Fachtagung 25 Jahre Wildwasser
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Parteiliche Mädchenarbeit – auch mit gewaltbereiten Mädchen?<br />
Irina Leichsenring, Dorothea Zimmermann<br />
49<br />
<strong>Wildwasser</strong> e.V.<br />
Seit 20 <strong>Jahre</strong>n ist <strong>Wildwasser</strong> e.V. im stationären Jugendhilfebereich tätig. 1988 gründeten wir<br />
eine Zufluchtswohnung für die Mädchen, die sexuelle Gewalt erlebt haben oder von sexueller<br />
Gewalt bedroht waren. Da dies sich oft als zu hochschwellig für die Mädchen erwiesen hat,<br />
eröffneten wir 2001 den Mädchennotdienst. In den langen <strong>Jahre</strong>n unserer Arbeit beobachteten wir,<br />
dass sich die Mädchen in ihrem Auftreten, in ihrer Haltung, in ihren Reaktionen auf Konflikte<br />
veränderten. Heute arbeiten wir verstärkt mit gewaltbereiten Mädchen. Mädchen, die einerseits viel<br />
Gewalt erlebt haben, in dieser Situation selbst Opfer waren, und gleichzeitig immer öfter die<br />
Täterrolle annehmen.<br />
Ihre Gewaltbereitschaft ist unter verschiedenen Aspekten zu sehen: Durch diese<br />
Gewaltbereitschaft versuchen sie zum Beispiel Respekt zu gewinnen. So wollen sie „cool“ sein und<br />
sind darauf stolz, als gewalttätig zu gelten. Dies vermittelt ihnen Sicherheit.<br />
Ein weiterer Aspekt der Gewaltbereitschaft kann die Reaktion auf die Beleidigung einzelner<br />
Familien- oder Gruppenmitglieder sein; sie fühlen sich gekränkt, wenn man ihnen Nahestehende<br />
beleidigt und wollen ihre Ehre durch Gewalt wiederherstellen.<br />
Viele Mädchen sehen Gewalt auch als Abwehr sexueller Belästigung: Ein zuschlagendes Mädchen<br />
wird von männlichen Mitmenschen eher als „Kumpel“ angesehen.<br />
Für andere, die sexuelle Gewalt erlebt haben, kann Gewalt zum Mittel werden, andere zu<br />
verletzen, so wie sie selbst verletzt wurden.<br />
Für einige ist Gewalt eine Möglichkeit des Ausagierens frustrierender Situationen im Alltag, zum<br />
Beispiel, wenn sie eingesperrt werden, sich nicht mit Freunden treffen dürfen und/oder den<br />
Haushalt führen müssen etc. Mädchen, die zu oft in die Opferrolle hineingedrängt wurden, legen<br />
diese Rolle ab und nehmen die andere Rolle (die des Täters) auf, mit dem Wunsch, nie wieder<br />
Opfer zu sein.<br />
In unserer Arbeit ist ein parteilicher Ansatz von großer Bedeutung. Wir werden oft gefragt, ob es<br />
eine Parteilichkeit für gewaltbereite Mädchen geben kann. Wir sagen „Ja“.<br />
Die Krisenwohnung des Mädchennotdienstes nimmt jedes Mädchen auf, egal aus welchem Grund<br />
sie nicht mehr nach Hause kann oder was sie getan hat. Wenn uns bekannt ist, dass das Mädchen<br />
in der Vergangenheit gewalttätig war, erarbeiten wir mit ihr sofort bei der Aufnahme gewaltfreie<br />
Konfliktlösungen. Wir fragen, was sie wütend macht und wie ihre Gewaltkurve verläuft, ob sie auch<br />
ohne Gewalt auszuüben aus einer Konfliktsituation herausgegangen ist und wie sie dies geschafft<br />
hat.<br />
Danach vereinbaren wir ganz konkrete Schritte zur Bewältigung von Konfliktsituationen in der<br />
Einrichtung, in der Gruppe, im Einzelkontakt mit den anderen Mädchen. Es ist uns wichtig, dass<br />
das Mädchen lernt, Zusammenhänge von äußeren und inneren Konflikten wahrzunehmen und es<br />
zu schaffen, mit eigenen Aggressionen konstruktiv umzugehen. Dabei ist Selbstwertstärkung von<br />
größter Wichtigkeit. Durch unser verbindliches Gruppenangebot versuchen wir ihre<br />
Gruppenfähigkeit zu fördern.<br />
Fast jedes Mädchen hat negative Erfahrungen in der Gruppe erlebt. Deshalb halten wir es für<br />
notwendig, für sie positive Gruppenbegegnungen zu schaffen, wobei das Mädchen geschützt<br />
Konfliktthemen äußern, darüber diskutieren, anderer Meinung sein kann – ohne danach als<br />
Feindin angesehen zu werden.<br />
Die Praxis<br />
Selbstwahrnehmung<br />
Wenn man in eine Gewaltsituation eingreifen will, ist es zunächst wichtig, seine eigene Angst zu<br />
überprüfen: Was macht die Situation mit mir, bin ich stark oder schwach? Denn verspürt man<br />
selber Angst, spiegelt sich dies in der Körperhaltung wieder, so dass die Jugendlichen diese Angst<br />
spüren würden. So sollte die Haltung der Betreuerinnen in dem Moment der Gewaltsituation Stärke<br />
und Entschlossenheit ausstrahlen.