Global Compact Deutschland Jahrbuch 2011 - GC Yearbook
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Agenda<br />
Alternative Wohlfahrtsmessung<br />
DIe ZeHN WICHtIGeN NatIONaLeN<br />
uND INteRNatIONaLeN aNsätZe<br />
1 OECD Headline Social<br />
Indicators<br />
Der OECD-Ansatz geht zurück<br />
auf die „Istanbul-Deklaration“ von<br />
2007, in der sich die Organisation<br />
zur Messung und Förderung<br />
der Wohlfahrt verpflichtete. In<br />
2009 wurden dazu erstmals<br />
acht Leitindikatoren (Headline<br />
Social Indicators) veröffentlicht.<br />
Der gemeinsame Charakter der<br />
Indikatoren ist ihre internationale<br />
Vergleichbarkeit und die<br />
Verfügbarkeit von dazu passenden<br />
Daten. Die Datenlage offenbart<br />
allerdings auch die Schwäche<br />
des Ansatzes: Durchaus wichtige<br />
Aspekte, zu denen es eben keine<br />
flächendeckenden Kennzahlen<br />
gibt, werden ausgeblendet.<br />
Überraschend ist zudem, dass<br />
das Thema Nachhaltigkeit wenig<br />
beachtet wird.<br />
2 EU Beyond-GDP-Initiative<br />
Seit 2009 beschäftigt sich<br />
auch die EU-Kommission mit<br />
der Beurteilung von Wohlfahrt.<br />
Auslöser war eine Konferenz<br />
„Beyond GDP (Gross Domestic<br />
Product oder Bruttoinlandprodukt)“<br />
in 2007, die das EU-Parlament<br />
gemeinsam mit dem WWF,<br />
Club of Rome und der OECD<br />
veranstaltete. Die Initiative hat<br />
aus über 100 Einzelindikatoren elf<br />
sogenannte Leitindikatoren für ein<br />
entsprechendes Indikatorenbündel<br />
ausgewählt. Damit soll künftig<br />
der Zielerreichungsgrad der<br />
EU-Strategie für nachhaltige<br />
Entwicklung (Lissabon Strategie)<br />
gemessen werden. Statt<br />
absoluter Werte werden also eher<br />
Fortschritte beschrieben.<br />
3 Stiglitz-Sen-Fitoussi-<br />
Kommission<br />
Die Kommission wurde 2008 vom<br />
französischen Präsidenten Nicolas<br />
Sarkozy einberufen. Ihr Auftrag<br />
besteht darin, neue Wege der<br />
Wohlstandsmessung jenseits des<br />
BIP als Leitindikator auszuloten.<br />
Bekannteste Persönlichkeit<br />
des Gremiums ist der US-<br />
Wirtschaftswissenschaftler Joseph<br />
Stiglitz. Der Nobelpreisträger gilt<br />
als scharfer Kritiker neoliberaler<br />
<strong>Global</strong>isierung und vor allem der<br />
Bankenlandschaft. Die Kommission<br />
brachte einen wichtigen Aspekt<br />
in die Diskussion: Bei der<br />
Wohlfahrtsmessung dürfen nicht<br />
nur die Aktivitäten zählen, die<br />
auf Märkten stattfinden, sondern<br />
genauso auch Tätigkeiten im<br />
Haushalt oder Ehrenamt.<br />
4 UN Human Development Index<br />
(Inequity-adjusted)<br />
Der Human Development Index<br />
(HDI) der Vereinten Nationen wird<br />
seit 1990 publiziert und ist weltweit<br />
bekannt und akzeptiert. In einer<br />
modifizierten Fassung werden<br />
jetzt auch verstärkt Aspekte der<br />
Ungleichheit gemessen. In die<br />
Berechnungen fließen Pro-Kopf-<br />
Einkommen, Lebenserwartung,<br />
Ausbildungsdauer und Verteilung<br />
dieser Aspekte ein. Dass<br />
Verteilungsgerechtigkeit nicht nur<br />
auf Einkommen, sondern auch<br />
auf Bildungschancen angewandt<br />
wird, ist beachtenswert. Einige<br />
Experten kritisieren allerdings,<br />
dass es sinnvoller sei, das<br />
Netto-Einkommen statt des<br />
Brutto-Einkommens auszuweisen.<br />
Dennoch: Der UN Index wird sicher<br />
auch in Zukunft die Debatte prägen<br />
und beflügeln.<br />
5 Nationaler Wohlfahrtsindex<br />
Der Index entstand im Auftrag des<br />
Umweltbundesamtes und setzt auf<br />
eine Ergänzung der BIP-Messwerte.<br />
So werden auch solche Güter<br />
und Aktivitäten erfasst, die auf<br />
dem herkömmlichen Markt nicht<br />
gehandelt bzw. falsch bewertet<br />
werden. Das gilt vor allem für<br />
informelle Tätigkeiten wie etwa<br />
Hausarbeit sowie für zahlreiche<br />
Umweltfolgeschäden, z.B. durch<br />
Lärm, Bodenbelastung oder Verlust<br />
von Ackerflächen. Die Auswahl<br />
ist dabei stark auf ökologische<br />
Werte ausgerichtet. Die Annahme,<br />
dass bestimmte Themenfelder<br />
traditionell unterbewertet sind,<br />
zeigt allerdings auch schon<br />
den normativen Unterton des<br />
Indexes. So nützt er vor allem<br />
als argumentative Hilfe für einen<br />
Politikwechsel.<br />
(-> Beitrag Diefenbacher ab S. 16)<br />
6 Fortschrittsindex<br />
Bevor Stefan Bergheim den<br />
Fortschrittsindex entwickelte, war er<br />
als Volkswirt bei Investmentbanken<br />
wie etwa Merrill Lynch sowie<br />
der Deutschen Bank Research<br />
beschäftigt. Heutet leitet er das<br />
Zentrum für gesellschaftlichen<br />
Fortschritt, der den Index publiziert.<br />
Der Fortschrittindex ist so designt,<br />
dass er für <strong>Deutschland</strong> im Jahr<br />
2000 den Ausgangswert 1,0<br />
festlegt. Künftige Veränderungen<br />
werden von diesem Basispunkt<br />
aus gemessen. Insofern dient der<br />
Fortschrittindex vor allem der<br />
Darstellung eines dynamischen<br />
Verlaufs über einen Zeitraum hinaus.<br />
7 Wohlstandsquintett<br />
Das Wohlstandsquintett des<br />
Denkwerks Zukunft, eines Bonner<br />
Think Tanks unter Leitung von<br />
Meinhard Miegel, empfiehlt die<br />
Messung von Wohlfahrt anhand von<br />
fünf Themenfeldern: Materieller<br />
Wohlstand, Gerechtigkeit, sozialer<br />
Zusammenhalt, ökologische<br />
Nachhaltigkeit und neuerdings der<br />
Staats-Schuldenquote. Die Kriterien<br />
sind pragmatisch ausgewählt, weil<br />
sie einen hohen gesellschaftlichen<br />
Konsens widerspiegeln. Allerdings<br />
ist anzumerken, dass Aspekte<br />
wie Gesundheit und Bildung<br />
fehlen. Dennoch eignet sich das<br />
Wohlstandsquintett nach Aussagen<br />
der Autoren sehr gut zur Beurteilung<br />
von Wohlstandsnationen wie etwa<br />
<strong>Deutschland</strong>.<br />
(-> Beitrag Wahl/Schulte ab S. 20)<br />
Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität<br />
8 Glücks-BIP<br />
Das Glücks-BIP wurde vom<br />
Centrum für angewandte<br />
Wirtschaftsforschung (CAWM<br />
Münster) im Auftrag der Initiative<br />
Neue Soziale Marktwirtschaft<br />
entwickelt. Es handelt sich<br />
um einen im wesentlichen<br />
subjektiven Indikator, der die<br />
Lebenszufriedenheit in einer nach<br />
oben offenen Skala darstellt.<br />
Zur Ermittlung des „Glücks-<br />
Zustands“ werden Fragen zu<br />
Beruf und Arbeitszeiten gestellt,<br />
und es kommen u.a. Sorgen zur<br />
Arbeitsplatz- und finanziellen<br />
Sicherheit zu Wort. Insgesamt ist der<br />
Glücks-BIP kein verallgemeinbarer<br />
Wohlstandsindikator, sondern<br />
macht eher individuelle Aussagen.<br />
Offen bleibt sicher auch die Frage,<br />
ob die Messkriterien in anderen<br />
Kulturen anwendbar oder „typisch<br />
deutsch“ sind.<br />
9 Indikatorenbericht des<br />
Statistischen Bundesamtes<br />
Auch das Statistische Bundesamt<br />
beteiligt sich an der Suche nach<br />
Wohlstand. Alle zwei Jahre werden<br />
Indikatoren aus 21 Bereichen<br />
erhoben. Der Indikatorenbericht<br />
dient zur Überprüfung der<br />
Nachhaltigkeitsstrategie der<br />
Bundesregierung. Als solcher<br />
nimmt er eine Sonderstellung<br />
ein, da die Auswahl der Kriterien<br />
eindeutig politischen Maßgaben und<br />
nicht so sehr wissenschaftlichen<br />
Überlegungen folgen. Die<br />
Beurteilung der Zielerreichung<br />
erfolgt durch kleine Symbole,<br />
wobei die strahlende Sonne<br />
gut ist und Gewitterwolken für<br />
Fehlentwicklungen stehen. Trotz<br />
der großen Detailtiefe sorgen<br />
diese Symbole für ein schnelles<br />
Verständnis der Ergebnisse.<br />
10 KfW-Nachhaltigkeitsindikator<br />
Um das abstrakte Konzept der<br />
Nachhaltigkeit zu konkretisieren<br />
und die verschiedenen Dimensionen<br />
von Nachhaltigkeit abzubilden,<br />
hat die KfW Anregungen aus der<br />
wissenschaftlichen Literatur und<br />
der Umsetzungspraxis aufgegriffen.<br />
Für die Bereiche Wirtschaft,<br />
Umwelt und Gesellschaftlicher<br />
Zusammenhalt wurden geeignete<br />
Schlüsselthemen identifiziert und<br />
mit passenden Basisindikatoren<br />
unterlegt, die die Entwicklung<br />
in den Themenbereichen<br />
quantifizieren. Insgesamt<br />
wurden 20 Schlüsselthemen<br />
mit 37 Basisindikatoren<br />
ausgewählt. Fortschritte der<br />
Nachhaltigkeitssituation werden<br />
anhand von Veränderungen dieser<br />
Basisindikatoren im Zeitablauf<br />
gemessen.<br />
Quelle:<br />
Ulrich van Suntum (Hrsg.):Theoretische<br />
Fundierung und Bewertung alternativer<br />
Methoden der Wohlfahrtsmessung,<br />
Centrum für angewandte<br />
Wirtschaftsforschung, Münster 2010<br />
26 globalcompact <strong>Deutschland</strong> <strong>2011</strong><br />
globalcompact <strong>Deutschland</strong> <strong>2011</strong><br />
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