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G O T T F R<br />
<strong>Schönheit</strong>
<strong>Schönheit</strong><br />
Er,äli////gen, BelJar/pf~/~~ge/~, Sufce<br />
Liebe Sidonia, lieber Honorius, nun ist es schon eine Zeit her, dass wir<br />
beisammensaßen und uns frisch in die Haare gingen. Ihr erinnert euch<br />
sicher noch an das Thema, in das wir uns im Laufe des Abendessens verfangen<br />
hatten. Ob die Musik nur tönt oder ob sie auch etwas sagt, ob sie<br />
irn Netz der Gefühle unterzubringen ist, oder ob sie als eine Quelle von<br />
CTTahrheit erlebt werden kann, schließlich: wie viel Musik die Religion<br />
braucht. Honorius hat versprochen, bei der nächsten Zusammenkunft<br />
eine Forelle zu braten. Er ist, wie wir schon oft erlebt haben, imstande,<br />
die Ifiaft seiner Argumente mit der reifen Würze der ICochkunst<br />
zu verbinden. Sidonia soll das Gespräch leiten, und ich lege euch einige<br />
Ansichten vor, die uns in Bewegung bringen können. Mit dem Thema<br />
,J. chonheit .. knüpfen wir an das letzte Symposion an und öffnen zugleich<br />
eine neue Perspektive. Es mag gelingen!<br />
Zeigen uns die Museen, wie wir die Lagerhäuser der Kultur gewöhnlich<br />
nennen, wirklich das Leben der Menschen auf dem Planeten Erde? Die<br />
Art und Weise, in der das gesammelte Gut der Geschichte gezeigt wird,<br />
scheint ein sehr selektives Verfahren zu sein, ausgerichtet auf die schönen,<br />
raren Stücke, die den Zahn der Zeit ausgehalten haben oder seiner<br />
zerstörenden Gewalt nicht ausgesetzt waren. Die hohen Dinge, die weithin<br />
sichtbaren ICultursignale sind es hauptsächlich, die wir beim Besuch<br />
der Ausstellungen zu sehen bekommen. Auch die Bücher halten sich an<br />
diesen Icanon, zum Beispiel Umberto Eco, Die Ge.rchi~,bte der S~,/~onheit.<br />
Die einschüchternde Gewalt der <strong>Schönheit</strong>sfiguren deckt die gewöhnliche,<br />
kleine, gemischte Welt zu, sie kommt in der raren Auslese nicht<br />
vor. Das schöne Buch bietet keine Geschichte, sondern eine wunderbare<br />
Bestenliste der Gestaltungen. Aber wer kennt das gesamte CXrelt-Zeug,<br />
das die Leute seit eh und je benützen, in seiner losen, zufälligen, sehr<br />
wandlungshaften Verfassung, behaftet mit dem Staub des Tages?
Ich versuche jetzt, in kurzen Stücken aus meiner K'elt zu erzählen, in<br />
den Tahren der Tugend, wie da die <strong>Schönheit</strong> faktisch vorgekommen ist,<br />
welchen Stellenwert sie von hIal zu hlal hatte oder auch nicht hatte.<br />
<strong>Schönheit</strong> ist ein Element des alltäglichen Lebens, keineswegs allein das<br />
preziose Thema ästhetischer Reflexionen. Auch in den gröbsten Um-<br />
ständen entsteht sie, und nicht nur im friedlichen Genuss wird sie kon-<br />
sumiert. Die <strong>Schönheit</strong> hat zum Beispiel mit dem I
Salzbtirger Briefe 4<br />
mit dem Ochsenfuhnverk die Leichen wegzubringen, die man nackt auf<br />
die Wiese herausgeworfen hatte, in Hunger und ICälte erfroren. Gegen<br />
den Terror blieben nur die Träume von der Märchengewalt. Und die<br />
Genugtuung, wenn sich im Gang der Kriegsereignisse zeigte, dass da<br />
noch Stärkere am Werk waren. In der Volksschule durfte oder musste<br />
ich zum Beginn des Unterrichts den Lvehrmachtsbericht vorlesen; und<br />
es kam dann irn Fortgang des IOieges immer öfter vor, dass die Zeitung<br />
von Frontbegradigungen schreiben musste, von Rückzug und Nieder-<br />
lage. Neben mir auf der Treppe stand die Lehrerin und begann bei sol-<br />
chen Passagen zu schluchzen. Das gefiel mir und ich las mit Inbrunst die<br />
Ljeldungen vor, freute mich darauf, wenn ich die Nazi-Lehrerin neben<br />
mir wieder zum LVeinen bringen konnte. Diese Tränen waren schön und<br />
eine Andeutung dafür, dass die schöne Logik doch noch irgendwie in<br />
Ordnung war.<br />
Der Glatly Ich erinnere mich mit besonderer Deutlichkeit daran, wie ich<br />
jedes Jahr zu Weihnachten in der Stube auf dem Sofa lag und auf den<br />
Christbaum hinsah, hinstarrte. Es war, als seien meine Augen gebunden<br />
an dieses Lichhvesen vor mir. Ich hätte nicht sagen können, was<br />
mir daran besonders gefiel und warum es mir gefiel. Das Leuchten der<br />
Goldfaden, der Silberflitter überfiel mich und machte alles darum und<br />
daher überflüssig. Da brauchte es keine Begründungen mehr. Die Verse<br />
in Gottfried Kellers „Xbendlied" mussten mir nicht zureden, dass ich<br />
mich der Macht des Scheinens hingab: TKGI~~ 0 Algen, was die Wimper<br />
hält, 11,011 dentgold~en ¿ibe@t/ss der Weh. Im Benediktiner Stift Lambach gab<br />
es den Bruder Fintan, er war Sakristan und verwaltete, pflegte in der Prälatensakristei<br />
die liturgischen Gewänder. Man konnte ihm keine größere<br />
Freude machen als die großen Ornate aus der Barockzeit zu betrachten.<br />
Oft und oft habe ich ihn besucht, als ich dort im Internat war, und er<br />
öffnete die ICästen, breitete vor mir aus die Caseln, die Stolen und Manipel<br />
in ihrer funkelnden Pracht. Ich stand davor und war betrunken<br />
vom Glanz des Goldes. Wenn Gott ein Gesicht hatte, dann musste es<br />
irgendwie mit dieser Allmacht des Leuchtens zu tun haben. Ezechiel<br />
spricht davon: „Oberhalb von dem, was wie seine Hüften aussah, sah<br />
Salzburger Briefe 5<br />
ich etwas wie glänzendes Gold in einem Feuerliranz." (1, 27) Und das<br />
meine ich immer noch. Ich meine auch, dass es nicht nur die Sünde der<br />
Tränenvergesslichkeit gibt, die das Leiden der Welt vertuscht und ver-<br />
hübscht, sondern auch die Sünde der Augenvenveigerung, die sich der<br />
Herrlichkeit schämt.<br />
Das Exkrement. Das ist ein lateinisches UTort, für excrementum steht in<br />
meinem Lexikon: der iluswurf aus dem Leibe. Das ist eine schön ver-<br />
hullende Wendung, sie könnte auch für die Tränen stehen, oder für das<br />
Blut, den Schweiß. \Yir wissen, was gemeint ist, und lassen es gern bei<br />
der Euphemie bewenden. Mich erinnert das Wort an ein Erlebnis, das<br />
seine wehtuende Hässlichkeit über die Jahre hinweg bis heute bewahrt<br />
hat. Im Juni 1935 besetzt die Rote Armee das ganze Mühiviertel. An ei-<br />
nem Nachmittag marschiert eine ICompanie Infanterie an unserem Haus<br />
vorbei, wir IGnder liegen im Fenster und sehen aufgeregt zu. Nach den<br />
deutschen Soldaten die Amerikaner, und jetzt die Russen. Als die Trup-<br />
pe auf der Gasse vor dem Haus angelangt ist, springt ein Rotarmist aus<br />
der Reihe, stellt sich direkt vor die Fenster, winkt uns zu, zieht die Hose<br />
herunter, hockt sich hin und setzt einen großen Haufen Kot. Dann lacht<br />
er laut, zeigt auf sein Produkt und läuft seinen Kameraden nach. So kam<br />
damals die Verachtung über uns, und tat weh. Wir waren auf dem Bau-<br />
ernhof natürlich vertraut mit dem Mist, die Ablagerung der tierischen<br />
und menschlichen Ausscheidungen hatte ihren Ort, man wusste, wohin<br />
das gehörte. \Was uns der mongolische Infanterist angetan hatte, war<br />
eine Aktion, durch die wir nicht nur auf den Mist geworfen wurden,<br />
wir wurden zum Dreck gemacht. Das kann man sich nicht erlesen, etwa<br />
bei den Autoren der Hässlichkeitstheorie, das ist nicht vom Schreibtisch<br />
aus zugänglich. Der Soldat hielt uns wahrscheinlich für schuldig daran,<br />
dass er in den Krieg ziehen musste, das Exkrement war seine schärfste<br />
Waffe. Zu den Mitteln des privaten wie des öffentlichen Terrors zählen<br />
immer auch Handlungen, die auf das Ehrgefühl des Leibes zielen, also<br />
kahl scheren, nackt ausziehen, nummerieren, beschmieren, uniformie-<br />
ren, dreckig machen, alles in aiiem: <strong>Schönheit</strong>svernichtung.
i2i1aipro;e.s.siorr. Längst vor der liturgischen Reform, die eine Xktivierung<br />
der I
welt nicht auf der Ebene der I
Seite. Der hlenschensohn nennt keine ästhetischen Fehler in seinem<br />
Plädoyer, das im 25. Icapitel des Matthäusevangeliums (25, 31-46) zu<br />
lesen ist. Er sagt nicht: \\'ehe euch, ihr habt latsch produziert, wehe<br />
euch, ihr habt euch nicht um den Anspruch der Kunst gekümmert, ihr<br />
habt drauflosgepinselt, die Qualität eurer Iarchenbauten lässt zu wünschen<br />
übrig, ihr habt keinen Geschmack bewiesen. Und die Seligkeiten<br />
der Bergpredigt im selben Evangelium (5-7) enthalten keine &iahen für<br />
den Icunstmarkt. Das jesus-Projekt lässt das gesamte Revier des Designs<br />
außerhalb liegen. Daher sind keine Sätze der stilistischen hlaßgeblichkeit<br />
zu hören, etwa: Ihr habt eure Haare falsch gefarbt. Man liest auch nicht<br />
den erwartbaren Vorwurf: Ihr habt ein falsches Gottesbild gehabt. Der<br />
Fragebogen des W'eltrichters kann auf ein schmales Blatt geschrieben<br />
werden. Ob ihn interessieren wird, was uns interessiert?<br />
Das Christentum ist auch der anhaltende Kampf gegen die hlacht des<br />
schönen Scheins. Alle khttel, die I
Iesus war, so kommt es mir vor, die Kunst und alles, was mit dieser<br />
zusammenhängt, egal. Die <strong>Schönheit</strong> des Tempels in Jerusalem hat ihn<br />
nicht berührt. Das heilige Haus spielt in seiner Sprache keine positive<br />
Rolle, und seine Art der I
Snlzburger Briefe 14<br />
Anfang an keine Sache der Spezialisten und Dozenten, weil alle Menschen<br />
sich ihr tägliches Quantum <strong>Schönheit</strong> beschaffen können, ohne<br />
I
Snlzbtirger Briefe 16<br />
Die Wahrheit des Evangeliums kann auch in kitschigen Formen<br />
erscheinen.<br />
Da in der Szene der ICunst alles möglich ist und die Wahrheitsfrage nicht<br />
gestellt werden kann, ist so wie jeder andere Bürger auch der Christ seine<br />
eigene ICunstautorität.<br />
Das Christentum bezieht seine Bedeutung aus der eigenen Sache, nicht<br />
aus einem möglichen Interesse an der ICunst.<br />
Vl'eder die Zehn Gebote noch die Bergpredigt setzen Regeln, nach<br />
denen der IOtsch zu behandeln ist oder aus dem Bereich der Religion<br />
ausgeschlossen werden müsste<br />
Dargestellte Hässlichkeit ist viel weniger hässlich als unmittelbar erlebte<br />
Hässlichkeit, diese tut wirkiich weh, jene enthält immer eine Linderung.<br />
\Trenn die Bilder lang genug abgelegen haben, geht auch von den<br />
hässlichsten die Beruhigung aus, die der <strong>Schönheit</strong> eigen ist. Hierony-<br />
mos Bosch ergötzt.<br />
Das Schöne, ganz allein für sich genommen, kann immer noch der Raum<br />
sein für alles schlimme Tun.<br />
Allen Verboten zum Trotz wird die <strong>Schönheit</strong> genossen.<br />
Zwei Bii~*het:<br />
LTmberto Eco: Die Geschichte der <strong>Schönheit</strong>. München 2002;<br />
Die Geschichte der Häßlichkeit München 2007