Heft 2 (04/2009)
Heft 2 (04/2009)
Heft 2 (04/2009)
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Unabhängige Schülerzeitung des BZM<br />
<strong>Heft</strong> 2 / April <strong>2009</strong><br />
Die Rehabilitierten<br />
Wie der Vatikan mit den Hardliner-Brüdern kuschelt<br />
DAS BISTRO - GANZ PRIVAT<br />
Hintergründe und Fakten zur Preisgestaltung der Kantine<br />
»BUSHIDO ZEIGT’S ALLEN«<br />
Der kurze Weg in den Mainstream<br />
Preis: 0,20 €
Editorial<br />
L<br />
iebe Leserschaft,<br />
seit unserer letzten Ausgabe Ende Januar<br />
<strong>2009</strong> hat sich einiges in der Welt getan:<br />
Der Winter verschwand langsam aus unserer<br />
Wahrnehmung, die Hochsaison der Fasnet kam<br />
und ging, das erste Schulhalbjahr ward überstanden.<br />
Doch viel gewichtiger in diesem Jahr<br />
war für uns in der BRD die Debatte über die<br />
Pius-Bruderschaft, welche mit der Aufhebung<br />
der Exkommunikation vierer Bischöfe durch den<br />
Papst entstand. Mit diesem Thema beschäftigt<br />
sich deshalb auch die Titelstory. Das gerade<br />
einem deutscher Papst solch ein Fehler nicht<br />
unterlaufen darf, meint auch der Markdorfer<br />
Gemeindepfarrer Ulrich Hundt, mit dem wir<br />
diesbezüglich ein Interview führten.<br />
Nach unserer ausgiebigen Reportage über<br />
Barack Obama in der Erstausgabe, war es nun an<br />
der Zeit, die Umsetzung seiner Wahlversprechen<br />
kritisch zu analysieren. Unser Redakteur Maximilian<br />
Vorast befasste sich deshalb mit der<br />
Geschichte und Zukunft des US-Straflagers<br />
Guantanamo, welches als Symbol der Ära-Bush,<br />
nun geschlossen werden soll.<br />
Bei aller Wichtigkeit des Weltgeschehens, wollen<br />
wir dabei allerdings auch nicht das Schulleben<br />
außer Acht lassen: Nach dem Start des Schulradios<br />
vor einigen Monaten steht uns wahrscheinlich<br />
bald die nächste Sendung bevor. Über erste<br />
Reaktionen und die organisatorischen Herausforderungen,<br />
sprach DIREKT mit Andrea<br />
Wielath, der Managerin des Projekts.<br />
Zum Schulleben gehörte dieses Jahr allerdings<br />
auch die Preiserhöhungen am Bistro und die<br />
damit einhergehende Umstrukturierung unserer<br />
Schulkantine. Wir recherchierten über Ursachen<br />
und Wirkungen der Privatisierung des Bistros<br />
und sprachen mit Herrn Schatz über die aktuelle<br />
Situation an der »Futterfront«.<br />
Wegen des direkten Bezugs zum Schulalltag,<br />
war es für uns ebenfalls höchste Zeit, das<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
Da sind wir aber immer noch<br />
Papst, Hip-Hop und der Rest der Welt<br />
Phänomen »Bushido« genauer zu betrachten.<br />
Wer ist dieser Rapper aus Bonn, und was<br />
bewirkt er mit seiner Musik bei Jugendlichen?<br />
Ein Rebell oder nur Handlanger der Kulturindustrie?<br />
Diesen Fragen widmeten wir uns<br />
in Form einer ausgiebigen Reportage im Kulturteil.<br />
Doch neben einer Kino- und Musicalbesprechug<br />
sollte in unserer Zweiten Ausgabe auch<br />
die Literatur nicht zu kurz kommen. Der allgemein<br />
kaum noch bekannten Strömung des<br />
sozialistischen Realismus widmeten wir daher<br />
eine Zweiseitige Chronologie.<br />
Nun hat sich aber nicht nur in der Welt und am<br />
BZM einiges getan, nein, auch die DIREKT hat<br />
sich nach zahlreichen Rückmeldungen etwas<br />
weiterentwickelt: So gibt es beispielsweise ab<br />
dieser Ausgabe neben einem leicht modifizierten<br />
Layout auch zahlreiche Lehrerzitate und<br />
reichere Bebilderung. Dabei hat sich nicht nur<br />
qualitativ, sondern auch quantitativ einiges<br />
getan: Statt 20 Seiten wie in die Erstausgabe verfügt<br />
Ausgabe Zwei nun über 4 Seiten mehr an<br />
Text und Bild. Es bleibt festzuhalten: Wir bleiben<br />
also auch weiterhin am Ball, und in diesem<br />
Sinne, wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre.<br />
Marcel Kunzmann, Chefredakteur<br />
3
Impressum<br />
Die DIREKT ist eine kritisch hinterfragende Schülerzeitung.<br />
Gegründet im November 2008 ist unser Ziel eine solidarische Schülerzeitung für alle Schularten<br />
des BZM zu entwickeln, welche mit enger Verbundenheit zu den Interessen der Schülerschaft<br />
den Dialog sucht und zur Partizipation einlädt.<br />
Mit kritischem Blick behalten wir sowohl den Schulalltag als auch die Weltpolitik im Auge und<br />
wollen der vorherrschenden Beliebigkeit neue Kontraste verleihen.<br />
DIREKT - wer liest, versteht.<br />
Anschrift der Redaktion:<br />
Schülerzeitung “direkt”<br />
Bildungszentrum Markdorf<br />
Ensisheimerstraße 30<br />
88677 Markdorf<br />
eMail: direkt.redaktion@gmail.com<br />
Homepage: http://www.direkt-online.org/<br />
Ausgabe: 2 (<strong>04</strong>/<strong>2009</strong>)<br />
Auflage: 300<br />
Druck: Kopierladen, Markdorf (www.kopierladen.net ; Tel.: 07544 / 2526)<br />
Beratender Lehrer: E. Schulz<br />
Preis: 0,20 €<br />
Layout: Marcel Kunzmann (In Anlehnung an Niki Bong, konkret)<br />
Titelbild: Lena Nöh (10a)<br />
Chefredakteur: Marcel Kunzmann (10a)<br />
Leitender Redakteur: Maximilian Vorast (11b)<br />
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Inhalt<br />
3<br />
6<br />
9<br />
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12<br />
14<br />
15<br />
17<br />
18<br />
22<br />
24<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
Da sind wir aber immer noch<br />
Papst, Hip-Hop und der Rest der Welt<br />
Die Rehabilitierten<br />
Wie der Vatikan mit den Hardliner-Brüdern kuschelt<br />
»Ich seh’ den Kurs kritisch«<br />
Der Markdorfer Pfarrer Hundt über Papst und Rückschritt<br />
Alle Jahre wieder<br />
Schwäbisch-allemannische Alltagsunterbrechung<br />
Das Bistro - ganz privat<br />
Hintergründe und Fakten zur Preisgestaltung der Kantine<br />
»Unser Ziel haben wir erreicht«<br />
Andrea Wielath über Schulradio und Herausforderungen<br />
Ende des Terrors?<br />
Obama macht Schluss mit Guantanamo<br />
The International<br />
Mit der Knarre durch die Krise<br />
»Bushido zeigt’s allen«<br />
Der kurze Weg in den Mainstream<br />
Spuren der Steine<br />
Zeugnisse einer vergessenen Kultur<br />
We will rock you (Musical)<br />
Mainstream mal anders<br />
5
Die Rehabilitierten<br />
Wie der Vatikan mit den Hardliner-Brüdern kuschelt<br />
Vielleicht erinnern wir uns noch an jene<br />
Tage im April 2005, als Springers Blatt<br />
mit der Überschrift »Wir sind Papst«<br />
verkündete, dass der neue Mann im Vatikan<br />
jetzt ein Deutscher sei. Die ersten Reaktionen der<br />
hiesigen Katholiken auf den neuen »Stellvertreter<br />
Gottes auf Erden« waren naturgemäß<br />
mit Stolz, Freude und Hoffnung erfüllt. Doch<br />
stellte sich bald heraus, dass dieser »nette Hardliner«,<br />
welcher eher mit politischen Skandalendenn<br />
mit fortschrittlichem Gedankengut zu<br />
glänzen vermag, selbst für seine Anhänger, nicht<br />
immer nachvollziehbar handelte.<br />
So war es dann nicht weiter überraschend, als<br />
jener Josef Ratzinger, auch unter dem Künstlernamen<br />
»Papst Benedikt XVI.« bekannt, im Januar<br />
diesen Jahres mit der Aufhebung der Exkommunikation<br />
von vier Bischöfen der erzkonservativen<br />
»Pius-Bruderschaft« seine Kirche wieder einmal<br />
erfolgreich ins prä-aufklärerische Zeitalter<br />
zurückwarf. Denn diese, 1970 vom antisemitischen<br />
Erzbischof Lefebre gegründete Bruderschaft,<br />
welcher sich der »unfehlbare« Ratzinger<br />
wieder annäherte, ist eine Ausgeburt des geistigen<br />
Mittelalters: So werden von ihr die Men-<br />
Die Errichtung eines Gottesstaates<br />
bleibt eine grundsätzliche<br />
Forderung der Pius-Brüder<br />
schenrechte, aufgrund der Anerkennung des<br />
Atheismus abgelehnt und die Errichtung eines<br />
Gottesstaates bleibt eine grundsätzliche<br />
Forderung der »Pius-Brüder«. Dazu erklärte der<br />
jetzt wieder rehabilitierte Bischhof Bernard Fellay:<br />
»Und indem sich die Kirche eines der fundamentalen<br />
Prinzipien des modernen Staates zu eigen<br />
machte, nämlich die Neutralität, die<br />
Unparteilichkeit allen Religionen gegenüber,<br />
konnte die Kirche ihr (eigentliches) Erbe<br />
6<br />
T i t e l<br />
wiederfinden. […] Anders ausgedrückt erklärt<br />
der Papst, 1700 Jahre der Kirchengeschichte sei<br />
außerhalb der Lehre unseres Herrn abgelaufen;<br />
die Kirche habe während 1700 Jahren ihr Erbe<br />
verloren und jetzt wiederentdeckt, indem sie auf<br />
den katholischen Staat verzichtet. Wenn das kein<br />
Bruch sein soll, was ist es dann?«<br />
Doch auch der Deutsche Distriktobere der »Pius-<br />
Bruderschaft« forderte eine »christliche<br />
Gesellschaftsordnung«, die »Unauflöslichkeit der<br />
Ehe« sowie das Verbot von Homosexualität und<br />
»Gotteslästerung«. Folglich lehnen die Pius-<br />
Brüder demokratische Grundprinzipien ab und<br />
fordern stattdessen, dass »Die Gewalt in Staat<br />
und Gesellschaft nicht vom Volke, [...] nicht von<br />
der Basis ausgeht, sondern von Gott.«<br />
All das störte bislang unsere bürgerlichen Medien<br />
recht wenig, denn erst als der Bischof Richard<br />
Williamson abermals öffentlich den Holocaust<br />
leugnete und den tief verwurzelten Antisemitismus<br />
seiner Bruderschaft zur Schau stellte,<br />
wurden auch die etablierten Medien auf diesen<br />
Skandal aufmerksam. Die Reaktion des Vatikan:<br />
Nichts. Während der Zentralrat der Juden in<br />
Deutschland gegen die katholische Kirche Sturm<br />
lief, ließ der Vatikan tagelang auf eine Stellungnahme<br />
warten. Erst am 28. Januar bezeichnete<br />
Ratzinger, ohne Williamson namentlich zu<br />
erwähnen, die Vernichtung der Juden in der Zeit<br />
des Hitlerfaschismus als »Mahnmal gegen jedes<br />
Vergessen und Leugnen« und versicherte dem<br />
jüdischen Volk seine »volle und unbestreitbare<br />
Solidarität«. Nach einer kurzen, aber konfessionsübergreifenden<br />
Welle der Empörung legte sich<br />
das mediale Strohfeuer wieder und die Debatte<br />
verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung.<br />
Doch so leicht lässt sich diese Entscheidung des<br />
Papstes nicht unter den Teppich kehren, denn<br />
sie gliedert sich ein in eine Reihe von Handlungen,<br />
die die »Erneuerung der Kirche« um<br />
Jahrzehnte zurückwarfen. Das Williamson nicht<br />
erst seit <strong>2009</strong> ein bekennender Holocaust-Leugner<br />
war, ließ sich leicht überprüfen. So sagte er,
Kommt das vom vielen Frohlocken? Joseph Ratzinger, auch bekannt als »Papst Benedikt XVI.«<br />
nach einem Zitat des Spiegel vom 3. Februar<br />
diesen Jahres, bereits im April 1989 bei einer<br />
Predigt im kanadischen Sherbrooke über Ausschwitz:<br />
»Dort wurden keine Juden in den<br />
Gaskammern getötet! Das waren alles Lügen,<br />
Lügen, Lügen! Die Juden erfanden den Holocaust,<br />
damit wir demütig auf Knien ihren neuen<br />
»Dort wurden keine Juden in<br />
Gaskammern getötet! Das waren<br />
alles Lügen, Lügen, Lügen!«<br />
Staat Israel genehmigen. […] Die Juden erfanden<br />
den Holocaust, Protestanten bekommen ihre<br />
Befehle vom Teufel, und der Vatikan hat seine<br />
Seele an den Liberalismus verkauft.« Doch damit<br />
nicht genug: Der Gründer der 1970 entstandenen<br />
Pius-Bruderschaft, Bischhof Marcel Lefebvre,<br />
bezeichnete 1985 bei einer Predikt die<br />
faschistische chilenische Militärjunta unter<br />
Augusto Pinochet als »vorbildliche Regierung«.<br />
Die offene Nähe zum Rechtsextremismus zeigte<br />
auch das Bruderschafts-Mitglied Philippe<br />
Laguérie, welcher bis 20<strong>04</strong> als Priester tätig war<br />
und die rechtsextremistische, französische »Front<br />
National« als eine Partei bezeichnete, die »am<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
wenigsten weit von dem Naturrecht entfernt«<br />
sei. Auch in der BRD sehen sich die Mitglieder<br />
der Bruderschaft offensichtlich in dieser Tradition:<br />
So gaben mehrere Mitglieder der Pius-<br />
Bruderschaft (darunter der Priester Niklaus<br />
Pfluger) mehrmals interviews in der rechtslastigen<br />
Tageszeitung »Junge Freiheit«.<br />
Als aufgeklärter Geistlicher, würde man doch so<br />
jemanden als erstes wieder in die Kirche aufnehmen,<br />
oder etwa nicht? War diese Entscheidung<br />
also eine grobe Fehleinschätzung in<br />
Verbindung mit Unwissenheit oder ein Schritt<br />
der gezielten Restauration reaktionärer Kräfte<br />
innerhalb der katholischen Kirche?<br />
Betrachten wir doch, was sich ansonsten innerhalb<br />
der katholischen Kirche seit dem Pontifikat<br />
von Papst Benedikt XVI getan hat:<br />
Nachdem er sich am 24. April 2005 am Petersplatz<br />
erstmalig als Kirchenoberhaupt zu Wort<br />
meldete, verkündete er: »Die Kirche lebt, die<br />
Kirche ist jung!«<br />
Pustekuchen: Kurz danach postulierte Ratzinger<br />
öffentlich, dass er bei seiner ablehnenden Haltung<br />
gegenüber Abtreibung und Sterbehilfe<br />
bleibe. Im Mai 2007 äußerte sich der Papst zur<br />
Christianisierung Lateinamerikas, die keine<br />
Oktroyierung einer fremden Kultur, sondern<br />
von den Ureinwohnern unbewusst herbeige-<br />
7
sehnt worden sei. Diese Darstellung bezeichnete<br />
der Historiker Hans-Jürgen Prien im »Kölner<br />
Stadt-Anzeiger« vom 17. Mai 2007 als eine<br />
»unglaubliche Geschichtsklitterung.«<br />
Zugleich wurden im Laufe seiner Amtszeit die<br />
Ausbildung von weiteren 3.000 Exorzisten ange-<br />
»Zuerst war Ratzinger konservativ.<br />
Heute ist er von Grund auf<br />
Reaktionär« (Leonardo Boff)<br />
ordnet. Zur sexuellen Freiheit meinte der Papst<br />
bereits im Juni 2005 bei einer Tagung in Rom:<br />
»Die Auflösungstendenzen bezüglich der Ehe,<br />
[…] bis hin zur Pseudo-Ehe zwischen Personen<br />
des gleichen Geschlechts sind […] Ausdruck<br />
einer anarchistischen Freiheit, die sich zu<br />
Unrecht als wahre Befreiung des Menschen ausgibt.«<br />
Was ist also von diesen orthodoxen Haltungen<br />
und Tätigkeiten des Vatikan, welche seit<br />
dem Pontifikat Bededikts XVI. deutlichen<br />
aufwind bekam, zu halten?<br />
Gar nichts. Die Politik der Restauration<br />
rückschrittlicher Kräfte hat System. In den 4<br />
Jahren seiner Amtszeit als Oberhaupt der<br />
katholischen Kirche hat dieser »nette Hardliner«<br />
mehr zerstört, als selbst die pessimistischsten<br />
Vatikankenner für möglich hielten. So gesehen<br />
ist dieser Papst ein wahrer Glücksfall für alle<br />
Freidenker, wirkt er doch als Katalysator für die<br />
Entchristianisierung Europas, welche er doch<br />
eigentlich verhindern wollte. Doch dieKirche ist<br />
weit mehr als der Papst. In der heterogenen<br />
Organisationsstruktur der katholischen Kirche<br />
finden sich durchaus auch fortschrittliche Strömungen,<br />
die sich nicht scheuen das Wort zu<br />
ergreifen. So resümierte der brasilianische<br />
Befreiungstheologe Leonardo Boff letzten Sommer<br />
treffend im »Stern«: »Zuerst war Ratzinger<br />
konservativ, heute ist er von Grund auf reaktionär.<br />
Er verurteilt alles Moderne, will die<br />
Kirche des 19. Jahrhunderts erhalten. Ratzinger<br />
ist ein Professorenpapst, kein Hirte. Kein Charisma,<br />
keine Ausstrahlung.«<br />
8<br />
von MMaarrcceell KKuunnzzmmaannnn<br />
TERMINE<br />
24.<strong>04</strong> KONSTANZ, Stadttheater<br />
um 20 Uhr: »Die Räuber« nach<br />
Friedrich Schiller<br />
30.<strong>04</strong> KONSTANZ, Stadttheater<br />
um 20 Uhr 30: »Der letzte Kosmonaut«<br />
nach einer Idee von Christoph Nix<br />
01.05 FRIEDRICHSHAFEN, Ufer-Muschel<br />
ab 10 Uhr: Gewerkschaftskundgebung<br />
(Tag der Arbeit)<br />
10.05 MARKDORF, Theaterstadel<br />
»Die Klasse«, preisgekröntes Drama<br />
über die Migrationsproblematik in<br />
Frankreich<br />
15.05 KONSTANZ, Stadttheater<br />
um 20 Uhr: »Der Selbstmörder«<br />
eine satirische Komödie von Nikolai<br />
Erdmann<br />
20.05 KARLSRUHE, Badisches Staatstheater,<br />
um 19 Uhr: »Maria Stuart« nach<br />
Friedrich Schiller<br />
15.05 KONSTANZ, Stadttheater<br />
um 20 Uhr: »Der Selbstmörder«<br />
eine satirische Komödie von Nikolai<br />
Erdmann<br />
15.05 RAVENSBURG, Theater<br />
um 20 Uhr: »Romeo & Julia« nach<br />
William Shakespeare<br />
In dieser Rubrik werden kostenlos Veranstaltungshinweise<br />
veröffentlicht. Termine<br />
können vorgeschlagen werden unter:<br />
direkt.redaktion@gmail.com
T i t e l<br />
»Ich seh’ den Kurs kritisch«<br />
Der Markdorfer Pfarrer Hundt über Papst und Rückschritt<br />
Das nicht alle Katholiken so denken, wie<br />
in Rom, ist nichts Neues. Wir stellten uns<br />
dagegen: Und führten ein Interview mit<br />
dem Markdorfer Gemeindepfarrer Ulrich Hundt.<br />
direkt: Zu Ihrer Person. In Markdorf dürften Sie<br />
ja recht bekannt sein, Sie sind hier Gemeindepfarrer?<br />
Hundt: Das bin ich, aber nicht nur für Markdorf,<br />
sondern auch für die gesamte Seelsorgeeinheit.<br />
Zu dieser Seelsorgeeinheit gehören noch<br />
Bermatingen, Ittendorf, Bergheim und Hepbach.<br />
Dort bin ich Pfarrer seit 2005.<br />
direkt: Neulich entflammte in den Medien wieder<br />
eine Diskussion, als vier Bischhöfe der Priesterbruderschaft<br />
St. Pius X. vom Papst wieder in die<br />
Kirche aufgenommen wurden. Wie waren hier<br />
in der Gemeinde die Reaktionen auf diese Debatte?<br />
Hundt: Einerseits haben Menschen reagiert und<br />
gesagt, dass sie das Gespräch mit mir suchen,<br />
andererseits gab es ein paar Kirchenaustritte.<br />
Eine weitere Reaktion war, das wir innerhalb<br />
unseres Teams der hauptamtlichen Seelsorgeeinheit<br />
darüber gesprochen haben, weil uns das<br />
auch nicht unberührt ließ. Wir haben es nicht<br />
verstanden, dass das geschehen ist.<br />
direkt: Was geschehen?<br />
Hundt: Die Rücknahme der Exkommunikation,<br />
vor allem weil ich nie mitbekommen habe, dass<br />
diese Bischöfe darum gebeten haben. Mein Eindruck<br />
war, dass die sehr selbstgerecht waren<br />
und immer das Gefühl hatten »Wir sind diejenigen,<br />
die das Rechtgläubige vertreten.«<br />
Dieser Schritt hat mich schon überrascht, weil es<br />
überhaupt keine Not war, niemand hat darum<br />
gebeten und natürlich der große Schaden, dass<br />
bei den Aufgenommen jemand dabei ist, der den<br />
Holocaust leugnet, was in der Öffentlichkeit<br />
nochmals mehr Bestürzung hervorgerufen hat.<br />
direkt: Wie ist Ihre persönliche Position im<br />
Gespräch mit den Leuten zu dieser Entwicklung<br />
in der Kirche und zu der Reaktion des Papstes?<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
Hundt: Ich stehe der Wiederaufnahme der<br />
Exkommunizierten kritisch gegenüber. Die Pius-<br />
Bruderschaft vertritt Ansichten, die im 2.<br />
Vatikanischen Konzil nicht weitergeführt worden<br />
sind. Ich habe nichts davon gehört, dass<br />
diese Bruderschaft die Aussagen vom Konzil<br />
übernommen hätte.<br />
Meine persönliche Haltung ist: Erstens ärgert es<br />
mich. Zweitens finde ich es unverantwortlich.<br />
Drittens macht es mir eine gewisse Sorge, ob<br />
rückschrittliche Tendenzen in der Kirche die<br />
Überhand gewinnen. Wenn mich jemand darauf<br />
anspricht, ist meine persönliche Reaktion, dass<br />
ich sage, wie ich dazu stehe und was ich darüber<br />
denke, dass ich nicht mittrage was da geschehen<br />
ist.<br />
direkt: Was glauben Sie, sind die Ziele, die der<br />
Papst mit der Entscheidung, die Exkommunikation<br />
zurückzunehmen im Sinn hatte, wo doch<br />
abzusehen war, dass der öffentliche Schaden ein<br />
großer ist?<br />
Hundt: Finde ich schwierig zu beantworten, ich<br />
kann das schlecht einschätzen. Mir ist aufgefallen,<br />
dass der Papst schon zu der Zeit, als er noch<br />
Präfekt der Glaubenskongregation war, der traditionalistischen<br />
Seite immer sehr entgegengekommen<br />
ist. In theologischen Auseinandersetzungen<br />
hat er dieser Seite immer die Hand<br />
aufgehalten. In anderen Sachen, bei Theologen,<br />
die jetzt nicht »auf Linie« waren, kam da relativ<br />
rasch Lehrverbot oder eine Disziplarmaßnahme.<br />
Ich hab eine gewisse Sorge, wie er selbst zu der<br />
Entwicklung der Kirche seit den 1960er Jahren<br />
steht.<br />
direkt: Wie sehen Sie die Gesamtrichtung, in die<br />
die Kirche derzeit tendiert, und wie wirkt sich<br />
das auf die Entwicklung an der Basis in Markdorf<br />
aus?<br />
Hundt: Es gibt sicher Diskrepanzen. Es gibt<br />
immer unterschiedliche Strömungen, eine totale<br />
Identifikation mit der Kirche kann es gar nicht<br />
geben. Es kommt auf die grundsätzliche Zustimmen<br />
an. Im Moment habe ich das Gefühl, dass<br />
9
die Zusammensetzung des Kardinalskollegiums<br />
relativ konservativ ist. Das ergab sich durch die<br />
Ernennungen schon seit Papst Johannes Paul II.<br />
Das ist unter Papst Benedikt XIV. auch nicht<br />
besser geworden.<br />
Insofern glaube ich, dass es da im Moment etwas<br />
rückwärtsgewandt geht.<br />
Ich sehe, dass vieles an der Basis dennoch weitergeht.<br />
Hier vor Ort habe ich das Gefühl, dass<br />
die Leute kein Verlangen nach einem rückwärtsgewandten<br />
Kurs haben. Ich erlebe Markdorf als<br />
eine offene Gemeinde.<br />
direkt: Die traditionelle und rückwärtsgewandte<br />
Politik des Papstes in den letzten 4 Jahren, steht<br />
ja in krassem Widerspruch zu den Bemühungen<br />
fortschrittlicher Kräfte innerhalb der Kirche. Wie<br />
bewerten Sie diese Politik, die der Papst praktiziert<br />
hat?<br />
Hundt: Ich sehe den Kurs kritisch, mir gefällt das<br />
nicht. Was mir hilft ist, dass ich vor Ort mehr<br />
Freiheit habe, als es vielleicht aussieht. Was mir<br />
auch hilft ist, dass ich in unserem Bistum so Pfarrer<br />
sein kann, wie ich es vor mir verantworten<br />
kann und wie ich es auch gern bin.<br />
direkt: Dem Vatikan wird oft vorgeworfen, dass<br />
die Kommunikation innerhalb der Institution<br />
nicht richtig funktioniert habe. Steckt etwas hinter<br />
diesen Aussagen?<br />
Hundt: Fakt ist, dass die Kirche gerade ein<br />
schlechtes Bild abgibt. Wenn man irgendwas<br />
sagt und muss dann gleich zurückrudern, dass<br />
ist immer peinlich. Das hat den Anschein, man<br />
hat den eigenen Laden nicht im Griff. Diese Situation<br />
hatten wir jetzt ein paar Mal, und man<br />
muss dann immer beschwichtigen und erklären<br />
»Haja, so hat er’s nicht gemeint« und versuchen<br />
zu entschuldigen.<br />
Das wirft gerade kein gutes Licht auf die Kirche.<br />
Es kann durchaus sein, dass die Kommunikation<br />
schlecht ist. Ich finde, man hätte den Weitblick<br />
haben müssen.<br />
Jetzt kommt der Papst aus Deutschland, und als<br />
deutscher hat man zu wissen, dass das Verhältnis<br />
zu Israel ein ganz sensibles ist. Selbst wenn<br />
etwas 20 Jahre zurückliegt und man weiß es -<br />
dann darf man nicht so etwas machen, wie es<br />
jetzt passiert ist. Das halte ich für komplett<br />
daneben.<br />
direkt: Was halten Sie von den vielen Streitpunkten<br />
in den Positionen der katholischen Kirche,<br />
wie z.B. dem Verbot von Frauen zur Priesterweihe,<br />
der Homosexuellenfeindlichkeit, der Äch-<br />
10<br />
tung von Kondomen oder auch dem Zölibat?<br />
Hundt: Das sind natürlich ganz viele Themen.<br />
Grundsätzlich halte ich es für ein Problem, wenn<br />
nicht diskutiert werden darf.<br />
Zum Thema Frauenordination gab es vom Papst<br />
Johannes Paul II. einmal die Äußerung: »Ich sage<br />
ein für alle mal: An diesem Thema wird nicht<br />
mehr gerüttelt, es wird keine Frauenordination<br />
geben.« Ich denke das darf man nicht machen,<br />
das hat ja etwas von einem Denkverbot.<br />
Ein Problem in der katholischen Kirche ist, dass<br />
der klammheimliche Satz besteht: »Die Kirche<br />
darf nicht irren, und wenn in den 30er Jahren<br />
etwas gesagt worden ist, sagen wir jetzt nichts<br />
anderes, sonst könnte man ja meinen wir<br />
müssten uns korrigieren.«<br />
Das halte ich für schwierig. Es ist grundsätzlich<br />
nötig darüber zu diskutieren, Ämter für Frauen<br />
zu öffnen.<br />
Beim Thema Homosexualität, denke ich, hat man<br />
sich vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
verschlossen oder zieht einseitig Forscher zu<br />
Rate, die auf Linie sind. Ich denke, das müsste<br />
man ohne Berührungsängste anschauen und<br />
sagen: Menschen empfinden so und finden sich<br />
so vor.<br />
Das ist weder Krankheit noch Sünde, es gibt<br />
deshalb keinen Grund sie auszugrenzen oder zu<br />
diskriminieren.<br />
Zum Thema Kondomverbot: Wenn man sich<br />
anschaut, wie viele sich an Aids infiziert haben in<br />
Afrika, ob man das verantworten kann. Ich halte<br />
es für problematisch am Kondomverbot<br />
festzuhalten. Ich würde für eine Gewissensentscheidung<br />
plädieren.<br />
direkt: Würden Sie es begrüßen, wenn man ab<br />
sofort Frauen und Homosexuelle zum Priesteramt<br />
zulassen würde?<br />
Hundt: Frauen würde ich sagen, muss man auf<br />
alle Fälle sauber diskutieren, ob die Kirche<br />
mitkann. Und Homosexuelle: Auf alle Fälle.<br />
Warum sollten sie nicht geweiht werden können?<br />
Ich bin überzeugt, es gibt ganz viele Homosexuelle<br />
Priester, mein Verdacht ist, dass die Kirche<br />
sehr wohl weiß, dass das so ist, aber im Grunde<br />
interessiert das keinen.<br />
direkt: Vielen Dank für das Interview.<br />
Das Gespräch führten MMaarrcceell KKuunnzzmmaannnn und<br />
MMaaxxiimmiilliiaann VVoorraasstt.
I n t e r n a<br />
Als gegen 9 Uhr 30 so gut wie alle Schüler<br />
»befreit« worden waren, die Schulleiter<br />
ihre traditionelle Fasnetansprache im<br />
Foyer gehalten und ihre »Bildungsgutscheine«<br />
unter das Schülervolk gebracht hatten, konnte<br />
die alljährliche Fasnetfeier in der Turnhalle<br />
beginnen. Unter dem gleichnamigen Abimotto:<br />
»kABItän Blaubär – 13 Jahre Lügengeschichten«<br />
organisierte die Abschlussklasse die feucht fröhliche<br />
Piratenparty. Als sich alle Schüler in der<br />
mottogetreu dekorierten Halle (»freiwillig«) einfanden<br />
, konnte die Feier unter der routinierten<br />
Moderation von Lutz Biemann und der sanftklingenden<br />
Sarah von Keudell beginnen. Wie<br />
immer füllte sich die Lehrerlounge rasch. Enttäuschend<br />
für manche jedoch, dass Herr Kauderer<br />
trotz einer Extraeinladung der Moderatoren<br />
»kABItän Blaubär« lautete das<br />
diesjährige Motto der Feier<br />
nicht auf der Sitzgelegenheit Platz nahm. Einer<br />
ließ sich diese Gelegenheit jedoch nicht nehmen:<br />
Der ehemalige Schulleiter Barisch nutzte den<br />
Anlass um der Schule einen Besuch abzustatten.<br />
Nachdem »Käpt’n Blaubärs Schiffskapelle«<br />
einige Partysongs gespielt hatte, wurde das erste<br />
Lehrer vs. Schüler Spiel angekündigt. Den Hindernislauf<br />
mit zusammengebundenen Beinen<br />
gewannen wie gewohnt die Schüler. Selbige<br />
mussten sogleich jedoch einer herbe Niederlage<br />
beim Balkenringen einstecken, das die Lehrer<br />
mit 2:1 Siegen gewannen. Die beiden nächsten<br />
Spiele mussten also entscheiden, welcher der<br />
beiden Kontrahenten als »stolzer Sieger« die<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
Alle Jahre wieder<br />
Schwäbisch-allemannische Alltagsunterbrechung<br />
Halle verlassen konnte. Das Pizzaspiel war eine<br />
Neuerung, die zuvor noch nie Teil der Fasnetveranstaltung<br />
war. Jedem Schüler bzw.<br />
Lehrer wurde eine Zutat für eine Pizza zugeteilt.<br />
Die Spieler mussten sich nun in der Reihenfolge<br />
auf die schon bereitgelegten Matten, die als Pizzateig<br />
fungierten, legen, wie es ihnen von den<br />
Moderatoren aufgetragen wurde. Wer die<br />
kreativste Art besaß sich hinzulegen, entschied<br />
das Publikum sehr »demokratisch« mit der Lautstärke<br />
seines Applauses. Nach insgesamt drei<br />
Durchgängen stand der Sieger fest: Die Schülermassen<br />
entschieden eindeutig zu Gunsten der<br />
Schüler. Welch Überraschung!<br />
Im letzten Spiel ging es darum, soviel Bonbons<br />
wie möglich zu finden, der Clou: Die Bonbons<br />
waren in Luftballons versteckt, die wiederum in<br />
der ganzen Halle verstreut aufgehängt worden<br />
waren. Dieses Spiel entschieden jedoch die<br />
Lehrer für sich, sodass der Wettkampf dieses<br />
Jahr unentschieden ausging. Dennoch ist es<br />
immer wieder eine Bereicherung zu sehen, dass<br />
sich auch die weltfremdesten Philologen in der<br />
ein oder anderen Situation nicht zu ernst<br />
nehmen.<br />
Zwischen den Spielen präsentierten die 12. und<br />
die 13. Klassen ihre extra einstudierten Gruppenchoreografien.<br />
Die 13.Klasse überzeugte mit<br />
einem »Piratentanz« und die 12. zeigte uns mit<br />
einem »Mülltanz« ihr Können.<br />
Am Ende beeindruckten Herr Ausfelder, Herr<br />
Bolken, Herr Siebert und Herr Ferguson noch<br />
mit einem beachtlich angestimmten »What shall<br />
we do with the drunken sailor?«<br />
von MMaaxxiimmiilliiaann VVoorraasstt<br />
Schüler (im Bus): Sie sitzen jetzt wirklich seit 2 Stunden hier und schauen<br />
aus dem Fenster raus?<br />
Ferguson: Das nennt man chillen. Das ist cool.<br />
11
Das Bistro - ganz privat<br />
Welcher Schüler hat sich nicht schon<br />
einmal über das aufwendige<br />
Vorbestellen der Tagesessen und den<br />
hohen Preis geärgert? Welche Eltern beschwerten<br />
sich nicht schon einmal über den viel zu<br />
hohen Anteil an Süßwaren und Fastfood im<br />
Angebot der Schulkantine „Bistrino“? Sie<br />
„unsere“ zu nennen wäre eine groteske Verdrehung<br />
der Tatsachen, da sie sich nun schon<br />
seit mehr als einem Jahrzehnt in privater Hand<br />
und nicht, wie einst in staatlicher befindet. Nicht<br />
nur damals spürte man die Veränderung, auch<br />
heute wird, nicht nur beim Betrachten der Preise,<br />
klar: Es handelt sich um ein privates<br />
Unternehmen.<br />
Wie alle privaten Unternehmen ist auch die<br />
Schulkantine den Gesetzmäßigkeiten des „freien<br />
Marktes“ unterworfen. So würde es von<br />
Kurzsichtigkeit zeugen, Herrn Schatz genannte<br />
Kritikpunkte vorzuwerfen. Die Preiserhöhung<br />
des Tagesessens auf 3,50 € ist nicht etwa auf sein<br />
Gewinnstreben zurückzuführen, sondern gründet<br />
sich auf mehreren Säulen.<br />
Zum einem wurde 2007 der Zuschuss der Landesregierung<br />
von 34 Cent für jedes Schülermittagessen<br />
gestrichen, zum anderen stiegen die<br />
Einkaufspreise für Grundnahrungsmittel wie<br />
Weizen oder Milch 2008 rapide an. Der Weizenpreis<br />
jedoch stieg nicht etwa aufgrund einer real<br />
höheren Nachfrage, sondern schlicht infolge<br />
eines immensen Spekulationsanstiegs an den<br />
Warenterminbörsen, auf denen Weizen wie<br />
anderes spekulatives Kapital gehandelt wird. Auf<br />
die Bedürfnisse der Menschen wird dort keinen<br />
Wert gelegt, sondern lediglich auf den eigenen<br />
Profit.<br />
Da ein privates Unternehmen stets gezwungen<br />
ist, auf seine Wirtschaftlichkeit zu achten, war es<br />
unausweichlich, die Preise weiterzugeben. Insgesamt<br />
sind in der Schulkantine 7 Mitarbeiter auf<br />
400 Euro Basis beschäftigt. Diese sind auf ihren<br />
Lohn angewiesen und stehen somit ebenfalls<br />
unter großem Druck. Doch Herr Schatz bleibt<br />
12<br />
I n t e r n a<br />
Hintergründe und Fakten zur Preisgestaltung der Kantine<br />
engagiert: »Wir bemühen uns das Konzept der<br />
Schule umzusetzen« lautet seine Devise.<br />
Auch die Beschwerden, das breite Angebot sei zu<br />
ungesund, sind zwar verständlich, aber mindestens<br />
genauso unbedarft. Mehr als ein Drittel<br />
des Umsatzes der Schulkantine stammt aus dem<br />
Verkauf von Süßigkeiten. Verringerte man das<br />
Angebot an Süßigkeiten, würden sich die Schüler<br />
diese im nahe gelegenen Supermarkt kaufen und<br />
die Kantine somit in ernsthafte finanzielle<br />
Schwierigkeiten bringen. Beim Tagesessen ist es<br />
Mehr als ein Drittel des Umsatzes<br />
der Schulkantine stammt aus<br />
dem Verkauf von Süßigkeiten<br />
nicht anders: Die Nachfrage an dem Mittagsessen<br />
sinkt laut Herr Schatz merklich, wenn<br />
beispielsweise Fisch angeboten wird. Auch hier<br />
kann sich das „Bistrino“ keine Umsatzeinbrüche<br />
erlauben. Bei der Anzahl der Tagesessen besteht<br />
erst Recht kein finanzieller Spielraum. Da es<br />
einen bedeutenden finanziellen Verlust darstellt,<br />
wenn etwa 25 Tagesessen übrig bleiben, ist eine<br />
Vorbestellung (und Bezahlung) unerlässlich.<br />
Dass seit dem 3. März ein zweites, kleineres<br />
Tagesessen für 2 € zu haben ist, scheint dabei ein<br />
unbefriedigender Kompromiss, zumal damit<br />
lediglich dem Konsum der ungesünderen Essen<br />
wie Pommes oder Leberkäsewecken, die es ebenfalls<br />
ohne Vorbestellung gibt, entgegengewirkt<br />
werden soll.<br />
Ebenso bedeuten diese Marktzwänge nicht zuletzt<br />
einen enormen Schwund an gesellschaftlicher<br />
Mitbestimmung und damit auch Verlust<br />
demokratischer Partizipation.<br />
Wieso liefern wir also eine solch wichtige<br />
öffentliche Einrichtung wie die Schulkantine<br />
(und damit teilweise uns selbst) der Willkür des<br />
Marktes aus?<br />
Die Losung der letzten Jahre hieß in so gut wie
allen Bereichen<br />
der öffentlichen<br />
D a s e i n s v o r -<br />
sorge: »Weniger<br />
ist mehr«.<br />
Gemeint war<br />
damit der Staat,<br />
der als Hindernis<br />
auf dem<br />
Weg zu „mehr<br />
Freiheit und<br />
Markt“, wie es<br />
die neoliberalen<br />
„ V o r d e n k e r “<br />
gerne form<br />
u l i e r e n ,<br />
verspottet und<br />
a b g e l e h n t<br />
wurde. Tatsächlich<br />
wurden die<br />
Aufgaben des<br />
Staates stetig<br />
verringert und<br />
seine „Einmischung“<br />
in die<br />
W i r t s c h a f t<br />
r e d u z i e r t .<br />
V e r k e h r s b e -<br />
triebe, Energieve<br />
r s o r g u n g ,<br />
Gesundheitsversorgung,<br />
all dies<br />
wurde komplett<br />
oder zu mindest<br />
teilweise privatisiert.<br />
Die<br />
Aufgaben des Staates zur öffentlichen<br />
Daseinsvorsorge wurden und werden immer<br />
weiter vermindert. Die Blätter am Baum des<br />
Staates werden entfernt ohne dabei zu<br />
bedenken, dass man ohne die Blätter im Regen<br />
steht. Das Ergebnis der Hetze gegen den Staat<br />
kann man nun anhand seines Geldbeutels erkennen.<br />
Freier wurde niemand, ärmer dagegen<br />
viele.<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
Der politische<br />
Wunsch nach<br />
einer Ganztagsschule<br />
besteht in<br />
fast jeder großen<br />
Partei. Doch einher<br />
mit dieser<br />
Forderung geht<br />
auch das Versorgungsproblem<br />
der Schüler.<br />
Für viele Eltern,<br />
vor allem<br />
solchen mit<br />
mehr als zwei<br />
Schulkindern,<br />
ist es schon jetzt<br />
schwierig 3,50 €<br />
je Mittagessen<br />
zu finanzieren.<br />
Begünstigungen<br />
für Hartz IV<br />
Empfänger sind<br />
nur ein Tropfen<br />
auf den heißen<br />
Stein, da die<br />
Anzahl der Geri<br />
n g v e r d i e n e r<br />
innerhalb der<br />
letzten 10 Jahre<br />
von 15 auf 22%<br />
gestiegen ist<br />
und die Tendenz<br />
steigend<br />
b l e i b t . E i n e<br />
Lösung kann in<br />
der Bezuschussung des Mittagessens liegen. Die<br />
Forderung liegt momentan bei einer Aufteilung<br />
der Kosten in drei Teile. Ein Teil sollen die Eltern<br />
übernehmen, einen weiteren der Schulträger<br />
und den letzten das Land. Eine weitere Antwort<br />
bestünde in der kompletten Verstaatlichung der<br />
Essensversorgung und den damit einhergehenden<br />
Sicherheiten für die Schüler.<br />
Doch für diese Lösungen wäre ein<br />
Regierungswechsel von Nöten, denn von der<br />
Regierung Oettinger ist eine Lösung des Problems<br />
zugunsten der Menschen wohl nicht zu<br />
erwarten.<br />
Neuerungen im Bistro sind derzeit keine Seltenheit und werden<br />
meistens öffentlich angekündigt, hier in Form eines Plakats.<br />
Für viele Eltern ist es schon jetzt<br />
schwierig 3,50 € je Mittagessen<br />
zu finanzieren.<br />
von MMaaxxiimmiilliiaann VVoorraasstt<br />
13
»Unser Ziel haben wir erreicht«<br />
Nachdem das Schulradio am 30.01.09 zum<br />
ersten Mal auf Sendung ging sprach<br />
DIREKT mit Andrea Wielath, Man-<br />
dann sind die Boxen halb kaputt d.h wir müssen<br />
wieder ein Anfrage stellen um Geld für neue<br />
Boxen zu bekommen. Am Ende steht das Einagerin<br />
und Organisatorin des Projekts.<br />
holen endloser Genehmigungen.<br />
direkt: Wie steht die Schulleitung zu dem Pro-<br />
direkt: Zu Deiner Person. Welche Aufgabe oder jekt?<br />
welche Funktion nimmst du im Projekt Schulra- Wielath: Sehr positiv. Herr Siebert steht uns sehr<br />
dio ein?<br />
aufgeschlossen gegenüber und unterstützt uns<br />
Wielath: Im Moment bin ich sozusagen die Man- auch. Er fand es gut, hat uns bei unserer ersten<br />
agerin und Organisatorin. Ich habe das Projekt Sendung auch zugesehen. Wir haben eigentlich<br />
nicht gegründet, das waren Elena Dietenberger alle Genehmigungen bekommen und auch auf<br />
und Tobias Hans. Ich habe Anfang 2008 angefan- der Gesamtkonferenz wurde das Projekt<br />
gen und habe mich mehr und mehr in vollem begrüßt.<br />
Maße engagieren<br />
direkt: Wie waren die Reaktionen bei den<br />
direkt: Wie lang existiert das Projekt Schulradio Lehrern auf die ersten Sendung?<br />
schon?<br />
Wielath: Sehr gut. Fast alle Lehrer haben positiv<br />
Wielath: Das Projekt existiert, denke ich, schon darauf reagiert und das Projekt gelobt.<br />
seit März/April 2007. Der Tobias und die Elena direkt: In welcher Beziehung steht das Projekt<br />
haben sich viel informiert, waren auf Seminaren zur Corporate Identity AG?<br />
und besuchten andere Schulen. Das Problem ist, Wielath: Das Schulradio ist ein Rahmenprojekt<br />
dass das Projekt nicht so einfach an einer Schule der Corporate Identity AG. Es sind mehrere Pro-<br />
umgesetzt werden kann, da viel zu beachten ist jekte in der AG dabei, z.B der T-Shirt Verkauf.<br />
und es sich ziemlich in die Länge gezogen hat. Ein wesentlicher Aspekt war das Finanzielle. Für<br />
direkt: Wie sieht es momentan mit der Anzahl der ein solches Projekt braucht man Geld für Materi-<br />
Teilnehmer aus?<br />
alien, Stand usw.<br />
Andrea: Jetzt sind es relativ viele. Etwa 12 Leute direkt: Wie erfolgreich war die erste, noch etwas<br />
aus der 9. Klasse und nochmal 8 aus der 8. holprige Sendung?<br />
Klasse. Früher gab es da Probleme, dann hat der Wielath: Die Reaktionen bei den Schülern waren<br />
Herr Glajcar mit einer 9. Klasse einen podcastig durchweg sehr gut, wir müssen jedoch vom<br />
Workshop gemacht und vielen gefiel es, sodass Technischen her schauen, dass die redak-<br />
einige dann beim Schulradio mitgemacht haben. tionellen Beiträge richtig herüber kommen. Das<br />
direkt: Welche Lehrer betreuen das Projekt? hat noch nicht ganz so funktioniert, wie wir uns<br />
Wielath: Im Moment nur Herr Glajcar, der auch das vorgestellt haben. Sonst waren alle recht pos-<br />
die Coporate Identity AG leitet.<br />
itiv überrascht. Unser Ziel, eine abwechslungsre-<br />
direkt: Welche Herausforderungen gibt es bei iche Pause zu bieten, haben wir erreicht.<br />
einem solchen Projekt?<br />
direkt: Gibt es schon einen Termin für die nächste<br />
Wielath: Es ist unbeschreiblich. Erstens fehlen Sendung?<br />
die Leute, dann fehlt das Know How, dann kom- Wielath: Die nächste Sendung wird nach den<br />
men noch technische Probleme dazu und die Osterferien gesendet werden.<br />
ganze Schule ist skepisch bzw. glaubt nicht an<br />
das Gelingen des Projekts. Eins der größten<br />
Probleme ist die Schulanlage. Sie ist fast nie ver-<br />
direkt: Vielen Dank für das Interview.<br />
fügbar, dann fehlen Dinge, dann laufen sie nicht,<br />
Das Gespräch führte MMaaxxiimmiilliiaann VVoorraasstt<br />
14<br />
I n t e r n a<br />
Andrea Wielath über Schulradio und Herausforderungen
G l o b a l<br />
Zwei Tage nach seinem Amtsantritt machte<br />
Barack Obama sein Wahlkampfversprechen<br />
wahr und erließ per Dekret die<br />
Schließung des legendären Gefangenlagers<br />
Guantanamo innerhalb des Jahres <strong>2009</strong>. Grund<br />
genug auf die Bedeutung des wohl bekanntesten<br />
Gefangenlagers der Welt einen Blick zu werfen.<br />
Denn Guntananmo war mehr als nur ein<br />
Internierungslager für Gefangene im »Krieg<br />
gegen den Terrorismus«. Es war Symbol der Ära<br />
Bush. Symbol des Unrechts, dass während dieser<br />
Zeit vielen Menschen zuteil wurde. Nun soll es<br />
geschlossen werden.<br />
Gegründet kurz nach der US-Invasion in<br />
Afghanistan im Jahr 2002, musste das Gefangenenlager,<br />
gelegen auf dem Militärstützpunkt<br />
Guantanamo Bay in Kuba, schon ca. 3 Monate<br />
später durch ein größeres ersetzt werden. Das<br />
Lager diente als Sammelbecken für die meist arabisch<br />
stämmigen »Terrorverdächtigen«, welche<br />
von amerikanischen Truppen festgenommen<br />
oder von ihren Verbündeten ausgeliefert worden<br />
waren. Guantanamo bot, fernab des amerikanischen<br />
Rechtsbereiches, die perfekte Kulisse für<br />
ein Geheimgefängnis. Denn bezeichnenderweise<br />
wurden die Gefangen von Anfang nicht als<br />
Kriegsgefangene deklariert, was ihnen einige<br />
Rechte zugesprochen hätte, sondern als sogenannte,<br />
ungesetzliche Kombattanten, die gegen<br />
Kriegsrecht verstoßen haben. Damit war der<br />
Weg frei, die Gefangenen so zu behandeln, wie<br />
es für die US-amerikanischen Interessen am<br />
zuträglichsten war. Psychische Folter wie<br />
Schlafentzug oder lange Isolationshaft bei gleichzeitiger<br />
Abschottung aller Sinneswahrnehmungen<br />
stand genauso auf der Tagesordnung,<br />
wie aggressives Bedrohen und<br />
Erniedrigung bis hin zu körperlichen Foltermethoden,<br />
wie dem Vortäuschen von Ertrinken,<br />
dem sogenannten Waterboarding. Ende 2002<br />
fasste das Lager die meisten Häftlinge in seiner<br />
Geschichte. Insgesamt über 1000 Personen wurden<br />
während dieser Zeit interniert.<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
Ende des Terrors?<br />
Obama macht Schluss mit Guantanamo<br />
Immer wieder wurde von Seiten vieler Menschenrechtsorganisationen<br />
auf die Missstände<br />
aufmerksam gemacht. Selbst als die<br />
UN–Menschenrechtskomission Anfang 2006 und<br />
der Europarat Anfang 2007 die Schließung des<br />
Lagers forderten, wollte Bush auf sein »wirksames<br />
Mittel im Kampf gegen den Terrorismus«<br />
nicht verzichten und führte das Lager auch<br />
gegen innenpolitische Widerstände weiter. So<br />
gut wie alle Insassen wurden während ihrer Haft<br />
weder angeklagt, geschweige denn verurteilt.<br />
Zum Zeitpunkt des Dekrets zur Schließung des<br />
Lagers befanden sich noch 245 Gefangenen in<br />
Haft.<br />
Die Entscheidung Barack Obamas Guantanamo<br />
zu schließen war nicht überraschend. In der<br />
Opposition brachten die Demokraten immer<br />
wieder Anträge zur Abstimmung, das Lager zu<br />
schließen, scheiterten jedoch stets an der republikanischen<br />
Mehrheit. Selbst als Anfang 2008 ein<br />
Antrag bezüglich eines Verbotes von Waterboarding<br />
mit einer Mehrheit im Kongress verabschiedet<br />
wurde, legte Expräsident Bush sein<br />
Veto ein.<br />
Guantanamo selbst war ein zentralesWahlkampfthema,<br />
welches<br />
Obama geschickt für seine<br />
Kampagne einsetzte.<br />
Guantanamo selbst war ein zentrales<br />
Wahlkampfthema, welches Obama geschickt für<br />
seine Kampagne einsetzte. Die Bedeutung Guantanamos<br />
überstieg indes weit die eines unrechtmäßigen<br />
Gefangenenlagers, in dem einige hundert<br />
Menschen interniert sind. Es zeichnet wie<br />
kaum ein anderes Exempel die Politik und<br />
Denkweise der Regierung Bush nach.<br />
Immer wenn es darum ging, das abstrakte<br />
Unrecht, das die Bush–administration so vielen,<br />
15
Menschenrechte? Fehlanzeige. Szene aus dem Alltag im Folterlager Guantanamo.<br />
jedoch nicht greifenbaren Menschen antat, konnte<br />
man mit hilfe Guantanamos die Situation<br />
konkretisieren. Den ideologischen Dogmatismus<br />
der neokonservativen Regierung ließ sich am<br />
besten daran festmachen, dass sich Bush<br />
weigerte, trotz des immensen außen- und innenpolitische<br />
Drucks das Lager nicht zu schließen.<br />
Nicht nur der Fundamentalismus erhielt so eine<br />
handfeste Form, sondern auch die zutiefst menschenverachtende<br />
Praxis und Skrupelllosigkeit<br />
der Außenpolitik. Das Schicksal der Gefangenen<br />
ist gleichzusetzen mit dem Schicksal der abermillionen<br />
Menschen im Nahen Osten und auf der<br />
ganzen Welt. Unter einem Vorwand (in diesem<br />
Fall des Terrorismus) wurden diese<br />
Unschuldigen überfallen, ihrer Heimat beraubt<br />
und entrechtet. All das zeigte Guantanamo und<br />
war so von großer Bedeutung für die Kritiker<br />
Bushs. Folglich, würde die Schließung Guantanamos<br />
auch ein Symbol der Veränderung, des<br />
»Changes« sein und eine veränderte amerikanische<br />
Außenpolitik einläuten. So oder so ähnlich<br />
stellte sich Obama die Wirkung auf die<br />
Bevölkerung vor. Nicht umsonst wählte der<br />
neue Präsident die medienwirksame Stillegung<br />
des Lagers per Dekret als seine erste Amtshandlung.<br />
Ob die Schließung Guantanamos lediglich<br />
16<br />
eine Geste der Veränderung und wirklich der<br />
Beginn des propagierten Neuanfangs ist wird<br />
sich erst dann herausstellen, wenn sich eine klare<br />
außenpolischen Linie der Obama – Regierung<br />
herauskristallisiert.<br />
Nur aufgrund der Beseitigung der Symbole einer<br />
bestimmten Politik bedeutet das noch nicht, dass<br />
die Politik, auf die es eigentlich ankommt, geändert<br />
wird. Zumal die Schließung Guantanamos<br />
für die Gefangenen noch lange nicht die Freiheit<br />
bedeutet, geschweige denn die Aussicht auf<br />
einen fairen Prozess. Stärkeres militärisches<br />
Engagement am Hindukusch und anderen<br />
»strategisch wichtigen« Orten im »Krieg gegen<br />
den Terrorismus« wird auch unter Obama auf<br />
der Tagesordnung stehen.<br />
Es muss sich also noch herausstellen, ob der<br />
Beschluss Guantanamo zu schließen, nur eine<br />
symbolische Tat war und sich die Außenpolitik<br />
kaum ändern wird, oder ob es tatsächlich der<br />
Anfang einer neuen Ära ist. Guantanamo wird<br />
selbst jedoch für immer als Zeichen des Unrechts<br />
der Bush-Regierung in den Köpfen der Menschen<br />
verbleiben.<br />
von MMaaxxiimmiilliiaann VVoorraasstt
C u l t u s<br />
Nicht wenige werden sich derzeit die<br />
Frage stellen: »Was tun gegen die<br />
Finanzkrise?« Der Thriller von Tom<br />
Tykwer, welcher am 12. Februar in den<br />
deutschen Kinos anlief, brachte eine Antwort:<br />
Selbstjustiz. Doch wie kommt’s dazu? Der Interpol<br />
Agent (Clive Owen alias Louis Salinger) und<br />
die US-amerikanische Staatsanwältin (Naomi<br />
Watts alias Eleanor Whitman) folgen der Spur<br />
des Verbrechens, die zu einer der mächtigsten<br />
Banken der Welt führt: Die »International Bank<br />
of Business and Credit«, kurz IBBC. Durch<br />
mehrere Morde entdecken Salinger und Whitman<br />
im Laufe der Handlung immer weiter die<br />
verbrecherischen Tätigkeiten jener Bank, die von<br />
Geldwäsche über Waffenhandel bis hin zur Kontrolle<br />
der 3. Welt mittels Schulden reichen.<br />
Dabei werden die Ermittler stets von ihren eigenen<br />
Behörden ausgebremst, es entsteht ganz klar<br />
der Eindruck: Wirkliche Ermittlungen sollen verhindert<br />
werden, die Grenzen des engen Systems<br />
des Finanzmarktkapitalismus werden angetastet.<br />
So nimmt der eigensinnige Salinger selbst die<br />
Fährte auf und dringt dabei immer tiefer in die<br />
Gefilde der internationalen Herrschaft des Kapitals<br />
vor: Korruption ist dabei nur das geringste<br />
Übel.In der zweiten Hälfte des bis dahin eher<br />
harmlos gehaltenen Films, nimmt die Zahl der<br />
flachen Actionszenen rapide zu, die Spannung<br />
steigt weiter und die Jäger werden immer mehr<br />
selbst zu den Gejagten. Die Aufmerksamkeit des<br />
deutschen Zuschauers dürfte dabei erheblich<br />
steigen, als plötzlich herauskommt, dass einer<br />
der Berater der Bank ehemals Oberst des Ministeriums<br />
für Staatssicherheit in der DDR war.<br />
Dieser bremst in einem packenden Dialog<br />
Salingers naiven Idealismus von der<br />
»Gerechtigkeit« und entgegnet ihm seine abgeklärte<br />
Sicht der Welt: Dieses System kann nicht<br />
durch die Beseitigung einer einzigen Bank<br />
gebrochen werden, Gerechtigkeit kann in einem<br />
solchen System niemals erblühen, da das<br />
gesamte globale Kapital eng miteinander und<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
The International<br />
Mit der Knarre durch die Krise<br />
auch mit der Politik verbunden ist, so dass innerhalb<br />
des Systems der Handlungsspielraum stets<br />
begrenzt bleibt. Der ehemalige Oberst hat sich<br />
damit abgefunden und in diesem Gebilde alles<br />
seinem persönlichem Wohlergehen untergeordnet.<br />
Doch Salinger lässt sich von dieser Wahrheit<br />
nicht irritieren, er führt seine Ermittlungen weiter,<br />
stets in der Hoffnung doch noch die große<br />
Gerechtigkeit zu erlangen. Als er schließlich am<br />
Ende seines Zieles angelangt schien und in Istanbul<br />
den Hauptdrahtzieher der IBBC fassen kann,<br />
entgegnet dieser ihm: »Wenn Sie mich jetzt<br />
töten, läuft alles so weiter wie bisher. Nach mir<br />
werden 100 weitere Banker folgen.«Hier wird<br />
zum zweiten Mal im Film deutlich: Das Problem<br />
sind nicht einzelne Banker, nicht einzelne<br />
»Nach mir werden 100 weitere<br />
Banker folgen.«<br />
Banken, sondern das System selbst. Zwar wird<br />
die herrschende Ordnung nicht so radikal in<br />
Frage gestellt, wie es in diesen Zeiten eigentlich<br />
notwendig wäre, doch zeigt das Ende des Films<br />
eine knallharte, weil realistische Einschätzung:<br />
Die Bank bekommt einen neuen Vorstand und<br />
kann ihre menschenverachtenden Geschäfte<br />
fortsetzen. Was bedeutet das also? Mit gelebter<br />
Selbstjustiz à la Silvester Stallone ist dieses Problem<br />
(Namentlich: Der Kapitalismus) nicht zu<br />
lösen. Hier bedarf es schon einer grundlegenden,<br />
politischen und ökonomischen Neuausrichtung.<br />
Der Film setzt sich dabei authentisch mit dieser<br />
Realität auseinander und wirkt stets glaubwürdig.<br />
Der Feindbildwechsel vom KGB zur<br />
Bank tut dem Genre dabei sicher gut und verleiht<br />
dem Film eine, wenn auch unaufdringliche,<br />
politische Brisanz.<br />
von MMaarrcceell KKuunnzzmmaannnn<br />
17
»Bushido zeigt’s allen«<br />
Der kurze Weg in den Mainstream<br />
Bushido« ist der schlichte Titel der Autobiografie<br />
des Anis Ferchichi, einer der meist<br />
umstrittensten Mainstreamrapper der<br />
BRD. Nicht nur unter den meist jungen Fans<br />
wurde seine Biografie sehnlichst erwartet, sondern<br />
ebenso von deren Eltern, für die es ein<br />
unerschlossenes Territorium war und ist,<br />
weshalb ihre Kinder so vernarrt in das<br />
Phänomen (wie er sich selbstgefällig einstuft)<br />
Bushido, sind.<br />
Die im Herbst 2008 erschienene Biografie war ein<br />
kommerzieller Erfolg, führte trotz des liter-<br />
Die Familie seiner Fans verliert<br />
an Einfluss während Bushido an<br />
Einfluss gewinnt<br />
arischen Anspruchs eines Comicheftes wochenlang<br />
die Bestsellerlisten an und soll nun Gelegenheit<br />
geben, sich etwas genauer mit Bushido<br />
auseinander zu setzen. Die Erwartungen waren<br />
nicht minder umfangreich als der Profit, den er<br />
erzielte. Fragen zu Bushidos Charakter, Erlebnissen<br />
und Erfahrungen, eben all solchen Aspekte,<br />
die seine Wertevorstellung prägten, wurden<br />
schon im Vorfeld kontrovers diskutiert. Und das<br />
nicht nur in den üblichen Boulevardblättern,<br />
sondern auch unter den »Politikwissenschaftlern<br />
und Sozialpädagogen, die keine Ahnung haben<br />
wie die Welt funktioniert«, wie es Bushido in<br />
seiner Biografie oft genug erwähnt. Anlass zu<br />
dieser Diskussion, die schichtenübergreifend<br />
und deutschlandweit geführte wurde (und auch<br />
in Österreich Anklang fand, als Bushido 2005 in<br />
Linz verhaftet wurde) war eine »beängstigende«<br />
Mischung aus Bushidos Einfluss auf die Jugend,<br />
seinen Wertevorstellungen und seinem<br />
Lebensstil.<br />
Mit Worten wie »beängstigend« oder<br />
»gefährlich« wird man Bushido selbst zwar nur<br />
schmeicheln können, sie beschreiben jedoch gut<br />
18<br />
C u l t u s<br />
die Eindrücke der betroffenen Eltern.<br />
Obwohl diese Befürchtungen nicht komplett<br />
grundlos erscheinen, sollte man nicht zuletzt<br />
auch aufgrund der einseitigen Berichterstattung<br />
seitens der Medien, versuchen, Bushidos Einfluss<br />
und Intention differenziert und unvoreingenommen<br />
zu betrachten, eben genau so, wie es Bushido<br />
meist nicht tut und deshalb nicht fähig ist,<br />
bestimmte Sachverhalte zu verstehen.<br />
Nicht nur die subversiven Elemente der »Bewegung«,<br />
die sich um Bushido formiert hat, und ihr<br />
Wertesystem sollen Gegenstand der Betrachtung<br />
sein, sondern auch die ethischen Fragen, deren<br />
Betrachtung sich Bushido bisher verweigert hat.<br />
Bushidos Anhängerschaft zeigt alle charakteristischen<br />
Merkmale einer gewöhnlichen Massenbewegung.<br />
Die hier auftretenden Merkmale sind schon häufiger<br />
in der Geschichte der Jugendkultur aufgetaucht.<br />
Mit Bushido steht eine zentrale Autorität<br />
im Mittelpunkt. Sie gibt den Ton bzw. die Richtung<br />
an und besitzt den größten Einfluss auf<br />
seine Anhänger.<br />
Diese wissen um das Ziel der Bewegung und die<br />
Bedeutung der zentralen Autorität meist wenig,<br />
sind für selbige jedoch in umfangreichem Maße<br />
empfänglich. So ist das Auflehnen gegen das<br />
Establishment ein genauso wichtiger Faktor wie<br />
der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe und<br />
die klare Abgrenzung von Freund und Feind. Es<br />
liegt auf der Hand, dass das Auflehnen der meist<br />
jüngeren Fans gegen das Establishment einher<br />
geht mit der Emanzipation von den Eltern. Die<br />
Familie verliert an Einfluss, während Bushido an<br />
Einfluss gewinnt. Diesen Umstand fördernd<br />
kommen noch Charakteristika wie das eigene<br />
Aufwerten mit Hilfe des Abwertens anderer und<br />
das Gefühl des Verstandenwerdens hinzu. Viele<br />
halten Bushido aufgrund der Identifikationsfläche,<br />
welche er bietet, für den Anwalt ihrer persönlichen<br />
Sache. Wie subversiv eine solche<br />
Bewegung ist, hängt von den Wertvorstellungen<br />
ab, die sie vertritt, und den moralischen Grund-
Könnte ruhig öfter mal die Klappe halten:<br />
»Bushido«, pseudo-cooler »Gangsta-Rapper.«<br />
sätzen des Kleinbürgertums.<br />
In einer Gesellschaft, in der Werte wie die<br />
Emanzipation der Frau und (wenn auch repressiver)<br />
Toleranz etabliert werden, besitzen Werte,<br />
die Toleranz ablehnen wenigstens ein Mindestmaß<br />
an Subversivität.<br />
Bushidos Wertevorstellungen sind frauenfeindlich,<br />
sexistisch, gewalt- und drogenverherrlichend<br />
und wirken oftmals hetzerisch gegen<br />
Homosexuelle. Zum Teil lässt sich sogar eine<br />
Ablehnung solcher Werte feststellen, die für eine<br />
aufgeklärte Gesellschaft von existenzieller<br />
Bedeutung sind.<br />
Den Ursprung dieser doch sehr befremdlichen<br />
Einstellungen beschreibt Bushido in seiner<br />
Biografie ausführlichst: Sein offenes Verhältnis<br />
Die Erwartungen waren nicht<br />
minder umfangreich<br />
als der Profit den er erzielte.<br />
zur Gewalt sowie der Umgang mit Drogen wurden<br />
ihm praktisch in die Wiege gelegt, sein<br />
Rachefeldzug gegen das weibliche Geschlecht<br />
basiert auf einer traumatischen Beziehung und<br />
das Umfeld der Großstadt tat sein übriges. Der<br />
einzige Wert, welcher Bushido konstant Vertritt<br />
ist die Verantwortung der Familie gegenüber.<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
Doch auch hier zeigt Bushido beeindruckendes<br />
Talent, seine eigenen individuellen Erfahrungen<br />
auf die Allgemeinheit zu beziehen, auch wenn<br />
ein völliger Wechsel des Kontextes vonstatten<br />
geht. So verachtet er beispielsweise Natascha<br />
Er ist nicht an der Verbesserung<br />
der allgemeinen sozialen Lage<br />
interessiert, sondern lediglich an<br />
der Verbesserung seiner persönlichen<br />
Situation.<br />
Kampusch dafür, dass sie nach ihrer Gefangenschaft<br />
ihre Eltern nicht sehen wollte. Es ist zwar<br />
wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen in<br />
solchen Situationen Gefahr laufen durch eine<br />
emotionale Überbelastung Schaden zu nehmen,<br />
aber das interessiert den »super-krassen Sex-<br />
Gangster«, wie er sich selbst nennt, offensichtlich<br />
weniger.<br />
Er setzt persönliche Erfahrungen und die daraus<br />
geschlossenen Verallgemeinerungen über wissenschaftliche<br />
Fakten.<br />
Es ist für Bushido ebenfalls kaum möglich, einen<br />
Standpunkt konsequent zu vertreten. So ruft er<br />
zwar dazu auf, sich gegen jede Regel<br />
aufzulehnen, sobald er jedoch derjenige ist, der<br />
die Gesetzmäßigkeiten festlegt heißt es: »Halte<br />
dich an die Regeln und dir wird es immer gut<br />
gehen. Das ist meine Devise«.<br />
Es mag zwar sein, dass er sich mit Hilfe seiner<br />
Songs ein Ventil schafft und persönliche<br />
Erfahrungen verarbeiten kann, jedoch wirkt das<br />
Ergebnis, auf weniger »erfahrene« Menschen<br />
absonderlich und verstörend. Jugendliche, die<br />
sich lediglich mit einigen von Bushidos Grundaussagen<br />
identifizieren können, laufen Gefahr<br />
andere Aussagen ebenfalls für sich anzunehmen,<br />
um in das Ideal zu passen. Dass es dabei einige<br />
Diskrepanzen zwischen deren Erfahrungswelt<br />
und Bushidos geben kann, wird von dem Rapper<br />
in Kauf genommen.<br />
Ein weiteres, oberflächlich betrachtet, ebenfalls<br />
subversives Element, scheint die Sozialkritik zu<br />
sein. Bushido kritisiert, so argumentieren vor<br />
allem eher Außenstehende, die sozialen Verhältnisse<br />
in den Großstädten der BRD.<br />
Er setze sich für die Belange der Verlierer der<br />
Gesellschaft ein. Diese Argumentation wird häu-<br />
19
fig verwendet, wenn es darum geht, Bushido zu<br />
verteidigen. Er selbst sieht sich hingegen in keiner<br />
dieser Rollen. Das harte Leben im Ghetto der<br />
Großstadt ist für ihn vielmehr Lebensschule<br />
anstatt eines politischen Problems, das es zu<br />
lösen gilt. Eine prägende Zeit, die sich positiv auf<br />
sein Leben ausgewirkt habe, ist sein Urteil.<br />
Wieder pauschalisiert er eigene Erfahrungen.<br />
Anhand dieser Haltung erkennt man sein ausgeprägt<br />
egozentrisches Weltbild. Er ist nicht an<br />
der Verbesserung der allgemeinen sozialen Lage<br />
interessiert, sondern lediglich an der<br />
Verbesserung seiner persönlichen Situation.<br />
Spätestens seit der Gründung der Girlband<br />
»Bisou« (es ist keine Überraschung, dass Bushido<br />
diesen wirtschaftlichen Fehlgriff in seiner<br />
Biografie verschwieg, die ihn nach der Devise<br />
»alles was ich anfasse wird zu Gold« zu einem<br />
Gewinnertyp verherrlicht) ist es wohl überflüssig<br />
zu erwähnen, dass Bushidos Hauptanliegen an<br />
seinem Unternehmen das Geld ist.<br />
Somit zeigt sich ein angeblicher Verächter unserer<br />
Gesellschaft in einem anderen Licht. Denn es<br />
drängt sich unweigerlich die Frage auf, wie subversiv<br />
ein Egoist im Kapitalismus überhaupt sein<br />
kann. Abgedroschene Phrasen wie »du kannst<br />
alles erreichen, wenn du dich nur genügend<br />
anstrengst« wirken auch eher beschönigend auf<br />
das vermeintlich verhasste System.<br />
Gesellschaftliche Phänomene wie Bushido oder<br />
der »Gangstarap« sind also nicht mehr als ein<br />
Produkt der Kulturindustrie und zeigen ihre<br />
gesellschaftliche Notwendigkeit darin, dass sie es<br />
schaffen, Werte des Kapitalismus besser bzw.<br />
einprägsamer zu vermitteln.<br />
Während sich konservative Medien noch über<br />
irrelevante, sekundäre Belanglosigkeiten wie<br />
frauenfeindliche oder gewaltverherrlichende<br />
Texte entrüsten und die Verrohung der<br />
Gesellschaft vorhersehen, erkennen sie nicht,<br />
dass Bushidos Denkweise weit bürgerlicher ist<br />
als ihre eigene und er im Grunde nicht mehr ist,<br />
als eine Errungenschaft des von ihnen<br />
favorisierten Gesellschaftssystems.<br />
20<br />
von MMaaxxiimmiilliiaann VVoorraasstt<br />
Info: Bushidos Karriere<br />
Anis Mohamed Youssef Ferchichi alias<br />
Bushido, geboren am 28. September 1978 in<br />
Bonn, beendete seine Schullaufbahn nach dem<br />
Abschluss der 11. Klasse. Nachdem er sich<br />
schon früh für Hip Hop interessierte veröffentlichte<br />
er 2000 zusammen mit »King Orgasmus<br />
One« sein erstes Tape. Kurz darauf wurde er<br />
von »Aggro Berlin« unter Vertrag genommen<br />
und veröffentlichte 2002 das für den »Ganstarap«<br />
wegweisende Album »Carlo Coxxx Nutten«.<br />
Im Sommer 20<strong>04</strong> verließ Bushido sein<br />
Label Aggro Berlin und wechselte zu Universal<br />
Music. Nachdem er in Zusammenarbeit mit<br />
einigen Freunden sein Label »ersguterjunge«<br />
gegründet hatte, folgte Ende 2005 sein Album<br />
»Staatsfeind Nr.1«. Kurz nach Gewinn seines<br />
ersten Echos 2006 erschien sein bisher erfolgreichstes<br />
Album »Von der Skyline zum Bordstein<br />
zurück«, das sich bisher über 200.000 mal<br />
verkaufte und Platin Status erlangte. 2007<br />
wechselte Bushido erneut das Label und unterschrieb<br />
nun bei Sony BMG. Zuletzt verbuchte<br />
Bushido Anfang 2008 seinen insgesamt vierten<br />
Echo. Seine Autobiografie erschien im September<br />
2008. Sein Name leitet sich von einem<br />
alten, gleichnamigen Ehrenkodex der japanischen<br />
Samurai ab.<br />
Brand: Tut mal so, als ob ihr<br />
mich ernst nehmen würdet. Los!<br />
Schüler: Sie können Französisch?<br />
Hutter: Ja natürlich, was hast du<br />
denn gedacht?<br />
Schüler: Wusste ich nicht.<br />
Hutter: Ja früher waren die Lehrer<br />
noch gebildet!<br />
Kauderer: Mallig... wie Mollig,<br />
nur mit »a«. Denkt einfach an<br />
mich.
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Spuren der Steine<br />
Zeugnisse einer vergessenen Kultur<br />
Seit wenigen Wochen erst prangt an der<br />
Stirnseite unserer Schulbücherei in leuchtend<br />
roten Lettern der Schriftzug »Bibliothek«.<br />
Dieses Schild, welches nachts und frühmorgens<br />
den Bereich des Osteingangs so klar<br />
und deutlich begrenzt, vermittelt eine gewisse<br />
Nostalgik. Es erinnert an Zeiten, in denen<br />
Schilder noch so sein mussten: Klar und deutlich,<br />
leuchtend, rot.<br />
Es symbolisiert die Erinnerung an eine längst<br />
vergangene Zeit, die Zeit des »Kino Kosmos« in<br />
der Berliner Karl-Marx-Allee oder des kleineren<br />
»Kino Sojous« in Marzahn, welches in diesen<br />
Tagen geschlossen, heruntergekommen und<br />
geheimnisvoll mit seinem, heute nicht mehr<br />
leuchtenden, aber immer noch roten Schriftzug<br />
für eine längst vergessene Kultur steht. Eine Kultur,<br />
hinter dem »Eisernen Vorhang«, die vielen<br />
Westdeutschen und uns Nachgeborenen oftmals<br />
verschlossen blieb. Eine Kultur, die sich zu<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts in Russland, und<br />
seit 1945 auch in vielen anderen Staaten des<br />
Warschauer Vertrages zu entwickeln begann<br />
und die 1989, mit der Selbstauflösung des sozialistischen<br />
Lagers ebenso schnell wieder verschwand,<br />
wie sie sich einst entwickelte. Im Folgenden<br />
wollen wir uns vor allem der Literatur<br />
widmen:<br />
Kinoplakat zur Verfilmung von »Aelita«, 1924<br />
22<br />
C u l t u s<br />
Dabei wäre es wohl gerade auf dem Gebiet der<br />
Literatur eines der verhängnisvollsten<br />
Fehlurteile, jedes Kulturgut, welches in dieser<br />
Zeit und dort entstand, als »von oben« aufoktroyierte<br />
Staatspropaganda zu diffamieren.<br />
Vielmehr hat sich neben solcher auch eine große<br />
Zahl an Kulturschaffenden zusammengefunden,<br />
die in ihren Schriften den werktätigen Mensch in<br />
den Vordergrund stellten. Gemeint ist hierbei die<br />
in den RGW-Staaten vorherrschende kulturelle<br />
»Die Mutter« von Maxim Gorki<br />
wurde wie viele andere Werke<br />
jener Art zur Weltliteratur<br />
Strömung des »sozialistischen Realismus.«<br />
Trotz - oder gerade wegen dieser Eigenartigkeit<br />
ihres kulturellen Wirkens, wurden die meisten<br />
dieser Werke heute aus der Schulliteratur (man<br />
betrachte nur einmal die Umstrukturierung der<br />
Lehrpläne in den neuen Bundesländern 1990)<br />
und dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt.<br />
Nur wenige der Bücher sind auch heute noch<br />
bekannt oder wurden gar zur Weltliteratur, wie<br />
beispielsweise der 1906 erschienene Roman »Die<br />
Mutter« von Maxim Gorki, welcher auch gleichzeitig<br />
als erster Vertreter dieser Kunstrichtung<br />
gilt.Doch fangen wir einmal von vorne an: Eine<br />
der ersten Geschichten des jungen Sowjetrussland<br />
ist wohl Alexei Tolstoi’s Triologie »Der Leidensweg«,<br />
welche am Beispiel einer Intellektuellenfamilie<br />
den russischen Alltag vor- und nach<br />
der Oktoberrevolution zu schildern versucht.<br />
1922 folgte mit »Aelita« der erste bekanntere<br />
sowjetische Science-Fiction Roman, welcher mit<br />
großem internationalen Erfolg bereits 1924 verfilmt<br />
wurde. 1932 folgte mit Nikolai Ostrowskis<br />
»Wie der Stahl gehärtet wurde« eine autobiographische<br />
Erzählung über den jungen Pawel,<br />
welcher auf der Seite der Roten Armee im russischen<br />
Bürgerkrieg kämpft. In den 30er und 40er
Jahren erschienen in der Sowjetunion eine Reihe<br />
sogenannter Produktionsromane, welche über<br />
die Fortschritte in der Industrialisierung und der<br />
Kollektivierung der Landwirtschaft berichteten.<br />
Der für seinen Bestseller »Der stille Don« bekannte<br />
Michail Scholochow, schrieb in dieser Zeit<br />
auch den weniger prominenten Zweiteiler »Neuland<br />
unterm Pflug«, welcher von seinen<br />
Erfahrungen beim Besuch einer Kolchose<br />
berichtet. Während des Zweiten Weltkriegs kam<br />
die Kultur naturgemäß in eine Phase der Stagnation.<br />
Die Geschichte der Produktionsromane war<br />
vorüber, an ihre Stelle trat eine neue, authentische<br />
Literatur. Der Schriftsteller Alexander<br />
Tschakowski versuchte in seinem dreibändigen<br />
Roman »Der Sieg« die Verhandlungen der Potsdamer<br />
Konferenz aus Sicht eines sowjetischen<br />
Reporters zu erzählen. Mit der Aufarbeitung des<br />
Zweiten Weltkriegs befasst sich auch Leonid<br />
Leonow, der für sein Erstlingswerk »Der russische<br />
Wald« 1957 den Leninpreis erhielt. Dort<br />
Schildert Leonow ein Familiendrama, welches<br />
sich im Moskau des Jahres 1941, zu Beginn des<br />
deutschen Überfalls auf die Sowjetunion<br />
abspielte. Seit 1949 war diese Literaturgattung<br />
mit der Herausbildung des sozialistischen Weltsystems<br />
jedoch nicht mehr allein auf russische<br />
Autoren beschränkt: 1960 bis 1963 versuchte sich<br />
der DDR-Autor Dieter Noll mit seinem Zweiteiler<br />
»Die Abenteuer des Werner Holt« an einer<br />
Aufarbeitung des Faschismus in Deutschland.<br />
Mit Erfolg: Sein Roman wurde einige Jahre<br />
darauf verfilmt und war später auch Schullektüre<br />
in der DDR. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte<br />
Anna Seghers, die mit ihrem, bereits 1942<br />
veröffentlichten Roman »Das siebte Kreuz« die<br />
Flucht von sieben Häftlingen aus einem Konzentrationslager<br />
schildert. Mit »Spur der Steine«<br />
Schuf der Schriftsteller Erik Neutsch dann 1964<br />
eine authentische Erzählung des sozialistischen<br />
Alltags in der DDR. Kurz zuvor begründete<br />
Joachim Wohlgemuth mit »Egon und das achte<br />
DIREKT <strong>04</strong>/<strong>2009</strong><br />
Weltwunder« bereits 1962 die Grundlagen des<br />
Jugendromans in der DDR.<br />
Fortsetzung fand dieser Stil im Theater, als 1972<br />
Ulrich Plenzdorfs sozialkritisches Theaterstück<br />
»Die neuen Leiden des jungen W.« in Halle seine<br />
Erstaufführung fand. Nahezu legendär wurde<br />
Hermann Kants 1965 veröffentlichter Roman<br />
»Die Aula«, welcher in unserer Bilbiothek nach<br />
wie vor als Klassensatz verfügbar ist und die<br />
Geschichte der Arbeiter- und Bauernfakultäten<br />
in der DDR nachzeichnet.Doch auch in der Sowjetunion<br />
blieb man nicht untätig: Die 1958 von<br />
Tschingis Aitmatow verfasste Novelle »Dshamilja«<br />
ist nach Ansicht des französischen Dichters<br />
Louis Aragon »die schönste Liebesgeschichte der<br />
Welt.«Auch die Werke von Konstantin Simonow<br />
fanden erhebliche Anerkennung. Besonders hervorzuheben<br />
sind hier die Romane: »Die Lebenden<br />
und die Toten« (1959), »Man wird nicht als<br />
Soldat geboren« (1964) sowie »Der letzte Sommer«<br />
(1972).<br />
Nach dieser (unvollständigen) Aufzählung<br />
einiger der bedeutendsten Werke der sozialistischen<br />
Literatur stellt sich natürlich die Frage: Was<br />
nun? In unserer Bibliothek ist davon lediglich ein<br />
kleiner Bruchteil verfügbar, was leider die Verdrängung<br />
dieser Kultur (beispielsweise aus dem<br />
Schulsystem in den neuen Bundesländern)<br />
zementiert. Allerdings sind fast alle der genannten<br />
Romane (dem Dietz- und Aufbau-Verlag sei<br />
Dank) gebraucht zu sehr günstigen Preisen bei<br />
eBay erhältlich. So stehen dem interessierten<br />
Leser auch heute noch die Tore offen, einzutauchen<br />
in eine neue Welt der Literatur, die ihm<br />
bis zum heutigen Tage vielleicht vollends<br />
unbekannt blieb. Lohnen tut es sich allemal,<br />
denn es wartet ein geballter literarischer Schatz<br />
auf ihn, der nur noch entdeckt werden will.<br />
von MMaarrcceell KKuunnzzmmaannnn<br />
23
We will rock you<br />
Mainstream mal anders<br />
Wie das mit Stufenfahrten so ist, einigt<br />
man sich irgendwie auf etwas mit<br />
dem alle bedient sind, findet also<br />
einen klassenübergreifenden Konsens, und letzten<br />
Endes gibt es dann oft ein mehr oder<br />
weniger hochwertiges Kulturprogramm zu<br />
genießen. Bei der diesjährigen Stufenfahrt der<br />
Zehnten Klassenstufe fiel die Entscheidung<br />
jedoch auf das Musical »We will rock you«,<br />
welches seit November 2008 im Apollo-Theater<br />
in Stuttgart aufgeführt wird.<br />
Allein von der Entfernung und den Kosten<br />
betrachtet war diese Wahl wohl nicht die naheliegendste,<br />
doch gibt uns dies die Gelegenheit,<br />
ein bekanntes Musical etwas näher zu beleuchten.<br />
Wer kennt nicht jenes Lied, eine Hymne auf den<br />
Rock, welches doch selbst fast ohne Instrumente<br />
auskommt. Die Rede ist natürlich von Queen’s<br />
legendärem Hit »We will rock you«, der<br />
Namensgeber für das im Mai 2002 uraufgeführte<br />
Musical. Erst 20<strong>04</strong> kam das von Brian May und<br />
Roger Taylor produzierte Musical in die BRD.<br />
Und erst seit 2008 ist es auch für uns Provinzbewohner<br />
mit Stuttgart als Aufführungsort,<br />
einigermaßen erreichbar.<br />
Nun, worum geht es in besagtem Stück?<br />
Eigentlich hat der Inhalt dieser Musikveranstaltung<br />
rein gar nichts mit der Bandgeschichte von<br />
Queen zu tun, höchstens im Entferntesten.<br />
Statt dessen wird der Besucher mit einer kreativen<br />
und einfallsreichen, stellenweise überraschend<br />
gesellschaftskritischen Story unterhalten:<br />
In irgendeiner Zukunft, lange nachdem die<br />
Rockmusik im Jahre 2<strong>04</strong>0 verboten wurde, wird<br />
die Erde (welche inzwischen den einfallsreichen<br />
Titel »Planet e.bay« trägt) von einem Konzern<br />
regiert, der als totalitär agierender Staat, die<br />
gesamte Bevölkerung versklavt hat und die<br />
Jugend mit uninspirierter Mainstreammusik und<br />
Markengläubigkeit indoktriniert.<br />
Nur der Außenseiter »Galileo« und die Rebellin<br />
24<br />
C u l t u s<br />
»Scaramouche« treten in dieser gleichgeschalteten<br />
Gesellschaft als stellenweise überzogenindividuelle<br />
Befreiungskämpfer auf. Im Laufe<br />
der Handlung verlieben sich die Protagonisten,<br />
streiten sich, versöhnen sich, und befreien letzten<br />
Endes noch die Erde von der Herrschaft des<br />
»Gaga-Konzerns« (repräsentiert durch die Diktatorin<br />
»Killer-Queen« und ihren obersten Polizeichef<br />
»Kashoggi«).<br />
Dabei wirken die das ganze Stück begleitenden<br />
und hier aus Jugendschutzgründen nicht zitierbaren,<br />
zweideutigen Kommentare von »Scaramouche«<br />
manchmal etwas aufdringlich, sind<br />
aber stets erheiternd und gut platziert.<br />
Das Stück ist in zwei Akte unterteilt, die eine 20-<br />
Erst im Jahr 20<strong>04</strong> kam das von<br />
Brian May und Roger Taylor<br />
produzierte Musical in die BRD<br />
minütige Pause trennt. Während der erste Akt<br />
die Repressionen, die Ängste und Zwänge der<br />
beiden Rebellen darstellt, wird im Laufe der Zeit<br />
ihre Organisierung in einer Untergrundbewegung<br />
und der beginnende Widerstand immer<br />
wichtiger. Die Handlung bekommt im Laufe des<br />
Zweiten Aktes dabei einen immer klarer herausstechenden<br />
roten Faden, welcher dem Stück<br />
recht gut tut.<br />
Die lockeren Dialogzeilen gehen dabei stets in<br />
ein passendes Stück von Queen über, welches<br />
dann meist mit Licht- und Raucheffekten atemberaubend<br />
in Szene gesetzt wird. Beachtlich ist<br />
dabei auch die Gesangsleistung der Schauspieler,<br />
welche an Professionalität nichts zu wünschen<br />
übrig lässt.<br />
Doch inwiefern lässt dieses Stück nun etwas hintergründiges<br />
und kritisches durchblicken? An<br />
und für sich würde die Story einiges an<br />
Gesellschaftskritik hergeben, dabei werden<br />
jedoch nur wenige Momente dafür wirklich aus-
Anzeige
karikatur<br />
genutzt. Den Einzigen, aber beeindruckenden<br />
Höhepunkt der Politisierung ist dabei der Ausfruf<br />
von Scaramouche nach ihrer Verhaftung:<br />
»Ihr Imperialistenschweine!«<br />
Allgemein lässt sich das Stück vor allem auch als<br />
eine Satire auf die Hegemonie der Mainstreammusik<br />
sowie die Gefahren eines autoritären<br />
Monopolkapitalismus interpretieren, was im<br />
Laufe der Handlung klar heraussticht. Dabei<br />
entkräftet sich die Story leider teilweise selbst, ist<br />
doch der scheinbar einzige Zweck des Gaga-<br />
Konzerns, die Rockmusik zu vernichten (»Obi«<br />
geht hier ja mit gutem Beispiel voran).<br />
Doch gerade hier kommt der ursprüngliche,<br />
befreiende Charakter der Rockmusik zutage, der<br />
allerdings von »Queen« schon nicht mehr in dem<br />
Maße getragen wurde wie noch von z.B. »The<br />
Who.«<br />
Allerdings, und das muss klar sein, war es<br />
niemals die Intention der Produzenten, ein kritisches<br />
Musical zu produzieren, welches die<br />
Leute zum Nachdenken bringen könnte. »We<br />
will rock you« ist leicht verdaulich. Das muss es<br />
auch, sonst wäre es nie zu einem solchen internationalen<br />
Erfolg gekommen. Doch fernab von<br />
einer tiefgreifenden Analyse, war die phänomenale<br />
Inszenierung der Grund, welcher den<br />
Funken überspringen ließ. Denn selbst ein<br />
bekennender Queen-Hasser, wie der Verfasser<br />
26<br />
»Oh Herr, vergib ihm, denn er weiß nicht was er tut«<br />
dieses Artikels, kam bei dieser Veranstaltung voll<br />
auf seine Kosten.<br />
Gänzlich ohne philosophischen Anspruch, ist<br />
»We will rock you« trotzdem ein Musical jener<br />
Kategorie, die man, frei nach Ferguson, als<br />
»Megageil« bezeichnen kann.<br />
Die nächste direkt erscheint<br />
voraussichtlich<br />
Juli <strong>2009</strong><br />
von MMaarrcceell KKuunnzzmmaannnn<br />
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