Rechtsextremismus
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Verfassungsschutzbericht 2007<br />
Thüringer Innenministerium<br />
Verfassungsschutzbericht 2007
Verfassungsschutzbericht<br />
Freistaat Thüringen<br />
2007
Juni 2008<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber: Thüringer Innenministerium<br />
Steigerstraße 24<br />
99096 Erfurt<br />
Telefon: (03 61) 37-9 00<br />
Der Verfassungsschutzbericht 2007<br />
ist im Internet abrufbar unter:<br />
www.verfassungsschutz.thueringen.de
Vorwort<br />
Auch im Jahr 2007 hat es im Freistaat Thüringen verschiedenste Bestrebungen<br />
aus dem gesamten Spektrum des politischen Extremismus<br />
gegeben, die auf die Untergrabung der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung abzielten. Der Beobachtung des <strong>Rechtsextremismus</strong><br />
kam in Thüringen besonderes Gewicht zu. Innerhalb des Linksextremismus<br />
rückte die Beobachtung der Autonomen und sonstigen<br />
gewaltbereiten Linksextremisten in den Vordergrund. Bei der Aufklärung<br />
islamistischer Personenzusammenschlüsse wirkte das Landesamt<br />
für Verfassungsschutz an bundesweiten Projekten mit.<br />
Der Thüringer Landesverband der „Nationaldemokratischen Partei<br />
Deutschlands“ (NPD) war im Berichtszeitraum vorrangig bemüht,<br />
die öffentliche Wahrnehmung der Partei zu erhöhen. In Vorbereitung<br />
auf die Kommunal- und Landtagswahlen 2009 organisierte<br />
der Verband eine über zwei Monate laufende Mitgliederkampagne,<br />
in deren Ergebnis er einen Zuwachs auf ca. 550 Parteianhänger<br />
vermeldete. Mit der Gründung scheinbar seriöser Vereine und den<br />
Versuchen, sich stärker kommunalpolitisch in Szene zu setzen, war<br />
die Partei bestrebt, ihren Einflussradius weiter auszudehnen. Dass<br />
dies entgegen den parteieigenen Erfolgsmeldungen längst nicht in<br />
ausreichendem Maße gelungen ist, offenbarte der NPD-Landesparteitag<br />
im Dezember. Dennoch – die Thüringer NPD intensivierte<br />
ihre Vernetzung mit der Neonaziszene, deren Führungskräfte die<br />
Partei entweder unterstützen oder ihr zwischenzeitlich beigetreten<br />
sind. Gemeinsam wurden erste Bemühungen unternommen, die<br />
bereits 2005 getroffene Vereinbarung mit der „Deutschen Volksunion“<br />
(DVU), wonach diese 2009 in Thüringen zur Landtagswahl<br />
antreten wird, zu Gunsten der NPD aufzuheben.<br />
Auch diverse öffentliche Veranstaltungen wurden in enger Kooperation<br />
mit dem Neonazispektrum abgewickelt. Mit Kundgebungen<br />
wie „Rock für Deutschland“ oder dem „Fest der Völker“ hielt<br />
die NPD an der Strategie fest, politische Agitation mit rechtsextremistischer<br />
Musik zu verbinden. Beide Veranstaltungen fanden<br />
überregionale Resonanz. Allein zum „Fest der Völker“ reisten ca.<br />
1.400 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen<br />
Ausland an.<br />
Vorwort<br />
3
4<br />
Vorwort<br />
Durch intensive Zusammenarbeit der Thüringer Sicherheitsbehörden<br />
gelang es, die Zahl rechtsextremistischer Konzerte im Berichtszeitraum<br />
weiter einzudämmen. Sechs von insgesamt acht Konzerten<br />
konnten aufgelöst, zwei weitere bereits im Vorfeld verhindert<br />
werden.<br />
Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der linksextremistischen Szene<br />
wurden in Thüringen von autonomen Gruppierungen dominiert,<br />
obwohl diese – entgegen dem bundesweiten Trend – Anhänger<br />
verloren haben. Einzelne Aktionen, die nach entsprechender<br />
Mobilisierung zahlreiche Unterstützer aus anderen Bundesländern<br />
anzogen, waren von gewalttätigen Ausschreitungen geprägt. So<br />
setzten sich am 1. Mai ca. 500 gewaltbereite Linksextremisten aus<br />
einem Demonstrationszug gegen eine NPD-Kundgebung ab und<br />
suchten die direkte Konfrontation sowohl mit rechtsextremistischen<br />
Demonstranten als auch der Polizei. Von verschiedenen linksextremistischen<br />
Gruppierungen war zur Teilnahme an den Protesten<br />
gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm aufgerufen worden. Im<br />
Berichtszeitraum war zudem eine vermehrte Beteiligung autonomer<br />
Gruppierungen an gegen rechtsextremistische Bestrebungen<br />
gerichteten Protestaktionen nichtextremistischer Bündnisse zu beobachten.<br />
Der Antifaschismus blieb auch 2007 das wichtigste Aktionsfeld<br />
der Autonomen, die in diesem Zusammenhang behaupten,<br />
auch die Zivilgesellschaft müsse, da von einem rechten Konsens<br />
geprägt, bekämpft werden.<br />
Marxistisch-leninistische Parteien und Organisationen verfügen in<br />
Thüringen nach wie vor über ein sehr begrenztes Mitgliederpotenzial.<br />
Folglich vermochten sie es auch in 2007 kaum, in der Öffentlichkeit<br />
wahrgenommen zu werden.<br />
Die Aufklärung islamistischer Netzwerke stellt eine unvermindert<br />
große Herausforderung für alle Sicherheitsbehörden dar. Um eine<br />
Optimierung des gegenseitigen Informationsaustausches herbeizuführen,<br />
wurde im Berichtsjahr die „Antiterrordatei“ (ATD) in Betrieb<br />
genommen. Diese ist der zum 1. April eingerichteten „Thüringer<br />
Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und Verfassungsschutz“<br />
(TIAZ) angebunden. Wenngleich der Freistaat derzeit nicht<br />
zu den Regionen Deutschlands zählt, in denen sich islamistische<br />
Personenzusammenschlüsse vorrangig bilden, wirkte das Landesamt<br />
an bundesweiten Abklärungsmaßnahmen durch Verfolgung
von Einzelhinweisen mit. Weniger als ein Prozent der in Thüringen<br />
ansässigen Ausländer neigen islamistischen oder sonstigen ausländerextremistischen<br />
Gruppen und Organisationen zu. Die umfangreichste<br />
Anhängerschaft zählt weiterhin der seit Jahren strukturell<br />
in Thüringen verankerte KONGRA GEL.<br />
Darüber hinaus widmete sich das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />
den Beobachtungsfeldern Organisierte Kriminalität,<br />
Spionageabwehr und der Scientology Organisation.<br />
Die Angriffe auf die freiheitliche demokratische Grundordnung sind<br />
vielfältig und erfordern ein wirkungsvolles Gegensteuern durch<br />
staatliche Institutionen. Den Verfassungsschutzbehörden kommt<br />
als „Frühwarnsystem“ besondere Verantwortung bei der Absicherung<br />
der konstitutiven Elemente des demokratischen Rechtsstaats<br />
zu. Der vorliegende Bericht soll über verfassungsfeindliche Bestrebungen<br />
im Freistaat informieren und zugleich als Appell an die<br />
gesamte Gesellschaft verstanden werden, sich für die hohen Güter<br />
Demokratie und Freiheit gemeinschaftlich zu engagieren.<br />
Manfred Scherer<br />
Thüringer Innenminister<br />
Erfurt, Juni 2008<br />
Vorwort<br />
5
6<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
I. Einige Informationen<br />
zum Verfassungsschutz<br />
1. Verfassungsschutz – Instrument streitbarer Demokratie 11<br />
2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) 12<br />
3. Verfassungsschutz durch Aufklärung 15<br />
II. <strong>Rechtsextremismus</strong><br />
1. Überblick 17<br />
1.1 Das rechtsextremistische Potenzial<br />
in der Bundesrepublik Deutschland 17<br />
1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen 18<br />
2. Ideologischer Hintergrund 20<br />
3. Rechtsextremistische Parteien 22<br />
3.1 „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) 22<br />
3.1.1 Der Bundesverband der NPD 23<br />
3.1.1.1 Entwicklung der Partei 23<br />
3.1.1.2 Ideologie der Partei 25<br />
3.1.1.3 Strategie der Partei 26<br />
3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD 30<br />
3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands 30<br />
3.1.2.2 Kreisverbände 31<br />
3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung 32<br />
3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD<br />
zu anderen Rechtsextremisten 33<br />
3.1.2.5 „Mitgliederkampagne 2007“ 35<br />
3.1.2.6 Landesparteitag 37<br />
3.1.2.7 Internet/Publikationen 39<br />
3.1.2.8 Der Landesverband intensiviert seine Arbeit 40<br />
3.1.2.9 Veranstaltungen des Landesverbands 46<br />
3.1.3 „Junge Nationaldemokraten“ (JN) 50<br />
3.1.3.1 Der Bundesverband der JN 50<br />
3.1.3.2 Der Thüringer Landesverband der JN 52
3.2 „Deutsche Volksunion“ (DVU) 53<br />
3.2.1 Der Bundesverband der DVU 53<br />
3.2.2 Der Thüringer Landesverband der DVU 55<br />
3.3 „Deutsche Partei“ (DP) 56<br />
3.3.1 Der Bundesverband der DP 56<br />
3.3.2 Der Thüringer Landesverband der DP 57<br />
4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus) 58<br />
4.1 Ideologischer Hintergrund 58<br />
4.2 Organisationsformen der Neonaziszene im<br />
Allgemeinen 59<br />
4.3 Zusammenarbeit mit der NPD 62<br />
4.4 Personenpotenzial und Gruppierungen der<br />
Neonaziszene in Thüringen 63<br />
4.4.1 Kameradschaften 63<br />
4.4.2 Sonstige Personenzusammenschlüsse 69<br />
4.5 Exkurs: Vereinsaktivitäten von Thüringer<br />
Rechtsextremisten 72<br />
4.6 Gewaltpotential der Neonaziszene 75<br />
4.7 Aktivitäten und Agitationsschwerpunkte der<br />
Neonaziszene 76<br />
4.8 Exkurs: Von Rechtsextremisten herausgegebene<br />
Regionalzeitungen in Thüringen 77<br />
4.9 Exkurs: Nutzung des Internets durch<br />
Rechtsextremisten 80<br />
5. Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite<br />
Rechtsextremisten 83<br />
5.1 Entstehung und Ideologie der Skinheadsubkultur 84<br />
5.2 Strukturen der Skinheadszene 86<br />
5.3 Kontakte zu anderen rechtsextremistischen<br />
Gruppierungen 88<br />
5.4 Wirkung und Facetten rechtsextremistischer Musik in<br />
Thüringen 90<br />
5.5 Die rechtsextremistische Musikszene in Thüringen 92<br />
5.6 Organisation und Ablauf rechtsextremistischer<br />
Konzerte im Allgemeinen 95<br />
5.7 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen 96<br />
5.8 Rechtsextremistische Produktions- und<br />
Vertriebsstrukturen 101<br />
5.9 Rechtsextremistische Fanzines 102<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
7
8<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
6. Sonstige Gruppierungen 103<br />
6.1 „Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-<br />
Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.“<br />
(Artgemeinschaft) 104<br />
6.2 „Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) –<br />
der Bismarck Deutsche“ 105<br />
6.3 „Collegium Humanum e.V.“ (CH) 105<br />
6.4 „Deutsches Kolleg“ (DK) 106<br />
6.5 „Exilregierung Deutsches Reich“ 106<br />
7. Politische motivierte Kriminalität – Rechts –<br />
im Überblick 107<br />
III. Linksextremismus<br />
1. Überblick 109<br />
2. Ideologischer Hintergrund 111<br />
3. Autonome 112<br />
3.1 Allgemeines 112<br />
3.2 Die autonome Szene in Thüringen 116<br />
3.3 Thüringer Autonome und ihr<br />
Antifaschismusverständnis 118<br />
3.4 Bundesweite Aktionen mit Unterstützung oder unter<br />
Beteiligung Thüringer autonomer Gruppen 124<br />
3.5. Exkurs: Beteiligung von Linksextremisten an<br />
Protestaktionen gegen den G8-Gipfel vom<br />
6. bis 8. Juni in Heiligendamm<br />
(Mecklenburg-Vorpommern) 126<br />
4. Anarchisten 129<br />
4.1 „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion“ (FAU)<br />
mit Anbindung an die „Internationale Arbeiter<br />
Assoziation“ (IAA) 130<br />
4.2 Exkurs: Beispiel anarchistischer Selbstverwaltung<br />
oder Weiterführung kapitalistischer Konkurrenz? –<br />
Unterschiedliche Bewertung eines „Thüringer<br />
Experiments“ durch Links-extremisten 131
5. Marxistisch-leninistische Parteien und sonstige<br />
Organisationen 132<br />
5.1 „Kommunistische Plattform“ (KPF) der Partei<br />
„DIE LINKE.“ 132<br />
5.2 „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) 135<br />
5.3 „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD) 139<br />
5.4 Thüringer Kommunisten in Aktionseinheit 141<br />
5.5 „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“<br />
(MLPD) 142<br />
5.6 „Rote Hilfe e.V.“ (RH) 145<br />
6. Politisch motivierte Kriminalität – Links –<br />
im Überblick 146<br />
IV. Ausländerextremismus<br />
1. Überblick 148<br />
2. Islamismus 151<br />
2.1 Islamismus in Thüringen 154<br />
3. „Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA GEL) 156<br />
3.1 Strategiewechsel, Umbenennung, allgemeine Lage 157<br />
3.2 Themenschwerpunkte 158<br />
3.3 Organisatorische Situation 159<br />
3.4 Finanzierung 160<br />
3.5 Propagandamittel und Veranstaltungen 160<br />
3.6 Der KONGRA GEL in Thüringen 161<br />
V. Scientology Organisation (SO)<br />
1. Gesetzliche Grundlagen für die Beobachtung 164<br />
2. Organisationsstruktur 165<br />
3. SO in Thüringen 166<br />
VI. Ereigniskalender Extremistischer<br />
Bestrebungen in Thüringen 167<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
9
10<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
VII. Organisierte Kriminalität (OK)<br />
1. Aufgaben des Verfassungsschutzes 174<br />
2. Beobachtungsschwerpunkte 175<br />
3. Fazit 178<br />
VIII. Spionageabwehr<br />
1. Überblick 179<br />
2. Proliferation 180<br />
3. Wirtschaftsspionage 182<br />
4. Ausblick 185<br />
5. Frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen<br />
der Aufklärungs- und Abwehrdienste der<br />
ehemaligen DDR 185<br />
IX. Geheimschutz<br />
1. Allgemeines 186<br />
2. Personeller Geheimschutz 186<br />
3. Materieller Geheimschutz 188<br />
4. Sonstige Überprüfungen 189<br />
Anhang<br />
Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) 190<br />
Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) 206
I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz<br />
1. Verfassungsschutz –<br />
Instrument der streitbaren Demokratie<br />
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung<br />
des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen<br />
und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nicht zuletzt aufgrund<br />
der Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung ist es die Aufgabe<br />
der Gesellschaft, denjenigen Kräften entgegenzuwirken, die die<br />
freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Das<br />
Grundgesetz legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen<br />
demokratischen Rechtsstaats fest, es trifft auch Vorkehrungen<br />
zu seinem Schutz.<br />
Die streitbare Demokratie beschreitet – notwendigerweise – einen<br />
schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich<br />
Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien,<br />
die den demokratischen Staat beseitigen wollen, stehen die<br />
Freiheitsrechte – wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung,<br />
Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht<br />
– zu.<br />
Jedoch liefert sich die streitbare Demokratie den Bestrebungen von<br />
politischen Extremisten nicht tatenlos aus. So ist beispielsweise nach<br />
den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes das Verbot verfassungswidriger<br />
Parteien und Vereine oder nach Artikel 18 die Aberkennung<br />
von Grundrechten möglich. Außerdem verfügt unser Rechtsstaat über<br />
effektive Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, als „Frühwarnsystem“<br />
politischen Extremisten entgegenzuwirken und die konstitutiven<br />
Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung<br />
abzusichern. Ein wesentliches Element der streitbaren Demokratie<br />
stellen die 17 Verfassungsschutzbehörden dar, die der Bund und die<br />
Länder unterhalten. Im Freistaat Thüringen ist die Verfassungsschutzbehörde<br />
als Landesoberbehörde 1991 errichtet worden.<br />
Die Verfassungsschutzbehörden gehen vor allem der Frage nach,<br />
aus welchen Parteien, Gruppierungen und Personen sich das ex-<br />
Informationen<br />
11
12<br />
Informationen<br />
tremistische Spektrum zusammensetzt und welche Ziele es verfolgt.<br />
Ebenso klären sie Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste<br />
auf. In einigen Bundesländern, darunter Thüringen,<br />
beobachtet der Verfassungsschutz Bestrebungen der Organisierten<br />
Kriminalität (OK). Die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden<br />
sollen es den zuständigen Stellen ermöglichen, rechtzeitig die<br />
erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche<br />
demokratische Grundordnung sowie solcher Gefahren zu<br />
treffen, die von Aktivitäten der OK ausgehen.<br />
Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen der Kontrolle insbesondere<br />
durch die Innenminister, durch die von den Parlamenten<br />
eingesetzten Kontrollgremien, durch die Gerichte, durch die<br />
Bundes- bzw. Landesbeauftragten für Datenschutz sowie durch<br />
die Medien. Sie besitzen keine Zwangsbefugnisse, die vorrangig<br />
in die Zuständigkeit der Polizeibehörden fallen. Sie unterscheiden<br />
sich grundlegend sowohl von der „Geheimen Staatspolizei“<br />
(Gestapo) der Nationalsozialisten als auch vom Ministerium für<br />
Staatssicherheit der DDR (MfS). Jene waren darauf ausgerichtet,<br />
totalitäre Staaten abzusichern und abzuschirmen, wohingegen der<br />
Verfassungsschutz die freiheitliche demokratische Grundordnung<br />
schützt. Darüber hinaus besaß das MfS keinerlei rechtsstaatliche<br />
gesetzliche Grundlage und unterlag dementsprechend auch keiner<br />
rechtsstaatlichen Kontrolle. Verstand sich die Staatssicherheit als<br />
„Schild und Schwert der SED“, dienen die Verfassungsschutzbehörden<br />
keiner Partei, sondern sind dem Mehrparteiensystem verpflichtet.<br />
2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />
(TLfV)<br />
Aufbau und Organisation des TLfV<br />
Das TLfV verfügte im Haushaltsjahr 2007 über 98 Stellen und Planstellen.<br />
Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch<br />
Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 5.342.400 € zugewiesen. Das<br />
Amt ist wie folgt strukturiert:
Abteilung 1<br />
Zentrale<br />
Dienste<br />
Abteilung 2<br />
Auswertung<br />
Die Fachaufsicht über das Landesamt führt das Thüringer Innenministerium,<br />
Referat „Verfassungsschutz, Geheimschutz“.<br />
Abteilung „Zentrale Dienste“<br />
Präsident<br />
Abteilung 3<br />
Beschaffung<br />
Abteilung 4<br />
Spionageabwehr,<br />
Geheimschutz,<br />
Organisierte<br />
Kriminalitt<br />
Die Abteilung „Zentrale Dienste“ ist für den inneren Dienstbetrieb<br />
und für fachübergreifende Aufgaben des Amtes zuständig.<br />
Sie umfasst die Bereiche Grundsatz- und Rechtsfragen, Verfahren<br />
der Post- und Telekommunikationsüberwachung (G10), Personal,<br />
Haushalt, Innerer Dienst, EDV sowie Registratur, Öffentlichkeitsarbeit<br />
und Berichtswesen. Von den nach außen wirksamen Aktivitäten<br />
dieser Abteilung sind die Organisation und Durchführung von<br />
Vorträgen, die Beantwortung von Bürgeranfragen und die Herausgabe<br />
periodischer Berichte hervorzuheben. Im Jahre 2007 hielten<br />
Mitarbeiter des TLfV über 30 Vorträge, die die verschiedenen Beobachtungsbereiche<br />
des Verfassungsschutzes betrafen. Sie richteten<br />
sich vorrangig an Multiplikatoren aus Politik, politischer Bildung,<br />
Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch an Lehrer und Schüler, in<br />
der Jugend- und Sozialarbeit Tätige sowie an die Vertreter unterschiedlichster<br />
Thüringer Verbände und gesellschaftlicher Interessengruppen.<br />
Außerdem wirkte das TLfV – wie in den Jahren zuvor<br />
– auch beratend und unterstützend an verschiedenen kommunalen<br />
Präventionsprojekten mit.<br />
Seine periodische Berichterstattung versteht das TLfV als Serviceangebot<br />
gegenüber der Öffentlichkeit und den Fachbehörden, insbesondere<br />
solchen, die Aufgaben der öffentlichen Sicherheit und<br />
Ordnung wahrnehmen.<br />
Informationen<br />
13
14<br />
Informationen<br />
Abteilung „Auswertung“<br />
Die Abteilung „Auswertung“ erhält von der Abteilung „Beschaffung“<br />
Informationen zu den Aufgabenfeldern Links-, Rechts- und<br />
Ausländerextremismus. Sie lenkt diesen Informationsfluss, führt<br />
die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen<br />
Informationsquellen, zusammen und wertet sie aus.<br />
Abteilung „Beschaffung“<br />
Die Abteilung „Beschaffung“ hat die Aufgabe, durch Ermittlungen<br />
und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln (z. B. Observationen,<br />
Führen von sog. Vertrauensleuten) die für die Erfüllung des<br />
gesetzlichen Auftrags erforderlichen Informationen zu beschaffen.<br />
Abteilung „Spionageabwehr, Geheimschutz, Organisierte<br />
Kriminalität“<br />
Dieser Abteilung obliegt es, die unerlaubte Tätigkeit fremder und<br />
ehemaliger, aber fortwirkender Nachrichtendienste im Freistaat<br />
aufzuklären. Darüber hinaus hat sie die Aufgabe, Informationen<br />
über Bestrebungen der Organisierten Kriminalität in Thüringen zu<br />
sammeln und auszuwerten.<br />
Im Bereich des personellen und materiellen Geheimschutzes werden<br />
Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung<br />
von Geheimnisträgern und Personen, die in sicherheitsempfindlichen<br />
Bereichen tätig sind, unterstützt. Sie werden beraten, wie<br />
Verschlusssachen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen<br />
geschützt werden können.<br />
„Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und<br />
Verfassungsschutz“ (TIAZ)<br />
Am 1. April hat die TIAZ, eine Projektorganisation des Thüringer<br />
Landeskriminalamts (TLKA) und des Thüringer Landesamts für<br />
Verfassungsschutz, die Arbeit aufgenommen. Ihre Aufgabe ist es,<br />
Informationen von Polizei und Verfassungsschutz zu politisch mo-
tivierter Kriminalität in den Phänomenbereichen „Rechts“, „Links“<br />
und „Ausländer“ sowie den Erscheinungsformen des internationalen<br />
Terrorismus zu bündeln und einer gemeinsamen Analyse zuzuführen.<br />
Die TIAZ übernimmt darüber hinaus die Aufgaben des<br />
Freistaats Thüringen im Wirkbetrieb der „Antiterrordatei“ (ATD).<br />
Kontakt:<br />
Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />
Postfach 450 121<br />
99051 Erfurt<br />
Telefon: (03 61) 44 06-0<br />
Telefax: (03 61) 44 06-251<br />
Internet: www.verfassungsschutz.thueringen.de<br />
E-Mail: kontakt@tlfv.thueringen.de<br />
Thüringer Innenministerium<br />
Referat 26<br />
Steigerstraße 24<br />
99096 Erfurt<br />
Telefon: (03 61) 37-93 900<br />
Telefax: (03 61) 37-93 111<br />
3. Verfassungsschutz durch Aufklärung<br />
Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann nicht allein<br />
von staatlichen Behörden geschützt werden. Die Feinde unseres<br />
Rechtsstaats, die unser politisches System durch autoritäre oder<br />
totalitäre Regimes ersetzen wollen, können nur dann mit Erfolg<br />
bekämpft werden, wenn diese Aufgabe als gesamtgesellschaftliche<br />
Verpflichtung begriffen wird. Es ist die gesamte Zivilgesellschaft, es<br />
sind alle Bürgerinnen und Bürger gefordert, sich mit den Feinden<br />
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geistig und politisch<br />
auseinanderzusetzen.<br />
Die Bedeutung der politischen Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen<br />
Bestrebungen erfordert eine umfangreiche Aufklärung<br />
über die Gefahren, die durch den politischen Extremismus<br />
drohen. Information und Aufklärung sind für den Bürger erfor-<br />
Informationen<br />
15
16<br />
Informationen<br />
derlich, um die wahren Absichten extremistischer Bestrebungen<br />
durchschauen zu können. Daher nehmen präventiv ausgerichtete<br />
Aktivitäten der Verfassungsschutzbehörden, mit denen zur Aufklärung<br />
der Bevölkerung über Erscheinungsformen und Hintergründe<br />
des politischen Extremismus beigetragen werden soll, im Rahmen<br />
der Öffentlichkeitsarbeit einen breiten Raum ein.<br />
Es liegt im Interesse eines jeden Einzelnen, dass diejenigen, die<br />
politische Verantwortung tragen, durch die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes<br />
rechtzeitig in die Lage versetzt werden, verfassungsfeindliche<br />
Bestrebungen abzuwehren und zu bekämpfen.<br />
Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden stellt sicher, dass Regierungen<br />
und Parlamente, aber auch die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche<br />
Organisationen und Bestrebungen informiert<br />
werden. Im Freistaat Thüringen wird die Öffentlichkeitsarbeit im<br />
Bereich des Verfassungsschutzes sowohl vom Thüringer Innenministerium<br />
als auch vom TLfV wahrgenommen.<br />
Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Innenministeriums und<br />
des TLfV ist die Information der Bürgerinnen und Bürger durch den<br />
jährlichen Verfassungsschutzbericht.<br />
Der Verfassungsschutzbericht wird an Behörden, Institutionen,<br />
Schulen und interessierte Bürgerinnen und Bürger auf Anforderung<br />
kostenlos versandt. Er kann auch im Internet unter „www.verfassungsschutz.thueringen.de“<br />
abgerufen werden.
1. Überblick<br />
1.1 Das rechtsextremistische Potenzial<br />
in der Bundesrepublik Deutschland<br />
Im rechtsextremistischen Spektrum setzten sich im Berichtszeitraum<br />
die Entwicklungstendenzen fort, die seit dem Jahr 2004 zu<br />
beobachten sind. Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“<br />
(NPD) bildete auch 2007 einen Kristallisationspunkt für<br />
die anhaltenden Versuche zur Einigung des rechtsextremistischen<br />
Lagers. Die Zusammenarbeit der Partei mit den „Freien Kräften“<br />
und der „Deutschen Volksunion“ (DVU) in der „Volksfront von<br />
Rechts“ 1 wurde fortgesetzt. Der in den Vorjahren verzeichnete starke<br />
Mitgliederzuwachs der NPD verlangsamte sich im Berichtsjahr<br />
deutlich. So konnte die Partei die Zahl ihrer Mitglieder von etwa<br />
7.000 im Jahr 2006 nur leicht auf ca. 7.200 im Berichtszeitraum<br />
steigern. Die NPD ist gegenwärtig in den Landtagen von Sachsen<br />
und Mecklenburg-Vorpommern vertreten.<br />
Die Mitgliederzahl der DVU sank hingegen von ca. 8.500 im Jahr<br />
2006 auf etwa 7.000 im Berichtsjahr. Die Partei ist nunmehr nach<br />
der NPD lediglich die zweitgrößte Partei des rechtsextremistischen<br />
Lagers. Auf dieses vermag sie – im Unterschied zur NPD – nur<br />
äußerst geringen Einfluss auszuüben. Von den Vereinbarungen des<br />
„Deutschlandpakts“ 2 profitiert sie kaum. Einzig in Brandenburg gehört<br />
die DVU dem Landesparlament an.<br />
Die Anhängerschaft der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten<br />
Rechtsextremisten belief sich 2007 in der Bundesrepublik<br />
auf ca. 10.000 Personen (2006: 10.400). Die Abkehr von der Skinheadsubkultur<br />
hat sich im Berichtszeitraum weiter fortgesetzt, was<br />
1 Siehe Kapitel 3.1.1.3.<br />
2 Ebenda.<br />
II. <strong>Rechtsextremismus</strong><br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
17
18<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
sich sowohl in den Musikstilen rechtsextremistischer Bands als auch<br />
im veränderten Erscheinungsbild von Szeneangehörigen widerspiegelt.<br />
Im Vergleich zum Vorjahr wurden weniger rechtsextremistische<br />
Konzerte registriert. Von insgesamt 138 Veranstaltungen (2006: 163)<br />
wurden 20 aufgelöst. Weitere 21 wurden im Vorfeld verhindert.<br />
Das bundesweite neonazistische Personenpotenzial verzeichnete<br />
gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs auf etwa 4.400 Personen<br />
(2006: ca. 4.200). Dennoch stellt dieses Spektrum gegenwärtig in<br />
vielen Bundesländern kaum noch eine eigenständige Kraft dar. Nahezu<br />
alle führenden Neonazis haben sich im Rahmen der „Volksfront<br />
von Rechts“ mit der NPD arrangiert. Ein Großteil ist der NPD<br />
beigetreten und nimmt dort zum Teil Funktionen wahr. Nur wenige<br />
führende Neonazis sind der NPD gegenüber kritisch eingestellt.<br />
Allerdings könnte das Ausbleiben der erhofften NPD-Wahlerfolge<br />
zum Erstarken dieser Minderheit führen. Innerhalb der bundesweiten<br />
Neonaziszene hat der Anteil „Autonomer Nationalisten“ zugenommen,<br />
er dürfte inzwischen ca. 10 % betragen.<br />
1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen<br />
Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Parteien und Spektren 3<br />
Freistaat Thüringen Bund<br />
2005 2006 2007 2007<br />
NPD 240 380 550 7.200<br />
DVU 80 60 50 7.000<br />
DP 20 15 unter 10 250<br />
Subkulturell geprägte und sonstige<br />
gewaltbereite Rechtsextremisten<br />
530 530 530 10.000<br />
Neonazis 230 200 160 4.400<br />
3 Zahlen gerundet, z. T. geschätzt.<br />
Bei den angeführten Parteien und Spektren gibt es Mehrfachmitgliedschaften. Hinsichtlich der Partei<br />
„Die Republikaner“ (REP) liegen derzeit keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für<br />
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, die eine gesonderte Darstellung<br />
im Verfassungsschutzbericht geboten erscheinen lassen. Innerhalb der Partei gibt es jedoch nach wie vor<br />
Kräfte, die rechtsextremistische Ziele verfolgen oder unterstützen. Von den Mitgliedern der DP verfolgt<br />
nur ein Teil rechtsextremistische Bestrebungen.
Die Entwicklung, die das rechtsextremistische Spektrum im Berichtszeitraum<br />
im Freistaat prägte, entsprach im Wesentlichen dem<br />
bundesweiten Trend.<br />
Auch in Thüringen war die NPD jene Kraft, die am stärksten auf das<br />
rechtsextremistische Spektrum einwirkte. Sie entfaltete abermals<br />
zahlreiche Aktivitäten, intensivierte ihre Parteiarbeit und weitete<br />
ihre Strukturen aus. Zahlreiche Personen, darunter auch Neonazis,<br />
traten der NPD bei. Infolgedessen stieg die Zahl ihrer Mitglieder<br />
im Vergleich zum Vorjahr von etwa 380 auf etwa 550 stark an. Mit<br />
Blick auf die im Jahr 2009 im Freistaat anstehenden Kommunal-<br />
und Landtagswahlen war die NPD bereits im Berichtsjahr bestrebt,<br />
ihr kommunalpolitisches Engagement zu verstärken.<br />
Der Landesverband der DVU blieb auch 2007 weitgehend inaktiv.<br />
Der Organisationsgrad des Landesverbands ist gering. Die Zahl<br />
seiner Mitglieder ging von ca. 60 im Jahr 2006 auf etwa 50 im<br />
Berichtszeitraum abermals zurück. Der Landesverband der „Deutschen<br />
Partei“ (DP) ist gegenwärtig in Auflösung begriffen; im Jahr<br />
2007 zählte er weniger als 10 Mitglieder.<br />
Aus den Reihen der NPD und der „Freien Kräfte“ wurden Stimmen,<br />
die sich für einen eigenen Antritt der NPD bei der Thüringer<br />
Landtagswahl 2009 aussprechen, zunehmend lauter. Da diese<br />
Forderung den von NPD und DVU im „Deutschlandpakt“ verankerten<br />
Vereinbarungen zuwider läuft, könnte hieraus eine Zerreißprobe<br />
auch für die bundesweite Kooperation beider Parteien erwachsen.<br />
Die anhaltende Dezimierung der Thüringer Neonaziszene ist vorrangig<br />
auf NPD-Eintritte eines Großteils ihrer Anhänger zurückzuführen.<br />
Wurden diesem Spektrum im Vorjahr noch 200 Personen<br />
zugerechnet, sind es nunmehr ca. 160. Die Zahl der Kameradschaften<br />
(4) blieb hingegen konstant. Anders als im übrigen Bundesgebiet<br />
hat die neonazistische Szene in Thüringen ihre Eigenständigkeit<br />
gegenüber der NPD weitgehend eingebüßt. Ursächlich<br />
hierfür ist vor allem das von der NPD Thüringen seit 2004 konsequent<br />
umgesetzte Konzept einer „Volksfront von Rechts“, mit dem<br />
genau jene Verzahnung realisiert werden soll. Die noch nicht zur<br />
NPD gewechselten Neonazis zeigen sich der Zusammenarbeit mit<br />
der Partei gegenüber aufgeschlossen.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
19
20<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Die Zahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten<br />
Rechtsextremisten blieb in Thüringen mit etwa 530 Personen<br />
seit 2005 unverändert. Die Anzahl der im Freistaat durchgeführten<br />
rechtsextremistischen Konzerte ging von zwölf im Jahr 2006<br />
auf acht im Berichtszeitraum zurück. Sechs dieser Veranstaltungen<br />
konnten von der Polizei aufgelöst, zwei weitere bereits im Vorfeld<br />
verhindert werden. Durch intensive Zusammenarbeit der Thüringer<br />
Sicherheitsbehörden gelang es, diese Form rechtsextremistischer<br />
Betätigungen merklich einzudämmen.<br />
2. Ideologischer Hintergrund<br />
Rechtsextremistisches Denken wurzelt nicht in einer fest strukturierten<br />
Ideologie. Es setzt sich aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher<br />
ideengeschichtlicher Herkunft zusammen, die<br />
innerhalb der jeweiligen Ausprägung des <strong>Rechtsextremismus</strong> in<br />
unterschiedlicher Form zum Ausdruck kommen. Immer wiederkehrende<br />
Grundelemente sind:<br />
• ein überzogener, häufig aggressiver Nationalismus, der das Prinzip<br />
der Völkerverständigung missachtet,<br />
• die Überhöhung des Staats zu einem sich aus sich selbst heraus<br />
rechtfertigenden Wert und die Überbetonung der Staatsinteressen<br />
gegenüber den Freiheitsrechten des Einzelnen (Etatismus),<br />
• eine völkische Ideologie, die sich typischerweise zu Rassenideologie<br />
und Fremdenfeindlichkeit verdichtet, wobei dem Antisemitismus<br />
eine besondere Stellung zukommt,<br />
• das Leugnen oder Verharmlosen der Verbrechen des Nationalsozialismus<br />
sowie das Hervorheben angeblich positiver Elemente<br />
des Dritten Reichs (Revisionismus).<br />
Weitere Elemente stellen die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit<br />
und eine Ideologie der Ungleichwertigkeit dar. Antipluralismus<br />
und Autoritarismus sind in unterschiedlicher ideologischer<br />
Ausdrucksweise bei allen Rechtsextremisten zu finden.<br />
So ist das Weltbild subkulturell geprägter und sonstiger gewaltbereiter<br />
Rechtsextremisten diffus. Ihre Einstellungen werden von<br />
fremdenfeindlichen, oft rassistischen sowie gewaltbejahenden
Ressentiments geprägt. Die Überzeugungen von Neonazis orientieren<br />
sich in der Regel an nationalsozialistischen Vorstellungen<br />
eines totalitären „Führerstaats“ auf rassistischer Grundlage. Sie<br />
konzentrieren sich stärker auf zielgerichtete politische Aktivitäten,<br />
die oftmals sehr aktionistisch angelegt sind. Aus ihrer Sicht ist das<br />
deutsche Volk höherwertig und deshalb vor „rassisch minderwertigen“<br />
Ausländern oder Juden zu schützen. Bei den rechtsextremistischen<br />
Parteien finden sich eher nationalistische Positionen. Ihnen<br />
gilt die Nation als oberstes Prinzip; damit einher geht eine Abwertung<br />
der Menschen- und Bürgerrechte. Dies hat insbesondere<br />
eine Ablehnung der Gleichheitsrechte für diejenigen zur Folge, die<br />
nicht dem – von ihnen ausschließlich ethnisch definierten – „Deutschen<br />
Volk“ angehören. Sie streben nach einem autoritären Staat,<br />
in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung außer Kraft<br />
gesetzt wäre.<br />
Insbesondere Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit<br />
der Regierung gegenüber dem Parlament, Gesetzmäßigkeit der<br />
Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, Mehrparteienprinzip<br />
und Chancengleichheit für alle politischen Parteien sind diejenigen<br />
Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung,<br />
gegen die Rechtsextremisten vorgehen.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
21
22<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
3. Rechtsextremistische Parteien<br />
3.1 „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“<br />
(NPD)<br />
Bund Thüringen<br />
Gründungsjahr 1964 1990<br />
Sitz Berlin Gera<br />
Mitglieder<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
ca. 6.000<br />
ca. 7.000<br />
ca. 7.200<br />
Publikation „Deutsche Stimme“<br />
(DS)<br />
Internet eigener<br />
Internetauftritt<br />
Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“<br />
(JN)<br />
ca. 240<br />
ca. 380<br />
ca. 550<br />
„Thüringen Stimme<br />
– Informationsblatt<br />
des NPD-Landesverbands<br />
Thüringen“<br />
eigener<br />
Internetauftritt<br />
JN-Landesverband<br />
Thüringen mit Stützpunkten<br />
in Erfurt,<br />
Jena, Weimar und<br />
Hildburghausen<br />
Gründungsjahr 1969 2006<br />
Sitz Dresden Jena<br />
Mitglieder<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
ca. 350<br />
ca. 350<br />
ca. 400<br />
ca. 20<br />
ca. 20<br />
ca. 30
3.1.1 Der Bundesverband der NPD<br />
3.1.1.1 Entwicklung der Partei<br />
Die aus der rechtsextremistischen „Deutschen Reichspartei“ hervorgegangene<br />
NPD wurde 1964 gegründet, um das rechtsextremistische<br />
Lager zu sammeln. Bis Ende der sechziger Jahre zählte<br />
die Partei, die in mehreren Landtagen vertreten war, bundesweit<br />
mehr als 25.000 Mitglieder. Bei der Bundestagswahl im Jahre 1969<br />
verfehlte sie mit 4,3 % der Stimmen den Einzug in das Parlament<br />
nur knapp. Diese Niederlage leitete den Niedergang der Partei ein,<br />
der bis in die neunziger Jahre hinein andauerte. Im Jahr 1995 erreichte<br />
er seinen Tiefstand, als der Partei nur noch 2.800 Mitglieder<br />
angehörten.<br />
Nachdem Udo VOIGT 1996 zum Bundesvorsitzenden gewählt<br />
wurde, vollzog die durch Wahlniederlagen geschwächte Partei den<br />
Wandel von einer „Altherrenpartei“ zu einer Partei, die sich als<br />
Spitze einer nationalistischen Protestbewegung versteht. VOIGT<br />
entwickelte nicht nur das „Drei-Säulen-Konzept“, das 2004 auf<br />
ein „Vier-Säulen-Konzept“ 4 ausgeweitet wurde. Er leitete auch in<br />
Bezug auf die Nachwuchsrekrutierung einen Paradigmenwechsel<br />
ein und vertiefte die Verbindungen zum neonazistischen und subkulturellen<br />
Spektrum. Ende der neunziger Jahre gelang es der NPD,<br />
die Anzahl ihrer Mitglieder erheblich zu steigern und den Altersdurchschnitt<br />
wesentlich zu senken.<br />
Udo Voigt<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
4 Siehe Kapitel 3.1.1.3<br />
23
24<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Im Jahr 2001 stellten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat<br />
vor dem Bundesverfassungsgericht Anträge, um die Verfassungswidrigkeit<br />
der NPD feststellen zu lassen und infolgedessen ein<br />
Verbot der Partei zu erwirken. Das Verbotsverfahren wurde 2003<br />
eingestellt, da eine Sperrminorität des Zweiten Senats des Gerichts<br />
die Beobachtung der NPD auf Bundes- und Landesvorstandsebene<br />
durch V-Leute unmittelbar vor und während des Verfahrens als<br />
ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“ bewertet hatte. Da<br />
die NPD während des Verbotsverfahrens aus taktischen Gründen<br />
auf Distanz zum neonazistischen Spektrum ging und öffentlichkeitswirksam<br />
weniger in Erscheinung trat, wandten sich zahlreiche<br />
aktionsorientierte Rechtsextremisten von ihr ab. Infolge dieser Entwicklung<br />
geriet die NPD erneut in einen Abwärtstrend, der sich<br />
auch in einem Rückgang der Mitgliederzahl niederschlug.<br />
Im September 2004 wurde durch die Absprache zwischen der<br />
NPD und großen Teilen der Neonaziszene, künftig offen zusammenzuwirken,<br />
eine neue Entwicklung eingeleitet. Daraus resultierte<br />
das von der NPD propagierte Konzept, die rechtsextremistischen<br />
Parteien und „Freien Kräfte“ in einer „Volksfront von Rechts“ 5 zusammenzuführen,<br />
um als „Gesamtbewegung des nationalen Widerstands“<br />
geschlossen gegen das politische System der Bundesrepublik<br />
vorzugehen. Diese Strategie hat seither in der extremen<br />
Rechten zunehmend Resonanz gefunden und eine Aufwärtsentwicklung<br />
der NPD bewirkt, die sowohl bundesweit als auch in<br />
Thüringen zu einem Anstieg der Mitgliederzahl führte. Der NPD<br />
traten vor allem viele Neonazis bei. Im Januar 2005 schlossen die<br />
NPD und die DVU den „Deutschland-Pakt“ 6 , in dem die Zusammenarbeit<br />
beider Parteien für die kommenden Wahlen auf Europa-,<br />
Bundes- und Landesebene festgelegt wurde.<br />
Die von der NPD betriebenen Bemühungen, sich als Gravitationszentrum<br />
und stärkste Kraft des rechtsextremistischen Lagers zu etablieren,<br />
erreichten 2006 einen neuen Höhepunkt, als sie bei den<br />
Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern 7,3 % der Stimmen<br />
gewann und – nach 2004 in Sachsen – mit sechs Abgeordneten<br />
in ein zweites Landesparlament einzog. Seitdem tritt die NPD mit<br />
gestärktem Selbstbewusstsein auf.<br />
5 Siehe Kapitel 3.1.1.3.<br />
6 Ebenda.
Die finanzielle Lage der Partei ist infolge der kostenintensiven<br />
Wahlkämpfe in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sowie angesichts<br />
der Rückforderungen, die von der Bundestagsverwaltung erhoben<br />
wurden, äußerst angespannt. Von 1996 an hatte der damalige<br />
Vorsitzende des Landesverbands Thüringen über mehrere Jahre<br />
falsche Spendenquittungen ausgestellt, deren Beträge größtenteils<br />
in den Rechenschaftsberichten der Partei verbucht worden sind.<br />
Da die Berichte somit nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprachen,<br />
war die für die Partei erfolgte Festsetzung und Auszahlung<br />
der Parteienfinanzierung für die Jahre 1998 und 1999 rechtswidrig.<br />
Gemäß den einschlägigen Bestimmungen resultiert hieraus eine<br />
Rückzahlungsverpflichtung der NPD in Höhe von 870.000 Euro,<br />
die ihr zuvor im Rahmen der staatlichen Teilfinanzierung zuerkannt<br />
worden waren.<br />
Innerhalb der rechtsextremistischen Parteienlandschaft nimmt die<br />
NPD gegenwärtig eine Vormachtstellung ein. Mit derzeit ca. 7.200<br />
Mitgliedern (2006: 7000) hat sie die DVU als vormals mitgliederstärkste<br />
rechtsextremistische Partei hinter sich gelassen.<br />
3.1.1.2 Ideologie der Partei<br />
Die NPD verficht eine verfassungsfeindliche Ideologie. Von Rassenhass<br />
und Antisemitismus geleitet verfolgt sie das Ziel, das von<br />
ihr so genannte System – die freiheitliche demokratische Grundordnung<br />
– zu beseitigen. In einem in der Ausgabe des Informationsblattes<br />
„Thüringenstimme“ vom Februar abgedruckten „Aufruf<br />
zum 1. Mai“ hieß es u. a.: „Für uns ist jeder arbeitslose Deutsche<br />
noch ein Grund mehr, an diesem alten und kranken System nicht<br />
länger festzuhalten. Wenn die Abschaffung unseres Volkes, der Verlust<br />
aller Werte und Tugenden unserer Kultur, die ‚Bereicherung‘<br />
Deutschlands mit raumfremden Personen, die Entstellung unserer<br />
Vergangenheit, der Raub jeder Zukunftsperspektive und die ‚Brot<br />
und Spiele‘-Politik dieses asozialen Systems ‚Demokratie‘ ist, dann<br />
wollen wir unser Denken jenseits überkommener politischer Ordnungssysteme<br />
nicht abstellen.“<br />
Die Agitation der Partei ist zunehmend antikapitalistisch. In einem<br />
Beitrag auf der Website des NPD-Landesverbands Thüringen vom<br />
Mai hieß es unter der Überschrift „Der Globalisierungs-Angriff auf<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
25
26<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
den ländlichen Raum“ u.a.: „Dabei ist es unerträglich, dass Millionen<br />
Landsleute dem sozialen Siechtum verfallen, während Spitzenverdiener<br />
und weltweit agierende Großkonzerne gleichzeitig<br />
beträchtliche Steuergeschenke einheimsen – Stichwort: Unternehmenssteuerreform<br />
– und jedes Jahr Abermillionen Euro für ausländische<br />
Sozialschmarotzer, interessenwidrige Auslandseinsätze der<br />
Bundeswehr und horrende Nettozahlungen an die erweiterungswütige<br />
Europäische Union verschleudert werden.“<br />
Die NPD propagiert einen völkischen Kollektivismus und agitiert<br />
fremdenfeindlich. Sie spricht von einer „ethnisch homogenen<br />
Volksgemeinschaft“, die durch „gemeinsame Abstammung, Geschichte,<br />
Sprache und Kultur“ entstehe. Die Würde des Menschen<br />
hängt ihrem Parteiprogramm zufolge, von einer biologisch-genetischen<br />
Teilhabe an der „Volksgemeinschaft“ ab. Die pauschale<br />
Überbewertung der auf Grund ethnischer Zugehörigkeit definierten<br />
„Volksgemeinschaft“ beschneidet die vom Grundgesetz garantierte<br />
Freiheit, sich persönlich zu entfalten. Die Rechte und Interessen<br />
des Einzelnen werden eingeschränkt. Die Partei stellt „Grundziele<br />
des Volkes“ auf, an denen sich die Volksherrschaft – anstelle<br />
der verfassungsmäßigen Ordnung – orientieren soll. In der von der<br />
NPD propagierten Gesellschaftsordnung sollen autoritäre Eliten<br />
vorherrschen. Der Anspruch auf Führerschaft steht im Widerspruch<br />
zum pluralistischen Mehrparteiensystem der Bundesrepublik.<br />
3.1.1.3 Strategie der Partei<br />
Das „Vier-Säulen-Konzept“, das den „Kampf um die Straße, die<br />
Köpfe, die Parlamente und den organisierten Willen“ umfasst, bildete<br />
auch im Berichtszeitraum die Basis für die politische Agitation<br />
der NPD.<br />
„Kampf um die Straße“<br />
Die NPD setzte im Berichtszeitraum ihren „Kampf um die Straße“<br />
fort. Sie organisierte zentrale Großveranstaltungen ebenso wie regionale<br />
Demonstrationen, an denen sich auch Neonazis und subkulturell<br />
geprägte Rechtsextremisten beteiligten. Oftmals wurden<br />
Termine und Orte für Aktionen so gewählt, dass mit einer hohen
öffentlichen Aufmerksamkeit und Gegenaktionen zu rechnen war.<br />
Verfolgt die Partei doch das Ziel, als eine von vielen in Deutschland<br />
existenten Parteien zu erscheinen, um so bestehende Berührungsängste<br />
in der Gesellschaft abzubauen. Zu ihrer Strategie gehört,<br />
sich über das Aufgreifen sozialer- und so genannter Alltagsthemen<br />
als Teil einer Protestbewegung zu geben, innerhalb derer einzig<br />
die NPD für die Interessen des „kleinen Mannes“ eintrete.<br />
Im Berichtszeitraum initiierte die Partei u. a. eine bundesweite<br />
Kampagne gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Den Auftakt<br />
bildeten die von der NPD organisierten Demonstrationen am 1.<br />
Mai in Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen<br />
und Thüringen mit insgesamt 2.700 Teilnehmern. Dabei hatten<br />
sich allein zu der am 1. Mai in Erfurt durchgeführten Demonstration<br />
zeitweise bis zu 1.000 Rechtsextremisten versammelt. Wegen der<br />
Verbote der für den 2. Juni in Schwerin angemeldeten bundesweiten<br />
Demonstration sowie der daraufhin beantragten Ersatzveranstaltung<br />
in Ludwigslust führten die größtenteils bereits mit Bussen<br />
auf der Anreise befindlichen NPD-Anhänger spontan in mehreren<br />
Bundesländern demonstrative Aktionen durch.<br />
„Kampf um die Köpfe“<br />
Der „Kampf um die Köpfe“ zielt vor allem darauf ab, die Mitglieder<br />
der NPD politisch zu schulen, die Programmatik der Partei mit<br />
Flugblättern zu verbreiten und die Monatszeitung „Deutsche Stimme“<br />
zu vertreiben. Mit der „Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft“<br />
verfügt die NPD über ein eigenes Publikationsorgan des Parteivorstandes,<br />
dem ein Versandhandel für rechtsextremes Propaganda-<br />
und Werbematerial angeschlossen ist. Seit August letzten Jahres<br />
gibt die NPD unter dem Titel „Jetzt reicht’s!“ eine Informationszeitung<br />
heraus, um angebliche politische Missstände und aktuelle<br />
Themen aufzugreifen.<br />
Im Juli 2007 nahm das „Bildungswerk für Heimat und nationale<br />
Identität e.V.“ (i.G.) seine Tätigkeit auf. Die Fraktion der NPD im<br />
sächsischen Landtag hatte bereits im April 2005 die Gründung eines<br />
solchen „Bildungswerkes“ bekannt gegeben und als Beitrag<br />
zur weiteren „Professionalisierung“ bezeichnet. Der Verein soll<br />
insbesondere mit Hilfe von Seminaren und Publikationen „politi-<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
27
28<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
sche Bildungsarbeit“ im Sinne der NPD betreiben und die „Denkansätze<br />
der ‚Dresdner Schule‘“ im öffentlichen Diskurs popularisieren.<br />
Mit dem „Bildungswerk“ verfolgt die NPD darüber hinaus<br />
die Absicht, sich zum Kristallisationspunkt jener Bestrebungen zu<br />
entwickeln, die auf die Intellektualisierung des rechtsextremistischen<br />
Lagers ausgerichtet sind. Sie greift zunehmend auch auf von<br />
ihr unabhängige Intellektuelle zurück, um sie gewinnen und die<br />
Parteiarbeit weiter intensivieren zu können.<br />
„Kampf um die Parlamente“<br />
Seit dem Jahr 2004 ist die NPD mit zwölf Abgeordneten im sächsischen<br />
Landtag vertreten. Bei den 2006 durchgeführten Wahlen<br />
in Mecklenburg-Vorpommern errang sie sechs Parlamentssitze, in<br />
Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Berlin gewann sie zum<br />
Teil erheblich an Stimmen hinzu, verfehlte jedoch jeweils den Einzug<br />
in das Landesparlament.<br />
Nach den Wahlerfolgen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin,<br />
wo die NPD nunmehr in vier von zwölf Bezirksversammlungen<br />
vertreten ist, kündigte VOIGT an, dass der „Kampf um Deutschland“<br />
weitergehe. Nun gelte es, „den Westen in Angriff zu nehmen“.<br />
Das Ziel bestehe darin, 2008 in die Landtage von Bayern<br />
und Hessen 7 sowie 2009 schließlich in den Bundestag einzuziehen.<br />
Von der „strategischen Achse Dresden-Berlin-Schwerin“ ausgehend<br />
will die NPD „von Mitteldeutschland aus eine nationale<br />
Welle über das Land schwappen“ lassen. Sie werde, hofft die Partei,<br />
sowohl die Zusammensetzung der Parlamente verändern als auch<br />
die „geistig-kulturellen Fundamente des Systems unterspülen“.<br />
Es ist zweifelhaft, ob die NPD von ihren Wahlerfolgen in Sachsen<br />
und Mecklenburg-Vorpommern auch künftig wird profitieren können.<br />
Gerade in den westlichen Bundesländern gelang es ihr trotz<br />
eines Stimmenzugewinns nicht, Parlamentssitze einzunehmen.<br />
Der Ausgang anstehender Wahlen dürfte wesentlich davon abhängen,<br />
ob die „Volksfront von Rechts“ und der „Deutschland-Pakt“<br />
fortbestehen.<br />
7 Bei den Landtagswahlen in Hessen am 27. Januar erhielt die NPD nach dem vorläufigen amtlichen<br />
Endergebnis 23.972 (0,9 %) Zweitstimmen.
„Kampf um den organisierten Willen“<br />
Die NPD verfolgt den „Kampf um den organisierten Willen“ in der<br />
Absicht, „möglichst alle nationalen Kräfte“ zu konzentrieren und<br />
durch den dann „organisierten Willen“ an die Macht zu gelangen.<br />
Dieses Konzept ist mit der „Volksfront von Rechts“ identisch, die<br />
die NPD seit 2004 anstrebt. Es zielt darauf ab, aktionsorientierte<br />
Rechtsextremisten ebenso wie die DVU und andere rechtsextremistische<br />
Gruppierungen in das Bündnis einzubeziehen, um sowohl<br />
die personellen als auch strukturellen Ressourcen des rechtsextremistischen<br />
Spektrums zu bündeln und dessen Zersplitterung<br />
zu überwinden. Seither nähern sich rechtsextremistische Parteien<br />
und Organisationen der NPD in unterschiedlicher Form an. Am<br />
15. Januar 2005 unterzeichneten die NPD und die DVU den<br />
„Deutschlandpakt“. Der „Pakt“ sieht vor, bei Bundestags-, Europa-<br />
und Landtagswahlen nicht gegeneinander anzutreten, wechselseitig<br />
jedoch die Listen der NPD und der DVU für die jeweils andere<br />
Partei zu öffnen. Dieser Absprache gemäß wird sich die DVU wie<br />
bereits 2007 in Bremen auch an den Landtagswahlen in Hamburg<br />
(2008) sowie Thüringen und Brandenburg (2009) beteiligen. Bei<br />
allen anderen bis 2009 anstehenden Wahlen wird sie darauf verzichten,<br />
sofern die NPD kandidiert.<br />
Die NPD hat sich in der „Volksfront von Rechts“ als führende Kraft<br />
durchgesetzt, indem sie neben der neonazistischen Szene und<br />
dem subkulturellen rechtsextremistischen Spektrum auch die DVU<br />
an sich zu ziehen und für ihre politischen Ziele einzusetzen ver-<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
29
30<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
mochte. Gegenwärtig werden die Kräfte, die sich zu diesem Bündnis<br />
bekennen, von den Wahlerfolgen und der damit verbundenen<br />
Aussicht, auch künftig gestärkt aus Wahlen hervorzugehen, zusammengehalten.<br />
Offen bleibt, ob es der extremen Rechten weiterhin<br />
gelingt, die gruppenspezifischen Gegensätze auszugleichen, und<br />
sie bereit ist, der NPD zur Erlangung des gemeinsamen Ziels – Ablösung<br />
des politischen Systems der Bundesrepublik – die alleinige<br />
Führung zu überlassen.<br />
3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD<br />
3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands<br />
Der Thüringer Landesverband der NPD wurde 1990 gegründet.<br />
In den folgenden Jahren war die organisatorische Gliederung des<br />
Verbands in Regional-, Kreis- und Ortsverbände vielen Änderungen<br />
unterworfen. In den Jahren 1998/1999 stieg die Anzahl der<br />
Mitglieder erheblich an, nachdem insbesondere jüngere Neonazis<br />
der Partei beigetreten waren. Ein Teil von ihnen übernahm bald<br />
Funktionen in den Vorständen und richtete den Landesverband zunehmend<br />
aktionistisch aus.<br />
Im Zuge des gegen die NPD im Jahr 2001 angestrengten Verbotsverfahrens<br />
schränkte der inzwischen unter der Leitung des ehemaligen<br />
Neonazis Frank SCHWERDT stehende Landesverband gemeinsame<br />
Aktivitäten mit Neonazis ein. Daraufhin verlor die Partei<br />
bedeutende Anteile ihres neonazistischen Potenzials. Im Landesvorstand<br />
setzten sich zunächst jene Kräfte durch, die politisch eher<br />
zurückhaltend agieren wollten. Nachdem jedoch das Verbotsverfahren<br />
2003 eingestellt worden war, öffnete sich der Landesverband<br />
erneut für Neonazis und subkulturell geprägte Rechtsextremisten<br />
und weitete seine Aktivitäten aus. Er vermochte es, sich zu<br />
konsolidieren und ab 2004 einen Aufwärtstrend einzuleiten. Diese<br />
Entwicklung schlug sich bei den Landtagswahlen des Jahres 2004
Frank Schwerdt<br />
nieder, als die Partei ihren Wählerstimmenanteil<br />
von 0,2 % im Jahr 1999 auf<br />
1,6 % steigerte. Bei der Bundestagswahl<br />
im Jahr 2005 erreichte die NPD in Thüringen<br />
ihr deutschlandweit zweitbestes<br />
Ergebnis, als sie 3,7 % der Zweitstimmen<br />
erhielt. Im Berichtszeitraum hat der NPD-<br />
Landesverband seine Strukturen weiter<br />
ausgebaut, Mitglieder hinzu gewonnen<br />
und zahlreiche Aktivitäten entfaltet.<br />
Auf NPD-Bundesebene erlangt der Thüringer Landesverband über<br />
seinen Vorsitzenden Frank SCHWERDT und den bundesweit bekannten<br />
Neonazi Thorsten HEISE Bedeutung. Beide gehören dem<br />
NPD-Bundesvorstand an und verfügen über weitreichende überregionale<br />
Kontakte.<br />
3.1.2.2 Kreisverbände<br />
Im Berichtszeitraum konnte die Partei ihre Strukturen in Thüringen<br />
weiter ausbauen. Im ersten Halbjahr gründeten sich die Kreisverbände<br />
Greiz und Eichsfeld, im August der Kreisverband Nordhausen.<br />
Damit setzt sich der Landesverband nunmehr aus den<br />
16 Kreisverbänden Altenburg, Eichsfeld, Erfurt-Sömmerda, Gera,<br />
Gotha, Greiz, Hildburghausen-Suhl, Ilmkreis, Jena, Kyffhäuserkreis,<br />
Nordhausen, Saale-Orla, Saalfeld-Rudolstadt, Unstrut-Hainich,<br />
Wartburgkreis und Weimar-Weimarer Land zusammen.<br />
In Thüringen gehören einem Kreisverband im Durchschnitt ca.<br />
35 Mitglieder an. Von den Kreisverbänden gingen im Berichtsjahr<br />
in unterschiedlichem Ausmaß Aktivitäten aus. Einige Untergliederungen,<br />
zu denen die Kreisverbände Erfurt-Sömmerda, Gotha,<br />
Wartburgkreis, Gera und Jena zählen, gestalteten ihre Parteiarbeit<br />
kontinuierlich öffentlichkeits- und medienwirksam. Die beiden<br />
Letztgenannten traten durch die Veranstaltungsreihen „Rock für<br />
Deutschland“ und „Fest der Völker“ 8 auf. Zahlreiche Thüringer<br />
Kreisverbände führten zudem im Rahmen der „Mitgliederkampagne<br />
2007“ Infostände und Mahnwachen durch. Die von der NPD<br />
8 Siehe Kapitel 3.1.2.9.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
31
32<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
<br />
geplanten acht Aktionen pro Region, wurden längst nicht überall<br />
erreicht. Aus den Regionen Saalfeld-Rudolstadt und Sonneberg<br />
wurden keine Aktionen bekannt.<br />
Welche Aktivitäten von einem Kreisverband ausgehen und wie<br />
hoch deren Anziehungskraft auf Gesinnungsgenossen ist, hängt<br />
wesentlich vom Engagement der führenden Personen und dem<br />
einzelner Aktivisten ab. Die Mehrzahl der NPD-Mitglieder ist<br />
weder willens noch in der Lage, eine kontinuierliche Parteiarbeit<br />
zu leisten, öffentlichkeitswirksame Aktionen zu entwickeln und<br />
Rechtsextremisten einzubinden, die noch nicht organisiert sind.<br />
Sie nimmt lediglich mehr oder minder regelmäßig an den Veranstaltungen<br />
der NPD und der Neonaziszene teil.<br />
3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung<br />
Im Berichtszeitraum verzeichnete der Landesverband den stärksten<br />
personellen Zuwachs seit seiner Gründung im Jahr 1990 und<br />
erreichte einen Höchststand von etwa 550 Mitgliedern. Unter den<br />
NPD-Landesverbänden rangiert der Thüringer Landesverband, ge-
messen an der Zahl seiner Mitglieder, nunmehr im vorderen Drittel.<br />
An der Einwohnerzahl gemessen nimmt er gemeinsam mit den<br />
Landesverbänden Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen die<br />
Spitzenplätze ein.<br />
Der Zuwachs an Mitgliedern ist maßgeblich auf die vom Landesverband<br />
durchgeführte „Mitgliederkampagne 2007“ 9 , innerhalb<br />
derer etwa 100 Neumitglieder gewonnen werden konnten, zurückzuführen.<br />
Das Durchschnittsalter der Landesvorstandsmitglieder beträgt<br />
knapp über 30 Jahre, das der Kreisverbandsvorsitzenden im Durchschnitt<br />
unter 30 Jahre.<br />
Der Frauenanteil ist in der Thüringer NPD nach wie vor gering.<br />
Unter Funktionären als auch Veranstaltungsteilnehmern finden<br />
sie sich eher selten. Im Berichtszeitraum gehörte dem NPD-Landesvorstand<br />
keine Frau an. Lediglich einem der 16 Kreisverbände<br />
steht eine Frau vor.<br />
3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD zu anderen<br />
Rechtsextremisten<br />
Verhältnis zur Neonaziszene<br />
In Thüringen ist das Verhältnis zwischen dem Landesverband der<br />
NPD und den Neonazis seit Jahren vor allem durch Integration<br />
und Kooperation gekennzeichnet. Nahezu alle führenden Thüringer<br />
Neonazis sind zwischenzeitlich der NPD beigetreten, ein<br />
Großteil derer nimmt innerhalb der NPD Funktionen wahr. Alle<br />
Mitglieder des Landesvorstands und die meisten Kreisverbandsvorsitzenden<br />
entstammen ebenfalls dem neonazistischen Spektrum.<br />
Einige Kreisverbandsvorsitzende fungieren zugleich als Führungspersonen<br />
lokaler neonazistischer Gruppierungen. Thüringen zählt<br />
zu den Bundesländern, in denen die Einbeziehung von Neonazis<br />
in die NPD am weitesten fortgeschritten ist. Die Kooperation beider<br />
Spektren äußert sich insbesondere in der gemeinsamen Organisation<br />
von Veranstaltungen und Kampagnen. Teilnehmer, Redner<br />
9 Siehe Kapitel 3.1.2.5.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
33
34<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
und Ordner treten oftmals auch auf Veranstaltungen des jeweils<br />
anderen Spektrums auf.<br />
Insgesamt ist es dem Thüringer Landesverband der NPD im Laufe<br />
eines längeren Prozesses gelungen, das neonazistische Spektrum<br />
weitgehend zu integrieren, wodurch dieses seine frühere Eigenständigkeit<br />
innerhalb des rechtsextremistischen Lagers eingebüßt<br />
hat. Wenngleich sich einzelne Neonazis dennoch neben der NPD<br />
zu behaupten suchen, unterstützen sie die Partei in der Regel auf<br />
Kreis- und Landesverbandsebene. Der NPD-Bundesebene jedoch<br />
stehen sie zum Teil kritisch gegenüber und wollen jedwede Zuordnung<br />
zur Partei vermieden wissen. So hieß es im Nachgang<br />
zur NPD-Demonstration am 18. August in Jena bezüglich der<br />
Teilnahme „Freier Nationalisten“, dass mit „ca. 200 Personen sich<br />
ein NPD kritischer Block an dieser politischen Manifestation des<br />
Landesverbands der NPD Thüringen beteiligte und damit deutlich<br />
bewies, dass hier durchaus differenziert wird, welche NPD Gruppen…<br />
unterstützenswert sind und welche Kreise und Gruppen<br />
eben von vielen derzeit aktionistisch und auch programmatisch<br />
nicht unterstützt werden können …“.<br />
Verhältnis zum subkulturellen Spektrum<br />
Der Landesverband der NPD setzte im Berichtszeitraum vor allem<br />
rechtsextremistische Musik ein, um das subkulturelle rechtsextremistische<br />
Spektrum zu umwerben. 10 Von dessen Anhängern gehen<br />
meist keine eigenständigen politischen Aktionen aus. Sie besuchen<br />
jedoch bevorzugt Musikveranstaltungen, die von der NPD durchgeführt<br />
werden. Auf diese Weise erhöhen sie das Mobilisierungspotenzial<br />
der Partei. Da subkulturell geprägte Rechtsextremisten<br />
– sofern überhaupt – lediglich regional organisiert sind, basieren<br />
die Verbindungen zur NPD zumeist auf persönlichen Kontakten<br />
und sind lokal begrenzt.<br />
10 Siehe Kapitel 5.3.
Verhältnis zu anderen Parteien und Organisationen<br />
Der Landesverband in Thüringen orientiert sich weiterhin an dem<br />
Konzept der „Volksfront von Rechts“. Kontakte zur DVU bestehen<br />
vor allem über deren Funktionäre Walter BECK und Uwe BÄZ-<br />
DÖLLE. Beide traten als Direktkandidaten auf der Liste der NPD<br />
im Jahr 2005 zur Bundestagswahl an. 11<br />
Darüber hinaus unterhält der Landesverband seit Jahren enge Verbindungen<br />
zum Vorsitzenden des Thüringer Landesverbands der<br />
„Deutschen Partei“ (DP), Kurt HOPPE, der mehrfach an Veranstaltungen<br />
der NPD teilnahm und 2005 in einem Wahlkreis als Direktkandidat<br />
der NPD zur Bundestagswahl antrat. 12<br />
3.1.2.5 „Mitgliederkampagne 2007“<br />
Zum „6. Thüringentag der nationalen Jugend“ am 19. Mai in Eisenach<br />
startete der NPD-Landesverband Thüringen die breit angelegte<br />
„Mitgliederkampagne 2007“. Bis zu deren Abschluss am 14. Juli<br />
führte die Partei mehr als 40 Kundgebungen und ca. 60 Informationsstände<br />
in nahezu allen Landkreisen und kreisfreien Städten<br />
des Freistaats durch. Ergänzend hierzu wurden Verlautbarungen<br />
der Partei zufolge 300.000 Exemplare einer unter dem Leitspruch<br />
„Jetzt reicht’s!“ abgefassten Kampagnenzeitung verbreitet. Mit Abschluss<br />
der Kampagne vermeldete der Landesverband, das Ziel,<br />
mehr als 100 Neumitglieder zu gewinnen und den Gesamtmitgliederbestand<br />
somit auf über 500 zu erhöhen, erreicht zu haben.<br />
Neben der Gewinnung neuer Mitglieder, Interessenten und Sympathisanten<br />
für die NPD und die „nationale Opposition“ zielte die<br />
Kampagne darauf ab, die Aufmerksamkeit der hiesigen Medienlandschaft<br />
zu erhöhen sowie die Wahrnehmung der NPD innerhalb<br />
der Thüringer Bevölkerung mit Blick auf die 2009 stattfindenden<br />
Landtags- und Kommunalwahlen zu schärfen. Zudem galt es,<br />
die Kampagnenfähigkeit des Landesverbands und seiner Strukturen<br />
zu testen.<br />
11 Siehe Kapitel 3.2.2.<br />
12 Siehe Kapitel 3.3.2.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
35
36<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Außenwirkung der Kampagne<br />
Wenngleich die Partei von einem Presseecho in bisher nicht gekanntem<br />
Ausmaß sprach, fiel die mediale Berichterstattung zur<br />
Kampagne – gemessen an dem betriebenen personellen und organisatorischen<br />
Aufwand – eher bescheiden aus. Der parteiinternen<br />
Wahrnehmung nach sei sowohl in den regionalen Tageszeitungen<br />
als auch in überregionalen Magazinen und der TV-Berichterstattung<br />
über die erfolgreiche und professionelle Arbeit der nationalen<br />
Opposition, vor allem der NPD in Thüringen, berichtet worden.<br />
Tatsächlich war das Presse- und Medienecho angesichts der Vielzahl<br />
durchgeführter Aktionen eher verhalten. Lediglich einzelne<br />
Veranstaltungen fanden Erwähnung in der jeweiligen Berichterstattung,<br />
wobei die von der Partei skizzierten Erfolgsmeldungen<br />
unterblieben. Auch in der Bevölkerung stießen die Kampagnenveranstaltungen<br />
entgegen parteieigenen Verlautbarungen vor allem<br />
auf Desinteresse. Die NPD-Informationsstände wurden oft schlicht<br />
ignoriert, zu Gesprächen zwischen Standbetreuern und Passanten<br />
kam es nur selten.<br />
In der Mitte der Gesellschaft angekommen?<br />
Sich dem Bürger als Partei, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen<br />
ist, zu präsentieren, war ein Anliegen der Kampagne.<br />
Entsprechend fand sich an einem Informationsstand am 12. Juli in<br />
Greußen u. a. ein Transparent mit der Aufschrift „Aus der Mitte der<br />
Gesellschaft“. Auch in einem Internetbeitrag vom Juli schlussfolgerte<br />
der Landesverband, die Medien hätten erkannt, dass die NPD<br />
längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Um dies auch<br />
durch Äußerlichkeiten der Parteimitglieder zu bekräftigen, wurde<br />
von den Verantwortlichen sowohl bei der Auftakt- als auch der<br />
Abschlussveranstaltung zur Kampagne das Tragen szenetypischer<br />
Outfits untersagt. Zudem hatte der Landesvorstand entsprechende<br />
Richtlinien erlassen, denen zufolge dies auch für Personen, die Informationsstände<br />
betreuten, galt. Der Eindruck, man separiere sich<br />
von der Bevölkerung, sollte vermieden werden.
3.1.2.6 Landesparteitag<br />
Am 8. Dezember veranstaltete die Thüringer NPD in Bad Blankenburg/Ortsteil<br />
Fröbitz ihren Landesparteitag. Angaben der Partei<br />
nach nahmen 80 Delegierte und 50 Gäste an der Veranstaltung teil.<br />
Als Redner traten u. a. der Landesvorsitzende Frank SCHWERDT,<br />
der NPD-Vorsitzende Udo VOIGT und der Generalsekretär der<br />
NPD, Peter MARX, auf. Zu den Gästen zählte der Thüringer DVU-<br />
Landesvorsitzende Walter BECK. Er überbrachte Grußworte seiner<br />
Partei.<br />
In einem Leitantrag stellte der Landesvorstand die Rolle der Kreisverbände<br />
im Hinblick auf die Kommunalwahlen 2009 heraus. Der<br />
Landesvorstand bemängelte, dass viele Kreisverbände die bereits<br />
im letzten Jahr angemahnten kommunalpolitischen Aktivitäten zur<br />
„kommunalen Verankerung“ der Partei vernachlässigten. Demnach<br />
leisteten einige Kreisverbände nur Arbeit nach innen, andere beteiligten<br />
sich lediglich an Aktionen und Kampagnen des Landesvorstands<br />
oder seien nur im Wahlkampf aktiv. Da der Landesverband<br />
jedoch nicht über die nötigen personellen Kapazitäten verfüge, diese<br />
Defizite auszugleichen, sollten notwendige Schulungen durchgeführt<br />
und den Kreisverbänden Leitlinien und Marschrichtung<br />
vorgegeben werden. Die Kreisverbände hätten sich ihre Aufgabe<br />
wieder und wieder in Erinnerung zu rufen und müssten unfähige<br />
Kreisfunktionäre notfalls aus „Amt und Würden“ jagen, hieß es in<br />
dem Leitantrag.<br />
Frank Schwerdt<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
37
38<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Landesvorstand sieht angestrebte „kommunale Verankerung“ in<br />
Gefahr<br />
Zudem stellte der Landesvorstand fest, dass für die erforderliche<br />
„kommunale Verankerung“ kaum mehr Zeit bleibe. Als wesentliche<br />
Bausteine für den erfolgreichen Kommunalwahlkampf eines<br />
Kreisverbands benannte der Landesvorstand die personelle Schlagkraft<br />
des Kreisverbands, die Bekanntheit seines Spitzenkandidaten,<br />
die Ausstrahlung von kommunalpolitischer Fachkompetenz, die<br />
politische Verankerung in der Kommune und die finanzielle Ausstattung<br />
des Verbands. Zu Letzterer machte der Landesvorstand in<br />
seinem Leitantrag deutlich, dass die Kreisverbände weder von der<br />
Bundespartei noch vom Landesverband finanzielle Unterstützung<br />
für die Kommunalwahlkämpfe erhalten werden. Jeder Kreisverband<br />
werde seinen Kommunalwahlkampf aus eigener Kasse finanzieren<br />
müssen.<br />
Vorgaben für die Kreisverbände<br />
Die Spitzenkandidaten der Kreisverbände wurden angehalten,<br />
ihren Bekanntheitsgrad durch geeignete Präsentationen in vorhandenen<br />
bzw. zu schaffenden Medien, mittels Wortergreifung<br />
bei öffentlichen Veranstaltungen, aber auch gegenüber der „Stadtverordnetenversammlung“,<br />
zu steigern. Als besonders geeignete<br />
Werbeträger empfahl der Landesvorstand eigene Regionalzeitungen<br />
vergleichbar dem „Wartburgkreisboten“ oder der „Bürgerstimme“<br />
13 . Unter Berücksichtigung der schlechten finanziellen Ausstattung<br />
vieler Kreisverbände wurde alternativ die Herausgabe von<br />
Informations- und Flugblättern vorgeschlagen.<br />
Neben der rein politischen Vorgehensweise sind den Vorgaben des<br />
Landesvorstands nach bei der „kommunalen Verankerung“ auch<br />
menschliche Aspekte zu berücksichtigen. So sollten beispielsweise<br />
Volksfeste genutzt werden, um den Kontakt zur Bevölkerung zu<br />
suchen. Sympathie baue bei den meisten Menschen schneller Vorurteile<br />
ab als das logischste Argument. Diesen „Fakt“ wolle sich die<br />
Partei zu Nutzen machen.<br />
13 Siehe Kapitel 4.8.
„Gemeinsam für den Umbruch! Gemeinsam nationale Akzente für<br />
lebens- und liebenswerte Städte, Dörfer und Gemeinden in Thüringen<br />
setzen!“ hieß es abschließend in dem Leitantrag des Landesvorstands.<br />
3.1.2.7 Internet/Publikationen<br />
Im Berichtszeitraum verstärkte der Landesverband der NPD seine<br />
Öffentlichkeitsarbeit erneut, indem er die Internetpräsentation<br />
der Kreisverbände erweiterte. Die Vorgabe, wonach jeder Verband<br />
eine eigene Seite unterhalten solle, wurde bislang nicht verwirklicht.<br />
Von der „Thüringen Stimme“, dem Informationsblatt des Landesverbands,<br />
erschienen im Berichtszeitraum lediglich vier Ausgaben.<br />
Zahlreiche NPD-Mitglieder wirken bei der Herausgabe von<br />
Regionalzeitungen mit. 14<br />
Internet<br />
Der Landesverband und die Kreisverbände Eichsfeld, Erfurt-Sömmerda,<br />
Gera, Gotha, Greiz, Jena, Kyffhäuserkreis, Nordhausen,<br />
Saalfeld-Rudolstadt, Wartburgkreis und Weimar-Weimarer Land<br />
verfügen über Websites, die allerdings in unterschiedlichem Maße<br />
aktualisiert werden. Vorzugsweise wurde über regionale und überregionale<br />
Veranstaltungen und Aktionen berichtet, aber auch tagespolitische<br />
Themen wurden aufgegriffen. Im Berichtsjahr stellte<br />
der Landesverband anlassbezogene Sonderseiten in das Internet<br />
ein und betrieb mit dem „NPD Thüringen Gesprächskreis“ ein eigenes<br />
Forum.<br />
„Thüringen Stimme“<br />
Seit August 2005 gibt der Landesverband die „Thüringen Stimme“<br />
heraus, die die Funktion eines Informationsblatts erfüllen soll. Die<br />
Publikation umfasst parteiinterne Informationen und Reaktionen<br />
auf die Tagespresse, verweist auf Veranstaltungen des rechtsextremistischen<br />
Spektrums, greift tagespolitische Themen auf und<br />
14 Ebenda.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
39
40<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
veröffentlicht Kleinanzeigen „von und für Kameraden“. Teilweise<br />
stimmen die Artikel mit Beiträgen überein, die bereits auf den<br />
Homepages des Landesverbands oder der Kreisverbände veröffentlicht<br />
wurden. Die Artikel thematisieren insbesondere die Entwicklung<br />
des Landesverbands. Die Leser werden in der Publikation<br />
regelmäßig dazu aufgefordert, für die Ziele des Landesverbands<br />
einzutreten und ihn mit Spenden zu unterstützen.<br />
War die „Thüringen Stimme“ zumindest in der zweiten Hälfte<br />
des Jahres 2006 noch monatlich herausgegeben worden, sind im<br />
Berichtszeitraum lediglich vier Ausgaben erschienen. Als Verantwortlicher<br />
im Sinne des Pressegesetzes fungiert Ralf WOHLLEBEN,<br />
stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands und Vorsitzender<br />
des Kreisverbands Jena der NPD.<br />
Kampagnenzeitung „Jetzt reicht’s!“<br />
Im Rahmen der von der NPD durchgeführten Mitgliederkampagne<br />
wurden nach Eigenangaben 300.000 Exemplare einer unter dem<br />
Leitspruch „Jetzt reicht’́s!“ stehenden Kampagnenzeitung verbreitet.<br />
Das Blatt beinhaltete vorrangig Beiträge zur Familien- und Bildungspolitik<br />
und zu den Themen Kriminalität, Abwanderung, Ausbildung,<br />
Jugendarbeitslosigkeit sowie Förderung des Mittelstands.<br />
Um die Akzeptanz der Partei in den Kommunen zu erhöhen, ließen<br />
sich die Verfasser insbesondere zu den Auswirkungen auf die<br />
ländlichen Regionen aus.<br />
3.1.2.8 Der Landesverband intensiviert seine Arbeit<br />
Dem Landesverband gelang es im Berichtszeitraum, die Parteiarbeit<br />
weiter zu intensivieren. Wie in der Vergangenheit agitierte<br />
er insbesondere gegen das politische System der Bundesrepublik<br />
und die etablierten Parteien sowie die Politik der Länder und Kommunen.<br />
Dabei griff der Landesverband überwiegend wirtschafts-,<br />
sozial- und tagespolitische Themen in der Absicht auf, in den Städten<br />
und Gemeinden stärker als bisher hervorzutreten, Rückhalt in<br />
der Bevölkerung zu finden und als Sachwalter der „kleinen Leute“<br />
wahrgenommen zu werden. „Das soziale Thema ist die große<br />
Kampfstätte, wo wir uns auch in den neuen Bundesländern in den
nächsten Jahren sehen“, hatte ein parlamentarischer Berater der<br />
Fraktion der NPD in Sachsen bereits 2005 betont.<br />
In Vorbereitung auf das Wahljahr 2009 hatte der Landesverband<br />
seine Mitglieder und Kreisverbände bereits im Vorjahr zu verstärktem<br />
kommunalpolitischen Engagement angehalten. Es gelte u. a.,<br />
kommunalpolitische Angelegenheiten aufzugreifen und ihnen gegenüber<br />
Stellung zu beziehen, in Vereinen und gemeinnützigen<br />
Organisationen mitzuarbeiten, an Stadtrats- und Kreistagssitzungen<br />
teilzunehmen, die Lokalpresse und die politischen Kontrahenten<br />
zu beobachten sowie in der Region regelmäßig Präsenz<br />
zu zeigen, hieß es in einem Beitrag der „Thüringen Stimme“ vom<br />
September 2006. Wenn es der Partei gelänge, „kommunal Fuß zu<br />
fassen“ und sich „als unübersehbare politische Kraft in Thüringen<br />
zu etablieren“, sei 2009 der Einzug einer „nationalen Opposition“<br />
in den Erfurter Landtag realistisch, so die Verfasser.<br />
Seitdem setzt die Thüringer NPD verstärkt auf die Umsetzung der<br />
„Wortergreifungsstrategie“ und der „Graswurzelstrategie“.<br />
Die „Wortergreifungsstrategie“ zielt darauf ab, Stadt- und Gemeinderatssitzungen<br />
und weitere Veranstaltungen demokratischer Kräfte<br />
aufzusuchen, um diese durch verbale Intervention und Provokation<br />
im eigenen Sinne zu instrumentalisieren. Mitunter verhalten<br />
sich NPD-Vertreter dabei rhetorisch nicht ungeschickt und versuchen,<br />
Veranstalter und Besucher zu verunsichern. Dem Publikum<br />
gegenüber soll der Eindruck erzeugt werden, man werde ausgegrenzt<br />
und von Staat und Medien verfolgt. Kommen die Rechtsextremisten<br />
nicht zu Wort oder verweist man sie des Saales, stellen<br />
sie dies als Unfähigkeit der Demokraten, eine demokratische Auseinandersetzung<br />
zu führen, dar.<br />
Unter der „Graswurzelstrategie“ versteht man Bestrebungen von<br />
Rechtsextremisten, mit alltagsnaher Themenwahl und einem seriös-zivilen<br />
Auftreten zum integralen Bestandteil des gesellschaftlichen<br />
Lebens zu werden. Auch hier werden zur Untermauerung<br />
der gewählten Themen oft nur stark vereinfachende Argumente<br />
vorgetragen.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
41
42<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Engagement im vorpolitischen Raum<br />
Das vom Landesvorstand geforderte Engagement in Vereinen und<br />
gemeinnützigen Organisationen wurde im Berichtszeitraum erkennbar<br />
vom NPD-Kreisverband Erfurt-Sömmerda und dessen<br />
Vorsitzenden Kai-Uwe TRINKAUS umgesetzt. So gehören Mitglieder<br />
und Sympathisanten der NPD dem Verein „Schöner Leben in<br />
Erfurt e.V.“ an. Auf seiner Homepage bezeichnet sich der Verein<br />
als „Plattform, auf der sich verschiedene Gruppen, Verbände und<br />
Einzelpersonen vernetzen, um bei der nächsten Stadtratswahl eine<br />
starke Stimme aus der Mitte der Bürgerschaft ins Erfurter Rathaus<br />
zu senden“. Der Verein wolle ein überregionales Zeichen dafür<br />
setzen, dass „heimatverbundene Politik nicht länger an ‚politischer<br />
Korrektheit’ und demütiger Anpassung scheitert“, hieß es an anderer<br />
Stelle auf der Homepage des Vereins. 15 Zudem eröffnete der<br />
Kreisverband Mitte des Jahres ein „Bürgerbüro“ in Erfurt. Nach<br />
Eigenangaben finden Freunde und Interessierte hier sowohl die<br />
Geschäftsstelle des Kreisverbands als auch die des Vereins „Schöner<br />
Leben in Erfurt e.V.“<br />
Darüber hinaus trat der Kreisverband vor allem in Person seines<br />
Vorsitzenden durch zahlreiche provokative Aktivitäten im Raum<br />
Erfurt in Erscheinung, die zu einer breiteren öffentlichen Aufmerksamkeit<br />
verhelfen sollten. So wurden beispielsweise Namen politischer<br />
Gegner ins Internet gestellt, Mitgliedschaften bei politisch<br />
entgegenstehenden Parteien sowie bei Gewerkschaften beantragt,<br />
Veranstaltungen nichtextremistischer Kräfte aufgesucht und eine<br />
„Schulhof-CD“ vor einer Schule in Erfurt verteilt.<br />
Zudem seien NPD-Mitglieder der Anregung des Landesverbands<br />
gefolgt, Bewerbungen zur Jugendschöffenwahl 2008 einzureichen.<br />
Über Jugendschöffen könne die Partei einflussreicher denn je am<br />
15 Zur Vereinsproblematik siehe Kapitel 4.5.
gesellschaftlichen Prozess partizipieren und als Teil der Judikative<br />
junge Menschen entsprechend beeinflussen, wurde der Landesgeschäftsführer<br />
der NPD, Patrick WIESCHKE, zitiert.<br />
Schärfen des politischen Profils<br />
Zur Jahresmitte informierte die Partei über eine geplante Umfrage<br />
unter landwirtschaftlichen Betrieben. Hendrik HELLER, Mitglied<br />
des NPD-Landesvorstands und Leiter des dort angebundenen<br />
Referats „Naturschutz“, zeichnete für das Vorhaben verantwortlich.<br />
Über das Informationsblatt „Thüringen Stimme“ wurden alle<br />
NPD-Kreisverbände aufgefordert, dem Referat „Naturschutz“ die<br />
Anschriften möglichst vieler landwirtschaftlicher Betriebe zuzuleiten.<br />
Mit der Umfrage signalisierte die Partei, offenbar ein weiteres<br />
Aktions- und Agitationsfeld erschließen zu wollen. Bereits im Jahr<br />
zuvor hatte das beim NPD-Landesvorstand angesiedelte Referat<br />
„Wirtschaft und Mittelstand“ eine Arbeitsgruppe „Mittelstand“<br />
gebildet und Einladungen zu Unternehmerforen an Thüringer Unternehmer<br />
gerichtet. Beide Maßnahmen können als Versuche der<br />
Partei, ihr politisches Profil zu schärfen und sich als „einzige und<br />
ehrliche Mittelstandspartei“ zu geben, verstanden werden.<br />
Streben nach kommunalpolitischer Kompetenz<br />
Um nach den Kommunalwahlen 2009 in möglichst vielen Kommunalparlamenten<br />
in Fraktionsstärke vertreten sein zu können,<br />
werde sich die Thüringer NPD auf die Landkreiswahlen und die<br />
Gemeindewahlen in kreisfreien Städten konzentrieren. Darüber<br />
hinaus gehende Kandidaturen in Städten und Gemeinden solle es<br />
nur geben, sofern die Antrittsvoraussetzungen vorliegen, war einem<br />
Beitrag in der „Thüringen Stimme“ vom Dezember zu entnehmen.<br />
Zur Umsetzung dieses Ziels richtete die Partei im März und April<br />
mehrere Schulungsveranstaltungen aus. Im Mittelpunkt stand dabei,<br />
die Kreisverbände für dieses Anliegen zu gewinnen und sie insbesondere<br />
entsprechend zu befähigen. Die Schulungsreihe stützte<br />
sich u. a. auf die Schulungsunterlage „Basisgruppenarbeit in der<br />
NPD“. Diese beruht auf Erfahrungen, die einzelne Kreisverbände<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
43
44<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
der NPD und der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in verschiedenen<br />
Bundesländern bei ihrer praktischen Arbeit gesammelt haben.<br />
Die Schulungsunterlage diene als Hilfe zur Selbsthilfe, um Basisgruppen<br />
der NPD in die Lage zu versetzen, selbstständig einen<br />
Kommunalwahlkampf führen, Kommunalmandate erringen und<br />
nach dem Einzug in die Kommunalparlamente die neuen Aufgaben<br />
meistern zu können. Für das Jahr 2008 hat der Landesverband<br />
bereits ein Schulungsprogramm mit den Schwerpunkten „Politikschulung“,<br />
„Argumenteschulung“, „Rhetorikschulung“ und „Kommunalpolitikschulung“<br />
angekündigt. Der letztgenannte Block sieht<br />
u.a. Themen wie „Strukturen der Kommunen und Landkreise“,<br />
„Kommunalrecht“, „Möglichkeiten der NPD im Kommunalparlament“,<br />
„Handlungsstrategien zu einer bürgernahen Politik“ sowie<br />
„Umgang mit politischen Gegnern im Parlament“ vor.<br />
Als weitere Maßnahme hatte der Landesvorstand im Oktober die<br />
Bildung einer Arbeitsgemeinschaft (AG) beschlossen, die sowohl<br />
die strategische Ausrichtung des Wahlkampfes als auch die erforderlichen<br />
Vorbereitungsmaßnahmen konzipieren soll. Nachdem<br />
ein kleinerer Kreis aus Vertretern aller Kreisverbände die Vorarbeit<br />
geleistet habe, solle sich eine „Landesarbeitsgemeinschaft 2009“<br />
(LAG 09) konstituieren, hieß es in der „Thüringen Stimme“ vom<br />
Dezember. Dem Gremium werde in einer für Januar 2008 terminierten<br />
ersten Tagung ein „Masterplan 2009“ zur Diskussion vorgestellt.<br />
Insgesamt betrachtet gelang im Berichtsjahr die angestrebte „kommunale<br />
Verankerung“ nicht. Entsprechend nachdrücklich wurde die<br />
Forderung im Leitantrag auf dem Landesparteitag vorgetragen. 16<br />
Landesverband will möglicherweise mit eigener Liste zur<br />
Landtagswahl antreten<br />
Der „Deutschland-Pakt“ zwischen NPD und DVU sieht die Beteiligung<br />
der DVU an der Thüringer Landtagswahl 2009 vor. 17 Allerdings<br />
werden innerhalb der NPD und der „Freien Kräfte“ Stimmen<br />
lauter, die einen eigenen Wahlantritt der NPD fordern.<br />
16 Siehe Kapitel 3.1.2.6.<br />
17 Siehe Kapitel 3.1.1.3.
In der Dezemberausgabe der „Thüringen Stimme“ wurde angekündigt,<br />
hierzu mit der DVU sowohl auf Landes- als auch Bundesebene<br />
Gespräche führen zu wollen. Die Verfasser des Beitrages sehen die<br />
DVU in Thüringen weder sachlich noch personell in der Lage, die<br />
Kandidatur zu meistern. Wegen des anhaltenden Aufwärtstrends<br />
der NPD in Thüringen und der Erfolge der Partei bei der Bundestagswahl<br />
2005 plädieren sie für den Antritt der NPD. Den Partner<br />
DVU gelte es in den Gesprächen davon zu überzeugen, dass der<br />
Sinn des „Deutschland-Paktes“ am ehesten erfüllt werde, wenn die<br />
NPD in Zusammenarbeit mit der DVU und anderen nationalen<br />
Kräften in Thüringen das Ziel Landtagswahl ansteuere.<br />
Diese Position findet auch in Forderungen aus den Reihen der so<br />
genannten „Freien Kräfte“ Niederschlag. Es bleibe zu hoffen, so<br />
der Rechtsextremist Thomas GERLACH 18 in seiner Rede auf dem<br />
NPD-Landesparteitag im Dezember, dass die Bundespartei und die<br />
Thüringer NPD-Spitze gemeinsam mit der DVU die Chance 2009<br />
ergreife. GERLACH und andere „Freie Nationalisten“ jedenfalls<br />
stünden bereit.<br />
Der NPD-Landesverband Thüringen hat die ihn betreffende Vereinbarung<br />
im „Deutschland-Pakt“ offen in Frage gestellt. Insbesondere<br />
die eindeutige Aussage zur Lage der hiesigen DVU dürfte Gegenstand<br />
weiterer Diskussionen sein. Die eindeutige Positionierung<br />
der so genannten Freien Kräfte ist hierbei nicht unwesentlich. NPD<br />
und Neonazis eint im Freistaat trotz aller bestehenden Differenzen<br />
gegenwärtig vor allem die Hoffnung auf gemeinsame Erfolge<br />
im Wahljahr 2009. Sollte es zu keiner einvernehmlichen Lösung<br />
zwischen NPD und DVU kommen, dürfte die anstehende Thüringer<br />
Landtagswahl zu einer Zerreißprobe auch für das bundesweite<br />
Weiterbestehen der „Volksfront von Rechts“ werden.<br />
Bewertung und Ausblick<br />
Wenngleich die NPD in Thüringen insgesamt tagespolitisch aktueller<br />
geworden ist, erstreckte sich ihr übriges Steigerungspotenzial vorrangig<br />
auf quantitative Aspekte. Jedoch wurden auch hierbei längst<br />
nicht alle der für 2007 gesteckten Ziele erreicht. So ist die NPD<br />
18 Siehe Kapitel 4.4.1.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
45
46<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
nach wie vor nicht in allen Landkreisen mit Kreisverbänden vertreten,<br />
auch sind nicht alle Kreisverbände mit einer eigenen Netzseite<br />
im Internet präsent. Nach der personalintensiven und mit großem<br />
organisatorischen Aufwand betriebenen Mitgliederkampagne sind<br />
weitere bereits angekündigte Vorhaben wie die geplante Umfrage<br />
in landwirtschaftlichen Betrieben oder die Analyse der Mitgliederkampagne<br />
offenbar nicht oder nicht zeitnah umgesetzt worden.<br />
Letztlich werden der Zuwachs an Mitgliedern und die strukturelle<br />
Ausweitung der Partei für den Landesvorstand in erster Linie eine<br />
Herausforderung dahingehend sein, den Mangel an geeigneten<br />
Führungspersönlichkeiten zu beheben und die finanzschwachen<br />
Kreisverbände für eine qualitativ bessere Parteiarbeit vor Ort zu befähigen.<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass es der NPD kaum noch<br />
gelingt, in Thüringen geeignete Räumlichkeiten für Parteiveranstaltungen<br />
zu erhalten. So konnte der Landesverband seinen Landesparteitag<br />
nicht wie geplant am 13. Oktober durchführen. Ebenso<br />
dürfte die anlässlich der Mitgliederkampagne deutlich gewordene<br />
relativ geringe Außenwirkung der Parteiaktivitäten den Landesvorstand<br />
fordern. Strebt die Partei doch gerade mit Blick auf die Wahlen<br />
im Jahr 2009 eine stärkere mediale Präsenz an. Nicht zuletzt auch<br />
deshalb ist eine Intensivierung der öffentlich wahrnehmbaren Parteiarbeit<br />
in den kommenden beiden Jahren sehr wahrscheinlich.<br />
3.1.2.9 Veranstaltungen des Landesverbands<br />
Im Vergleich zum Vorjahr hat der Landesverband seine öffentlichen<br />
Aktionen um ein Vielfaches gesteigert. Im Mittelpunkt standen<br />
dabei Themen wie „Abwanderung“ und „Sozialabbau“. Allein<br />
während der von Mai bis Juli unter dem Tenor „Hier bleiben. Anpacken!“<br />
durchgeführten „Mitgliederkampagne 2007“ fanden ca.<br />
60 Informationsstände und mehr als 40 Kundgebungen statt. 19 Die<br />
Mehrzahl der öffentlichen Aktionen war in Kooperation mit dem<br />
neonazistischen Spektrum abgewickelt worden.<br />
Mit der fünften Kundgebung „Rock für Deutschland“ am 30. Juni<br />
in Gera und der zweiten Veranstaltung „Fest der Völker“ am 8. September<br />
in Jena hielt der Landesverband an seiner Strategie fest,<br />
rechtsextremistische Musik mit politischer Agitation zu verbinden.<br />
19 2006: 18 Mahnwachen und Informationsstände, 11 Demonstrationen.
Ziel ist es, mehr Teilnehmer für öffentlichkeitswirksame Aktionen<br />
der Partei zu gewinnen, die Akzeptanz der NPD im aktionsorientierten<br />
rechtsextremistischen Spektrum zu steigern und in der<br />
Öffentlichkeit größere Präsenz zu zeigen. Zu den Veranstaltungen<br />
waren Szeneangehörige aus dem gesamten Bundesgebiet und aus<br />
dem Ausland angereist. In Gera versammelten sich ca. 650 Personen.<br />
Die Veranstaltung in Jena war mit 1.400 Teilnehmern zugleich<br />
die größte Aktion der Partei seit mehreren Jahren.<br />
Die Veranstaltungsreihen „Fest der Völker“, „Rock für Deutschland“<br />
und „Thüringentag der nationalen Jugend“ dürften auch in<br />
den kommenden Jahren in der Agenda rechtsextremistischer Veranstaltungen<br />
einen hohen Stellenwert einnehmen. Insbesondere das<br />
„Fest der Völker“ mit Auftritten zahlreicher rechtsextremistischer<br />
Bands und Rednern aus dem In- und Ausland zieht vergleichsweise<br />
viele Rechtsextremisten an.<br />
Folgende Veranstaltungen der Thüringer NPD waren im Berichtszeitraum<br />
von besonderer Bedeutung:<br />
„6. Thüringentag der nationalen Jugend“ am 19. Mai in Eisenach<br />
Am 19. Mai fand in Eisenach unter dem Motto „Hier bleiben und<br />
anpacken – Thüringens nationale Jugend bleibt im Land!“ der<br />
„6. Thüringentag der nationalen Jugend“ statt. An der Veranstaltung<br />
nahmen bis zu 370 Personen teil. Für die Organisation zeichnete in<br />
diesem Jahr der NPD-Kreisverband Wartburgkreis, federführend dessen<br />
stellvertretender Vorsitzender und zugleich Geschäftsführer des<br />
NPD-Landesverbands Thüringen, Patrick WIESCHKE, verantwortlich.<br />
Neben Rednern aus den Reihen der Thüringer NPD traten ein rechtsextremistischer<br />
Liedermacher und zwei Skinheadbands auf.<br />
Thematischer Schwerpunkt der Veranstaltung war der Bevölkerungsrückgang<br />
in Thüringen und die damit verbundenen gesellschaftspolitischen<br />
Auswirkungen. Was Volkstod sei, hieß es in einem für die<br />
Veranstaltung verfassten Aufruf der NPD, nenne sich heute „demo-<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
47
48<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
graphischer Wandel“. Der Bevölkerungsrückgang gehe, meinen die<br />
Verfasser des Aufrufs, mit einer einsetzenden Überfremdung einher.<br />
Der Anteil von Migranten an der Bevölkerung belaufe sich in<br />
Thüringen zwar „lediglich“ auf 4,7 %; die schleichende Überfremdung<br />
habe aber auch in Berlin, Hessen und andernorts auf diese<br />
Weise begonnen. Die NPD wolle diesen „Wandel“ ebenso wenig<br />
wie einen Bevölkerungsaustausch: Sie setze im Gegensatz zu den<br />
etablierten Parteien auf eine Familien- und Bevölkerungspolitik, die<br />
nichts anderes als das Volk und seinen Erhalt im Blick habe.<br />
„1. Mai-Aufmarsch“ in Erfurt<br />
Am 1. Mai fand in Erfurt unter dem Motto „Zukunft statt Globalisierung<br />
– Arbeit für Millionen statt Profit für Millionäre“ eine Demonstration<br />
der NPD statt, für die auf zahlreichen Internetseiten<br />
der rechtsextremistischen Szene Thüringens sowie im Bundesgebiet<br />
mobilisiert worden war. Diese „Gemeinschaftsdemonstration<br />
mitteldeutscher NPD-Verbände und freier Kräfte“ sollte, wurde<br />
vom rechtsextremistischen Spektrum im Internet bekannt gegeben,<br />
neben „anderen Aktionen zum 1. Mai“ den Auftakt einer deutschlandweiten<br />
NPD-Kampagne gegen den G8-Gipfel vom 6. bis<br />
8. Juni in Heiligendamm sowie die „zentrale Demonstration für<br />
Mitteldeutschland“ am 1. Mai bilden.<br />
Zur Eröffnungskundgebung versammelten sich ca. 600 Personen<br />
des rechtsextremistischen Spektrums. Die Zahl der aus Thüringen,<br />
Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Bayern angereisten Rechtsextremisten<br />
stieg zeitweise auf ca. 1.000 an. Die Demonstration<br />
konnte nicht wie geplant verlaufen, da Gegendemonstranten die<br />
Aufzugsroute versperrten. Ebenso wenig konnten Ansprachen gehalten<br />
werden. Die Teilnehmer der Demonstration lehnten es ab,<br />
eine Standkundgebung durchzuführen. Sie wollten den Aufmarsch<br />
erzwingen, indem einige unter ihnen die Polizeiabsperrung zu<br />
durchbrechen suchten. Nachdem sie die eingesetzten Polizeibeamten<br />
mit Flaschen und Steinen beworfen hatten, wurde die Veranstaltung<br />
verboten, der Versammlungsraum danach geräumt.<br />
Die Demonstration in Erfurt übertraf hinsichtlich der Teilnehmerzahl<br />
alle vergleichbaren Veranstaltungen, die vom rechtsextremistischen<br />
Spektrum seit mehr als 10 Jahren in Thüringen organisiert
wurden. Sie dürfte insbesondere deshalb einen großen Zulauf<br />
aus Mitteldeutschland gefunden haben, da die üblicherweise in<br />
Leipzig durchgeführte 1. Mai-Demonstration des neonazistischen<br />
Spektrums abgesagt worden war.<br />
„Rock für Deutschland“ am 30. Juni in Gera<br />
In Fortsetzung der Veranstaltungsreihe „Rock für Deutschland” fand<br />
am 30. Juni in Gera eine Kundgebung des NPD-Kreisverbands Gera<br />
unter dem Motto „Heimat ist mehr als nur ein Standort” mit ca.<br />
650 Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet statt. Rede-<br />
und Musikbeiträge wechselten sich ab. Im Internet war bundesweit<br />
über eine eigens eingerichtete Sonderseite mobilisiert worden.<br />
Seit dem Jahr 2003 organisiert der NPD-Kreisverband Gera, unterstützt<br />
von den „Freien nationalen Kräften Thüringens“, diese Veranstaltung,<br />
welche zusehends Anziehungskraft auf Szeneanhänger<br />
ausübt. Bereits in den Jahren 2005 und 2006 waren zwischen 600<br />
und 750 Teilnehmer zu verzeichnen.<br />
NPD-Demonstration am 18. August in Jena<br />
Unter dem Motto „Weg mit den Volksverhetzungsgesetzen – Für<br />
Meinungsfreiheit“ demonstrierten am 18. August ca. 380 Rechtsextremisten<br />
in Jena. Für den organisatorischen Ablauf zeichneten der<br />
NPD-Kreisverband Jena und Personen aus den Reihen der „Freien<br />
Nationalisten“ verantwortlich. Die Veranstaltung zählte zu den größeren<br />
Kundgebungen, die 2007 im Bundesgebiet mit Bezug zum<br />
Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf HEß stattfanden. Neben<br />
Angehörigen der rechtsextremistischen Szene Thüringens reisten<br />
auch Szeneanhänger aus Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen,<br />
Sachsen-Anhalt und Brandenburg zur Demonstration an.<br />
„Fest der Völker“ am 8. September in Jena<br />
Am 8. September veranstaltete der NPD-Kreisverband Jena unter<br />
dem Motto „2. Fest der Völker – für ein Europa der Vaterländer“<br />
in Jena eine Kundgebung, an der sich etwa 1.400 Personen aus<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
49
50<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
der gesamten Bundesrepublik und einer Reihe von europäischen<br />
Ländern beteiligten. Sie war von Ralf WOHLLEBEN, Vorsitzender<br />
dieses Kreisverbands und stellvertretender Landesvorsitzender der<br />
NPD, angemeldet und gemeinsam mit führenden Aktivisten der<br />
„Freien Kräfte“ sowohl organisiert als auch durchgeführt worden.<br />
Während der Veranstaltung traten zahlreiche Redner und mehrere<br />
rechtsextremistische Bands aus Deutschland und dem europäischen<br />
Ausland auf.<br />
Das in diesem Jahr organisierte „Fest der Völker“ sei, hoben die<br />
Veranstalter im Internet hervor, das „größte Treffen Nationaler<br />
Sozialisten und Demokraten seit 1992 in Thüringen“ gewesen,<br />
hätten an ihm doch „ca. 1.700 bis 2.000 freiheitsliebende Europäer“<br />
teilgenommen. Die „von Linksfaschisten und Antidemokraten<br />
befürchtete – und sich entwickelnde – Europäische Front“,<br />
betonten die Veranstalter, bestehe längst. In der nächsten Zeit solle<br />
unter Beweis gestellt werden, dass es „einen europäischen Kampfbund<br />
gebe, der auch bereit und in der Lage ist, europaweit zu<br />
agieren“.<br />
Im Vorfeld der Veranstaltung hatte die NPD am 7. September im<br />
„Bürgerhaus“ in Jena eine Pressekonferenz abgehalten, an der der<br />
Bundesvorsitzende Udo VOIGT, der stellvertretende Bundesvorsitzende<br />
Holger APFEL, der Vorsitzende des Landesverbands Thüringen,<br />
Frank SCHWERDT, der Geschäftsführer des Landesverbands,<br />
Patrick WIESCHKE, sowie der Vorsitzende des Landesverbands<br />
Thüringen der DVU, Walter BECK, mitwirkten.<br />
3.1.3 „Junge Nationaldemokraten“ (JN)<br />
3.1.3.1 Der Bundesverband der JN<br />
Mit den JN verfügt die NPD als einzige der rechtsextremistischen<br />
Parteien über eine zahlenmäßig relevante Jugendorganisation. Sie<br />
wurde 1969 gegründet und bildet einen „integralen Bestandteil der<br />
NPD“. Die JN sehen sich als „nationalistische Jugendbewegung<br />
Deutschlands“ mit „revolutionärer Ausrichtung“ an. Sie bekennen<br />
sich zur „Volksgemeinschaft“, die sie in „einer neuen nationalistischen<br />
Ordnung“ verwirklichen wollen.
Am 6. Oktober wurde im Rahmen des Bundeskongresses Michael<br />
SCHÄFER zum neuen Bundesvorsitzenden der JN gewählt. Kraft<br />
seines Amtes ist er zugleich Mitglied des Parteivorstands der NPD.<br />
Die Wahlentscheidung spricht für das Bemühen der JN, sich deutlicher<br />
von der NPD abzugrenzen und ein eigenständigeres Profil zu<br />
erlangen. Es ist zu erwarten, dass der Verband verstärkt die Nähe<br />
zu den „Freien Kräften“ suchen wird. SCHÄFER kündigte in einem<br />
Interview in der Dezemberausgabe der NPD-Parteizeitung „Deutsche<br />
Stimme“ bereits an, die JN solle in den nächsten Jahren zu<br />
„einer modernen und schlagkräftigen nationalistischen Jugendorganisation“<br />
werden. Man wolle der Jugend einen sozialistischen,<br />
nationalen und völkischen „Befreiungsnationalismus“ vermitteln.<br />
Der neugeschaffene „Nationale Bildungskreis“ (NBK) werde flächendeckend<br />
Schulungsarbeit durchführen, um so den „Kampf um<br />
die Köpfe“, die „intellektuelle Aufrüstung“ der Bewegung zu verwirklichen.<br />
Im Berichtszeitraum waren die JN mit der Herausgabe von Publikationen<br />
um Öffentlichkeit bemüht. So erschien die bundesweite<br />
JN-Mitgliederzeitschrift „Der Aktivist. Zentralorgan der Jungen<br />
Nationaldemokraten“ wieder. Die NPD/JN-Landesverbände Berlin<br />
und Brandenburg verteilten eigenen Angaben nach an Schulen in<br />
Berlin und Brandenburg die gemeinsam erstellte Schülerzeitung<br />
„Stachel“, in der nach NPD-üblicher Manier rechtsextremistisches<br />
Gedankengut mit jugendspezifischen Themen verwoben wurde. In<br />
der zweiten Jahreshälfte unterband die Staatsanwaltschaft Dresden<br />
die Verteilung der vom JN-Landesverband Sachsen erstmals herausgegebenen<br />
Schrift „perplex“. Auch in Rheinland-Pfalz waren<br />
mit der Publikation „Schinderhannes“ und im Saarland mit „Rechts<br />
vor Links“ Schülerzeitungen der JN verbreitet worden.<br />
Wenngleich die JN seit der als richtungsweisend geltenden Wahlentscheidung<br />
vom Oktober einige Landesverbände und regionale<br />
Stützpunkte gegründet haben, ist es ihnen bisher nicht gelungen,<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
51
52<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
die Organisation spürbar wiederzubeleben und das Personenpotenzial<br />
zu steigern. Die Zahl ihrer Mitglieder dürfte sich bundesweit<br />
auf ca. 400 belaufen.<br />
3.1.3.2 Der Thüringer Landesverband der JN<br />
Den JN ist es bisher in Thüringen kaum gelungen, eigene politische<br />
Akzente zu setzen, um sich von der NPD zu „emanzipieren“<br />
und als eigenständige Organisation neben der NPD wahrgenommen<br />
zu werden. Dem JN-Landesverband Thüringen gehören etwa<br />
30 Mitglieder an (Eigenangabe 50). Derzeit existieren in Thüringen<br />
vier JN-Stützpunkte in Erfurt, Jena, Weimar und Hildburghausen,<br />
von denen lediglich jene in Erfurt und Jena Aktivitäten entfalten.<br />
Am 10. Februar veranstaltete der Landesverband der JN unter dem<br />
Motto „Wir tragen das Vaterland im Herzen“ in Kleindembach<br />
(Saale-Orla-Kreis) einen „Landesjugendtag“. An der Veranstaltung<br />
sollen Eigenangaben zufolge ca. 150 Personen teilgenommen haben,<br />
unter denen sich auch Friedhelm BUSSE, ein Neonazi aus<br />
Bayern, Stefan ROCHOW, damaliger Bundesvorsitzender der JN,<br />
sowie Udo PASTÖRS, Fraktionsvorsitzender der NPD im Landtag<br />
von Mecklenburg-Vorpommern, befanden. Im Rahmen der Veranstaltung<br />
wurde der Landesvorstand neu gewählt. Als Vorsitzender<br />
fungiert nunmehr Christian KAISER, der den Stützpunkt in Jena leitet,<br />
als dessen Stellvertreter der JN-Stützpunktleiter Erfurt, Dominik<br />
WEINLICH. KAISER formulierte als Ziel, die „Jugendarbeit in Thüringen<br />
strukturell und personell voranzutreiben“, dem Verband<br />
ein „eigenes Profil“ zu geben und „eine weltanschaulich gefestigte<br />
und idealistische Jugend zu formen“.<br />
Die Thüringer JN traten im Berichtszeitraum mit zahlreichen Flugblattverteilaktionen<br />
in Erscheinung. Der JN-Stützpunkt Erfurt streute<br />
im Februar Flyer u. a. mit der Aufschrift „Vor 63 Jahren fiehlen<br />
keine Papierschnipsel vom Himmel … 20. Februar 1944 – ERFURT<br />
– unvergessen“ und „Wir gedenken allen Opfern! Kein Vergeben<br />
– Kein Vergessen!“ 20 . Darüber hinaus organisierte insbesondere<br />
der JN-Stützpunkt Erfurt zahlreiche demonstrative Aktionen in Kooperation<br />
mit dem örtlichen NPD-Verband. So fand am 17. Au-<br />
20 Fehler im Original.
gust auf dem Erfurter Anger unter dem Motto „Meinungsfreiheit<br />
wiederherstellen – Weg mit den Volksverhetzungsgesetzen!“ eine<br />
gemeinschaftlich initiierte Mahnwache statt.<br />
Für das Jahr 2008 haben die JN in Thüringen angekündigt, ihre<br />
Kader regelmäßig zu verschiedenen Themen schulen, eigenes Informationsmaterial<br />
erstellen und dieses vor Schulen verteilen zu<br />
wollen. Neben der Herausgabe einer JN-Schülerzeitung für Thüringen<br />
wurde ein verstärktes Tätigwerden an Schulen und Jugendclubs<br />
angekündigt.<br />
3.2 „Deutsche Volksunion“ (DVU)<br />
3.2.1 Der Bundesverband der DVU<br />
Bund Thüringen<br />
Gründungsjahr 1987 1991<br />
Sitz München Oldisleben<br />
Mitglieder<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
ca. 9.000<br />
ca. 8.500<br />
ca. 7.000<br />
Publikation „National-Zeitung/<br />
Deutsche Wochenzeitung“<br />
(NZ)<br />
Internet eigener<br />
Internetauftritt<br />
ca. 80<br />
ca. 60<br />
ca. 50<br />
kein eigener<br />
Internetauftritt<br />
vorhanden 21<br />
Die DVU wurde 1987 22 in München unter dem Namen „Deutsche<br />
Volksunion-Liste D“ (DVU-Liste D) gegründet und 1991 durch<br />
Satzungsänderung in „Deutsche Volksunion“ (DVU) umbenannt.<br />
21 Auf der Internetseite des Bundesverbands findet sich ein Hinweis auf den Landesverband.<br />
22 DVU e.V. 1971 als Verein gegründet, 1987 als Partei konstituiert, 1987 – 1991 „DVU-Liste D“.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
53
54<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Über viele Jahre war sie die mitgliederstärkste rechtsextremistische<br />
Partei Deutschlands. Im Berichtszeitraum ist die Partei mit nunmehr<br />
ca. 7.000 Mitgliedern – einschließlich des DVU e.V. und weiterer<br />
Nebenorganisationen – knapp hinter die NPD zurückgefallen. In<br />
allen Bundesländern verfügt die Partei über Landesverbände. Gegenwärtig<br />
ist sie in Brandenburg im Landesparlament vertreten.<br />
Bei den Wahlen in Bremen am 13. Mai konnte die DVU ihren Sitz<br />
in der Bremer Bürgerschaft verteidigen. Der einzige Abgeordnete<br />
hatte jedoch im Juli die DVU-Mitgliedschaft aufgegeben.<br />
Im Gegensatz zur NPD gelang es der DVU auch 2007 nicht, durch<br />
den „Deutschland-Pakt“ an Attraktivität innerhalb der rechtsextremistischen<br />
Szene zu gewinnen und den seit Jahren andauernden<br />
Mitgliederverlust aufzuhalten. Aufgrund der Inaktivität einzelner<br />
Landesverbände fällt es der DVU zunehmend schwer, sich der NPD<br />
als gleichwertiger Partner im „Deutschland-Pakt“ zu präsentieren.<br />
Die Partei wird von Dr. FREY zentralistisch<br />
geführt. Sein bedingungsloser<br />
Machtanspruch lässt den<br />
Dr. Gerhard Frey<br />
Unterorganisationen keinen Handlungsspielraum<br />
für eigene Initiativen<br />
und selbstständige politische Arbeit.<br />
Nach wie vor ist die DVU bei ihrem<br />
Vorsitzenden hoch verschuldet.<br />
FREY – in Personalunion Vorsitzender<br />
und Kreditgeber der Partei – besitzt<br />
eine ungewöhnliche Machtfülle. Er ist faktisch zugleich deren<br />
Chefideologe und -stratege, alleinige Entscheidungsinstanz in Sachund<br />
Personalangelegenheiten, einzig befugtes Sprachrohr und nicht<br />
zuletzt ihr oberster Spendeneintreiber und Großfinanzier.<br />
Das Programm der DVU ist bewusst vage gehalten, um die extremistische<br />
Zielsetzung zu verschleiern und möglichst wenig Angriffsfläche<br />
zu bieten. In dem inoffiziellen Parteiorgan „National-Zeitung/<br />
Deutsche Wochenzeitung“ tritt die rechtsextremistische Ausrichtung<br />
weitaus deutlicher zu Tage. In dem Blatt werden typische rechtsex-
tremistische Agitationsfelder unter dem Blickwinkel eines übersteigerten<br />
Nationalismus aufgegriffen. Besondere Schwerpunkte bilden<br />
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiamerikanismus sowie<br />
ein umfassender Revisionismus. Ausländer und Juden werden<br />
pauschal diskreditiert und als antideutsche Feindbilder dargestellt.<br />
3.2.2 Der Thüringer Landesverband der DVU<br />
Der 1991 gegründete Thüringer Landesverband der DVU steht seit<br />
2003 unter der Leitung von Walter BECK. Wenngleich der Verband<br />
über mehrere Kreisverbände verfügt, bleiben die Aktivitäten der Parteimitglieder<br />
meist auf den Bezug der wöchentlich erscheinenden DVU-<br />
Publikation sowie den gelegentlichen Besuch der „Politischen Stammtische“<br />
beschränkt. Eine kontinuierliche Parteiarbeit hat sich nicht zuletzt<br />
wegen des autoritären Führungsstils des Bundesvorsitzenden, der den<br />
Parteiuntergliederungen kaum Freiräume für eigene politische Arbeit<br />
lässt, nie entwickelt. Der Mangel an engagierten Mitgliedern gepaart<br />
mit dem Unvermögen, den stetigen Mitgliederrückgang zu stoppen,<br />
lässt den Landesverband, dem im Berichtszeitraum noch etwa 50 Personen<br />
zugerechnet wurden, zunehmend orientierungslos erscheinen.<br />
Kontakte zur NPD bestehen vorwiegend über den DVU-Landesvorsitzenden<br />
Walter BECK, der selbst an einzelnen NPD-Veranstaltungen<br />
teilnahm. Seine Anwesenheit bei der NPD-Pressekonferenz<br />
zum „Fest der Völker“ in Jena wurde von den „Freien Kräften“ begrüßt.<br />
Zeige sie doch, dass sich die DVU in Thüringen „inzwischen<br />
offener in Richtung nationaler und sozialistischer Bestrebungen<br />
organisiert“ und „mit allen Kräften des volkstreuen Lagers kooperiert“.<br />
BECK war zudem auf dem Landesparteitag der NPD am 8.<br />
Dezember als Gast zugegen. Einen noch höheren Bekanntheitsgrad<br />
erlangte der DVU-Funktionär Uwe BÄZ-DÖLLE. Seit 1999 amtiert<br />
er als Beisitzer im Landesvorstand der DVU, die er im Stadtrat von<br />
Lauscha vertritt. Aufgrund seines kommunalpolitischen Engagements<br />
erlangte er gewisse Akzeptanz in der dortigen Bevölkerung.<br />
Wie BECK unterhält BÄZ-DÖLLE gute Kontakte zur NPD, aber auch<br />
zum lokalen neonazistischen Spektrum. Beide DVU-Funktionäre<br />
traten im Jahr 2005 auf der Liste der NPD zur Bundestagswahl an.<br />
Innerhalb des rechtsextremistischen Lagers kommt der DVU dennoch<br />
nur ein geringer Stellenwert zu. Die einzelnen Kooperati-<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
55
56<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
onen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage der<br />
Partei als desolat eingeschätzt und der DVU die Kandidatur zur<br />
Landtagswahl nicht zugestanden wird. Die daraus möglicherweise<br />
erwachsenden Auseinandersetzungen könnten den Fortbestand<br />
der „Volksfront von Rechts“ gefährden.<br />
3.3 „Deutsche Partei“ (DP)<br />
3.3.1 Der Bundesverband der DP<br />
Bund Thüringen<br />
Gründungsjahr 1993 2003<br />
Sitz Erfurt Zella-Mehlis<br />
Mitglieder<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
ca. 500<br />
ca. 500<br />
ca. 250<br />
Publikation „Deutschland Post“<br />
Internet eigener Internetauftritt<br />
des Bundesverbands<br />
und mehrerer<br />
Landesverbände<br />
ca. 20<br />
ca. 15<br />
unter 10<br />
kein eigener<br />
Internetauftritt<br />
Die DP wurde am 9. Mai 1993 (wieder) gegründet. Als ihr Bundesvorsitzender<br />
amtierte von 2001 bis Anfang 2005 Dr. Heiner KAP-<br />
PEL. Ein interner Richtungsstreit zog die Abwahl KAPPELs im Januar<br />
2005 nach sich. Ab Mai 2005 fungierten Claudia WIECHMANN<br />
(Sachsen-Anhalt) und Ulrich PÄTZOLD (Bayern) als gleichberechtigte<br />
Bundesvorsitzende.<br />
Bei dem am 24. Juni in Neuhof-Rommerz (Hessen) durchgeführten<br />
Bundesparteitag der DP gelang es nicht, die seit Monaten andauernden<br />
internen Streitigkeiten um die Führung der Partei zu been-
den. Der Parteitag war aufgrund eines im März vor dem Verwaltungsgericht<br />
Wiesbaden geschlossenen Vergleichs zwischen den<br />
amtierenden Bundesvorsitzenden WIECHMANN und PÄTZOLD<br />
einerseits und dem ehemaligen Bundesvorsitzenden Dr. KAPPEL<br />
andererseits notwendig geworden. Zum neuen Bundesvorsitzenden<br />
wurde mit Alfred KUHLEMANN (Niedersachsen) ein Anhänger<br />
KAPPELs gewählt. Damit haben sich scheinbar jene Kräfte in der<br />
Partei durchgesetzt, die eine Kooperation mit der NPD ablehnen.<br />
Die DP, der Ende 2007 bundesweit nur noch etwa 250 Mitglieder<br />
angehörten, gliedert sich in mehrere Landesverbände, die teils inaktiv<br />
sind oder zumindest über keine gefestigten Strukturen verfügen.<br />
Der Partei gelang es im Berichtzeitraum nicht, den sich abzeichnenden<br />
Auflösungserscheinungen entgegenzusteuern. Der innerparteiliche<br />
Richtungsstreit um eine mögliche Kooperation mit anderen<br />
national gesinnten Gruppierungen/Parteien und die zurückliegenden<br />
persönlichen Auseinandersetzungen haben die DP in ihrer Substanz<br />
ausgebrannt. Die Vielzahl der damit verbundenen Parteiaustritte<br />
lässt den weiteren Bestand der Partei fraglich erscheinen.<br />
Bei der DP liegen tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische<br />
Bestrebungen vor, wenngleich nicht jedes Mitglied verfassungsfeindliche<br />
Ziele verfolgt. Der Agitation der Partei liegen<br />
unterschwellig fremdenfeindliche Denkmuster zugrunde, die sich<br />
gegen die Zuwanderung von Ausländern richten.<br />
3.3.2 Der Thüringer Landesverband der DP<br />
Der Landesverband wurde 2003 gegründet, als dessen Vorsitzender<br />
amtiert seither Kurt HOPPE. Der anhaltende interne Richtungsstreit<br />
im Bundesvorstand lähmte auch im Berichtszeitraum die Parteiarbeit<br />
im Landesverband. Die ohnehin geringe Mitgliederzahl<br />
ging von etwa 15 Personen im Jahr 2006 im Berichtszeitraum auf<br />
unter 10 zurück. Einzig Kurt HOPPE und Christian BÄRTHEL engagierten<br />
sich aktiv auch in anderen rechtsextremistischen Zusammenhängen<br />
in Thüringen.<br />
Anders als auf Bundesebene befürworten die Mitglieder des Thüringer<br />
Landesverbands der DP eine Zusammenarbeit mit anderen<br />
rechtsextremistischen Parteien/Organisationen. Dies drückt sich in<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
57
58<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
ihren engen Kontakten zur NPD bzw. zum neonazistischen Spektrum<br />
aus. So beteiligte sich der Landesvorsitzende der DP aus Anlass<br />
des Volkstrauertages am 18. November als stellvertretender<br />
Versammlungsleiter und Redner an einer Gedenkfeier des rechtsextremistischen<br />
Spektrums am Soldatengrab auf der Schmücke bei<br />
Oberhof.<br />
4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus)<br />
4.1 Ideologischer Hintergrund<br />
Die Neonaziszene verfügt ebenso wenig über eine einheitliche,<br />
in sich geschlossene Ideologie wie der „historische Nationalsozialismus“.<br />
Die Ansichten der Neonazis setzen sich aus ideologischen<br />
Versatzstücken nationalsozialistischer und gewaltverherrlichender<br />
Rhetorik und Symbolik sowie subkulturellen Elementen<br />
zusammen. Die Übergänge zwischen der politisch-ideologisch geprägten<br />
Neonaziszene einerseits und dem subkulturell geprägten<br />
Spektrum andererseits sind fließend, es bestehen starke personelle<br />
Überschneidungen. Was den meisten Neonazis an weltanschaulich-ideologischem<br />
Wissen fehlt, wird von ihnen durch eine provozierende<br />
und aggressive Haltung nach außen kompensiert. Da<br />
sich Neonazis auf führende Personen der nationalsozialistischen<br />
Diktatur, auf deren Symbole und Riten berufen, geht von ihnen ein<br />
hohes Provokationspotenzial aus.<br />
Neonazis betrachten ihre Umwelt aus der Sicht rassistisch unterlegter<br />
„Freund-Feind“-Kategorien. Sie sind der Überzeugung, sich<br />
in einem permanenten Kampf gegen das angeblich übermächtige<br />
„Weltjudentum“ zu befinden, das sie Außenstehenden gegenüber<br />
mit der Kurzformel ZOG 23 verschleiern. Ihrer Ansicht nach werden<br />
die westlichen Regierungen – insbesondere die der USA und<br />
Deutschlands – vom „internationalen Finanzjudentum“ gesteuert<br />
und unterstützten dessen Streben nach der Weltherrschaft. Als<br />
Chiffre für diese Behauptung wird von ihnen der Begriff „amerikanische<br />
Ostküste“ verwendet.<br />
23 ZOG steht für „Zionist Occupied Government“ („zionistisch beherrschte Regierung“).
4.2 Organisationsformen der Neonaziszene<br />
im Allgemeinen<br />
Neonazis sind in einer Vielzahl rechtsextremistischer Organisationen<br />
und Gruppierungen sowie meist regional und in lockeren Strukturen<br />
organisiert. Nachdem Anfang der neunziger Jahre mehrere<br />
neonazistische Organisationen verboten worden waren, reagierten<br />
die Neonazis mit zwei verschiedenen Gegenstrategien. Auf der Suche<br />
nach Organisationsformen fand sich ein Teil der Neonazis, die<br />
sich selbst als „Freie Nationalisten“ bezeichnen, in unabhängigen<br />
Kameradschaften („Organisierung ohne Organisation“) zusammen.<br />
Andere Neonazis wählten das „legale Dach“ der NPD als Unterschlupf<br />
und nutzten deren Parteienprivileg für eigene Aktionen.<br />
Konzept der „Freien Kameradschaften“<br />
Die dominierende Organisationsform der Neonaziszene bildete<br />
viele Jahre die „Freie Kameradschaft“. Kameradschaften existieren<br />
in fast allen Bundesländern, obwohl selbst führende Neonazis in<br />
den letzten Jahren der NPD beigetreten sind und sich dort engagieren.<br />
Die Parteianbindung hindert sie in der Regel nicht, weiter<br />
für die Kameradschaft aktiv zu bleiben. Das Konzept der „Freien<br />
Kameradschaften“ sieht vor, sowohl als kleine autonome Einheiten<br />
auf meist lokaler bzw. regionaler Ebene zu agieren als auch sich<br />
über technische und personelle Kontakte überregional zu vernetzen.<br />
Aufgrund ihres informellen Charakters sollen den Behörden<br />
weniger Angriffspunkte geboten werden, gegen die Kameradschaften<br />
vorzugehen. Obwohl Kameradschaften meist keine oder nur<br />
geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie dennoch<br />
kraft einer verbindlichen Funktionsverteilung deutlich strukturiert.<br />
Sie werden durch die Bereitschaft getragen, gemeinsam politische<br />
Arbeit in der Absicht zu leisten, neonazistisches Gedankengut zu<br />
verbreiten. Die Verfassungsschutzbehörden sprechen dann von einer<br />
neonazistischen „Kameradschaft“, wenn die jeweilige Gruppierung<br />
die folgenden Merkmale aufweist:<br />
• einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer<br />
Fluktuation,<br />
• eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung,<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
59
60<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
• eine zumindest rudimentäre Struktur und<br />
• die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis<br />
einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen<br />
Grundorientierung.<br />
Um die Beschränkung auf einen lokalen Wirkungskreis auszugleichen,<br />
werden hin und wieder Aktionsbündnisse und -büros gebildet.<br />
Diese sollen dazu beitragen, die Mobilisierung zu verbessern<br />
und gemeinsame Projekte zu entwickeln. Sie sind teils über Internetseiten<br />
vernetzt, werden aber – von Ausnahmen abgesehen<br />
– ihrem Koordinierungsanspruch nicht gerecht.<br />
„Autonome Nationalisten“ (AN)<br />
Seit einigen Jahren treten in einzelnen Bundesländern bei rechtsextremistischen<br />
Demonstrationen Personengruppen auf, die sich als<br />
„Autonome Nationalisten“ bezeichnen. Deren Kennzeichen sind:<br />
• militante Kampfformen („Schwarzer Block“ und Gewaltandrohungen<br />
gegen Polizei und Gegendemonstranten),<br />
• ein verändertes Outfit (schwarze Kleidung oder/und Vermummung),<br />
• die Verwendung modifizierter linksextremistischer Symbolik,<br />
• eine mit Anglizismen durchsetzte Sprache.<br />
Die AN verstehen sich dabei nicht als Organisation im klassischen<br />
Sinne, sondern als politische Strömung innerhalb der Neonaziszene.<br />
Nach dem im Internet veröffentlichten Selbstverständnis<br />
sehen sie sich als „revolutionäre Linksnationalisten“ oder auch<br />
„Nationalsozialisten“, die sich jedoch vom Hitlerismus distanzieren<br />
und stattdessen auf „sozialrevolutionäre (…) Aktivisten in der<br />
nationalsozialistischen Ursprungsbewegung“ Bezug nehmen. Die<br />
Einordnung in das „stereotype ‚links-rechts‘-Schubladendenken“<br />
lehnen die AN ab. Vielmehr definiere man sich „positiv über eventuell<br />
bestehende Interessenüberschneidungen“. Obwohl nicht an<br />
„bestehende Parteien, Organisationen und Strukturen gebunden“,<br />
stünden sie diesen „nicht unkooperativ gegenüber“. Darüber hinaus<br />
bekenne man sich zu einem „Menschenbild innerhalb des<br />
eigenen Volkes“, das die Gleichberechtigung der Frau anerkenne<br />
und sich gegen Sozialdarwinismus richte. Hinsichtlich der ge-
wählten „autonomen“ Aktionsform heißt es, der Verzicht auf straff<br />
durchorganisierte Gruppen erschwere staatlichen Stellen und dem<br />
politischen Gegner die Aufklärungsarbeit. „Das Konzept des politischen<br />
Soldaten ist der exekutiven Macht des Systems heute nicht<br />
mehr gewachsen. An seine Stelle tritt der politische Partisan, der<br />
sich unerkannt und anonym in der Gesellschaft, die er ablehnt,<br />
bewegt, um sie gezielt im Sinne der nationalen Revolution zu unterwandern.“<br />
Die AN verzeichnen bislang nur begrenzt personelle Zuwächse.<br />
Ihr Anteil an der bundesweiten Neonaziszene beläuft sich auf etwa<br />
zehn Prozent. Aufgrund der von ihnen praktizierten „Minimalkonsensideologie“,<br />
ihrer Offenheit gegenüber anderen Jugendsubkulturen<br />
und des erlebnisorientierten Politikstils gewinnen sie jedoch<br />
vornehmlich innerhalb der etablierten Neonaziszene Befürworter.<br />
Jugendcliquen/Mischszene 24<br />
Neben den angesprochenen Organisationsformen existieren weitere<br />
nahezu unstrukturierte Szenen, in denen Neonazis Aktivitäten<br />
entfalten. Diese bilden sich aus Mangel an attraktiven sozialen Alternativen<br />
vorrangig im ländlichen Raum. Zwischen jenen Cliquen<br />
und dem Bereich der subkulturell geprägten Rechtsextremisten bestehen<br />
keine klaren Trennlinien.<br />
Auch diese Jugendcliquen wählen mitunter die Bezeichnung „Kameradschaft“.<br />
In einigen Fällen wird der Zusammenhalt auch durch<br />
martialisch klingende Phantasienamen beschworen. Solche überwiegend<br />
regionalen, subkulturell geprägten Cliquen treffen sich<br />
u. a. in Privatwohnungen und Gaststätten, an Tankstellen, Garagenkomplexen<br />
und anderen öffentlichen Räumen. Ihre Mitglieder<br />
verfügen meist über eine rechtsextremistische Grundeinstellung.<br />
Im Vordergrund der Cliquen stehen jedoch gemeinsame Freizeitaktivitäten,<br />
die Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen<br />
und Konzerten sowie das gemeinschaftliche Auftreten. Den<br />
Cliquen mangelt es oft entweder an einem abgegrenzten Aktivistenstamm<br />
oder an einer zumindest rudimentären Struktur, die auch<br />
gebietet, sich dauerhaft zu engagieren. Die Anzahl der ihnen zu-<br />
24 Siehe auch Kapitel 5.3.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
61
62<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
gehörigen Personen schwankt. Mitunter fallen diese Cliquen durch<br />
provokatives Verhalten in der Öffentlichkeit auf, dessen Folgen<br />
auch Propagandadelikte, Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen<br />
sein können.<br />
4.3 Zusammenarbeit mit der NPD<br />
Der von der NPD proklamierte und von Teilen der Neonaziszene<br />
verwendete Begriff „Nationaler Widerstand“ bezeichnet den Willen<br />
von Rechtsextremisten, gemeinsam organisationsübergreifend gegen<br />
das politische System der Bundesrepublik und die sie tragenden<br />
Kräfte vorzugehen. Während des letzten Jahrzehnts war das Verhältnis<br />
zwischen NPD und Neonazis sowohl von Annäherung als auch<br />
von Abgrenzung gekennzeichnet. Im Jahr 2004 leitete die zwischen<br />
der NPD und Teilen der Neonaziszene getroffene Absprache, künftig<br />
offen zusammen zu arbeiten, eine neue Entwicklung ein. Sie<br />
erreichte in dem Konzept, die extreme Rechte in einer „Volksfront<br />
von Rechts“ zusammenzuschließen, ihren Höhepunkt. 25<br />
Das Neonazispektrum setze die Zusammenarbeit mit der NPD auch<br />
im Jahr 2007 fort. Trotz der weit gediehenen Kooperation brechen<br />
gelegentlich deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den<br />
„Freien Kräften“ und der Partei auf. Augenscheinlich wurde dies,<br />
nachdem das NPD-Präsidium im August einen „Abgrenzungsbeschlusses“<br />
gegenüber den „Autonomen Nationalisten“ veröffentlicht<br />
hatte. Daraufhin erklärte sich der weitaus größere Teil der<br />
deutschen Neonaziszene mit den „Autonomen Nationalisten“ solidarisch.<br />
Um die entstandenen Wogen zu glätten, sah sich die NPD<br />
schließlich gezwungen, ihre Aussagen teilweise zurückzunehmen.<br />
Sollte die NPD auch künftig Wahlerfolge vorweisen können, wird<br />
die Zahl derer, die eine weitere Zusammenarbeit mit der Partei<br />
befürwortet, dennoch überwiegen. Für die fortdauernde Attraktivität<br />
der „Volksfront von Rechts“ spricht zudem die Annäherung<br />
Christian WORCHs an die Partei im Rahmen des Wahlkampfes für<br />
die Landtagswahl 2008 in Niedersachsen. WORCH, bundesweit<br />
bekannter Neonazis aus Hamburg, gerierte sich bis vor kurzem<br />
noch als einer der größten Kritiker der NPD.<br />
25 Siehe Kapitel 3.1.1.3.
4.4 Personenpotenzial und Gruppierungen<br />
der Neonaziszene in Thüringen<br />
Die Zahl Thüringer Neonazis ging im Berichtszeitraum erneut zurück.<br />
Sie sank von ca. 200 Personen im Jahr 2006 auf ca. 160 Personen.<br />
Die bundesweite Entwicklung ist gegenläufig, hier war ein<br />
leichter Anstieg auf etwa 4.400 (2006: 4.200) Personen zu verzeichnen.<br />
Der Rückgang in Thüringen ist vor allem darin begründet,<br />
dass erneut Neonazis der NPD beitraten und sich nunmehr<br />
vorwiegend dort engagieren. Zahlreiche Neonazis gehören zugleich<br />
der NPD und einer Kameradschaft an.<br />
Die Thüringer Neonazis sind etwa zu 50 % zwischen 20 und 24<br />
und zu 25 % zwischen 25 und 30 Jahre alt; nur ca. 10 % sind älter.<br />
Etwa 15 % haben das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet. Der<br />
Frauenanteil liegt bei ca. 17 %.<br />
Soweit Thüringer Neonazis organisiert sind, handelt es sich dabei<br />
neben Mitgliedschaften in der NPD vor allem um Zugehörigkeiten<br />
zu Kameradschaften, Mischszenen oder sonstigen lockeren Personenzusammenschlüssen.<br />
Es existieren im Freistaat jedoch keine regional<br />
übergreifenden neonazistischen Strukturen. Zudem gibt es<br />
Neonazis, die ohne Organisationszugehörigkeit an entsprechenden<br />
Veranstaltungen der NPD oder des Neonazispektrums teilnehmen<br />
bzw. eigene Aktivitäten, wie die Gestaltung von Internetauftritten,<br />
entfalten.<br />
4.4.1 Kameradschaften<br />
Bundesweit bestehen etwa 160 Kameradschaften. In Thüringen<br />
wurden im Berichtszeitraum Aktivitäten folgender vier Kameradschaften<br />
bekannt:<br />
„Kameradschaft Eichsfeld“<br />
auch: „Kameradschaft Northeim“<br />
Sitz: Fretterode<br />
Mitglieder: ca. 20<br />
Führungsperson: Thorsten HEISE<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
63
64<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Die „Kameradschaft Northeim“ wurde 1995 vom Neonazi Thorsten<br />
HEISE gegründet. Seit er im Oktober 2002 von Niedersachsen<br />
nach Fretterode verzog, finden auf seinem Anwesen wöchentliche<br />
„Kameradschaftsabende“ statt, an denen in der Regel ca. 20 Personen<br />
teilnehmen. Über HEISE unterhält die Kameradschaft Kontakte<br />
zu Rechtsextremisten in anderen Bundesländern. Die Kameradschaftsangehörigen<br />
nehmen an szenetypischen Veranstaltungen<br />
auch außerhalb Thüringens teil. Im Freistaat trat die Kameradschaft<br />
öffentlich nur selten auf.<br />
HEISE zählt zu den bekanntesten<br />
deutschen Neonazis. Er war Landesvorsitzender<br />
der „Freiheitlichen<br />
Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) in<br />
Niedersachsen, die bis zu ihrem<br />
Verbot im Jahre 1995 über ein Jahrzehnt<br />
eine der auffälligsten Neonazi-Organisationen<br />
in der Bundesrepublik<br />
darstellte. HEISE betreibt<br />
den „W & B Versand“, einen Großhandel<br />
für Bild- und Tonträger, Geschenkartikel<br />
und Militärkleidung<br />
sowie einen Einzelhandel mit Wein<br />
und Spirituosen. Mit seinem Vertrieb<br />
ist er auch im Internet aktiv.<br />
Nachdem die NPD-Führung „Volks-<br />
Thorsten Heise<br />
front statt Gruppenegoismus“ propagierte,<br />
trat HEISE neben zwei weiteren bundesweit agierenden<br />
Protagonisten der Neonaziszene im September 2004 in die NPD<br />
ein. Kurze Zeit später erfolgte dann seine Wahl in den Bundesvorstand.<br />
Hier soll er als Bindeglied zwischen „Freien Kräften“<br />
und der NPD fungieren. Dies hatte in erster Linie bundespolitische<br />
Gründe, beeinflusste jedoch auch die Akzeptanz des Thüringer<br />
NPD-Landesverbands im neonazistischen Spektrum positiv.<br />
HEISE gehört seit Mai 2005 auch dem Landesvorstand an. Darüber<br />
hinaus ist er seit Mai 2007 stellvertretender Vorsitzender des neu<br />
gegründeten NPD-Kreisverbands Eichsfeld.<br />
Thorsten HEISE ist mehrfach vorbestraft. Das Landgericht Mühlhausen<br />
verurteilte ihn am 3. Juli in einem Berufungsverfahren we-
gen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten<br />
auf Bewährung. HEISE hatte die Produktion von im Februar 2003<br />
am Flughafen Frankfurt/Main sichergestellten 5.000 Tonträgern mit<br />
dem Titel „White Covers to Landser“ in Thailand in Auftrag gegeben,<br />
um sie in Deutschland zu verbreiten.<br />
Eine weitere Verurteilung in einem Berufungsverfahren wegen<br />
Volksverhetzung erfolgte am 14. Dezember durch das Landgericht<br />
Göttingen. HEISE war im Februar 2006 vom Amtsgericht Northeim<br />
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und der Ableistung<br />
von 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Er hatte<br />
im Jahr 2002 bei einem thailändischen Presswerk die Produktion<br />
von 3.000 Exemplaren der CD „Sturm 18 – Komm zu uns“ in Auftrag<br />
gegeben. Diese wurden im Mai 2002 bei der Einfuhr ins Bundesgebiet<br />
sichergestellt. Bereits im Jahr 2001 waren 3.000 identische<br />
CDs nach Deutschland eingeführt worden. Die nun drohende<br />
Haftstrafe wurde für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Darüber<br />
hinaus ordnete das Gericht einen Vermögensverfall in Höhe von<br />
insgesamt 15.510 € an.<br />
Im Rahmen eines laufenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft<br />
Frankfurt am Main wegen des Verdachts der Volksverhetzung<br />
im Zusammenhang mit der Produktion und dem Vertrieb<br />
strafrechtlich relevanter rechtsextremistischer Tonträger durchsuchten<br />
am 30. Oktober Beamte des Bundeskriminalamts (BKA),<br />
des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) und der Kriminalpolizeiinspektion<br />
(KPI) Nordhausen das Anwesen HEISEs in Fretterode.<br />
Es wurden Computer, Festplatten, CDs, diverse Unterlagen sowie<br />
mehrere Waffen, darunter eine scharfe Pistole, und Munition sichergestellt.<br />
„Kameradenkreis um Thomas GERLACH“<br />
auch: „Nationale Sozialisten Altenburger Land“<br />
Sitz: Region Altenburg<br />
Mitglieder: etwa 15<br />
Führungsperson: Thomas GERLACH<br />
Ende 2004/Anfang 2005 bildete sich die neonazistische Gruppierung<br />
„Nationale Sozialisten Altenburger Land“. Als Anführer<br />
der Gruppierung gilt der langjährige und mehrfach vorbestrafte<br />
Rechtsextremist Thomas GERLACH aus dem Raum Altenburg, der<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
65
66<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
sowohl der organisierten Neonaziszene als auch dem subkulturellen<br />
Spektrum zuzurechnen ist. Er bezeichnet sich als „Freier Nationalist“,<br />
der dem „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) ebenso<br />
angehört wie dem von Rechtsextremisten initiierten „Freundeskreis<br />
Halbe“ (FKH). Er verfügt über zahlreiche Kontakte zu Rechtsextremisten<br />
im In- und Ausland. Internetverlautbarungen zufolge<br />
reiste GERLACH im April als Vertreter des KDS erneut zu einem<br />
„Nationalisten-Treffen“ nach Lissabon. Darüber hinaus trat er im<br />
Juli als Redner beim „Kongress Freier Kräfte Europas“ in Leipzig<br />
in Erscheinung. Zum dortigen ca. 100 Personen umfassenden Teilnehmerkreis<br />
gehörten zahlreiche hochrangige Neonaziaktivisten<br />
aus dem europäischen Ausland. GERLACH kommuniziert zudem<br />
in zahlreichen rechtsextremistischen Internetforen.<br />
Nach eigener Aussage gehört GERLACH nicht der NPD an, unterhält<br />
aber enge Kontakte zum örtlichen NPD-Kreisverband Altenburger<br />
Land sowie zum Thüringer NPD-Landesverband. Für den<br />
örtlichen NPD-Kreisverband organisierte GERLACH in diesem Jahr<br />
Mitgliederversammlungen sowie mindestens eine Vortragsveranstaltung.<br />
Seit Juni sind die „Nationalen Sozialisten Altenburger Land“ in das<br />
Internetportal des „Freien Netzes“, welches sich als Zusammenschluss<br />
parteiunabhängiger Aktionsgruppen aus dem Raum Mitteldeutschland<br />
beschreibt, eingebunden. Dessen Schwerpunkt liege<br />
„in der vorgabenfreien Berichterstattung über Aktionen und Veranstaltungen<br />
sowie in der Verbreitung verschiedener Meinungen und<br />
Alternativen zum bestehenden System“.<br />
Am 17. August demonstrierten in Altenburg etwa 180 Rechtsextremisten<br />
aus dem Altenburger Land und den angrenzenden Bundesländern<br />
Sachsen und Sachsen-Anhalt unter dem Motto „Meinungsfreiheit<br />
schützen – gegen Polizeiwillkür“. Laut späteren<br />
Internetstatements habe die Veranstaltung verdeutlicht, „dass im<br />
Altenburger Land die Zusammenarbeit zwischen allen volkstreuen<br />
Kräften – ob nun parteiunabhängig oder parteigebunden – sehr gut<br />
funktioniert und das es hier auch Abseits von krampfhaften ‚Volksfronten’<br />
einzig und allein um das politische Ziel des Nationalen<br />
Sozialismus geht!“. 26<br />
26 Fehler im Original.
„Freie Kräfte Südthüringen“ (FKST)<br />
Sitz: Raum Südthüringen (Zella-Mehlis)<br />
Mitglieder: ca. 20<br />
Die FKST haben sich eigenen Angaben nach im März gegründet.<br />
In ihrem Internetauftritt stellen sich die FKST als „einen parteiunabhängigen<br />
Zusammenschluss von einigen politischen Organisationen<br />
und einzelnen Aktivisten im Raum Südthüringen“ dar. Die<br />
FKST wollen „durch radikale, aber gewaltfreie und legale Arbeit<br />
die Idee eines neuen Deutschlands in das Volk und in die Jugend<br />
tragen.“<br />
Waren anfangs lediglich Internetaktivitäten der FKST feststellbar,<br />
nahmen die Aktivisten seit Anfang Mai an einzelnen öffentlichkeitswirksamen<br />
Veranstaltungen der Neonaziszene teil. Bei Spontanveranstaltungen<br />
der NPD anlässlich des Verbots der „G8-Gegendemonstration“<br />
in Berlin und Lüneburg (Niedersachsen) waren<br />
ebenfalls Angehörige der FKST zugegen. Außerdem beteiligten sich<br />
einige Angehörige der FKST in Erfurt an einer NPD-Aktion anlässlich<br />
eines PDS-Infostandes sowie an zwei NPD-Veranstaltungen<br />
im Juni in Schmalkalden und Meiningen. Im Herbst führten die<br />
FKST eine Saalveranstaltung durch, bei der sie Selbstdarstellungen<br />
zufolge grundlegende, aber auch neue Strategien für einen noch<br />
effektiveren Widerstand behandelten. Sie gaben an, gezielter, regionaler<br />
und aktiver agieren zu wollen.<br />
„Braune Aktionsfront Thüringen“ (B.A.F.)<br />
Sitz: Region Weimar und Apolda<br />
Mitglieder: etwa 35<br />
Führungsperson: u. a. Martin RÜHLEMANN<br />
Seit 2003 tritt die Gruppierung „Braune Aktionsfront Thüringen<br />
– Sektion Weimar“ auf. Die Personen, die der Gruppierung zugehören,<br />
sind mit dem NPD-Kreisverband Weimar-Weimarer Land<br />
eng verbunden, da der Wortführer, Martin RÜHLEMANN, in die<br />
NPD eingetreten ist und seit 2005 auch dem Landesvorstand angehört.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
67
68<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Im Vergleich zu den Vorjahren waren die öffentlichkeitswirksamen<br />
Aktivitäten im Berichtszeitraum rückläufig. Am 11. April versammelten<br />
sich sieben Angehörige der rechtsextremistischen Szene<br />
auf dem Goetheplatz in Weimar. Sie führten ein Transparent, das<br />
die Aufschrift „In Gedenken an die zahlreichen Opfer des 11. April<br />
1945 durch Alliierten Terror“ trug, mit sich und verteilten themenbezogene<br />
Flugblätter. Am 18. August stellten Polizeikräfte an einem<br />
Wanderrastplatz in Weimar ca. 20 Angehörige der örtlichen<br />
rechtsextremistischen Szene bei einer als „Grillfeier“ deklarierten<br />
Zusammenkunft fest, bei der mehrere Tonträger rechtsextremistischer<br />
Musikgruppen sichergestellt wurden.<br />
Im Raum Apolda agiert die „Braune Aktionsfront Thüringen – Sektion<br />
Apolda“. Das dortige neonazistische Spektrum tritt u. a. auch<br />
unter den Bezeichnungen „Kameradschaft Apolda“ und „Jungsturm<br />
Apolda“ in Erscheinung. Der handelnde Personenkreis scheint jedoch<br />
weitestgehend identisch.<br />
Die „Kameradschaft Apolda“ zeichnete für die Mitte Februar verteilten<br />
Flyer unter dem Tenor „Vom Himmel kam die tödliche ‚Befreiung‘<br />
– Alles Gute kommt von oben“ verantwortlich. Die Verfasser<br />
werfen dem demokratischen Bündnis gegen <strong>Rechtsextremismus</strong><br />
vor, die Bombardierung Dresdens zu verharmlosen. Anlässlich des<br />
8. Mai verteilte sie in Apolda Aufkleber mit dem Slogan „8. Mai<br />
– Wir feiern nicht! Wir klagen an!“. Im Text hieß es „… veranstaltet<br />
weiterhin Tage wie den 8. Mai. (…) Ihr werdet uns niemals stoppen,<br />
denn die Wahrheit ist auf unserer Seite!“. Im Laufe des 8. Mai<br />
hatten Angehörige der örtlichen rechtsextremistischen Szene in<br />
Apolda einen Mahngang, der sich gegen rechtsextremistische Aufmärsche<br />
in Thüringen richtete, gestört.<br />
Am 17. November trat das neonazistische Spektrum erneut mit<br />
Flugblattverteilaktionen im Stadtgebiet Apolda in Erscheinung.<br />
In den Flyern der „Kameradschaft Apolda/Freie Nationalisten aus<br />
Apolda“ anlässlich des „Heldengedenktages“ heißt es: „Immer<br />
wenn wir an die Gräber der Toten treten, gedenken wir der deutschen<br />
Helden, die für Deutschland ihr Leben gaben. Doch an einem<br />
Wochenende im Jahr widmen wir uns ausschließlich dieser<br />
Pflicht. Es ist das Wochenende um den in der BRD so bezeichneten<br />
Volkstrauertag, für uns das Heldengedenken. Dieses ist für uns<br />
Symbol der Treue gegenüber den Gefallenen unseres Volkes. Den
Gefallenen, die den Tot vor Augen, immer wieder unglaubliche<br />
Leistungen besten Soldatentums hervorbrachten, als es um den<br />
Schutz unseres Volkes ging.“<br />
4.4.2 Sonstige Personenzusammenschlüsse<br />
Neben den aufgeführten Kameradschaften im engeren Sinne bestehen<br />
in Thüringen weitere lockere neonazistische Personenzusammenschlüsse,<br />
von denen rechtsextremistische Aktivitäten ausgehen.<br />
„Aktionsbündnis Erfurt“<br />
Im Februar präsentierte sich das bereits seit August 2006 aktive<br />
„Aktionsbündnis Erfurt“ erstmals im Internet. Verantwortlich hierfür<br />
zeichnet der Neonazi Patrick PAUL. In seiner Internetpräsenz<br />
stellt sich das „Aktionsbündnis Erfurt“ als Plattform „Nationaler<br />
Sozialisten“ vor, „auf der wir zusammenfinden, uns austauschen,<br />
organisieren und koordinieren“. Dem „Aktionsbündnis Erfurt“ lägen<br />
weder Parteistrukturen noch „Verwaltungsapparate“ zugrunde.<br />
Es setze sich aus mehreren Kameradschaften, Freundeskreisen und<br />
Einzelpersonen zusammen, die selbstständig bleiben, aber ihre<br />
Kräfte bündeln wollen.<br />
Der „Nationale Widerstand Erfurt“ stehe nach eigener Aussage auf<br />
zwei Beinen: „Jugendarbeit und kommunale Verankerung“. Das<br />
„Aktionsbündnis Erfurt“ übernehme die Jugend- und Schulungsarbeit<br />
der parteiungebundenen Kräfte. Unter dem Tenor „Dritter<br />
Weg“ wird die politische Vorstellung beschrieben: „Durch lokale,<br />
regionale und nationale Verwaltungs- und Versorgungsstrukturen<br />
soll die Allmacht der Hochfinanz durchbrochen und die Nation<br />
als Bollwerk gegen volksfeindliche Globalisierung gestellt werden.<br />
Der Austausch gleichwertiger und freier Völker und Staaten<br />
wird zu Bündnissen führen, in denen das Volkswohl, und nicht der<br />
Profit im Mittelpunkt steht. Statt einer Europäischen Union wäre<br />
eine europäische Eidgenossenschaft vorstellbar, in der regionale<br />
Bündnisse benachbarter Staaten von gegenseitiger Hilfe profitieren<br />
– aber in der deutsche Gelder, die im Bildungs- und Sozialwesen<br />
dringend fehlen, nicht als Anbauhilfen auf griechischen Äckern<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
69
70<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
versickern.“ In diesem Sinne hatte das „Aktionsbündnis Erfurt“ am<br />
25. Juli eine Kundgebung mit Infostand unter dem Motto „Freie<br />
Menschen ÜBERALL – Für eine Zukunft in den Farben der Völker“<br />
veranstaltet.<br />
„Hausgemeinschaft ‚Zu den Löwen‘“ in Jena-Lobeda<br />
Bei der „Hausgemeinschaft ‚Zu den Löwen‘“ handelt es sich um<br />
ein von Thüringer Rechtsextremisten genutztes Gebäude im Stadtteil<br />
Jena-Lobeda. Der Liedermacher Maximilian LEMKE hatte im<br />
September 2002 mit den Eigentümern einen über zehn Jahre laufenden<br />
Pachtvertrag geschlossen, der den Erwerb des Objekts nach<br />
Fristablauf ermöglicht. Die Räumlichkeiten werden für Vortragsabende,<br />
Kameradschaftstreffen, Schulungen oder Liederabende genutzt.<br />
Zudem sind in dem Gebäude die Geschäftsstellen des örtlichen<br />
NPD-Kreisverbands und des Landesverbands der „Jungen<br />
Nationaldemokraten“ beheimatet. Das von den Bewohnern selbst<br />
als „Hausgemeinschaft ,Zu den Löwen‘“ bzw. als „Braunes Haus“<br />
bezeichnete Objekt soll darüber hinaus als Anlaufstelle für Anhänger<br />
der rechtsextremistischen Szene wahrgenommen werden, um<br />
so deren Zersplitterung entgegenzuwirken.<br />
Seit November 2007 präsentiert sich das „Braune Haus“ mit einer<br />
aktualisierten Internetseite, für die der NPD-Kreisvorsitzende Ralf<br />
WOHLLEBEN verantwortlich zeichnet. Darin wird das Objekt als<br />
Anlaufstelle für organisierte und freie Nationalisten, als „Symbol<br />
des nationalen Aufbegehrens“ beschrieben. In dem zum Gebäudekomplex<br />
zählenden Wohn- und Schulungsobjekt „Zu den Löwen“,<br />
das den Angaben nach zugleich als Heimstätte einer Jenaer Burschenschaft<br />
dient, seien bisher 100 Veranstaltungen ausgerichtet<br />
worden.<br />
In Anspielung auf die am 9. November am „Braunen Haus“ in Jena<br />
vorbeigezogene Demonstration des „Aktionsbündnisses gegen<br />
Rechts“ schrieben Bewohner und Sympathisanten später im Internet:<br />
„Denn was immer sich die Feinde jeglicher deutscher Souveränität<br />
und Freiheit einfallen lassen, (...) gleich einer Welle gegen<br />
dieses Objekt und damit gegen uns anlaufen werden, es steht wie<br />
ein Fels und hinter diesem die unzähligen Kameraden und Kameradinnen,<br />
die mithelfen, auch in Jena ein Symbol des nationalen
Aufbegehrens zu etablieren. Ein Hoch auf die ersten 5 Jahre (…) es<br />
werden noch viele folgen …“. 27<br />
„Autonome Nationalisten“ in Thüringen<br />
An Demonstrationen in Thüringen nahmen mehrfach Rechtsextremisten<br />
teil, die schwarze Kleidung, Sonnenbrillen oder Kapuzen<br />
trugen, um sich unkenntlich zu machen. Anlässlich einer am<br />
18. August von der NPD und „Freien Kräften“ in Jena organisierten<br />
Demonstration trat eine Gruppierung in Erscheinung, die ein<br />
Transparent mit der Aufschrift „Die Straße gehört uns – Revolution<br />
hier-jetzt – Autonome Nationalisten Südthüringen“ mit sich führte.<br />
Darüber hinaus fiel diese Gruppierung durch Störversuche bei einzelnen<br />
Aktionen auf, die das linksextremistische Spektrum organisiert<br />
oder an denen es sich beteiligt hatte.<br />
Wegen ihrer grundsätzlichen Gewaltbereitschaft ist den „Autonomen<br />
Nationalisten“ verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen.<br />
Rechtsextremistische Jugendcliquen/Mischszene<br />
Neonazistische Aktivitäten gehen in Thüringen ebenfalls von Personenzusammenschlüssen<br />
und regional agierenden Aktivisten aus,<br />
die für Veranstaltungen jeweils ein bestimmtes Personenpotenzial<br />
aus ihrem Umfeld mobilisieren können. Im Internet, auf Transparenten<br />
und Flugblättern sowie als Unterstützergruppen für rechtsextremistische<br />
Aktivitäten erscheinen immer wieder Bezeichnungen<br />
wie „Freie Kräfte Erfurt“ (FKE), „Freie Aktivisten Erfurt“ (FAE),<br />
Projekt „Feenwald“, „Erfurter Bündnis gegen Gewalt“, „Kameradschaft<br />
Leinefelde“ und andere. Kameradschaften im engeren Sinne<br />
stellen sie nicht dar. Meist mangelt es ihnen an einem abgegrenzten<br />
Aktivistenstamm, einer erkennbaren Struktur oder an der<br />
Bereitschaft, gemeinsam politische Arbeit zu leisten – mithin an<br />
Merkmalen, die eine Kameradschaft kennzeichnen. Einige Gruppierungen<br />
sind mitunter rein fiktiver Natur, andere lediglich von<br />
kurzer Dauer. Sie stehen und fallen mit dem Engagement und der<br />
Überzeugungskraft ihres jeweiligen Wortführers.<br />
27 Fehler im Original.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
71
72<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
4.5 Exkurs: Vereinsaktivitäten von<br />
Thüringer Rechtsextremisten<br />
Bundesweit bestehen zahlreiche rechtsextremistische Vereine, die<br />
unterschiedliche Ziele verfolgen und historische, politische oder<br />
gesellschaftliche Themen aufgreifen. Viele von ihnen werden in<br />
Vereinregistern geführt. Auch Thüringer Rechtsextremisten gehören<br />
derartigen Vereinen, beispielsweise der „Hilfsorganisation für<br />
nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG)<br />
oder der „Heimattreuen Deutschen Jugend e.V.“ (HDJ), an.<br />
Etwa seit dem Jahr 2005 ist in Thüringen die Tendenz erkennbar,<br />
dass Neonazis und Angehörige der NPD Vereine im Freistaat<br />
gründen bzw. sich um Mitgliedschaften in Vereinen mit nichtextremistischer<br />
Ausrichtung bemühen. Insbesondere der Vorsitzende<br />
des NPD-Kreisverbands Erfurt-Sömmerda Kai-Uwe TRINKAUS tat<br />
sich bei zahlreichen Vereinsgründungen als Ideengeber und/oder<br />
Gründungsmitglied hervor.<br />
Ziele der rechtsextremistischen Vereinsarbeit<br />
Bei den von Rechtsextremisten im Freistaat gegründeten Vereinen<br />
handelt es sich um solche mit explizit rechtsextremistischer Motivation,<br />
aber auch um Sport- oder Geschichtsvereine mit zunächst<br />
unpolitischer Ausrichtung. Dabei nutzen Rechtsextremisten bewusst<br />
die Vorteile, die ein Verein aufgrund seiner Rechtsform und<br />
der daraus resultierenden Möglichkeiten bietet. Hierzu zählen<br />
vor allem finanzielle bzw. steuerliche Begünstigungen (Gemeinnützigkeit)<br />
sowie logistische Gründe (vereinfachte Nutzung öffentlicher<br />
Einrichtungen). In einzelnen Fällen traten Rechtsextremisten<br />
bestehenden nichtextremistischen Vereinen (z. B. Feuerwehren,<br />
Kampfsportclubs) bei, um diese zur Verfolgung der eigenen extremistischen<br />
Ziele zu unterwandern oder durch Veröffentlichung der<br />
Mitgliedschaft mediale Aufmerksamkeit zu erlangen.<br />
Vereine bieten Rechtsextremisten die Möglichkeit, im vorpolitischen<br />
Raum Fuß zu fassen und diesen durch Teilhabe am öffentlichen<br />
Diskurs für eigene Zwecke zu nutzen. Die Erwartung, Kontakte<br />
zu Personen nichtextremistischer Gesinnung knüpfen und
deren Berührungsängste gegebenenfalls abbauen zu können, dürfte<br />
ebenfalls Hintergrund des Vereinsengagements sein. Die NPD<br />
misst der Vereinsarbeit hohen Stellenwert bei. Ihrer Auffassung<br />
nach ist sie Teil kommunaler Basisarbeit, die die Partei letztlich in<br />
Kommunal- und Landesparlamente führen soll. 28<br />
Vereinsgründungen in Thüringen<br />
Im Berichtsjahr taten sich insbesondere nachstehend aufgeführte<br />
Vereine, die zahlreiche Rechtsextremisten zu ihren Mitgliedern<br />
zählen bzw. Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen<br />
liefern, hervor:<br />
• Der Verein „SV Vorwärts Erfurt e.V.“ wurde im Oktober 2006<br />
unter Beteiligung von Rechtsextremisten gegründet. Er gilt aufgrund<br />
der personellen Zusammensetzung des Vorstands als<br />
rechtsextremistisch beeinflusst. Zu seinen Mitgliedern soll u. a.<br />
Kai-Uwe TRINKAUS, Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Erfurt-Sömmerda,<br />
zählen. Der Verein biete neben Badminton, Turnen<br />
und Tai Chi auch einen Selbstverteidigungskurs an.<br />
• Ebenfalls unter Beteiligung von Rechtsextremisten gründete sich<br />
am 21. Juli in Hildburghausen der Verein „Sportgemeinschaft<br />
Germania e.V.“. Dem Vorstand des Vereins gehört u. a. der Vorsitzende<br />
des NPD-Kreisverbands Hildburghausen-Suhl, Tommy<br />
FRENCK, an. Bereits im Mai 2007 gab der NPD-Landesvorstand<br />
in Thüringen bekannt, ein Referat Sport einrichten zu wollen.<br />
FRENCK sei an dem Projekt maßgeblich beteiligt. In der Satzung<br />
der Sportgemeinschaft ist festgelegt, bei Auflösung oder<br />
Aufhebung des Vereins oder Wegfall seines bisherigen Zwecks<br />
das Vereinsvermögen je zur Hälfte an die „Hilfsgemeinschaft für<br />
nationale Gefangene e.V.“ und an die „Deutsch-Russische Friedensbewegung<br />
Europäischen Geistes e.V.“ zu übertragen. Zu<br />
beiden Vereinen liegen tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische<br />
Bestrebungen vor.<br />
• Der im Oktober 2006 gegründete Verein „Schöner Leben in Erfurt<br />
e.V.“ setzt sich aus Funktionären und Mitgliedern des NPD-<br />
28 Siehe Kapitel 3.1.2.8.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
73
74<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Kreisverbands Erfurt-Sömmerda sowie anderen Angehörigen<br />
der rechtsextremistischen Szene des Freistaats zusammen. Vorsitzender<br />
des Vereins ist der Neonazi Patrick PAUL. Als dessen<br />
Stellvertreter fungiert Kai-Uwe TRINKAUS. Nach Eigenangaben<br />
sieht sich der Verein als eine Plattform, auf der sich verschiedene<br />
Gruppen, Verbände und Einzelpersonen vernetzen, um bei<br />
der nächsten Stadtratswahl eine starke Stimme aus der Mitte der<br />
Bürgerschaft ins Erfurter Rathaus zu senden.<br />
• Der in Arnstadt ansässige Verein „Deutsch-Russische Friedensbewegung<br />
Europäischen Geistes e.V.“ hat sich im August 2006<br />
gegründet. Dem Vorstand gehören u.a. die Rechtsextremisten<br />
Thorsten HEISE und Patrick WIESCHKE an. Der in der Satzung<br />
ausgewiesene Vereinszweck ist darauf gerichtet, im deutschen<br />
und russischen Volk verbreitete, gegenseitige Vorurteile zu überwinden,<br />
indem sich Deutsche und Russen – vorrangig die Jugend<br />
dieser Völker – durch persönliche Begegnungen kennen lernen.<br />
Zudem bestehen offenbar Verbindungen zu dem Verein „Sportgemeinschaft<br />
Germania e.V.“ in Hildburghausen. Am 31. März<br />
führte der Verein eine Veranstaltung in Hildburghausen durch,<br />
an der auch die „Heimattreue Deutsche Jugend/Thüringen“ beteiligt<br />
gewesen sein soll.<br />
• Unter Beteiligung von NPD-Mitgliedern, darunter Kai-Uwe<br />
TRINKAUS, sowie weiteren Angehörigen der rechtsextremistischen<br />
Szene gründete sich im August in Erfurt der Verein<br />
„Rechtsroxx Erfurt e.V.“. Nach Verlautbarungen der Szene beabsichtige<br />
der Verein gemeinsam mit dem NPD-Kreisverband<br />
Erfurt-Sömmerda eine Telefon-Hotline einzurichten, über die<br />
sich aussteigewillige Anhänger der linksextremistischen Szene<br />
melden könnten. Interessenten sollen dort u. a. Tipps und Ratschläge<br />
für ihren Ausstieg sowie Hilfe für eine Rückkehr „ins<br />
normale Leben“ erhalten.<br />
• Der NPD-Kreisverband Erfurt-Sömmerda berichtete auf seiner<br />
Homepage über ein Kinderfest des Erfurter Vereins „Alleinerziehende<br />
in Not e.V.“ im September in Erfurt. Dem Beitrag waren<br />
mehrere Bilder beigefügt, auf denen neben Kindern und Spielgeräten<br />
auch ein NPD-Schirm zu sehen war. Kai-Uwe TRIN-<br />
KAUS stand dem Verein, der zwischenzeitlich in „Pro Kid e.V.“<br />
umbenannt worden ist, vorübergehend vor.
4.6 Gewaltpotenzial der Neonaziszene<br />
Öffentliche Veranstaltungen der Neonazis verlaufen überwiegend<br />
störungsfrei, was sowohl auf die Auflagen der Ordnungsbehörden<br />
als auch die massive Polizeipräsenz zurückzuführen ist. Werden<br />
Straftaten begangen, handelt es sich vorwiegend um so genannte<br />
Propagandadelikte 29 . Mitunter kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />
mit Gegendemonstranten aus dem linksextremistischen<br />
Spektrum. 30 In der Öffentlichkeit, in Zeitungen oder Flugblättern<br />
vermeiden es Neonazis in der Regel, Gewalt als Mittel zur<br />
Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu propagieren. Die öffentlichen<br />
Äußerungen können jedoch nicht über das Teilen der Szene<br />
immanente Gewaltpotenzial hinwegtäuschen. Zahlreiche Neonazis,<br />
nicht selten deren Führungskader, sind wegen der Begehung<br />
von Körperverletzungen vorbestraft. Auch szeneintern kommt es<br />
durchaus zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.<br />
Als der NPD-Aufmarsch am 1. Mai in Erfurt wegen massiver Störungen<br />
gewaltbereiter Linksextremisten nicht wie geplant durchgeführt<br />
werden konnte, wähnten sich Demonstrationsteilnehmer in<br />
ihrer bereits im Vorfeld verfestigten Ansicht bestätigt: „Bürgermeister,<br />
Ordnungsamt, Polizei und Linksextreme hatten von Anfang an<br />
die Absicht, die NPD-Demonstration nicht stattfinden zu lassen“.<br />
Dennoch – hieß es später im Internet – haben sich die nationalen<br />
Demonstranten das Recht nicht nehmen lassen, die wenige Tage<br />
zuvor erteilte Demonstrationsgenehmigung in die Tat umzusetzen.<br />
Dabei entlud sich die insbesondere bei den „Freien Kräften“ latent<br />
vorherrschende Gewaltbereitschaft gegenüber den eingesetzten<br />
Polizeikräften.<br />
29 Zum Beispiel Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen oder Verwenden<br />
von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86 bzw. § 86a Strafgesetzbuch (StGB).<br />
30 Siehe dazu Abschnitt „Linksextremismus“.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
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76<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
4.7 Aktivitäten und Agitationsschwerpunkte<br />
der Neonaziszene<br />
Das neonazistische Spektrum ist aktionistisch ausgerichtet. Die Anhängerschaft<br />
wirkt bereitwillig an Demonstrationen mit. Sie nimmt<br />
mitunter eine weite Anreise auf sich, um an Demonstrationen<br />
Gleichgesinnter im gesamten Bundesgebiet teilzunehmen (so genannter<br />
Demo-Tourismus). Das Motto der Veranstaltungen ist eher<br />
von nachrangiger Bedeutung. Demonstrationen vermitteln den Anhängern<br />
ein Gemeinschaftsgefühl, das ein wichtiges Bindeglied in<br />
der ansonsten recht schwach strukturierten Neonaziszene darstellt.<br />
Das neonazistische Spektrum führte im Freistaat im Berichtszeitraum<br />
sieben eigene Demonstrationen und Kundgebungen durch,<br />
an denen sich zum Teil weniger als 50, aber auch bis zu 180 Personen<br />
beteiligten. Lokale Aktionsschwerpunkte bildeten 2007 die<br />
Städte Erfurt, Jena und Altenburg. Zudem schlossen sich Neonazis<br />
sämtlichen von der NPD organisierten öffentlichen Demonstrationen<br />
bzw. Kundgebungen an. An vielen Veranstaltungen und Aktivitäten<br />
nahm überwiegend jener Kreis von Rechtsextremisten teil,<br />
dem gleich ist, ob diese von „Freien Nationalisten“ oder von der<br />
NPD initiiert worden sind.<br />
Zudem organisierten Neonazis auch andere öffentlichkeitswirksame<br />
Aktionen, z. B. Flugblattverteilungen und Internetauftritte, sowie<br />
Saalveranstaltungen. So fand am 17. November in Finsterbergen<br />
(Landkreis Gotha) eine als Schulungsveranstaltung der NPD<br />
deklarierte Veranstaltung mit ca. 70 Rechtsextremisten statt. Die<br />
„Freien Kräfte Südthüringen“ veröffentlichten im Nachgang einen<br />
Verlaufsbericht unter dem Tenor „Große Freie Kräfte Saalveranstaltung<br />
– Europa Nation Revolution!“ im Internet. Demnach diente<br />
das Treffen von angeblich 100 „Freien Nationalisten“ der Vorbereitung<br />
eines großen Europakongresses europäischer Nationalisten,<br />
„der in nicht allzu ferner Zeit stattfinden soll“. Nach Ansicht der<br />
Verfasser ist der „europäische Widerstand gegen Kapitalismus und<br />
Globalisierung die einzige Alternative zur Abschaffung unseres<br />
Kontinents durch völkermörderische Globalisierung“.<br />
Inhaltlich greifen Neonazis neben historischen Daten zunehmend<br />
auch Gegenwartsthemen auf, um sie in ihrem Sinne zu deuten und
ihre Ansichten der Bevölkerung nahe zu bringen. Dabei ist seit etwa<br />
zwei bis drei Jahren eine deutliche Verschiebung der Agitation von<br />
einzelnen sozialen Themen hin zu einer grundsätzlicheren Thematisierung<br />
der Aspekte „Kapitalismus“ und „Globalisierung“ zu beobachten.<br />
Darüber hinaus bildeten im Berichtszeitraum „staatliche<br />
Repression“ und „Meinungsfreiheit“ Schwerpunkte der Agitation.<br />
Insbesondere in den Regionalzeitungen 31 war eine Fokussierung auf<br />
kommunale Angelegenheiten festzustellen. Themen, die das rassistische<br />
und ausländerfeindliche Gedankengut der Szene eindeutig<br />
zum Ausdruck bringen, sind hingegen in den Hintergrund getreten.<br />
Diese Strategie zielt darauf ab, Bevölkerungsschichten, die von tiefgreifenden<br />
Transformationsprozessen wie der Globalisierung betroffen<br />
sind oder dadurch künftig Nachteile befürchten, für neonazistische<br />
Ansichten einzunehmen. Neonazis und NPD sind bestrebt, in<br />
der Bevölkerung an Akzeptanz zu gewinnen und sich als politische<br />
Alternative zu den Volksparteien, aber auch zum „herrschenden<br />
System“ insgesamt anzubieten. Selbst „antikapitalistisch“ geprägte<br />
Anschauungen, die die Ablehnung des politischen und wirtschaftlichen<br />
Systems der Bundesrepublik einschließen, werden von NPD<br />
und Neonazis aufgegriffen, um im Sinne einer „Querfront-Politik“<br />
politische Lagergrenzen zu überwinden und unter diesem politisch<br />
entgegenstehenden Protestpotenzial Einfluss zu erlangen.<br />
4.8 Exkurs: Von Rechtsextremisten herausgegebene<br />
Regionalzeitungen in Thüringen<br />
Obwohl Thüringer Rechtsextremisten vor allem das Internet 32 nutzen,<br />
um auf ihre Belange aufmerksam zu machen und Informationen<br />
zu streuen, werden zunehmend auch Regionalzeitungen verbreitet.<br />
Im Berichtszeitraum erschienen in Thüringen mindestens<br />
fünf Publikationen, welche von Angehörigen des neonazistischen<br />
Spektrums, die zum Teil auch der NPD angehören, herausgegeben<br />
wurden. Vier dieser Blätter wurden im so genannten Berliner Format<br />
(A3) erstellt. Der Außenteil war jeweils von lokalen Angelegenheiten<br />
geprägt, der Innenteil der Zeitungen umfasste meist tex-<br />
31 Siehe Kapitel 4.8.<br />
32 Siehe Kapitel 4.9.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
77
78<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
tidentische Beiträge zu allgemeinen Thüringer Themen. In einigen<br />
Regionalzeitungen fanden sich Werbeanzeigen ortsansässiger Firmen.<br />
Die in einer Auflage von angeblich jeweils ca. 20.000 Exemplaren<br />
erschienenen Publikationen wurden von Szeneangehörigen<br />
als Postwurfsendung oder auf Veranstaltungen verteilt. Sie konnten<br />
darüber hinaus aus dem Internet heruntergeladen werden.<br />
In den Beiträgen wird vorrangig Kritik an den etablierten Parteien<br />
geübt und der Eindruck geschürt, Rechtsextremisten machten<br />
sich für die Interessen und Probleme der „kleinen Leute“ stark. Die<br />
Verfasser greifen schwerpunktmäßig Themen von lokaler und regionalpolitischer<br />
Bedeutung und zugleich hohem Reiz- und Identifikationswert<br />
auf, um abstrakt gegen „die Politik“ zu polemisieren<br />
und im Sinne ihres vom Lagerdenken geprägten Weltbildes („Wir,<br />
das Volk – Ihr, die Politiker“) gegen politische Mandatsträger und<br />
Entscheidungsprozesse zu agitieren. Hinter der Themenwahl verbirgt<br />
sich das Anliegen der Rechtsextremisten, gezielt ein politisches<br />
Angebot an Unzufriedene zu lancieren. Plumpe Agitation<br />
und aggressive Propaganda werden weitestgehend unterlassen,<br />
um potenzielle Interessenten nicht abzuschrecken. Deshalb ist der<br />
rechtsextremistische Hintergrund der Regionalzeitungen in vielen<br />
Fällen nicht sofort erkennbar.<br />
Allzu deutliche Bezüge zur NPD wurden bislang in den Blättern<br />
vermieden. Dies könnte sich mit Blick auf die Kommunal- bzw.<br />
Landtagswahlen 2009 ändern. Die NPD hatte bereits im Berichtsjahr<br />
angeregt, zum Erreichen ihrer politischen Zielsetzungen künftig<br />
noch stärker auf dieses Medium zu setzen.<br />
„Der Rennsteig Bote“<br />
„Der Rennsteig Bote“ wurde erstmals im April/Mai 2005 festgestellt.<br />
Im Berichtszeitraum sind vier Ausgaben des Blattes erschienen. Die<br />
Initiatoren geben an, ergänzend zu den „gleichgeschalteten Medien“<br />
über „aktuelle Geschehnisse im Landkreis Gotha zu informieren<br />
und unabhängige Informationen zu Politik, Wirtschaft, Geschichte<br />
und Kultur“ anbieten zu wollen. Sie greifen regionale Themen auf<br />
und verweisen auf lokale Veranstaltungen des rechtsextremistischen<br />
Spektrums. Federführend sind Sebastian REICHE, NPD-Kreisvorsitzender<br />
Gotha, und Patrick WIESCHKE, NPD-Landesgeschäftsführer.
„Der Wartburgkreis Bote“<br />
WIESCHKE zeichnet ebenfalls für das „Unabhängige Mitteilungsblatt<br />
für Eisenach & Umgebung – Der Wartburgkreis Bote“ verantwortlich,<br />
das zeitgleich mit der im Januar 2006 eröffneten Website<br />
erstmals herausgegeben wurde. Auch hier werden regionalpolitische<br />
Themen aufgegriffen. Die „Arbeitsgemeinschaft“ strebt an,<br />
mit einer Politik, die ausschließlich auf „deutsche Interessen und<br />
Menschen“ ausgerichtet ist, einen Gegenpol zur etablierten Kommunalpolitik<br />
zu bilden. „Der Wartburgkreis Bote“ wird alle zwei<br />
Monate herausgegeben. Bislang sind zehn Ausgaben erschienen.<br />
„Blickpunkt – Vogtland“<br />
Seit Mai ist auch der „Blickpunkt Vogtland“ als „freie und unabhängige<br />
Informationsplattform für das Vogtland“ im Internet abrufbar.<br />
„Blickpunkt Vogtland“ wird nach eigenen Angaben im Eigendruck<br />
vom „Medienverbund Vogtland“ zweimonatlich herausgegeben.<br />
Als Kontaktanschrift dient eine Postfachadresse in Greiz. In der<br />
Publikation und der gleichnamigen Internetseite sehen die Verantwortlichen<br />
„ein Mittel zur geistigen Persönlichkeitsentwicklung,<br />
zur Willens- und Wesensbildung des gesamten Volkes“, da unabhängige<br />
und von den Massenmedien verschwiegene Nachrichten<br />
aus Politik, Wirtschaft, Geschichte und Kultur verbreitet würden.<br />
Bislang sind sechs Ausgaben erschienen.<br />
„Bürgerstimme! Mitteilungsblatt freier Kräfte der Region Erfurt-<br />
Arnstadt“<br />
Seit der Juni/Juli-Ausgabe ist die Publikation „Bürgerstimme!“ auch<br />
auf der Internetpräsenz des seit Ende 2006 aktiven rechtsextremistischen<br />
Vereins „Schöner Leben in Erfurt e.V.“ 33 abrufbar. Seither<br />
33 Siehe Kapitel 4.5.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
79
80<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
tritt der Verein als Herausgeber der Publikation in Erscheinung. Die<br />
presserechtliche Verantwortung liegt weiterhin bei dem Neonazi<br />
Patrick PAUL. Das „freie, unabhängige und kostenlose Mitteilungsblatt“<br />
erscheint Angaben des Herausgebers zufolge im Zweimonatsrhythmus.<br />
Es enthält neben Berichten zu kommunalen Themen<br />
auch Artikel, aus denen die rechtsextremistische Gesinnung der<br />
Verfasser deutlich hervorgeht. Zudem werden über das Blatt Termine<br />
und Veranstaltungshinweise der rechtsextremistischen Szene<br />
bekannt gegeben. Im Berichtszeitraum wurden u. a. in Erfurt fünf<br />
Ausgaben verteilt.<br />
„Der Pappenheimer“<br />
Die Regionalzeitung „Der Pappenheimer“ findet im Raum Lauscha<br />
Verbreitung. Eigenen Angaben zufolge umfasst das bereits<br />
im 3. Jahrgang erscheinende Blatt vier Auflagen jährlich in einer<br />
Höhe von jeweils 3.000 Stück. „Der Pappenheimer“ thematisiert<br />
zumeist lokale Sachverhalte. Unterschwellig werden auch rechtsextremistische<br />
Argumentationsmuster deutlich, wenn beispielsweise<br />
der „USraelische Imperialismus“ kritisiert oder die Politik<br />
der etablierten Parteien pauschal als „Abzocke“ diffamiert werden.<br />
Lediglich über den lokalen DVU-Stadtrat Uwe BÄZ-DÖLLE finden<br />
sich geneigte Artikel. Als Herausgeber fungiert ein lokaler Rechtsextremist.<br />
Zudem ist „Der Pappenheimer“ auf der Website der neonazistischen<br />
„Freien Kräfte Südthüringen“ (FKST) 34 als einer ihrer<br />
Unterstützer aufgeführt.<br />
4.9 Exkurs: Nutzung des Internets<br />
durch Rechtsextremisten<br />
Die rechtsextremistische Szene Thüringens ist im Internet umfassend<br />
mit eigenen Präsentationen vertreten. Vor allem das neonazistische<br />
Spektrum und die NPD nutzen diese Plattform zur<br />
Selbstdarstellung, als Agitations- und Propagandamedium, als Mobilisierungsinstrument<br />
sowie als Kommunikationsmittel. Darüber<br />
hinaus bedienen sich auch rechtsextremistische Vertriebe des In-<br />
34 Siehe Kapitel 4.4.1.
ternets, um über Online-Shops Tonträger, Literatur, Kleidung und<br />
andere Szenedevotionalien zu vertreiben.<br />
Die Zahl der von Thüringer Rechtsextremisten betriebenen Websites<br />
liegt mit ca. 70 über dem Vorjahresniveau (ca. 60), wobei<br />
in regelmäßigen Abständen neue Websites auftauchen und andere<br />
wieder verschwinden. Nur knapp die Hälfte der einschlägigen Internetpräsentationen<br />
wird mehr oder weniger regelmäßig aktualisiert.<br />
Der Personenkreis, der sich aktiv an der Gestaltung der Websites<br />
beteiligt bzw. in Diskussionsforen eigene Beiträge einstellt, ist<br />
relativ überschaubar.<br />
Zahlreiche Websites bieten ein umfangreiches Repertoire an Informationen,<br />
die oft einen klaren regionalen Bezug aufweisen.<br />
Andere wiederum werden lediglich anlassbezogen betrieben,<br />
beispielsweise um für Veranstaltungen zu mobilisieren und später<br />
Veranstaltungsberichte mit zahlreichen Fotos einzustellen. Seit<br />
dem 2. Halbjahr 2007 sind vermehrt Videosequenzen eingespeist<br />
worden, die teils vergangene Veranstaltungen beschreiben, teils<br />
aber auch der Selbstinszenierung dienen. Die Videosequenzen<br />
sind zumeist auf den großen Videoplattformen des Internets eingestellt<br />
und über Links mit rechtsextremistischen Seiten verbunden.<br />
Darüber hinaus haben zahlreiche Rechtsextremisten des Freistaats<br />
ihre „Visitenkarten“ in Online-Communities hinterlassen.<br />
Bei einigen Präsentationen sind – dem allgemeinen Trend im Internet<br />
entsprechend – Ansätze zu erkennen, anstelle statischer<br />
nunmehr dynamische Websites anzubieten. So sind zahlreiche<br />
Homepages mit Diskussionsforen verknüpft oder bieten die Möglichkeit,<br />
Beiträge online zu kommentieren. Das „Freie Netz Altenburg“,<br />
das zu den aktivsten Websites in Thüringen zählt, bietet<br />
u. a. RSS-Feeds 35 an. Artikel, die zum Teil mit Videosequenzen verknüpft<br />
sind, werden in unterschiedlichem Maße, zumeist jedoch<br />
vom Seitenbetreiber selbst, kommentiert. Von den rechtsextremistischen<br />
Parteien in Thüringen präsentiert sich insbesondere die NPD<br />
im Internet. Nicht nur der NPD-Landesverband, sondern auch der<br />
überwiegende Teil der Kreisverbände betreibt inzwischen eigene<br />
35 RSS (Abkürzung für Really Simple Syndication) ist eine Form der Weitergabe von Inhalten im „World<br />
Wide Web“. Es handelt sich um einen praktikablen Standard, um Textinformationen wie Inhalte von<br />
Websites (z. B. Nachrichten) für andere Rechner zur Verfügung zu stellen.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
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82<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Websites. Diese sind mit einer Ausnahme in einheitlichem Layout<br />
gehalten. Neben der Benennung des Vorstands, Terminhinweisen<br />
zu Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene und einer Rubrik<br />
„Aktuelles“ verweisen externe Links auf weitere rechtsextremistische<br />
Websites oder zu „Lokal- bzw. Kampagnenseiten“ auch<br />
außerhalb der rechtsextremistischen Szene. Außer Beiträgen mit<br />
lokalem Bezug und zu eigenen Aktivitäten werden oft Artikel anderer<br />
Verbände übernommen. Im Diskussionsforum der NPD findet<br />
ein intensiver Meinungsaustausch statt, der sich auf unterschiedliche,<br />
oft lokal relevante Themen bezieht.<br />
Annähernd ein Drittel der rechtsextremistischen Websites entfällt<br />
in Thüringen auf den Musikbereich und hier wiederum überwiegend<br />
auf Mailorder. Zu den bedeutendsten Vertrieben für rechtsextremistische<br />
Devotionalien zählen der „W & B Versand“ in Fretterode,<br />
der auch für das monatlich aktualisierte Online-Magazin<br />
„WB Magazin“ verantwortlich zeichnet, und der „Germania Versand“<br />
in Sondershausen. Neben weiteren Firmen präsentieren sich<br />
noch einzelne Personen und rechtsextremistische Musikgruppen<br />
im Netz.<br />
Ein großer Teil der Websites ist dem neonazistischen Spektrum zuzurechnen.<br />
Hier präsentieren sich verschiedene Gruppierungen<br />
des selbst ernannten „Nationalen Widerstands“, Vereine, Kameradschaften<br />
oder „Freie Nationalisten“ mit teils recht umfangreichen<br />
Websites. Hierbei sind neben dem bereits erwähnten „Freien<br />
Netz Altenburg“ die „Freien Kräfte Südthüringen“ 36 besonders aktiv.<br />
Sonder- bzw. Aktionsseiten werden eigens zu aktuellen Anlässen<br />
– wie dem „Thüringentag der nationalen Jugend“ oder dem<br />
„Fest der Völker“ – angelegt. Sie werden insbesondere im Vorfeld<br />
einer Veranstaltung stetig aktualisiert und später mit einem Veranstaltungsbericht<br />
abgeschlossen. Außerdem besteht die Möglichkeit,<br />
Publikationen als Download zu beziehen. In den redaktionellen<br />
Bereichen der Websites werden die Strafgesetze nur selten<br />
verletzt.<br />
Über das Internet findet rechtsextremistisches Gedankengut mehr<br />
oder weniger ungehindert Verbreitung. Insbesondere auf Jugendliche<br />
wirken ansprechende Websites mit multimedialen Elemen-<br />
36 Siehe Kapitel 4.4.1.
ten (z. B. Spiele, Bilder, Musik und Videosequenzen), aber auch<br />
der Reiz des Verbotenen, anziehend. Zum Schutz vor rechtsextremistischer<br />
Propaganda bedarf es einer Medienkompetenz, deren<br />
Entwicklung gesamtgesellschaftlich gefördert werden muss.<br />
Exekutivmaßnahmen gegen Betreiber von Websites mit strafbarem<br />
Inhalt, Sperrung, Löschung oder Filtersoftware können nur einen<br />
Beitrag zum Schutz der Jugend vor Meinungsmanipulation leisten,<br />
der zwingend von umfassenden Aufklärungsmaßnahmen flankiert<br />
werden muss.<br />
5. Subkulturell geprägte und sonstige<br />
gewaltbereite Rechtsextremisten<br />
Die Anzahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten<br />
Rechtsextremisten sank bundesweit von 10.400 im Jahr 2006<br />
auf etwa 10.000 Personen im Berichtszeitraum. Zu dem Spektrum<br />
zählen sowohl Skinheads als auch Angehörige anderer rechtsextremistischer<br />
Subkulturen. Von ihnen gehen zahlreiche rechtsextremistisch<br />
motivierte Gewalttaten aus. Überproportional hoch ist<br />
das Personenpotenzial jener Szene in den neuen Bundesländern.<br />
Nahezu die Hälfte aller gewaltbereiten deutschen Rechtsextremisten<br />
ist dort ansässig.<br />
Wie im übrigen Bundesgebiet blieb auch in Thüringen das Anhängerpotenzial<br />
mit 530 Personen im Vergleich zum Vorjahr weitgehend<br />
konstant. Der Anteil rechtsextremistischer Skinheads ist im<br />
Verhältnis zu anderen rechtsextremistischen jugendlichen Subkulturen<br />
stark rückläufig, da sich die rechtsextremistische Musikszene<br />
differenziert. Sie geht inzwischen weit über die Subkultur der<br />
Skinheads hinaus und reicht zunehmend auch in die von Rechtsextremisten<br />
besetzten Randbereiche der „Hatecore“- und „Black<br />
Metal“-Szene hinein.<br />
Die einzelnen Subkulturen weisen durchaus Ähnlichkeiten auf,<br />
sei es im Hinblick auf die Wirkung ihrer Musik, die Verbreitung<br />
ihrer CDs oder die Organisation von Konzerten. Sie werden deshalb<br />
im Folgenden als Gesamtheit dargestellt. Soweit mitunter von<br />
Skinheads die Rede ist, wird dieser Begriff in erster Linie als Sam-<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
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84<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
melbezeichnung für das gesamte rechtsextremistische subkulturelle<br />
Spektrum verwendet, auch wenn weite Teile hinsichtlich ihres<br />
Erscheinungsbildes und Selbstverständnisses mit dem klassischen<br />
Skinhead nur noch wenig gemein haben.<br />
5.1 Entstehung und Ideologie<br />
der Skinheadsubkultur 37<br />
Die Skinheadbewegung trat in der Bundesrepublik Deutschland<br />
erstmals Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in Erscheinung.<br />
Schon bald richteten sich gewalttätige Aktionen von Angehörigen<br />
dieser Bewegung gegen die Feindbilder „Ausländer“ und<br />
„Linke“. Größtenteils griff die Szene rechtsextremistisches Gedankengut<br />
auf, das bald den grundlegenden Bestandteil ihres Selbstverständnisses<br />
ausmachte. Zu Beginn der 80er Jahre gab es ähnliche<br />
Entwicklungen in einigen Großstädten der DDR. Diese Jugendcliquen<br />
wiesen bereits deutliche Bezüge zum <strong>Rechtsextremismus</strong> auf<br />
und machten sehr bald durch Gewalttaten auf sich aufmerksam.<br />
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands bildete sich eine gesamtdeutsche<br />
Skinhead-Subkultur heraus, die sich mehr und mehr<br />
politisierte. Parallel hierzu stieg auch die Gewaltbereitschaft der<br />
Szene beträchtlich an.<br />
In den letzten Jahren verbreiterte sich die<br />
Palette von Musikrichtungen und Outfits<br />
des subkulturellen rechtsextremistischen<br />
Spektrums. Das früher häufig anzutreffende<br />
Skinheadoutfit, das von kahlrasierten<br />
Köpfen („Glatzen“), Springerstiefeln<br />
(oft auch schweren, manchmal mit<br />
Stahlkappen versehenen Arbeitsschuhen)<br />
und Bomberjacken gekennzeichnet<br />
war, ist heute nur noch selten anzutreffen.<br />
Äußerlichkeiten wie Kleidung oder<br />
37 Unter Subkultur ist im soziologischen Sinne eine Gruppenkultur innerhalb einer umfassenden Kultur<br />
oder Gesellschaft zu verstehen, die eigene Verhaltensnormen entwickelt. Die Normen bilden sich aus<br />
Überzeugungen, Werthaltungen oder Ideologien heraus, die von der Gesamtkultur abweichen. Die Skinheadszene<br />
stellt eine eigenständige jugendliche Subkultur dar.
Haarschnitt lassen heute oft keine eindeutige Zuordnung zum<br />
subkulturellen rechtsextremistischen Spektrum mehr zu. Haben<br />
unpolitische Jugendliche teils ein für Skinheads vermeintlich typisches<br />
Äußeres angenommen, tragen viele subkulturell geprägte<br />
Rechtsextremisten oft längere Haare sowie nordisch-germanischen<br />
Schmuck. Entsprechende Bekleidung wird oft von Szenefirmen<br />
produziert, mitunter werden aber auch Marken bevorzugt, deren<br />
Hersteller sich teilweise explizit gegen eine rechtsextremistische<br />
Vereinnahmung wehren. Was ihr äußeres Erscheinungsbild anbelangt,<br />
haben Rechtsextremisten zu weiten Teilen Stilelemente des<br />
jugendlichen Mainstreams übernommen. Anhänger des „NS-Black<br />
Metal“ (NSBM) tragen oft lange schwarze Haare, dunkle Kleidung<br />
oder schminken sich.<br />
Im subkulturell geprägten rechtsextremistischen Spektrum herrschen<br />
auf das Gedankengut der Nationalsozialisten ausgerichtete<br />
Ansichten vor, unter denen nationalistische, rassistische und antisemitische<br />
Vorurteile am stärksten vertreten sind. Zumeist haben<br />
Skinheads jedoch keine fest gefügte Weltanschauung. Ihre Einstellung<br />
kommt in der Verachtung von Ausländern, Juden, Andersdenkenden<br />
oder so genannten Undeutschen, zu denen z. B. Obdachlose<br />
und Homosexuelle gezählt werden, zum Ausdruck. Ein<br />
hoher Alkoholkonsum und die Gruppendynamik setzen auf Seiten<br />
der Skinheads die Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt<br />
deutlich herab und lösen häufig spontane gewalttätige Übergriffe<br />
aus. Daher sind sie in der Regel als gewaltbereit einzustufen.<br />
Das Schlagwort „White Power“ symbolisiert die rassistische Einstellung<br />
der rechtsextremistischen Skinheads. Sie sehen sich als<br />
Krieger der „weißen Rasse“ an, was die „14 words“ – eine Art<br />
„Kampfruf“ – ausdrücken sollen. 38 Oft verwenden Skinheads nur<br />
Insidern bekannte Codes, wie beispielsweise Zahlen an Stelle von<br />
Buchstaben. So ist der Gruß „88“ in der Szene weit verbreitet. 39<br />
38 Die Zahl 14 wird in Anlehnung an die „14 words“ des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane<br />
verwandt: „We must secure the existence of our race and a future for white children“ („Wir müssen das<br />
Leben unserer Rasse und die Zukunft für die weißen Kinder sichern“).<br />
39 Die Zahl 88 verwenden Rechtsextremisten als Code für die Parole „Heil Hitler“. Die Zahl 8 steht in<br />
diesem Falle für H, den achten Buchstaben des Alphabets. Die Zahl 88 entspricht somit HH oder „Heil<br />
Hitler“. Diese Verwendung ist im Gegensatz zum „HITLER“-Gruß nicht strafbar.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
85
86<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
5.2 Strukturen der Skinheadszene<br />
Obwohl die Skinheadszene tendenziell organisationsfeindlich<br />
eingestellt ist, bestehen bzw. bestanden in Deutschland einige<br />
Bewegungen, die sich meist als Eliteorganisationen verstehen.<br />
Hierzu zählen beispielsweise die „Hammerskins“ sowie „Blood &<br />
Honour“ („B & H“). Beide Organisationen haben einen politischweltanschaulichen<br />
Anspruch und agieren international.<br />
Außer in den nachfolgend aufgeführten Organisationen finden<br />
sich subkulturell geprägte Rechtsextremisten vor allem in Cliquen<br />
zusammen, denen es jedoch meist an ausgeprägten Strukturen<br />
mangelt. Sie sind an politischen Zusammenhängen nur wenig interessiert<br />
und wollen vorrangig ihre subkulturell geprägte Einstellung<br />
ausleben.<br />
„Blood & Honour“ („B & H“)<br />
Seit 1995 bestand in der Bundesrepublik eine deutsche „Division“<br />
der „B & H“-Bewegung, die ihren Ursprung in Großbritannien<br />
hat. 40 Diese Organisation verfolgt das Ziel, auf internationaler<br />
Ebene eine autonome Struktur für die Skinheadszene zu schaffen.<br />
Sie propagiert den Nationalsozialismus<br />
und vertritt<br />
die rassistische „White<br />
Power“-Ideologie. Um auf<br />
die Szene mit dem Medium<br />
Musik ideologisch einzuwirken,<br />
konzentriert sich<br />
die „B & H“-Bewegung 41<br />
auf die Organisation von<br />
Konzerten und Partys, bei<br />
denen insbesondere nationalistische<br />
und rassistische<br />
Bands auftreten. Ende<br />
des Jahres 1997 wurde in<br />
40 Nach der nationalsozialistischen Parole „Blut und Ehre“ benannt und vom Frontmann der englischen<br />
Skinheadband „Skrewdriver“, Ian Stuart DONALDSON, 1987 in England gegründet.<br />
41 Als Code für „Blood & Honour“ wird auch die Zahlenkombination „28“ verwandt.
Thüringen die bundesweit vertretene „B & H“-Jugendorganisation<br />
„White Youth“ gegründet, die jüngere Szeneangehörige organisieren<br />
und an ältere Kameraden binden wollte.<br />
Am 12. September 2000 verbot der Bundesminister des Innern die<br />
deutsche Division der „B & H“-Bewegung sowie deren Jugendorganisation<br />
„White Youth“, da sich beide Vereinigungen gegen<br />
die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung<br />
richteten. Zu diesem Zeitpunkt gehörten der „B &<br />
H“-Division Deutschland etwa 200 Personen in 15 Sektionen an;<br />
„White Youth“ zählte darüber hinaus rund 50 Mitglieder. Das Verbot<br />
wurde im Juni 2001 rechtskräftig und schwächte die Szene.<br />
Zahlreiche Protagonisten, die in der Gruppierung früher eine Rolle<br />
gespielt hatten, verließen die rechtsextremistische Szene oder verlegten<br />
ihre Aktivitäten in andere Handlungsfelder, woraufhin der<br />
organisatorische Zusammenhalt zerfiel.<br />
Sowohl ehemalige als auch neue Aktivisten waren jedoch bestrebt,<br />
frühere Organisationsstrukturen zumindest ansatzweise aufrechtzuerhalten<br />
oder neu aufzubauen. Aus diesem Grund wurden seit<br />
dem Jahr 2000 von den Strafverfolgungsbehörden deutschlandweit<br />
mehrere Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Fortführung<br />
einer verbotenen Vereinigung gemäß § 85 Strafgesetzbuch<br />
(StGB) eingeleitet, die bisher jedoch noch nicht zu einer Anklage<br />
einzelner „B & H“-Aktivisten geführt haben.<br />
Nachfolgebestrebungen von „B & H“ sind allerdings nur noch rudimentär<br />
vorhanden. Vor allem im süddeutschen Raum, aber auch<br />
in Thüringen, bestehen zwischen einigen ehemaligen Mitgliedern<br />
noch persönliche Kontakte. Deren Intensität hat seit den Durchsuchungsaktionen<br />
im März 2006 stark abgenommen. Es fanden einzelne<br />
rechtsextremistische Konzerte statt, an deren Organisation<br />
Personen aus dem früheren Umfeld von „B & H“ mitwirkten. Der<br />
hohe Provokationswert des Namens und der Reiz des Verbotenen<br />
sollen in der Szene eine größere Aufmerksamkeit erregen und den<br />
Verkaufsumsatz, z. B. von CDs oder Kleidungsstücken mit dem<br />
Schriftzug „Blood & Honour“, steigern. Dieses Logo hat nach wie<br />
vor auch unter jüngeren Rechtsextremisten eine gewisse Werbewirkung.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
87
88<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
„Hammerskin“-Bewegung<br />
Die „Hammerskins“ stellen eine weltweit aktive Bewegung dar,<br />
die 1986 in den USA gegründet wurde und seit Mitte der 90er Jahre<br />
auch in Deutschland mit Sektionen vertreten ist. Die Bewegung<br />
versteht sich als Elite innerhalb der Skinheadszene. Sie verherrlicht<br />
bzw. propagiert rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Ihr<br />
Erkennungsmerkmal – zwei gekreuzte Zimmermannshämmer in<br />
einer Raute – soll die Kraft und Stärke der „weißen Arbeiterklasse“<br />
symbolisieren. Wegen ihres elitären Anspruchs sind die „Hammerskins“,<br />
die bundesweit ca. 100 Anhänger zählen, in der Szene umstritten.<br />
In Thüringen verfügen sie nur über einzelne, vornehmlich<br />
in Ostthüringen ansässige Anhänger.<br />
Da es den „Hammerskins“ an Organisationsstrukturen ebenso<br />
mangelt wie an Führungspersönlichkeiten, gelang es ihnen nicht,<br />
sich entsprechend ihrem Anspruch in der rechtsextremistischen<br />
Skinheadszene als Elite durchzusetzen oder mit der „B & H“-Bewegung<br />
zu konkurrieren. Von ihren überregionalen Koordinierungstreffen,<br />
die regelmäßig stattfinden, gingen bislang keine konzeptionellen<br />
Impulse aus.<br />
5.3 Kontakte zu anderen<br />
rechtsextremistischen Gruppierungen<br />
Subkulturell geprägte Rechtsextremisten sind überwiegend abgeneigt,<br />
sich in feste und auf Dauer angelegte Organisationsstrukturen<br />
einzugliedern. Deshalb bestehen auch kaum institutionalisierte<br />
Kontakte zu rechtsextremistischen Parteien oder Organisationen.<br />
Es gibt jedoch Kontakte auf regionaler und lokaler Ebene, die sich<br />
insbesondere auf die NPD erstrecken und vor allem von persönlichen<br />
Verbindungen abhängen. Andere rechtsextremistische Parteien<br />
stehen subkulturell geprägten Rechtsextremisten mit starken<br />
Vorbehalten gegenüber.<br />
Im Laufe der letzten Jahre bewegten sich das subkulturell geprägte<br />
und das neonazistische Spektrum zunehmend aufeinander zu.<br />
Es bildeten sich in größerem Umfang so genannte Mischszenen
heraus oder Skinheadcliquen und neonazistische Kameradschaften<br />
verschmolzen miteinander. 42 Die Gründe hierfür liegen in den<br />
offeneren Strukturen der Neonazis, die oftmals in „unabhängigen<br />
Kameradschaften“ agieren und somit der Organisationsunwilligkeit<br />
vieler subkulturell geprägter Rechtsextremisten entgegenkommen.<br />
In den letzten Jahren ist es sowohl der NPD als auch den Neonazis<br />
gelungen, zunehmend subkulturell geprägte Rechtsextremisten für<br />
ihre Versammlungen zu mobilisieren, wenn sie rechtsextremistische<br />
Musik als Medium einsetzten. Diese Tendenz findet Ausdruck<br />
in den steigenden Teilnehmerzahlen solcher Veranstaltungen. So<br />
nahmen am „6. Thüringentag der nationalen Jugend“ am 19. Mai in<br />
Eisenach ca. 370 Personen (2006: 250), an der Veranstaltung „Rock<br />
für Deutschland“ am 30. Juni in Gera ca. 650 Personen (2006:<br />
600) sowie dem „2. Fest der Völker“ am 8. September in Jena etwa<br />
1.400 Personen (zuletzt 2005: 500) teil. 43 Diese von der NPD im<br />
Jahr 2007 organisierten Großveranstaltungen fanden vor allem<br />
wegen der Auftritte mehrerer rechtsextremistischer Bands einen so<br />
starken Zulauf. Die NPD wird auch künftig die von dieser Musik<br />
ausgehende Anziehungskraft nutzen, um insbesondere jugendliche<br />
Rechtsextremisten als Veranstaltungsbesucher zu gewinnen.<br />
Darüber hinaus versuchte die NPD im Jahr 2007 in Thüringen<br />
wiederholt, rechtsextremistische Musikveranstaltungen als Parteiversammlungen<br />
zu deklarieren, um behördlichen Maßnahmen<br />
entgegenzuwirken. Bei diesen Veranstaltungen traten oft mehrere<br />
rechtsextremistische Bands auf. Das Publikum entstammte zu einem<br />
großen Teil dem subkulturellen rechtsextremistischen Spektrum. Besonders<br />
im Raum Südthüringen wurden durch den dort ansässigen<br />
NPD-Kreisverband Hildburghausen-Suhl mehrfach Parteiveranstaltungen<br />
durchgeführt, die rechtsextremistischen Konzerten glichen. 44<br />
Innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene findet eine internationale<br />
Kooperation statt, die auf der gemeinsam empfundenen<br />
Zugehörigkeit zur „White-Power“-Bewegung und weitgehend übereinstimmenden<br />
Feindbildern basiert. Rechtsextremistische Bands aus<br />
dem Ausland – insbesondere aus Großbritannien und den USA – und<br />
42 Siehe Kapitel 4.2.<br />
43 Siehe Kapitel 3.1.2.9.<br />
44 Siehe Kapitel 5.7.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
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90<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
deren CDs sind bei deutschen Skinheads beliebt; entsprechende<br />
Gruppen treten regelmäßig bei Konzerten in Deutschland – so auch<br />
in Thüringen – auf. Im Gegenzug beteiligen sich deutsche Bands an<br />
Veranstaltungen im Ausland und produzieren zum Teil auch Tonträger<br />
speziell für diesen Markt in englischer Sprache. Volksverhetzende<br />
fremdsprachige Tonträger finden in Deutschland weiterhin eine<br />
starke Verbreitung. Dementsprechend ist der Einfluss rechtsextremistischer<br />
Musik aus dem Ausland – trotz möglicher Sprachbarrieren<br />
– hoch. Mitunter reisen subkulturell geprägte Rechtsextremisten aus<br />
Deutschland auch zu rechtsextremistischen Konzerten ins Ausland.<br />
5.4 Wirkung und Facetten<br />
rechtsextremistischer Musik<br />
Wirkung auf Jugendliche<br />
Alle Auszweigungen der subkulturellen rechtsextremistischen Szene<br />
versprechen Jugendlichen gruppendynamische Erlebnisse und<br />
Gefühle von Anerkennung, Gemeinschaft, Kameradschaft und<br />
Stärke. Rechtsextremistische Musik und Konzerte bilden deshalb<br />
wichtige Elemente, um die Szene zusammenzuhalten oder für sie<br />
zu werben. Das Gemeinschaftsgefühl, das Konzerte stiften, und die<br />
aggressiven Rhythmen der Musik regen rechtsextremistisch „anpolitisierte“<br />
Jugendliche oftmals an, sich in die rechtsextremistische<br />
Szene zu integrieren oder in ihr zu verbleiben. Die Musik drückt<br />
ihre Aggressionen, Ängste und Wünsche aus. Mit den Texten der<br />
Lieder werden die ideologischen Botschaften transportiert, für welche<br />
die Szene empfänglich ist. Ian Stuart DONALDSON, der die<br />
„Blood & Honour“-Bewegung in England gründete, äußerte in diesem<br />
Zusammenhang: „Eine Gruppe zu hören, die man gut findet,<br />
macht viel mehr Spaß als eine politische Versammlung.“<br />
Häufig sind Texte, die auf den Konzerten vorgetragen werden, extremer<br />
als jene, die sich auf den CDs befinden. Mit aggressiven,<br />
menschenfeindlichen Formulierungen versuchen die Bands, sich<br />
gegenseitig zu übertrumpfen. Die dadurch angestachelten „Hitler-<br />
Grüße“ oder Wechselgesänge zwischen Band und Publikum steigern<br />
das aufputschende Erlebnis solcher Konzerte. Die Vorliebe für
echtsextremistische Musik trug nicht selten dazu bei, Jugendliche<br />
rechtsextremistisch zu sozialisieren. Die Hass- und Gewaltparolen,<br />
die Gruppendynamik und die Alkoholexzesse erzeugen „rechtsextremistische<br />
Erlebniswelten“. Sie können jugendliche Fans nachhaltig<br />
anregen, rechtsextremistische Feindbilder zu übernehmen<br />
oder diese zu verfestigen. Somit kann rechtsextremistische Musik<br />
in einem starken Maße dazu beitragen, verhaltensprägend zu wirken<br />
und für das rechtsextremistische Spektrum einzunehmen.<br />
Facetten rechtsextremistischer Musik<br />
Das musikalische Spektrum, das Rechtsextremisten für die Präsentation<br />
ihrer mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommenden<br />
einschlägigen Botschaften nutzen, ist sehr vielgestaltig.<br />
Es reicht vom typischen „R.A.C.“ 45 über den „Black Metal“ 46 und<br />
„Hardcore“ 47 bzw. „Hatecore“ 48 bis hin zu eingängigen Melodien<br />
bereits bekannter Stimmungslieder oder Schlager, deren Texte<br />
umgeschrieben worden sind. Die meisten Stücke stützen sich auf<br />
schnelle und harte Bass- und Schlagzeug-Beats, die dem Heavy<br />
Metal und verwandten Stilrichtungen entlehnt sind. Die Melodien<br />
bestehen meist aus stakkatoartig aneinandergereihten Tonfolgen,<br />
die nur wenig melodisch klingen und oft von der grölenden Stimme<br />
des Sängers überlagert werden.<br />
Nachdem sich mit dem „NS-Black Metal“ (NSBM) in den letzten<br />
Jahren eine weitere Musikrichtung etablierte, in der rechtsextremistisches<br />
Gedankengut verbreitet wird, gewinnen innerhalb der<br />
rechtsextremistischen Musikszene die Anhänger des „Hatecore“<br />
zunehmend an Bedeutung. Songtexte der beschriebenen Musikrichtungen,<br />
Interviews von Bands u. Ä. enthalten, wenn auch in<br />
höchst unterschiedlicher Deutlichkeit, rassistische, antisemitische<br />
und gewaltverherrlichende Ansichten oder glorifizieren die nationalsozialistische<br />
Gewaltherrschaft. Die Lieder der rechtsextremistischen<br />
Bands widerspiegeln zum Teil ein diffuses „NS-tümelndes“<br />
45 „R.A.C.“: „Rock against Communism“ (Rock gegen Kommunismus), Rockmusik mit rechtsextremistischen<br />
Texten.<br />
46 „Black Metal“ stellt eine aggressivere Variante des Heavy Metal dar, der aus kreischenden, hochgestimmten<br />
Gitarren, einem donnernden Schlagzeug und einem verzerrt „krächzenden“ Gesang besteht und<br />
Gewalt gegenüber positiv eingestellt ist.<br />
47 „Hardcore“ verbindet die Einfachheit und Rohheit der „Punk-Musik“ mit den harten, schnellen Rhythmen<br />
des „Heavy Metal“.<br />
48 „Hatecore“: aggressivere Variante des „Hardcore“ mit entsprechenden Texten (hate = Hass).<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
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92<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Weltbild, das mit Fragmenten aus der germanischen Mythologie,<br />
mit militärischem Pathos, martialischem Männlichkeitsritus<br />
und dem „Gesetz der Straße“ angereichert worden ist. Auf dieser<br />
Grundlage geraten diese Lieder zu Hymnen, die von Brutalität, Aggression<br />
und Menschenverachtung, von Anklagen und Beschimpfungen<br />
des „Systems“ durchdrungen sind, die eine „jüdische Weltverschwörung“<br />
unterstellen und sich in brutale Verfolgungs- und<br />
Vernichtungsphantasien hineinsteigern können.<br />
5.5 Die rechtsextremistische Musikszene<br />
in Thüringen<br />
Insgesamt 14 rechtsextremistische Musikgruppen aus Thüringen<br />
traten 2007 bei Szeneveranstaltungen auf oder veröffentlichten<br />
eigene Tonträger. Gut die Hälfte dieser Bands ist seit mehreren<br />
Jahren aktiv. Darüber hinaus liegen bei mindestens zwei weiteren<br />
Thüringer Bands einzelne Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische<br />
Ausrichtung vor.<br />
Nachfolgende Bands aus Thüringen wurden im Jahr 2007 als aktive<br />
rechtsextremistische Musikgruppen klassifiziert:<br />
• „Brainwash“ / Altenburg,<br />
• „Celtic Dawn“ / Heldrungen,<br />
• „Ehre & Stolz“ / Suhl,<br />
• „Eternal Bleeding“ / Altenburg,<br />
• „Eugenik“ / Gera,<br />
• „Moshpit“ / Altenburg,<br />
• „PAK 88“ / Erfurt,<br />
• „Rabenschrei“ / Sondershausen,<br />
• „Rabiat“ (vormals „D.N.A.“) / Gera,<br />
• „Radikahl“ (nur noch Sänger) / Weimar,<br />
• „SKD“ („Sonderkommando Dirlewanger“ 49 ) / Gotha,<br />
• „Skuld“ / Eisfeld,<br />
• „Totenburg“ / Gera,<br />
• „Wolfssang“ / Nordthüringen.<br />
49 Die sich aus Straftätern rekrutierende „Sondereinheit Dirlewanger“ der SS zeichnete sich durch besondere<br />
Brutalität aus. Sie war aktiv an der Niederschlagung des „Warschauer Aufstandes“ und an Vergeltungsaktionen<br />
auf Aktivitäten russischer Partisanen im 2. Weltkrieg beteiligt.
Im Vergleich zum Vorjahr (15 Bands) blieb die Zahl der als rechtsextremistisch<br />
bewerteten aktiven Musikgruppen damit etwa konstant.<br />
Eine Band formierte sich um und brachte unter ihrem neuen<br />
Namen „Rabiat“ die Debüt-CD „Ohne Kompromisse“ heraus,<br />
während mit den „Black Metal“-Bands „Rabenschrei“ und „Wolfssang“<br />
zwei Bands 2007 erstmals in Erscheinung traten und eine<br />
Split-CD veröffentlichten.<br />
Die hiesigen rechtsextremistischen<br />
Bands sind vorwiegend<br />
in Ostthüringen konzentriert.<br />
Nur wenige Bands sind im<br />
Westthüringer Raum angesiedelt.<br />
Die Bands traten überwiegend<br />
in den angrenzenden<br />
Bundesländern auf, einige<br />
auch im Ausland. In Thüringen<br />
geplante Auftritte kamen durch<br />
Auflösung bzw. Verhinderung von Konzertveranstaltungen zumeist<br />
nicht zustande. Die Bands „Eugenik“, „SKD“, „Eternal Bleeding“<br />
und „Radikahl“ erlangten mit diversen Auftritten außerhalb Thüringens<br />
überregionale Bekanntheit. Mitglieder der Bands „Moshpit“<br />
und „Brainwash“ stammen teils aus<br />
Thüringen, teils aus anderen Bundesländern.<br />
Einzelne Musiker wirken in<br />
mehreren Bands mit. Mitunter schließen<br />
sich Mitglieder verschiedener<br />
Bands vorübergehend zu Projekten<br />
zusammen und absolvieren Live-Auftritte<br />
oder spielen eigene Tonträger<br />
ein. Bei Konzerten oder Studioaufnahmen<br />
werden fehlende Positionen<br />
der Stammbesetzung oft durch den<br />
Einsatz von Musikern anderer Bands<br />
kompensiert.<br />
Die während des Berichtszeitraumes aktivsten Bands waren „SKD“,<br />
„Eternal Bleeding“ und „Celtic Dawn“. Eine mehr als zehnjährige<br />
Bandgeschichte weisen „Radikahl“ und „Eugenik“ auf. Maximilian<br />
„Max“ LEMKE aus Jena und „Torstein“ aus Nordthüringen waren<br />
jene rechtsextremistischen Liedermacher, die im Jahr 2007 am<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
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94<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
häufigsten in Erscheinung getreten sind. Die Aktivitäten der Band<br />
„SKD“ waren nach der Inhaftierung des Band-Leaders rückläufig.<br />
Interne Zerwürfnisse um die Vermarktung von Tonträgern führten<br />
zur zwischenzeitlichen Auflösung der Band, wobei ein Wiederaufleben<br />
nach Rückkehr des Bandleaders nicht ausgeschlossen<br />
scheint.<br />
Mit den englischsprachigen CDs „Dead Eyes Kissed the Light”<br />
von „Eternal Bleeding”, „Hate is our Justice“ von „Brainwash“ und<br />
„Mirror of an unbroken Faith“ von „Moshpit“ gab es 2007 Neuerscheinungen<br />
insbesondere von rechtsextremistischen Hatecore-Bands<br />
aus Thüringen bzw. solchen mit Thüringer Beteiligung.<br />
Daneben erschienen mit den CDs „Allvater – Vater“ und „Europa<br />
– Nation – Revolution“ Tonträger unter Beteiligung der bis zu ihrer<br />
Auflösung aktivsten Thüringer Band „SKD“. Bereits zu Jahresbeginn<br />
brachte „Celtic Dawn“ ihre Debüt-CD „Mit stählerner Hand“<br />
heraus. Mit der CD „Mein Leben der Heimat“ veröffentlichte der<br />
Liedermacher „Torstein“ 2007 ebenfalls seine Debüt-CD.<br />
Während die Mitglieder von „SKD“ ihren politischen Standort in<br />
älteren Stücken mit antisemitischen, rassistischen, ausländerfeindlichen,<br />
volksverhetzenden und gewaltverherrlichenden Textpassagen<br />
noch unverblümt zum Ausdruck brachten, wurden die Texte<br />
bei den aktuellen Veröffentlichungen deutlich entschärft. Es werden<br />
heidnisch-politische Themen verarbeitet, in denen rechtsextremistische<br />
Botschaften nur noch unterschwellig anklingen.<br />
Die Hoffnung auf einen zukünftigen „Führerstaat“ wird deutlich<br />
auf der SKD-CD „Europa – Nation – Revolution“ im Titel „Am<br />
Bahngleis der Zukunft“, wenn es heißt:<br />
„… Am Bahngleis der Zukunft stellen wir die Weichen<br />
Wir sind die Träger der Pflicht Träger der verbotenen Zeichen<br />
Wir sind die Söhne und Enkel einer nie vergessenen Zeit<br />
Stolze Erben schwer geprüft von Hass und Neid.<br />
...<br />
Es naht der Tag wo uns wieder führt<br />
Ein Mann dem dieses Recht gebührt<br />
Ein alter Schwur ein neuer Eid<br />
Führt uns gemeinsam aus diesem Leid …“<br />
Aus dem Original übernommen.
5.6 Organisation und Ablauf<br />
rechtsextremistischer Konzerte im Allgemeinen<br />
Die oft als überregionale Treffen organisierten Konzerte dienen als<br />
Forum, um Kontakte zu pflegen, Informationen auszutauschen und<br />
die Vernetzung der strukturschwachen Szene zu fördern. Sie vermitteln<br />
den Teilnehmern ein Gemeinschaftsgefühl.<br />
Auf das restriktive Vorgehen der Behörden gegen die Veranstal-<br />
tung von rechtsextremistischen Konzerten reagiert die Szene mit<br />
teils konspirativen Methoden bei deren Planung und Durchführung.<br />
Die Termine und Orte rechtsextremistischer Konzerte werden meist<br />
nicht öffentlich bekannt gegeben. Die Szene wirbt für sie vor allem<br />
per SMS, über Telefonketten, Mailinglisten, mit per Post versandten<br />
Briefen sowie durch Mundpropaganda. In der Regel wird nur<br />
ein Vorab-treffpunkt benannt, von dem aus die Teilnehmer zum<br />
eigentlichen Veranstaltungsort weitergeleitet werden. Mitunter<br />
wird der Polizeifunk mit Scannern abgehört, um gegebenenfalls<br />
kurzfristig auf Einsätze der Polizei reagieren zu können. Vor<br />
Beginn der Konzerte führen die Initiatoren gelegentlich Leibesvisitationen<br />
durch und fordern die Teilnehmer auf, ihre Handys abzugeben.<br />
Die Angehörigen der Szene bemühen sich, ihre wahren Absichten<br />
zu verbergen, wenn sie Räumlichkeiten mieten und die Veranstaltungen<br />
gegenüber den Ordnungsbehörden anzeigen. So täuschen<br />
sie beispielsweise vor, Familienfeiern, Klassentreffen oder<br />
Geburtstagsfeiern mit Livemusik vorzubereiten. Teilweise werden<br />
Räumlichkeiten von Personen gemietet, die sowohl deren Besitzern<br />
als auch den Polizei- und Ordnungsbehörden noch nicht<br />
einschlägig bekannt sind. Für Konzerte werden Gaststätten, alte<br />
Industriegelände oder Räumlichkeiten genutzt, über die Sympathisanten<br />
der Szene verfügen. Solche Szeneobjekte bieten den<br />
Vorteil, kurzfristig als Ausweichobjekt zur Verfügung zu stehen,<br />
sollte ein an einem anderen Ort geplantes Konzert verhindert oder<br />
aufgelöst werden. In den Sommermonaten finden Konzerte auch<br />
auf Waldlichtungen, Wiesen oder anderen Orten im Freien statt.<br />
Oft erklären die Organisatoren auch, eine „geschlossene Veran-<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
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96<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
staltung“ mit „geladenen Gästen“, nicht jedoch ein Konzert zu<br />
planen. Hinzu kommen von der NPD angemeldete Veranstaltungen,<br />
die durch Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen Konzertcharakter<br />
erlangen.<br />
Für die Konzerte wird von den Veranstaltern in der Regel ein Eintrittsgeld<br />
zwischen 5 und 20 Euro erhoben. Dessen Höhe hängt<br />
u. a. davon ab, welche Bands auftreten oder aus welchem Anlass<br />
die Veranstaltung stattfindet (z.B. „Benefiz-Konzerte für inhaftierte<br />
Kameraden“). Oftmals sind im Eintritt Freigetränke enthalten.<br />
Von einem Teil der eingenommenen Gelder werden die Gagen<br />
der auftretenden Bands bzw. Reisekosten gezahlt. Die Höhe der<br />
Gagen variiert, kann jedoch durchaus im hohen dreistelligen Bereich<br />
liegen, wenn es sich um bekanntere Bands handelt. Der Gewinn,<br />
der aus solchen Konzerten gezogen wird, fällt meist dem<br />
Veranstalter zu. Die Höhe der Gewinne ist schwer zu beziffern. In<br />
vielen Fällen dürften sie zumindest den Lebensunterhalt der Veranstalter<br />
aufbessern. Nicht unerhebliche Umsätze und Gewinne<br />
werden darüber hinaus durch den Verkauf von CDs und Devotionalien<br />
erzielt.<br />
Mitunter begehen Besucher und/oder Mitglieder der auftretenden<br />
Bands während oder im Umfeld der Konzerte Straftaten, bei denen<br />
es sich vorrangig um Propagandadelikte handelt. Vereinzelt werden<br />
im Verlauf der Konzerte Lieder mit fremdenfeindlichen und<br />
antisemitischen Texten gesungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung<br />
nach § 130 StGB erfüllen. Insbesondere bei Konzerten,<br />
die von der Polizei aufgelöst oder verhindert werden, kommt es<br />
infolge des erhöhten „Frustpotenzials“ von Teilnehmern und Organisatoren<br />
gelegentlich zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte.<br />
5.7 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen<br />
Die Zahl der rechtsextremistischen Konzerte in Thüringen ging<br />
im Jahr 2007 weiter zurück. Von insgesamt acht stattgefundenen<br />
Konzerten wurden sechs durch die Polizei aufgelöst. Zwei weitere<br />
Konzerte sind bereits um Vorfeld von der Polizei verhindert<br />
worden. Darüber hinaus mag es kleinere konzertähnliche Veran-
staltungen gegeben haben, die weder inner- noch außerhalb der<br />
Szene größere Bekanntheit erlangten.<br />
Statistik rechtsextremistischer Konzerte in Thüringen:<br />
Freistaat Thüringen Bund<br />
Jahr 2005 2006 2007 2007<br />
stattgefunden 22 12 8 138<br />
davon aufgelöst 9 6 6 20<br />
verhindert 6 6 2 21<br />
Dank einer verstärkten Vorfeldaufklärung, einer intensiven Zusammenarbeit<br />
von Polizei und Verfassungsschutz sowie einer konsequenten<br />
Umsetzung des Erlasses des Thüringer Innenministeriums<br />
zur „Polizeilichen Behandlung von Skinhead-Konzerten“ gelang es<br />
im Berichtszeitraum erneut, den Bemühungen der Szene, Konzerte<br />
zu organisieren, mit Erfolg zu begegnen. Von zehn beabsichtigten<br />
Konzertaktivitäten konnten insgesamt acht im Vorfeld verhindert<br />
bzw. aufgelöst werden.<br />
Rund zwei Drittel aller rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen<br />
in Deutschland fand in den neuen Bundesländern statt. Thüringen<br />
rangiert im Vergleich der neuen Bundesländer – zusammen<br />
mit Sachsen-Anhalt – auf dem vierten Platz, im Bundesvergleich<br />
bezüglich der Anzahl der stattgefundenen Konzerte im oberen<br />
Mittelfeld. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Rechtsextremistische<br />
Musik und damit verbundene Veranstaltungen sind insbesondere<br />
in den neuen Bundesländern sehr populär. Zudem weist Thüringen<br />
aufgrund seiner zentralen geografischen Lage sowie des großen<br />
Angebots an preisgünstigen oder leerstehenden Gebäuden eine<br />
Infrastruktur auf, die sowohl für die Veranstalter der Konzerte als<br />
auch für die Sympathisanten, die aus Thüringen und anderen Bundesländern<br />
anreisen, von Vorteil ist.<br />
Die Konzerte fanden sowohl in Gaststätten als auch im Freien statt.<br />
Zum Teil wurden sie aber auch in so genannten Szeneobjekten veranstaltet<br />
– meist in ehemaligen Gaststätten, Fabrikhallen oder Baracken,<br />
die über einen längeren Zeitraum von Rechtsextremisten<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
97
98<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
für ihre Aktivitäten genutzt werden. Diese Gebäude dienen auch<br />
als Proberäume für Bands, als Versammlungsräume und Freizeittreffs.<br />
Nicht zuletzt auch wegen der in immer geringerer Zahl zur Verfügung<br />
stehenden Szeneobjekte fanden im Jahr 2007 weniger<br />
rechtsextremistische Konzerte in Thüringen statt. An den Veranstaltungen<br />
beteiligten sich jeweils zwischen 50 und 200 Personen,<br />
von denen der Großteil oftmals aus den angrenzenden Bundesländern<br />
angereist war. Wurden die Konzerte im Vorjahr im<br />
Durchschnitt von etwa 150 Personen besucht, sank dieser Wert<br />
im Berichtszeitraum auf etwa 105 Besucher und damit deutlich<br />
unter den bundesweiten Durchschnitt von 150 Personen ab. Der<br />
sich bereits 2006 abzeichnende Trend hin zu kleineren Konzerten<br />
hat sich inzwischen sowohl in Thüringen als auch im übrigen Bundesgebiet<br />
bestätigt. Mehr als die Hälfte aller Veranstaltungen zog<br />
bis zu 100 Personen an, weit seltener wurden bis zu 200 Besucher<br />
gezählt. Konzerte mit mehr als 200 Teilnehmern bildeten zuletzt<br />
die Ausnahme. In Anbetracht eines bei einer Großveranstaltung<br />
drohenden Verbotes und der damit verbundenen finanziellen Einbußen<br />
gingen die Veranstalter dazu über, mehrere kleine Konzerte<br />
auszurichten.<br />
Das Gros der Konzertteilnehmer (41 %) gehörte der Altersgruppe<br />
der 20 bis 24-Jährigen an. 29 % der Besucher waren 25 bis<br />
30 Jahre alt, 12 % waren älter. Der Anteil jener Konzertteilnehmer,<br />
die das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, ist erneut zurückgegangen.<br />
Betrug er im Jahr 2005 noch 26 %, lag er 2006 bei<br />
19 % und im Berichtszeitraum schließlich bei 18 %. Frauen machten<br />
wie im Vorjahr 25 % der Besucher aus.<br />
Wegen der starken Anziehungskraft, die rechtsextremistische<br />
Musik auf einen Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />
ausübt, wird die Szene auch künftig bestrebt sein, dieses Personenpotenzial<br />
über rechtsextremistische Konzerte an sich zu binden.<br />
Allerdings dürfte sich die Entwicklung fortsetzen, kleinere,<br />
konspirativ organisierte Konzerte auszurichten. Ebenso dürfte<br />
sich das Spektrum der rechtsextremistischen Musikstile weiter auffächern.
Übersicht über die rechtsextremistischen Konzertaktivitäten: 50<br />
Datum Ort Teilnehmerzahl<br />
1 13.01.07 Neustadt 150–200 drei Bands<br />
2 27.01.07 Langenschade<br />
(verhindert)<br />
3 31.01.07 Altenburg<br />
(aufgelöst)<br />
4 03.02.07 Gotha<br />
(aufgelöst)<br />
5 10.03.07 Brotterode<br />
(aufgelöst)<br />
6 14.04.07 Hildburghausen<br />
(aufgelöst)<br />
7 18.05.07 Arnstadt-<br />
Rudisleben<br />
(aufgelöst)<br />
8 19.05.07 Erfurt-<br />
Möbisburg<br />
(verhindert)<br />
9 16.06.07 Breitungen<br />
(aufgelöst)<br />
50 Thüringer Bands wurden fett gedruckt.<br />
(angekündigte) Bands<br />
70 „Max Resist“ (USA),<br />
„Racial Purity“ (Sachsen-<br />
Anhalt) und „PAK 88“<br />
70 „Max Resist“ (USA)<br />
und „Eternal Bleeding“<br />
160 „SKD“, „PAK 88“,<br />
„Ehre & Stolz“ und<br />
„Gegenschlag“ (Hessen)<br />
50 drei unbekannte Bands<br />
150 „Amok“ (Schweiz),<br />
„SKD“<br />
75 „PAK 88“, „SOKO 18“<br />
(Bayern) und „SKD“<br />
60 „PAK 88“ und „K.T.E.“<br />
(Sachsen)<br />
60 „Vae Victis“ (Sachsen-<br />
Anhalt), „Aryan Voice“<br />
(Niedersachsen) und eine<br />
weitere unbekannte Band<br />
10 29.09.07 Neustadt 100 „Donars Groll“ (Sachsen)<br />
und „Njord“ (Schweden)<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
99
100<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Rechtsextremistische Bands und Liedermacher traten in Thüringen<br />
zudem auch bei den folgenden Veranstaltungen der NPD und der<br />
Neonazis auf: 51<br />
Datum Art und Ort Teilnehmerzahl<br />
1 10.02.07 Mitgliederversammlung<br />
des<br />
NPD-KV Hildburghausen-<br />
Suhl in Hildburghausen<br />
2 19.05.07 Demonstration<br />
„6. Thüringentag<br />
der nationalen<br />
Jugend“<br />
in Eisenach<br />
3 30.06.07 NPD-Veranstaltung<br />
„Rock<br />
für Deutschland“<br />
in Gera<br />
4 07.07.07 NPD-Veranstaltung<br />
„Unsere<br />
Kinder sind unsere<br />
Zukunft“<br />
in Greiz<br />
5 08.09.07 NPD-Veranstaltung<br />
„2. Fest<br />
der Völker“<br />
in Jena<br />
6 15.09.07 Parteiveranstaltung<br />
des NPD-<br />
KV Hildburghausen-Suhl<br />
in<br />
Stressenhausen<br />
Bands/Liedermacher<br />
180 „Celtic Dawn“,<br />
„SKD“ und „PAK 88“<br />
370 „Vae Victis“ (Sachsen-<br />
Anhalt), „Carpe Diem“<br />
(Baden-Württemberg)<br />
und Liedermacher<br />
„Max“<br />
650 „Frontalkraft“ (Brandenburg),<br />
„Woden“ (Großbritannien),<br />
„Racial Purity“<br />
(Sachsen) und „Spreegeschwader“<br />
(Berlin)<br />
70 „Braune Brüder“ (Bayern)<br />
und Liedermacher „Max“<br />
1.400 „Conflict 88“ (Tschechien),<br />
„Brutal Attack“<br />
(England) und „Sleipnir“<br />
(Nordrhein-Westfalen)<br />
180 vier Bands<br />
51 Thüringer Bands/Liedermacher wurden fett gedruckt. Darüber hinaus gab es weitere sonstige musikalische<br />
Veranstaltungen mit Auftritten ausschließlich von Liedermachern.
5.8 Rechtsextremistische<br />
Produktions- und Vertriebsstrukturen<br />
Rechtsextremistische Musik wird größtenteils von rechtsextremistischen<br />
Labels produziert, Produktionsfirmen also, die sich in der<br />
Hand von Rechtsextremisten befinden. Für gewöhnlich sind diesen<br />
Labels Vertriebe angeschlossen. Im Freistaat Thüringen bestehen<br />
solche Strukturen u.a. durch die von dem NPD-Funktionär und<br />
Neonazi Thorsten HEISE in Fretterode betriebene Unternehmung<br />
„W & B Records“ sowie den „Germania Versand“ in Sondershausen.<br />
Beide Labels erstellten in der Vergangenheit verschiedene „Eigenproduktionen“<br />
oder auch Sampler von rechtsextremistischen<br />
Bands bzw. Liedermachern. Über ihre Vertriebsschiene bieten sie<br />
darüber hinaus ein umfangreiches Sortiment an weiteren szenetypischen<br />
Tonträgern und Bekleidung an. Auch Hinweise auf Veranstaltungstermine<br />
der Thüringer NPD werden über diese Kanäle<br />
verbreitet.<br />
Da rechtsextremistische Musik im „normalen“ Handel meist nicht<br />
zu erhalten ist, hat sich zu deren Verbreitung ein spezieller Versandhandel<br />
herausgebildet. Im Zuge der Kommerzialisierung wurde<br />
der Handel mit Tonträgern durch ein umfassendes Angebot an<br />
Videos, Bekleidung, Schuhen/Stiefeln, Fahnen, Schmuck, Büchern<br />
etc. ergänzt. Rechtsextremistische Musik und Szeneartikel werden<br />
von Vertrieben, in so genannten Szene-Läden sowie von Klein- und<br />
Kleinsthändlern angeboten.<br />
Vertriebe/Versandhandel<br />
Die Zahl der rechtsextremistischen Skinheadvertriebe, die in größerem<br />
Umfang bundesweit rechtsextremistische Musik und Szeneartikel<br />
anbieten und auf dem Postweg versenden, ist im Berichtszeitraum<br />
gegenüber dem Vorjahr auf 82 gesunken (2006: 90). Die<br />
Anzahl der in Thüringen ansässigen Einrichtungen bewegt sich im<br />
einstelligen Bereich. Der Vertrieb erfolgt vorwiegend über Internet,<br />
da dies den Aufwand für Betreiber wie Besteller minimiert. Internetanbietern<br />
kommt innerhalb der Szene große Bedeutung zu, weil so<br />
entsprechendes Liedgut und Devotionalien einem umfangreichen<br />
Interessentenkreis zugänglich gemacht werden können. MP3-Da-<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
101
102<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
teien können von Internettauschbörsen heruntergeladen werden.<br />
Strafrechtlich relevante Tonträger werden weiterhin vorrangig im<br />
Ausland produziert und von dort aus auch vertrieben.<br />
Szene-Läden<br />
Szene-Läden stellen wegen ihres Warenangebots einen Anlaufpunkt<br />
insbesondere für subkulturell geprägte Rechtsextremisten<br />
dar. Jene Einrichtungen, die sich u. a. in Erfurt, Gera, Jena und<br />
Weimar befinden, unterhalten in der Regel keine Vertriebsmöglichkeiten<br />
über Internet.<br />
Klein- und Kleinsthändler<br />
Klein- und Kleinsthändler wickeln als „fliegende Händler“, beispielsweise<br />
bei rechtsextremistischen Konzerten, spontan Geschäfte<br />
mit kleinen Stückzahlen ab. Sie bedienen lediglich die jeweilige<br />
regionale rechtsextremistische Szene – auch mit strafrechtlich relevanter<br />
Ware.<br />
Von den beschriebenen Vertriebswegen abgesehen werden Szeneartikel<br />
auch privat, bei Kameradschaftstreffen oder sonstigen<br />
rechtsextremistischen Veranstaltungen veräußert. Mit dieser Dezentralisierung<br />
reagiert die Szene offenbar auf die Exekutivmaßnahmen<br />
der vergangenen Jahre, als strafrechtlich relevante oder<br />
indizierte Produkte sichergestellt werden konnten.<br />
5.9 Rechtsextremistische Fanzines<br />
Fanzines gehören neben der Musik zu einem weiteren Kommunikationsmittel<br />
des rechtsextremistischen subkulturellen Spektrums.<br />
Der Begriff „Fanzine“ ergibt sich aus der verkürzten Zusammensetzung<br />
der beiden englischen Wörter „fan“ (begeisterter Anhänger)<br />
und „magazine“ (Magazin, Illustrierte). Die meist unregelmäßig erscheinenden<br />
Fanzines werden häufig von Skinheads mit Szeneerfahrung<br />
und entsprechenden Kontakten herausgegeben. Unterschiede<br />
gibt es bei Art und Aufmachung. Manche Fanzines wirken
primitiv und sind von schlechter Qualität, andere sind durchaus<br />
ansprechend und qualitativ hochwertig gestaltet. Unterschiede<br />
gibt es auch bei den Auflagenhöhen. Die Publikationen beinhalten<br />
überwiegend Informationen zu Konzerten, Skinheadtreffen oder<br />
auch Interviews mit Skinheadbands. Weiteren Raum nimmt Werbung<br />
für Tonträger, Szeneartikel oder für andere Fanzines ein. Die<br />
Publikationen haben einen geringen, meist regional begrenzten<br />
Verteilerkreis. Der Verkauf von Fanzines erfolgt überwiegend auf<br />
Konzerten, über Vertriebe und Szene-Läden sowie von Hand zu<br />
Hand. Manche Fanzines können direkt beim Herausgeber oder per<br />
Internet bestellt werden. Fanzines haben in ihrer herkömmlich gedruckten<br />
Form stark an Bedeutung verloren, sie werden nach und<br />
nach durch entsprechende Internetangebote ersetzt.<br />
In Thüringen erschien im Berichtsjahr lediglich das Online-Fanzine<br />
„WB Magazin“, welches auf der Homepage des Internetvertriebes<br />
„W & B Records“ abrufbar ist. Bundesweit wurden im Berichtsjahr<br />
9 (2006: 10) Fanzines veröffentlicht.<br />
6. Sonstige Gruppierungen<br />
In Thüringen traten im Berichtszeitraum wiederholt sonstige überregionale<br />
rechtsextremistische Gruppierungen in Erscheinung,<br />
die den Freistaat wegen seiner zentralen Lage für ihre Tagungen<br />
bevorzugen. Die Veranstaltungsteilnehmer reisten überwiegend<br />
aus anderen Bundesländern an. Das Spektrum der im Folgenden<br />
dargestellten Gruppierungen reicht vom germanisch-heidnischen<br />
über den neonazistischen bis hin zum „intellektuellen“ <strong>Rechtsextremismus</strong>.<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
103
104<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
6.1 „Die Artgemeinschaft – Germanische<br />
Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer<br />
Lebensgestaltung e.V.“ (Artgemeinschaft)<br />
Die 1951 gegründete germanisch-heidnische „Artgemeinschaft“<br />
hat ihren Sitz in Berlin, entfaltet ihre Aktivitäten jedoch von Hamburg<br />
aus. Sie versteht sich als Glaubensbund, der „die Kultur der<br />
nordeuropäischen Menschenart“ bewahren, erneuern und weiterentwickeln<br />
will und verbindet germanisch-heidnische Glaubensansätze<br />
mit rassistischen Vorstellungen. Von ihren bundesweit<br />
ca. 150 Mitgliedern sind etwa zehn in Thüringen beheimatet. Die<br />
„Artgemeinschaft“ gibt die „Nordische Zeitung“ sowie eine Schriftenreihe<br />
heraus und verfügt über eine eigene Website.<br />
Ihr Vorsitzender, der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen RIEGER,<br />
zählt seit Jahren zu den aktivsten Rechtsextremisten Deutschlands.<br />
Im November 2006 wurde er als Beisitzer in den Parteivorstand der<br />
NPD gewählt. Wegen seines breit angelegten Engagements, seiner<br />
Kontakte und Auftritte als Referent oder als juristischer Beistand<br />
von Rechtsextremisten gilt er als Symbol- und Integrationsfigur im<br />
deutschen <strong>Rechtsextremismus</strong>.<br />
Die regelmäßigen überregionalen „Gemeinschaftstagungen“ um<br />
die Tag- und Nachtgleichen sowie die Sommer- bzw. Wintersonnensonnwende<br />
führte die „Artgemeinschaft“ 2007 wiederum in<br />
Nordthüringen durch. Die Teilnehmer, darunter aktuelle aber auch<br />
ehemalige Aktivisten der rechtsextremistischen Szene, waren nahezu<br />
aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Die geschlossenen<br />
Veranstaltungen kommen zum Teil Volksfesten oder geselligen<br />
Familienveranstaltungen gleich, bei denen germanische Brauchtumspflege<br />
betrieben wird. Dieser harmlos anmutenden „Lagerfeuerromantik“<br />
steht das Regelwerk der Artgemeinschaft mit eindeutig<br />
rechtsextremistischen Ideologieelementen allerdings entgegen. So<br />
gebietet das „Sittengesetz“ der „Artgemeinschaft“ ihren Mitgliedern<br />
u. a., sich für die „Wahrung, Einigung und Mehrung germanischer<br />
Art“ einzusetzen, „Gefolgschaft dem besseren Führer“ zu leisten<br />
und eine „gleichgeartete Gattenwahl (als) Gewähr für gleichgeartete<br />
Kinder“ zu treffen.
6.2 „Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) –<br />
Der Bismarck Deutsche“<br />
Die DDF stellt eine neonazistische Organisation dar, die nationalistisches,<br />
rassistisches und antisemitisches Gedankengut verbreitet. Die<br />
Aktivitäten der Organisation beschränken sich nahezu ausschließlich<br />
darauf, die Zweimonatsschrift „Recht und Wahrheit“, die Artikel<br />
von rechtsextremistischen Autoren und Verlegern publiziert,<br />
herauszugeben und zweimal jährlich „Recht und Wahrheit-Lesertreffen“<br />
unter dem Namen „Tage Deutscher Gemeinschaft“ zu organisieren.<br />
Die Lesertreffen, zu denen sich Anhänger des gesamten<br />
rechtsextremistischen Spektrums einfinden, stehen unter der Verantwortung<br />
des ehemaligen Vorsitzenden der NPD, Günter DECKERT.<br />
Bereits seit 1997 führt die DDF ihre jährlichen „Recht und Wahrheit-<br />
Lesertreffen“ in Nordthüringen durch. Zu den diesjährigen Tagungen<br />
vom 4. bis 6. Mai bzw. 12. bis 14. Oktober fanden sich jeweils bis zu<br />
120 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet ein. Die Treffen üben<br />
auf Anhänger der rechtsextremistischen Szene Thüringens nur geringe<br />
Anziehungskraft aus. Dies dürfte neben dem von den Initiatoren geübten<br />
Verzicht auf größere Außenwirkung sowohl auf die Auswahl als<br />
auch die intellektualisierende Betrachtungs- und Behandlungsweise<br />
der jeweils angeschnittenen Themen zurückzuführen sein.<br />
6.3 „Collegium Humanum e.V.“ (CH) 52<br />
Das 1963 von dem 1999 verstorbenen Rechtsextremisten Werner Georg<br />
HAVERBECK gegründete CH dient seit Jahrzehnten als Bildungsstätte,<br />
die insbesondere von Rechtsextremisten genutzt wird. Die Vorsitzende<br />
des CH, Ursula HAVERBECK-WETZEL, arbeitet eng mit Horst<br />
MAHLER zusammen. MAHLER tritt aktiv in dem revisionistischen<br />
„Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts<br />
Verfolgten“ (VRBHV) und der von ihm initiierten „Reichsbürgerbewegung“<br />
(RBB) auf. In der Zweimonatsschrift des CH „Lebensschutz-Informationen<br />
(LSI) – Stimme des Gewissens“ (vormals WSL-D 53 ) werden<br />
regelmäßig holocaustleugnende Äußerungen veröffentlicht.<br />
52 Der Verein ist mit Verfügung des Bundesinnenministers vom 18.04.2008 verboten worden.<br />
53 „Weltbund zum Schutz des Lebens – Bundesverband Deutschland e.V.“ (WSL-D).<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
105
106<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Vom 20. bis 22. April wurde in Mosbach bei Eisenach ein Seminar<br />
des CH durchgeführt. Eine weitere Tagung fand dort vom<br />
5. bis 7. Oktober mit ca. 50 Teilnehmern statt. Zum Programm<br />
der Herbsttagung zählte der Besuch einer auf der Wartburg dargebotenen<br />
Ausstellung zum Wirken der „Heiligen Elisabeth von<br />
Thüringen“, der zugleich als Einstieg in das Tagungsthema: „Die<br />
geschichtliche Zeit des deutschen Ritterordens“ dienen sollte.<br />
6.4 „Deutsches Kolleg“ (DK)<br />
Das 1994 gegründete DK stellt einen rechtsextremistischen Theoriezirkel<br />
dar, der sich als „Denkorgan des Deutschen Reiches“<br />
versteht und rassistisches sowie antisemitisches Gedankengut<br />
verbreitet. Die Leitung des DK obliegt dem rechtsextremistischen<br />
Soziologen Dr. Reinhold OBERLERCHER. Seine zentrale Aufgabe<br />
sieht das DK vornehmlich „in der Schulung der nationalen Intelligenz“.<br />
Die Bemühungen des DK, auf diesem Weg Einfluss auch<br />
auf andere rechtsextremistische Organisationen und Einzelpersonen<br />
zu gewinnen, waren bislang wenig erfolgreich. An der Jahreshauptversammlung<br />
Anfang Juni in Mosbach bei Eisenach nahmen<br />
weniger als 20 Personen teil.<br />
6.5 „Exilregierung Deutsches Reich“<br />
Seit Anfang 2000 gehen von einer so genannten Kommissarischen<br />
Reichsregierung des Deutschen Reiches (KRR) 54 bundesweit Aktivitäten<br />
aus. Ihrer Auffassung nach bestehe das Deutsche Reich<br />
in den Grenzen von 1937 fort. Als Beleg führt sie u. a. mehrere<br />
völkerrechtliche Verträge und entsprechende Gerichtsurteile an,<br />
die diese Rechtsauffassung angeblich stützten. Aufgrund interner<br />
Unstimmigkeiten innerhalb der KRR spalteten sich mehrere kleine<br />
Personengruppen ab, die unter anderen Bezeichnungen die Ansichten<br />
der KRR weiter vertreten.<br />
54 Die KRR ist kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden.
Bei der „Exilregierung Deutsches Reich“ handelt es sich um einen<br />
im Jahr 2004 gegründeten Ableger der KRR. Die „Exilregierung“<br />
entfaltet Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung. In den Verlautbarungen der „Exilregierung“ finden<br />
sich zahlreiche Belege für die Negation der völkerrechtlich akzeptierten<br />
territorialen Grenzen Deutschlands. Sie verfolgt somit<br />
Ziele, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet<br />
sind. Über die Kritik an Vertretern von Politik und Behörden hinaus<br />
lehnt die „Exilregierung“ das Gesamtsystem der freiheitlichen<br />
demokratischen Grundordnung ausdrücklich ab.<br />
Anhänger der „Exilregierung“ wandten sich auch im Berichtszeitraum<br />
mit der Begründung gegen Entscheidungen bzw. Maßnahmen<br />
von Behörden und Gerichten, dass diese Stellen – ebenso wie<br />
die Bundesrepublik Deutschland – „nicht existent“ seien.<br />
Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der „Exilregierung“ wurden<br />
bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festgestellt. Die „Exilregierung“<br />
führte im Berichtszeitraum lediglich interne Treffen durch,<br />
darunter auch so genannte Kabinettsitzungen mit Bürgerinformation<br />
in der Nähe von Eisenach. Zu diesen Veranstaltungen fanden<br />
sich deutlich weniger als 50 Personen, darunter kaum Thüringer,<br />
ein. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene Thüringens kommt<br />
der „Exilregierung“ keine Bedeutung zu.<br />
7. Politisch motivierte Kriminalität – Rechts –<br />
im Überblick<br />
Die Entwicklung der im Bereich der politisch motivierten Kriminalität<br />
– Rechts – in den letzten Jahren in Thüringen begangenen<br />
Straftaten stellt sich in der Statistik des Thüringer Landeskriminalamts<br />
(TLKA) wie folgt dar:<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
107
108<br />
<strong>Rechtsextremismus</strong><br />
Straftaten 2005 2006 2007<br />
Insgesamt 620 611 753<br />
davon u. a.:<br />
Propagandadelikte 398 387 397<br />
Gewaltkriminalität 55 53 55 61<br />
Volksverhetzungen 83 94 178<br />
Sachbeschädigungen 13 14 47<br />
Bei mehr als der Hälfte aller 2007 im Freistaat Thüringen registrierten<br />
politisch motivierten Straftaten (1.398) handelte es sich<br />
um solche des Phänomenbereichs – Rechts. Insgesamt wurden<br />
hier 142 Delikte mehr als im Jahr zuvor erfasst. Die Mehrzahl der<br />
Vorfälle war – wie in den Vorjahren auch – den Propagandadelikten<br />
zuzuordnen. Aufgrund größerer Szeneveranstaltungen in den<br />
Schutzbereichen der Polizeidirektionen Erfurt, Jena und Gera stiegen<br />
die Fallzahlen dort am deutlichsten an.<br />
55 Die politisch motivierte Gewaltkriminalität umfasst Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brand- und<br />
Sprengstoffdelikte, Landfriedenbruch, gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahn- und Straßenverkehr,<br />
Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstands- und Sexualdelikte.
1. Überblick<br />
III. Linksextremismus<br />
Bundesweit umfasst das Potenzial der revolutionären Marxisten<br />
etwa 24.800 Personen. Hinzu kommen ca. 6.300 Personen, die<br />
die Verfassungsschutzbehörden der gewaltbereiten linksextremistischen<br />
Szene zurechnen. Zu ihnen gehören auch etwa 5.800 Autonome.<br />
Diese Zahlen weichen nicht wesentlich von den Werten<br />
des Vorjahres ab, zeigen jedoch im aktionsorientierten Bereich, der<br />
insbesondere durch das autonome Spektrum getragen wird, eine<br />
leichte Zunahme.<br />
Geschätzte Mitglieder- bzw. Anhängerpotenziale im<br />
Freistaat Thüringen<br />
Freistaat Thüringen Bund<br />
2005 2006 2007 2007<br />
Gewaltbereite Linksextremisten,<br />
davon Autonome 150 150 130<br />
6.300<br />
5.800<br />
Anarchisten: FAU-IAA – – 10 300<br />
KPF der Partei DIE LINKE. 50 50 90 840<br />
DKP 50 50 40 4.200<br />
KPD wenige Mitglieder 200<br />
MLPD 50 50 50 2.300<br />
nicht wenige<br />
Rote Hilfe e.V.<br />
benannt Mitgl. 4.300<br />
Die Lage im Freistaat stellte sich 2007 in Bezug auf das linksextremistische<br />
Spektrum wie folgt dar:<br />
Die in Thüringen agierenden marxistisch-leninistischen Parteien<br />
und Organisationen vermochten es auch im Berichtszeitraum<br />
kaum, durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wahrgenommen<br />
Linksextremismus<br />
109
110<br />
Linksextremismus<br />
zu werden. Wenngleich sich im Rahmen der Gründung der Partei<br />
„DIE LINKE.“ mehr Anhänger zu ihrer „Kommunistischen Plattform“<br />
(KPF) bekannten als in der Vergangenheit unter der PDS, stagnierten<br />
die Mitgliederzahlen ansonsten auf dem niedrigen Niveau<br />
der Vorjahre oder waren, wie im Falle der DKP, rückläufig.<br />
Durch die gewalttätigen Proteste anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm<br />
rückte die autonome Szene insgesamt stärker in den<br />
Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Diese vorübergehend erlangte<br />
besondere Aufmerksamkeit ging in Thüringen – anders als<br />
im übrigen Bundesgebiet – nicht mit einem Anwachsen der Anhängerschaft<br />
einher. Vielmehr war hier ein Anhängerschwund zu<br />
konstatieren.<br />
Dennoch gelang es der hiesigen autonomen Szene im Berichtszeitraum<br />
zahlreiche Anhänger aus anderen Bundesländern zur Teilnahme<br />
an eigenen Aktionen, denen man überregionale Bedeutung<br />
beimaß, zu bewegen. Diese waren nicht selten von Auseinandersetzungen<br />
mit der Polizei, Sachbeschädigungen und dem Errichten<br />
von Barrikaden gekennzeichnet.<br />
Maßgebende Gruppen des autonomen Spektrums blieben weiterhin<br />
dem seit März 2006 bestehenden Netzwerk „Autonome<br />
Antifa Koordination Thüringen“ (A 2 KT) zugehörig. Weder die der<br />
autonomen Szene immanente Neigung zu Straf- und Gewalttaten<br />
noch Zahl, Art und Intensität ihrer Aktivitäten änderten sich im<br />
Berichtszeitraum wesentlich. Die seit Jahren vorherrschenden thematischen<br />
Schwerpunkte wurden erneut besetzt. Akzentverschiebungen<br />
hinsichtlich der jeweils gewählten, letztlich jedoch traditionellen<br />
Themenfelder ergaben sich aus der gesellschaftlichen und<br />
politischen Entwicklung. Der „Antifaschismus“ blieb auch im Jahr<br />
2007 das wichtigste Betätigungsfeld der Autonomen in Thüringen.<br />
Ihre Aktionen richteten sich überwiegend gegen Veranstaltungen<br />
der rechtsextremistischen Szene und deren Strukturen. Sie zielten<br />
aber auch oft auf die Zivilgesellschaft ab, da diese ihrer Ansicht<br />
nach von einem „rechten“ Konsens gekennzeichnet und daher<br />
ebenso zu bekämpfen sei wie der <strong>Rechtsextremismus</strong>.<br />
2007 wurden in Thüringen öffentliche Aktivitäten von Anhängern<br />
des anarchistischen Spektrums bekannt. Innerhalb der „Freien Arbeiterinnen-<br />
und Arbeiterunion“ (FAU) wurde im Frühjahr 2007
eine Ortsgruppe in Südthüringen gegründet, die im September ihre<br />
erste Kundgebung in Meiningen durchführte.<br />
Angehörige des autonomen Spektrums, Anarchisten und die linksextremistischen<br />
Parteien unterhielten im Berichtszeitraum Kontakte,<br />
die über Thüringen hinausreichten.<br />
2. Ideologischer Hintergrund<br />
Das in sich breit gefächerte linksextremistische Spektrum vertritt<br />
im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen.<br />
Es schließt Anhänger der „wissenschaftlichen Sozialismus- und<br />
Kommunismustheorien“ ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten<br />
und Autonome. Die Werke von MARX, ENGELS, LENIN,<br />
von STALIN, TROTZKI und MAO TSE-TUNG stellen die Grundlage<br />
der unterschiedlichen Anschauungen und theoretischen Gebäude<br />
dar. Das Ziel, die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung<br />
zu beseitigen, ist allen Linksextremisten gemein. Ihre – wie unterschiedlich<br />
auch immer gearteten – Bestrebungen richten sich<br />
letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung. Linksextremisten wollen entweder<br />
einen marxistisch-leninistischen Staat oder eine „herrschaftsfreie<br />
Gesellschaft“ errichten. Sie verbindet das Bekenntnis zur revolutionären<br />
Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft. Ihr<br />
Grundsatz, dass sich die von ihnen angestrebten gesellschaftlichen<br />
Veränderungen einzig durch den Einsatz revolutionärer Gewalt<br />
vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen.<br />
Bei tagespolitischen Auseinandersetzungen greifen sie häufig zu<br />
legalen, gewaltfreien Formen des politischen Engagements. Die<br />
eigene extremistische Ausrichtung wird dabei bewusst verschleiert.<br />
Mit dieser Taktik gelingt es Linksextremisten durchaus, auf bestimmten<br />
Politikfeldern Bündnispartner zu finden, die extremistischen<br />
Ansichten im Grunde genommen abgeneigt sind.<br />
Linksextremismus<br />
111
112<br />
Linksextremismus<br />
3. Autonome<br />
3.1 Allgemeines<br />
Autonome sind in der Bundesrepublik seit Ende der 70er Jahre aktiv.<br />
Heute agieren sie vor allem in mittleren und größeren Städten.<br />
Schwerpunkte bilden Ballungsgebiete wie Berlin oder das Rhein-<br />
Main-Gebiet. Der Szene waren Ende 2007 bundesweit etwa 5.800<br />
gewaltbereite Anhänger zuzurechnen.<br />
Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen leben<br />
zu wollen. Fremde Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche<br />
Zwänge lehnen sie ab. „Keine Macht für niemand!“ lautet ihre<br />
paradoxe Devise. Kennzeichnend für Autonome ist eine generelle<br />
Anti-Haltung. Ihre ideologischen Vorstellungen bleiben oft diffus,<br />
anarchistische Elemente mischen sich darin mit nihilistischen, sozialrevolutionären,<br />
mitunter auch marxistischen Versatzstücken.<br />
Autonome sind entschlossen, die ihnen hemmend oder einengend<br />
erscheinenden staatlichen Strukturen zu zerschlagen. Von einem<br />
ausgeprägten Individualismus getrieben verlangen sie dabei nicht<br />
nach in sich geschlossenen, theorielastigen Konzeptionen zur Veränderung<br />
der Gesellschaft.<br />
Die szeneinterne Kommunikation erfolgt vorrangig unter Nutzung<br />
elektronischer Medien. Per Internet, über E-Mail-Verbindungen sowie<br />
Infotelefone werden überregionale Vernetzungen geschlossen,<br />
Agitation und Mobilisierung betrieben. Darüber hinaus dient eine<br />
Reihe von Szeneblättern, die z. T. konspirativ verbreitet werden,<br />
als Informationsquelle. Die dazu zählende Zeitschrift „INTERIM“,<br />
welche vierzehntägig in Berlin erscheint, gilt aufgrund ihrer überregionalen<br />
Ausstrahlung als die bedeutungsvollste Publikation.<br />
So genannte Infoläden sind bevorzugte Anlaufpunkte der gesamten<br />
Szene und ihrer Sympathisanten. Sie dienen als Kontakt- und<br />
Treffmöglichkeit und zugleich als Vertriebsstätte linksextremistischer<br />
Schriften und Flugblätter. In den mit gängigem Bürogerät<br />
ausgestatteten Räumlichkeiten werden Veranstaltungen vorbereitet<br />
und Szeneinformationen durch Plakate und Aushänge vermittelt.<br />
Ein adäquates Literaturangebot wird vorgehalten und steht allen<br />
Interessierten offen.
Kampagnenfähige Themen, Gewaltpotenzial<br />
Verschiedene Schwerpunktthemen bilden die Grundlagen der Diskussionen<br />
und Aktionen der autonomen Szene:<br />
• Antifaschismus,<br />
• Repression und innere Sicherheit,<br />
• Neoliberalismus und Globalisierung,<br />
• Antirassismus,<br />
• Kampf gegen angenommenen „Geschichtsrevisionismus“ und<br />
„Opfermythen“ im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung<br />
der Zeit des Nationalsozialismus,<br />
• „Häuserkampf“/Kampf gegen Umstrukturierung,<br />
• Kampf gegen angenommene „Großmachtrollen“ der Bundesrepublik<br />
Deutschland und der Europäischen Union,<br />
• Anti-Atomkraft-Bewegung, insbesondere Castor-Transporte,<br />
• Internationalismus.<br />
Intensität und Bedeutung der genannten Themen schwanken und<br />
werden oft vom Tagesgeschehen bestimmt. Im Beobachtungsjahr<br />
bildete wiederum das Themengebiet „Antifaschismus“ den Aktionsschwerpunkt<br />
der autonomen Szene. Daneben gab es anlassbezogene<br />
Aktionen, beispielsweise im Zusammenhang mit dem<br />
G8-Gipfel in Heiligendamm 56 oder dem Kampf um den Erhalt von<br />
Szeneobjekten – der „Köpi“ in Berlin und dem “Ungdomshuset“<br />
in Kopenhagen.<br />
Die Artikulationsformen Autonomer sind vielfältig, sie reichen von<br />
Diskussionen, Vortragsveranstaltungen und Demonstrationen über<br />
Straßenkrawalle, teils erhebliche Sachbeschädigungen bis hin zu<br />
Brandanschlägen. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel<br />
der Autonomen. Bereitwillig setzen sie diese auch gegen Personen<br />
ein, vor allem im Rahmen von Protesten gegen Veranstaltungen der<br />
rechtsextremistischen Szene. Hier suchen Autonome die direkte<br />
Konfrontation mit dem politischen Gegner und den Einsatzkräften<br />
der Polizei.<br />
56 Siehe hierzu Kapitel 3.5.<br />
Linksextremismus<br />
113
114<br />
Linksextremismus<br />
Dezentralisierung und ideologische Spaltung innerhalb der<br />
autonomen Szene<br />
Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen<br />
widersprechen dem Grundverständnis der Autonomen.<br />
Die Szene ist heterogen zusammengesetzt, sie kennt weder<br />
Hierarchien noch Führungsstrukturen. Autonome agieren meist in<br />
kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Personenzusammenschlüssen.<br />
Um die allein schon wegen des niedrigen Organisationsniveaus<br />
begrenzten Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern, hat es dennoch<br />
einzelne Versuche gegeben, übergreifende Organisationsformen<br />
zu schaffen. Diese basierten jeweils auf dem linksextremistischen<br />
Antifaschismusverständnis, das über die Traditionslinien Nationalsozialismus<br />
und Faschismus hinaus die Auseinandersetzung mit<br />
dem – autonomer Redart nach – in der Bundesrepublik vorherrschenden<br />
„imperialistischem System“ einschließt, welches die<br />
Autonomen als Fortsetzung und Modifikation des Dritten Reiches<br />
deuten. Mit Auflösung der von 1992 bis 2001 bestehenden „Antifaschistischen<br />
Aktion/Bundesweite Organisation“ (AA/BO) scheiterte<br />
der bisher bedeutendste Ansatz, autonome Strukturen bundesweit<br />
zu organisieren. Alle weiteren Versuche, eine inhaltliche und organisatorische<br />
Erneuerung zu erreichen, blieben erfolglos. Seither ist<br />
es der Szene nicht gelungen, Isolierung, regionale Begrenztheit des<br />
Aktionsradius und zahlenmäßige Schwäche zu überwinden.<br />
Übergreifende Vernetzungsversuche werden zudem durch gravierende<br />
ideologische Konfliktlinien innerhalb der autonomen Szene,<br />
die in der Bewertung des Nahostkonflikts aufbrechen, erschwert. In<br />
den letzten Jahren gewannen so genannte antideutsche Positionen<br />
zunehmend an Bedeutung. Kernpunkt jener Anschauungen bildet<br />
der Massenmord an den europäischen Juden während der nationalsozialistischen<br />
Gewaltherrschaft. Hieraus resultieren sowohl die<br />
Ablehnung des deutschen Nationalstaats, der als modifizierte Fortsetzung<br />
der Nazidiktatur wahrgenommen wird, als auch eine bedingungslose<br />
Solidarität gegenüber dem Staat Israel. „Antideutsche“<br />
Gruppierungen sagen dem deutschen Staat ohnehin eine auf Ausgrenzung<br />
anderer Ethnien gerichtete Wesensart nach. Den europäischen<br />
Einigungsprozess interpretieren sie als ein deutsches Projekt,<br />
das auf friedlichem Wege zu Großmachtstatus verhelfen solle.
Der Staat Israel wird von diesen Gruppen als Zufluchtsort des jüdischen<br />
Volkes, als Schutzraum für Juden vor antisemitischer Verfolgung<br />
verstanden, der gegen alle Angriffe verteidigt werden müsse.<br />
Jedwede Kritik an Israel setzen „Antideutsche“ mit Antisemitismus<br />
gleich. Ähnlich werten sie die Kritik an den USA, da diese als<br />
Schutzmacht Israels angesehen wird.<br />
„Antideutsche“ Positionen spielten innerhalb des linksextremistischen<br />
Spektrums lange eine eher marginale Rolle, bis sie seit der<br />
Jahrtausendwende von autonomen Gruppierungen aufgegriffen<br />
wurden und in der Szene gewisse Verbreitung fanden. Die bedingungslose<br />
Solidarität mit Israel steht den traditionellen „antiimperialistischen“<br />
Einstellungen, nach denen Israel als „imperialistischer<br />
Brückenkopf“ der USA im arabischen Raum angesehen wird, diametral<br />
entgegen. Nachdem die zum „antideutschen Lager“ zählenden<br />
Erfurter Gruppen „mila26“ und „Antifascist Youth Erfurt“ (aye)<br />
ihre Aktivitäten einstellten, verloren jene Gegensätze innerhalb<br />
des Thüringer autonomen Spektrums an Bedeutung. Im Übrigen<br />
Bundesgebiet sorgten sie hingegen immer wieder für Aufsehen.<br />
So wurden 2007 die teils gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />
zwischen „antiimperialistisch“ und „antideutsch“ ausgerichteten<br />
Gruppierungen in Magdeburg 57 innerhalb der autonomen Szene<br />
thematisiert.<br />
Bei Veranstaltungen treten die Gegensätze zwischen diesen Strömungen<br />
häufig offen zu Tage. Während „antideutsche“ Gruppen<br />
Nationalflaggen Israels und der USA mit sich führen, tragen Anhänger<br />
„antiimperialistischer“ Gruppierungen so genannte Palästinensertücher.<br />
Um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen<br />
den ideologisch unterschiedlich eingestellten Gruppen zu unterbinden,<br />
wirken Veranstalter von breiter angelegten Aktionen, z. B.<br />
von Demonstrationen gegen das rechtsextremistische Spektrum,<br />
im Vorfeld auf die Teilnehmer ein, auf entsprechende Symbolik zu<br />
verzichten.<br />
57 Unter dem Begriff „Magdeburger Verhältnisse“ wurden innerhalb des autonomen Spektrums Auseinandersetzungen<br />
zwischen „antiimperialistisch“ und „antideutsch“ ausgerichteten Gruppierungen in Magdeburg<br />
diskutiert. In diesem Zusammenhang sei es zu Übergriffen „antiimperialistisch“ ausgerichteter<br />
Personen auf eine unter dem Motto „Zur Kritik des Antisemitismus und des Antiamerikanismus. Solidarität<br />
mit Israel.“ stehende Veranstaltung am 27. Juni 2007 gekommen.<br />
Linksextremismus<br />
115
116<br />
Linksextremismus<br />
3.2 Die autonome Szene in Thüringen<br />
Das Anhängerpotenzial der gewaltbereiten autonomen Szene Thüringens<br />
hat sich im Berichtszeitraum auf ca. 130 Personen leicht<br />
verringert. Zu einzelnen Aktionen, denen die Szene besondere Bedeutung<br />
beimaß, gelang es ihr dennoch, einen weit umfangreicheren<br />
überregionalen Teilnehmerkreis zu mobilisieren.<br />
Regionale Schwerpunkte bildeten die Städte Erfurt und Jena sowie<br />
die Regionen um Arnstadt, Zella-Mehlis, Suhl und Meiningen. Außerdem<br />
sind im Umkreis von Nordhausen und Weimar Autonome<br />
aktiv gewesen.<br />
AGST<br />
Antifaschistische<br />
Gruppe<br />
Südthüringen<br />
AAW<br />
Autonome Antifa<br />
Weimar<br />
AGAP<br />
Antifa Gruppe<br />
Apolda<br />
Stand: Dezember 2007<br />
AANdh<br />
Antifaschistische<br />
Aktion<br />
Nordhausen<br />
A 2 KT<br />
Autonome Antifa<br />
Koordination<br />
Thüringen<br />
AG17<br />
Antifa Gruppe 17<br />
(Erfurt)<br />
ASJ<br />
Antifaschistische<br />
Sportgruppe<br />
Jena<br />
ILJ<br />
Infoladen Jena
Das im Jahr 2006 gegründete Netzwerk „Autonome Antifa Koordination<br />
Thüringen“ (A 2 KT) strukturierte sich im Beobachtungsjahr<br />
um. An die Stelle der vormals sehr aktiven „Antifaschistischen Aktion<br />
Gera“ (AAG) ist der „Infoladen Jena“ (ILJ) gerückt. In der A 2 KT<br />
sind weiterhin die maßgeblichen Gruppen und Zusammenhänge<br />
des Thüringer autonomen Spektrums vertreten. So gehören dem<br />
Netzwerk Gruppen aus allen regionalen Schwerpunkten an.<br />
Szenetypische Anlaufstellen waren u. a. die so genannten Infoläden<br />
in Arnstadt und Jena. In Erfurt diente ein seit April 2001 „besetztes“<br />
Gebäude auf dem Betriebsgelände der ehemaligen Firma<br />
„Topf & Söhne“ als Kontakt- und Treffpunkt der autonomen Szene.<br />
Das Objekt wird von den Erfurter Gruppen „Antifa Gruppe 17“<br />
(AG17) und „Autonome Jugendantifa Erfurt“ (AJAE) als Kontaktadresse<br />
benannt.<br />
Autonome Gruppen nutzten überwiegend das Internet und E-Mail-<br />
Verbindungen, um untereinander Kontakt zu halten, zu agitieren<br />
und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Über ihre Internetseiten<br />
veröffentlichten sie zum Teil umfangreiche Rechercheberichte über<br />
den politischen Gegner. Auch Szenezeitschriften wie die „Alerta<br />
– Antifa Newsflyer für Jena“ oder Audiostreams mit Informationen<br />
zum „rechten“ Spektrum wurden auf diesem Wege verbreitet.<br />
Die Schwerpunkte öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten der Autonomen<br />
lagen im Berichtszeitraum in der Landeshauptstadt Erfurt,<br />
im Südthüringer Raum und in Jena – in Regionen also, in denen die<br />
personell stärksten und aktivsten Gruppen angesiedelt sind.<br />
Linksextremismus<br />
117
118<br />
Linksextremismus<br />
3.3 Thüringer Autonome und ihr<br />
„Antifaschismus“-Verständnis<br />
Von Recherche- bis zu „Outing“-Aktionen 58<br />
Ein Grundkonsens der autonomen Szene besteht darin, über<br />
Ideen, Aktivitäten sowie die Anhängerschaft ihres politischen Gegners<br />
aufzuklären. Methodische Mittel reichen dabei von Recherche-<br />
bis zu so genannten Outing-Aktionen. Regelmäßig kommt<br />
es zu Sachbeschädigungen an vermeintlichen oder tatsächlichen<br />
Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene. Neben der Beteiligung<br />
an bundesweiten und regionalen Kampagnen, z. B. gegen<br />
Betreiber von Läden, die das Label „Thor Steinar“ vertreiben,<br />
führten Thüringer Autonome auch eigene regionale Kampagnen<br />
durch.<br />
Mit einer Kundgebung endete am 27. Juli in Suhl die unter Mitwirkung<br />
der „Antifaschistischen Gruppe Südthüringen“ (AGST)<br />
durchgeführte Kampagne „… den Wald vor lauter Bäumen nicht?!<br />
Nazistrukturen abholzen, den rechten Konsens brechen“. Als<br />
ihr Anliegen bezeichneten die Initiatoren, einen „Überblick (zu)<br />
der regionalen Nazi-Szene und deren Codes sowie Ansatzpunkte<br />
für eine Politik, welche dem erstarkenden <strong>Rechtsextremismus</strong><br />
entgegenwirkt“, geben zu wollen. Im Rahmen der seit Mai 2007<br />
andauernden Kampagne wurden Informations- und Diskussionsveranstaltungen<br />
sowie Kundgebungen im Südthüringer Raum<br />
durchgeführt, in deren Verlauf es mehrfach zu Konfrontationen mit<br />
Anhängern der rechtsextremistischen Szene kam. Die Veranstalter<br />
hatten insbesondere über Flyer und eine Sonderseite im Internet<br />
für die Veranstaltungen der Kampagne geworben. Die AGST trat<br />
im Herbst 2005 in Thüringen erstmals öffentlich in Erscheinung.<br />
Gewaltverzicht im Kampf gegen <strong>Rechtsextremismus</strong> bezeichnet<br />
sie als „ahistorisch und politisch unverantwortlich“.<br />
58 Öffentlichmachen des politischen Gegners, z.B. durch Internetveröffentlichungen, Flugblattaktionen im<br />
Wohn- oder Arbeitsumfeld.
Im Rahmen einer „antifaschistischen Kaffeefahrt“ fanden im Oktober<br />
in Meiningen und Erfurt Demonstrationen statt, an denen sich<br />
auch Angehörige des autonomen Spektrums beteiligten. Während<br />
der Demonstration in Meiningen wurde ein Flugblatt der AGST<br />
verteilt. Die Veranstaltung führte an drei Einrichtungen vorbei, die<br />
innerhalb des autonomen Spektrums als „Naziläden“ gelten. 59 In<br />
Erfurt demonstrierten die Teilnehmer in der Liebknechtstraße vor<br />
dem „Bürgerbüro“ der NPD und der Gaststätte „Oldschool 76“ 60 .<br />
So genannte antifaschistische Kaffeefahrten zählen zum Repertoire<br />
antifaschistisch ausgerichteter Gruppierungen in der Bundesrepublik.<br />
Ziel dieser Veranstaltungen soll die Sensibilisierung<br />
der Bevölkerung gegen „rechte“ Einflüsse sein. Dazu werden z. B.<br />
Wohnhäuser oder Treffpunkte von bekannten oder vermeintlichen<br />
„Nazis“ angefahren und vor Ort über diese informiert. Mitunter<br />
werden die auf einschlägigen Internetseiten und Flugblättern genannten<br />
Örtlichkeiten Ziel von Gewaltaktionen.<br />
Für ihre Recherchezwecke nutzen Autonome auch öffentliche Aktivitäten<br />
des rechtsextremistischen Spektrums. Dabei werden gezielt<br />
Daten über den politischen Gegner gesammelt, zusammengestellt<br />
und im Internet auf den eigenen oder speziell dazu gefertigten<br />
Websites veröffentlicht. Auch über Störmanöver wird im Internet<br />
berichtet. So hieß es im Nachgang zu Protesten gegen einen im<br />
Februar von der NPD durchgeführten Informationsstand in Erfurt,<br />
diesen „sabotiert“ zu haben, indem sich „einige AntifaschistInnen<br />
in entsprechendem Nazioutfit in die Versammlung der NPD“ eingeschleust<br />
hätten. Sie sollen sich daran beteiligt haben, Flugblätter<br />
und Zeitungen zu verteilen, hätten das Material jedoch nicht an<br />
Passanten, sondern an „dafür abgestellte HelferInnen am Rande<br />
übergeben“. In Gesprächen habe man auch Informationen gewonnen,<br />
die Personen, Strukturen, Veranstaltungen und andere Interna<br />
betreffen. Die Aktion wurde als ein voller Erfolg gewertet, seien<br />
doch „schätzungsweise 90–95 % der Propaganda (…) entwendet“<br />
worden. „Tausende Flugblätter, Zeitungen, Flyer, Broschüren, Aufkleber,<br />
Technikkrams und eine ganze Reihe interner Informatio-<br />
59 Die Geschäfte waren schon früher Ziel von Aktionen der autonomen Szene. So kam es im Februar 2005<br />
zu Sachbeschädigungen.<br />
60 Bereits am 23. Juni kam es zu einer Sachbeschädigung an der vormals unter dem Namen „Alter Fritz“<br />
firmierenden Lokalität und einem dort abgestellten PKW. Ziel und Ablauf der Tat ließen auf einen linksextremistischen<br />
Hintergrund schließen.<br />
Linksextremismus<br />
119
120<br />
Linksextremismus<br />
nen“ hätten den Besitzer gewechselt. Im Vorfeld war auf der Homepage<br />
der Erfurter AG17 mit den Worten „Den NPD-Stand mit<br />
unserer Anwesenheit beehren – Propagandamaterial einsammeln,<br />
Stand besuchen etc.“ auf die geplante rechtsextremistische Veranstaltung<br />
verwiesen worden.<br />
Von Blockadeaufrufen bis zu „dezentralen Aktionen“<br />
Die Aktionen der Thüringer autonomen Szene umfassten sowohl<br />
die Mobilisierung für die von breiten Bündnissen organisierten Proteste<br />
gegen rechtsextremistische Veranstaltungen und die gewaltfreie<br />
Beteiligung daran als auch gezielte Blockadeaktionen sowie<br />
Gewalttaten gegen Personen des rechtsextremistischen Spektrums<br />
sowie Einsatzkräfte der Polizei.<br />
Am 1. Mai beteiligten<br />
sich in Erfurt<br />
zahlreiche Angehörige<br />
der autonomen<br />
Szene an<br />
den traditionellen<br />
Maiveranstaltungen<br />
und an Protestaktionen<br />
gegen<br />
die Demonstration<br />
der NPD. Während<br />
sich eine Gegendemonstration<br />
unter dem Motto „Gutes Tun, Nazis stoppen“<br />
bewegte, verließen ca. 500 gewaltbereite Linksextremisten die Veranstaltung<br />
und suchten die Auseinandersetzung mit den rechtsextremistischen<br />
Demonstranten und der Polizei. Sie errichteten entlang<br />
der geplanten Marschstrecke Barrikaden, warfen Mülltonnen<br />
auf die Straße und setzten einige davon in Brand. Weitere Gegendemonstranten<br />
versperrten die Strecke durch eine Sitzblockade.<br />
Während die Teilnehmer der NPD-Veranstaltung abreisten, versuchten<br />
gewaltbereite Störer in den Erfurter Hauptbahnhof einzudringen.<br />
Im Verlauf dieser Aktion wurden die gläsernen Eingangstüren<br />
des Bahnhofs mit Pflastersteinen eingeworfen. Innerhalb des<br />
autonomen Spektrums wurden die Aktionen am 1. Mai in Erfurt als<br />
Erfolg, als „ein Grund zum Feiern“ angesehen.
Im Vorfeld hatten linksextremistische<br />
Gruppierungen in<br />
Thüringen zu Aktionen gegen<br />
den Aufmarsch der NPD<br />
aufgerufen, unter anderem<br />
wurde unter dem Motto „Wir<br />
wollen kein größeres Stück<br />
vom Kuchen – wir wollen die<br />
ganze, beschissene Bäckerei“<br />
zu einem „Wir wollen<br />
alles“-Block mobilisiert. Die<br />
Erfurter „Antifa Gruppe 17“<br />
(AG17) und das Netzwerk<br />
„Autonome Antifa Koordination<br />
Thüringen“ (A 2 KT)<br />
riefen auf einer Internetseite<br />
zu einer „Demonstration<br />
und dezentralen Aktionen<br />
gegen den Naziaufmarsch in<br />
Erfurt“ auf. Außerdem hatte<br />
sich ein Bündnis mit der Bezeichnung „Antifaschistische Koordination<br />
Erfurt“ (AKE) gegründet, zu dessen Unterstützern neben demokratischen<br />
Kräften auch linksextremistische Gruppierungen wie die<br />
AG17, die „BergsteigerInnen“, die „Autonome Jugendantifa Erfurt“<br />
(AJAE) und die auf dem Gelände der früheren Firma „Topf & Söhne“<br />
verkehrende Anhängerschaft gehörten.<br />
Etwa 200 Personen, darunter zahlreiche Angehörige des autonomen<br />
Spektrums, nahmen am 20. Juli an einer Demonstration unter dem<br />
Motto „make some noise against fascism 100 % – Antifa, 100 %<br />
– Happiness“ in Erfurt teil. Ziel der Demonstration sei späteren Verlautbarungen<br />
nach gewesen, <strong>Rechtsextremismus</strong> zu thematisieren<br />
und „einen gelebten Antifaschismus in die Öffentlichkeit zu tragen“.<br />
Daneben habe man die Veranstaltung auch dazu genutzt, die<br />
angeblich betriebene „Hetze der hiesigen CDU gegen den ‚Black-<br />
Block’ und gegen engagierte Antifaschist_innen“ zu kritisieren. 61<br />
Während des Demonstrationszuges seien Parolen wie „Gebt den<br />
Nazis die Straße zurück, Stein für Stein“ und „Nazis gibt’s in jeder<br />
61 Gemeint sind dabei vermutlich Äußerungen von Politikern im Zusammenhang mit den Ausschreitungen<br />
während der Großdemonstration gegen den G8-Gipfel am 2. Juni 2007 in Rostock sowie im Zusammenhang<br />
mit Sachbeschädigungen an einer Erfurter Gaststätte am 23. Juni 2007.<br />
Linksextremismus<br />
121
122<br />
Linksextremismus<br />
Stadt, bildet Banden macht sie platt“ skandiert worden. Darüber<br />
hinaus wurde im Demonstrationszug ein Transparent mit einer szenetypischen<br />
Darstellung – Person mit Steinschleuder – mitgeführt.<br />
Den Protestaktionen, die sich gegen das von Rechtsextremisten<br />
durchgeführte „Fest der Völker“ am 8. September in Jena “ richteten,<br />
schlossen sich auch zahlreiche Angehörige der autonomen<br />
Szene an. Sie errichteten am Rande der Veranstaltung nicht nur<br />
Barrikaden, sondern griffen auch tatsächliche oder vermeintliche<br />
Rechtsextremisten an und begingen Sachbeschädigungen.<br />
Innerhalb des autonomen Spektrums war im Internet intensiv für<br />
Aktionen geworben worden, um dem „Fest der Völker“ entgegenzuwirken.<br />
Den Aktivitäten der Zivilgesellschaft gegen rechtsextremistische<br />
Veranstaltungen in Jena lägen, meinte die „Antifaschistische<br />
Sportgruppe Jena“ (ASJ), lediglich „die Sorge um den<br />
Wirtschaftsstandort und das Ansehen der Stadt“ zugrunde, nicht<br />
jedoch der Kampf gegen die „nationalistischen und rassistischen<br />
Inhalte“. Diese Ansicht wurde von mehreren Thüringer autonomen<br />
Gruppen unterstützt. Die in Jena ansässige „Jugend-, Aktions- und<br />
Projektwerkstatt“ (JAPS) sprach sich in einem Aufruf für die Durchführung<br />
von Blockaden aus, um „ein rechtsextremes und gewaltverherrlichendes<br />
Großereignis“ zu verhindern. Etliche Gruppierungen<br />
und Einzelpersonen, die extremistischen Zielsetzungen<br />
überwiegend abgeneigt sind, stimmten diesem Aufruf ebenso zu<br />
wie die „Antifa Gruppe Apolda“ (AGAP) und die „Sozialistische<br />
Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) 62 Jena.<br />
Ausweitung der „Kampfzone“ angeregt<br />
Bereits Ende August hatten „Autonome Reformisten“ in einem Text<br />
angeregt, die „Kampfzone“ auszuweiten. Da die bisherigen Aktionsformen<br />
aufgrund einer angeblichen „Allianz aus Verwaltungsgericht,<br />
Stadtverwaltung und Polizeiführung“ in Jena wirkungslos<br />
geblieben seien, sollte die Auseinandersetzung „auf die Ebene der<br />
Nebenkosten repressiver Polizeieinsätze“ verschoben werden. Die<br />
JAPS interpretierte diesen Text als Aufruf, an Stelle von Blockaden<br />
62 Formal selbstständige, jedoch eng mit der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) verbundene Jugendorganisation.
dezentrale Aktionen durchzuführen. Letztgenannte definierte sie<br />
als „von vielen kleineren Gruppen ausgeführte Straßenblockaden,<br />
Sachbeschädigungen, körperliche Angriffe auf Nazis und die Polizei<br />
etc.“, die durchaus „ergänzend“ durchgeführt werden könnten.<br />
In einem auf der Homepage des „Infoladens Jena“ (ILJ) veröffentlichten<br />
Beitrag hieß es dazu:<br />
„Wir verurteilen nicht dezentrale Aktionen als solche, im Gegenteil<br />
sagt unser Aufruf: ‚Wir solidarisieren uns mit den Menschen,<br />
die an diesem Tag aus einer ähnlichen Haltung heraus in Jena aktiv<br />
sein werden.’ Die Kombination verschiedener Aktionsformen war<br />
zuletzt am 1. Mai in Erfurt ein Erfolgsfaktor. Wem es Ernst ist mit<br />
dem Kampf gegen die Nazis, muß das akzeptieren, unabhängig<br />
davon, wie er/sie selbst zur sog. Gewaltfrage steht.“<br />
Stellung zum Staat und zur Zivilgesellschaft<br />
Die Ursache für „faschistische“ Tendenzen sehen Autonome in<br />
der Politik der Regierung und in vermeintlichen gesellschaftlichen<br />
Missständen. Ihrer Meinung nach förderten „staatlicher Rassismus“<br />
und „Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes“ auch in der<br />
Bevölkerung die Entwicklung „rechter“ Tendenzen. Die Kritik und<br />
die Aktionen des autonomen Spektrums richteten sich deshalb<br />
auch gegen die Zivilgesellschaft, die von einem „rechten“ Konsens<br />
gekennzeichnet sei. In diesem Zusammenhang distanzierten sich<br />
Autonome zum Teil von Aktivitäten demokratischer Bündnisse,<br />
die sie in der Vergangenheit beispielsweise als „Bier trinken und<br />
Bratwurst essen gegen Rechts“ diskreditiert hatten. Andererseits<br />
scheint die Szene nun auch immer häufiger mit nichtextremistischen<br />
Gruppierungen zusammenzuarbeiten, sofern sie bei ihnen<br />
Überschneidungen mit eigenen Anliegen zu erkennen glaubt. Hintergrund<br />
hierfür dürfte das Bestreben sein, über szenetypische Slogans<br />
und Darstellungen autonome Anschauungen transportieren<br />
und die Veranstaltungen breiter Bündnisse gegebenenfalls dominieren<br />
zu können.<br />
Gegenaktionen, die die Umleitung eines rechtsextremistischen<br />
Aufzuges oder die vorzeitige Beendigung der Veranstaltung erforderlich<br />
machten, wertete die autonome Szene als äußerst positiv.<br />
Linksextremismus<br />
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124<br />
Linksextremismus<br />
Weit kritischer wurden hingegen die teils geringe Resonanz in der<br />
Szene und mangelnde Beteiligung ihrer Angehörigen angemerkt.<br />
Wesentliche Motivation für die Mobilisierung war das Ziel, bereits<br />
im Berichtszeitraum mit Aufsehen erregenden Aktionen einen etwaigen<br />
Erfolg der NPD bei den für 2009 anstehendenden Kommunal-<br />
und Landtagswahlen unmöglich zu machen. Wenngleich es<br />
die autonome Szene vermochte, für einzelne Aktionen von bundesweiter<br />
Bedeutung erfolgreich zu mobilisieren, gelang es ihren<br />
Anhängern bislang nicht, innerhalb des breitgefächerten Spektrums<br />
von Gegendemonstranten größeren Einfluss zu gewinnen.<br />
Bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten konnten Ausschreitungen<br />
zwischen den beiden verfeindeten Lagern in der Regel<br />
durch Einsatzkräfte der Polizei verhindert werden. Autonome hatten<br />
meist im Vorfeld zu Blockade- und Störaktionen aufgerufen.<br />
Oft suchten sie den unmittelbaren Kontakt zum politischen Gegner,<br />
um den „Naziaufmarsch“ mit allen Mitteln zu verhindern. Mitunter<br />
missachteten sie dabei bewusst Vorgaben und Auflagen der<br />
Behörden. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch im Jahr 2007<br />
zu Straftaten wie Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und<br />
Landfriedensbruch.<br />
3.4 Bundesweite Aktionen mit Unterstützung oder<br />
unter Beteiligung Thüringer autonomer Gruppen<br />
Anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Zweiten<br />
Weltkrieg rief die Erfurter „Antifa Gruppe 17“ (AG17) mit einem<br />
eigenen Text im Internet zur Teilnahme an Aktionen in Dresden<br />
auf. Er richtete sich nicht nur gegen den Aufmarsch der Rechtsextremisten,<br />
sondern auch gegen die offiziellen Gedenkfeiern. Die<br />
offizielle Feierstunde auf dem Heidefriedhof in Dresden zeige, so<br />
die AG17, den in der Stadt vorherrschenden Geschichtsrevisionismus,<br />
würde doch „eigenes individuelles Leid in den Vordergrund“<br />
gestellt und „die eigene, deutsche Opferrolle betont“.<br />
Am 1. März räumte die Polizei das Szeneobjekt „Ungdomshuset“<br />
in Kopenhagen (Dänemark). 63 Daraufhin kam es in der Stadt<br />
zu gewaltsamen Protesten, an denen auch deutsche Staatsbür-
ger beteiligt waren. In mehreren deutschen Städten fanden daraufhin<br />
Solidaritätsaktionen statt, darunter auch in Erfurt, Weimar<br />
und Meiningen. Nach einem Statement der „Autonomen Antifa<br />
Weimar“ (AAW) sollen sich am 1. März etwa 30 Personen an einer<br />
Demonstration mit zwei Zwischenkundgebungen in Weimar<br />
beteiligt haben. Am 4. März demonstrierten ca. 40 Personen in<br />
der Erfurter Innenstadt, auf dem Anger und dem Fischmarkt kam<br />
es jeweils zu kurzen Kundgebungen. Während der Veranstaltung<br />
wurden Feuerwerkskörper gezündet. Eine weitere Demonstration<br />
mit ca. 30 Teilnehmern fand unter dem Motto „Solidarität mit den<br />
Benutzerinnen des Jugendzentrums ‚Ungdomshuset‘“ am 7. März<br />
in Meiningen statt.<br />
Auch später wurde die Räumung weiter thematisiert. Am 6. Oktober<br />
besetzten ca. 35 teils vermummte Personen kurzzeitig das ehemalige<br />
Kaufhaus Horten in Jena. Dabei habe es sich um eine Unterstützungsaktion<br />
für die „Aktion G13“ in Kopenhagen gehandelt.<br />
Diese steht für Aktionen anlässlich der Räumung des autonomen<br />
Jugendzentrums „Ungdomshuset“ und hat die Gewinnung eines<br />
neuen Szeneobjektes in Kopenhagen zum Ziel.<br />
63 Das „Ungdomhuset“ (Jugendhaus) war zu Beginn der 1980er Jahre besetzt worden; später wurde es von<br />
der Stadt Kopenhagen Jugendlichen zur Nutzung überlassen. Im Jahr 2001 erwarb die dänische Freikirche<br />
„Faderhuset“ das Gebäude und versuchte, es in den folgenden Jahren zu räumen. Im August 2006<br />
wurde ein entsprechender Rechtsstreit zu Gunsten von „Faderhuset“ entschieden.<br />
Linksextremismus<br />
125
126<br />
Linksextremismus<br />
3.5 Exkurs: Beteiligung von Linksextremisten<br />
an Protestaktionen gegen den G8-Gipfel<br />
vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm<br />
(Mecklenburg-Vorpommern)<br />
Vom 6. bis 8. Juni fand in Heiligendamm das jährliche Treffen der<br />
Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen<br />
(G8-Gipfel) statt. Gegen den Gipfel kam es zu zahlreichen Protestaktionen<br />
vor Ort. Die größte und von der Öffentlichkeit am meisten<br />
beachtete Aktion stellte dabei eine „Internationale Großdemonstration“<br />
unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ am 2. Juni<br />
in Rostock dar. An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 30.000<br />
Personen. Nach friedlich verlaufenen Auftaktkundgebungen bewegten<br />
sich zwei Demonstrationszüge zum Ort der gemeinsamen Abschlusskundgebung.<br />
Innerhalb eines Aufzuges bildeten etwa 2.000<br />
militante Autonome einen so genannten Schwarzen Block.<br />
Entgegen verbreiteter Darstellungen ist der „Schwarze Block“ nicht<br />
als ein homogenes Gebilde, sondern als eine lose Koalition einer<br />
Vielzahl verschiedener Strömungen, Gruppierungen und Einzelpersonen<br />
innerhalb des autonomen Spektrums zu verstehen. Die<br />
Akteure fallen durch ihre meist durchgehend schwarze Kleidung<br />
und durch Vermummung auf. Zum einen soll hierdurch aggressive<br />
Entschlossenheit nach außen demonstriert, andererseits aber auch<br />
die Identifizierung durch Polizeibeamte und eine spätere Strafverfolgung<br />
erschwert werden.
Bereits während der Demonstration kam es durch Steinwürfe aus<br />
diesem Block zu ersten Störungen. Im weiteren Verlauf eskalierte<br />
die Situation. Militante attackierten Polizeibeamte mit Pflastersteinen,<br />
Flaschen und „Molotow-Cocktails“. Insgesamt waren etwa 900<br />
Verletzte, darunter mehr als 400 Polizeibeamte, zu verzeichnen.<br />
Die Proteste setzten sich an den folgenden Tagen fort. An einer Demonstration<br />
im Rahmen des „Aktionstages Migration“ am 4. Juni<br />
beteiligten sich wiederum ca. 2.500 Militante, die Vermummung<br />
anlegten, sich die Hände mit Tape 64 verbanden sowie Schaumstoff<br />
unter ihrer Kleidung trugen. Nach Beendigung der Demonstration<br />
erfolgten vereinzelte Stein- und Flaschenwürfe.<br />
Vom 6. bis 8. Juni kam es zu verschiedenen Blockadeaktionen im<br />
Umfeld des Gipfelortes, an denen am 6. Juni nach dem Eintreffen<br />
der Staatsgäste bis zu 9.000 Personen teilnahmen. Während der<br />
Blockadeaktionen kam es wiederum zu Angriffen auf Polizeibeamte.<br />
Die Polizei setzte daraufhin Wasserwerfer ein.<br />
Die Proteste gegen den G8-Gipfel waren durch verschiedene Bündnisse<br />
langfristig vorbereitet worden. Neben überwiegend nichtextremistischen<br />
Gipfelgegnern beteiligten sich bundesweit jedoch<br />
auch zahlreiche Linksextremisten an den Mobilisierungen und<br />
64 Engl.: Klebeband.<br />
Linksextremismus<br />
127
128<br />
Linksextremismus<br />
den Protesten. Neben orthodoxen linksextremistischen Parteien,<br />
wie der „Marxistisch Leninistischen Partei Deutschlands“ (MLPD)<br />
oder der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP), handelte es<br />
sich dabei auch um autonome, trotzkistische und anarchistische<br />
Gruppierungen.<br />
Auch in Thüringen war im Vorfeld des Gipfels u. a. von linksextremistischen<br />
Gruppierungen zu Protesten aufgerufen worden. Schon<br />
seit dem Frühjahr 2006 trat ein „Anti-G8-Plenum Thüringen“<br />
(„BergsteigerInnen“) in Erscheinung. Eigenen Angaben zufolge<br />
rechnet sich das Plenum dem „Dissent!“-Netzwerk zu. 65 Gemeinsam<br />
mit nichtextremistischen Gruppierungen initiierten die BergsteigerInnen<br />
die Gründung eines „Thüringer Netzwerkes gegen<br />
den G8-Gipfel“. Die Gründungsveranstaltung fand am 30. Januar<br />
in Erfurt statt. Ziel des Netzwerks war es, „die Proteste Thüringer<br />
Gruppen und Einzelpersonen zusammenzubringen“. Weiterhin<br />
habe man „die Diskussion über die Funktion, Aufgaben und Zielstellungen<br />
der Großen Acht (G8) führen und eine Debatte über<br />
Veränderungen dieser Gesellschaft anregen“ wollen. Am 31. März<br />
veranstaltete das Netzwerk einen „Thüringer G8-Protest-Ratschlag“<br />
in Jena. Zu den Unterstützern zählten neben vorwiegend nichtextremistischen<br />
Gruppierungen auch die trotzkistische Gruppierung<br />
„Linksruck“ 66 . Die „BergsteigerInnen“ führten in Thüringen zahlreiche<br />
Informationsveranstaltungen, zum Teil unter Einbindung<br />
der autonomen Szene, durch. So zeichnet die „Antifaschistische<br />
Aktion Nordhausen“ (AANdh) für eine derartige Veranstaltung am<br />
30. März in Nordhausen mit verantwortlich.<br />
Neben den Untergruppierungen orthodoxer linksextremistischer<br />
Parteien wiesen in Thüringen auch autonome Gruppierungen auf<br />
ihren Homepages pauschal auf die geplanten Proteste hin. Für den<br />
2. Juni mobilisierten sie jedoch weniger für die „Internationale Großdemonstration“<br />
in Rostock, sondern eher für Proteste gegen einen<br />
geplanten Aufmarsch der NPD in Schwerin. Der Aufmarsch wurde<br />
jedoch, ebenso wie angemeldete Gegenveranstaltungen, verboten.<br />
65 Bei „Dissent!“ handelt es sich um den deutschsprachigen Ableger des von militant orientierten britischen<br />
Globalisierungskritikern zur Planung von Protesten gegen das G8-Treffen 2005 in Gleneagles (Schottland)<br />
gegründeten gleichnamigen Netzwerkes. Es wird im globalisierungskritischen Lager als Organisierung<br />
im linksradikalen, autonomen, emanzipatorischen und anarchistischen Spektrum beschrieben.<br />
66 Die trotzkistische Gruppierung „Linksruck“ vollzog während einer Vollversammlung am 1./2. September<br />
2007 in Frankfurt a.M. ihre Selbstauflösung, um sodann das neue marxistische Netzwerk „Marx 21“<br />
innerhalb der Partei „DIE LINKE.“ zu gründen.
Im linksextremistischen Lager wurden die Proteste als Erfolg angesehen.<br />
So sah die „Antifaschistische Linke Berlin“ (ALB) in einer<br />
ersten Bilanz in den Protesten einen „Schritt nach vorn (…) für die<br />
außerparlamentarische Bewegung in der BRD“. Die Proteste hätten<br />
Widerstandsgeschichte geschrieben. Diese Einschätzung dürfte<br />
die Grundstimmung innerhalb des linksextremistischen Spektrums<br />
auch in Thüringen widerspiegeln. Die „BergsteigerInnen“ verwiesen<br />
auf ihrer Homepage auf einen im Internet veröffentlichten Beitrag<br />
unter der Überschrift „G8: Das war der Gipfel“. Darin werden<br />
die Proteste für die globalisierungskritische Bewegung als „ein voller<br />
Erfolg“ gewertet. Es sei gelungen, „den Gipfel der Gruppe der<br />
Acht (…) praktisch zu delegitimieren“. Durch die Blockaden sei<br />
der reibungslose Ablauf des Treffens gestört worden.<br />
4. Anarchisten<br />
Anarchistische Anschauungen entstanden im 19. Jahrhundert in<br />
Abgrenzung zum Kommunismus. Die Russen Michail BAKUNIN<br />
und Peter KROPOTKIN zählen zu den maßgeblichen Theoretikern<br />
dieser linksextremistischen Strömung. Im Gegensatz zu verschiedenen<br />
kommunistischen Organisationen berufen sich Anarchisten<br />
nicht auf verbindliche Standardwerke, sondern greifen auf eine Vielzahl<br />
von Theorien und Utopien zurück, die auf die Errichtung einer<br />
herrschaftsfreien Gesellschaft ausgerichtet sind. Jedwede Form von<br />
Staat und Regierung lehnen Anarchisten ab. Erklärtes Ziel ist, den<br />
Staat mittels einer Revolution aufzulösen und eine von der Basis<br />
her anarchistische Gesellschaft zu bilden. Im Gegensatz zu Marxisten-Leninisten<br />
setzen Anarchisten dabei auf die Spontanität der<br />
Massen, nicht auf eine Avantgardepartei. In der Bundesrepublik<br />
sind zwei anarchistische Strömungen erwähnenswert. Bei diesen<br />
handelt es sich um die „Graswurzelbewegung“ und den deutschen<br />
Zweig der international organisierten „Freien Arbeiterinnen- und<br />
Arbeiterunion“ (FAU) mit Anbindung an die Internationale Arbeiter<br />
Assoziation (IAA). In Thüringen ist die FAU aktiv. Darüber hinaus<br />
finden immer wieder Veranstaltungen von Anhängern der „Graswurzelbewegung“<br />
statt, in denen diese u. a. die „direkte Aktion“<br />
als typisch anarchistische Aktionsform thematisieren.<br />
Linksextremismus<br />
129
130<br />
Linksextremismus<br />
4.1 „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion“ (FAU)<br />
mit Anbindung an die<br />
„Internationale Arbeiter Assoziation“ (IAA) 67<br />
Bei der FAU handelt es sich um eine anarcho-syndikalistische<br />
Gruppierung. 68<br />
Ihr Anliegen ist die Schaffung einer herrschaftsfreien,<br />
direkt-demokratischen<br />
Gesellschaft, die sie durch „direkte Aktionen“<br />
wie Selbstorganisation, Besetzungen,<br />
Boykotts, Streiks, Sabotage zu erreichen glaubt. Die FAU<br />
sieht sich als Gewerkschaft und ist bestrebt, sich vorrangig in der<br />
Betriebsarbeit zu engagieren.<br />
In den Vorjahren traten anarchistische Gruppierungen in Thüringen<br />
nicht öffentlich in Erscheinung. Auch von der einzelnen Hinweisen<br />
zufolge in Altenburg angesiedelten Ortsgruppe der FAU wurden<br />
Aktivitäten bislang nicht bekannt.<br />
Im März 2007 hatte sich eine Ortsgruppe der FAU in der Region<br />
um Meiningen gebildet. Ihr sollen einzelne Personen aus Meiningen<br />
und Suhl sowie weitere Sympathisanten angehören. Die<br />
Ortsgruppe, die sich „Freie ArbeiterInnen Union Südthüringen“<br />
(FAUST) nennt, organisierte am 22. September eine erste Kundgebung<br />
in Meiningen.<br />
67 Die offizielle Abkürzung lautet FAU-IAA, jedoch ist auch in Veröffentlichungen der Gruppierung die<br />
Abkürzung FAU gebräuchlicher. Diese wird in der Folge verwandt.<br />
68 Der Begriff setzt sich aus dem griechischen Wort ànarcho (führerlos) und dem französischen Wort Syndikat<br />
(Vereinigung, Gewerkschaft) zusammen. Er bezeichnet anarchistische Organisationen mit gewerkschaftlichem<br />
Anspruch.
4.2 Exkurs: Beispiel anarchistischer<br />
Selbstverwaltung oder Weiterführung<br />
kapitalistischer Konkurrenz? –<br />
Unterschiedliche Bewertung eines<br />
„Thüringer Experiments“ durch Linksextremisten<br />
Innerhalb des linksextremistischen Spektrums wurde die vom 10. Juli<br />
bis 31. Oktober andauernde „Betriebsversammlung“ der Belegschaft<br />
des Nordhäuser Fahrradwerkes „Bike Systems“, welche aus Anlass der<br />
bevorstehenden Betriebsschließung durchgeführt wurde, mit Interesse<br />
verfolgt, um die Aktion schließlich für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.<br />
Insbesondere die FAU engagierte sich frühzeitig. Ein „Solidaritätskreis<br />
Strike-Bike der FAU“ wurde gebildet, eine Fahne der FAU<br />
auf dem Betriebsgelände gehisst. Diversen Pressemeldungen zufolge<br />
sollen die während der ununterbrochenen „Betriebsversammlung“<br />
gefertigten Fahrräder mit dem Logo der struppigen schwarzen Katze,<br />
einem typischen anarcho-syndikalistischen Symbol 69 , versehen sein.<br />
Auf der Homepage der FAU berichtet ein unter dem Namen „Mephisto“<br />
schreibender Angehöriger der Ortsgruppe Meiningen von seinem<br />
Besuch in der Fabrik in Nordhausen. In dem Beitrag nennt er die Belegschaft<br />
„die heimlichen HeldInnen der ArbeiterInnenklasse und die<br />
Avantgarde der hoffentlich bald kommenden proletarischen Revolution“.<br />
Ihre Aktion könne nur zur Nachahmung empfohlen werden, „auf<br />
das der Kapitalismus Schritt für Schritt zu Boden fällt“.<br />
Unterstützung bekundeten auch Teile des autonomen Spektrums<br />
in Thüringen. So rief die „Antifaschistische Gruppe Südthüringen“<br />
(AGST) dazu auf, sich „mit den Besetzer_innen zu solidarisieren<br />
und ein Zeichen gegen die systematische Ausbeutung und für ein<br />
selbstgestaltetes Leben zu setzten“.<br />
Der Landesverband Elbe-Saale der „Marxistisch Leninistischen Partei<br />
Deutschlands“ (MLPD) erklärte sich ebenfalls solidarisch mit<br />
dem Arbeitskampf. Allerdings meint die Partei, sich mit den ge-<br />
69 Die schwarze Katze, auch „Sab Cat“, wird insbesondere mit dem Anarchosyndikalismus verbunden,<br />
auch die FAU verwendet sie. Darüber hinaus wird sie jedoch auch allgemein als anarchistisches Symbol<br />
angesehen.<br />
Linksextremismus<br />
131
132<br />
Linksextremismus<br />
wählten Zielen und Mitteln kritisch auseinandersetzen zu müssen.<br />
Die Fertigung des „Strike-Bike“ zeige, dass „die Arbeiter ohne die<br />
Kapitalisten produzieren“ könnten. Allerdings würden dadurch<br />
nicht die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Konkurrenz außer<br />
Kraft gesetzt. Anders verhalte es sich hingegen bei einer „Betriebsbesetzung<br />
und -übernahme durch die Belegschaften in einer<br />
akut revolutionären Situation, wenn diese damit verbunden ist, auf<br />
den notwendigen Kampf um die Macht zu orientieren“.<br />
5. Marxistisch-leninistische Parteien<br />
und Organisationen<br />
5.1 „Kommunistische Plattform“ (KPF)<br />
der Partei „DIE LINKE.“<br />
Bund Thüringen<br />
Gründungsjahr 1989 1993<br />
Sitz Berlin –<br />
Mitglieder<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
ca. 1.000<br />
ca. 1.000<br />
ca. 1.000<br />
Publikation „Mitteilungen der<br />
Kommunistischen<br />
Plattform der Partei<br />
DIE LINKE“ (monatl.)<br />
Internet eigene Internetpräsenz<br />
im Rahmen des<br />
Internetauftritts der<br />
Partei „DIE LINKE.“<br />
ca. 50<br />
ca. 50<br />
ca. 90<br />
–<br />
kein eigener<br />
Internetauftritt
Das Statut der Partei „DIE LINKE.“ bietet die Möglichkeit, im Rahmen<br />
der Partei Plattformen, Arbeits- und Interessengemeinschaften zu bilden.<br />
Sie sind integraler Bestandteil der sich als linke „Strömungspartei“<br />
verstehenden Organisation und bieten ihr Ansatzpunkte für eine<br />
breite Bündnis- und Integrationspolitik. Eine Vereinigung dieser Art<br />
stellt die am 30. Dezember 1989 innerhalb der damaligen SED-PDS<br />
gegründete KPF dar, die nunmehr in der Partei „DIE LINKE.“ als „ein<br />
offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten“<br />
fortgeführt wird. Die sich deutlich zum Kommunismus bekennende<br />
Organisation arbeitet eng mit der „Deutschen Kommunistischen<br />
Partei“ (DKP) und weiteren linksextremistischen Personenzusammenschlüssen<br />
zusammen. Ihrer Satzung zufolge ist sie „offen für alle, unabhängig<br />
von parteilicher und sonstiger politischer Bindung“, sofern<br />
„Mehrheitsbeschlüsse der KPF“ und das Parteistatut akzeptiert werden.<br />
Im Rahmen des von der Pattform angestrebten „breiten linken<br />
Bündnisses“ ist deren vorrangiges Anliegen, „die Zusammenarbeit<br />
aller (...), die mit dem Ziel einer sozialistischen Alternative zum bestehenden<br />
kapitalistischen System aktiv in politischen, sozialen und<br />
anderen Auseinandersetzungen der Gegenwart stehen“, herzustellen.<br />
Die KPF wird auf Bundesebene von einem Bundeskoordinierungsrat<br />
(BKR) geleitet und durch den Bundessprecherrat vertreten. Auf Landesebene<br />
sind adäquate Organe tätig. Höchstes Gremium ist die laut<br />
Satzung mindestens einmal jährlich einzuberufende Bundeskonferenz.<br />
Diese beschließt die politischen Leitlinien der KPF und wählt<br />
den Bundeskoordinierungs- und Bundessprecherrat. In Thüringen<br />
konstituierte sich die KPF im März 1993.<br />
Nach Abschluss des Fusionsprozesses von „Linkspartei.PDS“ und<br />
der Partei „Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative“<br />
(WASG) zur Partei „DIE LINKE.“, den die „Kommunistische Plattform“<br />
nach eigener Aussage „aktiv begleitet“ hatte, zeigte sich die<br />
Organisation durchaus zufrieden. BKR-Mitglied Sahra WAGEN-<br />
KNECHT war auf dem Gründungsparteitag am 16. Juni mit 75,2 %<br />
der Delegiertenstimmen in den Bundesvorstand gewählt worden.<br />
Auch bei der satzungsgemäßen Anerkennung als bundesweiter Zusammenschluss<br />
der Partei „DIE LINKE.“ hatte die KPF 70 Erfolg. In<br />
70 Bereits im November 2006 hatte sich der Bundeskoordinierungsrat mit der Bitte an die Mitglieder von<br />
„Linkspartei.PDS“ und „WASG“ gewandt, auf einem Formular schriftlich ihre Zugehörigkeit zur KPF zu<br />
erklären. Der Grund für die angestrebte Anerkennung als bundesweiter Zusammenschluss innerhalb der<br />
neuen Partei „DIE LINKE.“ war existentieller Natur, da gemäß der Übergangsbestimmungen der Bundessatzung<br />
der entsprechende Nachweis bis zum 31. Dezember 2007 erbracht werden musste. Bundesweite<br />
Zusammenschlüsse genießen Privilegien; sie können u.a. Delegierte zu Parteitagen entsenden und im<br />
Rahmen des Finanzplanes finanzielle Mittel für ihre Arbeit erhalten.<br />
Linksextremismus<br />
133
134<br />
Linksextremismus<br />
einem offenen Brief teilte der Bundeskoordinierungsrat den „Genossinnen<br />
und Genossen“ am 7. Juli mit, das notwendige Quorum<br />
sei in 15 Bundesländern – darunter auch Thüringen – erreicht<br />
worden und die Anerkennung damit gewährleistet. Zugleich unterstrich<br />
der BKR, im politischen Alltag und in der bevorstehenden<br />
Programmdebatte weiterhin bestimmten Inhalten besonders verpflichtet<br />
zu sein. Ausdrücklich wurden hierbei der „Systemwechsel“,<br />
die Verteidigung des „vergangenen sozialistischen Versuchs“<br />
sowie die Ablehnung der „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“<br />
benannt. Im Beschluss zur 3. Tagung der 13. Bundeskonferenz<br />
bekräftigte die KPF am 10. November noch einmal: „Wir bleiben<br />
was wir waren und sind: In der Partei DIE LINKE organisierte<br />
Kommunistinnen und Kommunisten.“<br />
Analog zur Bundesorganisation stellte die Thüringer KPF auf ihrer<br />
Landesmitgliederversammlung am 28. Juli den Antrag an den Landesvorstand<br />
der Partei „DIE LINKE.“, als landesweiter Zusammenschluss<br />
anerkannt zu werden, schließlich werde die in der Bundessatzung<br />
festgelegte Voraussetzung, 0,5 % der Gesamtmitgliederzahl<br />
des Landesverbands repräsentieren zu müssen, mehr als erfüllt.<br />
Darüber hinaus seien KPF-Angehörige in 13 Gebiets-, Kreis- bzw.<br />
Stadtverbänden vertreten. In einem auf der Versammlung gefassten<br />
Beschluss bekräftigte die KPF zudem, die „kameradschaftliche Zusammenarbeit<br />
mit den Thüringer Organisationen der DKP und der<br />
KPD“ bei gegenseitiger Akzeptanz der unterschiedlichen programmatischen<br />
Aussagen und praktischen Politik der einzelnen Parteien<br />
weiterführen zu wollen. Explizit werden dabei gemeinsame Aktivitäten<br />
und Veranstaltungen, die Abstimmung von Maßnahmen,<br />
das gegenseitige Auftreten in Versammlungen sowie die Pflege<br />
und Bewahrung kommunistischer Traditionen genannt. 71 Bereits<br />
auf der 2. Tagung der 13. KPF-Bundeskonferenz am 14. April hatte<br />
Landessprecher und BKR-Mitglied Jochen TRAUT in seinem Diskussionsbeitrag<br />
darüber informiert, dass die KPF Thüringen „heute<br />
90 Genossinnen und Genossen“ zähle. Im BKR ist Thüringen nach<br />
wie vor mit zwei Genossen vertreten.<br />
71 Siehe Kapitel 5.4.
5.2 „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP)<br />
Bund Thüringen<br />
Gründungsjahr 1968 1996<br />
Sitz Essen –<br />
Mitglieder<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
Jugendorganisation<br />
weniger als 4.500<br />
ca. 4.200<br />
ca. 4.200<br />
„Sozialistische<br />
Deutsche Arbeiterjugend“<br />
(SDAJ)<br />
Publikation „Unsere Zeit“ (UZ)<br />
(wöchentlich)<br />
Internet eigener<br />
Internetauftritt<br />
ca. 50<br />
ca. 50<br />
ca. 40<br />
existent;<br />
nur wenige<br />
Mitglieder<br />
„Thüringenreport“<br />
(meist<br />
zweimonatlich)<br />
eigener<br />
Internetauftritt<br />
Die 1968 in Frankfurt/Main gegründete<br />
DKP versteht sich selbst<br />
als Nachfolgeorganisation der<br />
1956 vom Bundesverfassungsgericht<br />
verbotenen „Kommunistischen<br />
Partei Deutschlands“ (KPD).<br />
In ihrem aktuellen Parteiprogramm<br />
charakterisiert sie sich selbst als<br />
antifaschistische, revolutionäre<br />
Partei der Arbeiterklasse, als Partei<br />
des proletarischen Internationalismus<br />
und des Widerstandes gegen<br />
die sozialreaktionäre, antidemokratische<br />
und friedensgefährdende<br />
Politik der Herrschenden, die sich<br />
Linksextremismus<br />
135
136<br />
Linksextremismus<br />
von den Zukunfts- und Gesamtinteressen der Arbeiter und Angestellten<br />
als Klasse leiten lässt. Weltanschauung, Politik und Organisationsverständnis<br />
der DKP gründen dem Programm zufolge auf<br />
dem wissenschaftlichen Sozialismus, den Theorien von Marx, Engels<br />
und Lenin. Die Partei überträgt die Lehren des Marxismus auf<br />
die derzeitigen Bedingungen des Klassenkampfes, um so zu deren<br />
Weiterentwicklung beizutragen. Ihr Ziel sieht sie im Sozialismus/<br />
Kommunismus, wofür es die Arbeiterklasse und die Mehrheit der<br />
Werktätigen zu gewinnen gelte. Nur der revolutionäre Bruch mit<br />
den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen beseitige<br />
letztendlich die Ursachen von Ausbeutung und Entfremdung,<br />
Krieg, Verelendung und Zerstörung der natürlichen Umwelt.<br />
Die im Januar 1996 gegründete DKP Thüringen umfasst nach eigenen<br />
Angaben vier Regionalgruppen. Die Landesmitgliederversammlung<br />
wählt den Koordinierungsrat, das Führungsgremium der<br />
Partei in Thüringen.<br />
Die formal selbstständige, jedoch mit der DKP eng verbundene Jugendorganisation<br />
„Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ)<br />
zählt bundesweit etwa 300 Mitglieder. Der in Thüringen seit 1996<br />
existierende Verband verfügt lediglich über einige wenige Mitglieder.<br />
Im Jahr 2007 entwickelte die Partei erfolglose Bemühungen, neue<br />
Mitglieder und Abonnenten für die parteieigene Wochenzeitschrift<br />
„Unsere Zeit“(UZ) zu gewinnen. Auf der 11. Tagung des DKP-Parteivorstandes<br />
am 14. Juli äußerte sich der Parteivorsitzende Heinz<br />
STEHR kritisch: Es sei der Partei „noch nicht gelungen, wirklich<br />
den Kampf um die Stärkung der Partei und ihrer Zeitung, der UZ,<br />
nachhaltig zu organisieren.“ Trotz aller Appelle und Kampagnen<br />
abonnieren immer weniger Genossen und Sympathisanten das<br />
Zentralorgan. In einem UZ-Artikel wurde eingeräumt, dass die<br />
Zeitung von einer Wende „weiter entfernt denn je“ sei. So sollen<br />
in den ersten zehn Monaten des Jahres 2007 statt der geplanten<br />
732 neuen Abonnenten, die notwendig gewesen wären, um wenigstens<br />
den Rückgang zu stoppen, lediglich 311 gewonnen worden<br />
sein. Diese Zahl läge noch unter dem Niveau des Vorjahres.<br />
Unter Berücksichtigung aller zum Jahresende 2007 wirksamen<br />
Kündigungen werde die UZ zum Jahresbeginn 2008 bundesweit<br />
voraussichtlich 215 Abonnenten und damit ca. 20.000 Euro Ein-
nahmen weniger verzeichnen als im Vorjahr. Die Spannbreite der<br />
Verluste reicht dabei von „nur“ 2,2 % in Bremen bis hin zu 19,7 %<br />
in Sachsen-Anhalt. Thüringen befindet sich mit 16,5 % Rückgang<br />
(14 Besteller weniger) an dritter Stelle der aufgeführten 18 DKP-<br />
Bezirke.<br />
Zudem mahnte das Blatt seine Leser mehrfach zu einer besseren<br />
Zahlungsmoral: 339 „LeserInnen“ hätten ihr Abonnement für 2007<br />
noch nicht bezahlt. Damit fehlten der Zeitung 24.675 Euro in der<br />
Verlagskasse – „Geld, auf das wir nicht verzichten können, wenn<br />
wir Gehälter, Miete und Rechnungen pünktlich bezahlen wollen“.<br />
Der „dringenden Bitte an alle säumigen ZahlerInnen“ folgte der<br />
bereits aus den Vorjahren bekannte Aufruf an die gesamte Leserschaft:<br />
„Spendet für den Erhalt der UZ als Wochenzeitung!“. Zum<br />
Jahresende schließlich wurde eine Preiserhöhung für das Blatt bekannt<br />
gegeben.<br />
15. Pressefest der DKP-Wochenzeitung „Unsere Zeit“ (UZ) in<br />
Dortmund<br />
Im krassen Gegensatz zu diesen Fakten feierte sich die DKP auf<br />
dem 15. Pressefest ihres Zentralorgans, das unter dem Motto „Fest<br />
der Solidarität“ vom 22. bis 24. Juni in Dortmund stattfand, selbst.<br />
Nach Angaben der Partei wurde es mit rund 190 durchgeführten<br />
Veranstaltungen und über 50.000 Besuchern wieder „zum interessantesten,<br />
spannendsten und schönsten Volksfest der Linken“ in<br />
Deutschland. Neben den DKP-nahen Verbänden „Sozialistische<br />
Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) und „Assoziation Marxistischer<br />
Studierender“ (AMS) sowie ideologisch nahestehenden Organisationen<br />
wie der KPF, sollen sich auch Vertreter von 24 Kommunistischen<br />
und Arbeiterparteien aus dem Ausland an dem Pressefest<br />
beteiligt haben. Das Programm umfasste u. a. politische Foren zu<br />
Themen wie „Gegenwart und Zukunft des Sozialismus“, „Eine<br />
andere Welt ist möglich – wie weiter nach Heiligendamm?“ oder<br />
„Die DKP – wer wir sind und was wir wollen“. Besondere Anziehungspunkte<br />
bildeten die Stände der DKP-Landesverbände mit<br />
ihrem Angebot an Kulturveranstaltungen, Vorträgen und Diskussionsrunden.<br />
In einer ersten Bilanz sahen sich sowohl die Partei als<br />
auch ihr Zentralorgan gestärkt: Gemeinsam mit ihren Mitgliedern<br />
hätten zahlreiche mit der DKP befreundete Organisationen und In-<br />
Linksextremismus<br />
137
138<br />
Linksextremismus<br />
itiativen in „solidarischer Atmosphäre“ diskutiert und gefeiert; ein<br />
„attraktives kulturelles und politisches Programm“ habe die Besucher<br />
begeistert und ihnen „Kraft und Zuversicht“ vermittelt.<br />
Als Teilnehmerin des Pressefestes wurde auch die „DKP in Thüringen“<br />
erwähnt. In einer Zuschrift an die UZ zeigte sich diese im<br />
Rückblick begeistert: Das Pressefest sei ein toller Erfolg gewesen,<br />
was sich nicht zuletzt in neuen Mitgliedern niederschlage. „Die<br />
vielen spannenden Diskussionen (…) und drei Tage unter Tausenden<br />
von Genossen haben uns viel Energie für den Kampf im Alltag<br />
mitgegeben“. Die gleichzeitig von den strikt antiimperialistisch<br />
ausgerichteten Thüringer Genossen geäußerte „entschiedene Kritik“,<br />
die Teilnahme der „Irakischen Kommunistischen Partei“ am<br />
„Fest der Solidarität“ sei ein „handfester Skandal“, wurde vom Zentralorgan<br />
jedoch nicht veröffentlicht. Im Regionalblatt „Thüringenreport“<br />
Nr. 4/2007 hieß es dazu:<br />
„Wer dem brutalen und verbrecherischen US-Besatzungsregime<br />
hörig ist und den durch das Völkerrecht gedeckten legitimen Widerstand<br />
gegen die US-Besatzung des Irak verleumdet und bekämpft,<br />
der hat auf unserem Fest nichts verloren.“<br />
Abgesehen von einem im Januar in Gera durchgeführten „Philosophieseminar“<br />
zum Thema „Politische Ökonomie des Kapitalismus“<br />
trat die Thüringer DKP ansonsten nur selten in Erscheinung. Ihre<br />
Aktivitäten waren bereits seit dem Tod ihres engagierten Koordinierungsratsvorsitzenden<br />
im Dezember 2006 spürbar rückläufig.<br />
Die personellen, strukturellen und finanziellen Probleme des Landesverbands<br />
dauern an. Allerdings gelang es im Berichtszeitraum,<br />
den „Thüringenreport“ weiterhin – wenn auch unregelmäßig – herauszugeben.<br />
Auch die SDAJ entfaltete in diesem Jahr bundesweit keine nennenswerten<br />
Aktivitäten. Ihr traditionelles Pfingstcamp fiel mit der<br />
Begründung, sich auf die Beteiligung an den Protesten gegen den<br />
G8-Gipel in Heiligendamm konzentrieren zu wollen, aus. Im Mai<br />
wurde im „Thüringenreport“ die Gründung einer SDAJ-Gruppe in<br />
Jena bekannt gegeben. Seit November wird u. a. über die UZ zu<br />
wöchentlichen Treffen eingeladen.
5.3 „Kommunistische Partei Deutschlands“<br />
(KPD)<br />
Bund Thüringen<br />
Gründungsjahr 1990 1993<br />
Sitz Berlin –<br />
Parteivorsitzender Dieter ROLLE<br />
Mitglieder<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
ca. 200<br />
ca. 200<br />
ca. 200<br />
Publikation „Die Rote Fahne“<br />
(monatlich)<br />
Jugendorganisation<br />
„Kommunistischer<br />
Jugendverband<br />
Deutschlands“<br />
(KJVD)<br />
Internet eigener<br />
Internetauftritt<br />
wenige Mitglieder<br />
wenige Mitglieder<br />
wenige Mitglieder<br />
–<br />
existent;<br />
nur wenige<br />
Mitglieder<br />
kein eigener<br />
Internetauftritt<br />
Die am 31. Januar 1990 im damaligen Ost-Berlin von ehemaligen<br />
SED-Mitgliedern „wiedergegründete“ KPD bekennt sich zu<br />
den Lehren von MARX, ENGELS, LENIN und STALIN. In ihrem<br />
auf dem 25. Parteitag 2007 neu beschlossenen Statut definiert sie<br />
sich als „marxistisch-leninistische Partei“, als „revolutionäre Partei<br />
der Arbeiterklasse und des ganzen werktätigen Volkes“, die „fest<br />
in den Traditionen des ‚Bundes der Kommunisten’, des ‚Spartakusbundes’,<br />
der KPD und SED sowie ihrer hervorragenden Persönlichkeiten“<br />
steht. Zu denen zählt sie in erster Linie Ernst THÄLMANN,<br />
aber auch Karl LIEBKNECHT, Rosa LUXEMBURG, Wilhelm PIECK,<br />
Walter ULBRICHT und Erich HONECKER gelten als Vorbilder. Die<br />
Partei sieht sich als „Erbe und Bewahrer der Erfahrungen und Er-<br />
Linksextremismus<br />
139
140<br />
Linksextremismus<br />
kenntnisse des Klassenkampfes der revolutionären Arbeiterklasse<br />
und ihrer Verbündeten in Deutschland“ sowie „des Besten, was<br />
die deutsche Arbeiterklasse bisher erkämpfte, der sozialistischen<br />
Erfahrungen und Errungenschaften der DDR“. Als weitere Aufgabe<br />
wurde festgelegt, „insbesondere die Arbeiterklasse und alle objektiv<br />
antiimperialistischen Kräfte für die Überzeugung zu gewinnen,<br />
dass die einzige Alternative zur gegenwärtigen imperialistisch geprägten<br />
Gesellschaft noch immer die Schaffung der sozialistischen<br />
Gesellschaftsordnung ist.“ Politisch-ideologische Markenzeichen<br />
der KPD sind dogmatischer Stalinismus, DDR-Verherrlichung sowie<br />
permanente Huldigungen an die „Koreanische Demokratische<br />
Volksrepublik“ (KDVR) und ihre Führung.<br />
Ihren organisatorischen Schwerpunkt hat die Partei in den neuen<br />
Bundesländern. Seit April 1993 besteht die KPD-Landesorganisation<br />
Thüringen, vier ihrer Mitglieder sind zwischenzeitlich in leitenden<br />
Organen auf KPD-Bundesebene aktiv. Zudem ist der im April<br />
2002 wiedergegründete „Kommunistische Jugendverband Deutschlands“<br />
(KJVD) auch in Thüringen organisatorisch vertreten ist.<br />
25. Parteitag der KPD<br />
Der organisatorische, strukturelle und personelle Niedergang der<br />
KPD hält unvermindert an. Nennenswerte Aktivitäten gingen im<br />
Berichtszeitraum von der Partei nicht aus. Auf eine zunehmende<br />
Lethargie kann wegen fehlender Berichterstattung über das Parteileben<br />
im Zentralorgan „Die Rote Fahne“ geschlossen werden.<br />
Auch nach dem 25. Parteitag, der unter der Losung „Stärkt die<br />
Kampfkraft unserer Partei zu Ehren des 90. Jahrestages der Großen<br />
Sozialistische Oktoberrevolution“ am 21. April in Berlin stattfand,<br />
waren keine neuen Impulse wahrzunehmen. Wenngleich sowohl<br />
Statut als auch Parteiprogramm neu beschlossen wurden, weisen<br />
sie keine relevanten Änderungen auf.<br />
KPD-Landesorganisation Thüringen<br />
Analog zur Bundespartei ist es auch um die KPD-Landesorganisation<br />
Thüringen ruhig geworden. Der überraschende Rücktritt des<br />
engagierten Vorsitzenden im Frühjahr 2007 hat diese Entwicklung
noch verschärft. Erwähnenswerte eigenständige Aktivitäten wurden<br />
im Berichtszeitraum nicht bekannt. In der Regel beteiligte sich<br />
die Thüringer KPD an den Aktionen anderer kommunistischer Organisationen<br />
im Freistaat. 72<br />
Wie die KPD ist auch ihre Jugendorganisation in Thüringen weitgehend<br />
inaktiv. Nach Angaben im Zentralorgan „Der Jungkommunist“<br />
führte die Organisation ihren IV. Verbandstag am 10. März<br />
in Erfurt durch. Dabei sei u. a. eine neue Leitung gewählt worden.<br />
Sowohl bei dem Vorsitzenden als auch dessen Stellvertreter handele<br />
es sich um Genossen aus Thüringen.<br />
5.4 Thüringer Kommunisten in Aktionseinheit<br />
Trotz unterschiedlicher programmatischer Konzepte fanden Thüringer<br />
Kommunisten mehrfach Anlass, gemeinsame Veranstaltungen<br />
durchzuführen.<br />
THÄLMANN-Ehrung in Weimar<br />
Anlässlich des 63. Jahrestages der Ermordung des ehemaligen<br />
KPD-Vorsitzenden Ernst THÄLMANN im Konzentrationslager Buchenwald<br />
fanden am 18. August in Weimar mehrere Gedenkveranstaltungen<br />
statt, an denen sich auch Mitglieder von DKP, KPD,<br />
SDAJ und KJVD beteiligten. U. a. luden DKP, KPD und KPF nach<br />
einer Kranzniederlegung am Thälmann-Denkmal in Weimar zu einer<br />
Saalveranstaltung unter dem Motto „Kämpfen lernen bei Ernst<br />
Thälmann“ in ein Hotel der Stadt ein.<br />
Informationsveranstaltungen zum Verbot der „Kommunistischen<br />
Union der Jugend der Tschechischen Republik“ (KSM)<br />
Am 12. Oktober 2006 wurde die der „Kommunistischen Partei<br />
Böhmens und Mährens“ (KSCM) nahestehende KSM durch das<br />
Innenministerium der Tschechischen Republik verboten. Die Ver-<br />
72 Siehe Kapitel 5.4.<br />
Linksextremismus<br />
141
142<br />
Linksextremismus<br />
fügung rief auch im Ausland – hier besonders im linksextremistischen<br />
Spektrum – empörte Proteste hervor. In der Bundesrepublik<br />
startete die DKP-nahe SDAJ im Internet eine Unterschriftenkampagne<br />
gegen das Verbot. Zu den bisher über 1.700 Unterzeichnern<br />
gehören auch zahlreiche Thüringer. Im Rahmen einer Informationstour<br />
„Der Marxismus lässt sich nicht verbieten“ referierte die<br />
stellvertretende KSM-Vorsitzende vom 12. bis 15. Juli in mehreren<br />
Städten Thüringens über das Verbot und die politische Arbeit des<br />
Jugendverbands in Tschechien. Die Vorträge wurden von der KPF,<br />
der „Roten Hilfe“, der SDAJ sowie der DKP unterstützt.<br />
5.5 „Marxistisch-Leninistische Partei<br />
Deutschlands“ (MLPD)<br />
Bund Thüringen<br />
Gründungsjahr 1982 –<br />
Sitz Gelsenkirchen zwei<br />
Kontaktadressen<br />
Mitglieder<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
ca. 2.300<br />
ca. 2.300<br />
ca. 2.300<br />
Publikation „Rote Fahne“<br />
(wöchentlich)<br />
Jugendorganisation<br />
Internet eigener<br />
Internetauftritt<br />
ca. 50<br />
ca. 50<br />
ca. 50<br />
„Stimme von und<br />
für Elbe-Saale“<br />
(unregelmäßig)<br />
„REBELL“ existent;<br />
nur wenige<br />
Mitglieder<br />
kein eigener<br />
Internetauftritt
Die MLPD wurde 1982 in Bochum gegründet. Sie „wendet den<br />
Marxismus-Leninismus und die Maotsetungideen schöpferisch auf<br />
die heutige Situation an“. In der Präambel ihrer „Organisationspolitischen<br />
Grundsätze“ bezeichnet sie sich „als politische Vorhutorganisation<br />
der Arbeiterklasse in Deutschland“. Als „grundlegendes<br />
Ziel“ werden „der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals<br />
und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den<br />
Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen<br />
kommunistischen Gesellschaft“ angegeben. In ihrem 1999 auf dem<br />
„Gelsenkirchener Parteitag“ beschlossenen Parteiprogramm führt<br />
sie ergänzend aus: „Die Eroberung der politischen Macht ist das<br />
strategische Ziel des Klassenkampfes der Arbeiterklasse. Die MLPD<br />
hat die Aufgabe, die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für<br />
den Sozialismus zu gewinnen und ihre Kämpfe in einem umfassenden,<br />
gegen das Monopolkapital und seinen Staat als politisches<br />
Herrschaftsinstrument gerichteten Kampf höherzuentwickeln. (…)<br />
Der Kern der revolutionären Taktik der MLPD besteht darin, den<br />
wirtschaftlichen mit dem politischen Kampf zu verbinden bzw.<br />
den wirtschaftlichen in den politischen Kampf umzuwandeln und<br />
den Klassenkampf auf das sozialistische Ziel hin auszurichten.“ Im<br />
linksextremistischen Lager ist die MLPD auf Grund ihres sektiererischen<br />
Auftretens isoliert.<br />
Eisenach und Sonneberg bilden im Freistaat die organisatorischen<br />
Schwerpunkte der Partei. Vertretungen ihres Jugendverbands „RE-<br />
BELL“ sind ebenfalls dort angesiedelt. Ein Landesverband „Elbe-<br />
Saale“, der künftig die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und<br />
Thüringen umfassen und in Leipzig ansässig sein soll, befindet sich<br />
im Aufbau.<br />
MLPD begeht 25. Jahrestag ihrer Gründung<br />
Die maoistisch-stalinistische MLPD beging am 20. Juni den 25. Jahrestag<br />
ihrer Gründung. Anlässlich des Jubiläums organisierte sie<br />
eine Reihe von örtlichen und regionalen Veranstaltungen, deren<br />
Höhepunkt drei zentrale Festakte Anfang August waren. Das „internationale<br />
Seminar“ am 2./3. August in Essen zum Thema „Die<br />
Neuorganisation der internationalen Produktion und die Vorbereitung<br />
der internationalen sozialistischen Revolution“ leitete die<br />
Jubiläumsfeiern ein. An der Veranstaltung nahmen Parteiangaben<br />
Linksextremismus<br />
143
144<br />
Linksextremismus<br />
nach über 1.000 Gäste teil, darunter 40 Delegationen marxistischleninistischer<br />
Parteien und Organisationen aus 34 Ländern. Besonderer<br />
Stellenwert kam der Parteimedien zufolge von 2.100 Gästen<br />
besuchten „Großen Jubiläumsveranstaltung“ am 4. August zu, bei<br />
der der Parteivorsitzende Stefan ENGEL das Publikum „mit einer<br />
Fülle neuer Argumente, Optimismus und herzerfrischender Angriffslust“<br />
beeindruckt habe. Eine „antifaschistische Gedenkfeier“<br />
im ehemaligen KZ Buchenwald beendete am 5. August die Jubiläumsfeierlichkeiten.<br />
Die Partei habe damit ihre feste Verwurzelung<br />
im „aktiven Widerstand der Kommunisten gegen den Hitler-<br />
Faschismus“ demonstrieren wollen. Im Rahmen der Feier fanden<br />
neben Ansprachen und einer Kranzniederlegung auch Führungen<br />
durch das Gelände der Gedenkstätte statt. Zum Abschluss des Gedenkens<br />
sollen die 460 Teilnehmer symbolisch den „Schwur von<br />
Buchenwald“ bekräftigt haben, nicht zu ruhen, bis der Faschismus<br />
mit allen seinen Wurzeln vernichtet und eine neue Welt des Friedens<br />
und der Freiheit geschaffen ist.<br />
Der MLPD zufolge beteiligten sich an den drei aufgeführten Jubiläumsveranstaltungen<br />
insgesamt 2.600 Personen. Das Zentralorgan<br />
„Rote Fahne“ lobte, das Programm der Feierlichkeiten sei vor allem<br />
auf Grund der „gelungenen Mischung aus theoretischer Arbeit, lebendiger<br />
Diskussion, internationaler Solidarität, Festlichkeit, Kultur,<br />
Tradition und Gedenken“ beeindruckend gewesen. Davon gingen<br />
jetzt neue Impulse und Schwung aus – die passende Gelegenheit,<br />
jetzt auch zahlreiche neue Mitglieder für MLPD und „REBELL“ sowie<br />
die Kinderorganisation „Rotfüchse“ zu gewinnen.<br />
Der 25. Parteigeburtstag fand auch in Thüringen Resonanz. Die<br />
Sonneberger MLPD-Gruppe lud für den 21. Juli zu einer öffentlichen<br />
Jubiläumsveranstaltung in die „Ferien- und Freizeitanlage“<br />
Truckenthal ein.<br />
Sommercamp der MLPD-Jugendorganisation „REBELL“<br />
Das traditionelle Sommercamp des MLPD-Jugendverbands „RE-<br />
BELL“ und seiner Kinderorganisation „Rotfüchse“ fand in der Zeit<br />
vom 14. bis 31. Juli zum fünften Mal in der „Ferien- und Freizeitanlage<br />
Truckenthal“ im Thüringer Wald statt. Neben dem Angebot<br />
eines „erholsamen und rebellischen Urlaub(s)“ standen wiederum
die ideologische Indoktrination der Jugendlichen, die Gewinnung<br />
neuer Parteimitglieder sowie der weitere Auf- und Ausbau der Immobilie<br />
im Vordergrund. Vermutlich aufgrund der kontinuierlich<br />
zurückgehenden Teilnehmerzahlen – in diesem Jahr lediglich 300<br />
Personen – wurde die Dauer des Camps von anfänglich sechs auf<br />
nunmehr zweieinhalb Wochen verkürzt. Erstmals seit 2002 veranstaltete<br />
die Partei vom 11. bis 25. August auch wieder ein „Rotfüchse“-Kindercamp<br />
in Alt Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern).<br />
Den MLPD-Medien zufolge standen in Truckenthal neben Erholung,<br />
Partys, Ausflügen sowie „Sport und Spiel“ auch Workshops<br />
und Bauarbeiten „unter fachkundiger Anleitung“ auf dem Programm.<br />
Mit „Aufbaueinsätzen“ wurde für „MLPD, ‚REBELL‘ und<br />
das Sommercamp“ geworben. Im Mittelpunkt der Workshops habe<br />
„die Vorbereitung des 25 Jahre-Jubiläums der MLPD“ gestanden.<br />
Zum Höhepunkt des Sommercamps wurde das „5. Große Waldfest“<br />
am 28. Juli erklärt, das den Berichten nach u. a. Sportwettkämpfe,<br />
ein Kulturprogramm und Informationsstände der MLPD<br />
sowie parteinaher Bürgerinitiativen und Vereine umfasste.<br />
5.6 „Rote Hilfe e.V.“ (RH)<br />
Bund Thüringen<br />
Gründungsjahr 1975 –<br />
Sitz Göttingen Jena<br />
Mitglieder<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
ca. 4.300<br />
ca. 4.300<br />
ca. 4.300<br />
Publikation „Rote Fahne“<br />
(wöchentlich)<br />
Internet eigener<br />
Internetauftritt<br />
eigener<br />
Internetauftritt<br />
Linksextremismus<br />
145
146<br />
Linksextremismus<br />
Die RH versteht sich als „parteiunabhängige, strömungsübergreifende<br />
linke Schutz- und Solidaritätsorganisation“, die vermeintlich<br />
politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum politisch und materiell<br />
unterstützt. Sie organisiere „die Solidarität für alle, unabhängig<br />
von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung, die in der Bundesrepublik<br />
Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt<br />
werden“. Darüber hinaus gelte die Solidarität „den von der<br />
Reaktion politisch Verfolgten in allen Ländern der Erde“.<br />
Die Organisation gliedert sich bundesweit in über 30 Orts- bzw.<br />
Regionalgruppen. In Thüringen ist ihre Präsenz seit Jahren rückläufig.<br />
Nachdem die Ortsgruppe Erfurt aufgelöst worden ist, existierte<br />
Ende 2007 nur noch eine Ortsgruppe in Jena. Anders als in den<br />
Vorjahren war die Jenaer Gruppe bemüht, mit Presseerklärungen<br />
auf ihrer Internetseite Aufmerksamkeit zu erzielen.<br />
6. Politisch motivierte Kriminalität – Links –<br />
im Überblick<br />
Die im Bereich der politisch motivierten Kriminalität – Links – in<br />
den Jahren 2005, 2006 und 2007 in Thüringen begangenen Straftaten<br />
lassen sich wie folgt darstellen: 73<br />
Straftaten 2005 2006 2007<br />
Insgesamt 200 118 266<br />
davon u. a.:<br />
Gewaltkriminalität 48 17 58<br />
Sachbeschädigungen 60 43 89<br />
Verstöße gegen das<br />
Versammlungsgesetz<br />
48 24 77<br />
73 Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) zur politisch motivierten Kriminalität im Freistaat Thüringen.
Knapp ein Fünftel der erfassten politisch motivierten Straftaten<br />
(1.398) entfiel im Berichtszeitraum auf den Phänomenbereich<br />
– Links. Die Fallzahlen aller hier aufgeführten Deliktsfelder stiegen<br />
im Vergleich zum Vorjahr deutlich an. Zum Teil dürfte dies<br />
auf Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner zurückzuführen<br />
sein, die sich insbesondere bei Großveranstaltungen in<br />
den Schutzbereichen der Polizeidirektionen Erfurt, Jena und Gera<br />
ereignet haben.<br />
Linksextremismus<br />
147
148<br />
Ausländerextremismus<br />
1. Überblick<br />
IV. Ausländerextremismus<br />
Organisationsformen und Aktivitäten von Ausländern und Islamisten<br />
werden dem politischen Extremismus zugerechnet, wenn sie<br />
sich gegen die konstitutiven Prinzipien der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung richten oder von ihnen Bestrebungen<br />
ausgehen, welche die innere Sicherheit sowie auswärtige Belange<br />
der Bundesrepublik durch die Anwendung von Gewalt oder darauf<br />
gerichtete Vorbereitungshandlungen gefährden. Häufig zielen Aktionen,<br />
die von extremistisch eingestellten Ausländern in Deutschland<br />
durchgeführt werden, darauf ab, Veränderungen der politischen<br />
Verhältnisse im jeweiligen Herkunftsland herbeizuführen<br />
oder die Außenpolitik der Bundesregierung zu beeinflussen.<br />
Die Strukturen der Organisationen und Gruppierungen, in deren<br />
Rahmen Ausländer extremistische Ziele verfolgen, weichen ebenso<br />
erheblich voneinander ab wie die ideologischen Grundlagen,<br />
auf die sie sich berufen. Sie sind entweder islamistisch, linksextremistisch<br />
oder nationalistisch/separatistisch ausgerichtet. Und sie<br />
sind auch unterschiedlicher Auffassung, ob Gewalt als legitimes<br />
Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen ist.<br />
Bundesweit gehören ca. 58.420 Ausländer einer extremistischen<br />
Vereinigung an. Nach wie vor verfügen die islamistischen Gruppen,<br />
denen ca. 33.170 Personen zugerechnet werden, über das<br />
größte Mitglieder- und Anhängerpotenzial. Als Angehörige linksextremistischer<br />
Ausländergruppierungen gelten 16.870 Personen.<br />
Das extrem-nationalistische Spektrum umfasst 8.380 Anhänger.<br />
Einige Formen des Islam, die von den jeweiligen religiösen Strömungen<br />
vertreten werden, sind mit den in demokratischen Staaten<br />
garantierten Menschenrechten ebenso unvereinbar wie mit dem<br />
freiheitlichen demokratischen und pluralistisch ausgerichteten<br />
Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Die ideologischen<br />
Ansichten von Islamisten hemmen die Integration von<br />
Ausländern muslimischen Glaubens in die Gesellschaft, da sie die<br />
Wertvorstellungen westlicher Demokratien für gänzlich unver-
einbar mit dem Islam erachten. Zudem liefern die von Islamisten<br />
vertretenen Anschauungen die ideologische Grundlage dafür, den<br />
Jihad – den Krieg gegen die „Ungläubigen“ – zu rechtfertigen. Die<br />
Beobachtung islamistisch motivierter Bestrebungen stellt in der Arbeit<br />
des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz (TLfV) einen<br />
Schwerpunkt dar.<br />
Ausländerextremistische Gruppierungen nutzten die Bundesrepublik<br />
auch im Berichtszeitraum vorrangig als Ruhe- und Rückzugsraum.<br />
Darüber hinaus wurden von hier aus Aktivitäten entwickelt,<br />
finanzielle Mittel zur Unterstützung des Kampfes in den Heimatländern<br />
zu beschaffen.<br />
Wie die Anschläge in London, Jordanien und Ägypten im Jahr<br />
2005 vor Augen geführt haben, können sich islamistische Terrorakte<br />
überall ereignen. Auch Deutschland ist spätestens seit den vereitelten<br />
Anschlägen auf zwei Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen<br />
im Juli 2006 als Ziel terroristischer Attentate zu verstehen. Im Berichtszeitraum<br />
konnten islamistisch motivierte Anschläge auf USamerikanische<br />
Einrichtungen in Deutschland verhindert werden. 74<br />
Grundsätzlich ist auch Thüringen der Gefahr ausgesetzt, Ziel islamistisch-terroristischer<br />
Anschläge zu werden, wenngleich solche<br />
Terroranschläge den Erfahrungen der letzten Jahre nach meist Ballungsräume<br />
getroffen haben.<br />
Die Ausrichtung des islamistischen Terrors auf „weiche“, d. h. wenig<br />
geschützte Ziele, die eine starke Wirkung auf die Öffentlichkeit<br />
versprechen, erschwert es, mögliche Angriffspunkte einzugrenzen.<br />
Gemeinsame Terrorabwehr der Sicherheitsbehörden<br />
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war es zwingend<br />
geboten, die Sicherheitsbehörden neu auszurichten und die Vorfeldaufklärung<br />
auszuweiten, um der grundlegend veränderten Bedrohungslage<br />
Rechnung zu tragen. Im Dezember 2004 wurde das<br />
„Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ (GTAZ) mit dem Ziel<br />
gegründet, die Vorbereitung islamistisch-terroristischer Aktivitäten<br />
frühzeitig erkennen und konzertiert bekämpfen zu können. In<br />
74 Siehe Kapitel 2.<br />
Ausländerextremismus<br />
149
150<br />
Ausländerextremismus<br />
diesem Zentrum sind nicht nur die Nachrichtendienste und die<br />
Polizei, sondern auch der Generalbundesanwalt und andere Behörden<br />
vertreten. Einerseits optimiert das GTAZ den Austausch von<br />
Informationen, andererseits koordiniert es Maßnahmen, um dem<br />
islamistischen Terrorismus entgegenzuwirken. Das TLfV steht über<br />
einen Verbindungsbeamten in stetem Kontakt mit dem GTAZ.<br />
In Thüringen ist im Berichtszeitraum die „Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale“<br />
(TIAZ), in der sowohl das Thüringer Landeskriminalamt<br />
(TLKA) als auch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />
(TLfV) vertreten sind, geschaffen worden, um einen effizienten<br />
Informationsaustausch auf Landesebene zu gewährleisten.<br />
Des Weiteren nahm die Antiterrordatei (ATD) im Berichtszeitraum<br />
ihren Wirkbetrieb auf. Neben den Verfassungsschutzbehörden<br />
des Bundes und der Länder sind das Bundeskriminalamt und alle<br />
Landeskriminalämter, die Bundespolizeidirektion, der Militärische<br />
Abschirmdienst, der Bundesnachrichtendienst sowie das Zollkriminalamt<br />
an der Datei beteiligt. Durch die behördenübergreifende<br />
Vernetzung werden Erkenntnisse zum internationalen Terrorismus<br />
zügig ausgetauscht, und die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden<br />
erfährt weitere Optimierung.<br />
Extremistisch gesinnte Ausländer in Thüringen<br />
Das ausländerextremistische/islamistische Personenpotenzial in<br />
Thüringen entsprach im Berichtszeitraum mit etwa 100 Personen<br />
dem Stand des Vorjahres. Folglich neigen weniger als ein Prozent<br />
der im Freistaat Thüringen ansässigen Ausländer extremistischen<br />
Gruppierungen und deren Zielen zu.<br />
Allein der KONGRA GEL (vormals PKK, später KADEK) verfügt<br />
weiterhin über gefestigte organisatorische Strukturen in Thüringen.<br />
Daneben werden in einigen muslimischen Kreisen extremistische<br />
Positionen bezogen sowie die Ideologien und Werte des „Westens“<br />
als schädlich und feindlich für Muslime dargestellt. Bestrebungen,<br />
in Thüringen Anhänger für Bewegungen oder Organisationen zu<br />
gewinnen, die islamistische Grundsätze vertreten, werden vom<br />
TLfV aufmerksam beobachtet. Insgesamt können dem letztgenannten<br />
Spektrum in Thüringen etwa 40 Personen zugerechnet werden.
Von ausländerextremistischen/islamistischen Gruppierungen gingen<br />
im Berichtszeitraum nur selten öffentlichkeitswirksame Aktivitäten<br />
aus. Meist organisierten sie Demonstrationen und Informationsstände,<br />
um auf aktuelle Ereignisse zu reagieren oder auf die<br />
Verhältnisse in ihren Heimatländern aufmerksam zu machen. Ferner<br />
nahmen Anhänger ausländerextremistischer Gruppierungen<br />
an überregionalen Veranstaltungen im In- und Ausland teil.<br />
2. Islamismus<br />
Als Islamismus wird eine politisch instrumentalisierte Glaubensform<br />
des Islam bezeichnet. Religiös motivierte Extremisten fordern<br />
im Namen des Islam eine Gesellschaftsordnung, die der freiheitlichen<br />
demokratischen Grundordnung entgegengesetzt ist. Bei der<br />
von ihnen angestrebten weltweiten Islamisierung berufen sie sich<br />
auf den Koran, der ihrer Ansicht nach uneingeschränkte Gültigkeit<br />
besitzt und ihren Forderungen somit einen Absolutheitsanspruch<br />
verleiht. Islamisten interpretieren die im Koran enthaltene Aufforderung<br />
zum „Jihad“ 75 meist als Rechtfertigung und Verpflichtung,<br />
ihr politisches Ziel auch mit Gewalt durchzusetzen.<br />
Weltweiter Jihad<br />
Das Ziel der Mujahidin – der Kämpfer im Jihad – besteht darin, Juden<br />
und „Kreuzfahrer“ zu bekämpfen. Als „Kreuzfahrer“ werden in<br />
Anspielung auf die Kreuzzüge des Mittelalters vor allem die USA,<br />
Australien und jene europäischen Staaten bezeichnet, die christlich<br />
geprägt sind. Westliche Einflüsse in der „islamischen Welt“<br />
werden als eine feindliche Bedrohung gesehen. Mit dieser Begründung<br />
greifen die Mujahidin vorwiegend Ziele in jenen islamischen<br />
Staaten an, deren Regierungen sie als Vasallen westlicher Mächte<br />
erachten.<br />
Die jihadistischen Bewegungen grenzen sich immer deutlicher<br />
von islamischen und gemäßigteren islamistischen Gruppen ab, die<br />
diese Gewaltbereitschaft nicht teilen. Zugleich betonen führende<br />
75 Wörtlich übersetzt: innerer Kampf, Anstrengung, aber auch „heiliger Krieg“.<br />
Ausländerextremismus<br />
151
152<br />
Ausländerextremismus<br />
Mujahidin in öffentlichen Botschaften die ideelle Verbundenheit<br />
aller Kämpfer im Jihad. Jihadisten agieren in losen Netzwerken mit<br />
dem Ziel, die islamische Welt von der Herrschaft der „Ungläubigen“<br />
zu befreien. Als wichtigste Kampffelder des globalen Jihad<br />
benennen sie insbesondere Afghanistan, Tschetschenien, Palästina,<br />
den Sudan und inzwischen auch den Irak.<br />
Der Kampf der Jihadisten lässt sich kaum geographisch eingrenzen.<br />
Wo immer islamistische Propaganda auf Gewaltbereitschaft trifft,<br />
können Zirkel von Mujahidin entstehen, deren Anhänger schließlich<br />
bereit sind, für ihre Überzeugung in den Tod zu gehen. Die Bekämpfung<br />
des islamistischen Terrors stellt für die Bundesrepublik<br />
eine fortwährende Herausforderung besonderer Tragweite dar.<br />
Jihad im World Wide Web<br />
Dem Internet kommt sowohl in Hinsicht auf islamistische Radikalisierungsprozesse<br />
als auch für den Kampf der Mujahidin eine<br />
ständig wachsende Bedeutung zu. Hetzpropaganda, heroisierende<br />
Videos, auf denen Attentäter als Märtyrer dargestellt werden,<br />
und auch Anleitungen zum Bau von Bomben werden ständig neu<br />
in das Netz eingestellt. Die im Internet betriebene islamistische<br />
Propaganda ist zu einer Klammer geworden, die die in der Welt<br />
verstreuten Mujahidin zusammenhält.<br />
Das World Wide Web bietet den Handelnden dabei ideale Kommunikationsmöglichkeiten:<br />
An nahezu jedem Ort der Welt ist es möglich,<br />
auf das Internet zuzugreifen, Adressaten können ständig erreicht<br />
werden, ohne die eigene Mobilität einschränken zu müssen. Die Verständigung<br />
via Internet begünstigt das Streben nach Anonymität der<br />
Nutzer. Es bietet geschützte Räume, in denen ein direkter Informations-<br />
und Meinungsaustausch erfolgen kann, und eröffnet zugleich die<br />
Möglichkeit, Informationen an einen unbegrenzten, nicht definierten<br />
Personenkreis zu streuen. Der rege Zuspruch zu diesem Medium<br />
drückt sich in der ständig wachsenden Anzahl islamistischer Foren<br />
und Websites aus. Allein im letzten Jahrzehnt ist diese von etwa einem<br />
Dutzend auf weit über 5.000 drastisch angestiegen.<br />
Im Jahr 2007 war eine vermehrte Verbreitung in deutscher Sprache<br />
abgefasster jihadistischer Propaganda im Internet zu verzeichnen.
Besonderes Aufsehen erregten zwei Drohvideos der „Globalen<br />
Islamischen Medienfront“ (GIMF), die im März und November<br />
in das Internet eingestellt worden waren. Die GIMF, ein internationales<br />
Netzwerk von Internetaktivisten, verfasst selbst militantislamistisches<br />
Propagandamaterial, seit Mai 2006 streut sie auch<br />
Botschaften in deutscher Sprache. Nachdem die für den deutschsprachigen<br />
Internetauftritt der GIMF mutmaßlich Verantwortlichen<br />
am 12. September in Wien festgenommen wurden, war die Präsentation<br />
nur für kurze Zeit unterbrochen. Die wenig später fortgesetzte<br />
Propaganda lässt erahnen, wie flexibel, orts- und personenunabhängig<br />
die Jihadisten agieren.<br />
Um den aus islamistisch unterlegter Radikalisierung und Cyberterrorismus<br />
erwachsenden Gefahren noch effektiver begegnen zu<br />
können, haben die deutschen Sicherheitsbehörden ihre Beobachtungskapazitäten<br />
gebündelt. Zu Beginn des Jahres ist in Berlin das<br />
„Gemeinsame Internet Zentrum“ (GIZ) eingerichtet worden.<br />
Deutschland – im Fokus der Terroristen<br />
In den oben genannten Videobotschaften der GIMF wurde sowohl<br />
der deutschen als auch der österreichischen Regierung mit Anschlägen<br />
gedroht, sollte das militärische Engagement in Afghanistan<br />
nicht eingestellt werden. Die Drohung war mit den Vorwurf<br />
verknüpft, auf der Seite der „Kreuzfahrer“, insbesondere der Amerikaner,<br />
zu stehen.<br />
Derart begründen die Jihadisten nicht nur Anschläge auf deutsche<br />
Soldaten und die Entführung deutscher Staatsangehöriger in Afghanistan<br />
und im Irak. Auch für Aktivitäten innerhalb Deutschlands<br />
werden diese Begründungen bemüht. So wurden am 4. September<br />
im Sauerland drei mutmaßliche Anhänger der ursprünglich usbekischen,<br />
der „al-Qaida“ nahestehenden Gruppierung „Islamische Jihad<br />
Union“ (IJU) festgenommen. Angehörige dieser Gruppe hatten<br />
bereits eine ausreichende Menge explosiven Materials erworben,<br />
um damit Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen in der<br />
Bundesrepublik zu verüben. Dank der effektiven Zusammenarbeit<br />
der Sicherheitsbehörden konnte ihr terroristisches Vorhaben vereitelt<br />
werden.<br />
Ausländerextremismus<br />
153
154<br />
Ausländerextremismus<br />
Macht der Emotionen<br />
Neben politischen Motiven können auch hoch kochende Emotionen<br />
Auslöser islamistischer Anschläge sein. So gaben die beiden<br />
Libanesen, die im Juli 2006 versucht hatten, Sprengsätze in zwei<br />
deutschen Regionalzügen zu zünden, an, die Tat aus Protest gegen<br />
die im Februar 2006 in einzelnen deutschen Tageszeitungen veröffentlichten<br />
Mohammad-Karrikaturen geplant zu haben. Ihr Glaube<br />
habe sie verpflichtet, so ihre Rechtfertigung, die Verunglimpfung<br />
des Propheten Mohammad zu rächen.<br />
Die heftigen, teils gewalttätigen Reaktionen der islamischen Welt<br />
auf als Verunglimpfung der muslimischen Religion empfundene<br />
Meinungsäußerungen sind nach westlichem Verständnis kaum<br />
nachzuvollziehen.<br />
Diese Emotionalität ist dem besonderen Religionsverständnis der<br />
Muslime geschuldet, spielt doch der Glaube in ihrem Alltag in der<br />
Regel eine zentrale, identitätsstiftende Rolle. Islamkritische Äußerungen<br />
treffen einen gläubigen Muslim daher stärker, als dies<br />
westlich geprägte Menschen – gleich welcher sonstigen Religionszugehörigkeit<br />
– nachempfinden können. Islamisten missbrauchen<br />
diesen Umstand gezielt, um Emotionen zu schüren und die Gläubigen<br />
für ihre Zwecke zu mobilisieren.<br />
2.1 Islamismus in Thüringen<br />
Die überwiegende Mehrheit der Thüringer Muslime lebt ihren<br />
Glauben friedlich und im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung. Sie verurteilen die Anschläge auf deutsche<br />
Soldaten ebenso wie die Geiselnahmen deutscher Staatsangehöriger<br />
in Afghanistan und im Irak und bedauern, dass Extremisten das<br />
Bild des Islam in den deutschen Medien vorrangig prägen.<br />
Islamistisches Gedankengut wird in Thüringen vor allem von Gastpredigern,<br />
die ein salafitisches Glaubensverständnis vertreten,<br />
und über Broschüren verbreitet. Die Salafiya ist als islamische<br />
Reformbewegung um 1900 entstanden. Salafiten orientieren sich<br />
unmittelbar an den Aussagen und Lebensweisen des Propheten
Mohammad und seiner Zeitgenossen. Ihrer Ansicht nach erklärt<br />
sich der Islam ausschließlich aus dem Koran und der Sunna 76 . Sie<br />
suggerieren eine Unvereinbarkeit von islamischen Werten und<br />
westlichem Moralverständnis.<br />
In Thüringen organisierten örtliche Moscheevereine im Berichtszeitraum<br />
mehrfach öffentliche Veranstaltungen, bei denen bundesweit<br />
bekannte Vertreter der Salafiya als Referenten auftraten. In<br />
ihren Reden mahnten sie die Muslime, ihren Glauben und die muslimische<br />
Gemeinschaft nicht zu vernachlässigen, auch wenn dies<br />
in Deutschland seit den Anschlägen vom 11. September 2001 eine<br />
besondere Herausforderung darstelle. Ihre eloquenten Ausführungen<br />
wurden von der Mehrheit der muslimischen Zuhörer positiv<br />
aufgenommen. Wenngleich im Rahmen solcher Veranstaltungen<br />
keine hetzerischen Aufrufe bekannt wurden, gelang es dennoch,<br />
eine islamistische Einstellung zu propagieren, die das gleichwertige<br />
Miteinander von Muslimen und Andersgläubigen erschwert.<br />
Dies verdeutlicht, wie wichtig der von der Bundesregierung initiierte<br />
Dialog mit den Vertretern der muslimischen Gemeinschaft ist.<br />
Auch im Berichtszeitraum hat es entsprechende Zusammenkünfte<br />
gegeben, die dokumentieren: Der Islam hat einen Platz in der freiheitlichen<br />
demokratischen Gesellschaft. Findet die Argumentation<br />
der Islamisten, Demokratie und Islam seien gänzlich unvereinbar,<br />
hierdurch deutliche Entkräftung, wird allen interessierten Muslimen<br />
zugleich die Möglichkeit geboten, den Integrationsprozess<br />
aktiv mitzugestalten.<br />
Tabligh-i Jamaat al-Islami (TJ – Gemeinschaft für Verkündigung<br />
und Mission)<br />
Die TJ ist eine muslimische Glaubensgemeinschaft, die 1926 in Indien<br />
als islamistische Erweckungs- und Missionsbewegung durch<br />
Maulawi Muhammad ILYAS gegründet wurde. Ziel der weltweit<br />
aktiven Missionsbewegung ist, Muslime (wieder) zu einem einzig<br />
an Koran und Sunna orientierten Leben zu bewegen. Durch Missionsreisen<br />
und damit verbundene Tätigkeiten wird die Verbreitung<br />
der Lehre betrieben. Zu ihren Veranstaltungen lädt die TJ gezielt<br />
76 Gesammelte Berichte über das Leben des Propheten Mohammad.<br />
Ausländerextremismus<br />
155
156<br />
Ausländerextremismus<br />
junge Muslime aus sozial benachteiligten Milieus ein. Für die Organisation<br />
ist unerheblich, welcher Ethnie ihre Anhänger zugehören.<br />
Nicht selten haben islamistische Gewalttäter ihre extremistische<br />
Indoktrination als Anhänger der TJ erfahren.<br />
Bundesweit gehören der TJ ca. 700 Personen an. Die Mehrheit der<br />
Muslime, die in Thüringen lebt, lehnt die Lehre der TJ ab. Lediglich<br />
einige wenige praktizieren ihren Glauben nach deren Vorstellungen<br />
und gehen ihrer „Pflicht zur Missionierung“ nach, indem sie<br />
Anhänger für ihre islamistische Weltsicht zu gewinnen suchen.<br />
3. „Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA GEL)<br />
Gegründet im November 2003; nach erfolgter Auflösung<br />
des „Freiheits- und Demokratiekongresses<br />
Kurdistans“ (KADEK), der als Nachfolgeorganisation<br />
der 1978 in der Türkei gegründeten<br />
und im April 2002 aufgelösten „Arbeiterpartei<br />
Kurdistans“ (PKK) gilt.<br />
Betätigungsverbot Das vereinsrechtliche Betätigungsverbot gegen<br />
die PKK vom 26.11.1993 erstreckt sich<br />
sowohl auf den KADEK als auch auf den<br />
KONGRA GEL.<br />
Leitung Zübeyir AYDAR<br />
Publikationen<br />
Mitglieder/<br />
u. a. „SERXWEBUN“<br />
Anhänger (Bund) ca. 11.500<br />
Teilgebiet Erfurt ca. 60
3.1 Strategiewechsel, Umbenennungen,<br />
allgemeine Lage<br />
Die von Abdullah ÖCALAN 1978 in der Türkei gegründete „Arbeiterpartei<br />
Kurdistans“ (PKK) verfolgte das Ziel, einen autonomen<br />
Kurdenstaat zu erzwingen. Daher begann sie 1984, einen Guerillakrieg<br />
gegen das türkische Militär zu führen. Da von der PKK auch<br />
in der Bundesrepublik gewalttätige Aktionen ausgingen, ist 1993<br />
ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gegen sie ausgesprochen<br />
worden.<br />
Die Partei beschloss Anfang 2000 ihre grundsätzliche Neuausrichtung.<br />
Das Ziel, einen autonomen Kurdenstaat zu errichten, wurde<br />
aufgegeben. Vielmehr strebte die PKK nun an, die kulturelle Autonomie<br />
der Kurden in einer demokratischen Türkei durchzusetzen.<br />
Die noch auf ÖCALAN zurück gehende „Friedensstrategie“ wurde<br />
nach der Gründung des „Freiheits- und Demokratiekongresses Kurdistans“<br />
(KADEK) im April 2002 weiter verfolgt. Dennoch behielt<br />
sich die Organisation die Rückkehr zum bewaffneten Kampf vor,<br />
sollte sie von der türkischen Regierung angegriffen oder die kurdische<br />
Frage nicht in ihrem Sinne gelöst werden. Auf dem 8. Parteikongress<br />
erklärte die PKK im April 2002 ihre „historische Aufgabe“<br />
als erfüllt. Sie entschied, alle Aktivitäten unter dem Namen PKK<br />
einzustellen. Zur einzigen legitimen Nachfolgeorganisation wurde<br />
der KADEK bestimmt, der jedoch bereits auf seinem 2. außerordentlichen<br />
Kongress am 26. Oktober 2003 seine Auflösung beschloss.<br />
Am 15. November 2003 gab der „Volkskongress Kurdistans“ (KON-<br />
GRA GEL) auf einer Pressekonferenz seine Gründung bekannt. Zübeyir<br />
AYDAR, ehemals Mitglied des Präsidialrats des „Kurdischen<br />
Nationalkongresses“ (KNK) 77 , wurde zum Vorsitzenden der Organisation<br />
gewählt, der seit 1999 in der Türkei inhaftierte Abdullah<br />
ÖCALAN vom KONGRA GEL zur Führungspersönlichkeit des kurdischen<br />
Volkes ernannt.<br />
Im Jahre 2005 verkündete ÖCALAN die Idee des „demokratischen<br />
Konföderalismus“. Auf der 3. Generalversammlung des KONGRA<br />
77 Gegründet 1999 als Zusammenschluss 29 kurdischer Parteien und Organisationen, versteht sich als<br />
politische Kraft, die die Interessen aller Kurden in der internationalen Politik vertritt.<br />
Ausländerextremismus<br />
157
158<br />
Ausländerextremismus<br />
GEL im Mai 2005 wurde dieses Projekt von den Mitgliedern der<br />
Versammlung akzeptiert und die Gründung der „Koma Komalen<br />
Kurdistans“ (KKK) 78 beschlossen. Der KONGRA GEL selbst definierte<br />
sich als höchsten demokratischen Volkswillen und als „Gesetzgebende<br />
Versammlung“. Mit der KKK wurde ein vermeintlich<br />
neues politisches Konzept vorgestellt, in dem der „demokratische<br />
Konföderalismus Kurdistans“ kein Staatensystem, sondern das demokratische<br />
System des Volkes“ darstelle. Auch die KKK propagierte<br />
eine gewaltfreie Lösung der „gesellschaftlichen Probleme“,<br />
berief sich jedoch ebenfalls auf ihr legitimes Recht zur Selbstverteidigung.<br />
Auf der 5. Vollversammlung des KONGRA GEL, die vom 16. bis<br />
22. Mai in den Kandil-Bergen im Nordirak stattfand, wurde einstimmig<br />
die Umbenennung der KKK in „Koma Civaken Kurdistan“<br />
(KCK) 79 beschlossen. Mit dieser Umbenennung solle das „Gesellschafts-,<br />
Demokratie- und demokratische Nationalverständnis“<br />
der Organisation noch stärker zum Ausdruck gebracht werden. Im<br />
Rahmen des Kongresses wurde Zübeyir AYDAR erneut zum Vorsitzenden<br />
des KONGRA GEL gewählt.<br />
3.2 Themenschwerpunkte<br />
Angebliche Vergiftung ÖCALANS<br />
Am 1. März wurde in Rom während einer Pressekonferenz von<br />
ROJ-TV 80 das Ergebnis einer Haaranalyse ÖCALANS bekannt gegeben.<br />
Demzufolge zeige ÖCALAN Anzeichen einer chronischen<br />
Vergiftung durch Schwermetallverbindungen. Die Verantwortung<br />
für die vermutete hochgradige Lebensgefährdung ÖCALANS, so<br />
dessen Anwälte, trage die türkische Regierung. Europaweit kam es<br />
daraufhin zu überwiegend friedlichen Demonstrationen der KON-<br />
GRA GEL-Anhänger. Zu einer Großkundgebung in Straßburg fanden<br />
sich am 12. Mai 15.000 Teilnehmer, darunter Kurden aus dem<br />
gesamten Bundesgebiet, ein.<br />
78 „Konföderation der kurdischen Gemeinschaften“.<br />
79 „Zusammenschluss der Kommunen Kurdistans“.<br />
80 KONGRA GEL-naher Nachrichtensender, der am 1. März 2004 seinen Sendebetrieb aufnahm.
Auseinandersetzungen im türkisch-irakischen Grenzgebiet<br />
Das türkische Parlament hatte die Regierung der Türkei mit Beschluss<br />
vom 17. Oktober ermächtigt, grenzüberschreitende Militärschläge<br />
gegen die vom KONGRA GEL im Nord-Irak unterhaltene Guerilla<br />
durchzuführen. Seitdem ist die Präsenz des türkischen Militärs in der<br />
Grenzregion deutlich verstärkt worden. Bei den vermehrten Auseinandersetzungen<br />
zwischen Militär und Guerilla hat es bereits Tote<br />
und Verletzte gegeben. Sowohl die irakische Regierung, als auch<br />
die nord-irakische Regionalregierung erachten grenzüberschreitende<br />
Maßnahmen des türkischen Militärs als illegal. Diese entbehrten<br />
jeglicher gesetzlichen Grundlage, stellten eine Verletzung der Souveränität<br />
des Irak dar und verstießen gegen internationales Recht.<br />
Der KONGRA GEL hatte daraufhin seine Anhängerschaft auch<br />
außerhalb der Türkei zu Reaktionen aufgerufen. Der Aufforderung<br />
wurde mit deutschland- und europaweiten Protestveranstaltungen,<br />
zu denen auch Kurden aus Thüringen anreisten, entsprochen.<br />
3.3 Organisatorische Situation<br />
Die „Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in<br />
Europa“ (CDK), die im Juni 2004 aus der „Kurdischen Demokratischen<br />
Volksunion“ (YDK) hervorgegangen ist, plant die Aktivitäten,<br />
die der KONGRA GEL in Europa entfaltet.<br />
Nach dem 4. ordentlichen Kongress der CDK vom 27. Mai bis<br />
1. Juni in Rimini (Italien) wurde u.a. die Neuausrichtung der Organisationsstruktur<br />
für Deutschland beschlossen. Die bisherige Einteilung<br />
Deutschlands in drei Serits (Sektoren) – Nord, Mitte und Süd<br />
– wurde aufgehoben. Im Gegenzug sei auf oberster CDK-Führungsebene<br />
künftig ein für Deutschland verantwortlicher Funktionär angebunden.<br />
Unter Beibehaltung der bisherigen Gebietsaufteilung<br />
solle Deutschland fortan in sieben so genannte Eyalets (Regionen)<br />
gegliedert sein. Vorgaben und Anordnungen würden weiterhin entsprechend<br />
der hierarchischen Struktur an die Basis durchgestellt. In<br />
der Regel werden sie durch die etablierten örtlichen Vereine, in denen<br />
die Anhänger des KONGRA GEL großenteils organisiert sind,<br />
umgesetzt. Jene Vereine sind dem Dachverband „Föderation kurdischer<br />
Vereine in Deutschland e.V.“ (YEK-KOM) angeschlossen.<br />
Ausländerextremismus<br />
159
160<br />
Ausländerextremismus<br />
3.4 Finanzierung<br />
Den Hauptanteil ihrer Einnahmen erzielt die Organisation im Rahmen<br />
der jährlich unter ihren Anhängern in ganz Europa durchgeführten<br />
Spendenkampagne. Geldmittel gewinnt die Partei zusätzlich<br />
aus dem Verkauf ihrer Publikationen, den monatlichen<br />
Beiträgen ihrer Mitglieder und aus Gewinnen, die sie bei ihren<br />
Veranstaltungen erwirtschaftet. Die Geldmittel werden hauptsächlich<br />
zur Finanzierung des Propagandaapparates, der Führungskräfte<br />
und der Guerilla-Einheiten in den Kampfgebieten verwendet.<br />
Die Einnahmen der Organisation sind tendenziell rückläufig.<br />
3.5 Propagandamittel und Veranstaltungen<br />
Der KONGRA GEL nutzte auch im Berichtszeitraum den über Satellit<br />
zu empfangenden Fernsehsender „ROJ-TV“ sowie diverse Publikationen,<br />
um politische Erklärungen, Interviews von Führungskräften<br />
und Veranstaltungshinweise öffentlichkeitswirksam zu verbreiten.<br />
Die seit 2003 registrierte Internetpräsenz des KONGRA GEL wurde<br />
im Oktober nach fast zweijähriger Unterbrechung wieder aktiviert.<br />
Mit verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen in Deutschland<br />
und Europa versuchte der KONGRA GEL auch im Berichtszeitraum,<br />
seine Ansichten und Ziele propagandistisch zur Geltung zu<br />
bringen. Thematische Schwerpunkte bildeten wiederum die Forderung,<br />
die politische und kulturelle Identität der Kurden in der Türkei<br />
anzuerkennen, sowie die Haftbedingungen, denen der „kurdische<br />
Volksführer“ Abdullah ÖCALAN ausgesetzt ist. Wie im Jahr
zuvor gelang es der Organisation auch im Berichtszeitraum, für<br />
traditionelle Großveranstaltungen, die entweder in den westlichen<br />
Bundesländern oder im europäischen Ausland stattfanden, jeweils<br />
tausende Anhänger zu mobilisieren.<br />
Großveranstaltungen wie die am 10. Februar in Straßburg anlässlich<br />
des Jahrestags der Festnahme ÖCALANS durchgeführte Kundgebung,<br />
die zentrale Newroz-Feier am 18. März in Berlin oder das<br />
„15. Internationale Kurdistan-Kulturfestival“ am 1. September in<br />
Gelsenkirchen zogen zwischen 15.000 bis 40.000 Sympathisanten<br />
an. Dazu zählten regelmäßig auch aus Thüringen angereiste<br />
Anhänger des KONGRA GEL.<br />
3.6 Der KONGRA GEL in Thüringen<br />
Die einzige in Thüringen etablierte Struktur des KONGRA GEL<br />
stellt unverändert das Teilgebiet Erfurt dar. Es ist dem Gebiet Kassel<br />
organisatorisch angeschlossen und umfasst neben dem Großraum<br />
Erfurt auch Teile West- und Südwestthüringens. Das Teilgebiet Erfurt<br />
zählt wie im Vorjahr ca. 60 Mitglieder/Sympathisanten.<br />
Als Mitgliedsverein der YEK-KOM organisierte der „Kurdisch-Deutsche<br />
Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ auch im Jahr 2007 die Teilnahme<br />
an verschiedenen bundesweiten und regionalen Veranstaltungen<br />
und Aktionen des Dachverbands. In Thüringen selbst fanden kaum<br />
öffentlichkeitswirksame Aktionen statt. Einzelne interne Veranstaltungen<br />
zielten traditionell darauf ab, die aktuelle Lage der Kurden in den<br />
Siedlungsgebieten des Nordirak und im Südosten der Türkei bewusst<br />
zu machen und die Forderungen des KONGRA GEL zu bekräftigen.<br />
Neuer Vorstand im „Kurdisch-Deutschen Freundschaftsverein<br />
Erfurt e.V.“<br />
Im Rahmen einer Mitgliederversammlung führte der „Kurdisch-<br />
Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ am 15. April die Neuwahl<br />
seines Vorstandes durch. Seit dem 10. Mai wird Yilmaz<br />
GÜNDÜZGIDEN im Vereinsregister beim Amtsgericht Erfurt als<br />
Vorsitzender des Vereins geführt.<br />
Ausländerextremismus<br />
161
162<br />
Ausländerextremismus<br />
Der „Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ war am<br />
10. August 1999 gegründet und am 25. April 2000 im Vereinsregister<br />
eingetragen worden. Er zählt zu den gegenwärtig ca. 60 Mitgliedsvereinen<br />
der YEK-KOM in der Bundesrepublik.<br />
Newroz-Fest am 21. März in Erfurt<br />
Am 21. März schlossen sich in Erfurt etwa 60 Kurden aus Anlass<br />
des Newroz-Festes einem Demonstrationszug an, den der „Kurdisch-Deutsche<br />
Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ organisiert hatte.<br />
Die Demonstranten zogen vom Domplatz durch die Innenstadt bis<br />
hin zum Anger, wo die Veranstaltung mit musikalischen Darbietungen<br />
und Tänzen beendet wurde. Die Teilnehmer führten Bildnisse<br />
Abdullah ÖCALANs und Transparente mit, die Parolen wie<br />
„Newroz heißt Widerstand und Widerstand heißt Freiheit!“ wiedergaben.<br />
Alljährlich begehen die Kurden in der ganzen Welt traditionell<br />
ihr Neujahrsfest „Newroz“, das sie als Symbol für den kurdischen<br />
Freiheitskampf verstehen. Die Kurden verbinden das Fest mit der<br />
Forderung, die kurdische Frage politisch zu lösen.<br />
Reaktionen des KONGRA GEL auf den Anschlag in Shengal<br />
(Nord-Irak)<br />
Meldungen des KONGRA GEL-nahen Nachrichtensenders „ROJ-<br />
TV“ vom 17. August zufolge fanden in Kassel und Erfurt „Volksversammlungen“<br />
statt, auf denen der Anschlag vom 14. August in der<br />
Region Shengal (Nord-Irak) als „Blutbad“ und „Massaker“ verurteilt<br />
wurde. Als Reaktion auf den Anschlag, bei dem nach Angaben der<br />
„Yeni Özgür Politika“ (YÖP) ca. 500 Menschen – hauptsächlich<br />
Yeziden 81 – ums Leben kamen, wurden in ganz Europa, insbesondere<br />
in Deutschland, zahlreiche Protestaktionen durchgeführt. Die<br />
größte Kundgebung mit ca. 6.000 kurdischstämmigen Teilnehmern<br />
fand am 18. August in Hannover statt.<br />
81 Angehörige einer unter Kurden verbreiteten Religionsgemeinschaft (Minderheit) – unter Muslimen auch<br />
als „Teufelsanbeter“ bezeichnet.
In mehreren Erklärungen des KONGRA GEL wurde der als Massaker<br />
bezeichnete Anschlag verurteilt. Der Vorsitzende des KON-<br />
GRA GEL, Zübeyir AYDAR, soll von einer „ethnischen Säuberung“,<br />
deren Ziel es sei, die Kurden aus diesem Gebiet zu vertreiben, gesprochen<br />
haben. KONGRA GEL-nahe Organisationen verwiesen<br />
nach Angaben der YÖP darauf, dass das Massaker im Zusammenhang<br />
mit dem für das Jahresende geplanten Kirkuk-Referendum<br />
stehe. 82 Im Internet bekannte sich die bisher nicht in Erscheinung<br />
getretene Organisation „Türk Intikam Birligi“ (Türkische Racheeinheiten<br />
– TIB) zu dem Anschlag.<br />
Kurden feiern den 29. Gründungstag der PKK in Erfurt<br />
Der „Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V.“, meldete<br />
für den 24. November ein Konzert unter dem Motto „Kurdische<br />
Kulturveranstaltung Musik + Tanzen“ in Erfurt an. Im Vorfeld wurde<br />
in der YÖP und über den Fernsehsender „ROJ-TV“ unter dem Motto<br />
„Wir gratulieren dem kurdischen Volk zum 29. Gründungstag<br />
der PKK!“ 83 für die Veranstaltung in Erfurt geworben. Durch die<br />
Stadt Erfurt war ein Auflagenbescheid erlassen worden, der jegliche<br />
politischen Bezüge zur PKK untersagte.<br />
An der Feierlichkeit nahmen ca. 150 bis 200 Personen, überwiegend<br />
in Thüringen ansässige Kurden, teil. Nach einer Schweigeminute<br />
„für die Märtyrer des kurdischen Befreiungskampfes“ meldeten<br />
sich der KNK-Vorsitzende Ali YIGIT sowie ein Vertreter der<br />
YEK-KOM mit Redebeiträgen zu Wort. Darüber hinaus wurden<br />
folkloristische und musikalische Beiträge verschiedener kurdischer<br />
Künstler dargeboten.<br />
82 Die Bewohner des Nord-Irak sollen in einem Referendum entscheiden, ob die wirtschaftlich gut entwickelte<br />
Provinz Kirkuk mit ihren Ölvorkommen der autonomen Region Irakisch-Kurdistan zugeschlagen<br />
wird. Vor allem irakische Sunniten, aber auch die Nachbarstaaten des Irak befürchten ein Erstarken der<br />
Kurden, das in neue Forderungen nach einem eigenen kurdischen Staat münden könnte.<br />
83 Die „Partiya Karkeren Kurdistans“ (PKK) wurde am 27. November 1978 unter Führung von Abdullah<br />
ÖCALAN in der Türkei gegründet.<br />
Ausländerextremismus<br />
163
164<br />
Scientology-Organisation<br />
V. Scientology-Organisation (SO)<br />
1. Gesetzliche Grundlagen für die Beobachtung<br />
Die SO in Deutschland wird seit 1997 durch die Verfassungsschutzbehörden<br />
des Bundes und der Mehrheit der Länder beobachtet.<br />
Die Beobachtung gründet auf der Feststellung der Ständigen<br />
Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK)<br />
vom 5./6. Juni 1997, der zufolge in Bezug auf die SO tatsächliche<br />
Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung bestehen.<br />
Die SO ist seit Jahren bestrebt, sich als Glaubensgemeinschaft darzustellen,<br />
die sich auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung bewegt. Hierzu werden von der Organisation<br />
– mit unterschiedlichem Erfolg – auch fortwährend die Gerichte<br />
bemüht. Die „Scientology Kirche Deutschland e.V.“ (SKD) und die<br />
„Scientology Kirche Berlin e.V.“ (SKB) hatten 2003 beim VG Köln<br />
gegen die nachrichtendienstliche Beobachtung durch das Bundesamt<br />
für Verfassungsschutz (BfV) Klage erhoben, die mit dem Urteil<br />
vom 11. November 2004 in vollem Umfang abgewiesen wurde.<br />
Das Gericht traf die Feststellung, dass tatsächliche Anhaltspunkte<br />
für Bestrebungen der SO vorliegen, die gegen die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung gerichtet sind, und somit die weitere<br />
Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden gerechtfertigt<br />
ist. In dem von der SO daraufhin angestrengten Berufungsverfahren<br />
vor dem Oberverwaltungsgericht Münster ist dieses Urteil im<br />
Februar 2008 bestätigt worden. Eine Revision wurde nicht zugelassen.<br />
Die hiergegen eingereichte Beschwerde zog die SO im Mai<br />
zurück.<br />
Die Verfassungsfeindlichkeit der SO war bereits anlässlich der am<br />
6./7. Dezember in Berlin tagenden IMK bestätigt worden. Präventionsmaßnahmen<br />
gelte es zu intensivieren, aber auch im Hinblick<br />
auf ein anzustrebendes vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren<br />
sollten die Verfassungsschutzbehörden ihre Aktivitäten zur Erkenntnisgewinnung<br />
verstärken, hieß es im Ergebnis.
2. Organisationsstruktur<br />
Die SO wurde 1954 von dem US-amerikanischen Science-Fiction-<br />
Autor Lafayette Ronald HUBBARD (1911–1986) in den USA gegründet.<br />
1982 übernahm offiziell David MISCAVIGE die Leitung<br />
der Organisation. Sie verfügt weltweit über 100.000 bis 120.000<br />
Anhänger, davon etwa 5.000 bis 6.000 in Deutschland.<br />
Das Machtzentrum der SO ist das „Religious Technology Center“<br />
(RTC) 84 in Los Angeles, welches eine strikte Befehls- und Disziplinargewalt<br />
über die weltweit ansässigen SO-Niederlassungen ausübt.<br />
Das RTC besitzt die Urheberrechte und Warenzeichen der Werke<br />
HUBBARDs und überwacht deren Verwendung. Die ebenfalls in<br />
Los Angeles ansässige „Church of Scientology International“ (CSI)<br />
ist als oberste Managementzentrale der Organisation zu verstehen.<br />
Von dort aus werden die Befehle an die jeweiligen „Kontinentalen<br />
Verbindungsbüros“ (Continental Liason Offices) weitergegeben.<br />
Das für Europa zuständige „Office“ befindet sich in Kopenhagen.<br />
In Deutschland existieren derzeit 14 „Missionen“, acht „Kirchen“, so<br />
genannte Orgs, und zwei „Celebrity Centers“ (CCs). Bei den „Missionen“<br />
handelt es sich um Basisorganisationen, die einführende<br />
Dienste anbieten. Die „Orgs“ stellen darüber hinaus ein breiteres<br />
Angebot an Kursen, insbesondere zum „Auditing“ – der maßgeblichen<br />
Psychotechnik, mit der Menschen in das System Scientology<br />
hineingezogen werden – zur Verfügung. In den CCs werden mit<br />
eben jenen Diensten ausschließlich Prominente (Persönlichkeiten<br />
des Sports, Künstler und Geschäftsleute) betreut, um diese später<br />
als Imageträger und Propagandisten für Scientology einzusetzen.<br />
Zudem verfügt die SO mit dem „Office of Special Affairs“ (OSA)<br />
auch in Deutschland über einen organisationseigenen Nachrichtendienst,<br />
welcher zur Ausforschung von Kritikern und Gegnern eingesetzt<br />
wird und u. a. an der Umsetzung repressiver Maßnahmen<br />
gegen diese beteiligt ist. Die SO ist bemüht, ihre organisatorischen<br />
Strukturen und politischen Ziele nach außen zu verschleiern.<br />
Mit der repräsentativen Eröffnungsfeier eines SO-Komplexes am<br />
13. Januar in Berlin hat sich die Organisation neben Brüssel, London<br />
und Madrid in einer weiteren europäischen Hauptstadt ima-<br />
84 Vorsitzender des Vorstands des RTC ist MISCAVIGE.<br />
Scientology-Organisation<br />
165
166<br />
Scientology-Organisation<br />
geträchtig niedergelassen. Für die Organisation steht dabei offenbar<br />
die Möglichkeit der politischen Einflussnahme auf Regierung<br />
und Parlament im Vordergrund. Die Berliner „Org“ stellt allerdings<br />
keine „Deutschlandzentrale“ der SO dar. Ebenso wenig kann von<br />
einer Verwaltungszentrale – vergleichbar der „Scientology Kirche<br />
Deutschland“ – gesprochen werden, da SO-Niederlassungen in<br />
Deutschland an das „Office“ in Kopenhagen angebunden sind.<br />
3. SO in Thüringen<br />
Niederlassungen der SO existieren im Freistaat nicht.<br />
Im Berichtszeitraum wurden an öffentliche Stellen in Thüringen<br />
Werbematerialien der „Volunteer Ministers“ übersandt. Das Info-<br />
Material umfasste eine DVD, ein Werbeheft der Organisation sowie<br />
diverse Flyer, u. a. mit Hinweisen zu SO-Workshops. Die Unterlagen<br />
waren in den USA abgesandt worden.<br />
Bei den „Volunteer Ministers“ handelt es sich um so genannte Ehrenamtliche<br />
Geistliche, die vorwiegend in zeitlicher Nähe zu katastrophalen<br />
Ereignissen präsent sind und versuchen, Kontakt mit<br />
Betroffenen, Trauernden oder auch Hinterbliebenen aufzunehmen.<br />
In Thüringen sind sie anlässlich des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium<br />
2002 in Erscheinung getreten. 85<br />
Die weiteren Aktivitäten der SO in Thüringen beschränken sich auf<br />
das gelegentliche Versenden von Broschüren und Informationsmaterialien<br />
an öffentliche Einrichtungen und Privatpersonen. Derartige<br />
Maßnahmen gehen jeweils von SO-Niederlassungen außerhalb<br />
Thüringens aus.<br />
85 Siehe Verfassungsschutzbericht des Freistaats Thüringen 2002.
VI. Ereigniskalender<br />
extremistischer Bestrebungen in Thüringen<br />
Termin Ereignis<br />
5. Januar Informationsstand des NPD-Kreisverbands<br />
Wartburgkreis in Eisenach<br />
13. Januar Rechtsextremistisches Konzert in Neustadt (Orla)<br />
13. Januar Mahnwache des NPD-Kreisverbands Gotha in<br />
Gotha<br />
27. Januar Rechtsextremistisches Konzert in Langenschade<br />
verhindert<br />
31. Januar Rechtsextremistisches Konzert in Altenburg<br />
aufgelöst<br />
2. Februar Gründung des JN-Stützpunkts Weimar<br />
3. Februar Rechtsextremistisches Konzert in Gotha aufgelöst<br />
9. Februar Informationsstand des NPD-Kreisverbands<br />
Erfurt-Sömmerda in Erfurt<br />
9. Februar Autonome beteiligen sich an Protesten gegen<br />
den Informationsstand des NPD-Kreisverbands<br />
Erfurt-Sömmerda in Erfurt<br />
10. Februar Mahnwache des NPD-Kreisverbands Gotha in<br />
Gotha<br />
10. Februar „Landesjugendtag“ des JN-Landesverbands in<br />
Kleindernbach<br />
10. Februar Mitgliederversammlung des NPD-Kreisverbands<br />
Hildburghausen-Suhl mit Auftritten rechtsextremistischer<br />
Bands<br />
23. Februar Parteipolitische Veranstaltung des NPD-Kreisverbands<br />
Gotha in Finsterbergen<br />
24. Februar „Kaffeefahrt“ des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis<br />
1., 4., 7. März Solidaritätsaktionen des linksextremistischen<br />
Spektrums in Weimar, Erfurt und Meiningen<br />
anlässlich der Räumung des Szeneobjekts<br />
„Ungdomshuset“ in Kopenhagen (Dänemark)<br />
Ereigniskalender<br />
167
168<br />
Ereigniskalender<br />
4. März Jahreshauptversammlung des NPD-Kreisverbands<br />
Unstrut-Hainich/Eichsfeld<br />
10. März Rechtsextremistisches Konzert in Brotterode<br />
aufgelöst<br />
10. März IV. Verbandstag des „Kommunistischen Jugendverbands<br />
Deutschlands“ (KJVD) in Erfurt<br />
15. März Spontankundgebung von Rechtsextremisten in<br />
Erfurt<br />
16. März Spontankundgebung von Rechtsextremisten in<br />
Erfurt<br />
21. März „Kurdisch-Deutscher Freundschaftsverein Erfurt<br />
e.V.“ veranstaltet anlässlich des Newroz-Festes<br />
Demonstration in Erfurt<br />
22. März Mahnwache des NPD-Landesverbands Thüringen<br />
in Erfurt<br />
28. März Informationsstand des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />
Sömmerda in Erfurt<br />
30. März Jahreshauptversammlung des NPD-Kreisverbands<br />
Gotha in Finsterbergen<br />
31. März Parteiversammlung des NPD-Kreisverbands Hildburghausen-Suhl<br />
mit musikalischer Umrahmung<br />
31. März Saalveranstaltung des Vereins „Deutsch-Russische<br />
Friedensbewegung Europäischen Geistes<br />
e.V.“ in Hildburghausen<br />
5. April Informationsstand des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />
Sömmerda in Erfurt<br />
11. April Spontankundgebung von Rechtsextremisten in<br />
Weimar<br />
14. April Rechtsextremistisches Konzert in Hildburghausen<br />
aufgelöst<br />
20.–22. April Seminar des „Collegium Humanum e.V.“ (CH) in<br />
Mosbach<br />
21. April Gründung des NPD-Kreisverbands Greiz<br />
27. April Saalveranstaltung des NPD-Landesverbands<br />
Thüringen in Wildeck- Obersuhl (Hessen)<br />
April – Juli Informationsstände des NPD-Kreisverbands<br />
Wartburgkreis
1. Mai „1. Mai-Demonstration“ der NPD in Erfurt /<br />
Autonome beteiligen sich an Gegenveranstaltung<br />
1. Mai Demonstrationen NPD/Neonazis in Gotha und<br />
Apolda<br />
1.– 31. Mai Mahnwachen des NPD-Kreisverbands<br />
Saale-Orla-Kreis<br />
5. Mai Gründung des NPD-Kreisverbands Eichsfeld<br />
4. – 6. Mai „Tage Deutscher Gemeinschaft“ der neonazistischen<br />
Organisation „Die Deutsche<br />
Freiheitsbewegung e.V. – Der Bismarck<br />
Deutsche“ in Nordthüringen<br />
8. Mai Informationsstand und Mahnwache des<br />
NPD-Kreisverbands Erfurt-Sömmerda und des<br />
JN-Stützpunkts in Erfurt<br />
8. Mai Veranstaltungen und Aktionen von NPD, JN<br />
und Neonazis in Apolda, Erfurt, Jena und Mühlhausen<br />
zum Ende des II. des Weltkriegs 1945<br />
14. Mai Spontandemonstration der NPD und JN vor dem<br />
Thüringer Landtag<br />
18. Mai Rechtsextremistisches Konzert in Arnstadt-<br />
Rudisleben aufgelöst<br />
19. Mai –<br />
14. Juli<br />
Mitgliederkampagne der NPD in Thüringen mit<br />
über 40 Kundgebungen und ca. 60 Informationsständen<br />
19. Mai „6. Thüringentag der nationalen Jugend“ in<br />
Eisenach<br />
19. Mai Rechtsextremistisches Konzert in Erfurt-<br />
Möbisburg verhindert<br />
24. Mai „Politisches Familienfest“ der NPD in Apolda<br />
31. Mai Mahnwache der JN in Erfurt<br />
Mai – Juni Informationsstände der NPD-Kreisverbände<br />
Hildburghausen-Suhl, Gera, Altenburger Land<br />
Mai – Juli Beteiligung der „Antifaschistischen Gruppe<br />
Südthüringen“ an der Kampagne „… den Wald<br />
vor lauter Bäumen nicht?! Nazistrukturen abholzen,<br />
den rechten Konsenz brechen“<br />
Ereigniskalender<br />
169
170<br />
Ereigniskalender<br />
1.– 2. Juni Jahreshauptversammlung des „Deutschen<br />
Kollegs“ in Mosbach<br />
9., 12.,<br />
16. Juni<br />
Beteiligung von Linksextremisten an Protestaktionen<br />
gegen Veranstaltungen der NPD in<br />
Arnstadt, Gotha, Weimar und Meiningen<br />
16. Juni Rechtsextremistisches Konzert in Breitungen<br />
aufgelöst<br />
25. Juni Kundgebung des NPD-Kreisverbands Gotha<br />
27. Juni Kundgebung von Rechtsextremisten in Altenburg<br />
30. Juni NPD-Veranstaltung „Rock für Deutschland“ in<br />
Gera<br />
30. Juni Eröffnung des „Bürgerbüros“ des NPD-Kreisverbands<br />
Erfurt-Sömmerda in Erfurt<br />
7. Juli Kundgebung des NPD-Kreisverbands Nordhausen-Kyffhäuserkreis<br />
in Sondershausen<br />
7. Juli NPD-Veranstaltung in Greiz<br />
12. – 15. Juli Informationstour der stellvertretenden Vorsitzenden<br />
der „Kommunistischen Union der Jugend der<br />
Tschechischen Republik“ (KSM) zu dem Verbot<br />
und der politischen Arbeit des Jugendverbands<br />
14. Juli „Wikingerfest“ der rechtsextremistischen Szene<br />
bei Crawinkel<br />
14. – 31. Juli Sommercamp des MLPD-Jugendverbands<br />
„REBELL“ in Truckenthal<br />
19. – 20. Juli Mahnwachen des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />
Sömmerda in Sömmerda<br />
20. Juli Beteiligung Autonomer an der Demonstration<br />
„make some noise against facism 100 % – Antifa,<br />
100 % – Happiness“ in Erfurt<br />
25. Juli Kundgebung der rechtsextremistischen Szene in<br />
Erfurt<br />
28. Juli Landesmitgliederversammlung der KPF Thüringen<br />
2. – 31.<br />
August<br />
Mahnwachen des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />
Sömmerda in Sömmerda<br />
5. August „Antifaschistische Gedenkfeier“ anlässlich des<br />
25. Jahrestags der MLPD-Gründung im<br />
ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald
16. August Mahnwache des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />
Sömmerda in Erfurt<br />
17. August Mahnwache der JN in Erfurt<br />
17. August Neonazidemonstration in Altenburg<br />
18. August NPD-Demonstration in Jena<br />
18. August Beteiligung von Linksextremisten an Protesten<br />
gegen die NPD-Demonstration in Jena<br />
18. August Neonazitreffen in Weimar aufgelöst<br />
18. August Saalveranstaltung von DKP, KPD und KPF<br />
Thüringen in Weimar anlässlich des Jahrestags<br />
der Ermordung Ernst THÄLMANNs<br />
26. August Gründung des NPD-Kreisverbands Nordhausen<br />
in Nordhausen<br />
7. September Pressekonferenz von Rechtsextremisten in Jena<br />
8. September „2. Fest der Völker“ in Jena<br />
8. September Beteiligung von Autonomen an Protestaktionen<br />
gegen das „2. Fest der Völker“ in Jena<br />
13.– 20. Mahnwachen des NPD-Kreisverbands<br />
September Erfurt-Sömmerda in Sömmerda<br />
15. September Kundgebung des NPD-Kreisverbands<br />
Wartburgkreis in Wutha-Farnroda<br />
15. September Parteiveranstaltung des NPD-Kreisverbands<br />
Hildburghausen-Suhl in Stressenhausen mit<br />
Auftritten rechtsextremistischer Bands<br />
22. September Saalveranstaltung des NPD-Kreisverbands Gotha<br />
in Finsterbergen<br />
22. September Informationsstand des NPD-Kreisverbands Gotha<br />
in Gotha<br />
29. September Rechtsextremistisches Konzert in Neustadt (Orla)<br />
29. September Kundgebung des NPD-Kreisverbands<br />
Nordhausen in Nordhausen<br />
29. September Liederabend der rechtsextremistischen Szene in<br />
Schmiedefeld (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt)<br />
2. Oktober Informationsstände des NPD-Kreisverbands<br />
Gotha in Gotha und Waltershausen<br />
Ereigniskalender<br />
171
172<br />
Ereigniskalender<br />
5.–7. Oktober Seminar des „Collegium Humanum e.V.“ (CH)<br />
in Mosbach<br />
6. Oktober Vermummte besetzen das ehemalige Kaufhaus<br />
Horten in Jena<br />
12.–14.<br />
Oktober<br />
15.–26.<br />
Oktober<br />
„Tage Deutscher Gemeinschaft“ der<br />
„Deutschen Freiheitsbewegung e.V. –<br />
Der Bismarck Deutsche“ in Nordthüringen<br />
Mahnwachen des NPD-Kreisverbands<br />
Erfurt-Sömmerda in Sömmerda<br />
25. Oktober Mahnwache des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />
Sömmerda in Kölleda<br />
26. Oktober NPD-Kundgebung in Gera<br />
27. Oktober Beteiligung Autonomer an „antifaschistischer<br />
Kaffeefahrt“ durch Thüringen<br />
2.–30.<br />
November<br />
Mahnwachen des NPD-Kreisverbands<br />
Erfurt-Sömmerda in Sömmerda<br />
4. November NPD-Kundgebung in Gera<br />
4. November „4. Herbstfest“ des „Nationalen Widerstandes<br />
Jena“<br />
9. November Kundgebung des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis<br />
und des NPD-Landesverbands Hessen in<br />
Vacha<br />
9. November „Braunes Haus“ Jena begeht fünfjähriges<br />
Bestehen<br />
10. November Saalveranstaltung des NPD-Kreisverbands Gotha<br />
in Finsterbergen<br />
17. November Saalveranstaltung der rechtsextremistischen<br />
Szene in Finsterbergen<br />
18. November Veranstaltungen der NPD und der Neonaziszene<br />
zum Volkstrauertag in Friedrichroda, Oberhof/<br />
Schmücke, Gera, Haina, Greiz, Sömmerda,<br />
Eisenach, Erfurt, Weimar, Altenburg, Zella-<br />
Mehlis, Leinefeld, Bad Salzungen, Schleusingen,<br />
Hildburghausen, Dillstädt, Kleinschmalkalden,<br />
Manebach, Suhl, Marisfeld
1. Dezember Feier der rechtsextremistischen Szene in<br />
Erfurt-Möbisburg<br />
3. Dezember Verteilaktion einer von NPD und JN herausgegebenen<br />
„Schulhof-CD“ vor einer Schule in<br />
Erfurt<br />
8. Dezember NPD-Landesparteitag in Fröbitz<br />
21.–22.<br />
Dezember<br />
Wintersonnenwendfeiern der rechtsextremistischen<br />
Szene an verschiedenen Orten in<br />
Thüringen<br />
Ereigniskalender<br />
173
174<br />
Organisierte Kriminalität<br />
1. Aufgaben des Verfassungsschutzes<br />
Durch das Gesetz zur Änderung des Polizei- und Sicherheitsrechts<br />
vom 28. Juni 2002 wurde dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />
(TLfV) die Aufgabe übertragen, Bestrebungen und<br />
Tätigkeiten der OK im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu beobachten.<br />
Neben dem TLfV nahmen im Berichtszeitraum die Verfassungsschutzbehörden<br />
in Bayern, Hessen und im Saarland einen<br />
entsprechenden Beobachtungsauftrag wahr.<br />
Unter OK ist gemäß § 2 Abs. 4 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes<br />
(ThürVSG) die von Gewinn- und Machtstreben bestimmte<br />
planmäßige Begehung von Straftaten zu verstehen, die einzeln<br />
oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung<br />
sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder<br />
unbestimmte Dauer arbeitsteilig<br />
1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen<br />
oder<br />
2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung<br />
oder<br />
3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder<br />
Wirtschaft<br />
tätig werden.<br />
VII. Organisierte Kriminalität (OK)<br />
Dem TLfV obliegt es in einem besonderen Maße, die freiheitliche<br />
demokratische Grundordnung zu bewahren und zu schützen.<br />
Auch in Bezug auf die OK ist der Verfassungsschutz verpflichtet,<br />
frühzeitig auf Gefahren, die von ihr ausgehen, hinzuweisen.<br />
Dieser originären Aufgabe kommt der Verfassungsschutz insofern<br />
nach, als er bereits im Vorfeld Informationen auf dem Gebiet der<br />
OK aus unterschiedlichen Quellen – auch mit nachrichtendienstlichen<br />
Mitteln – sammelt, sich abzeichnende Entwicklungen und<br />
Zusammenhänge rechtzeitig erkennt und Beobachtungskonzepte<br />
für die Zukunft entwirft.
2. Beobachtungsschwerpunkte<br />
Die Ermittlungsarbeit konzentrierte sich im Berichtszeitraum auf<br />
die Rotlichtkriminalität, kriminelle Rockergruppierungen und die<br />
asiatische organisierte Kriminalität.<br />
Ein mafiöse Hintergründe offenbarendes Gewaltverbrechen an einem<br />
in Duisburg ansässigen italienischen Restaurantbetreiber und<br />
einigen seiner Beschäftigten war Anlass, Ermittlungen zu etwaigen<br />
Strukturen der italienischen organisierten Kriminalität in Thüringen<br />
aufzunehmen.<br />
Rotlichtkriminalität<br />
Der Prostitution wird vor allem in den größeren Städten Thüringens<br />
nachgegangen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um so<br />
genannte Wohnungsprostitution, die meist straff organisiert ist und<br />
zentral gesteuert wird. Daneben werden in Thüringen Bordelle betrieben,<br />
die teils als Nachtbars, Massagestudios, FKK- oder Swingerclubs<br />
getarnt sind. Häufig werden Frauen unter Vortäuschung<br />
falscher Tatsachen aus ihren Heimatländern in das Bundesgebiet<br />
geschleust und später unfreiwillig in Szeneeinrichtungen beschäftigt.<br />
Das Milieu bietet darüber hinaus einen Nährboden für Kriminalitätsformen<br />
verschiedener Art. Trotz Zersplitterung war die Thüringer<br />
Rotlichtszene auch im zurückliegenden Jahr von Wachstum<br />
und erheblichen Umsätzen gekennzeichnet.<br />
Kriminelle Rockergruppierungen<br />
Bei jenen Rockergruppierungen handelt es sich um Zusammenschlüsse<br />
mehrerer Personen mit streng hierarchischem Aufbau,<br />
engen persönlichen Bindungen der Gruppenmitglieder untereinander<br />
sowie selbstgeschaffenen strengen Regeln und Satzungen.<br />
So genannte „Outlaws Motorcycle Gangs“ (OMGs) und ihre kriminellen<br />
Mitglieder stellen eine ernstzunehmende und an Bedeutung<br />
gewinnende Erscheinung der Kriminalität dar. Die „Gangs“ sind<br />
bestrebt, Einfluss auf verschiedene Kriminalitäts- und Wirtschaftsbereiche<br />
zu erlangen und pflegen enge Kontakte zu anderen Gruppierungen,<br />
die zum Teil der OK zuzurechnen sind. OMGs grenzen<br />
Organisierte Kriminalität<br />
175
176<br />
Organisierte Kriminalität<br />
sich – auch äußerlich erkennbar – bewusst von anderen Motoradclubs<br />
(MCs) sowie den Normen und Wertvorstellungen der Gesellschaft<br />
ab. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />
zwischen den Clubs.<br />
Mitglieder von Rockergruppierungen sind vor allem im Gaststätten-<br />
und Vergnügungsgewerbe, der Tätowierbranche sowie im Sicherheitsbereich<br />
geschäftlich aktiv. Oft betreiben diese Personen<br />
legale Geschäfte, um kriminelle Handlungen zu tarnen. Darüber<br />
hinaus sind die Clubs bemüht, sowohl finanzielle als auch ideelle<br />
Unterstützung von Vertretern angesehener Berufsstände zu erlangen,<br />
um sich ein einflussreiches Umfeld zu schaffen. Mitglieder<br />
von OMGs fallen immer wieder durch kriminelle Handlungen auf.<br />
Dazu zählen u.a. der Handel mit Betäubungsmitteln, die Förderung<br />
der Prostitution und die Erpressung von „Schutzgeld“.<br />
Die Szene ist von einem hohen Bedrohungs- und Gewaltpotenzial<br />
gekennzeichnet. Auf Grund des massiven Expansionsstrebens der<br />
Gruppierungen kommt es innerhalb der Szene zu Machtkämpfen<br />
um Hoheitsgebiete, zu Racheakten und Vergeltungsschlägen, in<br />
deren Zusammenhang von ihren Mitgliedern schwere Straftaten<br />
begangen werden.<br />
Von den weltweit agierenden OMGs haben sich der „Outlaws MC“,<br />
der „Bandidos MC“ und der „Hells Angels MC“ mit einem Chapter<br />
(Ortsgruppe) und/oder Supporter (Unterstützerclub) in Thüringen<br />
etabliert. Der „Outlaws MC“ ist mit einem Chapter in Gera vertreten.<br />
Sein vormals in Ilmenau ansässiger Supporter, der „Black Pistons<br />
MC“, existiert seit Mitte 2007 nicht mehr. Der „Bandidos MC“ verfügt<br />
über ein Chapter in Jena, dem nach einjährigem Bestehen im Oktober<br />
2007 die Vollmitgliedschaft im MC zuerkannt worden ist, sowie den<br />
in Apolda und Weimar beheimateten Supporter „Chicanos MC“. Einzelne<br />
Mitglieder dieses MC erlangten im Berichtszeitraum innerhalb<br />
des „Bandidos MC“ den Status eines so genannten Prospekt, eines<br />
Anwärters mit Aussicht auf Vollmitgliedschaft. Eine bei dem „Hells<br />
Angels MC“ als Charter bezeichnete Ortsgruppe besteht in Thüringen<br />
nach wie vor nicht. Bislang existiert lediglich eine Dependance<br />
seines Supporters, dem „Red Devils MC“, in Saalfeld. Gelegentlich<br />
hielten sich Mitglieder des „Hells Angels MCs“ in Thüringen auf, was<br />
auf Bemühungen, einen weiteren Unterstützerclub oder eine eigene<br />
Niederlassung in Thüringen zu gründen, schließen lässt.
Im Berichtszeitraum setzte der „Stahlpakt MC“, der 1999 in Thüringen<br />
gegründet worden ist und bis zur Etablierung der großen<br />
OMGs die Vormachtstellung in Thüringen inne hatte, seine Expansionsbestrebungen<br />
fort. Im September 2007 wurde ein weiteres<br />
Chapter in Schmölln gegründet. Der „Stahlpakt MC“ verfügt nunmehr<br />
über 11 Chapter in Thüringen und drei in Hessen.<br />
Asiatische organisierte Kriminalität<br />
Ermittlungen zu der von asiatischen OK-Gruppierungen ausgehenden<br />
Schleusungskriminalität wurden im Berichtszeitraum fortgesetzt.<br />
So gelang es, Verfahrenswege und Abläufe der von hier<br />
ansässigen Vietnamesen organisierten Schleusungen weiter zu erhellen.<br />
Über die Schleuserorganisation werden im Herkunftsland<br />
gegen Zahlung hoher Geldbeträge die zur Visaerteilung erforderlichen<br />
Reiseunterlagen beschafft. Nicht selten handelt es sich hierbei<br />
um Fälschungen. Die Einreise der illegalen Migranten in die<br />
Europäische Union (EU) erfolgt in der Regel mit Touristenvisum<br />
innerhalb einer Reisegruppe. Der Pass wird hiernach einem ähnlich<br />
aussehenden, bereits illegal in der EU aufhältigen Landsmann<br />
ausgehändigt, der die Rückreise nach Vietnam innerhalb dieser<br />
Reisegruppe antritt. Einreisen erfolgen auch mittels Visa für selbstständige<br />
Geschäftsleute. Oft werden Vietnamesen über Tschechien<br />
nach Deutschland geschleust. An vorher vereinbarten Übergabeplätzen<br />
– meist Asiamärkte, Restaurants oder auch Autobahnraststätten<br />
– werden die Migranten durch verwandte Landsleute in<br />
Empfang genommen. In Deutschland angekommen, werden den<br />
Personen oftmals die Pässe abgenommen. Daraus erwachsende<br />
Abhängigkeiten werden genutzt, die illegalen Migranten zur Annahme<br />
jedweder Arbeit zu nötigen, um die Rückzahlung der durch<br />
die Schleusung entstandenen Schulden zu erzwingen.<br />
Italienische organisierte Kriminalität<br />
Bisherigen Erkenntnissen zufolge weist eine der großen italienischen<br />
Mafiaorganisationen 86 , die kalabresische ‘Ńdrangheta, Bezüge<br />
nach Thüringen auf. Die Organisation betätigt sich in Italien<br />
86 Dazu zählen außerdem die sizilianische Cosa Nostra, die kampanische Camorra, die apulische Sacra<br />
Corona Unita.<br />
Organisierte Kriminalität<br />
177
178<br />
Organisierte Kriminalität<br />
vorwiegend in den Deliktsfeldern Falschgeld, Geldwäsche, Drogen-,<br />
Waffen- und Menschenhandel, Schutzgelderpressung und<br />
Korruption. Die Ńdrangheta scheint die Bundesrepublik Deutschland<br />
vorrangig als Rückzugsgebiet zu nutzen. Vermutlich werden<br />
auf kriminellem Wege erlangte Gelder hier in der Immobilien- und<br />
der Gastronomiebranche investiert.<br />
Durch Vorfälle wie zuletzt der am 15. August in Duisburg erfolgten<br />
Ermordung von sechs im Gastronomiegewerbe tätigen Italienern,<br />
tritt die innerhalb der Mafiagruppierungen vorherrschende Gewalt<br />
offen zu Tage. Nicht selten eskalieren die in den Herkunftsregionen<br />
entstandenen Konflikte zwischen den innerhalb einer Mafia-Gruppierung,<br />
hier der Ńdrangheta, konkurrierenden Familienclans<br />
derart. Die dadurch erlangte Öffentlichkeit stört die unbehelligte<br />
Täterschaft der Clans, wenn es – wie in dem konkreten Fall – den<br />
Sicherheitsbehörden gelingt, das mafiöse Netzwerk zu durchdringen.<br />
Die Sicherheitsbehörden des Freistaats arbeiten eng zusammen,<br />
um Strukturen und Betätigungsfelder der Mafia rechtzeitig erkennen<br />
und bekämpfen zu können. Unmittelbar nach dem Vorfall in<br />
Duisburg wurde im Thüringer Landeskriminalamt eine Informationssammelstelle<br />
zur italienischen organisierten Kriminalität eingerichtet,<br />
der auch das Landesamt für Verfassungsschutz zuarbeitet.<br />
Überdies unterhält das TLfV zur Gewinnung weiterer Erkenntnisse<br />
Kontakte zum italienischen Partnerdienst.<br />
3. Fazit<br />
In Erfüllung seines gesetzlich normierten Auftrags zur Beobachtung<br />
der OK ergänzt das TLfV die Arbeit von Polizeibehörden und<br />
Staatsanwaltschaften auf diesem Gebiet. Die langfristig angelegte<br />
Beobachtung organisierter krimineller Strukturen im Vorfeld konkreter<br />
Tatbegehungen ist unabdingbar, um OK ganzheitlich begegnen<br />
zu können. Durch dieses konstruktive Zusammenwirken<br />
gelang es, einen Teil des Dunkelfeldes typischer OK-Deliktsfelder<br />
aufzuhellen.
1. Überblick<br />
VIII. Spionageabwehr<br />
Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein bevorzugtes<br />
Aufklärungsziel der Nachrichtendienste fremder Staaten. Dazu gehören<br />
einige Länder aus der Gemeinschaft unabhängiger Staaten<br />
(GUS) ebenso wie solche aus dem nah-, mittel- und fernöstlichen<br />
sowie dem nordafrikanischen Raum. An den in Deutschland unterhaltenen<br />
amtlichen bzw. halbamtlichen Vertretungen dieser Staaten<br />
sind die jeweiligen Nachrichtendienste personell unterschiedlich<br />
stark präsent. Über ihre als Diplomaten auf Tarndienstposten bei so<br />
genannten Legalresidenturen 87 angebundenen Mitarbeiter werden<br />
zum Zwecke der Informationsbeschaffung nachrichtendienstliche<br />
Aktivitäten entfaltet. Unverändertes Interesse gilt hierbei den klassischen<br />
Feldern der Spionage – Politik, Wirtschaft, Wissenschaft/<br />
Forschung und Militär. Die Ausspähung und Unterwanderung von<br />
in Deutschland ansässigen ausländischen Oppositionellenbewegungen<br />
stellen weitere Aktionsfelder einzelner Nachrichtendienste<br />
dar. Regierungen einiger Staaten sind weiterhin bemüht, in den Besitz<br />
atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen<br />
sowie der dazu erforderlichen Trägersysteme zu gelangen.<br />
Zur Beschaffung sowohl einzelner Komponenten zu deren Herstellung<br />
als auch des erforderlichen Know-hows bedienen sich diese<br />
Länder auch ihrer Nachrichtendienste.<br />
Bestrebungen fremder Dienste, durch Spionageaktivitäten insbesondere<br />
wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, bestehen fort. Damit<br />
einher geht eine stärkere Konzentration der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden<br />
auf die präventive Spionageabwehr, um so<br />
etwaige Schwachstellen, die Wirtschaftsspionage und Know-how-<br />
Transfer für fremde Nachrichtendienste erleichtern, aufdecken und<br />
ausräumen zu können.<br />
Die Methoden der Nachrichtendienste, gezielt Informationen abzuschöpfen,<br />
sind vielfältiger geworden. Globalisierung und elektronische<br />
Vernetzung ermöglichen den Diensten heute auf Daten<br />
87 In Thüringen existieren weder Botschaften noch Generalkonsulate anderer Staaten.<br />
Spionageabwehr<br />
179
180<br />
Spionageabwehr<br />
zugreifen zu können, die früher nur auf konspirativem Wege erlangt<br />
worden wären. Daneben gewinnt die Auswertung weitgehend<br />
offener Quellen – Forschungsberichte, Diplomarbeiten, Dokumentationen<br />
u. a. – stetig an Bedeutung.<br />
2. Proliferation<br />
Unter Proliferation versteht man die Weitergabe von atomaren,<br />
biologischen und chemischen Waffen (ABC-Waffen) bzw. der zu<br />
ihrer Herstellung benötigten Komponenten sowie der entsprechenden<br />
Trägersysteme einschließlich des erforderlichen Know-hows<br />
an proliferationsrelevante Länder 88 , von denen zu befürchten ist,<br />
dass sie diese Waffen von dort aus in bewaffneten Konflikten einsetzen<br />
oder ihren Gebrauch zur Durchsetzung politischer Ziele<br />
androhen werden.<br />
Die betreffenden Staaten sind zum einen bestrebt, Technologie<br />
und Bauteile aus führenden Industrienationen durch Teilhabe am<br />
freien Austausch von wissenschaftlichen Informationen und/oder<br />
durch Handel zu beschaffen (primäre bzw. vertikale Proliferation),<br />
zum anderen beliefern sie sich auch untereinander mit entsprechendem<br />
Material bzw. technischem Wissen (sekundäre bzw. horizontale<br />
Proliferation). Um internationale Abkommen und nationale<br />
gesetzliche Bestimmungen zu unterlaufen, setzen sie auch<br />
ihre Geheimdienste ein, gründen Scheinfirmen und verschleiern<br />
durch Umweglieferungen über Drittländer sowohl Endabnehmer<br />
als auch Endverwendungszweck des einzuführenden Gutes. Die<br />
Feststellung der Plausibilität des Endverwendungszwecks und damit<br />
der Proliferationsrelevanz wird zudem erschwert, wenn es sich<br />
um Dual-use-Güter oder -Technologien, die zu zivilen aber auch<br />
militärischen Zwecken eingesetzt werden können, handelt.<br />
Staaten wie Iran, Nordkorea, Pakistan oder Syrien standen auch<br />
im Jahr 2007 im Mittelpunkt der Proliferationsabwehr. Sie betreiben<br />
seit längerem eigene Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen<br />
und Trägersystemen zu deren Ausbringung.<br />
Insbesondere die vom Iran vertretene unnachgiebige Haltung hin-<br />
88 Zum Beispiel Nordkorea, Pakistan, Iran, Syrien.
sichtlich des dortigen Atomprogramms verbunden mit den teils<br />
provokanten Äußerungen der Regierung, ließen erneut Zweifel an<br />
der von iranischer Seite beteuerten ausschließlich zivilen Nutzung<br />
der Atomtechnologie aufkommen. Auch wenn aus den Veröffentlichungen<br />
des Nationalen Geheimdienstrates der USA (NIC) vom<br />
3. Dezember hervorgeht, dass der Iran sein geheimes Nuklearwaffenprogramm<br />
wahrscheinlich schon im Herbst 2003 stoppte und<br />
zumindest bis Mitte des Jahres nicht wieder aufnahm, besteht die<br />
Gefahr, die von diesem Staat ausgeht, fort. Das Ziel der internationalen<br />
Staatengemeinschaft, den Iran daran zu hindern, selbst eine<br />
Atombombe herstellen zu können, bleibt bestehen. Bislang liefen<br />
Forderungen nach einer sofortigen Einstellung des Anreicherungsprogramms,<br />
nach uneingeschränkter Kooperation und Transparenz<br />
jedoch ins Leere. Bereits bestehende UN-Sanktionen dauern daher<br />
an.<br />
Nordkorea hingegen, das am 9. Oktober 2006 erstmals eine Atombombe<br />
getestet hatte und in der Folge weitreichenden internationalen<br />
Sanktionen unterlag, hat im August die komplette Aufgabe<br />
seines umstrittenen Atomprogramms bis zum Jahresende zugesagt.<br />
Daraufhin wurden durch die USA sowohl die Streichung von der<br />
Terrorliste als auch die Aufhebung aller mit diesem Eintrag verbundenen<br />
Sanktionen in Aussicht gestellt. Der Vereinbarung zwischen<br />
Nordkorea und den USA – Teil des laufenden Friedensprozesses<br />
auf der koreanischen Halbinsel – folgten u. a. ein innerkoreanisches<br />
Gipfeltreffen mit der Unterzeichnung einer Friedensvereinbarung,<br />
Sechs-Parteien-Gespräche mit weiteren Vereinbarungen<br />
zur Stillegung des Atomprogramms sowie erste Öllieferungen. Der<br />
Kernreaktor in Yongbyon, die wichtigste Atomanlage in Nordkorea,<br />
wurde nach Bestätigung der internationalen Atominspekteure zwischenzeitlich<br />
abgeschaltet.<br />
Da proliferationsrelevante Staaten bei der Forschung, Entwicklung<br />
und Herstellung von ABC-Waffensystemen nur zum Teil autark<br />
sind, bleiben sie auf die Beschaffung wesentlicher Komponenten<br />
(Anlagen, Geräte oder Grundstoffe) sowie wissenschaftlicher Spezialkenntnisse<br />
aus Industrieländern angewiesen. Die europäischen<br />
Exportkontrollen stellen aus Sicht der proliferationsrelevanten Länder<br />
hohe Barrieren dar. Das Risiko, dass dem jeweiligen Exporteur<br />
die Ausfuhr bereits im Vorfeld untersagt oder die illegale Lieferung<br />
auf dem Transportweg erkannt und entsprechend gestoppt wird,<br />
Spionageabwehr<br />
181
182<br />
Spionageabwehr<br />
ist hoch. Folglich hat die sekundäre bzw. horizontale Proliferation<br />
an Bedeutung gewonnen. Proliferationsrelevante Länder beliefern<br />
sich immer häufiger untereinander mit entsprechenden Gütern<br />
oder richten ihr Beschaffungsinteresse an unverdächtige Schwellenländer<br />
89 mit deutlich niedrigeren Exportrestriktionen.<br />
Deutschland hat sich internationalen Abkommen, die der Verhinderung<br />
von Proliferation dienen, angeschlossen. Überdies bestehen<br />
Restriktionen des Außenhandels durch entsprechende Regelungen<br />
im Außenwirtschaftsgesetz, in der Außenwirtschaftsverordnung sowie<br />
im Kriegswaffenkontrollgesetz.<br />
In die Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden fällt es, die<br />
jeweils ansässigen Institutionen und Unternehmen, die durch ihre<br />
Forschungs-, Technologie- oder Produktangebote in das Blickfeld<br />
der um Poliferation bemühten Staaten geraten könnten, entsprechend<br />
zu sensibilisieren. Ziel dieser präventiven Vorgehensweise<br />
ist es, durch einen frühzeitigen Informationsaustausch proliferationsrelevante<br />
Beschaffungsbemühungen zu unterbinden und agierende<br />
Netzwerke aufklären zu können.<br />
3. Wirtschaftsspionage<br />
Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte,<br />
von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von<br />
Wirtschaftsunternehmen und Firmen zu verstehen. Sie ist von der<br />
Konkurrenzspionage, bei der es sich um die Ausforschung handelt,<br />
die ein Unternehmen gegen ein anderes – ohne nachrichtendienstliche<br />
Steuerung – betreibt, zu unterscheiden.<br />
Die internationale Akzeptanz eines Staates hängt mehr denn je<br />
auch von seiner Wirtschaftskraft ab. Um in dem wachsenden internationalen<br />
Wettbewerb bestehen oder aber führende Positionen<br />
einnehmen zu können, betreiben einige Staaten auch Wirtschaftsspionage.<br />
Aufklärungsziele und Methoden richten sich hierbei<br />
89 Fortgeschrittene Entwicklungsländer, die aufgrund wirtschaftlicher Eigendynamik beachtliche Industrialisierungsfortschritte<br />
erzielt und gegenüber den Industrienationen deutlich aufgeholt haben.
nach dem jeweiligen Entwicklungsstand der handelnden Staaten.<br />
Hochentwickelte Industrienationen sind folglich vorrangig an<br />
Markt- und Wettbewerbsstrategien vergleichbarer Konkurrenten<br />
interessiert, technologisch weniger entwickelte Staaten hingegen<br />
an Fertigungstechniken und technischem Know-how, um Forschungskosten<br />
minimieren und wirtschaftliche Rückstände aufholen<br />
zu können.<br />
Einige Auslandsaufklärungsdienste sind per Gesetz verpflichtet, die<br />
Wirtschaft ihres Landes unmittelbar durch entsprechende Informationsbeschaffung<br />
zu unterstützen. Diese erfolgt sowohl durch<br />
den Einsatz moderner Nachrichtentechnik und das Eindringen<br />
in Informationssysteme als auch durch den Einsatz menschlicher<br />
Quellen. Neben eingeschleusten Nachrichtendienstangehörigen<br />
können das auch für eine Zusammenarbeit geworbene Unternehmensangehörige<br />
sein. Austauschwissenschaftler und Praktikanten,<br />
die gegebenenfalls mit einem nachrichtendienstlichen Auftrag<br />
ausgestattet worden sind oder zumindest nach ihrer Rückkehr ins<br />
Heimatland vom dortigen Nachrichtendienst abgeschöpft werden<br />
könnten, kommen hierfür ebenfalls in Betracht.<br />
Die seit langem bekannten Gefahren und Techniken der elektronischen<br />
Ausspähung spielen zunehmend eine Rolle. Angriffe über<br />
das Internet sind relativ einfach realisierbar, mit guten Erfolgsaussichten<br />
und von geringem persönlichen Risiko für den Akteur. Sie<br />
werden weltweit immer umfangreicher festgestellt und dürften<br />
vielfach auch auf Nachrichtendienste zurückgehen. Die Angriffe,<br />
die sich vor allem gegen Industrienationen zu richten scheinen,<br />
betreffen neben der Wirtschaft auch Regierungsstellen, Universitäten<br />
und Forschungseinrichtungen. Auch in Deutschland wurden<br />
Angriffe dieser Art festgestellt. Versandt werden E-Mails mit korrumpierten<br />
Anhängen, die den Empfänger geschickt zur Öffnung<br />
derselben verleiten, oder Mails, die auf entsprechend funktionalisierte<br />
Einstellungen im Internet verweisen. Ebenso können Linkverweise<br />
zu – vom eigentlichen Betreiber unbemerkt – infizierten<br />
Websites führen. Besonders branchentypische Websites können<br />
hier missbraucht werden, um an die gewünschten Informationen<br />
zu gelangen. Da die entsprechenden Angriffe sowie der ihnen<br />
folgende Datenverlust oft unbemerkt bleiben dürften, sind Sicherungsmaßnahmen<br />
unumgänglich und in ihrer Bedeutung nicht<br />
hoch genug zu veranschlagen.<br />
Spionageabwehr<br />
183
184<br />
Spionageabwehr<br />
Ebenso sollten Expansionsbemühungen deutscher Unternehmen auf<br />
aussichtsreich erscheinenden internationalen Märkten (z. B. China)<br />
verstärkt Aspekte drohender Ausspähung und damit einhergehender<br />
Verluste berücksichtigen. Die Auslagerung kostenintensiver<br />
Produktionsbereiche ist nicht selten mit der Preisgabe modernster<br />
Technologien verbunden, die sodann von dortigen Unternehmen<br />
kopiert und für ertragreiche Billigproduktionen, die etablierte Marken<br />
durchaus stark schädigen können, genutzt werden. Sofern nicht<br />
bereits im Rahmen von Vertragsabschlüssen Fertigungsprozesse<br />
zwingend offengelegt werden müssen, wird unter Einsatz nachrichtendienstlicher<br />
Methoden versucht, in Besitz moderner Technologien,<br />
Wettbewerbs- und Vermarktungsstrategien zu gelangen. Insbesondere<br />
für mittelständische Unternehmen kann der Verlust des<br />
Firmen-Know-hows im Einzelfall existenzbedrohend sein.<br />
Die Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW)<br />
beziffert den jährlichen Schaden für deutsche Unternehmen auf<br />
50 Milliarden Euro. Die durch Wirtschaftsspionage insgesamt<br />
entstehenden ökonomischen und finanziellen Schäden für die<br />
heimische Volkswirtschaft bzw. einzelne Unternehmen gilt es zu<br />
minimieren. Dies erfordert eine enge Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden<br />
und gewerblicher Wirtschaft, wobei die Verfassungsschutzbehörden<br />
hinsichtlich der Sensibilisierung zur Thematik<br />
ihr Augenmerk vor allem auf Klein- und mittelständische<br />
Unternehmen richten. Zu diesem Zweck organisierte das TLfV gemeinsam<br />
mit der Industrie- und Handelskammer Erfurt und dem<br />
Thüringer Landeskriminalamt bereits im Jahr 2006 das Symposium<br />
„Die mittelständische Wirtschaft im Visier – Bedrohung durch Wirtschaftsspionage<br />
und Konkurrenzausspähung“. Dem Thema „Bedrohung<br />
der Wirtschaft im Lichte der Globalisierung“ galt in diesem<br />
Jahr ein Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz<br />
an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Referenten<br />
aus dem universitären und nachrichtendienstlichen Bereich sowie<br />
aus der Wirtschaft diskutierten, welchen Gefahren die Sicherheit<br />
der deutschen Wirtschaft durch die Globalisierung ausgesetzt ist.<br />
So steht neben weiteren Verfassungsschutzbehörden auch das<br />
Thüringer Landesamt im konkreten Fall zur Verfügung, um bei der<br />
Einrichtung von Sicherungsmaßnahmen, welche die Barrieren für<br />
mögliche Spionageangriffe erhöhen, zu beraten. Unternehmen,<br />
die sich bereits mit eventuellen Ausspähungsversuchen konfrontiert<br />
sehen, dient es als vertraulicher Ansprechpartner.
4. Ausblick<br />
Globalisierung und weltweite elektronische Vernetzung bergen<br />
neben nicht mehr wegzudenkenden Vorteilen gleichfalls enorme<br />
Risiken in sich. Für Nachrichtendienste eröffnen moderne IT- und<br />
Kommunikationssysteme vielfältige Möglichkeiten, in den Besitz<br />
sensibler Daten und Informationen zu gelangen. Die daraus erwachsende<br />
durchaus reale Gefährdung wird – nicht zuletzt auch<br />
durch die veränderten politischen Verhältnisse und die Annäherung<br />
vormals feindlich gegenüber stehender Staaten – oftmals unterschätzt.<br />
Das Bewusstsein, dass Spionage durch politische Annäherung<br />
nicht gänzlich wegbricht, sondern andere Schwerpunkte<br />
verfolgt, gilt es zu schärfen. Dies betrifft politische Institutionen<br />
und solche aus Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung gleichermaßen.<br />
Mit geeigneten Präventionsmaßnahmen gilt es, derartigen<br />
gegen deutsche Interessen gerichteten Spionageaktivitäten entgegenzuwirken.<br />
5. Frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen<br />
der Aufklärungs- und Abwehrdienste<br />
der ehemaligen DDR<br />
Konkrete Anhaltspunkte für die Existenz fortwirkender, aus der<br />
HVA 90 oder dem MfS 91 hervorgegangener Strukturen sind im Berichtszeitraum<br />
nicht angefallen.<br />
90 Hauptverwaltung Aufklärung.<br />
91 Ministerium für Staatssicherheit, kurz vor der endgültigen Auflösung zum 31.03.1990 in „Amt für Nationale<br />
Sicherheit“(AfNS) umbenannt.<br />
Spionageabwehr<br />
185
186<br />
Geheimschutz<br />
1. Allgemeines<br />
IX. Geheimschutz<br />
Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar.<br />
Er hat dafür Sorge zu tragen, dass Informationen und<br />
Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen<br />
oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder<br />
eines Bundeslandes gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme<br />
geschützt werden. Im Rahmen ihrer Organisationsgewalt haben<br />
Behörden Vorkehrungen zur Gewährleistung des Geheimschutzes<br />
zu treffen.<br />
Zu den Aufgaben des TLfV zählt gemäß § 2 Abs. 5 des Thüringer<br />
Verfassungsschutzgesetzes (ThürVSG) die Mitwirkung im Bereich<br />
des personellen und materiellen Geheimschutzes.<br />
2. Personeller Geheimschutz<br />
Unter dem Begriff „Geheimschutz“ werden sämtliche Vorkehrungen<br />
im weiteren Sinne verstanden, die dem Schutz von Geheimnissen<br />
dienen. Nicht jede Person, nicht jeder Amtsträger erfüllt die<br />
für den Umgang mit Geheimnissen erforderlichen Voraussetzungen.<br />
Folglich gilt es, Personen, die aufgrund bestimmter Verhaltensweisen<br />
für Verrat, Erpressung oder Spionage anfällig scheinen,<br />
von vornherein den Zugriff auf Geheimnisse zu verwehren. Diesem<br />
Ziel dient die Sicherheitsüberprüfung. Dabei wird festgestellt,<br />
ob der Überprüfte seiner Vergangenheit, seinem Charakter, seinen<br />
Gewohnheiten und seinem Umgang nach Anlass bietet, an seiner<br />
persönlichen Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln, ob er somit ein Sicherheitsrisiko<br />
darstellt. Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden<br />
im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit an.<br />
Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz<br />
(ThürSÜG) vom 17. März 2003, aufgeführt im<br />
Anhang dieses Berichts, geregelt.
Sicherheitsüberprüfungen werden für Personen, die eine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit gemäß § 1 Abs. 2 ThürSÜG ausüben sollen,<br />
durchgeführt. Betroffen sind in erster Linie Personen, die Zugang zu<br />
Verschlusssachen haben oder sich diesen verschaffen können.<br />
Als Verschlusssache werden alle im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen<br />
Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse<br />
– unabhängig von ihrer Darstellungsform – bezeichnet. Schriftstücke,<br />
Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische<br />
Datenträger, elektrische Signale, Geräte und technische<br />
Einrichtungen können ebenso wie das gesprochene Wort oder<br />
Zwischenmaterial (z. B. Entwürfe), das im Zusammenhang mit Verschlusssachen<br />
anfällt, eine solche Klassifizierung erfordern.<br />
Für eine Sicherheitsüberprüfung ist der Geheimschutzbeauftragte<br />
der jeweiligen Dienststelle bzw. der zuständigen obersten Landesbehörde<br />
verantwortlich. Das TLfV wirkt an der Sicherheitsüberprüfung<br />
gemäß § 2 Abs. 5 Nr. 1 ThürVSG i.V.m. § 3 Abs. 3 ThürSÜG<br />
mit.<br />
Die Sicherheitsüberprüfung wird je nach Geheimhaltungsgrad abgestuft.<br />
Gemäß §§ 8 ff. ThürSÜG wird sie als einfache (Ü 1), erweiterte<br />
(Ü 2) oder als erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen<br />
(Ü 3) durchgeführt. Sie bedarf der vorherigen<br />
Zustimmung sowohl des Betroffenen als auch der gegebenenfalls<br />
einzubeziehenden Person (Ehegatte oder Lebenspartner).<br />
Das TLfV wurde im Jahr 2007 in 326 Fällen als mitwirkende Behörde<br />
an Sicherheitsüberprüfungen beteiligt und hat sein Votum gegenüber<br />
dem Geheimschutzbeauftragten der einleitenden Dienststelle<br />
abgegeben. Im Einzelnen wurden folgende Überprüfungen<br />
durchgeführt:<br />
Jahr Sicherheitsüberprüfung<br />
Ü 1<br />
Sicherheitsüberprüfung<br />
Ü 2<br />
Sicherheitsüberprüfung<br />
Ü 3<br />
2007 155 146 25<br />
2006 55 78 10<br />
2005 116 77 35<br />
Geheimschutz<br />
187
188<br />
Geheimschutz<br />
3. Materieller Geheimschutz<br />
Der materielle Geheimschutz betrifft die Entwicklung, Planung und<br />
Durchführung technischer Maßnahmen, die dem Schutz geheimhaltungsbedürftigen<br />
Materials vor Entwendung oder Kenntnisnahme<br />
durch Unbefugte dienen. Zu technischen Sicherheitsmaßnahmen<br />
sind auch organisatorische Vorkehrungen zu rechnen, die den<br />
Geheimschutz verbessern.<br />
Als Rechtsgrundlagen dienen die „Verschlusssachenanweisung<br />
für den Freistaat Thüringen“ (VSA) 92 aus dem Jahr 1999 sowie sie<br />
ergänzende Richtlinien. Die VSA richtet sich an Landesbehörden<br />
und landesunmittelbare öffentlich-rechtliche Einrichtungen, die<br />
mit Verschlusssachen befasst sind und somit Vorkehrungen zu deren<br />
Schutz zu treffen haben. Darüber hinaus betrifft sie Personen,<br />
die Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder eine Tätigkeit ausüben,<br />
die ihnen den Zugang zu Verschlusssachen eröffnet und bei<br />
der sie bestimmte Schutzvorkehrungen zu beachten haben.<br />
Entsprechend der Schutzbedürftigkeit einer Verschlusssache nehmen<br />
die herausgebenden Stellen die erforderliche Einstufung in einen<br />
der in § 4 Abs. 2 ThürSÜG bestimmten Geheimhaltungsgrade 93<br />
vor. Aus der jeweiligen Einstufung ergeben sich die notwendigen<br />
personellen und materiellen Sicherheitsvorkehrungen. In Hinsicht<br />
auf den materiellen Geheimschutz enthält die VSA eine Reihe von<br />
Vorschriften, welche die Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung<br />
von Verschlusssachen, den Zugang zu Verschlusssachen,<br />
die Dienstpflichten zum Schutze von Verschlusssachen, die Aufbewahrung,<br />
Verwaltung und Mitnahme außerhalb des Dienstgebäudes<br />
sowie Maßnahmen bei Verletzung von Geheimschutzvorschriften<br />
betreffen.<br />
Das TLfV berät öffentliche Stellen u.a. über den Umgang mit<br />
Verschlusssachen und sichere Organisationsabläufe sowie über<br />
technische Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmsysteme oder Stahlschränke<br />
(sog. Verwahrgelasse).<br />
Auskünfte zur Geheimschutzbetreuung von Wirtschaftsunternehmen<br />
erteilt das:<br />
92 Thüringer Staatsanzeiger, S. 2716 ff.<br />
93 „VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“, „VS-VERTRAULICH“, „GEHEIM“, „STRENG GEHEIM“.
Thüringer Ministerium<br />
für Wirtschaft, Technologie und Arbeit (TMWTA)<br />
Der Geheimschutzbeauftragte für die Wirtschaft<br />
Postfach 10 05 52 Max-Reger-Straße 4–8<br />
99005 Erfurt 99096 Erfurt<br />
Telefon: (0361) 3797-150<br />
4. Sonstige Überprüfungen<br />
Neben seiner Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen wird das<br />
TLfV gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) an Zuverlässigkeitsüberprüfungen<br />
beteiligt. Infolge der Terroranschläge<br />
vom 11. September 2001 ist insbesondere auch die Sicherheit im<br />
internationalen Luftverkehr und in diesem Zusammenhang u. a.<br />
die entsprechende Zuverlässigkeitsüberprüfung in den Blickpunkt<br />
des öffentlichen Interesses gerückt. Seit dem Jahr 2005 werden<br />
diese Zuverlässigkeitsüberprüfungen auch für Freizeit-Piloten und<br />
Flugschüler durchgeführt. An das TLfV wurden im Berichtszeitraum<br />
1007 Anfragen im Rahmen der Luftverkehrs-Zuverlässigkeitsüberprüfungen<br />
gestellt.<br />
Im Jahr 2005 wurde das Sprengstoffgesetz (SprengG) novelliert.<br />
Seither finden auch sprengstoffrechtliche Zuverlässigkeitsüberprüfungen<br />
statt, in deren Rahmen eine Regelanfrage an das TLfV<br />
zu stellen ist. Im Jahr 2007 wurden in diesem Zusammenhang<br />
374 Anfragen an das TLfV gerichtet.<br />
Jahr Anzahl der Luftverkehrs-<br />
Zuverlässigkeitsüberprüfungen<br />
Anzahl der sprengstoffrechtlichenZuverlässigkeitsüberprüfungen<br />
2007 1007 374<br />
2006 1128 364<br />
2005 1076 5394 94 Das SprengG wurde zum 01.09.2005 novelliert. Die Anfragen wurden infolgedessen im Jahr 2005 erst<br />
ab September gestellt.<br />
Geheimschutz<br />
189
190<br />
ThürVSG<br />
Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG)<br />
Vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 527), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Thüringer<br />
Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen<br />
und zur Änderung verfassungsschutzrechtlicher Bestimmungen vom<br />
17. März 2003 (GVBl. S. 185).<br />
Erster Abschnitt<br />
Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes<br />
§ 1<br />
Organisation des Verfassungsschutzes<br />
(1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes<br />
und der Sicherheit des Bundes und der Länder sowie zum Schutz vor Organisierter<br />
Kriminalität wird ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es untersteht<br />
als obere Landesbehörde unmittelbar dem für den Verfassungsschutz zuständigen<br />
Ministerium. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf keiner polizeilichen Dienststelle<br />
angegliedert werden.<br />
(2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Thüringen nur im Einvernehmen<br />
mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden.<br />
§ 2<br />
Aufgaben<br />
Anhang<br />
(1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist es, den zuständigen Stellen<br />
zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von<br />
Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die<br />
Sicherheit des Bundes und der Länder sowie gegen Bestrebungen und Tätigkeiten<br />
der Organisierten Kriminalität zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet<br />
das Landesamt für Verfassungsschutz<br />
1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den<br />
Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder<br />
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane<br />
des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben;<br />
2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich<br />
des Grundgesetzes für eine fremde Macht;<br />
3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung<br />
von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange<br />
der Bundesrepublik Deutschland gefährden;
4. Bestrebungen und Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen<br />
den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes,<br />
Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen), insbesondere gegen<br />
das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes)<br />
gerichtet sind;<br />
5. Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich<br />
des Grundgesetzes;<br />
6. frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungs-<br />
und Abwehrdienste der ehemaligen DDR im Geltungsbereich dieses Gesetzes.<br />
Das Landesamt für Verfassungsschutz sammelt zu diesem Zweck Informationen,<br />
insbesondere sach- und personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen<br />
über solche Bestrebungen oder Tätigkeiten und wertet sie aus. Voraussetzung<br />
für Verarbeitung personenbezogener Daten ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.<br />
Zur Prüfung, ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, darf das Landesamt<br />
für Verfassungsschutz aus allgemein zugänglichen Quellen Informationen einschließlich<br />
personenbezogener Daten erheben. Die notwendige Koordinierung mit<br />
den anderen Sicherheitsbehörden und den Strafverfolgungsbehörden wird für den<br />
Bereich der Beobachtung der Organisierten Kriminalität in Richtlinien des für den<br />
Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums im Einvernehmen mit dem für Justiz<br />
zuständigen Ministerium geregelt.<br />
(2) Im Sinne dieses Gesetzes sind:<br />
1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte,<br />
ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen<br />
Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder<br />
eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen<br />
oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;<br />
2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte,<br />
ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen<br />
Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren<br />
Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;<br />
3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch<br />
bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen<br />
Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 3 genannten<br />
Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.<br />
Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen<br />
nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem<br />
oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im<br />
Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder<br />
aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut im Sinne des § 1 Abs. 1<br />
erheblich zu beschädigen.<br />
(3) Zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes<br />
zählen:<br />
ThürVSG<br />
191
192<br />
ThürVSG<br />
1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch<br />
besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung<br />
auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer,<br />
freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen;<br />
2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung<br />
der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht;<br />
3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition;<br />
4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihrer Verantwortlichkeit gegenüber der<br />
Volksvertretung;<br />
5. die Unabhängigkeit der Gerichte;<br />
6. der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und<br />
7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.<br />
(4) Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte<br />
planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher<br />
Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte,<br />
die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig<br />
1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen oder<br />
2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder<br />
3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft<br />
tätig werden.<br />
(5) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt auf Ersuchen der öffentlichen Stellen<br />
mit:<br />
1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach den Bestimmungen des Thüringer<br />
Sicherheitsüberprüfungsgesetzes;<br />
2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse<br />
geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen<br />
gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte.<br />
(6) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt, entsprechend den Rechtsvorschriften,<br />
auf Anfrage von Behörden, denen die Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen<br />
Dienst obliegt, Auskunft aus vorhandenen Unterlagen über Erkenntnisse<br />
nach Absatz 1. Die Auskunft ist auf solche gerichtsverwertbare Tatsachen zu beschränken,<br />
die Zweifel daran begründen können, dass der Bewerber jederzeit für<br />
die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird.
§ 3<br />
Bedienstete<br />
(1) Die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz haben sich einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren<br />
zu unterziehen, welches insbesondere auf Tätigkeit<br />
für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für Nationale<br />
Sicherheit der DDR überprüft und für das der Bundesbeauftragte für die Unterlagen<br />
des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik<br />
einbezogen wird.<br />
(2) Ehemalige hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS/AfNS, Personen<br />
mit Offiziersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR und ehemalige<br />
hauptamtliche Mitarbeiter der SED dürfen mit Aufgaben des Verfassungsschutzes<br />
grundsätzlich nicht befasst werden.<br />
§ 4<br />
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />
(1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für<br />
Verfassungsschutz diejenige zu treffen, die den Einzelnen voraussichtlich am wenigsten<br />
beeinträchtigt.<br />
(2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten<br />
Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.<br />
(3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich<br />
zeigt, dass er nicht erreicht werden kann.<br />
§ 5<br />
Allgemeine Befugnisse<br />
(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben<br />
erforderlichen Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, auch ohne<br />
Kenntnis der betroffenen Gruppierung oder Person nach pflichtgemäßem Ermessen<br />
erheben und in Akten und Dateien verarbeiten und nutzen, namentlich speichern,<br />
übermitteln, verändern, löschen und abgleichen, so weit nicht besondere<br />
Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Ein Ersuchen des Landesamts für<br />
Verfassungsschutz um Übermittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen<br />
personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft erforderlich<br />
sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang<br />
beeinträchtigt werden.<br />
(2) aufgehoben<br />
(3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz<br />
nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um<br />
Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist.<br />
ThürVSG<br />
193
194<br />
ThürVSG<br />
(4) Auskünfte nach § 8 Abs. 5 bis 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerf-<br />
SchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954 -2970-) in der jeweils geltenden<br />
Fassung dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Antragsberechtigt ist der Präsident<br />
des Landesamts für Verfassungsschutz oder sein Vertreter. Der Antrag ist schriftlich<br />
zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet der Minister des für<br />
den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums, im Falle seiner Verhinderung sein<br />
Vertreter. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die<br />
G 10-Kommission (§ 1 Abs. 2 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juli 2001 – BGBl. I<br />
S. 1254 – in der jeweils geltenden Fassung) über die beschiedenen Anträge vor deren<br />
Vollzug. Bei Gefahr im Verzuge kann das für den Verfassungsschutz zuständige<br />
Ministerium den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor Unterrichtung der Kommission<br />
anordnen. Die Unterrichtung ist unverzüglich nachzuholen. Die Kommission<br />
prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und<br />
Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. Entscheidungen, die die Kommission<br />
für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das für den Verfassungsschutz<br />
zuständige Ministerium unverzüglich aufzuheben. Die Kontrollbefugnis erstreckt<br />
sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach § 8 Abs. 5 bis<br />
8 BVerfSchG erlangten personenbezogenen Daten.<br />
(5) Für die Verarbeitung der nach § 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG erhobenen Daten ist §<br />
4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden.<br />
(6) Für die Mitteilung an den Betroffenen gilt § 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes<br />
entsprechend.<br />
(7) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische<br />
Kontrollkommission viermal jährlich über die Durchführung der Maßnahmen<br />
nach § 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG.<br />
(8) Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes ist nach Maßgabe des § 8<br />
Abs. 10 Satz 1 Halbsatz 2 BVerfSchG jährlich durch das für den Verfassungsschutz<br />
zuständige Ministerium über die nach § 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG durchgeführten<br />
Maßnahmen zu unterrichten.<br />
§ 6<br />
Nachrichtendienstliche Mittel<br />
(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln,<br />
insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observation,<br />
Bild- und Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und<br />
Tarnkennzeichen, Informationen verdeckt erheben.<br />
(2) Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer von dem für den Verfassungsschutz<br />
zuständigen Ministerium zu erlassenen Dienstvorschrift zu benennen, die<br />
auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt.<br />
Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission zu übersenden.<br />
(3) Die Behörden des Landes sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz<br />
technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten.
§ 7<br />
Erhebung von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln<br />
(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene<br />
Daten, mit nachrichtendienstlichen Mitteln gemäß § 6 Abs. 1 erheben,<br />
wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass<br />
1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 2 Abs.<br />
1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge<br />
gewonnen werden können oder<br />
2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände<br />
und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen<br />
sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist.<br />
Die Erhebung ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere,<br />
den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung<br />
ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein<br />
zugänglichen Quellen gewonnen werden kann. § 4 findet im Übrigen Anwendung.<br />
(2) Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel zur Informationsgewinnung<br />
ist im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes nur zulässig, wenn<br />
1. die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis<br />
nach § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes vom 26.<br />
Juni 2001 (BGBl. I S. 1254) in der jeweils geltenden Fassung gegeben sind oder<br />
2. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, dass jemand Bestrebungen<br />
nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 3 oder 4 durch Planung oder Begehung von<br />
Straftaten nach den §§ 129, 130 oder 131 des Strafgesetzbuchs (StGB) verfolgt<br />
oder<br />
3. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand Bestrebungen<br />
oder Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 durch die Planung oder Begehung<br />
von Straftaten nach § 100 a der Strafprozeßordnung, den §§ 261, 263 bis<br />
265, 265 b, 266, 267 bis 273, 331 bis 334 StGB oder § 92 Abs. 2 des Ausländergesetzes<br />
vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354, 1356) in der jeweils geltenden<br />
Fassung verfolgt<br />
und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich<br />
erschwert wäre. Die Maßnahme darf sich nur gegen den Verdächtigen oder gegen<br />
Personen richten, von denen aufgrund von Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für<br />
den Verdächtigen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen<br />
oder weitergeben oder dass der Verdächtige sich in ihrer Wohnung aufhält.<br />
(3) Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 2<br />
Satz 1 trifft der Richter. Bei Gefahr im Verzug kann der Präsident des Landesamts<br />
für Verfassungsschutz oder sein Stellvertreter einen Einsatz anordnen; eine richterliche<br />
Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnung ist auf längstens<br />
drei Monate zu befristen; Verlängerungen um jeweils nicht mehr als sechs weitere<br />
ThürVSG<br />
195
196<br />
ThürVSG<br />
Wochen sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen.<br />
(4) Die Anordnung wird unter der Aufsicht eines Beschäftigten des Landesamts für<br />
Verfassungsschutz vollzogen, der die Befähigung zum Richteramt hat. Liegen die<br />
Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer<br />
Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme<br />
unverzüglich zu beenden.<br />
(5) Erkenntnisse und Unterlagen, die durch Maßnahmen nach Absatz 2 Satz 1 gewonnen<br />
wurden, dürfen zur Verfolgung und Erforschung der dort genannten Bestrebungen<br />
oder Tätigkeiten sowie nach Maßgabe des § 4 Abs. 4 bis 6 des Artikel<br />
10-Gesetzes verwendet werden. Für die Speicherung und Löschung der durch Maßnahmen<br />
nach den Absätzen 2 und 6 erlangten personenbezogenen Daten sowie für<br />
die Entscheidung über die nachträgliche Information der von Maßnahmen nach Absatz<br />
2 Betroffenen sowie die Kennzeichnung der Daten gelten § 4 Abs. 1 bis 3 sowie<br />
§ 12 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. Bei Erhebungen nach Absatz 1, die in<br />
ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses<br />
gleichkommen, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht<br />
öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören,<br />
ist der Eingriff nach seiner Beendigung dem Betroffenen mitzuteilen, sobald<br />
eine Gefährdung des Zwecks des Eingriffs ausgeschlossen werden kann; § 4 Abs. 1<br />
und 3 und § 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes gelten entsprechend.<br />
(6) Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Artikels<br />
13 des Grundgesetzes ist auch dann zulässig, wenn es zum Schutz der dort für<br />
den Verfassungsschutz tätigen Personen erforderlich erscheint und vom Präsidenten<br />
des Landesamts für Verfassungsschutz oder eines von ihm bestellten Beauftragten<br />
angeordnet ist. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Kenntnisse zum<br />
Zweck der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor<br />
die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug<br />
ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Absatz 3 Satz 2 Halbsatz<br />
1 gilt entsprechend.<br />
(7) Zuständiges Gericht für die Entscheidung nach den Absätzen 2 und 6 ist das<br />
Amtsgericht am Sitz des Landesamts für Verfassungsschutz. Für das Verfahren gelten<br />
die Bestimmungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit<br />
in der Fassung vom 20. Mai 1898 (RGBl. S. 369, 771) in der jeweils<br />
geltenden Fassung entsprechend.<br />
(8) Die Landesregierung unterrichtet den Landtag jährlich über die nach Absatz<br />
2 und, soweit sie richterlich überprüfungsbedürftig sind, über die nach Absatz 6<br />
angeordneten Maßnahmen. Die Parlamentarische Kontrollkommission übt auf der<br />
Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Bei Erhebungen im<br />
Sinne des Absatzes 5 Satz 3 ist die Parlamentarische Kontrollkommission unverzüglich<br />
zu unterrichten.<br />
(9) Die Informationserhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ist in den Fällen<br />
des § 2 Abs. 5 unzulässig.
Zweiter Abschnitt<br />
Datenschutzrechtliche Bestimmungen<br />
§ 8<br />
Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten<br />
(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene<br />
Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen. Die Speicherung<br />
in Dateien zu Zwecken einer personenbezogenen Auswertung ist nur zulässig,<br />
wenn<br />
1. tatsächliche Anhaltspunkte für die Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 2 Abs.<br />
1 vorliegen,<br />
2. dies zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach<br />
§ 2 Abs. 1 erforderlich ist,<br />
3. Aufgaben nach § 2 Abs. 5 zu erfüllen sind oder<br />
4. eine Mitwirkung bei Überprüfungen der Zuverlässigkeit nach § 29 d des Luftverkehrsgesetzes<br />
oder § 12 b des Atomgesetzes erfolgt,<br />
soweit nicht besondere Bestimmungen gelten. Satz 2 gilt nicht für Dateien aus allgemein<br />
zugänglichen Quellen, die ohne Veränderung des Dateiinhalts ausschließlich<br />
für Abfragen genutzt werden.<br />
(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Daten über Minderjährige, die das<br />
14. Lebensjahr nicht vollendet haben, in zu ihrer Person geführten Akten (Personenakten)<br />
nur speichern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige<br />
eine der im Artikel 10-Gesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen<br />
hat. In Dateien im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 ist eine Speicherung von Daten<br />
Minderjähriger, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unzulässig.<br />
(3) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für<br />
die Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderliche Maß<br />
zu beschränken.<br />
§ 9<br />
Berichtigung und Löschung personenbezogener Daten<br />
(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien im Sinne des § 8 Abs. 1<br />
Satz 2 gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig<br />
sind; in Personenakten ist dies zu vermerken.<br />
(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat Daten im Sinne des Absatzes 1 zu<br />
löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ist oder ihre Kenntnis für die<br />
Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht mehr erforderlich ist. Personenakten<br />
sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. Die Löschung oder Vernichtung<br />
unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch schutzwürdige<br />
Belange des Betroffenen beeinträchtigt würden.<br />
ThürVSG<br />
197
198<br />
ThürVSG<br />
(3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und<br />
nach festgelegten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob Daten im Sinne des Absatzes<br />
1 zu berichtigen oder zu löschen sind. Daten im Sinne des Absatzes 1 über<br />
Bestrebungen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen<br />
nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 sind spätestens fünfzehn Jahre nach dem<br />
Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn,<br />
der Behördenleiter oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere<br />
Entscheidung. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 gespeicherte personenbezogene Daten sind<br />
spätestens sechs Jahre nach ihrer letzten Speicherung zu löschen. Soweit Daten<br />
automatisiert verarbeitet oder Akten automatisiert erschlossen werden, ist auf den<br />
Ablauf der Fristen nach den Sätzen 1 bis 3 hinzuweisen.<br />
(4) Daten im Sinne des Absatzes 1 über Personen vor Vollendung des 16. Lebensjahres<br />
sind nach zwei Jahren zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im<br />
Sinne des § 2 Abs. 1 angefallen sind. Daten im Sinne des Absatzes 1 über Personen<br />
nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei<br />
Jahren auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu<br />
löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse im<br />
Sinne des § 2 Abs. 1 angefallen sind.<br />
(5) Personenbezogene Daten, die zu löschen sind, dürfen nicht zum Nachteil des<br />
Betroffenen verarbeitet werden.<br />
§ 10<br />
Errichtungsanordnung<br />
(1) Für jede Datei im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2, in der personenbezogene Daten<br />
automatisiert verarbeitet werden, ist in einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung<br />
des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums bedarf, festzulegen:<br />
1. die Bezeichnung des Verfahrens,<br />
2. der Zweck der Datei,<br />
3. die Voraussetzungen der Verarbeitung und Nutzung (Rechtsgrundlagen, betroffener<br />
Personenkreis, Art der Daten),<br />
4. die Anlieferung oder Eingabe,<br />
5. verarbeitungsberechtigte Personen oder Personengruppen,<br />
6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer und<br />
7. die Protokollierung.<br />
(2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Errichtungsanordnung<br />
anzuhören. Wesentliche Änderungen sind ihm nach Erlass mitzuteilen.<br />
(3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit<br />
der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen.
§ 11<br />
Auskunft an den Betroffenen<br />
(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über die zu seiner<br />
Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, so weit er ein<br />
besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Über Speicherungen in anderen<br />
Unterlagen als Dateien im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 und zum Betroffenen geführten<br />
Personenakten wird Auskunft nur erteilt, soweit der Betroffene Angaben macht,<br />
die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft<br />
erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem vom Betroffenen geltend gemachten<br />
Informationsinteresse steht.<br />
(2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, so weit:<br />
1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen<br />
ist;<br />
2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein<br />
können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des<br />
Landesamt für Verfassungsschutz zu befürchten ist;<br />
3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes<br />
oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder<br />
4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder<br />
ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen<br />
eines Dritten, geheim gehalten werden müssen.<br />
Die Entscheidung trifft der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ein<br />
von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter.<br />
(3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und<br />
die Empfänger von Übermittlungen.<br />
(4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch<br />
der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Wird die Auskunftserteilung<br />
abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der<br />
Begründung und darauf hinzuweisen, dass er sich an den Landesbeauftragten für<br />
den Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist<br />
auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, so weit nicht das für den Verfassungsschutz<br />
zuständige Ministerium im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes<br />
oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Landesbeauftragten für<br />
den Datenschutz an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand<br />
des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer<br />
weitergehenden Auskunft zustimmt.<br />
ThürVSG<br />
199
200<br />
ThürVSG<br />
Dritter Abschnitt<br />
Übermittlungsvorschriften<br />
§ 12<br />
Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen<br />
(1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Register, Gebietskörperschaften und<br />
andere der staatlichen Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen<br />
Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen des Landes haben von sich aus dem<br />
Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen<br />
Informationen zu übermitteln, so weit tatsächliche Anhaltspunkte dafür<br />
bestehen, dass die Übermittlung der Informationen, insbesondere über Tatbestände,<br />
die in § 100 a Strafprozessordnung und in § 3 des Artikel 10-Gesetzes aufgeführt<br />
sind, für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz nach<br />
§ 2 Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73<br />
Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist.<br />
(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich<br />
darauf zu überprüfen, ob sie für seine Aufgabenerfüllung erforderlich<br />
sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten.<br />
(3) Gesetzliche Übermittlungsverbote bleiben unberührt.<br />
§ 13<br />
Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen<br />
(1) Die in § 12 Abs. 1 genannten öffentlichen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz<br />
auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt<br />
gewordenen Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen,<br />
dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben nach § 2 Abs. 1 oder 5 oder<br />
entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder<br />
c des Grundgesetzes erforderlich ist. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen.<br />
(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akten und amtlich geführte Dateien<br />
und Register anderer öffentlicher Stellen unter den Voraussetzungen des Absatzes 1<br />
einsehen, wenn die Übermittlung von Informationen aus den Akten, Dateien oder<br />
Registern im Wege der Mitteilung durch die ersuchte Behörde den Zweck der Maßnahme<br />
gefährden oder das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unverhältnismäßig<br />
beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme hat das Landesamt für Verfassungsschutz<br />
einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die<br />
Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren und am<br />
Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten.<br />
(3) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann von den Behörden des Landes und<br />
den sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des<br />
öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Informationen verlangen, die diesen<br />
Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben<br />
des Verfassungsschutzes erforderlich sind.<br />
(4) § 12 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.
§ 14<br />
Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz<br />
(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, so weit gesetzlich nichts anderes<br />
bestimmt ist, an andere Behörden und öffentliche Stellen personenbezogene Daten<br />
zur Erfüllung seiner Aufgaben nach § 2 Abs. 1, 5 und 6 übermitteln. Zu anderen<br />
Zwecken darf es, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene<br />
Daten nur übermitteln an:<br />
1. Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte<br />
dafür bestehen, dass die Übermittlung erforderlich ist;<br />
a) zur Verhütung oder Verfolgung der in §§ 74 a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes<br />
genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten, bei denen aufgrund<br />
ihrer Zielsetzung, des Motivs des Tatverdächtigen oder dessen Verbindung<br />
zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen,<br />
dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes<br />
genannten Schutzgüter gerichtet sind;<br />
b) zur Verfolgung der in § 100 a Strafprozessordnung genannten Straftaten oder<br />
sonstiger Straftaten im Rahmen der organisierten Kriminalität;<br />
2. Polizeibehörden, so weit sie gefahrenabwehrend tätig sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte<br />
dafür bestehen, dass dies zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist<br />
und die Übermittlung der Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr<br />
oder zur vorbeugenden Bekämpfung der in Nummer 2 genannten Straftaten<br />
sowie von Verbrechen, für deren Vorbereitung konkrete Hinweise vorliegen, dient;<br />
3. andere Behörden und öffentliche Stellen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür<br />
bestehen, dass die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich<br />
ist und der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt.<br />
(2) Die Empfängerbehörde hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf<br />
zu überprüfen, ob sie für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Sie darf die personenbezogenen<br />
Daten, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem<br />
Zweck nutzen, zu dem sie ihr übermittelt wurden.<br />
(3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an öffentliche<br />
Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sowie an über- oder<br />
zwischenstaatliche öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner<br />
Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich<br />
ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik<br />
Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen<br />
Person entgegenstehen. Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf<br />
hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden darf,<br />
zu dem sie ihm übermittelt wurden.<br />
(4) Personenbezogene Daten dürfen an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen<br />
Bereiches nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz der<br />
freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit<br />
ThürVSG<br />
201
202<br />
ThürVSG<br />
des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und das für den Verfassungsschutz<br />
zuständige Ministerium im Einzelfall die Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt für<br />
Verfassungsschutz führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem<br />
der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen.<br />
Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, vor unberechtigtem Zugriff zu sichern<br />
und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu<br />
vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur<br />
für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist<br />
auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt<br />
für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung<br />
der Daten zu bitten.<br />
(5) Absatz 4 findet keine Anwendung bei Datenübermittlungen nach § 5 Abs. 1<br />
Satz 2.<br />
(6) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Übermittlung personenbezogener<br />
Daten durch Abruf im automatisierten Verfahren unzulässig.<br />
§ 15<br />
Übermittlungsverbote<br />
Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Teils hat zu unterbleiben, wenn<br />
1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art<br />
der personenbezogenen Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen<br />
der betroffenen Personen des Allgemeininteresse an der Übermittlung<br />
überwiegen,<br />
2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern.<br />
§ 16<br />
Unterrichtung der Öffentlichkeit<br />
(1) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Öffentlichkeit<br />
einmal im Jahr über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1. Dabei<br />
dürfen der Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn<br />
das Interesse der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzwürdige Interesse<br />
des Betroffenen überwiegt.<br />
(2) Absatz 1 Satz 2 gilt auch für die Unterrichtung der Öffentlichkeit durch das<br />
Landesamt für Verfassungsschutz.<br />
§ 17<br />
Nachberichtspflicht<br />
Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig<br />
oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn<br />
dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist.
Die Unterrichtung kann unterbleiben, wenn sie einen erheblichen Aufwand erfordern<br />
würde und nachteilige Folgen für den Betroffenen nicht zu befürchten sind.<br />
Vierter Abschnitt<br />
Parlamentarische Kontrolle<br />
§ 18<br />
Parlamentarische Kontrollkommission<br />
(1) Die Landesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamtes für<br />
Verfassungsschutz der parlamentarischen Kontrolle. Sie wird von der Parlamentarischen<br />
Kontrollkommission ausgeübt. Die Rechte des Landtags und seiner Ausschüsse<br />
und der Kommission aufgrund des Landesgesetzes zur Ausführung des Gesetzes<br />
zu Artikel 10 Grundgesetz vom 29. Oktober 1991 bleiben unberührt.<br />
(2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu<br />
Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner<br />
Mitglieder (nach d ́Hondt) gewählt werden. Die Kontrollkommission wählt einen<br />
Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung.<br />
(3) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die<br />
Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen<br />
im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt<br />
geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. Die Geheimhaltung<br />
gilt nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn eine Mehrheit von<br />
zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission<br />
ihre vorherige Zustimmung erteilt; die Veröffentlichung und Bewertung nimmt<br />
Tatsachen und Vorgänge nicht vom Geheimhaltungsgebot aus.<br />
(4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus oder wird ein<br />
Mitglied zum Mitglied der Landesregierung ernannt, so verliert es seine Mitgliedschaft<br />
in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich<br />
ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der<br />
Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet.<br />
(5) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das Ende<br />
der Wahlperiode des Landtags so lange aus, bis der nachfolgende Landtag eine<br />
neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat.<br />
§ 19<br />
Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission<br />
(1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission<br />
mindestens viermal im Jahr umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes<br />
für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Sie<br />
berichtet zu sonstigen Vorgängen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes für<br />
Verfassungsschutz, sofern die Parlamentarische Kontrollkommission dies verlangt.<br />
Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen<br />
Kontrollkommission verlangen.<br />
ThürVSG<br />
203
204<br />
ThürVSG<br />
(2) Die Landesregierung hat der Parlamentarischen Kontrollkommission im Rahmen<br />
der Unterrichtung nach Absatz 1 auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien des<br />
Landesamts für Verfassungsschutz zu geben, die Anhörung von Mitarbeitern des<br />
Landesamts zu gestatten und Besuche beim Landesamt zu ermöglichen.<br />
(3) Die Verpflichtung der Landesregierung nach Absatz 1 erstreckt sich nur auf Informationen<br />
und Gegenstände, die der Verfügungsberechtigung des Landesamts für<br />
Verfassungsschutz unterliegen.<br />
(4) Die Landesregierung kann die Unterrichtung nach den Absätzen 1 und 2 nur<br />
verweigern, wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs oder aus<br />
Gründen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten Dritter notwendig ist oder wenn<br />
der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung betroffen ist. Lehnt die Landesregierung<br />
eine Unterrichtung ab, so hat das für den Verfassungsschutz zuständige<br />
Ministerium dies der Parlamentarischen Kontrollkommission auf deren Wunsch zu<br />
begründen.<br />
(5) An den Landtag gerichtete Eingaben von Bürgern über ein sie betreffendes Verhalten<br />
des Landesamts für Verfassungsschutz können der Parlamentarischen Kontrollkommission<br />
zur Kenntnis gegeben werden.<br />
(6) Die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten<br />
den Landtag mindestens alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit.<br />
Fünfter Abschnitt<br />
Schlussbestimmungen<br />
§ 20<br />
Haushaltsvorlagen<br />
(1) Der Haushalts- und Finanzausschuss berät Haushaltsvorlagen zum Verfassungsschutz<br />
in vertraulicher Sitzung. Die Mitglieder des Haushalts- und Finanzausschusses<br />
sind zur Geheimhaltung aller Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer<br />
Tätigkeit bekannt geworden sind.<br />
(2) Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission können an diesen Sitzungen<br />
des Haushalts- und Finanzausschusses mit beratender Stimme teilnehmen.<br />
§ 20 a<br />
Einschränkung von Grundrechten<br />
Aufgrund dieses Gesetzes können die Rechte auf Schutz der Privatsphäre (Artikel<br />
6 der Verfassung des Freistaats Thüringen) und des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses<br />
(Artikel 10 des Grundgesetzes und Artikel 7 der Verfassung des Freistaats<br />
Thüringen), auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes und<br />
Artikel 8 der Verfassung des Freistaats Thüringen), auf Versammlungsfreiheit (Artikel<br />
8 des Grundgesetzes und Artikel 10 der Verfassung des Freistaats Thüringen) und<br />
auf Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 des Grundgesetzes und Artikel 13 der Verfassung<br />
des Freistaats Thüringen) eingeschränkt werden.
§ 20 b<br />
Geltung des Thüringer Datenschutzgesetzes<br />
Bei der Erfüllung der Aufgaben nach § 2 durch das Landesamt für Verfassungsschutz<br />
finden § 3 Abs. 2 und 6, § 7 sowie die §§ 13 bis 25 des Thüringer Datenschutzgesetzes<br />
in der Fassung vom 10. Oktober 2001 (GVBl. S. 276) in der jeweils geltenden<br />
Fassung keine Anwendung.<br />
§ 21<br />
Gleichstellungsbestimmung<br />
Status- und Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in männlicher<br />
und weiblicher Form.<br />
§ 22<br />
Inkrafttreten<br />
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.<br />
ThürVSG<br />
205
206<br />
ThürSÜG<br />
Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG)<br />
Vom 17. März 2003 (GVBl. S. 185)<br />
Erster Abschnitt<br />
Allgemeine Bestimmungen<br />
§ 1<br />
Zweck und Anwendungsbereich des Gesetzes<br />
(1) Dieses Gesetz regelt die Voraussetzungen und das Verfahren zur Überprüfung<br />
einer Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll<br />
(Sicherheitsüberprüfung) oder bereits betraut worden ist (Wiederholungsüberprüfung).<br />
Zweck der Überprüfung ist es, den Zugang zu einer sicherheitsempfindlichen<br />
Tätigkeit auf Personen zu beschränken, bei denen kein Sicherheitsrisiko vorliegt.<br />
(2) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt aus, wer<br />
1. Zugang zu Verschlusssachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die STRENG<br />
GEHEIM, GEHEIM oder VS-VERTRAULICH eingestuft sind,<br />
2. Zugang zu mit Nummer 1 vergleichbaren Verschlusssachen ausländischer oder<br />
über- oder zwischenstaatlicher Stellen hat oder ihn sich verschaffen kann, sofern<br />
eine Verpflichtung besteht, hierfür nur sicherheitsüberprüfte Personen einzusetzen,<br />
3. in einer Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle des Landes oder in einem<br />
Teil von ihr tätig ist oder werden soll, die aufgrund des Umfangs und der Bedeutung<br />
dort anfallender Verschlusssachen von der jeweils zuständigen obersten<br />
Landesbehörde im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen<br />
Ministerium zum Sicherheitsbereich erklärt worden ist,<br />
4. in einer Behörde oder einem sonstigen durch Rechtsverordnung nach § 33 bestimmten<br />
sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereich der Informations- und<br />
Kommunikationstechnik Zugangsmöglichkeiten hat, sich verschaffen kann oder<br />
an einer Stelle tätig ist oder werden soll, von der aus in die ordnungsgemäße<br />
Funktion oder die Integrität eines Systems der Informations- und Kommunikationstechnik<br />
eingegriffen werden kann und dadurch die Sicherheit des Landes<br />
gefährdet oder seinen Interessen schwerer Schaden zugefügt werden kann,<br />
5. an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer durch Rechtsverordnung nach<br />
§ 33 bestimmten lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung beschäftigt ist<br />
oder werden soll.<br />
(3) Lebenswichtig sind solche Einrichtungen,<br />
1. deren Ausfall aufgrund ihrer kurzfristig nicht ersetzbaren Produktion oder<br />
Dienstleistung die Versorgung eines erheblichen Teils der Bevölkerung ernsthaft<br />
nachhaltig gefährden kann,<br />
2. die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind oder<br />
3. deren Zerstörung sich aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr<br />
in besonderem Maße gesundheitsgefährdend auswirken kann.<br />
Verteidigungswichtig sind Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der<br />
Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit dienen, weil sie für das Funktionieren, die<br />
Ausrüstung, Führung und Unterstützung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte<br />
sowie für die zivile Verteidigung von wesentlicher Bedeutung sind. Eine sicher-
heitsempfindliche Stelle ist die kleinste selbständig handelnde Organisationseinheit<br />
innerhalb einer lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung, die vor unberechtigtem<br />
Zugang geschützt ist und von der im Falle der Beeinträchtigung eine erhebliche<br />
Gefahr für die in den Sätzen 1 und 2 genannten Schutzgüter ausgeht.<br />
(4) Im Einvernehmen mit der mitwirkenden Behörde (§ 3 Abs. 3) bestimmt die jeweils<br />
zuständige Aufsichtsbehörde oder die zuständige oberste Landesbehörde die<br />
sicherheitsempfindlichen Stellen bei den durch eine Rechtsverordnung aufgrund<br />
des § 33 benannten lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen.<br />
§ 2<br />
Betroffener Personenkreis<br />
(1) Eine Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll<br />
(betroffene Person), ist vorher einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Eine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit darf erst nach Vollendung des 16. Lebensjahrs übertragen<br />
werden. Von einer Sicherheitsüberprüfung nach diesem Gesetz kann abgesehen werden,<br />
wenn für die betroffene Person vor weniger als fünf Jahren eine gleich- oder höherwertige<br />
Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wurde oder sie in eine Sicherheitsüberprüfung<br />
mit entsprechenden Maßnahmen einbezogen und kein Sicherheitsrisiko festgestellt<br />
worden ist und die Unterlagen der Sicherheitsüberprüfung noch verfügbar sind.<br />
(2) Der volljährige Ehegatte oder der volljährige Partner, mit dem die betroffene Person<br />
in eheähnlicher oder gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft oder in eingetragener<br />
Lebenspartnerschaft lebt (Lebenspartner), ist in die Sicherheitsüberprüfung nach<br />
den §§ 9 und 10 einzubeziehen. Über Ausnahmen entscheidet die zuständige Stelle<br />
(§ 3). Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. Geht die betroffene Person die Ehe oder die<br />
Gemeinschaft mit dem Lebenspartner während oder erst nach der erfolgten Sicherheitsüberprüfung<br />
ein, so hat diese die zuständige Stelle zu unterrichten, um sie in<br />
die Lage zu versetzen, die Einbeziehung des Ehegatten oder des Lebenspartners in<br />
die Sicherheitsüberprüfung nachzuholen. Das Gleiche gilt bei später eintretender<br />
Volljährigkeit des Ehegatten oder Volljährigkeit des Lebenspartners.<br />
(3) Dieses Gesetz gilt nicht für:<br />
1. Mitglieder des Landtags, der Landesregierung und des Rechnungshofs,<br />
2. Richter, soweit sie Aufgaben der Rechtsprechung wahrnehmen,<br />
3. Rechtsanwälte, soweit ihnen Akteneinsicht nach § 147 der Strafprozessordnung<br />
(StPO) zu gewähren ist,<br />
4. ausländische Staatsangehörige, die in der Bundesrepublik Deutschland im Interesse<br />
über- oder zwischenstaatlicher Einrichtungen und Stellen eine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 ausüben sollen.<br />
§ 3<br />
Zuständigkeit<br />
(1) Zuständige Stelle für die Sicherheitsüberprüfung ist<br />
1. die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle, die eine Person mit einer sicherheitsempfindlichen<br />
Tätigkeit betrauen will oder in deren Bereich sich die sicherheitsempfindliche<br />
Stelle des öffentlichen Bereichs der Informations- und Kom-<br />
ThürSÜG<br />
207
208<br />
ThürSÜG<br />
munikationstechnik befindet, es sei denn, die jeweils zuständige Aufsichts- oder<br />
oberste Landesbehörde übernimmt die Aufgaben der zuständigen Stelle,<br />
2. bei den Leitern von Landesbehörden, Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie<br />
von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts die jeweils<br />
zuständige Aufsichtsbehörde,<br />
3. bei Landräten und Bürgermeistern die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde,<br />
4. bei politischen Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes sowie deren Stiftungen<br />
die Partei selbst.<br />
(2) Die Aufgaben der zuständigen Stelle nach diesem Gesetz nimmt der Behördenleiter<br />
wahr. Er kann sie auf eine von der Personalverwaltung getrennte Organisationseinheit<br />
übertragen.<br />
(3) Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist das Landesamt für Verfassungsschutz,<br />
soweit nicht im Einzelfall das für den Verfassungsschutz zuständige<br />
Ministerium die Mitwirkung einer anderen Verfassungsschutzbehörde bestimmt.<br />
(4) Das Landesamt für Verfassungsschutz führt Sicherheitsüberprüfungen für Bewerber<br />
sowie Mitarbeiter des eigenen Dienstes nach den Bestimmungen dieses Gesetzes<br />
selbst durch, sofern nicht das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium<br />
die Aufgaben der zuständigen Stelle wahrnimmt.<br />
§ 4<br />
Verschlusssachen<br />
(1) Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen,<br />
Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform. Sie<br />
werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf<br />
deren Veranlassung eingestuft.<br />
(2) Eine Verschlusssache ist<br />
1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder<br />
lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer<br />
Länder gefährden kann,<br />
2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik<br />
Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen<br />
schweren Schaden zufügen kann,<br />
3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen<br />
der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein<br />
kann,<br />
4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte<br />
für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder<br />
nachteilig sein kann.<br />
§ 5<br />
Sicherheitsrisiken, sicherheitserhebliche Erkenntnisse, Sicherheitshinweise<br />
(1) Ein Sicherheitsrisiko im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte
1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung<br />
einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen,<br />
2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder<br />
Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, begründen<br />
oder<br />
3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen<br />
Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen.<br />
Ein Sicherheitsrisiko bei der betroffenen Person kann sich auch aufgrund sicherheitserheblicher<br />
Erkenntnisse zu anderen Personen ergeben, die mit ihr insbesondere<br />
als Ehegatte oder Lebenspartner in enger persönlicher Beziehung stehen.<br />
(2) Eine Erkenntnis ist sicherheitserheblich, wenn sich aus ihr ein Anhaltspunkt für<br />
ein Sicherheitsrisiko ergibt.<br />
(3) Sicherheitshinweise im Sinne dieses Gesetzes sind fallbezogene Empfehlungen,<br />
die zur weiteren Betreuung der betroffenen Person notwendig erscheinen.<br />
§ 6<br />
Rechte und Pflichten der betroffenen und der einbezogenen Person<br />
(1) Die betroffene Person ist über die Art der beabsichtigten Sicherheitsüberprüfung<br />
von der zuständigen Stelle zu unterrichten. Wird eine weiter gehende Sicherheitsüberprüfung<br />
als ursprünglich vorgesehen notwendig (§ 7 Abs. 2), so ist auch für<br />
diese eine vorherige Unterrichtung erforderlich.<br />
(2) Die Zustimmung der betroffenen Person ist Voraussetzung für die Durchführung<br />
einer Sicherheitsüberprüfung. Wird die Zustimmung durch die betroffene Person<br />
nicht erteilt, so ist die Sicherheitsüberprüfung nicht durchführbar. Die betroffene<br />
Person darf in diesem Fall nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut<br />
werden.<br />
(3) Hat die betroffene Person in die Sicherheitsüberprüfung eingewilligt, so ist sie<br />
verpflichtet, die zur Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Angaben vollständig<br />
und wahrheitsgemäß zu machen. Sie kann Angaben verweigern, die für sie, einen<br />
nahen Angehörigen nach § 52 Abs. 1 StPO oder den Lebenspartner die Gefahr<br />
straf- und disziplinarrechtlicher Verfolgung, der Entlassung oder Kündigung begründen<br />
könnten. Werden Angaben verweigert, so ist die betroffene Person verpflichtet,<br />
darauf hinzuweisen. Über das Verweigerungsrecht sowie über ihr Widerspruchsrecht<br />
nach § 37 Abs. 2 des Thüringer Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 10.<br />
Oktober 2001 (GVBl. S. 276) in der jeweils geltenden Fassung ist die betroffene<br />
Person zu belehren.<br />
(4) Die betroffene Person hat der zuständigen Stelle von sich aus Änderungen von<br />
Namen, Wohnsitzen und Staatsangehörigkeiten mitzuteilen. Mitteilungsbedürftig<br />
ist ferner jede Veränderung des Familienstands sowie das Eingehen oder das Beenden<br />
einer Lebenspartnerschaft.<br />
(5) Werden der Ehegatte oder Lebenspartner in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen,<br />
gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend.<br />
ThürSÜG<br />
209
210<br />
ThürSÜG<br />
(6) Bevor die zuständige Stelle die Zulassung zu einer sicherheitsempfindlichen<br />
Tätigkeit ablehnt, hat sie der betroffenen Person Gelegenheit zu geben, sich schriftlich<br />
oder mündlich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen persönlich<br />
zu äußern. Die betroffene Person kann zu einer Anhörung mit einer Person ihres<br />
Vertrauens erscheinen. Die Anhörung erfolgt in einer Weise, die den Schutz nachrichtendienstlicher<br />
Quellen gewährleistet und den schutzwürdigen Interessen von<br />
Personen, die im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung befragt wurden, Rechnung<br />
trägt. Sie unterbleibt, wenn sie einen erheblichen Nachteil für die Sicherheit des<br />
Bundes oder eines Landes zur Folge hätte, insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen<br />
von Personen, die sich beim Landesamt für Verfassungsschutz um Einstellung<br />
beworben haben.<br />
(7) Liegen in der Person des Ehegatten oder des Lebenspartners Anhaltspunkte vor,<br />
die ein Sicherheitsrisiko begründen, so hat ihr die zuständige Stelle Gelegenheit zu<br />
geben, sich persönlich zu den erheblichen Tatsachen zu äußern. Absatz 6 Satz 2<br />
bis 4 gilt entsprechend.<br />
(8) Die Absätze 6 und 7 sind auch im Fall der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung<br />
in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit anzuwenden.<br />
Zweiter Abschnitt<br />
Überprüfungsarten und Durchführungsmaßnahmen<br />
§ 7<br />
Arten der Sicherheitsüberprüfung<br />
(1) Entsprechend der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entweder<br />
eine<br />
1. einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü 1) oder<br />
2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) oder<br />
3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt.<br />
(2) Ergeben sich bei der Sicherheitsüberprüfung sicherheitserhebliche Erkenntnisse,<br />
die nur durch Maßnahmen der nächsthöheren Art der Sicherheitsüberprüfung geklärt<br />
werden können, kann die zuständige Stelle mit Zustimmung der betroffenen<br />
Person und gegebenenfalls des einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners die<br />
nächsthöhere Art der Sicherheitsüberprüfung einleiten. Diese ist jedoch nur in dem<br />
Umfang durchzuführen, wie es zur Aufklärung der sicherheitserheblichen Erkenntnisse<br />
erforderlich ist. § 12 Abs. 6 bleibt unberührt.<br />
§ 8<br />
Einfache Sicherheitsüberprüfung<br />
(1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die<br />
1. Zugang zu VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen<br />
oder ihn sich verschaffen können,<br />
2. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen<br />
sollen.
(2) In Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 kann die zuständige Stelle von der Sicherheitsüberprüfung<br />
oder einem Teil der Sicherheitsüberprüfung absehen, wenn Art oder<br />
Dauer der Tätigkeit dies zulassen.<br />
§ 9<br />
Erweiterte Sicherheitsüberprüfung<br />
Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die<br />
1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich<br />
verschaffen können,<br />
2. Zugang zu einer hohen Anzahl von VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen<br />
erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können,<br />
3. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen<br />
sollen,<br />
4. Tätigkeiten in Bereichen oder an Stellen nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 oder 5 wahrnehmen<br />
sollen,<br />
soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit<br />
eine Sicherheitsüberprüfung nach § 8 für ausreichend hält.<br />
§ 10<br />
Erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen<br />
Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen ist für Personen<br />
durchzuführen, die<br />
1. Zugang zu STRENG GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen<br />
oder ihn sich verschaffen können,<br />
2. Zugang zu einer hohen Anzahl von GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten<br />
sollen oder ihn sich verschaffen können,<br />
3. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen<br />
sollen,<br />
4. beim Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden sollen,<br />
soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit<br />
eine Sicherheitsüberprüfung nach § 8 oder § 9 für ausreichend hält.<br />
§ 11<br />
Datenerhebung<br />
(1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde dürfen die zur Erfüllung<br />
ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlichen Daten erheben. Die betroffene<br />
Person sowie die sonstigen zu befragenden Personen und nicht öffentlichen Stellen<br />
sind auf den Zweck der Erhebung, die Auskunftspflichten nach diesem Gesetz und<br />
auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht,<br />
ansonsten auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen<br />
der in § 3 Abs. 4 genannten Personen kann die Angabe der erhebenden<br />
Stelle gegenüber den sonstigen zu befragenden Personen oder nicht öffentlichen<br />
Stellen unterbleiben, wenn dies zum Schutz der betroffenen Person oder des Nachrichtendienstes<br />
erforderlich ist.<br />
ThürSÜG<br />
211
212<br />
ThürSÜG<br />
(2) Die zuständige Stelle erhebt die personenbezogenen Daten grundsätzlich bei<br />
der betroffenen Person und, falls es darüber hinaus erforderlich ist, bei dem in die<br />
Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner. Reicht diese<br />
Erhebung nicht aus oder stehen ihr schutzwürdige Interessen der betroffenen Person<br />
oder seines Ehegatten oder Lebenspartners entgegen, können andere geeignete<br />
Personen oder Stellen befragt werden.<br />
(3) Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die mitwirkende Behörde<br />
richtet sich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes und, soweit dort keine Regelungen<br />
getroffen worden sind, nach den Bestimmungen des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes<br />
(ThürVSG) vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 527) in der jeweils<br />
geltenden Fassung.<br />
§ 12<br />
Maßnahmen bei den einzelnen Überprüfungsarten<br />
(1) Die mitwirkende Behörde wird nur auf Antrag der zuständigen Stelle tätig.<br />
(2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach § 8 trifft die mitwirkende Behörde folgende<br />
Maßnahmen:<br />
1. sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung<br />
der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und<br />
der Länder,<br />
2. Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister sowie<br />
Auskunftsersuchen an das Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister<br />
(ZStV),<br />
3. Anfragen unter Beteiligung der Landeskriminalämter an die Polizeidienststellen<br />
der Wohnsitze der betroffenen Person, in der Regel beschränkt auf die letzten<br />
fünf Jahre,<br />
4. Anfragen an das Bundeskriminalamt, die Grenzschutzdirektion und die Nachrichtendienste<br />
des Bundes.<br />
(3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach § 9 prüft die mitwirkende Behörde zusätzlich<br />
zu den in Absatz 2 genannten Maßnahmen die Identität der betroffenen Person.<br />
Wird der Ehegatte oder der Lebenspartner nach § 2 Abs. 2 in die Sicherheitsüberprüfung<br />
einbezogen, trifft die mitwirkende Behörde bezüglich der einzubeziehenden<br />
Person die in den Absätzen 2 und 3 genannten Maßnahmen.<br />
(4) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach § 10 befragt die mitwirkende Behörde<br />
zusätzlich von der betroffenen Person in seiner Sicherheitserklärung angegebene<br />
Referenzpersonen und weitere geeignet erscheinende Auskunftspersonen, um<br />
zu prüfen, ob die Angaben der betroffenen Person zutreffen und ob tatsächliche<br />
Anhaltspunkte vorliegen, die auf ein Sicherheitsrisiko schließen lassen. Darüber<br />
hinaus sind Auskünfte zu den finanziellen Verhältnissen der betroffenen Person einzuholen.<br />
(5) Die zuständige Stelle fragt zur Feststellung einer hauptamtlichen oder inoffiziellen<br />
Tätigkeit der betroffenen Person oder des einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners<br />
für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen<br />
Republik beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes
der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik an, wenn die betroffene Person<br />
oder der einbezogene Ehegatte oder Lebenspartner vor dem 1. Januar 1970<br />
geboren wurde oder Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst<br />
der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vorliegen. Auf die Anfrage<br />
kann verzichtet werden, wenn eine nicht länger als sechs Monate zurückliegende<br />
Auskunft vorliegt. Ergibt die Anfrage sicherheitserhebliche Erkenntnisse, übermittelt<br />
sie die zuständige Stelle zur Bewertung an die mitwirkende Behörde.<br />
(6) Soweit es eine sicherheitserhebliche Erkenntnis erfordert und die Befragung der<br />
betroffenen Person oder ihres Ehegatten oder Lebenspartners nicht ausreicht oder<br />
ihr schutzwürdige Interessen entgegenstehen, kann die mitwirkende Behörde neben<br />
den Maßnahmen nach den Absätzen 2 bis 4 weitere geeignet erscheinende Auskunftspersonen<br />
befragen oder andere Stellen, insbesondere Staatsanwaltschaften und<br />
Gerichte, um Auskunft ersuchen oder Einzelmaßnahmen der nächsthöheren Art der<br />
Sicherheitsüberprüfung durchführen. § 6 Abs. 1 und 2 findet keine Anwendung.<br />
(7) Liegt eine sicherheitserhebliche Erkenntnis zu anderen Personen vor, die mit der<br />
betroffenen Person in enger persönlicher Beziehung stehen, kann die mitwirkende<br />
Behörde zu diesen Personen mit deren Zustimmung die zur Klärung eines Sicherheitsrisikos<br />
jeweils notwendigen Ermittlungen nach den Absätzen 2 bis 4 und 6<br />
durchführen.<br />
Dritter Abschnitt<br />
Verfahren<br />
§ 13<br />
Beginn der Sicherheitsüberprüfung und Angaben zur Sicherheitserklärung<br />
(1) Die Personalverwaltung der nach § 3 Abs. 1 zuständigen Stelle teilt der nach §<br />
3 Abs. 2 aufgabenwahrnehmenden Stelle mit, dass eine Person in einer bestimmten<br />
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit eingesetzt werden soll. Durch die nach § 3 Abs.<br />
2 zuständige Stelle wird die betroffene Person zur Abgabe der Sicherheitserklärung<br />
aufgefordert; § 6 ist zu beachten.<br />
(2) In der Sicherheitserklärung sind von der betroffenen Person anzugeben:<br />
1. Namen, auch frühere, Vornamen, akademische Grade,<br />
2. Geburtsdatum, -ort,<br />
3. Staatsangehörigkeit, auch frühere und mehrfache Staatsangehörigkeiten,<br />
4. Familienstand, Lebenspartnerschaft,<br />
5. Wohnsitze und Aufenthalte von längerer Dauer als zwei Monate, und zwar im<br />
Inland in den vergangenen fünf Jahren, im Ausland ab dem 18. Lebensjahr,<br />
6. ausgeübter Beruf,<br />
7. derzeitiger oder letzter Arbeitgeber und dessen Anschrift,<br />
8. Anzahl der Kinder,<br />
9. im Haushalt lebende Personen über 18 Jahre (Namen, auch frühere, Vornamen,<br />
Geburtsdatum und -ort, Verhältnis zu dieser Person),<br />
10. Eltern, Stief- und Pflegeeltern (Namen, auch frühere, Vornamen, Geburtsdatum<br />
und -ort, Staatsangehörigkeit und Wohnsitz),<br />
11. Ausbildungs- und Beschäftigungszeiten, Wehr- oder Zivildienstzeiten mit Angabe<br />
der Ausbildungsstätten, Beschäftigungsstellen sowie deren Anschriften,<br />
ThürSÜG<br />
213
214<br />
ThürSÜG<br />
12. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt<br />
wurden, sowie Angaben darüber, ob die zurzeit bestehenden finanziellen<br />
Verpflichtungen erfüllt werden können,<br />
13. Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten und den Nachrichtendiensten<br />
der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die auf einen Anbahnungs-<br />
und Werbungsversuch hindeuten können,<br />
14. Tätigkeiten für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit beziehungsweise<br />
das Amt für Nationale Sicherheit der DDR oder die Verwaltung Aufklärung im<br />
Ministerium für Nationale Verteidigung,<br />
15. hauptamtliche Funktionen in einer Partei oder Massenorganisation der ehemaligen<br />
Deutschen Demokratischen Republik sowie Tätigkeit als „Reisekader in das<br />
nicht sozialistische Wirtschaftsgebiet“,<br />
16. Beziehungen zu Organisationen, die von ihren Anhängern unbedingten Gehorsam<br />
verlangen und deshalb die betroffene Person in Konflikt mit ihrer Verschwiegenheitspflicht<br />
bringen können,<br />
17. Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Organisationen,<br />
18. anhängige Straf- und Disziplinarverfahren,<br />
19. Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Reisen, nahen Angehörigen und sonstigen<br />
Beziehungen in und zu Staaten, zu denen das Bundesministerium des<br />
Innern als Nationale Sicherheitsbehörde festgestellt hat, dass besondere Sicherheitsrisiken<br />
für die mit sicherheitsempfindlicher Tätigkeit betrauten Personen zu<br />
befürchten sind,<br />
20. frühere Sicherheitsüberprüfungen, sowie bei Sicherheitsüberprüfungen nach<br />
den §§ 9 und 10 zusätzlich<br />
21. Nummer des Personalausweises oder des Reisepasses,<br />
22. zwei Auskunftspersonen zur Identitätsprüfung der betroffenen Person (jeweils<br />
Namen, Vornamen, Anschrift und Verhältnis zur Person), sowie bei Sicherheitsüberprüfungen<br />
nach § 10 zusätzlich<br />
23. drei Referenzpersonen (jeweils Namen, Vornamen, Beruf, berufliche und private<br />
Anschrift und Rufnummern sowie zeitlicher Beginn der Bekanntschaft).<br />
Den Erklärungen zur Sicherheitsüberprüfung nach den §§ 9 und 10 sind zwei aktuelle<br />
Lichtbilder mit der Angabe des Jahres der Aufnahme beizufügen.<br />
(3) Die Angaben zu Absatz 2 Nr. 10 entfallen, sofern die dort genannten Personen<br />
nicht in einem Haushalt mit der betroffenen Person leben. Zur Person des Ehegatten<br />
oder Lebenspartners werden die Angaben nach Absatz 2 Nr. 1 bis 4, 13, 16 und 17<br />
mit dessen Einverständnis erhoben. Ergeben sich aus der Sicherheitserklärung oder<br />
aufgrund der Abfrage aus einer der in § 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes<br />
(BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970) in der jeweils geltenden<br />
Fassung genannten Verbunddateien sicherheitserhebliche Erkenntnisse über<br />
den Ehegatten oder den Lebenspartner, sind weitere Überprüfungen nur zulässig,<br />
wenn der Ehegatte oder der Lebenspartner der betroffenen Person in die erweiterte<br />
Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird.<br />
(4) Wird der Ehegatte oder der Lebenspartner in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen,<br />
sind zusätzlich für diesen die in Absatz 2 Nr. 1 bis 7, 10 bis 14, 19 und 20<br />
genannten Daten anzugeben.<br />
(5) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in § 3 Abs. 4 genannten Personen sind zusätzlich<br />
die Wohnsitze seit der Geburt, die Geschwister und abgeschlossene Straf- und<br />
Disziplinarverfahren sowie alle Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten
oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik<br />
anzugeben.<br />
(6) Die Sicherheitserklärung ist von der betroffenen Person der zuständigen Stelle<br />
zuzuleiten. Die zuständige Stelle prüft die Angaben auf ihre Vollständigkeit und<br />
Richtigkeit. Zu diesem Zweck kann die Personalakte eingesehen werden. Die zuständige<br />
Stelle leitet die Sicherheitserklärung an die mitwirkende Behörde weiter<br />
und beauftragt diese, eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen, es sei denn, die<br />
zuständige Stelle hat bereits bei der Prüfung der Sicherheitserklärung festgestellt,<br />
dass ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht.<br />
Die mitwirkende Behörde kann mit Zustimmung der betroffenen Person<br />
und der zuständigen Stelle in die Personalakte Einsicht nehmen, wenn dies zur<br />
Klärung oder Beurteilung sicherheitserheblicher Erkenntnisse unerlässlich ist.<br />
§ 14<br />
Abschluss der Sicherheitsüberprüfung<br />
(1) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, dass kein Sicherheitsrisiko<br />
vorliegt, so teilt sie dies der zuständigen Stelle mit. Fallen Erkenntnisse an, die kein<br />
Sicherheitsrisiko begründen, aber weiterhin sicherheitserheblich sind, so werden<br />
diese mitgeteilt. Hierzu können Sicherheitshinweise gegeben werden.<br />
(2) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, dass ein Sicherheitsrisiko<br />
vorliegt, unterrichtet sie schriftlich unter Darlegung der Gründe und ihrer Bewertung<br />
die zuständige Stelle. Bei nachgeordneten Behörden und sonstigen öffentlichen<br />
Stellen erfolgt die Unterrichtung über deren oberste Landes- oder oberste<br />
Aufsichtsbehörde.<br />
(3) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicherheitsempfindlichen<br />
Tätigkeit der betroffenen Person entgegensteht. Im Zweifel<br />
hat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen. § 6 Abs. 6 und 7 ist zu<br />
beachten.<br />
(4) Lehnt die zuständige Stelle die Zulassung zu einer sicherheitsempfindlichen<br />
Tätigkeit ab, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Ablehnung ist unter Beachtung<br />
des Quellenschutzes und der schutzwürdigen Interessen der befragten Personen<br />
und Stellen zu begründen. Die Begründung unterbleibt, wenn sie einen erheblichen<br />
Nachteil für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte,<br />
insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sich beim Landesamt<br />
für Verfassungsschutz um Einstellung beworben haben.<br />
§ 15<br />
Vorläufige Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit<br />
Die zuständige Stelle kann in Ausnahmefällen abweichend von § 2 Abs. 1 die<br />
sicherheitsempfindliche Tätigkeit der betroffenen Person vor Abschluss der Sicherheitsüberprüfung<br />
erlauben, wenn die mitwirkende Behörde<br />
1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung die Angaben in der Sicherheitserklärung<br />
unter Berücksichtigung der eigenen Erkenntnisse bewertet hat oder<br />
ThürSÜG<br />
215
216<br />
ThürSÜG<br />
2. bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung und bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung<br />
mit Sicherheitsermittlungen die Maßnahmen der nächstniederen<br />
Art der Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen hat<br />
und sich daraus keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko ergeben<br />
haben.<br />
§ 16<br />
Unterrichtung durch die personalverwaltende Stelle<br />
Die Personalverwaltung der nach § 3 Abs. 1 zuständigen Stelle unterrichtet die nach<br />
§ 3 Abs. 2 aufgabenwahrnehmende Stelle unverzüglich über die persönlichen,<br />
dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältnisse der Personen, die eine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit ausüben, soweit sie für deren sicherheitsmäßige Beurteilung<br />
erheblich sind. Insbesondere zählen dazu:<br />
3. die Umsetzung, Abordnung, Versetzung und das Ausscheiden aus dem Dienst,<br />
4. Änderungen des Familienstands oder einer Lebenspartnerschaft, des Namens,<br />
eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit,<br />
5. Anhaltspunkte für geistige oder seelische Störungen, für Alkohol-, Drogen- oder<br />
Tablettenmissbrauch,<br />
6. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse,<br />
7. Straf- und Disziplinarsachen sowie dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen.<br />
§ 17<br />
Sicherheitserhebliche Erkenntnisse nach Abschluss der Sicherheitsüberprüfung<br />
(1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben sich unverzüglich gegenseitig<br />
zu unterrichten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse über die betroffene<br />
Person oder den in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner<br />
bekannt werden oder sich mitgeteilte Erkenntnisse als unrichtig erweisen.<br />
(2) Die mitwirkende Behörde prüft die sicherheitserheblichen Erkenntnisse und<br />
stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko nach § 5 Abs. 1 vorliegt. Sie unterrichtet die<br />
zuständige Stelle über das Ergebnis der Prüfung; im Übrigen ist § 14 Abs. 3 und 4<br />
entsprechend anzuwenden.<br />
§ 18<br />
Aktualisierung der Sicherheitserklärung und Wiederholungsüberprüfung<br />
(1) Die Sicherheitserklärung ist der betroffenen Person, die eine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit ausübt, in der Regel alle fünf Jahre erneut zuzuleiten und im Falle<br />
eingetretener Veränderungen von der betroffenen Person zu ergänzen.<br />
(2) Liegt zu der betroffenen Person eine unter Vorbehalt erteilte Auskunft des Bundesbeauftragten<br />
für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen<br />
Deutschen Demokratischen Republik vor oder ist eine Anfrage bisher unterblieben,<br />
ist anlässlich der Aktualisierung oder Wiederholungsüberprüfung eine Auskunft<br />
nach § 12 Abs. 5 einzuholen.
(3) Bei sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten nach § 10 ist in der Regel im Abstand von<br />
zehn Jahren eine Wiederholungsüberprüfung einzuleiten. Im Übrigen kann die zuständige<br />
Stelle eine Wiederholungsüberprüfung einleiten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse<br />
dies nahe legen. Das Verfahren bei der Wiederholungsüberprüfung entspricht<br />
dem der Erstüberprüfung. Abweichend davon kann die mitwirkende Behörde von einer<br />
erneuten Identitätsprüfung absehen. Die Wiederholungsüberprüfung erfolgt nur mit Zustimmung<br />
der betroffenen Person, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, und mit<br />
Zustimmung ihres Ehegatten oder Lebenspartners, sofern er einbezogen wird.<br />
Vierter Abschnitt<br />
Akten über die Sicherheitsüberprüfung, Datenverarbeitung<br />
§ 19<br />
Sicherheitsakte und Sicherheitsüberprüfungsakte<br />
(1) Die zuständige Stelle führt über die betroffene Person eine Sicherheitsakte, in<br />
die alle die Sicherheitsüberprüfung betreffenden Informationen aufzunehmen sind.<br />
Dazu zählen insbesondere:<br />
1. Sicherheitserklärungen (auch frühere),<br />
2. der Antrag auf Feststellung einer möglichen Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst<br />
der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sowie die dazu<br />
erteilte Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes<br />
der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik,<br />
3. das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung einschließlich sicherheitserheblicher<br />
Erkenntnisse und Erkenntnisse über ein Sicherheitsrisiko,<br />
4. Mitteilungen der mitwirkenden Behörde,<br />
5. gegebenenfalls Vermerke, die im Zusammenhang mit der Sicherheitsüberprüfung<br />
angefallen sind.<br />
(2) Informationen über die persönlichen, dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältnisse<br />
der Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, sind<br />
zur Sicherheitsakte zu nehmen, soweit sie für die sicherheitsmäßige Beurteilung<br />
bedeutsam sind. Dazu zählen insbesondere:<br />
1. Zuweisung, Übertragung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, die dazu erteilte<br />
Ermächtigung, deren Änderungen und Beendigung,<br />
2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung und Ausscheiden aus dem Dienst,<br />
3. Änderungen des Familienstands, Beginn und Ende einer Lebenspartnerschaft,<br />
Änderungen des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit,<br />
4. Anhaltspunkte für geistige und seelische Störungen, für Alkohol-, Drogen- oder<br />
Tablettenmissbrauch,<br />
5. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse,<br />
6. Straf- und Disziplinarsachen sowie dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen.<br />
(3) Die mitwirkende Behörde führt über die betroffene Person eine Sicherheitsüberprüfungsakte,<br />
in die aufzunehmen sind:<br />
1. Informationen, die die Sicherheitsüberprüfung, die durchgeführten Maßnahmen<br />
und das Ergebnis betreffen,<br />
2. das Ausscheiden aus oder die Nichtaufnahme der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit,<br />
ThürSÜG<br />
217
218<br />
ThürSÜG<br />
3. Änderungen des Familienstands, Beginn und Ende einer Lebenspartnerschaft,<br />
Änderungen des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit.<br />
Die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 bis 6 genannten Daten sind zur Sicherheitsüberprüfungsakte<br />
zu nehmen, wenn sie sicherheitserheblich sind.<br />
(4) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die in Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2<br />
genannten Daten unverzüglich der mitwirkenden Behörde mitzuteilen. Die Übermittlung<br />
der in Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 genannten Daten erfolgt nach den in § 23 Abs.<br />
2 Satz 1 Nr. 1 festgelegten Fristen.<br />
(5) Die Sicherheitsakte und die Sicherheitsüberprüfungsakte sind keine Personalakten.<br />
Sie sind gesondert zu führen und dürfen weder der personalverwaltenden<br />
Stelle noch der betroffenen Person zugänglich gemacht werden; § 24 Abs. 5 bleibt<br />
unberührt. Bei einem Wechsel der zuständigen Stelle ist die Sicherheitsakte der<br />
betroffenen Person auf schriftliche Anforderung an die neue zuständige Stelle abzugeben,<br />
wenn auch dort eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt werden<br />
soll. Die Sicherheitsüberprüfungsakte ist auf schriftliche Anforderung an die dann<br />
zuständige mitwirkende Behörde abzugeben.<br />
§ 20<br />
Aufbewahrung und Vernichtung der Unterlagen<br />
(1) Die Sicherheitsakte und die Sicherheitsüberprüfungsakte sind gesondert aufzubewahren<br />
und gegen unbefugten Zugriff zu schützen.<br />
(2) Die zuständige Stelle hat die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung nach<br />
den in § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 genannten Fristen zu vernichten.<br />
(3) Die mitwirkende Behörde hat die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung<br />
nach den in § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 genannten Fristen zu vernichten. Gleiches gilt<br />
bezüglich der Unterlagen zu den in § 3 Abs. 4 genannten Personen.<br />
(4) Das Thüringer Archivgesetz vom 23. April 1992 (GVBl. S. 139) in der jeweils<br />
geltenden Fassung findet auf die Sicherheitsakten und Sicherheitsüberprüfungsakten<br />
keine Anwendung.<br />
§ 21<br />
Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten<br />
(1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben<br />
1. die nach diesem Gesetz in § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezogenen<br />
Daten, ihre Aktenfundstelle und die der mitwirkenden Behörde,<br />
2. die Beschäftigungsstelle,<br />
3. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs und<br />
4. beteiligte Behörden<br />
automatisiert verarbeiten.<br />
(2) Die mitwirkende Behörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben
1. die in § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezogenen Daten der betroffenen<br />
Person und des in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder<br />
Lebenspartners und die Aktenfundstelle,<br />
2. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs sowie<br />
3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse und Erkenntnisse, die ein Sicherheitsrisiko<br />
begründen,<br />
automatisiert verarbeiten. Die Daten nach Nummer 1 dürfen auch in den nach § 6<br />
BVerfSchG zulässigen Verbunddateien gespeichert und genutzt werden.<br />
§ 22<br />
Übermittlung und Zweckbindung<br />
(1) Die im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung gespeicherten personenbezogenen<br />
Daten dürfen von der zuständigen Stelle oder mitwirkenden Behörde nur für Zwecke<br />
1. der Sicherheitsüberprüfung,<br />
2. der Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung nach § 31 Abs. 5 des<br />
Polizeiaufgabengesetzes vom 4. Juni 1992 (GVBl. S. 199) in der jeweils geltenden<br />
Fassung sowie<br />
3. parlamentarischer Untersuchungsausschüsse<br />
genutzt und übermittelt werden. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen die ihnen<br />
nach Satz 1 Nr. 2 übermittelten Daten für Zwecke eines Strafverfahrens nur verwenden,<br />
wenn die Strafverfolgung auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend<br />
oder wesentlich erschwert wäre. Die zuständige Stelle darf die gespeicherten<br />
personenbezogenen Daten darüber hinaus für Zwecke der disziplinarrechtlichen<br />
Verfolgung sowie dienst- und arbeitsrechtlicher Maßnahmen nutzen, wenn dies zur<br />
Gewährleistung des Geheim- und Sabotageschutzes erforderlich ist. Die mitwirkende<br />
Behörde darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus<br />
im Rahmen des erforderlichen Umfangs zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden<br />
oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht, von Bestrebungen<br />
und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität oder von Bestrebungen, die darauf<br />
gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten oder<br />
zur Aufklärung sonstiger Bestrebungen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ThürVSG von<br />
erheblicher Bedeutung nutzen und übermitteln.<br />
(2) Die Übermittlung der nach § 21 gespeicherten Daten ist nur zulässig, soweit<br />
sie für die Erfüllung der in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlich ist. Die nach §<br />
21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 gespeicherten Daten dürfen zur Erfüllung aller Zwecke des<br />
Verfassungsschutzes genutzt und übermittelt werden.<br />
(3) Die mitwirkende Behörde darf personenbezogene Daten nach den Absätzen 1<br />
und 2 nur an öffentliche Stellen übermitteln.<br />
(4) Die Nutzung oder Übermittlung unterbleibt, soweit gesetzliche Verwendungsregelungen<br />
entgegenstehen. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den<br />
Zweck verarbeiten und nutzen, zu dem sie übermittelt wurden. Eine nicht öffentliche<br />
Stelle ist darauf hinzuweisen.<br />
ThürSÜG<br />
219
220<br />
ThürSÜG<br />
§ 23<br />
Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten<br />
(1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben personenbezogene<br />
Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Wird die Richtigkeit personenbezogener<br />
Daten von der betroffenen Person bestritten, ist dies, wenn sich die personenbezogenen<br />
Daten in Akten befinden, dort zu vermerken oder, falls die Daten in<br />
einer Datei gespeichert sind, auf sonstige Weise festzuhalten. Die zuständige Stelle<br />
und die mitwirkende Behörde haben sich gegenseitig zu unterrichten.<br />
(2) Die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten sind zu löschen<br />
1. von der zuständigen Stelle<br />
a) unverzüglich, wenn die Sicherheitsüberprüfung vorzeitig abgebrochen<br />
wird,<br />
b) innerhalb eines Jahres, wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, die betroffene Person willigt in die<br />
weitere Speicherung ein,<br />
c) nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person<br />
aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, es sei denn, die betroffene Person<br />
willigt in die weitere Speicherung ein oder es ist beabsichtigt, die betroffene<br />
Person in absehbarer Zeit mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit<br />
zu betrauen,<br />
d) spätestens nach zehn Jahren, sofern die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit aufgenommen hat oder aus einer sicherheitsempfindlichen<br />
Tätigkeit ausgeschieden ist und sie in absehbarer Zeit nicht mit einer<br />
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll,<br />
2. von der mitwirkenden Behörde<br />
a) unverzüglich, wenn die Sicherheitsüberprüfung vorzeitig abgebrochen wird,<br />
b) innerhalb eines Jahres, wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, die betroffene Person willigt in die<br />
weitere Speicherung ein,<br />
c) bei Sicherheitsüberprüfungen nach § 8 nach Ablauf von fünf Jahren nach<br />
dem Ausscheiden der betroffenen Person aus der sicherheitsempfindlichen<br />
Tätigkeit, es sei denn, die betroffene Person willigt in die weitere Speicherung<br />
ein oder es ist beabsichtigt, die betroffene Person in absehbarer Zeit mit<br />
einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu betrauen,<br />
d) bei Sicherheitsüberprüfungen nach den §§ 9 und 10 nach Ablauf von zehn<br />
Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person aus der sicherheitsempfindlichen<br />
Tätigkeit oder wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit aufgenommen hat und sie in absehbarer Zeit nicht mit<br />
einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll,<br />
e) die nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gespeicherten Daten, wenn feststeht, dass<br />
die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt oder<br />
sie nicht mehr ausübt.<br />
Im Übrigen sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu löschen,<br />
wenn ihre Speicherung unzulässig ist.<br />
(3) Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie<br />
schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden. In diesem<br />
Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen<br />
Person genutzt werden.
§ 24<br />
Auskunft, Akteneinsicht<br />
(1) Auf schriftlichen Antrag erteilt die zuständige Stelle oder die mitwirkende Behörde<br />
unentgeltlich Auskunft über die bei ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung<br />
zu der anfragenden Person gespeicherten Daten.<br />
(2) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und<br />
die Empfänger von Übermittlungen. Bezieht sich die Auskunftserteilung auf personenbezogene<br />
Daten, die von der zuständigen Stelle an die mitwirkende Behörde<br />
oder von der mitwirkenden Behörden an die zuständige Stelle übermittelt wurden,<br />
so ist die Auskunft nur mit deren Zustimmung zulässig.<br />
(3) Die Auskunft unterbleibt, wenn<br />
1. sie die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der speichernden<br />
Stelle liegenden Aufgaben gefährden würde,<br />
2. sie die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder<br />
eines Landes Nachteile bereiten würde oder<br />
3. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder<br />
ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden Interessen eines<br />
Dritten, geheim gehalten werden müssen<br />
und deswegen das Interesse des Anfragenden an der Auskunftserteilung zurücktreten<br />
muss.<br />
(4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit durch<br />
die Mitteilung der tatsächlichen und rechtlichen Gründe, auf die die Entscheidung<br />
gestützt wird, der mit der Auskunftsverweigerung verfolgte Zweck gefährdet würde.<br />
In diesem Fall sind die Gründe der Auskunftsverweigerung aktenkundig zu machen.<br />
Die anfragende Person ist auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung<br />
und darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Landesbeauftragten für Datenschutz<br />
wenden kann. Dem Landesbeauftragten für Datenschutz ist auf Verlangen der anfragenden<br />
Person Auskunft zu erteilen, soweit nicht die jeweils zuständige oberste<br />
Landesbehörde im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder<br />
eines Landes gefährdet würde. Personenbezogene Daten einer Person, der Vertraulichkeit<br />
zugesichert worden ist, dürfen auch dem Landesbeauftragten für Datenschutz<br />
gegenüber nicht offenbart werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten für<br />
Datenschutz an die anfragende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand<br />
der zuständigen Stelle oder der mitwirkenden Behörde zulassen.<br />
(5) Die zuständige Stelle gewährt der anfragenden Person Einsicht in die Sicherheitsakte,<br />
soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen<br />
nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist. Die Regelungen<br />
der Absätze 2 bis 4 gelten entsprechend. Ein Recht auf Einsicht in die Sicherheitsüberprüfungsakte<br />
der mitwirkenden Behörde besteht grundsätzlich nicht.<br />
ThürSÜG<br />
221
222<br />
ThürSÜG<br />
Fünfter Abschnitt<br />
Sonderregelungen bei Sicherheitsüberprüfungen für nicht öffentliche Stellen<br />
§ 25<br />
Anwendungsbereich<br />
Bei Sicherheitsüberprüfungen von betroffenen Personen, die von der zuständigen<br />
Stelle zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit bei einer nicht öffentlichen Stelle<br />
ermächtigt werden sollen, gelten die Sonderregelungen der §§ 25 bis 31.<br />
§ 26<br />
Zuständigkeit<br />
(1) Die Aufgaben der zuständigen Stelle werden wahrgenommen von dem für Wirtschaft<br />
zuständigen Ministerium, es sei denn, eine andere oberste Landesbehörde<br />
nimmt im Einvernehmen mit diesem Ministerium die Aufgaben als zuständige Stelle<br />
wahr.<br />
(2) Die Aufgaben der nicht öffentlichen Stelle nach diesem Gesetz sind grundsätzlich<br />
von einer von der Personalverwaltung getrennten Organisationseinheit<br />
wahrzunehmen. Die zuständige Stelle kann Ausnahmen zulassen, wenn die nicht<br />
öffentliche Stelle sich verpflichtet, Informationen, die ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung<br />
bekannt werden, nur für solche Zwecke zu gebrauchen, die mit<br />
der Sicherheitsüberprüfung verfolgt werden.<br />
§ 27<br />
Sicherheitserklärung, Sicherheitsakte<br />
(1) Die betroffene Person leitet ihre Sicherheitserklärung abweichend von § 13 Abs.<br />
6 Satz 1 der nicht öffentlichen Stelle zu, in der sie beschäftigt ist. Im Falle der Einbeziehung<br />
des Ehegatten oder Lebenspartners fügt die betroffene Person deren Zustimmung<br />
bei. Die nicht öffentliche Stelle prüft die Angaben auf Vollständigkeit und<br />
Richtigkeit und darf, soweit erforderlich, die Personalunterlagen beiziehen. Sie gibt<br />
die Sicherheitserklärung an die zuständige Stelle weiter und teilt dieser vorhandene<br />
sicherheitserhebliche Erkenntnisse mit.<br />
(2) Für die Sicherheitsakte in der nicht öffentlichen Stelle gelten die Bestimmungen<br />
dieses Gesetzes über die Sicherheitsakte entsprechend mit der Maßgabe, dass die<br />
Sicherheitsakte der nicht öffentlichen Stelle bei einem Wechsel des Arbeitgebers<br />
nicht abgegeben werden darf.<br />
§ 28<br />
Abschluss der Sicherheitsüberprüfung, Weitergabe sicherheitserheblicher<br />
Erkenntnisse<br />
Die zuständige Stelle unterrichtet die nicht öffentliche Stelle nur darüber, ob die<br />
betroffene Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut oder nicht<br />
betraut werden kann. Erkenntnisse, die die Ablehnung der Betrauung mit einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betreffen, dürfen nicht mitgeteilt werden. Zur<br />
Gewährleistung des Geheim- und Sabotageschutzes können sicherheitserhebliche<br />
Erkenntnisse an die nicht öffentliche Stelle übermittelt werden und dürfen von ihr<br />
ausschließlich zu diesem Zweck genutzt werden. Die nicht öffentliche Stelle hat<br />
die zuständige Stelle unverzüglich zu unterrichten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse<br />
über die betroffene Person oder über den in die Sicherheitsüberprüfung<br />
einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner bekannt werden.<br />
§ 29<br />
Aktualisierung der Sicherheitserklärung<br />
(1) Die nicht öffentliche Stelle leitet der betroffenen Person, die eine sicherheitsempfindliche<br />
Tätigkeit ausübt, auf Anforderung der zuständigen Stelle die Sicherheitserklärung<br />
in der Regel alle fünf Jahre erneut zu.<br />
(2) Die betroffene Person hat die in der Sicherheitserklärung angegebenen Daten<br />
im Falle eingetretener Veränderungen zu ergänzen. Die zuständige Stelle beauftragt<br />
die mitwirkende Behörde, die Maßnahmen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 erneut<br />
durchzuführen.<br />
§ 30<br />
Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten<br />
(1) Die betroffene Person hat der nicht öffentlichen Stelle von sich aus die in § 6<br />
Abs. 4 genannten Änderungen mitzuteilen.<br />
(2) Die nicht öffentliche Stelle hat die zuständige Stelle umgehend über die ihr nach<br />
Absatz 1 mitgeteilten personenbezogenen Daten sowie über das Ausscheiden der<br />
betroffenen Person aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu unterrichten.<br />
§ 31<br />
Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten<br />
Die nicht öffentliche Stelle darf die nach diesem Gesetz zur Erfüllung ihrer Aufgaben<br />
erforderlichen personenbezogenen Daten der betroffenen Person automatisiert<br />
verarbeiten; im Übrigen ist § 23 entsprechend anzuwenden.<br />
Sechster Abschnitt<br />
Reisebeschränkungen und Schlussbestimmungen<br />
§ 32<br />
Reisebeschränkungen<br />
(1) Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut sind, die eine<br />
Sicherheitsüberprüfung nach den §§ 9 oder 10 erfordert, können verpflichtet werden,<br />
Dienst- und Privatreisen in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen<br />
gelten, der zuständigen Stelle oder der nicht öffentlichen Stelle rechtzeitig<br />
ThürSÜG<br />
223
224<br />
ThürSÜG<br />
vorher anzuzeigen. Die Verpflichtung kann auch für die Zeit nach dem Ausscheiden<br />
aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit angeordnet werden. Die in der Anzeige<br />
nach Satz 1 mitgeteilten Erkenntnisse dürfen von der nicht öffentlichen Stelle nur<br />
für den mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgten Zweck genutzt werden.<br />
(2) Die Reise kann von der zuständigen Stelle untersagt werden, wenn Anhaltspunkte<br />
zur betroffenen Person oder eine besonders sicherheitsempfindliche Tätigkeit<br />
vorliegen, die eine erhebliche Gefährdung durch fremde Nachrichtendienste<br />
erwarten lassen. Eine besonders sicherheitsempfindliche Tätigkeit ist in der Regel<br />
bei den in § 10 Nr. 4 genannten Personen anzunehmen.<br />
(3) Ergeben sich bei einer Reise in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen<br />
gelten, Anhaltspunkte, die auf einen Anbahnungs- oder Werbungsversuch<br />
fremder Nachrichtendienste hindeuten können, so ist die zuständige Stelle<br />
nach Abschluss der Reise unverzüglich zu unterrichten, die ihrerseits die mitwirkende<br />
Behörde zu unterrichten hat.<br />
§ 33<br />
Ermächtigung zur Rechtsverordnung<br />
Die Ministerien bestimmen im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen<br />
Ministerium durch Rechtsverordnung die öffentlichen Bereiche der Informations-<br />
und Kommunikationstechnik nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 und die lebens- oder<br />
verteidigungswichtigen Einrichtungen nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich.<br />
Die Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 bedarf der Zustimmung<br />
des zuständigen Ausschusses.<br />
§ 34<br />
Allgemeine Verwaltungsvorschriften<br />
(1) Das für den Geheimschutz zuständige Ministerium erlässt die zur Ausführung<br />
dieses Gesetzes erforderlichen Verwaltungsvorschriften.<br />
(2) Das für die Wirtschaft zuständige Ministerium erlässt im Einvernehmen mit dem<br />
für den Geheimschutz zuständigen Ministerium die zur Ausführung dieses Gesetzes<br />
erforderlichen Verwaltungsvorschriften für den Bereich der nicht öffentlichen<br />
Stellen.<br />
§ 35<br />
Strafvorschriften<br />
(1) Wer unbefugt von diesem Gesetz geschützte personenbezogene Daten, die<br />
nicht offenkundig sind,<br />
1. verarbeitet,<br />
2. zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens bereithält oder<br />
3. abruft oder sich oder einem anderen aus Dateien verschafft,<br />
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer<br />
1. die Übermittlung von nach diesem Gesetz geschützten personenbezogenen Daten,<br />
die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder<br />
2. entgegen § 22 Abs. 1 oder § 28 Satz 3 Daten für andere Zwecke nutzt oder<br />
unbefugt weitergibt.<br />
(3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu<br />
bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu<br />
zwei Jahren oder Geldstrafe.<br />
(4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.<br />
§ 36<br />
Übergangsbestimmungen<br />
(1) Bei Sicherheitsüberprüfungen, die vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes abgeschlossen<br />
wurden, ist die erste Aktualisierung nach § 18 Abs. 1 fünf Jahre nach<br />
Abschluss der jeweils letzten Überprüfung oder Aktualisierung, die erste Wiederholungsüberprüfung<br />
nach § 18 Abs. 3 zehn Jahre nach Abschluss der jeweils letzten<br />
Überprüfung durchzuführen.<br />
(2) Maßnahmen, die anlässlich von Sicherheitsüberprüfungen vor dem In-Kraft-<br />
Treten dieses Gesetzes eingeleitet wurden, aber noch nicht abgeschlossen sind,<br />
bleiben wirksam, sofern sie mit entsprechenden Maßnahmen nach diesem Gesetz<br />
vergleichbar sind.<br />
§ 37<br />
Gleichstellungsbestimmung<br />
Status- und Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in männlicher<br />
und weiblicher Form.<br />
ThürSÜG<br />
225
226<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
A AA/BO Antifaschistische Aktion/Bundesweite<br />
Organisation<br />
AAG Antifaschistische Aktion Gera<br />
AANdh Antifaschistische Aktion Nordhausen<br />
AAW Autonome Antifa Weimar<br />
AGAP Antifa Gruppe Apolda<br />
AG17 Antifa Gruppe 17<br />
AGST Antifaschistische Gruppe Südthüringen<br />
AJAE Autonome Jugendantifa Erfurt<br />
AKE Antifaschistische Koordination Erfurt<br />
A2KT Autonome Antifa Koordination<br />
Thüringen<br />
ALB Antifaschistische Linke Berlin<br />
AMS Assoziation Marxistischer Studierender<br />
AN Autonome Nationalisten<br />
ASJ Antifaschistische Sportgruppe Jena<br />
aye Antifascist Youth Erfurt<br />
B B.A.F. Braune Aktionsfront Thüringen<br />
C CDK Koordination der kurdischen demokratischen<br />
Gesellschaft in Europa<br />
CH Collegium Humanum e.V.<br />
CSI Curch of Scientology International<br />
D DDF Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V.<br />
– der Bismarck Deutsche<br />
DK Deutsches Kolleg<br />
DKP Deutsche Kommunistische Partei<br />
DP Deutsche Partei<br />
DVU Deutsche Volksunion<br />
F FAE Freie Aktivisten Erfurt<br />
FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei
FAU Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion<br />
FAUST Freie ArbeiterInnen Union Südthüringen<br />
FKE Freie Kräfte Erfurt<br />
FKH Freundeskreis Halbe<br />
FKST Freie Kräfte Südthüringen<br />
G Gestapo Geheime Staatspolizei<br />
GIMF Globale Islamische Medienfront<br />
H HDJ Heimattreue Deutsche Jugend e.V.<br />
HNG Hilfsorganisation für nationale<br />
politische Gefangene und deren<br />
Angehörige e.V.<br />
I IAA Internationale Arbeiter Assoziation<br />
ILJ Infoladen Jena<br />
IJU Islamische Jihad Union<br />
J JAPS Jugend-, Aktions- und Projektwerkstatt<br />
JN Junge Nationaldemokraten<br />
K KADEK Freiheits- und Demokratiekongress<br />
Kurdistans<br />
KCK Koma Civaken Kurdistan<br />
KDS Kampfbund Deutscher Sozialisten<br />
KDVR Koreanische Demokratische<br />
Volksrepublik<br />
KJVD Kommunistischer Jugendverband<br />
Deutschlands<br />
KNK Kurdischer Nationalkongress<br />
KONGRA GEL Volkskongress Kurdistans<br />
KPD Kommunistische Partei Deutschlands<br />
KPF Kommunistische Plattform der Partei<br />
„DIE LINKE.“<br />
KSCM Kommunistische Partei Böhmens und<br />
Mährens<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
227
228<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
KSM Kommunistische Union der Jugend der<br />
Tschechischen Republik<br />
M MfS Ministerium für Staatssicherheit der<br />
DDR<br />
MfS Marxistisch-Leninistische Partei<br />
Deutschlands MLPD<br />
N NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands<br />
NSBM NS-Black Metal<br />
NZ National-Zeitung/<br />
Deutsche Wochenzeitung<br />
O OSA Office of Special Affairs<br />
P PKK Arbeiterpartei Kurdistans<br />
R REP Die Republikaner<br />
RH Rote Hilfe e. V.<br />
S SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend<br />
SKD Scientology Kirche Deutschland e.V.<br />
T TIB Türk Intikam Birligi<br />
(Türkische Racheeinheiten)<br />
TJ Tabligh-i Jamaat al-Islami<br />
V VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen<br />
Bestreitens des Holocaust Verfolgten<br />
U UZ Unsere Zeit<br />
Y YDK Kurdische Demokratische Volksunion<br />
YEK-KOM Föderation kurdischer Vereine in<br />
Deutschland e.V.<br />
YÖP Yeni Özgür Politika
A Aktion G13 125<br />
Aktionsbündnis Erfurt 69–70<br />
Alerta – Antifa Newsflyer für<br />
Jena 117<br />
Al-Qaida 153<br />
Alleinerziehende in Not e.V. 74<br />
Antifa Gruppe 17 (AG17) 116–117, 120–121,<br />
124–125<br />
Antifa Gruppe Apolda (AGAP) 116, 122<br />
Antifaschistische Aktion/Bundesweite<br />
Organisation (AA/BO) 114<br />
Antifaschistische Aktion Gera<br />
(AAG) 117<br />
Antifaschistische Aktion<br />
Nordhausen (AANdh) 116, 128<br />
Antifaschistische Gruppe<br />
Südthüringen (AGST) 116, 118–119, 131<br />
Antifaschistische Koordination<br />
Erfurt (AKE) 121<br />
Antifaschistische Linke Berlin<br />
(ALB) 129<br />
Antifaschistische Sportgruppe<br />
Jena (ASJ) 116, 122<br />
Antifascist Youth Erfurt (aye)<br />
Anti-G8-Plenum Thüringen<br />
115<br />
(„BergsteigerInnen“) 121, 128–129<br />
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 150, 156–157, 163<br />
Assoziation Marxistischer 137<br />
Studierender (AMS)<br />
Autonome 109, 111–114, 116,<br />
118–119, 123–124<br />
Autonome Antifa Koordination<br />
Thüringen (A²KT)<br />
110, 116–117, 121<br />
Sachregister<br />
229
230<br />
Sachregister<br />
Autonome Antifa Weimar<br />
(AAW) 116, 125<br />
Autonome Jugendantifa Erfurt<br />
(AJAE) 117, 121<br />
Autonome Nationalisten (AN) 60, 71<br />
Autonome Nationalisten<br />
Südthüringen 71<br />
B Bandidos MC 176<br />
Bildungswerk für Heimat und<br />
nationale Identität e.V. (i.G.) 27–28<br />
Black Metal 83, 91, 93<br />
Black Pistons MC 176<br />
Blickpunkt Vogtland 79<br />
Blood & Honour (B & H) 86–87, 90<br />
Brainwash (Skinheadband) 92–94<br />
Braune Aktionsfront Thüringen<br />
(B.A.F.) 67–68<br />
„Braunes-Haus“ 70, 172<br />
Bürgerstimme! Mitteilungsblatt<br />
freier Kräfte der Region<br />
Erfurt-Arnstadt 79<br />
Bundeskoordinierungsrat (BKR) 133–134<br />
C Celebrity Centers (CCs) 165<br />
Celtic Dawn (Skinheadband) 93–94, 100<br />
Chicanos MC 176<br />
Collegium Humanum e.V. (CH)<br />
Curch of Scientology<br />
105, 168, 172<br />
International (CSI) 165<br />
D Der Pappenheimer 80<br />
Der Rennsteig Bote 78<br />
Der Wartburgkreis Bote 79<br />
Deutsche Kommunistische<br />
Partei (DKP)<br />
109-110, 122, 128,<br />
133–138, 141–142,<br />
171
Deutsche Partei (DP) 56<br />
Deutsche Stimme (DS) 22, 27, 51<br />
Deutsche Volksunion (DVU) 17–19, 24–25, 29, 35,<br />
44–45, 50, 53–56, 80<br />
Deutsches Kolleg (DK) 106<br />
Deutschland-Pakt 24, 28, 44–45, 54<br />
Deutsch-Russische Friedensbewegung<br />
Europäischen<br />
Geistes e.V. 73–74, 168<br />
Die Artgemeinschaft –<br />
Germanische Glaubensgemeinschaft<br />
wesensgemäßer<br />
Lebensgestaltung e.V. 104<br />
Die Deutsche Freiheitsbewegung<br />
e.V. (DDF) –<br />
der Bismarck Deutsche 105<br />
Die Republikaner (REP) 18<br />
Die Rote Fahne 139–140<br />
E Ehre & Stolz (Skinheadband) 92, 99<br />
Erfurter Bündnis gegen Gewalt 71<br />
Eternal Bleeding (Skinheadband) 92–94, 99<br />
Eugenik (Skinheadband) 92–93<br />
Exilregierung Deutsches Reich 106–107<br />
F Fest der Völker<br />
Föderation kurdischer Vereine<br />
in Deutschland e.V.<br />
3, 31, 46–47, 49–50,<br />
55, 82, 89, 122, 171<br />
(YEK-KOM) 159, 161–163<br />
Freie Aktivisten Erfurt (FAE) 71<br />
Freie Arbeiterinnen- und<br />
Arbeiterunion (FAU) 109–110, 129–131<br />
Freie ArbeiterInnen Union<br />
Südthüringen (FAUST) 130<br />
Freiheitliche Deutsche<br />
Arbeiterpartei (FAP) 64<br />
Sachregister<br />
231
232<br />
Sachregister<br />
Freie Kameradschaft 59<br />
Freie Kräfte Erfurt (FKE) 71<br />
Freie Kräfte Südthüringen (FKST) 67, 80<br />
Freie Nationalisten 45, 59, 68, 70, 82<br />
Freiheits- und Demokratie-<br />
kongress Kurdistans (KADEK) 150, 156–157<br />
Freundeskreis Halbe (FKH) 66<br />
D Germania Versand 82, 101<br />
Globale Islamische Medienfront<br />
(GIMF) 153<br />
H Hammerskins 86, 88<br />
Hardcore 91<br />
Hatecore 91, 94<br />
Heavy Metal 91<br />
Hells Angels MC 176<br />
Hilfsorganisation für nationale<br />
politische Gefangene und<br />
deren Angehörige e.V. (HNG)<br />
Heimattreue Deutsche Jugend<br />
72<br />
e.V. (HDJ)<br />
Hausgemeinschaft „Zu den<br />
72<br />
Löwen“ 70<br />
I Infoladen Jena (ILJ) 116–117, 123<br />
INTERIM (Zeitschrift)<br />
Internationale Arbeiter<br />
112<br />
Assoziation (IAA) 129–130<br />
Islamische Jihad Union (IJU) 153<br />
J Jugend-, Aktions- und Projektwerkstatt<br />
(JAPS) 122<br />
Junge Nationaldemokraten (JN) 22, 44, 50–53, 167,<br />
169, 171, 173<br />
Jungsturm Apolda 68
K Kameradschaft Apolda 68<br />
L<br />
Kameradschaft Eichsfeld 63<br />
Kameradschaft Leinefelde 71<br />
Kameradschaft Northeim 63–64<br />
Kameradschaften 19, 59, 63, 69, 71, 82, 89<br />
Kampfbund Deutscher<br />
Sozialisten (KDS) 66<br />
Koma Civaken Kurdistan (KCK) 158<br />
Kommunistische Partei Böhmens<br />
und Mährens (KSCM) 141<br />
Kommunistische Partei<br />
Deutschlands (KPD)<br />
Kommunistische Plattform (KPF)<br />
der Partei „DIE LINKE.“<br />
109, 134–135,<br />
139–141, 171<br />
109-110, 132–134,<br />
137, 141–142, 171<br />
Kommunistische Union der<br />
Jugend der Tschechischen<br />
Republik (KSM) 141–142, 170<br />
Kommunistischer Jugendverband<br />
Deutschlands (KJVD) 139–141, 168<br />
Kontinentale Verbindungsbüros<br />
(Continental Liason Offices) 165<br />
Koordination der kurdischen<br />
demokratischen Gesellschaft<br />
in Europa (CDK) 159<br />
Kurdisch-Deutscher Freundschaftsverein<br />
Erfurt e.V. 161–163, 168<br />
Kurdische Demokratische<br />
Volksunion (YDK) 159<br />
Kurdischer Nationalkongress<br />
(KNK) 157, 163<br />
Lebensschutz-Informationen<br />
(LSI) 105<br />
Linksruck 128<br />
Sachregister<br />
233
234<br />
Sachregister<br />
M<br />
N<br />
Marxistisch-Leninistische Partei<br />
Deutschlands (MLPD)<br />
mila26<br />
Ministerium für Staatssicherheit<br />
115<br />
der DDR (MfS) 12, 185<br />
Moshpit (Skinheadband) 92–94<br />
Nationaldemokratische Partei<br />
Deutschlands (NPD)<br />
128, 131, 142–145,<br />
170–171<br />
3–4, 17–19, 22–37,<br />
39–52, 54–55, 57–59,<br />
62–64, 66–67, 70–78,<br />
80–82, 88–89, 96,<br />
100–101, 104–105,<br />
119–121, 124, 128<br />
Nationale Sozialisten 69<br />
Nationaler Widerstand 62<br />
Nationaler Widerstand Erfurt 69<br />
National-Zeitung/Deutsche<br />
Wochenzeitung (NZ)<br />
53–54<br />
Nationale Bildungskreis (NBK)<br />
Nationale Sozialisten Alten-<br />
51<br />
burger Land 65–66<br />
Neonazis 72, 75–77, 89, 100,<br />
169<br />
NS-Black Metal (NSBM) 85, 91<br />
N Office of Special Affairs (OSA) 165<br />
Outlaws MC 175–176<br />
P PAK 88 (Skinheadband) 92, 99–100<br />
perplex 51<br />
Pro Kid e.V. 74<br />
R Rabenschrei (Skinheadband) 93<br />
Rabiat (Skinheadband)<br />
R.A.C. (Rock gegen Kommunis-<br />
93<br />
mus) 91
Radikahl 92–93<br />
REBELL 142–145, 170<br />
Rechts vor Links 51<br />
Rechtsroxx Erfurt e.V. 74<br />
Red Devils MC 176<br />
Reichsbürgerbewegung (RBB) 105<br />
Religious Technology Center<br />
(RTC) 165<br />
Rock für Deutschland 3, 31, 46–47, 49, 89,<br />
100, 170<br />
ROJ-TV 158, 160, 163<br />
Rote Hilfe e.V. (RH) 145–146<br />
Rotfüchse 144–145<br />
S Schinderhannes 51<br />
Schöner Leben in Erfurt e.V. 73, 79<br />
Schulhof-CD 42, 173<br />
SERXWEBUN 156<br />
SKD (Skinheadband) 92–94, 99–100, 164<br />
Skinheads 83, 85, 90, 102<br />
Skuld (Skinheadband) 92<br />
Sozialistische Deutsche<br />
Arbeiterjugend (SDAJ)<br />
122, 135–138,<br />
141–142<br />
Sportgemeinschaft Germania<br />
e.V. 73–74<br />
Stachel 51<br />
Stahlpakt MC 177<br />
Stimme von und für Elbe-Saale 142<br />
SV Vorwärts Erfurt e.V. 73<br />
T Thüringen Stimme 22, 39–41, 43–45<br />
Thüringenreport 135, 138<br />
Sachregister<br />
235
236<br />
Sachregister<br />
V<br />
Thüringentag der nationalen<br />
Jugend<br />
Thüringer G8-Protest-Ratschlag 128<br />
Totenburg (NSBM-Band) 92<br />
Türk Intikam Birligi (Türkische<br />
Racheeinheiten – TIB) 163<br />
35, 47, 82, 89, 100, 169<br />
Verein zur Rehabilitierung der<br />
wegen Bestreitens des Holocaust<br />
Verfolgten (VRBHV) 105<br />
Volksfront von Rechts 17–19, 24, 28–29, 35,<br />
45, 56, 62, 64<br />
Volkskongress Kurdistans<br />
(KONGRA GEL) 150, 156–163<br />
U Unsere Zeit (UZ) (Publikation) 135–137<br />
W Wartburgkreis Bote 79<br />
WB Magazin 82, 103<br />
W & B Records 101, 103<br />
W & B Versand 64, 82<br />
White Power 85–86, 89<br />
White Youth 87<br />
Wolfssang (Skinheadband) 92–93<br />
Y Yeni Özgür Politika (YÖP) 162
A Apfel, Holger 50<br />
Aydar, Zübeyir 156–158, 163<br />
B Bärthel, Christian 57<br />
Bäz-Dölle, Uwe 35, 55, 80<br />
Bakunin, Michail 129<br />
Beck, Walter 35, 37, 50, 55<br />
Busse, Friedhelm 52<br />
D Deckert, Günter 105<br />
Donaldson, Ian Stuart 86, 90<br />
E Engels, Friedrich 111, 136, 139<br />
F Frenck, Tommy 73<br />
Frey, Dr. Gerhard 54<br />
G Gerlach, Thomas 45, 65–66<br />
Gündüzgiden, Yilmaz 161<br />
H Haverbeck, Werner Georg 105<br />
Haverbeck-Wetzel, Ursula 105<br />
Heise, Thorsten 31, 63–65, 74, 101<br />
Heller, Hendrik 43<br />
Heß, Rudolf 49<br />
Honecker, Erich 139<br />
Hoppe, Kurt 35, 57<br />
Hubbard, Lafayette Ronald 165<br />
K Kappel, Dr. Heiner 56–57<br />
Kaiser, Christian 52<br />
Kropotkin, Peter 129<br />
Kuhlemann, Alfred 57<br />
Personenregister<br />
237
238<br />
Personenregister<br />
L Lemke, Maximilian 70, 93<br />
Lenin, Wladimir Iljitsch 111, 136, 139<br />
Liebknecht, Karl 139<br />
Luxemburg, Rosa 139<br />
M Mahler, Horst 105<br />
Mao Tse-Tung 111<br />
Marx, Karl 111<br />
Marx, Peter 37<br />
Miscavige, David 165<br />
O Oberlercher, Dr. Reinhold 106<br />
Öcalan, Abdullah 157–158, 160–163<br />
P Pastörs, Udo 52<br />
Pätzold, Ulrich 56–57<br />
Paul, Patrick 69, 74, 80<br />
Pieck, Wilhelm 139<br />
R Reiche, Sebastian 78<br />
Rieger, Jürgen 104<br />
Rochow, Stefan 52<br />
Rolle, Dieter 139<br />
Rühlemann, Martin 67<br />
S Schäfer, Michael 51<br />
Schwerdt, Frank 30–31, 37, 50<br />
Stalin, Jossif Wissarionowitsch 111, 139<br />
Stehr, Heinz 136<br />
T Thälmann, Ernst 139, 141<br />
Traut, Jochen 134<br />
Trinkaus, Kai-Uwe 42, 72–74<br />
Trotzki, Lew Dawidowitsch 111
U Ulbricht, Walter 139<br />
V Voigt, Udo 23, 28, 37, 50<br />
W Wagenknecht, Sahra 133<br />
Weinlich, Dominik 52<br />
Wiechmann, Claudia 56–57<br />
Wieschke, Patrick 43, 47, 50, 74, 78–79<br />
Wohlleben, Ralf 40, 50, 70<br />
Worch, Christian 62<br />
Y Yigit, Ali 163<br />
Personenregister<br />
239