>ny und Erich Fischhof-Preis gegen Rassismus und Antisemitismus wurde<br />

als erstem ihm verliehen. Freds Verbundenheit mit jüdischen Freunden und sein<br />

Auftreten gegen alle Formen des Antisemitismus wird nun gewürdigt durch seinen<br />

l<strong>an</strong>gjährigen Freund Ernst Braunschweig.<br />

( Siehe separaten Nachruf <strong>von</strong> Dr. Ernst Braunschweig).<br />

Von Ernst Braunschweig haben wir gehört, dass die Initiative zur Gründung der<br />

Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz GMS <strong>von</strong> <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> ausgeg<strong>an</strong>gen ist.<br />

Sein Freund Sigi Feigel war sofort Feuer und Flamme. So riefen sie die GMS ins<br />

Leben. Sie sollte sich für die Rechte, die Anliegen und die Anerkennung der Minderheiten<br />

in unserem L<strong>an</strong>d einsetzen. Für die jüdische Minderheit, die Minderheit der<br />

Fahrenden sowie mehr und mehr für die Immigrationsminderheiten, heute z.B. aus<br />

muslimischen Ländern. Beide waren <strong>von</strong> Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> Vizepräsidenten, Sigi Feigel bis<br />

zu seinem Tod, <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong> bis die Altersbeschwerden ihn zum Rückzug zw<strong>an</strong>gen.<br />

Ich stiess zur GMS, weil Fred mich als Präsidenten gewünscht und vorgeschlagen<br />

hatte. Damit beg<strong>an</strong>n eine l<strong>an</strong>ge Zeit der Zusammenarbeit, die uns immer freundschaftlicher<br />

verb<strong>an</strong>d. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n sich vorstellen, wie viel ich <strong>von</strong> Fred und Sigi, diesen<br />

Jahrhundertschweizern, gelernt habe. Die beiden ergänzten sich gut. Sigi hatte oft<br />

die Blitzideen. Fred war derjenige, der sie umsetzte in Symposien, Fachtagungen<br />

und Vorstösse bei Regierungen und Ämtern und alle Texte formulierte. Er k<strong>an</strong>nte so<br />

viele Menschen, die er beiziehen konnte als Referenten oder Mitpl<strong>an</strong>er. Und das<br />

Schöne war: Alle sagten ihm zu, denn Fred galt allen als Gar<strong>an</strong>t für eine notwendige<br />

und gute Sache. Hier könnte ich viele Anekdoten erzählen, etwa <strong>von</strong> unsern Trakt<strong>an</strong>den-Vorbesprechungen.<br />

Da trafen wir uns jeweils zum Frühstück im Hotel Ascot<br />

in der Enge, erledigten unsere Arbeit, tauschten aus, was wir beobachtet hatten, was<br />

uns beschäftigte über Gott und die Welt. Und wenn wir das Hotel verliessen, kamen<br />

wir uns oft vor wie eine Gruppe junger, verschworener Freunde, welche sich<br />

<strong>an</strong>schickten, die Welt zu verändern.<br />

Fred ist nie formell aus dem Vorst<strong>an</strong>d der GMS zurückgetreten. Denn ihre Aufgabe<br />

blieb sein Anliegen. Noch bei meinem letzten Besuch im Drusberghaus, da schon<br />

vieles im Nebel des Nicht-mehr-Erinnerns versunken war, tauchten die GMS und Sigi<br />

Feigel wieder auf, immer verbunden mit der scheuen Frage: Gibt es sie noch? Lebt<br />

er noch? Ich werde die Wärme seiner Anteilnahme nie vergessen. Sie zeigt sich<br />

auch darin, dass Fred gewünscht hat, dass seine Freunde bei seinem Tod durch<br />

Gaben <strong>an</strong> die GMS seiner gedenken sollten.<br />

Abschied<br />

Heute nehmen wir Abschied vom irdischen Leben und Wirken <strong>von</strong> <strong>Alfred</strong> <strong>Häsler</strong>.<br />

Ich nehme Abschied voll D<strong>an</strong>kbarkeit für die innere Wahrhaftigkeit seines Lebens,<br />

für die Menschlichkeit, die er gelebt hat.<br />

Ich wünsche mir, dass sein guter Geist um mich bleibt und in mir, um uns alle und in<br />

uns allen.<br />

<strong>Werner</strong> <strong>Kramer</strong><br />

Auf Grund der <strong>an</strong> der Abd<strong>an</strong>kungsfeier<br />

gesprochenen Worte schriftlich aufgezeichnet,<br />

20. April 2009<br />

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