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Rechtsextremismus

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Verfassungsschutzbericht 2007<br />

Thüringer Innenministerium<br />

Verfassungsschutzbericht 2007


Verfassungsschutzbericht<br />

Freistaat Thüringen<br />

2007


Juni 2008<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber: Thüringer Innenministerium<br />

Steigerstraße 24<br />

99096 Erfurt<br />

Telefon: (03 61) 37-9 00<br />

Der Verfassungsschutzbericht 2007<br />

ist im Internet abrufbar unter:<br />

www.verfassungsschutz.thueringen.de


Vorwort<br />

Auch im Jahr 2007 hat es im Freistaat Thüringen verschiedenste Bestrebungen<br />

aus dem gesamten Spektrum des politischen Extremismus<br />

gegeben, die auf die Untergrabung der freiheitlichen demokratischen<br />

Grundordnung abzielten. Der Beobachtung des <strong>Rechtsextremismus</strong><br />

kam in Thüringen besonderes Gewicht zu. Innerhalb des Linksextremismus<br />

rückte die Beobachtung der Autonomen und sonstigen<br />

gewaltbereiten Linksextremisten in den Vordergrund. Bei der Aufklärung<br />

islamistischer Personenzusammenschlüsse wirkte das Landesamt<br />

für Verfassungsschutz an bundesweiten Projekten mit.<br />

Der Thüringer Landesverband der „Nationaldemokratischen Partei<br />

Deutschlands“ (NPD) war im Berichtszeitraum vorrangig bemüht,<br />

die öffentliche Wahrnehmung der Partei zu erhöhen. In Vorbereitung<br />

auf die Kommunal- und Landtagswahlen 2009 organisierte<br />

der Verband eine über zwei Monate laufende Mitgliederkampagne,<br />

in deren Ergebnis er einen Zuwachs auf ca. 550 Parteianhänger<br />

vermeldete. Mit der Gründung scheinbar seriöser Vereine und den<br />

Versuchen, sich stärker kommunalpolitisch in Szene zu setzen, war<br />

die Partei bestrebt, ihren Einflussradius weiter auszudehnen. Dass<br />

dies entgegen den parteieigenen Erfolgsmeldungen längst nicht in<br />

ausreichendem Maße gelungen ist, offenbarte der NPD-Landesparteitag<br />

im Dezember. Dennoch – die Thüringer NPD intensivierte<br />

ihre Vernetzung mit der Neonaziszene, deren Führungskräfte die<br />

Partei entweder unterstützen oder ihr zwischenzeitlich beigetreten<br />

sind. Gemeinsam wurden erste Bemühungen unternommen, die<br />

bereits 2005 getroffene Vereinbarung mit der „Deutschen Volksunion“<br />

(DVU), wonach diese 2009 in Thüringen zur Landtagswahl<br />

antreten wird, zu Gunsten der NPD aufzuheben.<br />

Auch diverse öffentliche Veranstaltungen wurden in enger Kooperation<br />

mit dem Neonazispektrum abgewickelt. Mit Kundgebungen<br />

wie „Rock für Deutschland“ oder dem „Fest der Völker“ hielt<br />

die NPD an der Strategie fest, politische Agitation mit rechtsextremistischer<br />

Musik zu verbinden. Beide Veranstaltungen fanden<br />

überregionale Resonanz. Allein zum „Fest der Völker“ reisten ca.<br />

1.400 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen<br />

Ausland an.<br />

Vorwort<br />

3


4<br />

Vorwort<br />

Durch intensive Zusammenarbeit der Thüringer Sicherheitsbehörden<br />

gelang es, die Zahl rechtsextremistischer Konzerte im Berichtszeitraum<br />

weiter einzudämmen. Sechs von insgesamt acht Konzerten<br />

konnten aufgelöst, zwei weitere bereits im Vorfeld verhindert<br />

werden.<br />

Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der linksextremistischen Szene<br />

wurden in Thüringen von autonomen Gruppierungen dominiert,<br />

obwohl diese – entgegen dem bundesweiten Trend – Anhänger<br />

verloren haben. Einzelne Aktionen, die nach entsprechender<br />

Mobilisierung zahlreiche Unterstützer aus anderen Bundesländern<br />

anzogen, waren von gewalttätigen Ausschreitungen geprägt. So<br />

setzten sich am 1. Mai ca. 500 gewaltbereite Linksextremisten aus<br />

einem Demonstrationszug gegen eine NPD-Kundgebung ab und<br />

suchten die direkte Konfrontation sowohl mit rechtsextremistischen<br />

Demonstranten als auch der Polizei. Von verschiedenen linksextremistischen<br />

Gruppierungen war zur Teilnahme an den Protesten<br />

gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm aufgerufen worden. Im<br />

Berichtszeitraum war zudem eine vermehrte Beteiligung autonomer<br />

Gruppierungen an gegen rechtsextremistische Bestrebungen<br />

gerichteten Protestaktionen nichtextremistischer Bündnisse zu beobachten.<br />

Der Antifaschismus blieb auch 2007 das wichtigste Aktionsfeld<br />

der Autonomen, die in diesem Zusammenhang behaupten,<br />

auch die Zivilgesellschaft müsse, da von einem rechten Konsens<br />

geprägt, bekämpft werden.<br />

Marxistisch-leninistische Parteien und Organisationen verfügen in<br />

Thüringen nach wie vor über ein sehr begrenztes Mitgliederpotenzial.<br />

Folglich vermochten sie es auch in 2007 kaum, in der Öffentlichkeit<br />

wahrgenommen zu werden.<br />

Die Aufklärung islamistischer Netzwerke stellt eine unvermindert<br />

große Herausforderung für alle Sicherheitsbehörden dar. Um eine<br />

Optimierung des gegenseitigen Informationsaustausches herbeizuführen,<br />

wurde im Berichtsjahr die „Antiterrordatei“ (ATD) in Betrieb<br />

genommen. Diese ist der zum 1. April eingerichteten „Thüringer<br />

Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und Verfassungsschutz“<br />

(TIAZ) angebunden. Wenngleich der Freistaat derzeit nicht<br />

zu den Regionen Deutschlands zählt, in denen sich islamistische<br />

Personenzusammenschlüsse vorrangig bilden, wirkte das Landesamt<br />

an bundesweiten Abklärungsmaßnahmen durch Verfolgung


von Einzelhinweisen mit. Weniger als ein Prozent der in Thüringen<br />

ansässigen Ausländer neigen islamistischen oder sonstigen ausländerextremistischen<br />

Gruppen und Organisationen zu. Die umfangreichste<br />

Anhängerschaft zählt weiterhin der seit Jahren strukturell<br />

in Thüringen verankerte KONGRA GEL.<br />

Darüber hinaus widmete sich das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />

den Beobachtungsfeldern Organisierte Kriminalität,<br />

Spionageabwehr und der Scientology Organisation.<br />

Die Angriffe auf die freiheitliche demokratische Grundordnung sind<br />

vielfältig und erfordern ein wirkungsvolles Gegensteuern durch<br />

staatliche Institutionen. Den Verfassungsschutzbehörden kommt<br />

als „Frühwarnsystem“ besondere Verantwortung bei der Absicherung<br />

der konstitutiven Elemente des demokratischen Rechtsstaats<br />

zu. Der vorliegende Bericht soll über verfassungsfeindliche Bestrebungen<br />

im Freistaat informieren und zugleich als Appell an die<br />

gesamte Gesellschaft verstanden werden, sich für die hohen Güter<br />

Demokratie und Freiheit gemeinschaftlich zu engagieren.<br />

Manfred Scherer<br />

Thüringer Innenminister<br />

Erfurt, Juni 2008<br />

Vorwort<br />

5


6<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

I. Einige Informationen<br />

zum Verfassungsschutz<br />

1. Verfassungsschutz – Instrument streitbarer Demokratie 11<br />

2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) 12<br />

3. Verfassungsschutz durch Aufklärung 15<br />

II. <strong>Rechtsextremismus</strong><br />

1. Überblick 17<br />

1.1 Das rechtsextremistische Potenzial<br />

in der Bundesrepublik Deutschland 17<br />

1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen 18<br />

2. Ideologischer Hintergrund 20<br />

3. Rechtsextremistische Parteien 22<br />

3.1 „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) 22<br />

3.1.1 Der Bundesverband der NPD 23<br />

3.1.1.1 Entwicklung der Partei 23<br />

3.1.1.2 Ideologie der Partei 25<br />

3.1.1.3 Strategie der Partei 26<br />

3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD 30<br />

3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands 30<br />

3.1.2.2 Kreisverbände 31<br />

3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung 32<br />

3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD<br />

zu anderen Rechtsextremisten 33<br />

3.1.2.5 „Mitgliederkampagne 2007“ 35<br />

3.1.2.6 Landesparteitag 37<br />

3.1.2.7 Internet/Publikationen 39<br />

3.1.2.8 Der Landesverband intensiviert seine Arbeit 40<br />

3.1.2.9 Veranstaltungen des Landesverbands 46<br />

3.1.3 „Junge Nationaldemokraten“ (JN) 50<br />

3.1.3.1 Der Bundesverband der JN 50<br />

3.1.3.2 Der Thüringer Landesverband der JN 52


3.2 „Deutsche Volksunion“ (DVU) 53<br />

3.2.1 Der Bundesverband der DVU 53<br />

3.2.2 Der Thüringer Landesverband der DVU 55<br />

3.3 „Deutsche Partei“ (DP) 56<br />

3.3.1 Der Bundesverband der DP 56<br />

3.3.2 Der Thüringer Landesverband der DP 57<br />

4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus) 58<br />

4.1 Ideologischer Hintergrund 58<br />

4.2 Organisationsformen der Neonaziszene im<br />

Allgemeinen 59<br />

4.3 Zusammenarbeit mit der NPD 62<br />

4.4 Personenpotenzial und Gruppierungen der<br />

Neonaziszene in Thüringen 63<br />

4.4.1 Kameradschaften 63<br />

4.4.2 Sonstige Personenzusammenschlüsse 69<br />

4.5 Exkurs: Vereinsaktivitäten von Thüringer<br />

Rechtsextremisten 72<br />

4.6 Gewaltpotential der Neonaziszene 75<br />

4.7 Aktivitäten und Agitationsschwerpunkte der<br />

Neonaziszene 76<br />

4.8 Exkurs: Von Rechtsextremisten herausgegebene<br />

Regionalzeitungen in Thüringen 77<br />

4.9 Exkurs: Nutzung des Internets durch<br />

Rechtsextremisten 80<br />

5. Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite<br />

Rechtsextremisten 83<br />

5.1 Entstehung und Ideologie der Skinheadsubkultur 84<br />

5.2 Strukturen der Skinheadszene 86<br />

5.3 Kontakte zu anderen rechtsextremistischen<br />

Gruppierungen 88<br />

5.4 Wirkung und Facetten rechtsextremistischer Musik in<br />

Thüringen 90<br />

5.5 Die rechtsextremistische Musikszene in Thüringen 92<br />

5.6 Organisation und Ablauf rechtsextremistischer<br />

Konzerte im Allgemeinen 95<br />

5.7 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen 96<br />

5.8 Rechtsextremistische Produktions- und<br />

Vertriebsstrukturen 101<br />

5.9 Rechtsextremistische Fanzines 102<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

7


8<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

6. Sonstige Gruppierungen 103<br />

6.1 „Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-<br />

Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.“<br />

(Artgemeinschaft) 104<br />

6.2 „Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) –<br />

der Bismarck Deutsche“ 105<br />

6.3 „Collegium Humanum e.V.“ (CH) 105<br />

6.4 „Deutsches Kolleg“ (DK) 106<br />

6.5 „Exilregierung Deutsches Reich“ 106<br />

7. Politische motivierte Kriminalität – Rechts –<br />

im Überblick 107<br />

III. Linksextremismus<br />

1. Überblick 109<br />

2. Ideologischer Hintergrund 111<br />

3. Autonome 112<br />

3.1 Allgemeines 112<br />

3.2 Die autonome Szene in Thüringen 116<br />

3.3 Thüringer Autonome und ihr<br />

Antifaschismusverständnis 118<br />

3.4 Bundesweite Aktionen mit Unterstützung oder unter<br />

Beteiligung Thüringer autonomer Gruppen 124<br />

3.5. Exkurs: Beteiligung von Linksextremisten an<br />

Protestaktionen gegen den G8-Gipfel vom<br />

6. bis 8. Juni in Heiligendamm<br />

(Mecklenburg-Vorpommern) 126<br />

4. Anarchisten 129<br />

4.1 „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion“ (FAU)<br />

mit Anbindung an die „Internationale Arbeiter<br />

Assoziation“ (IAA) 130<br />

4.2 Exkurs: Beispiel anarchistischer Selbstverwaltung<br />

oder Weiterführung kapitalistischer Konkurrenz? –<br />

Unterschiedliche Bewertung eines „Thüringer<br />

Experiments“ durch Links-extremisten 131


5. Marxistisch-leninistische Parteien und sonstige<br />

Organisationen 132<br />

5.1 „Kommunistische Plattform“ (KPF) der Partei<br />

„DIE LINKE.“ 132<br />

5.2 „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) 135<br />

5.3 „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD) 139<br />

5.4 Thüringer Kommunisten in Aktionseinheit 141<br />

5.5 „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“<br />

(MLPD) 142<br />

5.6 „Rote Hilfe e.V.“ (RH) 145<br />

6. Politisch motivierte Kriminalität – Links –<br />

im Überblick 146<br />

IV. Ausländerextremismus<br />

1. Überblick 148<br />

2. Islamismus 151<br />

2.1 Islamismus in Thüringen 154<br />

3. „Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA GEL) 156<br />

3.1 Strategiewechsel, Umbenennung, allgemeine Lage 157<br />

3.2 Themenschwerpunkte 158<br />

3.3 Organisatorische Situation 159<br />

3.4 Finanzierung 160<br />

3.5 Propagandamittel und Veranstaltungen 160<br />

3.6 Der KONGRA GEL in Thüringen 161<br />

V. Scientology Organisation (SO)<br />

1. Gesetzliche Grundlagen für die Beobachtung 164<br />

2. Organisationsstruktur 165<br />

3. SO in Thüringen 166<br />

VI. Ereigniskalender Extremistischer<br />

Bestrebungen in Thüringen 167<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

9


10<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

VII. Organisierte Kriminalität (OK)<br />

1. Aufgaben des Verfassungsschutzes 174<br />

2. Beobachtungsschwerpunkte 175<br />

3. Fazit 178<br />

VIII. Spionageabwehr<br />

1. Überblick 179<br />

2. Proliferation 180<br />

3. Wirtschaftsspionage 182<br />

4. Ausblick 185<br />

5. Frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen<br />

der Aufklärungs- und Abwehrdienste der<br />

ehemaligen DDR 185<br />

IX. Geheimschutz<br />

1. Allgemeines 186<br />

2. Personeller Geheimschutz 186<br />

3. Materieller Geheimschutz 188<br />

4. Sonstige Überprüfungen 189<br />

Anhang<br />

Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) 190<br />

Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) 206


I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz<br />

1. Verfassungsschutz –<br />

Instrument der streitbaren Demokratie<br />

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung<br />

des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen<br />

und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nicht zuletzt aufgrund<br />

der Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung ist es die Aufgabe<br />

der Gesellschaft, denjenigen Kräften entgegenzuwirken, die die<br />

freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Das<br />

Grundgesetz legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen<br />

demokratischen Rechtsstaats fest, es trifft auch Vorkehrungen<br />

zu seinem Schutz.<br />

Die streitbare Demokratie beschreitet – notwendigerweise – einen<br />

schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich<br />

Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien,<br />

die den demokratischen Staat beseitigen wollen, stehen die<br />

Freiheitsrechte – wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung,<br />

Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht<br />

– zu.<br />

Jedoch liefert sich die streitbare Demokratie den Bestrebungen von<br />

politischen Extremisten nicht tatenlos aus. So ist beispielsweise nach<br />

den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes das Verbot verfassungswidriger<br />

Parteien und Vereine oder nach Artikel 18 die Aberkennung<br />

von Grundrechten möglich. Außerdem verfügt unser Rechtsstaat über<br />

effektive Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, als „Frühwarnsystem“<br />

politischen Extremisten entgegenzuwirken und die konstitutiven<br />

Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung<br />

abzusichern. Ein wesentliches Element der streitbaren Demokratie<br />

stellen die 17 Verfassungsschutzbehörden dar, die der Bund und die<br />

Länder unterhalten. Im Freistaat Thüringen ist die Verfassungsschutzbehörde<br />

als Landesoberbehörde 1991 errichtet worden.<br />

Die Verfassungsschutzbehörden gehen vor allem der Frage nach,<br />

aus welchen Parteien, Gruppierungen und Personen sich das ex-<br />

Informationen<br />

11


12<br />

Informationen<br />

tremistische Spektrum zusammensetzt und welche Ziele es verfolgt.<br />

Ebenso klären sie Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste<br />

auf. In einigen Bundesländern, darunter Thüringen,<br />

beobachtet der Verfassungsschutz Bestrebungen der Organisierten<br />

Kriminalität (OK). Die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden<br />

sollen es den zuständigen Stellen ermöglichen, rechtzeitig die<br />

erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche<br />

demokratische Grundordnung sowie solcher Gefahren zu<br />

treffen, die von Aktivitäten der OK ausgehen.<br />

Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen der Kontrolle insbesondere<br />

durch die Innenminister, durch die von den Parlamenten<br />

eingesetzten Kontrollgremien, durch die Gerichte, durch die<br />

Bundes- bzw. Landesbeauftragten für Datenschutz sowie durch<br />

die Medien. Sie besitzen keine Zwangsbefugnisse, die vorrangig<br />

in die Zuständigkeit der Polizeibehörden fallen. Sie unterscheiden<br />

sich grundlegend sowohl von der „Geheimen Staatspolizei“<br />

(Gestapo) der Nationalsozialisten als auch vom Ministerium für<br />

Staatssicherheit der DDR (MfS). Jene waren darauf ausgerichtet,<br />

totalitäre Staaten abzusichern und abzuschirmen, wohingegen der<br />

Verfassungsschutz die freiheitliche demokratische Grundordnung<br />

schützt. Darüber hinaus besaß das MfS keinerlei rechtsstaatliche<br />

gesetzliche Grundlage und unterlag dementsprechend auch keiner<br />

rechtsstaatlichen Kontrolle. Verstand sich die Staatssicherheit als<br />

„Schild und Schwert der SED“, dienen die Verfassungsschutzbehörden<br />

keiner Partei, sondern sind dem Mehrparteiensystem verpflichtet.<br />

2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />

(TLfV)<br />

Aufbau und Organisation des TLfV<br />

Das TLfV verfügte im Haushaltsjahr 2007 über 98 Stellen und Planstellen.<br />

Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch<br />

Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 5.342.400 € zugewiesen. Das<br />

Amt ist wie folgt strukturiert:


Abteilung 1<br />

Zentrale<br />

Dienste<br />

Abteilung 2<br />

Auswertung<br />

Die Fachaufsicht über das Landesamt führt das Thüringer Innenministerium,<br />

Referat „Verfassungsschutz, Geheimschutz“.<br />

Abteilung „Zentrale Dienste“<br />

Präsident<br />

Abteilung 3<br />

Beschaffung<br />

Abteilung 4<br />

Spionageabwehr,<br />

Geheimschutz,<br />

Organisierte<br />

Kriminalitt<br />

Die Abteilung „Zentrale Dienste“ ist für den inneren Dienstbetrieb<br />

und für fachübergreifende Aufgaben des Amtes zuständig.<br />

Sie umfasst die Bereiche Grundsatz- und Rechtsfragen, Verfahren<br />

der Post- und Telekommunikationsüberwachung (G10), Personal,<br />

Haushalt, Innerer Dienst, EDV sowie Registratur, Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Berichtswesen. Von den nach außen wirksamen Aktivitäten<br />

dieser Abteilung sind die Organisation und Durchführung von<br />

Vorträgen, die Beantwortung von Bürgeranfragen und die Herausgabe<br />

periodischer Berichte hervorzuheben. Im Jahre 2007 hielten<br />

Mitarbeiter des TLfV über 30 Vorträge, die die verschiedenen Beobachtungsbereiche<br />

des Verfassungsschutzes betrafen. Sie richteten<br />

sich vorrangig an Multiplikatoren aus Politik, politischer Bildung,<br />

Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch an Lehrer und Schüler, in<br />

der Jugend- und Sozialarbeit Tätige sowie an die Vertreter unterschiedlichster<br />

Thüringer Verbände und gesellschaftlicher Interessengruppen.<br />

Außerdem wirkte das TLfV – wie in den Jahren zuvor<br />

– auch beratend und unterstützend an verschiedenen kommunalen<br />

Präventionsprojekten mit.<br />

Seine periodische Berichterstattung versteht das TLfV als Serviceangebot<br />

gegenüber der Öffentlichkeit und den Fachbehörden, insbesondere<br />

solchen, die Aufgaben der öffentlichen Sicherheit und<br />

Ordnung wahrnehmen.<br />

Informationen<br />

13


14<br />

Informationen<br />

Abteilung „Auswertung“<br />

Die Abteilung „Auswertung“ erhält von der Abteilung „Beschaffung“<br />

Informationen zu den Aufgabenfeldern Links-, Rechts- und<br />

Ausländerextremismus. Sie lenkt diesen Informationsfluss, führt<br />

die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen<br />

Informationsquellen, zusammen und wertet sie aus.<br />

Abteilung „Beschaffung“<br />

Die Abteilung „Beschaffung“ hat die Aufgabe, durch Ermittlungen<br />

und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln (z. B. Observationen,<br />

Führen von sog. Vertrauensleuten) die für die Erfüllung des<br />

gesetzlichen Auftrags erforderlichen Informationen zu beschaffen.<br />

Abteilung „Spionageabwehr, Geheimschutz, Organisierte<br />

Kriminalität“<br />

Dieser Abteilung obliegt es, die unerlaubte Tätigkeit fremder und<br />

ehemaliger, aber fortwirkender Nachrichtendienste im Freistaat<br />

aufzuklären. Darüber hinaus hat sie die Aufgabe, Informationen<br />

über Bestrebungen der Organisierten Kriminalität in Thüringen zu<br />

sammeln und auszuwerten.<br />

Im Bereich des personellen und materiellen Geheimschutzes werden<br />

Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung<br />

von Geheimnisträgern und Personen, die in sicherheitsempfindlichen<br />

Bereichen tätig sind, unterstützt. Sie werden beraten, wie<br />

Verschlusssachen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen<br />

geschützt werden können.<br />

„Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und<br />

Verfassungsschutz“ (TIAZ)<br />

Am 1. April hat die TIAZ, eine Projektorganisation des Thüringer<br />

Landeskriminalamts (TLKA) und des Thüringer Landesamts für<br />

Verfassungsschutz, die Arbeit aufgenommen. Ihre Aufgabe ist es,<br />

Informationen von Polizei und Verfassungsschutz zu politisch mo-


tivierter Kriminalität in den Phänomenbereichen „Rechts“, „Links“<br />

und „Ausländer“ sowie den Erscheinungsformen des internationalen<br />

Terrorismus zu bündeln und einer gemeinsamen Analyse zuzuführen.<br />

Die TIAZ übernimmt darüber hinaus die Aufgaben des<br />

Freistaats Thüringen im Wirkbetrieb der „Antiterrordatei“ (ATD).<br />

Kontakt:<br />

Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />

Postfach 450 121<br />

99051 Erfurt<br />

Telefon: (03 61) 44 06-0<br />

Telefax: (03 61) 44 06-251<br />

Internet: www.verfassungsschutz.thueringen.de<br />

E-Mail: kontakt@tlfv.thueringen.de<br />

Thüringer Innenministerium<br />

Referat 26<br />

Steigerstraße 24<br />

99096 Erfurt<br />

Telefon: (03 61) 37-93 900<br />

Telefax: (03 61) 37-93 111<br />

3. Verfassungsschutz durch Aufklärung<br />

Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann nicht allein<br />

von staatlichen Behörden geschützt werden. Die Feinde unseres<br />

Rechtsstaats, die unser politisches System durch autoritäre oder<br />

totalitäre Regimes ersetzen wollen, können nur dann mit Erfolg<br />

bekämpft werden, wenn diese Aufgabe als gesamtgesellschaftliche<br />

Verpflichtung begriffen wird. Es ist die gesamte Zivilgesellschaft, es<br />

sind alle Bürgerinnen und Bürger gefordert, sich mit den Feinden<br />

der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geistig und politisch<br />

auseinanderzusetzen.<br />

Die Bedeutung der politischen Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen<br />

Bestrebungen erfordert eine umfangreiche Aufklärung<br />

über die Gefahren, die durch den politischen Extremismus<br />

drohen. Information und Aufklärung sind für den Bürger erfor-<br />

Informationen<br />

15


16<br />

Informationen<br />

derlich, um die wahren Absichten extremistischer Bestrebungen<br />

durchschauen zu können. Daher nehmen präventiv ausgerichtete<br />

Aktivitäten der Verfassungsschutzbehörden, mit denen zur Aufklärung<br />

der Bevölkerung über Erscheinungsformen und Hintergründe<br />

des politischen Extremismus beigetragen werden soll, im Rahmen<br />

der Öffentlichkeitsarbeit einen breiten Raum ein.<br />

Es liegt im Interesse eines jeden Einzelnen, dass diejenigen, die<br />

politische Verantwortung tragen, durch die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes<br />

rechtzeitig in die Lage versetzt werden, verfassungsfeindliche<br />

Bestrebungen abzuwehren und zu bekämpfen.<br />

Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden stellt sicher, dass Regierungen<br />

und Parlamente, aber auch die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche<br />

Organisationen und Bestrebungen informiert<br />

werden. Im Freistaat Thüringen wird die Öffentlichkeitsarbeit im<br />

Bereich des Verfassungsschutzes sowohl vom Thüringer Innenministerium<br />

als auch vom TLfV wahrgenommen.<br />

Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Innenministeriums und<br />

des TLfV ist die Information der Bürgerinnen und Bürger durch den<br />

jährlichen Verfassungsschutzbericht.<br />

Der Verfassungsschutzbericht wird an Behörden, Institutionen,<br />

Schulen und interessierte Bürgerinnen und Bürger auf Anforderung<br />

kostenlos versandt. Er kann auch im Internet unter „www.verfassungsschutz.thueringen.de“<br />

abgerufen werden.


1. Überblick<br />

1.1 Das rechtsextremistische Potenzial<br />

in der Bundesrepublik Deutschland<br />

Im rechtsextremistischen Spektrum setzten sich im Berichtszeitraum<br />

die Entwicklungstendenzen fort, die seit dem Jahr 2004 zu<br />

beobachten sind. Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“<br />

(NPD) bildete auch 2007 einen Kristallisationspunkt für<br />

die anhaltenden Versuche zur Einigung des rechtsextremistischen<br />

Lagers. Die Zusammenarbeit der Partei mit den „Freien Kräften“<br />

und der „Deutschen Volksunion“ (DVU) in der „Volksfront von<br />

Rechts“ 1 wurde fortgesetzt. Der in den Vorjahren verzeichnete starke<br />

Mitgliederzuwachs der NPD verlangsamte sich im Berichtsjahr<br />

deutlich. So konnte die Partei die Zahl ihrer Mitglieder von etwa<br />

7.000 im Jahr 2006 nur leicht auf ca. 7.200 im Berichtszeitraum<br />

steigern. Die NPD ist gegenwärtig in den Landtagen von Sachsen<br />

und Mecklenburg-Vorpommern vertreten.<br />

Die Mitgliederzahl der DVU sank hingegen von ca. 8.500 im Jahr<br />

2006 auf etwa 7.000 im Berichtsjahr. Die Partei ist nunmehr nach<br />

der NPD lediglich die zweitgrößte Partei des rechtsextremistischen<br />

Lagers. Auf dieses vermag sie – im Unterschied zur NPD – nur<br />

äußerst geringen Einfluss auszuüben. Von den Vereinbarungen des<br />

„Deutschlandpakts“ 2 profitiert sie kaum. Einzig in Brandenburg gehört<br />

die DVU dem Landesparlament an.<br />

Die Anhängerschaft der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten<br />

Rechtsextremisten belief sich 2007 in der Bundesrepublik<br />

auf ca. 10.000 Personen (2006: 10.400). Die Abkehr von der Skinheadsubkultur<br />

hat sich im Berichtszeitraum weiter fortgesetzt, was<br />

1 Siehe Kapitel 3.1.1.3.<br />

2 Ebenda.<br />

II. <strong>Rechtsextremismus</strong><br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

17


18<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

sich sowohl in den Musikstilen rechtsextremistischer Bands als auch<br />

im veränderten Erscheinungsbild von Szeneangehörigen widerspiegelt.<br />

Im Vergleich zum Vorjahr wurden weniger rechtsextremistische<br />

Konzerte registriert. Von insgesamt 138 Veranstaltungen (2006: 163)<br />

wurden 20 aufgelöst. Weitere 21 wurden im Vorfeld verhindert.<br />

Das bundesweite neonazistische Personenpotenzial verzeichnete<br />

gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs auf etwa 4.400 Personen<br />

(2006: ca. 4.200). Dennoch stellt dieses Spektrum gegenwärtig in<br />

vielen Bundesländern kaum noch eine eigenständige Kraft dar. Nahezu<br />

alle führenden Neonazis haben sich im Rahmen der „Volksfront<br />

von Rechts“ mit der NPD arrangiert. Ein Großteil ist der NPD<br />

beigetreten und nimmt dort zum Teil Funktionen wahr. Nur wenige<br />

führende Neonazis sind der NPD gegenüber kritisch eingestellt.<br />

Allerdings könnte das Ausbleiben der erhofften NPD-Wahlerfolge<br />

zum Erstarken dieser Minderheit führen. Innerhalb der bundesweiten<br />

Neonaziszene hat der Anteil „Autonomer Nationalisten“ zugenommen,<br />

er dürfte inzwischen ca. 10 % betragen.<br />

1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen<br />

Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Parteien und Spektren 3<br />

Freistaat Thüringen Bund<br />

2005 2006 2007 2007<br />

NPD 240 380 550 7.200<br />

DVU 80 60 50 7.000<br />

DP 20 15 unter 10 250<br />

Subkulturell geprägte und sonstige<br />

gewaltbereite Rechtsextremisten<br />

530 530 530 10.000<br />

Neonazis 230 200 160 4.400<br />

3 Zahlen gerundet, z. T. geschätzt.<br />

Bei den angeführten Parteien und Spektren gibt es Mehrfachmitgliedschaften. Hinsichtlich der Partei<br />

„Die Republikaner“ (REP) liegen derzeit keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für<br />

Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, die eine gesonderte Darstellung<br />

im Verfassungsschutzbericht geboten erscheinen lassen. Innerhalb der Partei gibt es jedoch nach wie vor<br />

Kräfte, die rechtsextremistische Ziele verfolgen oder unterstützen. Von den Mitgliedern der DP verfolgt<br />

nur ein Teil rechtsextremistische Bestrebungen.


Die Entwicklung, die das rechtsextremistische Spektrum im Berichtszeitraum<br />

im Freistaat prägte, entsprach im Wesentlichen dem<br />

bundesweiten Trend.<br />

Auch in Thüringen war die NPD jene Kraft, die am stärksten auf das<br />

rechtsextremistische Spektrum einwirkte. Sie entfaltete abermals<br />

zahlreiche Aktivitäten, intensivierte ihre Parteiarbeit und weitete<br />

ihre Strukturen aus. Zahlreiche Personen, darunter auch Neonazis,<br />

traten der NPD bei. Infolgedessen stieg die Zahl ihrer Mitglieder<br />

im Vergleich zum Vorjahr von etwa 380 auf etwa 550 stark an. Mit<br />

Blick auf die im Jahr 2009 im Freistaat anstehenden Kommunal-<br />

und Landtagswahlen war die NPD bereits im Berichtsjahr bestrebt,<br />

ihr kommunalpolitisches Engagement zu verstärken.<br />

Der Landesverband der DVU blieb auch 2007 weitgehend inaktiv.<br />

Der Organisationsgrad des Landesverbands ist gering. Die Zahl<br />

seiner Mitglieder ging von ca. 60 im Jahr 2006 auf etwa 50 im<br />

Berichtszeitraum abermals zurück. Der Landesverband der „Deutschen<br />

Partei“ (DP) ist gegenwärtig in Auflösung begriffen; im Jahr<br />

2007 zählte er weniger als 10 Mitglieder.<br />

Aus den Reihen der NPD und der „Freien Kräfte“ wurden Stimmen,<br />

die sich für einen eigenen Antritt der NPD bei der Thüringer<br />

Landtagswahl 2009 aussprechen, zunehmend lauter. Da diese<br />

Forderung den von NPD und DVU im „Deutschlandpakt“ verankerten<br />

Vereinbarungen zuwider läuft, könnte hieraus eine Zerreißprobe<br />

auch für die bundesweite Kooperation beider Parteien erwachsen.<br />

Die anhaltende Dezimierung der Thüringer Neonaziszene ist vorrangig<br />

auf NPD-Eintritte eines Großteils ihrer Anhänger zurückzuführen.<br />

Wurden diesem Spektrum im Vorjahr noch 200 Personen<br />

zugerechnet, sind es nunmehr ca. 160. Die Zahl der Kameradschaften<br />

(4) blieb hingegen konstant. Anders als im übrigen Bundesgebiet<br />

hat die neonazistische Szene in Thüringen ihre Eigenständigkeit<br />

gegenüber der NPD weitgehend eingebüßt. Ursächlich<br />

hierfür ist vor allem das von der NPD Thüringen seit 2004 konsequent<br />

umgesetzte Konzept einer „Volksfront von Rechts“, mit dem<br />

genau jene Verzahnung realisiert werden soll. Die noch nicht zur<br />

NPD gewechselten Neonazis zeigen sich der Zusammenarbeit mit<br />

der Partei gegenüber aufgeschlossen.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

19


20<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Die Zahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten<br />

Rechtsextremisten blieb in Thüringen mit etwa 530 Personen<br />

seit 2005 unverändert. Die Anzahl der im Freistaat durchgeführten<br />

rechtsextremistischen Konzerte ging von zwölf im Jahr 2006<br />

auf acht im Berichtszeitraum zurück. Sechs dieser Veranstaltungen<br />

konnten von der Polizei aufgelöst, zwei weitere bereits im Vorfeld<br />

verhindert werden. Durch intensive Zusammenarbeit der Thüringer<br />

Sicherheitsbehörden gelang es, diese Form rechtsextremistischer<br />

Betätigungen merklich einzudämmen.<br />

2. Ideologischer Hintergrund<br />

Rechtsextremistisches Denken wurzelt nicht in einer fest strukturierten<br />

Ideologie. Es setzt sich aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher<br />

ideengeschichtlicher Herkunft zusammen, die<br />

innerhalb der jeweiligen Ausprägung des <strong>Rechtsextremismus</strong> in<br />

unterschiedlicher Form zum Ausdruck kommen. Immer wiederkehrende<br />

Grundelemente sind:<br />

• ein überzogener, häufig aggressiver Nationalismus, der das Prinzip<br />

der Völkerverständigung missachtet,<br />

• die Überhöhung des Staats zu einem sich aus sich selbst heraus<br />

rechtfertigenden Wert und die Überbetonung der Staatsinteressen<br />

gegenüber den Freiheitsrechten des Einzelnen (Etatismus),<br />

• eine völkische Ideologie, die sich typischerweise zu Rassenideologie<br />

und Fremdenfeindlichkeit verdichtet, wobei dem Antisemitismus<br />

eine besondere Stellung zukommt,<br />

• das Leugnen oder Verharmlosen der Verbrechen des Nationalsozialismus<br />

sowie das Hervorheben angeblich positiver Elemente<br />

des Dritten Reichs (Revisionismus).<br />

Weitere Elemente stellen die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit<br />

und eine Ideologie der Ungleichwertigkeit dar. Antipluralismus<br />

und Autoritarismus sind in unterschiedlicher ideologischer<br />

Ausdrucksweise bei allen Rechtsextremisten zu finden.<br />

So ist das Weltbild subkulturell geprägter und sonstiger gewaltbereiter<br />

Rechtsextremisten diffus. Ihre Einstellungen werden von<br />

fremdenfeindlichen, oft rassistischen sowie gewaltbejahenden


Ressentiments geprägt. Die Überzeugungen von Neonazis orientieren<br />

sich in der Regel an nationalsozialistischen Vorstellungen<br />

eines totalitären „Führerstaats“ auf rassistischer Grundlage. Sie<br />

konzentrieren sich stärker auf zielgerichtete politische Aktivitäten,<br />

die oftmals sehr aktionistisch angelegt sind. Aus ihrer Sicht ist das<br />

deutsche Volk höherwertig und deshalb vor „rassisch minderwertigen“<br />

Ausländern oder Juden zu schützen. Bei den rechtsextremistischen<br />

Parteien finden sich eher nationalistische Positionen. Ihnen<br />

gilt die Nation als oberstes Prinzip; damit einher geht eine Abwertung<br />

der Menschen- und Bürgerrechte. Dies hat insbesondere<br />

eine Ablehnung der Gleichheitsrechte für diejenigen zur Folge, die<br />

nicht dem – von ihnen ausschließlich ethnisch definierten – „Deutschen<br />

Volk“ angehören. Sie streben nach einem autoritären Staat,<br />

in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung außer Kraft<br />

gesetzt wäre.<br />

Insbesondere Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit<br />

der Regierung gegenüber dem Parlament, Gesetzmäßigkeit der<br />

Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, Mehrparteienprinzip<br />

und Chancengleichheit für alle politischen Parteien sind diejenigen<br />

Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung,<br />

gegen die Rechtsextremisten vorgehen.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

21


22<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

3. Rechtsextremistische Parteien<br />

3.1 „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“<br />

(NPD)<br />

Bund Thüringen<br />

Gründungsjahr 1964 1990<br />

Sitz Berlin Gera<br />

Mitglieder<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

ca. 6.000<br />

ca. 7.000<br />

ca. 7.200<br />

Publikation „Deutsche Stimme“<br />

(DS)<br />

Internet eigener<br />

Internetauftritt<br />

Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“<br />

(JN)<br />

ca. 240<br />

ca. 380<br />

ca. 550<br />

„Thüringen Stimme<br />

– Informationsblatt<br />

des NPD-Landesverbands<br />

Thüringen“<br />

eigener<br />

Internetauftritt<br />

JN-Landesverband<br />

Thüringen mit Stützpunkten<br />

in Erfurt,<br />

Jena, Weimar und<br />

Hildburghausen<br />

Gründungsjahr 1969 2006<br />

Sitz Dresden Jena<br />

Mitglieder<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

ca. 350<br />

ca. 350<br />

ca. 400<br />

ca. 20<br />

ca. 20<br />

ca. 30


3.1.1 Der Bundesverband der NPD<br />

3.1.1.1 Entwicklung der Partei<br />

Die aus der rechtsextremistischen „Deutschen Reichspartei“ hervorgegangene<br />

NPD wurde 1964 gegründet, um das rechtsextremistische<br />

Lager zu sammeln. Bis Ende der sechziger Jahre zählte<br />

die Partei, die in mehreren Landtagen vertreten war, bundesweit<br />

mehr als 25.000 Mitglieder. Bei der Bundestagswahl im Jahre 1969<br />

verfehlte sie mit 4,3 % der Stimmen den Einzug in das Parlament<br />

nur knapp. Diese Niederlage leitete den Niedergang der Partei ein,<br />

der bis in die neunziger Jahre hinein andauerte. Im Jahr 1995 erreichte<br />

er seinen Tiefstand, als der Partei nur noch 2.800 Mitglieder<br />

angehörten.<br />

Nachdem Udo VOIGT 1996 zum Bundesvorsitzenden gewählt<br />

wurde, vollzog die durch Wahlniederlagen geschwächte Partei den<br />

Wandel von einer „Altherrenpartei“ zu einer Partei, die sich als<br />

Spitze einer nationalistischen Protestbewegung versteht. VOIGT<br />

entwickelte nicht nur das „Drei-Säulen-Konzept“, das 2004 auf<br />

ein „Vier-Säulen-Konzept“ 4 ausgeweitet wurde. Er leitete auch in<br />

Bezug auf die Nachwuchsrekrutierung einen Paradigmenwechsel<br />

ein und vertiefte die Verbindungen zum neonazistischen und subkulturellen<br />

Spektrum. Ende der neunziger Jahre gelang es der NPD,<br />

die Anzahl ihrer Mitglieder erheblich zu steigern und den Altersdurchschnitt<br />

wesentlich zu senken.<br />

Udo Voigt<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

4 Siehe Kapitel 3.1.1.3<br />

23


24<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Im Jahr 2001 stellten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat<br />

vor dem Bundesverfassungsgericht Anträge, um die Verfassungswidrigkeit<br />

der NPD feststellen zu lassen und infolgedessen ein<br />

Verbot der Partei zu erwirken. Das Verbotsverfahren wurde 2003<br />

eingestellt, da eine Sperrminorität des Zweiten Senats des Gerichts<br />

die Beobachtung der NPD auf Bundes- und Landesvorstandsebene<br />

durch V-Leute unmittelbar vor und während des Verfahrens als<br />

ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“ bewertet hatte. Da<br />

die NPD während des Verbotsverfahrens aus taktischen Gründen<br />

auf Distanz zum neonazistischen Spektrum ging und öffentlichkeitswirksam<br />

weniger in Erscheinung trat, wandten sich zahlreiche<br />

aktionsorientierte Rechtsextremisten von ihr ab. Infolge dieser Entwicklung<br />

geriet die NPD erneut in einen Abwärtstrend, der sich<br />

auch in einem Rückgang der Mitgliederzahl niederschlug.<br />

Im September 2004 wurde durch die Absprache zwischen der<br />

NPD und großen Teilen der Neonaziszene, künftig offen zusammenzuwirken,<br />

eine neue Entwicklung eingeleitet. Daraus resultierte<br />

das von der NPD propagierte Konzept, die rechtsextremistischen<br />

Parteien und „Freien Kräfte“ in einer „Volksfront von Rechts“ 5 zusammenzuführen,<br />

um als „Gesamtbewegung des nationalen Widerstands“<br />

geschlossen gegen das politische System der Bundesrepublik<br />

vorzugehen. Diese Strategie hat seither in der extremen<br />

Rechten zunehmend Resonanz gefunden und eine Aufwärtsentwicklung<br />

der NPD bewirkt, die sowohl bundesweit als auch in<br />

Thüringen zu einem Anstieg der Mitgliederzahl führte. Der NPD<br />

traten vor allem viele Neonazis bei. Im Januar 2005 schlossen die<br />

NPD und die DVU den „Deutschland-Pakt“ 6 , in dem die Zusammenarbeit<br />

beider Parteien für die kommenden Wahlen auf Europa-,<br />

Bundes- und Landesebene festgelegt wurde.<br />

Die von der NPD betriebenen Bemühungen, sich als Gravitationszentrum<br />

und stärkste Kraft des rechtsextremistischen Lagers zu etablieren,<br />

erreichten 2006 einen neuen Höhepunkt, als sie bei den<br />

Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern 7,3 % der Stimmen<br />

gewann und – nach 2004 in Sachsen – mit sechs Abgeordneten<br />

in ein zweites Landesparlament einzog. Seitdem tritt die NPD mit<br />

gestärktem Selbstbewusstsein auf.<br />

5 Siehe Kapitel 3.1.1.3.<br />

6 Ebenda.


Die finanzielle Lage der Partei ist infolge der kostenintensiven<br />

Wahlkämpfe in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sowie angesichts<br />

der Rückforderungen, die von der Bundestagsverwaltung erhoben<br />

wurden, äußerst angespannt. Von 1996 an hatte der damalige<br />

Vorsitzende des Landesverbands Thüringen über mehrere Jahre<br />

falsche Spendenquittungen ausgestellt, deren Beträge größtenteils<br />

in den Rechenschaftsberichten der Partei verbucht worden sind.<br />

Da die Berichte somit nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprachen,<br />

war die für die Partei erfolgte Festsetzung und Auszahlung<br />

der Parteienfinanzierung für die Jahre 1998 und 1999 rechtswidrig.<br />

Gemäß den einschlägigen Bestimmungen resultiert hieraus eine<br />

Rückzahlungsverpflichtung der NPD in Höhe von 870.000 Euro,<br />

die ihr zuvor im Rahmen der staatlichen Teilfinanzierung zuerkannt<br />

worden waren.<br />

Innerhalb der rechtsextremistischen Parteienlandschaft nimmt die<br />

NPD gegenwärtig eine Vormachtstellung ein. Mit derzeit ca. 7.200<br />

Mitgliedern (2006: 7000) hat sie die DVU als vormals mitgliederstärkste<br />

rechtsextremistische Partei hinter sich gelassen.<br />

3.1.1.2 Ideologie der Partei<br />

Die NPD verficht eine verfassungsfeindliche Ideologie. Von Rassenhass<br />

und Antisemitismus geleitet verfolgt sie das Ziel, das von<br />

ihr so genannte System – die freiheitliche demokratische Grundordnung<br />

– zu beseitigen. In einem in der Ausgabe des Informationsblattes<br />

„Thüringenstimme“ vom Februar abgedruckten „Aufruf<br />

zum 1. Mai“ hieß es u. a.: „Für uns ist jeder arbeitslose Deutsche<br />

noch ein Grund mehr, an diesem alten und kranken System nicht<br />

länger festzuhalten. Wenn die Abschaffung unseres Volkes, der Verlust<br />

aller Werte und Tugenden unserer Kultur, die ‚Bereicherung‘<br />

Deutschlands mit raumfremden Personen, die Entstellung unserer<br />

Vergangenheit, der Raub jeder Zukunftsperspektive und die ‚Brot<br />

und Spiele‘-Politik dieses asozialen Systems ‚Demokratie‘ ist, dann<br />

wollen wir unser Denken jenseits überkommener politischer Ordnungssysteme<br />

nicht abstellen.“<br />

Die Agitation der Partei ist zunehmend antikapitalistisch. In einem<br />

Beitrag auf der Website des NPD-Landesverbands Thüringen vom<br />

Mai hieß es unter der Überschrift „Der Globalisierungs-Angriff auf<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

25


26<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

den ländlichen Raum“ u.a.: „Dabei ist es unerträglich, dass Millionen<br />

Landsleute dem sozialen Siechtum verfallen, während Spitzenverdiener<br />

und weltweit agierende Großkonzerne gleichzeitig<br />

beträchtliche Steuergeschenke einheimsen – Stichwort: Unternehmenssteuerreform<br />

– und jedes Jahr Abermillionen Euro für ausländische<br />

Sozialschmarotzer, interessenwidrige Auslandseinsätze der<br />

Bundeswehr und horrende Nettozahlungen an die erweiterungswütige<br />

Europäische Union verschleudert werden.“<br />

Die NPD propagiert einen völkischen Kollektivismus und agitiert<br />

fremdenfeindlich. Sie spricht von einer „ethnisch homogenen<br />

Volksgemeinschaft“, die durch „gemeinsame Abstammung, Geschichte,<br />

Sprache und Kultur“ entstehe. Die Würde des Menschen<br />

hängt ihrem Parteiprogramm zufolge, von einer biologisch-genetischen<br />

Teilhabe an der „Volksgemeinschaft“ ab. Die pauschale<br />

Überbewertung der auf Grund ethnischer Zugehörigkeit definierten<br />

„Volksgemeinschaft“ beschneidet die vom Grundgesetz garantierte<br />

Freiheit, sich persönlich zu entfalten. Die Rechte und Interessen<br />

des Einzelnen werden eingeschränkt. Die Partei stellt „Grundziele<br />

des Volkes“ auf, an denen sich die Volksherrschaft – anstelle<br />

der verfassungsmäßigen Ordnung – orientieren soll. In der von der<br />

NPD propagierten Gesellschaftsordnung sollen autoritäre Eliten<br />

vorherrschen. Der Anspruch auf Führerschaft steht im Widerspruch<br />

zum pluralistischen Mehrparteiensystem der Bundesrepublik.<br />

3.1.1.3 Strategie der Partei<br />

Das „Vier-Säulen-Konzept“, das den „Kampf um die Straße, die<br />

Köpfe, die Parlamente und den organisierten Willen“ umfasst, bildete<br />

auch im Berichtszeitraum die Basis für die politische Agitation<br />

der NPD.<br />

„Kampf um die Straße“<br />

Die NPD setzte im Berichtszeitraum ihren „Kampf um die Straße“<br />

fort. Sie organisierte zentrale Großveranstaltungen ebenso wie regionale<br />

Demonstrationen, an denen sich auch Neonazis und subkulturell<br />

geprägte Rechtsextremisten beteiligten. Oftmals wurden<br />

Termine und Orte für Aktionen so gewählt, dass mit einer hohen


öffentlichen Aufmerksamkeit und Gegenaktionen zu rechnen war.<br />

Verfolgt die Partei doch das Ziel, als eine von vielen in Deutschland<br />

existenten Parteien zu erscheinen, um so bestehende Berührungsängste<br />

in der Gesellschaft abzubauen. Zu ihrer Strategie gehört,<br />

sich über das Aufgreifen sozialer- und so genannter Alltagsthemen<br />

als Teil einer Protestbewegung zu geben, innerhalb derer einzig<br />

die NPD für die Interessen des „kleinen Mannes“ eintrete.<br />

Im Berichtszeitraum initiierte die Partei u. a. eine bundesweite<br />

Kampagne gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Den Auftakt<br />

bildeten die von der NPD organisierten Demonstrationen am 1.<br />

Mai in Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen<br />

und Thüringen mit insgesamt 2.700 Teilnehmern. Dabei hatten<br />

sich allein zu der am 1. Mai in Erfurt durchgeführten Demonstration<br />

zeitweise bis zu 1.000 Rechtsextremisten versammelt. Wegen der<br />

Verbote der für den 2. Juni in Schwerin angemeldeten bundesweiten<br />

Demonstration sowie der daraufhin beantragten Ersatzveranstaltung<br />

in Ludwigslust führten die größtenteils bereits mit Bussen<br />

auf der Anreise befindlichen NPD-Anhänger spontan in mehreren<br />

Bundesländern demonstrative Aktionen durch.<br />

„Kampf um die Köpfe“<br />

Der „Kampf um die Köpfe“ zielt vor allem darauf ab, die Mitglieder<br />

der NPD politisch zu schulen, die Programmatik der Partei mit<br />

Flugblättern zu verbreiten und die Monatszeitung „Deutsche Stimme“<br />

zu vertreiben. Mit der „Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft“<br />

verfügt die NPD über ein eigenes Publikationsorgan des Parteivorstandes,<br />

dem ein Versandhandel für rechtsextremes Propaganda-<br />

und Werbematerial angeschlossen ist. Seit August letzten Jahres<br />

gibt die NPD unter dem Titel „Jetzt reicht’s!“ eine Informationszeitung<br />

heraus, um angebliche politische Missstände und aktuelle<br />

Themen aufzugreifen.<br />

Im Juli 2007 nahm das „Bildungswerk für Heimat und nationale<br />

Identität e.V.“ (i.G.) seine Tätigkeit auf. Die Fraktion der NPD im<br />

sächsischen Landtag hatte bereits im April 2005 die Gründung eines<br />

solchen „Bildungswerkes“ bekannt gegeben und als Beitrag<br />

zur weiteren „Professionalisierung“ bezeichnet. Der Verein soll<br />

insbesondere mit Hilfe von Seminaren und Publikationen „politi-<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

27


28<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

sche Bildungsarbeit“ im Sinne der NPD betreiben und die „Denkansätze<br />

der ‚Dresdner Schule‘“ im öffentlichen Diskurs popularisieren.<br />

Mit dem „Bildungswerk“ verfolgt die NPD darüber hinaus<br />

die Absicht, sich zum Kristallisationspunkt jener Bestrebungen zu<br />

entwickeln, die auf die Intellektualisierung des rechtsextremistischen<br />

Lagers ausgerichtet sind. Sie greift zunehmend auch auf von<br />

ihr unabhängige Intellektuelle zurück, um sie gewinnen und die<br />

Parteiarbeit weiter intensivieren zu können.<br />

„Kampf um die Parlamente“<br />

Seit dem Jahr 2004 ist die NPD mit zwölf Abgeordneten im sächsischen<br />

Landtag vertreten. Bei den 2006 durchgeführten Wahlen<br />

in Mecklenburg-Vorpommern errang sie sechs Parlamentssitze, in<br />

Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Berlin gewann sie zum<br />

Teil erheblich an Stimmen hinzu, verfehlte jedoch jeweils den Einzug<br />

in das Landesparlament.<br />

Nach den Wahlerfolgen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin,<br />

wo die NPD nunmehr in vier von zwölf Bezirksversammlungen<br />

vertreten ist, kündigte VOIGT an, dass der „Kampf um Deutschland“<br />

weitergehe. Nun gelte es, „den Westen in Angriff zu nehmen“.<br />

Das Ziel bestehe darin, 2008 in die Landtage von Bayern<br />

und Hessen 7 sowie 2009 schließlich in den Bundestag einzuziehen.<br />

Von der „strategischen Achse Dresden-Berlin-Schwerin“ ausgehend<br />

will die NPD „von Mitteldeutschland aus eine nationale<br />

Welle über das Land schwappen“ lassen. Sie werde, hofft die Partei,<br />

sowohl die Zusammensetzung der Parlamente verändern als auch<br />

die „geistig-kulturellen Fundamente des Systems unterspülen“.<br />

Es ist zweifelhaft, ob die NPD von ihren Wahlerfolgen in Sachsen<br />

und Mecklenburg-Vorpommern auch künftig wird profitieren können.<br />

Gerade in den westlichen Bundesländern gelang es ihr trotz<br />

eines Stimmenzugewinns nicht, Parlamentssitze einzunehmen.<br />

Der Ausgang anstehender Wahlen dürfte wesentlich davon abhängen,<br />

ob die „Volksfront von Rechts“ und der „Deutschland-Pakt“<br />

fortbestehen.<br />

7 Bei den Landtagswahlen in Hessen am 27. Januar erhielt die NPD nach dem vorläufigen amtlichen<br />

Endergebnis 23.972 (0,9 %) Zweitstimmen.


„Kampf um den organisierten Willen“<br />

Die NPD verfolgt den „Kampf um den organisierten Willen“ in der<br />

Absicht, „möglichst alle nationalen Kräfte“ zu konzentrieren und<br />

durch den dann „organisierten Willen“ an die Macht zu gelangen.<br />

Dieses Konzept ist mit der „Volksfront von Rechts“ identisch, die<br />

die NPD seit 2004 anstrebt. Es zielt darauf ab, aktionsorientierte<br />

Rechtsextremisten ebenso wie die DVU und andere rechtsextremistische<br />

Gruppierungen in das Bündnis einzubeziehen, um sowohl<br />

die personellen als auch strukturellen Ressourcen des rechtsextremistischen<br />

Spektrums zu bündeln und dessen Zersplitterung<br />

zu überwinden. Seither nähern sich rechtsextremistische Parteien<br />

und Organisationen der NPD in unterschiedlicher Form an. Am<br />

15. Januar 2005 unterzeichneten die NPD und die DVU den<br />

„Deutschlandpakt“. Der „Pakt“ sieht vor, bei Bundestags-, Europa-<br />

und Landtagswahlen nicht gegeneinander anzutreten, wechselseitig<br />

jedoch die Listen der NPD und der DVU für die jeweils andere<br />

Partei zu öffnen. Dieser Absprache gemäß wird sich die DVU wie<br />

bereits 2007 in Bremen auch an den Landtagswahlen in Hamburg<br />

(2008) sowie Thüringen und Brandenburg (2009) beteiligen. Bei<br />

allen anderen bis 2009 anstehenden Wahlen wird sie darauf verzichten,<br />

sofern die NPD kandidiert.<br />

Die NPD hat sich in der „Volksfront von Rechts“ als führende Kraft<br />

durchgesetzt, indem sie neben der neonazistischen Szene und<br />

dem subkulturellen rechtsextremistischen Spektrum auch die DVU<br />

an sich zu ziehen und für ihre politischen Ziele einzusetzen ver-<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

29


30<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

mochte. Gegenwärtig werden die Kräfte, die sich zu diesem Bündnis<br />

bekennen, von den Wahlerfolgen und der damit verbundenen<br />

Aussicht, auch künftig gestärkt aus Wahlen hervorzugehen, zusammengehalten.<br />

Offen bleibt, ob es der extremen Rechten weiterhin<br />

gelingt, die gruppenspezifischen Gegensätze auszugleichen, und<br />

sie bereit ist, der NPD zur Erlangung des gemeinsamen Ziels – Ablösung<br />

des politischen Systems der Bundesrepublik – die alleinige<br />

Führung zu überlassen.<br />

3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD<br />

3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands<br />

Der Thüringer Landesverband der NPD wurde 1990 gegründet.<br />

In den folgenden Jahren war die organisatorische Gliederung des<br />

Verbands in Regional-, Kreis- und Ortsverbände vielen Änderungen<br />

unterworfen. In den Jahren 1998/1999 stieg die Anzahl der<br />

Mitglieder erheblich an, nachdem insbesondere jüngere Neonazis<br />

der Partei beigetreten waren. Ein Teil von ihnen übernahm bald<br />

Funktionen in den Vorständen und richtete den Landesverband zunehmend<br />

aktionistisch aus.<br />

Im Zuge des gegen die NPD im Jahr 2001 angestrengten Verbotsverfahrens<br />

schränkte der inzwischen unter der Leitung des ehemaligen<br />

Neonazis Frank SCHWERDT stehende Landesverband gemeinsame<br />

Aktivitäten mit Neonazis ein. Daraufhin verlor die Partei<br />

bedeutende Anteile ihres neonazistischen Potenzials. Im Landesvorstand<br />

setzten sich zunächst jene Kräfte durch, die politisch eher<br />

zurückhaltend agieren wollten. Nachdem jedoch das Verbotsverfahren<br />

2003 eingestellt worden war, öffnete sich der Landesverband<br />

erneut für Neonazis und subkulturell geprägte Rechtsextremisten<br />

und weitete seine Aktivitäten aus. Er vermochte es, sich zu<br />

konsolidieren und ab 2004 einen Aufwärtstrend einzuleiten. Diese<br />

Entwicklung schlug sich bei den Landtagswahlen des Jahres 2004


Frank Schwerdt<br />

nieder, als die Partei ihren Wählerstimmenanteil<br />

von 0,2 % im Jahr 1999 auf<br />

1,6 % steigerte. Bei der Bundestagswahl<br />

im Jahr 2005 erreichte die NPD in Thüringen<br />

ihr deutschlandweit zweitbestes<br />

Ergebnis, als sie 3,7 % der Zweitstimmen<br />

erhielt. Im Berichtszeitraum hat der NPD-<br />

Landesverband seine Strukturen weiter<br />

ausgebaut, Mitglieder hinzu gewonnen<br />

und zahlreiche Aktivitäten entfaltet.<br />

Auf NPD-Bundesebene erlangt der Thüringer Landesverband über<br />

seinen Vorsitzenden Frank SCHWERDT und den bundesweit bekannten<br />

Neonazi Thorsten HEISE Bedeutung. Beide gehören dem<br />

NPD-Bundesvorstand an und verfügen über weitreichende überregionale<br />

Kontakte.<br />

3.1.2.2 Kreisverbände<br />

Im Berichtszeitraum konnte die Partei ihre Strukturen in Thüringen<br />

weiter ausbauen. Im ersten Halbjahr gründeten sich die Kreisverbände<br />

Greiz und Eichsfeld, im August der Kreisverband Nordhausen.<br />

Damit setzt sich der Landesverband nunmehr aus den<br />

16 Kreisverbänden Altenburg, Eichsfeld, Erfurt-Sömmerda, Gera,<br />

Gotha, Greiz, Hildburghausen-Suhl, Ilmkreis, Jena, Kyffhäuserkreis,<br />

Nordhausen, Saale-Orla, Saalfeld-Rudolstadt, Unstrut-Hainich,<br />

Wartburgkreis und Weimar-Weimarer Land zusammen.<br />

In Thüringen gehören einem Kreisverband im Durchschnitt ca.<br />

35 Mitglieder an. Von den Kreisverbänden gingen im Berichtsjahr<br />

in unterschiedlichem Ausmaß Aktivitäten aus. Einige Untergliederungen,<br />

zu denen die Kreisverbände Erfurt-Sömmerda, Gotha,<br />

Wartburgkreis, Gera und Jena zählen, gestalteten ihre Parteiarbeit<br />

kontinuierlich öffentlichkeits- und medienwirksam. Die beiden<br />

Letztgenannten traten durch die Veranstaltungsreihen „Rock für<br />

Deutschland“ und „Fest der Völker“ 8 auf. Zahlreiche Thüringer<br />

Kreisverbände führten zudem im Rahmen der „Mitgliederkampagne<br />

2007“ Infostände und Mahnwachen durch. Die von der NPD<br />

8 Siehe Kapitel 3.1.2.9.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

31


32<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

<br />

geplanten acht Aktionen pro Region, wurden längst nicht überall<br />

erreicht. Aus den Regionen Saalfeld-Rudolstadt und Sonneberg<br />

wurden keine Aktionen bekannt.<br />

Welche Aktivitäten von einem Kreisverband ausgehen und wie<br />

hoch deren Anziehungskraft auf Gesinnungsgenossen ist, hängt<br />

wesentlich vom Engagement der führenden Personen und dem<br />

einzelner Aktivisten ab. Die Mehrzahl der NPD-Mitglieder ist<br />

weder willens noch in der Lage, eine kontinuierliche Parteiarbeit<br />

zu leisten, öffentlichkeitswirksame Aktionen zu entwickeln und<br />

Rechtsextremisten einzubinden, die noch nicht organisiert sind.<br />

Sie nimmt lediglich mehr oder minder regelmäßig an den Veranstaltungen<br />

der NPD und der Neonaziszene teil.<br />

3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung<br />

Im Berichtszeitraum verzeichnete der Landesverband den stärksten<br />

personellen Zuwachs seit seiner Gründung im Jahr 1990 und<br />

erreichte einen Höchststand von etwa 550 Mitgliedern. Unter den<br />

NPD-Landesverbänden rangiert der Thüringer Landesverband, ge-


messen an der Zahl seiner Mitglieder, nunmehr im vorderen Drittel.<br />

An der Einwohnerzahl gemessen nimmt er gemeinsam mit den<br />

Landesverbänden Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen die<br />

Spitzenplätze ein.<br />

Der Zuwachs an Mitgliedern ist maßgeblich auf die vom Landesverband<br />

durchgeführte „Mitgliederkampagne 2007“ 9 , innerhalb<br />

derer etwa 100 Neumitglieder gewonnen werden konnten, zurückzuführen.<br />

Das Durchschnittsalter der Landesvorstandsmitglieder beträgt<br />

knapp über 30 Jahre, das der Kreisverbandsvorsitzenden im Durchschnitt<br />

unter 30 Jahre.<br />

Der Frauenanteil ist in der Thüringer NPD nach wie vor gering.<br />

Unter Funktionären als auch Veranstaltungsteilnehmern finden<br />

sie sich eher selten. Im Berichtszeitraum gehörte dem NPD-Landesvorstand<br />

keine Frau an. Lediglich einem der 16 Kreisverbände<br />

steht eine Frau vor.<br />

3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD zu anderen<br />

Rechtsextremisten<br />

Verhältnis zur Neonaziszene<br />

In Thüringen ist das Verhältnis zwischen dem Landesverband der<br />

NPD und den Neonazis seit Jahren vor allem durch Integration<br />

und Kooperation gekennzeichnet. Nahezu alle führenden Thüringer<br />

Neonazis sind zwischenzeitlich der NPD beigetreten, ein<br />

Großteil derer nimmt innerhalb der NPD Funktionen wahr. Alle<br />

Mitglieder des Landesvorstands und die meisten Kreisverbandsvorsitzenden<br />

entstammen ebenfalls dem neonazistischen Spektrum.<br />

Einige Kreisverbandsvorsitzende fungieren zugleich als Führungspersonen<br />

lokaler neonazistischer Gruppierungen. Thüringen zählt<br />

zu den Bundesländern, in denen die Einbeziehung von Neonazis<br />

in die NPD am weitesten fortgeschritten ist. Die Kooperation beider<br />

Spektren äußert sich insbesondere in der gemeinsamen Organisation<br />

von Veranstaltungen und Kampagnen. Teilnehmer, Redner<br />

9 Siehe Kapitel 3.1.2.5.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

33


34<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

und Ordner treten oftmals auch auf Veranstaltungen des jeweils<br />

anderen Spektrums auf.<br />

Insgesamt ist es dem Thüringer Landesverband der NPD im Laufe<br />

eines längeren Prozesses gelungen, das neonazistische Spektrum<br />

weitgehend zu integrieren, wodurch dieses seine frühere Eigenständigkeit<br />

innerhalb des rechtsextremistischen Lagers eingebüßt<br />

hat. Wenngleich sich einzelne Neonazis dennoch neben der NPD<br />

zu behaupten suchen, unterstützen sie die Partei in der Regel auf<br />

Kreis- und Landesverbandsebene. Der NPD-Bundesebene jedoch<br />

stehen sie zum Teil kritisch gegenüber und wollen jedwede Zuordnung<br />

zur Partei vermieden wissen. So hieß es im Nachgang<br />

zur NPD-Demonstration am 18. August in Jena bezüglich der<br />

Teilnahme „Freier Nationalisten“, dass mit „ca. 200 Personen sich<br />

ein NPD kritischer Block an dieser politischen Manifestation des<br />

Landesverbands der NPD Thüringen beteiligte und damit deutlich<br />

bewies, dass hier durchaus differenziert wird, welche NPD Gruppen…<br />

unterstützenswert sind und welche Kreise und Gruppen<br />

eben von vielen derzeit aktionistisch und auch programmatisch<br />

nicht unterstützt werden können …“.<br />

Verhältnis zum subkulturellen Spektrum<br />

Der Landesverband der NPD setzte im Berichtszeitraum vor allem<br />

rechtsextremistische Musik ein, um das subkulturelle rechtsextremistische<br />

Spektrum zu umwerben. 10 Von dessen Anhängern gehen<br />

meist keine eigenständigen politischen Aktionen aus. Sie besuchen<br />

jedoch bevorzugt Musikveranstaltungen, die von der NPD durchgeführt<br />

werden. Auf diese Weise erhöhen sie das Mobilisierungspotenzial<br />

der Partei. Da subkulturell geprägte Rechtsextremisten<br />

– sofern überhaupt – lediglich regional organisiert sind, basieren<br />

die Verbindungen zur NPD zumeist auf persönlichen Kontakten<br />

und sind lokal begrenzt.<br />

10 Siehe Kapitel 5.3.


Verhältnis zu anderen Parteien und Organisationen<br />

Der Landesverband in Thüringen orientiert sich weiterhin an dem<br />

Konzept der „Volksfront von Rechts“. Kontakte zur DVU bestehen<br />

vor allem über deren Funktionäre Walter BECK und Uwe BÄZ-<br />

DÖLLE. Beide traten als Direktkandidaten auf der Liste der NPD<br />

im Jahr 2005 zur Bundestagswahl an. 11<br />

Darüber hinaus unterhält der Landesverband seit Jahren enge Verbindungen<br />

zum Vorsitzenden des Thüringer Landesverbands der<br />

„Deutschen Partei“ (DP), Kurt HOPPE, der mehrfach an Veranstaltungen<br />

der NPD teilnahm und 2005 in einem Wahlkreis als Direktkandidat<br />

der NPD zur Bundestagswahl antrat. 12<br />

3.1.2.5 „Mitgliederkampagne 2007“<br />

Zum „6. Thüringentag der nationalen Jugend“ am 19. Mai in Eisenach<br />

startete der NPD-Landesverband Thüringen die breit angelegte<br />

„Mitgliederkampagne 2007“. Bis zu deren Abschluss am 14. Juli<br />

führte die Partei mehr als 40 Kundgebungen und ca. 60 Informationsstände<br />

in nahezu allen Landkreisen und kreisfreien Städten<br />

des Freistaats durch. Ergänzend hierzu wurden Verlautbarungen<br />

der Partei zufolge 300.000 Exemplare einer unter dem Leitspruch<br />

„Jetzt reicht’s!“ abgefassten Kampagnenzeitung verbreitet. Mit Abschluss<br />

der Kampagne vermeldete der Landesverband, das Ziel,<br />

mehr als 100 Neumitglieder zu gewinnen und den Gesamtmitgliederbestand<br />

somit auf über 500 zu erhöhen, erreicht zu haben.<br />

Neben der Gewinnung neuer Mitglieder, Interessenten und Sympathisanten<br />

für die NPD und die „nationale Opposition“ zielte die<br />

Kampagne darauf ab, die Aufmerksamkeit der hiesigen Medienlandschaft<br />

zu erhöhen sowie die Wahrnehmung der NPD innerhalb<br />

der Thüringer Bevölkerung mit Blick auf die 2009 stattfindenden<br />

Landtags- und Kommunalwahlen zu schärfen. Zudem galt es,<br />

die Kampagnenfähigkeit des Landesverbands und seiner Strukturen<br />

zu testen.<br />

11 Siehe Kapitel 3.2.2.<br />

12 Siehe Kapitel 3.3.2.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

35


36<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Außenwirkung der Kampagne<br />

Wenngleich die Partei von einem Presseecho in bisher nicht gekanntem<br />

Ausmaß sprach, fiel die mediale Berichterstattung zur<br />

Kampagne – gemessen an dem betriebenen personellen und organisatorischen<br />

Aufwand – eher bescheiden aus. Der parteiinternen<br />

Wahrnehmung nach sei sowohl in den regionalen Tageszeitungen<br />

als auch in überregionalen Magazinen und der TV-Berichterstattung<br />

über die erfolgreiche und professionelle Arbeit der nationalen<br />

Opposition, vor allem der NPD in Thüringen, berichtet worden.<br />

Tatsächlich war das Presse- und Medienecho angesichts der Vielzahl<br />

durchgeführter Aktionen eher verhalten. Lediglich einzelne<br />

Veranstaltungen fanden Erwähnung in der jeweiligen Berichterstattung,<br />

wobei die von der Partei skizzierten Erfolgsmeldungen<br />

unterblieben. Auch in der Bevölkerung stießen die Kampagnenveranstaltungen<br />

entgegen parteieigenen Verlautbarungen vor allem<br />

auf Desinteresse. Die NPD-Informationsstände wurden oft schlicht<br />

ignoriert, zu Gesprächen zwischen Standbetreuern und Passanten<br />

kam es nur selten.<br />

In der Mitte der Gesellschaft angekommen?<br />

Sich dem Bürger als Partei, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen<br />

ist, zu präsentieren, war ein Anliegen der Kampagne.<br />

Entsprechend fand sich an einem Informationsstand am 12. Juli in<br />

Greußen u. a. ein Transparent mit der Aufschrift „Aus der Mitte der<br />

Gesellschaft“. Auch in einem Internetbeitrag vom Juli schlussfolgerte<br />

der Landesverband, die Medien hätten erkannt, dass die NPD<br />

längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Um dies auch<br />

durch Äußerlichkeiten der Parteimitglieder zu bekräftigen, wurde<br />

von den Verantwortlichen sowohl bei der Auftakt- als auch der<br />

Abschlussveranstaltung zur Kampagne das Tragen szenetypischer<br />

Outfits untersagt. Zudem hatte der Landesvorstand entsprechende<br />

Richtlinien erlassen, denen zufolge dies auch für Personen, die Informationsstände<br />

betreuten, galt. Der Eindruck, man separiere sich<br />

von der Bevölkerung, sollte vermieden werden.


3.1.2.6 Landesparteitag<br />

Am 8. Dezember veranstaltete die Thüringer NPD in Bad Blankenburg/Ortsteil<br />

Fröbitz ihren Landesparteitag. Angaben der Partei<br />

nach nahmen 80 Delegierte und 50 Gäste an der Veranstaltung teil.<br />

Als Redner traten u. a. der Landesvorsitzende Frank SCHWERDT,<br />

der NPD-Vorsitzende Udo VOIGT und der Generalsekretär der<br />

NPD, Peter MARX, auf. Zu den Gästen zählte der Thüringer DVU-<br />

Landesvorsitzende Walter BECK. Er überbrachte Grußworte seiner<br />

Partei.<br />

In einem Leitantrag stellte der Landesvorstand die Rolle der Kreisverbände<br />

im Hinblick auf die Kommunalwahlen 2009 heraus. Der<br />

Landesvorstand bemängelte, dass viele Kreisverbände die bereits<br />

im letzten Jahr angemahnten kommunalpolitischen Aktivitäten zur<br />

„kommunalen Verankerung“ der Partei vernachlässigten. Demnach<br />

leisteten einige Kreisverbände nur Arbeit nach innen, andere beteiligten<br />

sich lediglich an Aktionen und Kampagnen des Landesvorstands<br />

oder seien nur im Wahlkampf aktiv. Da der Landesverband<br />

jedoch nicht über die nötigen personellen Kapazitäten verfüge, diese<br />

Defizite auszugleichen, sollten notwendige Schulungen durchgeführt<br />

und den Kreisverbänden Leitlinien und Marschrichtung<br />

vorgegeben werden. Die Kreisverbände hätten sich ihre Aufgabe<br />

wieder und wieder in Erinnerung zu rufen und müssten unfähige<br />

Kreisfunktionäre notfalls aus „Amt und Würden“ jagen, hieß es in<br />

dem Leitantrag.<br />

Frank Schwerdt<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

37


38<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Landesvorstand sieht angestrebte „kommunale Verankerung“ in<br />

Gefahr<br />

Zudem stellte der Landesvorstand fest, dass für die erforderliche<br />

„kommunale Verankerung“ kaum mehr Zeit bleibe. Als wesentliche<br />

Bausteine für den erfolgreichen Kommunalwahlkampf eines<br />

Kreisverbands benannte der Landesvorstand die personelle Schlagkraft<br />

des Kreisverbands, die Bekanntheit seines Spitzenkandidaten,<br />

die Ausstrahlung von kommunalpolitischer Fachkompetenz, die<br />

politische Verankerung in der Kommune und die finanzielle Ausstattung<br />

des Verbands. Zu Letzterer machte der Landesvorstand in<br />

seinem Leitantrag deutlich, dass die Kreisverbände weder von der<br />

Bundespartei noch vom Landesverband finanzielle Unterstützung<br />

für die Kommunalwahlkämpfe erhalten werden. Jeder Kreisverband<br />

werde seinen Kommunalwahlkampf aus eigener Kasse finanzieren<br />

müssen.<br />

Vorgaben für die Kreisverbände<br />

Die Spitzenkandidaten der Kreisverbände wurden angehalten,<br />

ihren Bekanntheitsgrad durch geeignete Präsentationen in vorhandenen<br />

bzw. zu schaffenden Medien, mittels Wortergreifung<br />

bei öffentlichen Veranstaltungen, aber auch gegenüber der „Stadtverordnetenversammlung“,<br />

zu steigern. Als besonders geeignete<br />

Werbeträger empfahl der Landesvorstand eigene Regionalzeitungen<br />

vergleichbar dem „Wartburgkreisboten“ oder der „Bürgerstimme“<br />

13 . Unter Berücksichtigung der schlechten finanziellen Ausstattung<br />

vieler Kreisverbände wurde alternativ die Herausgabe von<br />

Informations- und Flugblättern vorgeschlagen.<br />

Neben der rein politischen Vorgehensweise sind den Vorgaben des<br />

Landesvorstands nach bei der „kommunalen Verankerung“ auch<br />

menschliche Aspekte zu berücksichtigen. So sollten beispielsweise<br />

Volksfeste genutzt werden, um den Kontakt zur Bevölkerung zu<br />

suchen. Sympathie baue bei den meisten Menschen schneller Vorurteile<br />

ab als das logischste Argument. Diesen „Fakt“ wolle sich die<br />

Partei zu Nutzen machen.<br />

13 Siehe Kapitel 4.8.


„Gemeinsam für den Umbruch! Gemeinsam nationale Akzente für<br />

lebens- und liebenswerte Städte, Dörfer und Gemeinden in Thüringen<br />

setzen!“ hieß es abschließend in dem Leitantrag des Landesvorstands.<br />

3.1.2.7 Internet/Publikationen<br />

Im Berichtszeitraum verstärkte der Landesverband der NPD seine<br />

Öffentlichkeitsarbeit erneut, indem er die Internetpräsentation<br />

der Kreisverbände erweiterte. Die Vorgabe, wonach jeder Verband<br />

eine eigene Seite unterhalten solle, wurde bislang nicht verwirklicht.<br />

Von der „Thüringen Stimme“, dem Informationsblatt des Landesverbands,<br />

erschienen im Berichtszeitraum lediglich vier Ausgaben.<br />

Zahlreiche NPD-Mitglieder wirken bei der Herausgabe von<br />

Regionalzeitungen mit. 14<br />

Internet<br />

Der Landesverband und die Kreisverbände Eichsfeld, Erfurt-Sömmerda,<br />

Gera, Gotha, Greiz, Jena, Kyffhäuserkreis, Nordhausen,<br />

Saalfeld-Rudolstadt, Wartburgkreis und Weimar-Weimarer Land<br />

verfügen über Websites, die allerdings in unterschiedlichem Maße<br />

aktualisiert werden. Vorzugsweise wurde über regionale und überregionale<br />

Veranstaltungen und Aktionen berichtet, aber auch tagespolitische<br />

Themen wurden aufgegriffen. Im Berichtsjahr stellte<br />

der Landesverband anlassbezogene Sonderseiten in das Internet<br />

ein und betrieb mit dem „NPD Thüringen Gesprächskreis“ ein eigenes<br />

Forum.<br />

„Thüringen Stimme“<br />

Seit August 2005 gibt der Landesverband die „Thüringen Stimme“<br />

heraus, die die Funktion eines Informationsblatts erfüllen soll. Die<br />

Publikation umfasst parteiinterne Informationen und Reaktionen<br />

auf die Tagespresse, verweist auf Veranstaltungen des rechtsextremistischen<br />

Spektrums, greift tagespolitische Themen auf und<br />

14 Ebenda.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

39


40<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

veröffentlicht Kleinanzeigen „von und für Kameraden“. Teilweise<br />

stimmen die Artikel mit Beiträgen überein, die bereits auf den<br />

Homepages des Landesverbands oder der Kreisverbände veröffentlicht<br />

wurden. Die Artikel thematisieren insbesondere die Entwicklung<br />

des Landesverbands. Die Leser werden in der Publikation<br />

regelmäßig dazu aufgefordert, für die Ziele des Landesverbands<br />

einzutreten und ihn mit Spenden zu unterstützen.<br />

War die „Thüringen Stimme“ zumindest in der zweiten Hälfte<br />

des Jahres 2006 noch monatlich herausgegeben worden, sind im<br />

Berichtszeitraum lediglich vier Ausgaben erschienen. Als Verantwortlicher<br />

im Sinne des Pressegesetzes fungiert Ralf WOHLLEBEN,<br />

stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands und Vorsitzender<br />

des Kreisverbands Jena der NPD.<br />

Kampagnenzeitung „Jetzt reicht’s!“<br />

Im Rahmen der von der NPD durchgeführten Mitgliederkampagne<br />

wurden nach Eigenangaben 300.000 Exemplare einer unter dem<br />

Leitspruch „Jetzt reicht’́s!“ stehenden Kampagnenzeitung verbreitet.<br />

Das Blatt beinhaltete vorrangig Beiträge zur Familien- und Bildungspolitik<br />

und zu den Themen Kriminalität, Abwanderung, Ausbildung,<br />

Jugendarbeitslosigkeit sowie Förderung des Mittelstands.<br />

Um die Akzeptanz der Partei in den Kommunen zu erhöhen, ließen<br />

sich die Verfasser insbesondere zu den Auswirkungen auf die<br />

ländlichen Regionen aus.<br />

3.1.2.8 Der Landesverband intensiviert seine Arbeit<br />

Dem Landesverband gelang es im Berichtszeitraum, die Parteiarbeit<br />

weiter zu intensivieren. Wie in der Vergangenheit agitierte<br />

er insbesondere gegen das politische System der Bundesrepublik<br />

und die etablierten Parteien sowie die Politik der Länder und Kommunen.<br />

Dabei griff der Landesverband überwiegend wirtschafts-,<br />

sozial- und tagespolitische Themen in der Absicht auf, in den Städten<br />

und Gemeinden stärker als bisher hervorzutreten, Rückhalt in<br />

der Bevölkerung zu finden und als Sachwalter der „kleinen Leute“<br />

wahrgenommen zu werden. „Das soziale Thema ist die große<br />

Kampfstätte, wo wir uns auch in den neuen Bundesländern in den


nächsten Jahren sehen“, hatte ein parlamentarischer Berater der<br />

Fraktion der NPD in Sachsen bereits 2005 betont.<br />

In Vorbereitung auf das Wahljahr 2009 hatte der Landesverband<br />

seine Mitglieder und Kreisverbände bereits im Vorjahr zu verstärktem<br />

kommunalpolitischen Engagement angehalten. Es gelte u. a.,<br />

kommunalpolitische Angelegenheiten aufzugreifen und ihnen gegenüber<br />

Stellung zu beziehen, in Vereinen und gemeinnützigen<br />

Organisationen mitzuarbeiten, an Stadtrats- und Kreistagssitzungen<br />

teilzunehmen, die Lokalpresse und die politischen Kontrahenten<br />

zu beobachten sowie in der Region regelmäßig Präsenz<br />

zu zeigen, hieß es in einem Beitrag der „Thüringen Stimme“ vom<br />

September 2006. Wenn es der Partei gelänge, „kommunal Fuß zu<br />

fassen“ und sich „als unübersehbare politische Kraft in Thüringen<br />

zu etablieren“, sei 2009 der Einzug einer „nationalen Opposition“<br />

in den Erfurter Landtag realistisch, so die Verfasser.<br />

Seitdem setzt die Thüringer NPD verstärkt auf die Umsetzung der<br />

„Wortergreifungsstrategie“ und der „Graswurzelstrategie“.<br />

Die „Wortergreifungsstrategie“ zielt darauf ab, Stadt- und Gemeinderatssitzungen<br />

und weitere Veranstaltungen demokratischer Kräfte<br />

aufzusuchen, um diese durch verbale Intervention und Provokation<br />

im eigenen Sinne zu instrumentalisieren. Mitunter verhalten<br />

sich NPD-Vertreter dabei rhetorisch nicht ungeschickt und versuchen,<br />

Veranstalter und Besucher zu verunsichern. Dem Publikum<br />

gegenüber soll der Eindruck erzeugt werden, man werde ausgegrenzt<br />

und von Staat und Medien verfolgt. Kommen die Rechtsextremisten<br />

nicht zu Wort oder verweist man sie des Saales, stellen<br />

sie dies als Unfähigkeit der Demokraten, eine demokratische Auseinandersetzung<br />

zu führen, dar.<br />

Unter der „Graswurzelstrategie“ versteht man Bestrebungen von<br />

Rechtsextremisten, mit alltagsnaher Themenwahl und einem seriös-zivilen<br />

Auftreten zum integralen Bestandteil des gesellschaftlichen<br />

Lebens zu werden. Auch hier werden zur Untermauerung<br />

der gewählten Themen oft nur stark vereinfachende Argumente<br />

vorgetragen.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

41


42<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Engagement im vorpolitischen Raum<br />

Das vom Landesvorstand geforderte Engagement in Vereinen und<br />

gemeinnützigen Organisationen wurde im Berichtszeitraum erkennbar<br />

vom NPD-Kreisverband Erfurt-Sömmerda und dessen<br />

Vorsitzenden Kai-Uwe TRINKAUS umgesetzt. So gehören Mitglieder<br />

und Sympathisanten der NPD dem Verein „Schöner Leben in<br />

Erfurt e.V.“ an. Auf seiner Homepage bezeichnet sich der Verein<br />

als „Plattform, auf der sich verschiedene Gruppen, Verbände und<br />

Einzelpersonen vernetzen, um bei der nächsten Stadtratswahl eine<br />

starke Stimme aus der Mitte der Bürgerschaft ins Erfurter Rathaus<br />

zu senden“. Der Verein wolle ein überregionales Zeichen dafür<br />

setzen, dass „heimatverbundene Politik nicht länger an ‚politischer<br />

Korrektheit’ und demütiger Anpassung scheitert“, hieß es an anderer<br />

Stelle auf der Homepage des Vereins. 15 Zudem eröffnete der<br />

Kreisverband Mitte des Jahres ein „Bürgerbüro“ in Erfurt. Nach<br />

Eigenangaben finden Freunde und Interessierte hier sowohl die<br />

Geschäftsstelle des Kreisverbands als auch die des Vereins „Schöner<br />

Leben in Erfurt e.V.“<br />

Darüber hinaus trat der Kreisverband vor allem in Person seines<br />

Vorsitzenden durch zahlreiche provokative Aktivitäten im Raum<br />

Erfurt in Erscheinung, die zu einer breiteren öffentlichen Aufmerksamkeit<br />

verhelfen sollten. So wurden beispielsweise Namen politischer<br />

Gegner ins Internet gestellt, Mitgliedschaften bei politisch<br />

entgegenstehenden Parteien sowie bei Gewerkschaften beantragt,<br />

Veranstaltungen nichtextremistischer Kräfte aufgesucht und eine<br />

„Schulhof-CD“ vor einer Schule in Erfurt verteilt.<br />

Zudem seien NPD-Mitglieder der Anregung des Landesverbands<br />

gefolgt, Bewerbungen zur Jugendschöffenwahl 2008 einzureichen.<br />

Über Jugendschöffen könne die Partei einflussreicher denn je am<br />

15 Zur Vereinsproblematik siehe Kapitel 4.5.


gesellschaftlichen Prozess partizipieren und als Teil der Judikative<br />

junge Menschen entsprechend beeinflussen, wurde der Landesgeschäftsführer<br />

der NPD, Patrick WIESCHKE, zitiert.<br />

Schärfen des politischen Profils<br />

Zur Jahresmitte informierte die Partei über eine geplante Umfrage<br />

unter landwirtschaftlichen Betrieben. Hendrik HELLER, Mitglied<br />

des NPD-Landesvorstands und Leiter des dort angebundenen<br />

Referats „Naturschutz“, zeichnete für das Vorhaben verantwortlich.<br />

Über das Informationsblatt „Thüringen Stimme“ wurden alle<br />

NPD-Kreisverbände aufgefordert, dem Referat „Naturschutz“ die<br />

Anschriften möglichst vieler landwirtschaftlicher Betriebe zuzuleiten.<br />

Mit der Umfrage signalisierte die Partei, offenbar ein weiteres<br />

Aktions- und Agitationsfeld erschließen zu wollen. Bereits im Jahr<br />

zuvor hatte das beim NPD-Landesvorstand angesiedelte Referat<br />

„Wirtschaft und Mittelstand“ eine Arbeitsgruppe „Mittelstand“<br />

gebildet und Einladungen zu Unternehmerforen an Thüringer Unternehmer<br />

gerichtet. Beide Maßnahmen können als Versuche der<br />

Partei, ihr politisches Profil zu schärfen und sich als „einzige und<br />

ehrliche Mittelstandspartei“ zu geben, verstanden werden.<br />

Streben nach kommunalpolitischer Kompetenz<br />

Um nach den Kommunalwahlen 2009 in möglichst vielen Kommunalparlamenten<br />

in Fraktionsstärke vertreten sein zu können,<br />

werde sich die Thüringer NPD auf die Landkreiswahlen und die<br />

Gemeindewahlen in kreisfreien Städten konzentrieren. Darüber<br />

hinaus gehende Kandidaturen in Städten und Gemeinden solle es<br />

nur geben, sofern die Antrittsvoraussetzungen vorliegen, war einem<br />

Beitrag in der „Thüringen Stimme“ vom Dezember zu entnehmen.<br />

Zur Umsetzung dieses Ziels richtete die Partei im März und April<br />

mehrere Schulungsveranstaltungen aus. Im Mittelpunkt stand dabei,<br />

die Kreisverbände für dieses Anliegen zu gewinnen und sie insbesondere<br />

entsprechend zu befähigen. Die Schulungsreihe stützte<br />

sich u. a. auf die Schulungsunterlage „Basisgruppenarbeit in der<br />

NPD“. Diese beruht auf Erfahrungen, die einzelne Kreisverbände<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

43


44<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

der NPD und der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in verschiedenen<br />

Bundesländern bei ihrer praktischen Arbeit gesammelt haben.<br />

Die Schulungsunterlage diene als Hilfe zur Selbsthilfe, um Basisgruppen<br />

der NPD in die Lage zu versetzen, selbstständig einen<br />

Kommunalwahlkampf führen, Kommunalmandate erringen und<br />

nach dem Einzug in die Kommunalparlamente die neuen Aufgaben<br />

meistern zu können. Für das Jahr 2008 hat der Landesverband<br />

bereits ein Schulungsprogramm mit den Schwerpunkten „Politikschulung“,<br />

„Argumenteschulung“, „Rhetorikschulung“ und „Kommunalpolitikschulung“<br />

angekündigt. Der letztgenannte Block sieht<br />

u.a. Themen wie „Strukturen der Kommunen und Landkreise“,<br />

„Kommunalrecht“, „Möglichkeiten der NPD im Kommunalparlament“,<br />

„Handlungsstrategien zu einer bürgernahen Politik“ sowie<br />

„Umgang mit politischen Gegnern im Parlament“ vor.<br />

Als weitere Maßnahme hatte der Landesvorstand im Oktober die<br />

Bildung einer Arbeitsgemeinschaft (AG) beschlossen, die sowohl<br />

die strategische Ausrichtung des Wahlkampfes als auch die erforderlichen<br />

Vorbereitungsmaßnahmen konzipieren soll. Nachdem<br />

ein kleinerer Kreis aus Vertretern aller Kreisverbände die Vorarbeit<br />

geleistet habe, solle sich eine „Landesarbeitsgemeinschaft 2009“<br />

(LAG 09) konstituieren, hieß es in der „Thüringen Stimme“ vom<br />

Dezember. Dem Gremium werde in einer für Januar 2008 terminierten<br />

ersten Tagung ein „Masterplan 2009“ zur Diskussion vorgestellt.<br />

Insgesamt betrachtet gelang im Berichtsjahr die angestrebte „kommunale<br />

Verankerung“ nicht. Entsprechend nachdrücklich wurde die<br />

Forderung im Leitantrag auf dem Landesparteitag vorgetragen. 16<br />

Landesverband will möglicherweise mit eigener Liste zur<br />

Landtagswahl antreten<br />

Der „Deutschland-Pakt“ zwischen NPD und DVU sieht die Beteiligung<br />

der DVU an der Thüringer Landtagswahl 2009 vor. 17 Allerdings<br />

werden innerhalb der NPD und der „Freien Kräfte“ Stimmen<br />

lauter, die einen eigenen Wahlantritt der NPD fordern.<br />

16 Siehe Kapitel 3.1.2.6.<br />

17 Siehe Kapitel 3.1.1.3.


In der Dezemberausgabe der „Thüringen Stimme“ wurde angekündigt,<br />

hierzu mit der DVU sowohl auf Landes- als auch Bundesebene<br />

Gespräche führen zu wollen. Die Verfasser des Beitrages sehen die<br />

DVU in Thüringen weder sachlich noch personell in der Lage, die<br />

Kandidatur zu meistern. Wegen des anhaltenden Aufwärtstrends<br />

der NPD in Thüringen und der Erfolge der Partei bei der Bundestagswahl<br />

2005 plädieren sie für den Antritt der NPD. Den Partner<br />

DVU gelte es in den Gesprächen davon zu überzeugen, dass der<br />

Sinn des „Deutschland-Paktes“ am ehesten erfüllt werde, wenn die<br />

NPD in Zusammenarbeit mit der DVU und anderen nationalen<br />

Kräften in Thüringen das Ziel Landtagswahl ansteuere.<br />

Diese Position findet auch in Forderungen aus den Reihen der so<br />

genannten „Freien Kräfte“ Niederschlag. Es bleibe zu hoffen, so<br />

der Rechtsextremist Thomas GERLACH 18 in seiner Rede auf dem<br />

NPD-Landesparteitag im Dezember, dass die Bundespartei und die<br />

Thüringer NPD-Spitze gemeinsam mit der DVU die Chance 2009<br />

ergreife. GERLACH und andere „Freie Nationalisten“ jedenfalls<br />

stünden bereit.<br />

Der NPD-Landesverband Thüringen hat die ihn betreffende Vereinbarung<br />

im „Deutschland-Pakt“ offen in Frage gestellt. Insbesondere<br />

die eindeutige Aussage zur Lage der hiesigen DVU dürfte Gegenstand<br />

weiterer Diskussionen sein. Die eindeutige Positionierung<br />

der so genannten Freien Kräfte ist hierbei nicht unwesentlich. NPD<br />

und Neonazis eint im Freistaat trotz aller bestehenden Differenzen<br />

gegenwärtig vor allem die Hoffnung auf gemeinsame Erfolge<br />

im Wahljahr 2009. Sollte es zu keiner einvernehmlichen Lösung<br />

zwischen NPD und DVU kommen, dürfte die anstehende Thüringer<br />

Landtagswahl zu einer Zerreißprobe auch für das bundesweite<br />

Weiterbestehen der „Volksfront von Rechts“ werden.<br />

Bewertung und Ausblick<br />

Wenngleich die NPD in Thüringen insgesamt tagespolitisch aktueller<br />

geworden ist, erstreckte sich ihr übriges Steigerungspotenzial vorrangig<br />

auf quantitative Aspekte. Jedoch wurden auch hierbei längst<br />

nicht alle der für 2007 gesteckten Ziele erreicht. So ist die NPD<br />

18 Siehe Kapitel 4.4.1.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

45


46<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

nach wie vor nicht in allen Landkreisen mit Kreisverbänden vertreten,<br />

auch sind nicht alle Kreisverbände mit einer eigenen Netzseite<br />

im Internet präsent. Nach der personalintensiven und mit großem<br />

organisatorischen Aufwand betriebenen Mitgliederkampagne sind<br />

weitere bereits angekündigte Vorhaben wie die geplante Umfrage<br />

in landwirtschaftlichen Betrieben oder die Analyse der Mitgliederkampagne<br />

offenbar nicht oder nicht zeitnah umgesetzt worden.<br />

Letztlich werden der Zuwachs an Mitgliedern und die strukturelle<br />

Ausweitung der Partei für den Landesvorstand in erster Linie eine<br />

Herausforderung dahingehend sein, den Mangel an geeigneten<br />

Führungspersönlichkeiten zu beheben und die finanzschwachen<br />

Kreisverbände für eine qualitativ bessere Parteiarbeit vor Ort zu befähigen.<br />

Erschwerend kommt hinzu, dass es der NPD kaum noch<br />

gelingt, in Thüringen geeignete Räumlichkeiten für Parteiveranstaltungen<br />

zu erhalten. So konnte der Landesverband seinen Landesparteitag<br />

nicht wie geplant am 13. Oktober durchführen. Ebenso<br />

dürfte die anlässlich der Mitgliederkampagne deutlich gewordene<br />

relativ geringe Außenwirkung der Parteiaktivitäten den Landesvorstand<br />

fordern. Strebt die Partei doch gerade mit Blick auf die Wahlen<br />

im Jahr 2009 eine stärkere mediale Präsenz an. Nicht zuletzt auch<br />

deshalb ist eine Intensivierung der öffentlich wahrnehmbaren Parteiarbeit<br />

in den kommenden beiden Jahren sehr wahrscheinlich.<br />

3.1.2.9 Veranstaltungen des Landesverbands<br />

Im Vergleich zum Vorjahr hat der Landesverband seine öffentlichen<br />

Aktionen um ein Vielfaches gesteigert. Im Mittelpunkt standen<br />

dabei Themen wie „Abwanderung“ und „Sozialabbau“. Allein<br />

während der von Mai bis Juli unter dem Tenor „Hier bleiben. Anpacken!“<br />

durchgeführten „Mitgliederkampagne 2007“ fanden ca.<br />

60 Informationsstände und mehr als 40 Kundgebungen statt. 19 Die<br />

Mehrzahl der öffentlichen Aktionen war in Kooperation mit dem<br />

neonazistischen Spektrum abgewickelt worden.<br />

Mit der fünften Kundgebung „Rock für Deutschland“ am 30. Juni<br />

in Gera und der zweiten Veranstaltung „Fest der Völker“ am 8. September<br />

in Jena hielt der Landesverband an seiner Strategie fest,<br />

rechtsextremistische Musik mit politischer Agitation zu verbinden.<br />

19 2006: 18 Mahnwachen und Informationsstände, 11 Demonstrationen.


Ziel ist es, mehr Teilnehmer für öffentlichkeitswirksame Aktionen<br />

der Partei zu gewinnen, die Akzeptanz der NPD im aktionsorientierten<br />

rechtsextremistischen Spektrum zu steigern und in der<br />

Öffentlichkeit größere Präsenz zu zeigen. Zu den Veranstaltungen<br />

waren Szeneangehörige aus dem gesamten Bundesgebiet und aus<br />

dem Ausland angereist. In Gera versammelten sich ca. 650 Personen.<br />

Die Veranstaltung in Jena war mit 1.400 Teilnehmern zugleich<br />

die größte Aktion der Partei seit mehreren Jahren.<br />

Die Veranstaltungsreihen „Fest der Völker“, „Rock für Deutschland“<br />

und „Thüringentag der nationalen Jugend“ dürften auch in<br />

den kommenden Jahren in der Agenda rechtsextremistischer Veranstaltungen<br />

einen hohen Stellenwert einnehmen. Insbesondere das<br />

„Fest der Völker“ mit Auftritten zahlreicher rechtsextremistischer<br />

Bands und Rednern aus dem In- und Ausland zieht vergleichsweise<br />

viele Rechtsextremisten an.<br />

Folgende Veranstaltungen der Thüringer NPD waren im Berichtszeitraum<br />

von besonderer Bedeutung:<br />

„6. Thüringentag der nationalen Jugend“ am 19. Mai in Eisenach<br />

Am 19. Mai fand in Eisenach unter dem Motto „Hier bleiben und<br />

anpacken – Thüringens nationale Jugend bleibt im Land!“ der<br />

„6. Thüringentag der nationalen Jugend“ statt. An der Veranstaltung<br />

nahmen bis zu 370 Personen teil. Für die Organisation zeichnete in<br />

diesem Jahr der NPD-Kreisverband Wartburgkreis, federführend dessen<br />

stellvertretender Vorsitzender und zugleich Geschäftsführer des<br />

NPD-Landesverbands Thüringen, Patrick WIESCHKE, verantwortlich.<br />

Neben Rednern aus den Reihen der Thüringer NPD traten ein rechtsextremistischer<br />

Liedermacher und zwei Skinheadbands auf.<br />

Thematischer Schwerpunkt der Veranstaltung war der Bevölkerungsrückgang<br />

in Thüringen und die damit verbundenen gesellschaftspolitischen<br />

Auswirkungen. Was Volkstod sei, hieß es in einem für die<br />

Veranstaltung verfassten Aufruf der NPD, nenne sich heute „demo-<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

47


48<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

graphischer Wandel“. Der Bevölkerungsrückgang gehe, meinen die<br />

Verfasser des Aufrufs, mit einer einsetzenden Überfremdung einher.<br />

Der Anteil von Migranten an der Bevölkerung belaufe sich in<br />

Thüringen zwar „lediglich“ auf 4,7 %; die schleichende Überfremdung<br />

habe aber auch in Berlin, Hessen und andernorts auf diese<br />

Weise begonnen. Die NPD wolle diesen „Wandel“ ebenso wenig<br />

wie einen Bevölkerungsaustausch: Sie setze im Gegensatz zu den<br />

etablierten Parteien auf eine Familien- und Bevölkerungspolitik, die<br />

nichts anderes als das Volk und seinen Erhalt im Blick habe.<br />

„1. Mai-Aufmarsch“ in Erfurt<br />

Am 1. Mai fand in Erfurt unter dem Motto „Zukunft statt Globalisierung<br />

– Arbeit für Millionen statt Profit für Millionäre“ eine Demonstration<br />

der NPD statt, für die auf zahlreichen Internetseiten<br />

der rechtsextremistischen Szene Thüringens sowie im Bundesgebiet<br />

mobilisiert worden war. Diese „Gemeinschaftsdemonstration<br />

mitteldeutscher NPD-Verbände und freier Kräfte“ sollte, wurde<br />

vom rechtsextremistischen Spektrum im Internet bekannt gegeben,<br />

neben „anderen Aktionen zum 1. Mai“ den Auftakt einer deutschlandweiten<br />

NPD-Kampagne gegen den G8-Gipfel vom 6. bis<br />

8. Juni in Heiligendamm sowie die „zentrale Demonstration für<br />

Mitteldeutschland“ am 1. Mai bilden.<br />

Zur Eröffnungskundgebung versammelten sich ca. 600 Personen<br />

des rechtsextremistischen Spektrums. Die Zahl der aus Thüringen,<br />

Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Bayern angereisten Rechtsextremisten<br />

stieg zeitweise auf ca. 1.000 an. Die Demonstration<br />

konnte nicht wie geplant verlaufen, da Gegendemonstranten die<br />

Aufzugsroute versperrten. Ebenso wenig konnten Ansprachen gehalten<br />

werden. Die Teilnehmer der Demonstration lehnten es ab,<br />

eine Standkundgebung durchzuführen. Sie wollten den Aufmarsch<br />

erzwingen, indem einige unter ihnen die Polizeiabsperrung zu<br />

durchbrechen suchten. Nachdem sie die eingesetzten Polizeibeamten<br />

mit Flaschen und Steinen beworfen hatten, wurde die Veranstaltung<br />

verboten, der Versammlungsraum danach geräumt.<br />

Die Demonstration in Erfurt übertraf hinsichtlich der Teilnehmerzahl<br />

alle vergleichbaren Veranstaltungen, die vom rechtsextremistischen<br />

Spektrum seit mehr als 10 Jahren in Thüringen organisiert


wurden. Sie dürfte insbesondere deshalb einen großen Zulauf<br />

aus Mitteldeutschland gefunden haben, da die üblicherweise in<br />

Leipzig durchgeführte 1. Mai-Demonstration des neonazistischen<br />

Spektrums abgesagt worden war.<br />

„Rock für Deutschland“ am 30. Juni in Gera<br />

In Fortsetzung der Veranstaltungsreihe „Rock für Deutschland” fand<br />

am 30. Juni in Gera eine Kundgebung des NPD-Kreisverbands Gera<br />

unter dem Motto „Heimat ist mehr als nur ein Standort” mit ca.<br />

650 Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet statt. Rede-<br />

und Musikbeiträge wechselten sich ab. Im Internet war bundesweit<br />

über eine eigens eingerichtete Sonderseite mobilisiert worden.<br />

Seit dem Jahr 2003 organisiert der NPD-Kreisverband Gera, unterstützt<br />

von den „Freien nationalen Kräften Thüringens“, diese Veranstaltung,<br />

welche zusehends Anziehungskraft auf Szeneanhänger<br />

ausübt. Bereits in den Jahren 2005 und 2006 waren zwischen 600<br />

und 750 Teilnehmer zu verzeichnen.<br />

NPD-Demonstration am 18. August in Jena<br />

Unter dem Motto „Weg mit den Volksverhetzungsgesetzen – Für<br />

Meinungsfreiheit“ demonstrierten am 18. August ca. 380 Rechtsextremisten<br />

in Jena. Für den organisatorischen Ablauf zeichneten der<br />

NPD-Kreisverband Jena und Personen aus den Reihen der „Freien<br />

Nationalisten“ verantwortlich. Die Veranstaltung zählte zu den größeren<br />

Kundgebungen, die 2007 im Bundesgebiet mit Bezug zum<br />

Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf HEß stattfanden. Neben<br />

Angehörigen der rechtsextremistischen Szene Thüringens reisten<br />

auch Szeneanhänger aus Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen,<br />

Sachsen-Anhalt und Brandenburg zur Demonstration an.<br />

„Fest der Völker“ am 8. September in Jena<br />

Am 8. September veranstaltete der NPD-Kreisverband Jena unter<br />

dem Motto „2. Fest der Völker – für ein Europa der Vaterländer“<br />

in Jena eine Kundgebung, an der sich etwa 1.400 Personen aus<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

49


50<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

der gesamten Bundesrepublik und einer Reihe von europäischen<br />

Ländern beteiligten. Sie war von Ralf WOHLLEBEN, Vorsitzender<br />

dieses Kreisverbands und stellvertretender Landesvorsitzender der<br />

NPD, angemeldet und gemeinsam mit führenden Aktivisten der<br />

„Freien Kräfte“ sowohl organisiert als auch durchgeführt worden.<br />

Während der Veranstaltung traten zahlreiche Redner und mehrere<br />

rechtsextremistische Bands aus Deutschland und dem europäischen<br />

Ausland auf.<br />

Das in diesem Jahr organisierte „Fest der Völker“ sei, hoben die<br />

Veranstalter im Internet hervor, das „größte Treffen Nationaler<br />

Sozialisten und Demokraten seit 1992 in Thüringen“ gewesen,<br />

hätten an ihm doch „ca. 1.700 bis 2.000 freiheitsliebende Europäer“<br />

teilgenommen. Die „von Linksfaschisten und Antidemokraten<br />

befürchtete – und sich entwickelnde – Europäische Front“,<br />

betonten die Veranstalter, bestehe längst. In der nächsten Zeit solle<br />

unter Beweis gestellt werden, dass es „einen europäischen Kampfbund<br />

gebe, der auch bereit und in der Lage ist, europaweit zu<br />

agieren“.<br />

Im Vorfeld der Veranstaltung hatte die NPD am 7. September im<br />

„Bürgerhaus“ in Jena eine Pressekonferenz abgehalten, an der der<br />

Bundesvorsitzende Udo VOIGT, der stellvertretende Bundesvorsitzende<br />

Holger APFEL, der Vorsitzende des Landesverbands Thüringen,<br />

Frank SCHWERDT, der Geschäftsführer des Landesverbands,<br />

Patrick WIESCHKE, sowie der Vorsitzende des Landesverbands<br />

Thüringen der DVU, Walter BECK, mitwirkten.<br />

3.1.3 „Junge Nationaldemokraten“ (JN)<br />

3.1.3.1 Der Bundesverband der JN<br />

Mit den JN verfügt die NPD als einzige der rechtsextremistischen<br />

Parteien über eine zahlenmäßig relevante Jugendorganisation. Sie<br />

wurde 1969 gegründet und bildet einen „integralen Bestandteil der<br />

NPD“. Die JN sehen sich als „nationalistische Jugendbewegung<br />

Deutschlands“ mit „revolutionärer Ausrichtung“ an. Sie bekennen<br />

sich zur „Volksgemeinschaft“, die sie in „einer neuen nationalistischen<br />

Ordnung“ verwirklichen wollen.


Am 6. Oktober wurde im Rahmen des Bundeskongresses Michael<br />

SCHÄFER zum neuen Bundesvorsitzenden der JN gewählt. Kraft<br />

seines Amtes ist er zugleich Mitglied des Parteivorstands der NPD.<br />

Die Wahlentscheidung spricht für das Bemühen der JN, sich deutlicher<br />

von der NPD abzugrenzen und ein eigenständigeres Profil zu<br />

erlangen. Es ist zu erwarten, dass der Verband verstärkt die Nähe<br />

zu den „Freien Kräften“ suchen wird. SCHÄFER kündigte in einem<br />

Interview in der Dezemberausgabe der NPD-Parteizeitung „Deutsche<br />

Stimme“ bereits an, die JN solle in den nächsten Jahren zu<br />

„einer modernen und schlagkräftigen nationalistischen Jugendorganisation“<br />

werden. Man wolle der Jugend einen sozialistischen,<br />

nationalen und völkischen „Befreiungsnationalismus“ vermitteln.<br />

Der neugeschaffene „Nationale Bildungskreis“ (NBK) werde flächendeckend<br />

Schulungsarbeit durchführen, um so den „Kampf um<br />

die Köpfe“, die „intellektuelle Aufrüstung“ der Bewegung zu verwirklichen.<br />

Im Berichtszeitraum waren die JN mit der Herausgabe von Publikationen<br />

um Öffentlichkeit bemüht. So erschien die bundesweite<br />

JN-Mitgliederzeitschrift „Der Aktivist. Zentralorgan der Jungen<br />

Nationaldemokraten“ wieder. Die NPD/JN-Landesverbände Berlin<br />

und Brandenburg verteilten eigenen Angaben nach an Schulen in<br />

Berlin und Brandenburg die gemeinsam erstellte Schülerzeitung<br />

„Stachel“, in der nach NPD-üblicher Manier rechtsextremistisches<br />

Gedankengut mit jugendspezifischen Themen verwoben wurde. In<br />

der zweiten Jahreshälfte unterband die Staatsanwaltschaft Dresden<br />

die Verteilung der vom JN-Landesverband Sachsen erstmals herausgegebenen<br />

Schrift „perplex“. Auch in Rheinland-Pfalz waren<br />

mit der Publikation „Schinderhannes“ und im Saarland mit „Rechts<br />

vor Links“ Schülerzeitungen der JN verbreitet worden.<br />

Wenngleich die JN seit der als richtungsweisend geltenden Wahlentscheidung<br />

vom Oktober einige Landesverbände und regionale<br />

Stützpunkte gegründet haben, ist es ihnen bisher nicht gelungen,<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

51


52<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

die Organisation spürbar wiederzubeleben und das Personenpotenzial<br />

zu steigern. Die Zahl ihrer Mitglieder dürfte sich bundesweit<br />

auf ca. 400 belaufen.<br />

3.1.3.2 Der Thüringer Landesverband der JN<br />

Den JN ist es bisher in Thüringen kaum gelungen, eigene politische<br />

Akzente zu setzen, um sich von der NPD zu „emanzipieren“<br />

und als eigenständige Organisation neben der NPD wahrgenommen<br />

zu werden. Dem JN-Landesverband Thüringen gehören etwa<br />

30 Mitglieder an (Eigenangabe 50). Derzeit existieren in Thüringen<br />

vier JN-Stützpunkte in Erfurt, Jena, Weimar und Hildburghausen,<br />

von denen lediglich jene in Erfurt und Jena Aktivitäten entfalten.<br />

Am 10. Februar veranstaltete der Landesverband der JN unter dem<br />

Motto „Wir tragen das Vaterland im Herzen“ in Kleindembach<br />

(Saale-Orla-Kreis) einen „Landesjugendtag“. An der Veranstaltung<br />

sollen Eigenangaben zufolge ca. 150 Personen teilgenommen haben,<br />

unter denen sich auch Friedhelm BUSSE, ein Neonazi aus<br />

Bayern, Stefan ROCHOW, damaliger Bundesvorsitzender der JN,<br />

sowie Udo PASTÖRS, Fraktionsvorsitzender der NPD im Landtag<br />

von Mecklenburg-Vorpommern, befanden. Im Rahmen der Veranstaltung<br />

wurde der Landesvorstand neu gewählt. Als Vorsitzender<br />

fungiert nunmehr Christian KAISER, der den Stützpunkt in Jena leitet,<br />

als dessen Stellvertreter der JN-Stützpunktleiter Erfurt, Dominik<br />

WEINLICH. KAISER formulierte als Ziel, die „Jugendarbeit in Thüringen<br />

strukturell und personell voranzutreiben“, dem Verband<br />

ein „eigenes Profil“ zu geben und „eine weltanschaulich gefestigte<br />

und idealistische Jugend zu formen“.<br />

Die Thüringer JN traten im Berichtszeitraum mit zahlreichen Flugblattverteilaktionen<br />

in Erscheinung. Der JN-Stützpunkt Erfurt streute<br />

im Februar Flyer u. a. mit der Aufschrift „Vor 63 Jahren fiehlen<br />

keine Papierschnipsel vom Himmel … 20. Februar 1944 – ERFURT<br />

– unvergessen“ und „Wir gedenken allen Opfern! Kein Vergeben<br />

– Kein Vergessen!“ 20 . Darüber hinaus organisierte insbesondere<br />

der JN-Stützpunkt Erfurt zahlreiche demonstrative Aktionen in Kooperation<br />

mit dem örtlichen NPD-Verband. So fand am 17. Au-<br />

20 Fehler im Original.


gust auf dem Erfurter Anger unter dem Motto „Meinungsfreiheit<br />

wiederherstellen – Weg mit den Volksverhetzungsgesetzen!“ eine<br />

gemeinschaftlich initiierte Mahnwache statt.<br />

Für das Jahr 2008 haben die JN in Thüringen angekündigt, ihre<br />

Kader regelmäßig zu verschiedenen Themen schulen, eigenes Informationsmaterial<br />

erstellen und dieses vor Schulen verteilen zu<br />

wollen. Neben der Herausgabe einer JN-Schülerzeitung für Thüringen<br />

wurde ein verstärktes Tätigwerden an Schulen und Jugendclubs<br />

angekündigt.<br />

3.2 „Deutsche Volksunion“ (DVU)<br />

3.2.1 Der Bundesverband der DVU<br />

Bund Thüringen<br />

Gründungsjahr 1987 1991<br />

Sitz München Oldisleben<br />

Mitglieder<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

ca. 9.000<br />

ca. 8.500<br />

ca. 7.000<br />

Publikation „National-Zeitung/<br />

Deutsche Wochenzeitung“<br />

(NZ)<br />

Internet eigener<br />

Internetauftritt<br />

ca. 80<br />

ca. 60<br />

ca. 50<br />

kein eigener<br />

Internetauftritt<br />

vorhanden 21<br />

Die DVU wurde 1987 22 in München unter dem Namen „Deutsche<br />

Volksunion-Liste D“ (DVU-Liste D) gegründet und 1991 durch<br />

Satzungsänderung in „Deutsche Volksunion“ (DVU) umbenannt.<br />

21 Auf der Internetseite des Bundesverbands findet sich ein Hinweis auf den Landesverband.<br />

22 DVU e.V. 1971 als Verein gegründet, 1987 als Partei konstituiert, 1987 – 1991 „DVU-Liste D“.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

53


54<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Über viele Jahre war sie die mitgliederstärkste rechtsextremistische<br />

Partei Deutschlands. Im Berichtszeitraum ist die Partei mit nunmehr<br />

ca. 7.000 Mitgliedern – einschließlich des DVU e.V. und weiterer<br />

Nebenorganisationen – knapp hinter die NPD zurückgefallen. In<br />

allen Bundesländern verfügt die Partei über Landesverbände. Gegenwärtig<br />

ist sie in Brandenburg im Landesparlament vertreten.<br />

Bei den Wahlen in Bremen am 13. Mai konnte die DVU ihren Sitz<br />

in der Bremer Bürgerschaft verteidigen. Der einzige Abgeordnete<br />

hatte jedoch im Juli die DVU-Mitgliedschaft aufgegeben.<br />

Im Gegensatz zur NPD gelang es der DVU auch 2007 nicht, durch<br />

den „Deutschland-Pakt“ an Attraktivität innerhalb der rechtsextremistischen<br />

Szene zu gewinnen und den seit Jahren andauernden<br />

Mitgliederverlust aufzuhalten. Aufgrund der Inaktivität einzelner<br />

Landesverbände fällt es der DVU zunehmend schwer, sich der NPD<br />

als gleichwertiger Partner im „Deutschland-Pakt“ zu präsentieren.<br />

Die Partei wird von Dr. FREY zentralistisch<br />

geführt. Sein bedingungsloser<br />

Machtanspruch lässt den<br />

Dr. Gerhard Frey<br />

Unterorganisationen keinen Handlungsspielraum<br />

für eigene Initiativen<br />

und selbstständige politische Arbeit.<br />

Nach wie vor ist die DVU bei ihrem<br />

Vorsitzenden hoch verschuldet.<br />

FREY – in Personalunion Vorsitzender<br />

und Kreditgeber der Partei – besitzt<br />

eine ungewöhnliche Machtfülle. Er ist faktisch zugleich deren<br />

Chefideologe und -stratege, alleinige Entscheidungsinstanz in Sachund<br />

Personalangelegenheiten, einzig befugtes Sprachrohr und nicht<br />

zuletzt ihr oberster Spendeneintreiber und Großfinanzier.<br />

Das Programm der DVU ist bewusst vage gehalten, um die extremistische<br />

Zielsetzung zu verschleiern und möglichst wenig Angriffsfläche<br />

zu bieten. In dem inoffiziellen Parteiorgan „National-Zeitung/<br />

Deutsche Wochenzeitung“ tritt die rechtsextremistische Ausrichtung<br />

weitaus deutlicher zu Tage. In dem Blatt werden typische rechtsex-


tremistische Agitationsfelder unter dem Blickwinkel eines übersteigerten<br />

Nationalismus aufgegriffen. Besondere Schwerpunkte bilden<br />

Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiamerikanismus sowie<br />

ein umfassender Revisionismus. Ausländer und Juden werden<br />

pauschal diskreditiert und als antideutsche Feindbilder dargestellt.<br />

3.2.2 Der Thüringer Landesverband der DVU<br />

Der 1991 gegründete Thüringer Landesverband der DVU steht seit<br />

2003 unter der Leitung von Walter BECK. Wenngleich der Verband<br />

über mehrere Kreisverbände verfügt, bleiben die Aktivitäten der Parteimitglieder<br />

meist auf den Bezug der wöchentlich erscheinenden DVU-<br />

Publikation sowie den gelegentlichen Besuch der „Politischen Stammtische“<br />

beschränkt. Eine kontinuierliche Parteiarbeit hat sich nicht zuletzt<br />

wegen des autoritären Führungsstils des Bundesvorsitzenden, der den<br />

Parteiuntergliederungen kaum Freiräume für eigene politische Arbeit<br />

lässt, nie entwickelt. Der Mangel an engagierten Mitgliedern gepaart<br />

mit dem Unvermögen, den stetigen Mitgliederrückgang zu stoppen,<br />

lässt den Landesverband, dem im Berichtszeitraum noch etwa 50 Personen<br />

zugerechnet wurden, zunehmend orientierungslos erscheinen.<br />

Kontakte zur NPD bestehen vorwiegend über den DVU-Landesvorsitzenden<br />

Walter BECK, der selbst an einzelnen NPD-Veranstaltungen<br />

teilnahm. Seine Anwesenheit bei der NPD-Pressekonferenz<br />

zum „Fest der Völker“ in Jena wurde von den „Freien Kräften“ begrüßt.<br />

Zeige sie doch, dass sich die DVU in Thüringen „inzwischen<br />

offener in Richtung nationaler und sozialistischer Bestrebungen<br />

organisiert“ und „mit allen Kräften des volkstreuen Lagers kooperiert“.<br />

BECK war zudem auf dem Landesparteitag der NPD am 8.<br />

Dezember als Gast zugegen. Einen noch höheren Bekanntheitsgrad<br />

erlangte der DVU-Funktionär Uwe BÄZ-DÖLLE. Seit 1999 amtiert<br />

er als Beisitzer im Landesvorstand der DVU, die er im Stadtrat von<br />

Lauscha vertritt. Aufgrund seines kommunalpolitischen Engagements<br />

erlangte er gewisse Akzeptanz in der dortigen Bevölkerung.<br />

Wie BECK unterhält BÄZ-DÖLLE gute Kontakte zur NPD, aber auch<br />

zum lokalen neonazistischen Spektrum. Beide DVU-Funktionäre<br />

traten im Jahr 2005 auf der Liste der NPD zur Bundestagswahl an.<br />

Innerhalb des rechtsextremistischen Lagers kommt der DVU dennoch<br />

nur ein geringer Stellenwert zu. Die einzelnen Kooperati-<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

55


56<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

onen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage der<br />

Partei als desolat eingeschätzt und der DVU die Kandidatur zur<br />

Landtagswahl nicht zugestanden wird. Die daraus möglicherweise<br />

erwachsenden Auseinandersetzungen könnten den Fortbestand<br />

der „Volksfront von Rechts“ gefährden.<br />

3.3 „Deutsche Partei“ (DP)<br />

3.3.1 Der Bundesverband der DP<br />

Bund Thüringen<br />

Gründungsjahr 1993 2003<br />

Sitz Erfurt Zella-Mehlis<br />

Mitglieder<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

ca. 500<br />

ca. 500<br />

ca. 250<br />

Publikation „Deutschland Post“<br />

Internet eigener Internetauftritt<br />

des Bundesverbands<br />

und mehrerer<br />

Landesverbände<br />

ca. 20<br />

ca. 15<br />

unter 10<br />

kein eigener<br />

Internetauftritt<br />

Die DP wurde am 9. Mai 1993 (wieder) gegründet. Als ihr Bundesvorsitzender<br />

amtierte von 2001 bis Anfang 2005 Dr. Heiner KAP-<br />

PEL. Ein interner Richtungsstreit zog die Abwahl KAPPELs im Januar<br />

2005 nach sich. Ab Mai 2005 fungierten Claudia WIECHMANN<br />

(Sachsen-Anhalt) und Ulrich PÄTZOLD (Bayern) als gleichberechtigte<br />

Bundesvorsitzende.<br />

Bei dem am 24. Juni in Neuhof-Rommerz (Hessen) durchgeführten<br />

Bundesparteitag der DP gelang es nicht, die seit Monaten andauernden<br />

internen Streitigkeiten um die Führung der Partei zu been-


den. Der Parteitag war aufgrund eines im März vor dem Verwaltungsgericht<br />

Wiesbaden geschlossenen Vergleichs zwischen den<br />

amtierenden Bundesvorsitzenden WIECHMANN und PÄTZOLD<br />

einerseits und dem ehemaligen Bundesvorsitzenden Dr. KAPPEL<br />

andererseits notwendig geworden. Zum neuen Bundesvorsitzenden<br />

wurde mit Alfred KUHLEMANN (Niedersachsen) ein Anhänger<br />

KAPPELs gewählt. Damit haben sich scheinbar jene Kräfte in der<br />

Partei durchgesetzt, die eine Kooperation mit der NPD ablehnen.<br />

Die DP, der Ende 2007 bundesweit nur noch etwa 250 Mitglieder<br />

angehörten, gliedert sich in mehrere Landesverbände, die teils inaktiv<br />

sind oder zumindest über keine gefestigten Strukturen verfügen.<br />

Der Partei gelang es im Berichtzeitraum nicht, den sich abzeichnenden<br />

Auflösungserscheinungen entgegenzusteuern. Der innerparteiliche<br />

Richtungsstreit um eine mögliche Kooperation mit anderen<br />

national gesinnten Gruppierungen/Parteien und die zurückliegenden<br />

persönlichen Auseinandersetzungen haben die DP in ihrer Substanz<br />

ausgebrannt. Die Vielzahl der damit verbundenen Parteiaustritte<br />

lässt den weiteren Bestand der Partei fraglich erscheinen.<br />

Bei der DP liegen tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische<br />

Bestrebungen vor, wenngleich nicht jedes Mitglied verfassungsfeindliche<br />

Ziele verfolgt. Der Agitation der Partei liegen<br />

unterschwellig fremdenfeindliche Denkmuster zugrunde, die sich<br />

gegen die Zuwanderung von Ausländern richten.<br />

3.3.2 Der Thüringer Landesverband der DP<br />

Der Landesverband wurde 2003 gegründet, als dessen Vorsitzender<br />

amtiert seither Kurt HOPPE. Der anhaltende interne Richtungsstreit<br />

im Bundesvorstand lähmte auch im Berichtszeitraum die Parteiarbeit<br />

im Landesverband. Die ohnehin geringe Mitgliederzahl<br />

ging von etwa 15 Personen im Jahr 2006 im Berichtszeitraum auf<br />

unter 10 zurück. Einzig Kurt HOPPE und Christian BÄRTHEL engagierten<br />

sich aktiv auch in anderen rechtsextremistischen Zusammenhängen<br />

in Thüringen.<br />

Anders als auf Bundesebene befürworten die Mitglieder des Thüringer<br />

Landesverbands der DP eine Zusammenarbeit mit anderen<br />

rechtsextremistischen Parteien/Organisationen. Dies drückt sich in<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

57


58<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

ihren engen Kontakten zur NPD bzw. zum neonazistischen Spektrum<br />

aus. So beteiligte sich der Landesvorsitzende der DP aus Anlass<br />

des Volkstrauertages am 18. November als stellvertretender<br />

Versammlungsleiter und Redner an einer Gedenkfeier des rechtsextremistischen<br />

Spektrums am Soldatengrab auf der Schmücke bei<br />

Oberhof.<br />

4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus)<br />

4.1 Ideologischer Hintergrund<br />

Die Neonaziszene verfügt ebenso wenig über eine einheitliche,<br />

in sich geschlossene Ideologie wie der „historische Nationalsozialismus“.<br />

Die Ansichten der Neonazis setzen sich aus ideologischen<br />

Versatzstücken nationalsozialistischer und gewaltverherrlichender<br />

Rhetorik und Symbolik sowie subkulturellen Elementen<br />

zusammen. Die Übergänge zwischen der politisch-ideologisch geprägten<br />

Neonaziszene einerseits und dem subkulturell geprägten<br />

Spektrum andererseits sind fließend, es bestehen starke personelle<br />

Überschneidungen. Was den meisten Neonazis an weltanschaulich-ideologischem<br />

Wissen fehlt, wird von ihnen durch eine provozierende<br />

und aggressive Haltung nach außen kompensiert. Da<br />

sich Neonazis auf führende Personen der nationalsozialistischen<br />

Diktatur, auf deren Symbole und Riten berufen, geht von ihnen ein<br />

hohes Provokationspotenzial aus.<br />

Neonazis betrachten ihre Umwelt aus der Sicht rassistisch unterlegter<br />

„Freund-Feind“-Kategorien. Sie sind der Überzeugung, sich<br />

in einem permanenten Kampf gegen das angeblich übermächtige<br />

„Weltjudentum“ zu befinden, das sie Außenstehenden gegenüber<br />

mit der Kurzformel ZOG 23 verschleiern. Ihrer Ansicht nach werden<br />

die westlichen Regierungen – insbesondere die der USA und<br />

Deutschlands – vom „internationalen Finanzjudentum“ gesteuert<br />

und unterstützten dessen Streben nach der Weltherrschaft. Als<br />

Chiffre für diese Behauptung wird von ihnen der Begriff „amerikanische<br />

Ostküste“ verwendet.<br />

23 ZOG steht für „Zionist Occupied Government“ („zionistisch beherrschte Regierung“).


4.2 Organisationsformen der Neonaziszene<br />

im Allgemeinen<br />

Neonazis sind in einer Vielzahl rechtsextremistischer Organisationen<br />

und Gruppierungen sowie meist regional und in lockeren Strukturen<br />

organisiert. Nachdem Anfang der neunziger Jahre mehrere<br />

neonazistische Organisationen verboten worden waren, reagierten<br />

die Neonazis mit zwei verschiedenen Gegenstrategien. Auf der Suche<br />

nach Organisationsformen fand sich ein Teil der Neonazis, die<br />

sich selbst als „Freie Nationalisten“ bezeichnen, in unabhängigen<br />

Kameradschaften („Organisierung ohne Organisation“) zusammen.<br />

Andere Neonazis wählten das „legale Dach“ der NPD als Unterschlupf<br />

und nutzten deren Parteienprivileg für eigene Aktionen.<br />

Konzept der „Freien Kameradschaften“<br />

Die dominierende Organisationsform der Neonaziszene bildete<br />

viele Jahre die „Freie Kameradschaft“. Kameradschaften existieren<br />

in fast allen Bundesländern, obwohl selbst führende Neonazis in<br />

den letzten Jahren der NPD beigetreten sind und sich dort engagieren.<br />

Die Parteianbindung hindert sie in der Regel nicht, weiter<br />

für die Kameradschaft aktiv zu bleiben. Das Konzept der „Freien<br />

Kameradschaften“ sieht vor, sowohl als kleine autonome Einheiten<br />

auf meist lokaler bzw. regionaler Ebene zu agieren als auch sich<br />

über technische und personelle Kontakte überregional zu vernetzen.<br />

Aufgrund ihres informellen Charakters sollen den Behörden<br />

weniger Angriffspunkte geboten werden, gegen die Kameradschaften<br />

vorzugehen. Obwohl Kameradschaften meist keine oder nur<br />

geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie dennoch<br />

kraft einer verbindlichen Funktionsverteilung deutlich strukturiert.<br />

Sie werden durch die Bereitschaft getragen, gemeinsam politische<br />

Arbeit in der Absicht zu leisten, neonazistisches Gedankengut zu<br />

verbreiten. Die Verfassungsschutzbehörden sprechen dann von einer<br />

neonazistischen „Kameradschaft“, wenn die jeweilige Gruppierung<br />

die folgenden Merkmale aufweist:<br />

• einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer<br />

Fluktuation,<br />

• eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung,<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

59


60<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

• eine zumindest rudimentäre Struktur und<br />

• die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis<br />

einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen<br />

Grundorientierung.<br />

Um die Beschränkung auf einen lokalen Wirkungskreis auszugleichen,<br />

werden hin und wieder Aktionsbündnisse und -büros gebildet.<br />

Diese sollen dazu beitragen, die Mobilisierung zu verbessern<br />

und gemeinsame Projekte zu entwickeln. Sie sind teils über Internetseiten<br />

vernetzt, werden aber – von Ausnahmen abgesehen<br />

– ihrem Koordinierungsanspruch nicht gerecht.<br />

„Autonome Nationalisten“ (AN)<br />

Seit einigen Jahren treten in einzelnen Bundesländern bei rechtsextremistischen<br />

Demonstrationen Personengruppen auf, die sich als<br />

„Autonome Nationalisten“ bezeichnen. Deren Kennzeichen sind:<br />

• militante Kampfformen („Schwarzer Block“ und Gewaltandrohungen<br />

gegen Polizei und Gegendemonstranten),<br />

• ein verändertes Outfit (schwarze Kleidung oder/und Vermummung),<br />

• die Verwendung modifizierter linksextremistischer Symbolik,<br />

• eine mit Anglizismen durchsetzte Sprache.<br />

Die AN verstehen sich dabei nicht als Organisation im klassischen<br />

Sinne, sondern als politische Strömung innerhalb der Neonaziszene.<br />

Nach dem im Internet veröffentlichten Selbstverständnis<br />

sehen sie sich als „revolutionäre Linksnationalisten“ oder auch<br />

„Nationalsozialisten“, die sich jedoch vom Hitlerismus distanzieren<br />

und stattdessen auf „sozialrevolutionäre (…) Aktivisten in der<br />

nationalsozialistischen Ursprungsbewegung“ Bezug nehmen. Die<br />

Einordnung in das „stereotype ‚links-rechts‘-Schubladendenken“<br />

lehnen die AN ab. Vielmehr definiere man sich „positiv über eventuell<br />

bestehende Interessenüberschneidungen“. Obwohl nicht an<br />

„bestehende Parteien, Organisationen und Strukturen gebunden“,<br />

stünden sie diesen „nicht unkooperativ gegenüber“. Darüber hinaus<br />

bekenne man sich zu einem „Menschenbild innerhalb des<br />

eigenen Volkes“, das die Gleichberechtigung der Frau anerkenne<br />

und sich gegen Sozialdarwinismus richte. Hinsichtlich der ge-


wählten „autonomen“ Aktionsform heißt es, der Verzicht auf straff<br />

durchorganisierte Gruppen erschwere staatlichen Stellen und dem<br />

politischen Gegner die Aufklärungsarbeit. „Das Konzept des politischen<br />

Soldaten ist der exekutiven Macht des Systems heute nicht<br />

mehr gewachsen. An seine Stelle tritt der politische Partisan, der<br />

sich unerkannt und anonym in der Gesellschaft, die er ablehnt,<br />

bewegt, um sie gezielt im Sinne der nationalen Revolution zu unterwandern.“<br />

Die AN verzeichnen bislang nur begrenzt personelle Zuwächse.<br />

Ihr Anteil an der bundesweiten Neonaziszene beläuft sich auf etwa<br />

zehn Prozent. Aufgrund der von ihnen praktizierten „Minimalkonsensideologie“,<br />

ihrer Offenheit gegenüber anderen Jugendsubkulturen<br />

und des erlebnisorientierten Politikstils gewinnen sie jedoch<br />

vornehmlich innerhalb der etablierten Neonaziszene Befürworter.<br />

Jugendcliquen/Mischszene 24<br />

Neben den angesprochenen Organisationsformen existieren weitere<br />

nahezu unstrukturierte Szenen, in denen Neonazis Aktivitäten<br />

entfalten. Diese bilden sich aus Mangel an attraktiven sozialen Alternativen<br />

vorrangig im ländlichen Raum. Zwischen jenen Cliquen<br />

und dem Bereich der subkulturell geprägten Rechtsextremisten bestehen<br />

keine klaren Trennlinien.<br />

Auch diese Jugendcliquen wählen mitunter die Bezeichnung „Kameradschaft“.<br />

In einigen Fällen wird der Zusammenhalt auch durch<br />

martialisch klingende Phantasienamen beschworen. Solche überwiegend<br />

regionalen, subkulturell geprägten Cliquen treffen sich<br />

u. a. in Privatwohnungen und Gaststätten, an Tankstellen, Garagenkomplexen<br />

und anderen öffentlichen Räumen. Ihre Mitglieder<br />

verfügen meist über eine rechtsextremistische Grundeinstellung.<br />

Im Vordergrund der Cliquen stehen jedoch gemeinsame Freizeitaktivitäten,<br />

die Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen<br />

und Konzerten sowie das gemeinschaftliche Auftreten. Den<br />

Cliquen mangelt es oft entweder an einem abgegrenzten Aktivistenstamm<br />

oder an einer zumindest rudimentären Struktur, die auch<br />

gebietet, sich dauerhaft zu engagieren. Die Anzahl der ihnen zu-<br />

24 Siehe auch Kapitel 5.3.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

61


62<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

gehörigen Personen schwankt. Mitunter fallen diese Cliquen durch<br />

provokatives Verhalten in der Öffentlichkeit auf, dessen Folgen<br />

auch Propagandadelikte, Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen<br />

sein können.<br />

4.3 Zusammenarbeit mit der NPD<br />

Der von der NPD proklamierte und von Teilen der Neonaziszene<br />

verwendete Begriff „Nationaler Widerstand“ bezeichnet den Willen<br />

von Rechtsextremisten, gemeinsam organisationsübergreifend gegen<br />

das politische System der Bundesrepublik und die sie tragenden<br />

Kräfte vorzugehen. Während des letzten Jahrzehnts war das Verhältnis<br />

zwischen NPD und Neonazis sowohl von Annäherung als auch<br />

von Abgrenzung gekennzeichnet. Im Jahr 2004 leitete die zwischen<br />

der NPD und Teilen der Neonaziszene getroffene Absprache, künftig<br />

offen zusammen zu arbeiten, eine neue Entwicklung ein. Sie<br />

erreichte in dem Konzept, die extreme Rechte in einer „Volksfront<br />

von Rechts“ zusammenzuschließen, ihren Höhepunkt. 25<br />

Das Neonazispektrum setze die Zusammenarbeit mit der NPD auch<br />

im Jahr 2007 fort. Trotz der weit gediehenen Kooperation brechen<br />

gelegentlich deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den<br />

„Freien Kräften“ und der Partei auf. Augenscheinlich wurde dies,<br />

nachdem das NPD-Präsidium im August einen „Abgrenzungsbeschlusses“<br />

gegenüber den „Autonomen Nationalisten“ veröffentlicht<br />

hatte. Daraufhin erklärte sich der weitaus größere Teil der<br />

deutschen Neonaziszene mit den „Autonomen Nationalisten“ solidarisch.<br />

Um die entstandenen Wogen zu glätten, sah sich die NPD<br />

schließlich gezwungen, ihre Aussagen teilweise zurückzunehmen.<br />

Sollte die NPD auch künftig Wahlerfolge vorweisen können, wird<br />

die Zahl derer, die eine weitere Zusammenarbeit mit der Partei<br />

befürwortet, dennoch überwiegen. Für die fortdauernde Attraktivität<br />

der „Volksfront von Rechts“ spricht zudem die Annäherung<br />

Christian WORCHs an die Partei im Rahmen des Wahlkampfes für<br />

die Landtagswahl 2008 in Niedersachsen. WORCH, bundesweit<br />

bekannter Neonazis aus Hamburg, gerierte sich bis vor kurzem<br />

noch als einer der größten Kritiker der NPD.<br />

25 Siehe Kapitel 3.1.1.3.


4.4 Personenpotenzial und Gruppierungen<br />

der Neonaziszene in Thüringen<br />

Die Zahl Thüringer Neonazis ging im Berichtszeitraum erneut zurück.<br />

Sie sank von ca. 200 Personen im Jahr 2006 auf ca. 160 Personen.<br />

Die bundesweite Entwicklung ist gegenläufig, hier war ein<br />

leichter Anstieg auf etwa 4.400 (2006: 4.200) Personen zu verzeichnen.<br />

Der Rückgang in Thüringen ist vor allem darin begründet,<br />

dass erneut Neonazis der NPD beitraten und sich nunmehr<br />

vorwiegend dort engagieren. Zahlreiche Neonazis gehören zugleich<br />

der NPD und einer Kameradschaft an.<br />

Die Thüringer Neonazis sind etwa zu 50 % zwischen 20 und 24<br />

und zu 25 % zwischen 25 und 30 Jahre alt; nur ca. 10 % sind älter.<br />

Etwa 15 % haben das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet. Der<br />

Frauenanteil liegt bei ca. 17 %.<br />

Soweit Thüringer Neonazis organisiert sind, handelt es sich dabei<br />

neben Mitgliedschaften in der NPD vor allem um Zugehörigkeiten<br />

zu Kameradschaften, Mischszenen oder sonstigen lockeren Personenzusammenschlüssen.<br />

Es existieren im Freistaat jedoch keine regional<br />

übergreifenden neonazistischen Strukturen. Zudem gibt es<br />

Neonazis, die ohne Organisationszugehörigkeit an entsprechenden<br />

Veranstaltungen der NPD oder des Neonazispektrums teilnehmen<br />

bzw. eigene Aktivitäten, wie die Gestaltung von Internetauftritten,<br />

entfalten.<br />

4.4.1 Kameradschaften<br />

Bundesweit bestehen etwa 160 Kameradschaften. In Thüringen<br />

wurden im Berichtszeitraum Aktivitäten folgender vier Kameradschaften<br />

bekannt:<br />

„Kameradschaft Eichsfeld“<br />

auch: „Kameradschaft Northeim“<br />

Sitz: Fretterode<br />

Mitglieder: ca. 20<br />

Führungsperson: Thorsten HEISE<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

63


64<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Die „Kameradschaft Northeim“ wurde 1995 vom Neonazi Thorsten<br />

HEISE gegründet. Seit er im Oktober 2002 von Niedersachsen<br />

nach Fretterode verzog, finden auf seinem Anwesen wöchentliche<br />

„Kameradschaftsabende“ statt, an denen in der Regel ca. 20 Personen<br />

teilnehmen. Über HEISE unterhält die Kameradschaft Kontakte<br />

zu Rechtsextremisten in anderen Bundesländern. Die Kameradschaftsangehörigen<br />

nehmen an szenetypischen Veranstaltungen<br />

auch außerhalb Thüringens teil. Im Freistaat trat die Kameradschaft<br />

öffentlich nur selten auf.<br />

HEISE zählt zu den bekanntesten<br />

deutschen Neonazis. Er war Landesvorsitzender<br />

der „Freiheitlichen<br />

Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) in<br />

Niedersachsen, die bis zu ihrem<br />

Verbot im Jahre 1995 über ein Jahrzehnt<br />

eine der auffälligsten Neonazi-Organisationen<br />

in der Bundesrepublik<br />

darstellte. HEISE betreibt<br />

den „W & B Versand“, einen Großhandel<br />

für Bild- und Tonträger, Geschenkartikel<br />

und Militärkleidung<br />

sowie einen Einzelhandel mit Wein<br />

und Spirituosen. Mit seinem Vertrieb<br />

ist er auch im Internet aktiv.<br />

Nachdem die NPD-Führung „Volks-<br />

Thorsten Heise<br />

front statt Gruppenegoismus“ propagierte,<br />

trat HEISE neben zwei weiteren bundesweit agierenden<br />

Protagonisten der Neonaziszene im September 2004 in die NPD<br />

ein. Kurze Zeit später erfolgte dann seine Wahl in den Bundesvorstand.<br />

Hier soll er als Bindeglied zwischen „Freien Kräften“<br />

und der NPD fungieren. Dies hatte in erster Linie bundespolitische<br />

Gründe, beeinflusste jedoch auch die Akzeptanz des Thüringer<br />

NPD-Landesverbands im neonazistischen Spektrum positiv.<br />

HEISE gehört seit Mai 2005 auch dem Landesvorstand an. Darüber<br />

hinaus ist er seit Mai 2007 stellvertretender Vorsitzender des neu<br />

gegründeten NPD-Kreisverbands Eichsfeld.<br />

Thorsten HEISE ist mehrfach vorbestraft. Das Landgericht Mühlhausen<br />

verurteilte ihn am 3. Juli in einem Berufungsverfahren we-


gen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten<br />

auf Bewährung. HEISE hatte die Produktion von im Februar 2003<br />

am Flughafen Frankfurt/Main sichergestellten 5.000 Tonträgern mit<br />

dem Titel „White Covers to Landser“ in Thailand in Auftrag gegeben,<br />

um sie in Deutschland zu verbreiten.<br />

Eine weitere Verurteilung in einem Berufungsverfahren wegen<br />

Volksverhetzung erfolgte am 14. Dezember durch das Landgericht<br />

Göttingen. HEISE war im Februar 2006 vom Amtsgericht Northeim<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und der Ableistung<br />

von 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Er hatte<br />

im Jahr 2002 bei einem thailändischen Presswerk die Produktion<br />

von 3.000 Exemplaren der CD „Sturm 18 – Komm zu uns“ in Auftrag<br />

gegeben. Diese wurden im Mai 2002 bei der Einfuhr ins Bundesgebiet<br />

sichergestellt. Bereits im Jahr 2001 waren 3.000 identische<br />

CDs nach Deutschland eingeführt worden. Die nun drohende<br />

Haftstrafe wurde für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Darüber<br />

hinaus ordnete das Gericht einen Vermögensverfall in Höhe von<br />

insgesamt 15.510 € an.<br />

Im Rahmen eines laufenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft<br />

Frankfurt am Main wegen des Verdachts der Volksverhetzung<br />

im Zusammenhang mit der Produktion und dem Vertrieb<br />

strafrechtlich relevanter rechtsextremistischer Tonträger durchsuchten<br />

am 30. Oktober Beamte des Bundeskriminalamts (BKA),<br />

des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) und der Kriminalpolizeiinspektion<br />

(KPI) Nordhausen das Anwesen HEISEs in Fretterode.<br />

Es wurden Computer, Festplatten, CDs, diverse Unterlagen sowie<br />

mehrere Waffen, darunter eine scharfe Pistole, und Munition sichergestellt.<br />

„Kameradenkreis um Thomas GERLACH“<br />

auch: „Nationale Sozialisten Altenburger Land“<br />

Sitz: Region Altenburg<br />

Mitglieder: etwa 15<br />

Führungsperson: Thomas GERLACH<br />

Ende 2004/Anfang 2005 bildete sich die neonazistische Gruppierung<br />

„Nationale Sozialisten Altenburger Land“. Als Anführer<br />

der Gruppierung gilt der langjährige und mehrfach vorbestrafte<br />

Rechtsextremist Thomas GERLACH aus dem Raum Altenburg, der<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

65


66<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

sowohl der organisierten Neonaziszene als auch dem subkulturellen<br />

Spektrum zuzurechnen ist. Er bezeichnet sich als „Freier Nationalist“,<br />

der dem „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) ebenso<br />

angehört wie dem von Rechtsextremisten initiierten „Freundeskreis<br />

Halbe“ (FKH). Er verfügt über zahlreiche Kontakte zu Rechtsextremisten<br />

im In- und Ausland. Internetverlautbarungen zufolge<br />

reiste GERLACH im April als Vertreter des KDS erneut zu einem<br />

„Nationalisten-Treffen“ nach Lissabon. Darüber hinaus trat er im<br />

Juli als Redner beim „Kongress Freier Kräfte Europas“ in Leipzig<br />

in Erscheinung. Zum dortigen ca. 100 Personen umfassenden Teilnehmerkreis<br />

gehörten zahlreiche hochrangige Neonaziaktivisten<br />

aus dem europäischen Ausland. GERLACH kommuniziert zudem<br />

in zahlreichen rechtsextremistischen Internetforen.<br />

Nach eigener Aussage gehört GERLACH nicht der NPD an, unterhält<br />

aber enge Kontakte zum örtlichen NPD-Kreisverband Altenburger<br />

Land sowie zum Thüringer NPD-Landesverband. Für den<br />

örtlichen NPD-Kreisverband organisierte GERLACH in diesem Jahr<br />

Mitgliederversammlungen sowie mindestens eine Vortragsveranstaltung.<br />

Seit Juni sind die „Nationalen Sozialisten Altenburger Land“ in das<br />

Internetportal des „Freien Netzes“, welches sich als Zusammenschluss<br />

parteiunabhängiger Aktionsgruppen aus dem Raum Mitteldeutschland<br />

beschreibt, eingebunden. Dessen Schwerpunkt liege<br />

„in der vorgabenfreien Berichterstattung über Aktionen und Veranstaltungen<br />

sowie in der Verbreitung verschiedener Meinungen und<br />

Alternativen zum bestehenden System“.<br />

Am 17. August demonstrierten in Altenburg etwa 180 Rechtsextremisten<br />

aus dem Altenburger Land und den angrenzenden Bundesländern<br />

Sachsen und Sachsen-Anhalt unter dem Motto „Meinungsfreiheit<br />

schützen – gegen Polizeiwillkür“. Laut späteren<br />

Internetstatements habe die Veranstaltung verdeutlicht, „dass im<br />

Altenburger Land die Zusammenarbeit zwischen allen volkstreuen<br />

Kräften – ob nun parteiunabhängig oder parteigebunden – sehr gut<br />

funktioniert und das es hier auch Abseits von krampfhaften ‚Volksfronten’<br />

einzig und allein um das politische Ziel des Nationalen<br />

Sozialismus geht!“. 26<br />

26 Fehler im Original.


„Freie Kräfte Südthüringen“ (FKST)<br />

Sitz: Raum Südthüringen (Zella-Mehlis)<br />

Mitglieder: ca. 20<br />

Die FKST haben sich eigenen Angaben nach im März gegründet.<br />

In ihrem Internetauftritt stellen sich die FKST als „einen parteiunabhängigen<br />

Zusammenschluss von einigen politischen Organisationen<br />

und einzelnen Aktivisten im Raum Südthüringen“ dar. Die<br />

FKST wollen „durch radikale, aber gewaltfreie und legale Arbeit<br />

die Idee eines neuen Deutschlands in das Volk und in die Jugend<br />

tragen.“<br />

Waren anfangs lediglich Internetaktivitäten der FKST feststellbar,<br />

nahmen die Aktivisten seit Anfang Mai an einzelnen öffentlichkeitswirksamen<br />

Veranstaltungen der Neonaziszene teil. Bei Spontanveranstaltungen<br />

der NPD anlässlich des Verbots der „G8-Gegendemonstration“<br />

in Berlin und Lüneburg (Niedersachsen) waren<br />

ebenfalls Angehörige der FKST zugegen. Außerdem beteiligten sich<br />

einige Angehörige der FKST in Erfurt an einer NPD-Aktion anlässlich<br />

eines PDS-Infostandes sowie an zwei NPD-Veranstaltungen<br />

im Juni in Schmalkalden und Meiningen. Im Herbst führten die<br />

FKST eine Saalveranstaltung durch, bei der sie Selbstdarstellungen<br />

zufolge grundlegende, aber auch neue Strategien für einen noch<br />

effektiveren Widerstand behandelten. Sie gaben an, gezielter, regionaler<br />

und aktiver agieren zu wollen.<br />

„Braune Aktionsfront Thüringen“ (B.A.F.)<br />

Sitz: Region Weimar und Apolda<br />

Mitglieder: etwa 35<br />

Führungsperson: u. a. Martin RÜHLEMANN<br />

Seit 2003 tritt die Gruppierung „Braune Aktionsfront Thüringen<br />

– Sektion Weimar“ auf. Die Personen, die der Gruppierung zugehören,<br />

sind mit dem NPD-Kreisverband Weimar-Weimarer Land<br />

eng verbunden, da der Wortführer, Martin RÜHLEMANN, in die<br />

NPD eingetreten ist und seit 2005 auch dem Landesvorstand angehört.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

67


68<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Im Vergleich zu den Vorjahren waren die öffentlichkeitswirksamen<br />

Aktivitäten im Berichtszeitraum rückläufig. Am 11. April versammelten<br />

sich sieben Angehörige der rechtsextremistischen Szene<br />

auf dem Goetheplatz in Weimar. Sie führten ein Transparent, das<br />

die Aufschrift „In Gedenken an die zahlreichen Opfer des 11. April<br />

1945 durch Alliierten Terror“ trug, mit sich und verteilten themenbezogene<br />

Flugblätter. Am 18. August stellten Polizeikräfte an einem<br />

Wanderrastplatz in Weimar ca. 20 Angehörige der örtlichen<br />

rechtsextremistischen Szene bei einer als „Grillfeier“ deklarierten<br />

Zusammenkunft fest, bei der mehrere Tonträger rechtsextremistischer<br />

Musikgruppen sichergestellt wurden.<br />

Im Raum Apolda agiert die „Braune Aktionsfront Thüringen – Sektion<br />

Apolda“. Das dortige neonazistische Spektrum tritt u. a. auch<br />

unter den Bezeichnungen „Kameradschaft Apolda“ und „Jungsturm<br />

Apolda“ in Erscheinung. Der handelnde Personenkreis scheint jedoch<br />

weitestgehend identisch.<br />

Die „Kameradschaft Apolda“ zeichnete für die Mitte Februar verteilten<br />

Flyer unter dem Tenor „Vom Himmel kam die tödliche ‚Befreiung‘<br />

– Alles Gute kommt von oben“ verantwortlich. Die Verfasser<br />

werfen dem demokratischen Bündnis gegen <strong>Rechtsextremismus</strong><br />

vor, die Bombardierung Dresdens zu verharmlosen. Anlässlich des<br />

8. Mai verteilte sie in Apolda Aufkleber mit dem Slogan „8. Mai<br />

– Wir feiern nicht! Wir klagen an!“. Im Text hieß es „… veranstaltet<br />

weiterhin Tage wie den 8. Mai. (…) Ihr werdet uns niemals stoppen,<br />

denn die Wahrheit ist auf unserer Seite!“. Im Laufe des 8. Mai<br />

hatten Angehörige der örtlichen rechtsextremistischen Szene in<br />

Apolda einen Mahngang, der sich gegen rechtsextremistische Aufmärsche<br />

in Thüringen richtete, gestört.<br />

Am 17. November trat das neonazistische Spektrum erneut mit<br />

Flugblattverteilaktionen im Stadtgebiet Apolda in Erscheinung.<br />

In den Flyern der „Kameradschaft Apolda/Freie Nationalisten aus<br />

Apolda“ anlässlich des „Heldengedenktages“ heißt es: „Immer<br />

wenn wir an die Gräber der Toten treten, gedenken wir der deutschen<br />

Helden, die für Deutschland ihr Leben gaben. Doch an einem<br />

Wochenende im Jahr widmen wir uns ausschließlich dieser<br />

Pflicht. Es ist das Wochenende um den in der BRD so bezeichneten<br />

Volkstrauertag, für uns das Heldengedenken. Dieses ist für uns<br />

Symbol der Treue gegenüber den Gefallenen unseres Volkes. Den


Gefallenen, die den Tot vor Augen, immer wieder unglaubliche<br />

Leistungen besten Soldatentums hervorbrachten, als es um den<br />

Schutz unseres Volkes ging.“<br />

4.4.2 Sonstige Personenzusammenschlüsse<br />

Neben den aufgeführten Kameradschaften im engeren Sinne bestehen<br />

in Thüringen weitere lockere neonazistische Personenzusammenschlüsse,<br />

von denen rechtsextremistische Aktivitäten ausgehen.<br />

„Aktionsbündnis Erfurt“<br />

Im Februar präsentierte sich das bereits seit August 2006 aktive<br />

„Aktionsbündnis Erfurt“ erstmals im Internet. Verantwortlich hierfür<br />

zeichnet der Neonazi Patrick PAUL. In seiner Internetpräsenz<br />

stellt sich das „Aktionsbündnis Erfurt“ als Plattform „Nationaler<br />

Sozialisten“ vor, „auf der wir zusammenfinden, uns austauschen,<br />

organisieren und koordinieren“. Dem „Aktionsbündnis Erfurt“ lägen<br />

weder Parteistrukturen noch „Verwaltungsapparate“ zugrunde.<br />

Es setze sich aus mehreren Kameradschaften, Freundeskreisen und<br />

Einzelpersonen zusammen, die selbstständig bleiben, aber ihre<br />

Kräfte bündeln wollen.<br />

Der „Nationale Widerstand Erfurt“ stehe nach eigener Aussage auf<br />

zwei Beinen: „Jugendarbeit und kommunale Verankerung“. Das<br />

„Aktionsbündnis Erfurt“ übernehme die Jugend- und Schulungsarbeit<br />

der parteiungebundenen Kräfte. Unter dem Tenor „Dritter<br />

Weg“ wird die politische Vorstellung beschrieben: „Durch lokale,<br />

regionale und nationale Verwaltungs- und Versorgungsstrukturen<br />

soll die Allmacht der Hochfinanz durchbrochen und die Nation<br />

als Bollwerk gegen volksfeindliche Globalisierung gestellt werden.<br />

Der Austausch gleichwertiger und freier Völker und Staaten<br />

wird zu Bündnissen führen, in denen das Volkswohl, und nicht der<br />

Profit im Mittelpunkt steht. Statt einer Europäischen Union wäre<br />

eine europäische Eidgenossenschaft vorstellbar, in der regionale<br />

Bündnisse benachbarter Staaten von gegenseitiger Hilfe profitieren<br />

– aber in der deutsche Gelder, die im Bildungs- und Sozialwesen<br />

dringend fehlen, nicht als Anbauhilfen auf griechischen Äckern<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

69


70<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

versickern.“ In diesem Sinne hatte das „Aktionsbündnis Erfurt“ am<br />

25. Juli eine Kundgebung mit Infostand unter dem Motto „Freie<br />

Menschen ÜBERALL – Für eine Zukunft in den Farben der Völker“<br />

veranstaltet.<br />

„Hausgemeinschaft ‚Zu den Löwen‘“ in Jena-Lobeda<br />

Bei der „Hausgemeinschaft ‚Zu den Löwen‘“ handelt es sich um<br />

ein von Thüringer Rechtsextremisten genutztes Gebäude im Stadtteil<br />

Jena-Lobeda. Der Liedermacher Maximilian LEMKE hatte im<br />

September 2002 mit den Eigentümern einen über zehn Jahre laufenden<br />

Pachtvertrag geschlossen, der den Erwerb des Objekts nach<br />

Fristablauf ermöglicht. Die Räumlichkeiten werden für Vortragsabende,<br />

Kameradschaftstreffen, Schulungen oder Liederabende genutzt.<br />

Zudem sind in dem Gebäude die Geschäftsstellen des örtlichen<br />

NPD-Kreisverbands und des Landesverbands der „Jungen<br />

Nationaldemokraten“ beheimatet. Das von den Bewohnern selbst<br />

als „Hausgemeinschaft ,Zu den Löwen‘“ bzw. als „Braunes Haus“<br />

bezeichnete Objekt soll darüber hinaus als Anlaufstelle für Anhänger<br />

der rechtsextremistischen Szene wahrgenommen werden, um<br />

so deren Zersplitterung entgegenzuwirken.<br />

Seit November 2007 präsentiert sich das „Braune Haus“ mit einer<br />

aktualisierten Internetseite, für die der NPD-Kreisvorsitzende Ralf<br />

WOHLLEBEN verantwortlich zeichnet. Darin wird das Objekt als<br />

Anlaufstelle für organisierte und freie Nationalisten, als „Symbol<br />

des nationalen Aufbegehrens“ beschrieben. In dem zum Gebäudekomplex<br />

zählenden Wohn- und Schulungsobjekt „Zu den Löwen“,<br />

das den Angaben nach zugleich als Heimstätte einer Jenaer Burschenschaft<br />

dient, seien bisher 100 Veranstaltungen ausgerichtet<br />

worden.<br />

In Anspielung auf die am 9. November am „Braunen Haus“ in Jena<br />

vorbeigezogene Demonstration des „Aktionsbündnisses gegen<br />

Rechts“ schrieben Bewohner und Sympathisanten später im Internet:<br />

„Denn was immer sich die Feinde jeglicher deutscher Souveränität<br />

und Freiheit einfallen lassen, (...) gleich einer Welle gegen<br />

dieses Objekt und damit gegen uns anlaufen werden, es steht wie<br />

ein Fels und hinter diesem die unzähligen Kameraden und Kameradinnen,<br />

die mithelfen, auch in Jena ein Symbol des nationalen


Aufbegehrens zu etablieren. Ein Hoch auf die ersten 5 Jahre (…) es<br />

werden noch viele folgen …“. 27<br />

„Autonome Nationalisten“ in Thüringen<br />

An Demonstrationen in Thüringen nahmen mehrfach Rechtsextremisten<br />

teil, die schwarze Kleidung, Sonnenbrillen oder Kapuzen<br />

trugen, um sich unkenntlich zu machen. Anlässlich einer am<br />

18. August von der NPD und „Freien Kräften“ in Jena organisierten<br />

Demonstration trat eine Gruppierung in Erscheinung, die ein<br />

Transparent mit der Aufschrift „Die Straße gehört uns – Revolution<br />

hier-jetzt – Autonome Nationalisten Südthüringen“ mit sich führte.<br />

Darüber hinaus fiel diese Gruppierung durch Störversuche bei einzelnen<br />

Aktionen auf, die das linksextremistische Spektrum organisiert<br />

oder an denen es sich beteiligt hatte.<br />

Wegen ihrer grundsätzlichen Gewaltbereitschaft ist den „Autonomen<br />

Nationalisten“ verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen.<br />

Rechtsextremistische Jugendcliquen/Mischszene<br />

Neonazistische Aktivitäten gehen in Thüringen ebenfalls von Personenzusammenschlüssen<br />

und regional agierenden Aktivisten aus,<br />

die für Veranstaltungen jeweils ein bestimmtes Personenpotenzial<br />

aus ihrem Umfeld mobilisieren können. Im Internet, auf Transparenten<br />

und Flugblättern sowie als Unterstützergruppen für rechtsextremistische<br />

Aktivitäten erscheinen immer wieder Bezeichnungen<br />

wie „Freie Kräfte Erfurt“ (FKE), „Freie Aktivisten Erfurt“ (FAE),<br />

Projekt „Feenwald“, „Erfurter Bündnis gegen Gewalt“, „Kameradschaft<br />

Leinefelde“ und andere. Kameradschaften im engeren Sinne<br />

stellen sie nicht dar. Meist mangelt es ihnen an einem abgegrenzten<br />

Aktivistenstamm, einer erkennbaren Struktur oder an der<br />

Bereitschaft, gemeinsam politische Arbeit zu leisten – mithin an<br />

Merkmalen, die eine Kameradschaft kennzeichnen. Einige Gruppierungen<br />

sind mitunter rein fiktiver Natur, andere lediglich von<br />

kurzer Dauer. Sie stehen und fallen mit dem Engagement und der<br />

Überzeugungskraft ihres jeweiligen Wortführers.<br />

27 Fehler im Original.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

71


72<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

4.5 Exkurs: Vereinsaktivitäten von<br />

Thüringer Rechtsextremisten<br />

Bundesweit bestehen zahlreiche rechtsextremistische Vereine, die<br />

unterschiedliche Ziele verfolgen und historische, politische oder<br />

gesellschaftliche Themen aufgreifen. Viele von ihnen werden in<br />

Vereinregistern geführt. Auch Thüringer Rechtsextremisten gehören<br />

derartigen Vereinen, beispielsweise der „Hilfsorganisation für<br />

nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG)<br />

oder der „Heimattreuen Deutschen Jugend e.V.“ (HDJ), an.<br />

Etwa seit dem Jahr 2005 ist in Thüringen die Tendenz erkennbar,<br />

dass Neonazis und Angehörige der NPD Vereine im Freistaat<br />

gründen bzw. sich um Mitgliedschaften in Vereinen mit nichtextremistischer<br />

Ausrichtung bemühen. Insbesondere der Vorsitzende<br />

des NPD-Kreisverbands Erfurt-Sömmerda Kai-Uwe TRINKAUS tat<br />

sich bei zahlreichen Vereinsgründungen als Ideengeber und/oder<br />

Gründungsmitglied hervor.<br />

Ziele der rechtsextremistischen Vereinsarbeit<br />

Bei den von Rechtsextremisten im Freistaat gegründeten Vereinen<br />

handelt es sich um solche mit explizit rechtsextremistischer Motivation,<br />

aber auch um Sport- oder Geschichtsvereine mit zunächst<br />

unpolitischer Ausrichtung. Dabei nutzen Rechtsextremisten bewusst<br />

die Vorteile, die ein Verein aufgrund seiner Rechtsform und<br />

der daraus resultierenden Möglichkeiten bietet. Hierzu zählen<br />

vor allem finanzielle bzw. steuerliche Begünstigungen (Gemeinnützigkeit)<br />

sowie logistische Gründe (vereinfachte Nutzung öffentlicher<br />

Einrichtungen). In einzelnen Fällen traten Rechtsextremisten<br />

bestehenden nichtextremistischen Vereinen (z. B. Feuerwehren,<br />

Kampfsportclubs) bei, um diese zur Verfolgung der eigenen extremistischen<br />

Ziele zu unterwandern oder durch Veröffentlichung der<br />

Mitgliedschaft mediale Aufmerksamkeit zu erlangen.<br />

Vereine bieten Rechtsextremisten die Möglichkeit, im vorpolitischen<br />

Raum Fuß zu fassen und diesen durch Teilhabe am öffentlichen<br />

Diskurs für eigene Zwecke zu nutzen. Die Erwartung, Kontakte<br />

zu Personen nichtextremistischer Gesinnung knüpfen und


deren Berührungsängste gegebenenfalls abbauen zu können, dürfte<br />

ebenfalls Hintergrund des Vereinsengagements sein. Die NPD<br />

misst der Vereinsarbeit hohen Stellenwert bei. Ihrer Auffassung<br />

nach ist sie Teil kommunaler Basisarbeit, die die Partei letztlich in<br />

Kommunal- und Landesparlamente führen soll. 28<br />

Vereinsgründungen in Thüringen<br />

Im Berichtsjahr taten sich insbesondere nachstehend aufgeführte<br />

Vereine, die zahlreiche Rechtsextremisten zu ihren Mitgliedern<br />

zählen bzw. Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen<br />

liefern, hervor:<br />

• Der Verein „SV Vorwärts Erfurt e.V.“ wurde im Oktober 2006<br />

unter Beteiligung von Rechtsextremisten gegründet. Er gilt aufgrund<br />

der personellen Zusammensetzung des Vorstands als<br />

rechtsextremistisch beeinflusst. Zu seinen Mitgliedern soll u. a.<br />

Kai-Uwe TRINKAUS, Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Erfurt-Sömmerda,<br />

zählen. Der Verein biete neben Badminton, Turnen<br />

und Tai Chi auch einen Selbstverteidigungskurs an.<br />

• Ebenfalls unter Beteiligung von Rechtsextremisten gründete sich<br />

am 21. Juli in Hildburghausen der Verein „Sportgemeinschaft<br />

Germania e.V.“. Dem Vorstand des Vereins gehört u. a. der Vorsitzende<br />

des NPD-Kreisverbands Hildburghausen-Suhl, Tommy<br />

FRENCK, an. Bereits im Mai 2007 gab der NPD-Landesvorstand<br />

in Thüringen bekannt, ein Referat Sport einrichten zu wollen.<br />

FRENCK sei an dem Projekt maßgeblich beteiligt. In der Satzung<br />

der Sportgemeinschaft ist festgelegt, bei Auflösung oder<br />

Aufhebung des Vereins oder Wegfall seines bisherigen Zwecks<br />

das Vereinsvermögen je zur Hälfte an die „Hilfsgemeinschaft für<br />

nationale Gefangene e.V.“ und an die „Deutsch-Russische Friedensbewegung<br />

Europäischen Geistes e.V.“ zu übertragen. Zu<br />

beiden Vereinen liegen tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische<br />

Bestrebungen vor.<br />

• Der im Oktober 2006 gegründete Verein „Schöner Leben in Erfurt<br />

e.V.“ setzt sich aus Funktionären und Mitgliedern des NPD-<br />

28 Siehe Kapitel 3.1.2.8.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

73


74<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Kreisverbands Erfurt-Sömmerda sowie anderen Angehörigen<br />

der rechtsextremistischen Szene des Freistaats zusammen. Vorsitzender<br />

des Vereins ist der Neonazi Patrick PAUL. Als dessen<br />

Stellvertreter fungiert Kai-Uwe TRINKAUS. Nach Eigenangaben<br />

sieht sich der Verein als eine Plattform, auf der sich verschiedene<br />

Gruppen, Verbände und Einzelpersonen vernetzen, um bei<br />

der nächsten Stadtratswahl eine starke Stimme aus der Mitte der<br />

Bürgerschaft ins Erfurter Rathaus zu senden.<br />

• Der in Arnstadt ansässige Verein „Deutsch-Russische Friedensbewegung<br />

Europäischen Geistes e.V.“ hat sich im August 2006<br />

gegründet. Dem Vorstand gehören u.a. die Rechtsextremisten<br />

Thorsten HEISE und Patrick WIESCHKE an. Der in der Satzung<br />

ausgewiesene Vereinszweck ist darauf gerichtet, im deutschen<br />

und russischen Volk verbreitete, gegenseitige Vorurteile zu überwinden,<br />

indem sich Deutsche und Russen – vorrangig die Jugend<br />

dieser Völker – durch persönliche Begegnungen kennen lernen.<br />

Zudem bestehen offenbar Verbindungen zu dem Verein „Sportgemeinschaft<br />

Germania e.V.“ in Hildburghausen. Am 31. März<br />

führte der Verein eine Veranstaltung in Hildburghausen durch,<br />

an der auch die „Heimattreue Deutsche Jugend/Thüringen“ beteiligt<br />

gewesen sein soll.<br />

• Unter Beteiligung von NPD-Mitgliedern, darunter Kai-Uwe<br />

TRINKAUS, sowie weiteren Angehörigen der rechtsextremistischen<br />

Szene gründete sich im August in Erfurt der Verein<br />

„Rechtsroxx Erfurt e.V.“. Nach Verlautbarungen der Szene beabsichtige<br />

der Verein gemeinsam mit dem NPD-Kreisverband<br />

Erfurt-Sömmerda eine Telefon-Hotline einzurichten, über die<br />

sich aussteigewillige Anhänger der linksextremistischen Szene<br />

melden könnten. Interessenten sollen dort u. a. Tipps und Ratschläge<br />

für ihren Ausstieg sowie Hilfe für eine Rückkehr „ins<br />

normale Leben“ erhalten.<br />

• Der NPD-Kreisverband Erfurt-Sömmerda berichtete auf seiner<br />

Homepage über ein Kinderfest des Erfurter Vereins „Alleinerziehende<br />

in Not e.V.“ im September in Erfurt. Dem Beitrag waren<br />

mehrere Bilder beigefügt, auf denen neben Kindern und Spielgeräten<br />

auch ein NPD-Schirm zu sehen war. Kai-Uwe TRIN-<br />

KAUS stand dem Verein, der zwischenzeitlich in „Pro Kid e.V.“<br />

umbenannt worden ist, vorübergehend vor.


4.6 Gewaltpotenzial der Neonaziszene<br />

Öffentliche Veranstaltungen der Neonazis verlaufen überwiegend<br />

störungsfrei, was sowohl auf die Auflagen der Ordnungsbehörden<br />

als auch die massive Polizeipräsenz zurückzuführen ist. Werden<br />

Straftaten begangen, handelt es sich vorwiegend um so genannte<br />

Propagandadelikte 29 . Mitunter kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />

mit Gegendemonstranten aus dem linksextremistischen<br />

Spektrum. 30 In der Öffentlichkeit, in Zeitungen oder Flugblättern<br />

vermeiden es Neonazis in der Regel, Gewalt als Mittel zur<br />

Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu propagieren. Die öffentlichen<br />

Äußerungen können jedoch nicht über das Teilen der Szene<br />

immanente Gewaltpotenzial hinwegtäuschen. Zahlreiche Neonazis,<br />

nicht selten deren Führungskader, sind wegen der Begehung<br />

von Körperverletzungen vorbestraft. Auch szeneintern kommt es<br />

durchaus zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.<br />

Als der NPD-Aufmarsch am 1. Mai in Erfurt wegen massiver Störungen<br />

gewaltbereiter Linksextremisten nicht wie geplant durchgeführt<br />

werden konnte, wähnten sich Demonstrationsteilnehmer in<br />

ihrer bereits im Vorfeld verfestigten Ansicht bestätigt: „Bürgermeister,<br />

Ordnungsamt, Polizei und Linksextreme hatten von Anfang an<br />

die Absicht, die NPD-Demonstration nicht stattfinden zu lassen“.<br />

Dennoch – hieß es später im Internet – haben sich die nationalen<br />

Demonstranten das Recht nicht nehmen lassen, die wenige Tage<br />

zuvor erteilte Demonstrationsgenehmigung in die Tat umzusetzen.<br />

Dabei entlud sich die insbesondere bei den „Freien Kräften“ latent<br />

vorherrschende Gewaltbereitschaft gegenüber den eingesetzten<br />

Polizeikräften.<br />

29 Zum Beispiel Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen oder Verwenden<br />

von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86 bzw. § 86a Strafgesetzbuch (StGB).<br />

30 Siehe dazu Abschnitt „Linksextremismus“.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

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76<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

4.7 Aktivitäten und Agitationsschwerpunkte<br />

der Neonaziszene<br />

Das neonazistische Spektrum ist aktionistisch ausgerichtet. Die Anhängerschaft<br />

wirkt bereitwillig an Demonstrationen mit. Sie nimmt<br />

mitunter eine weite Anreise auf sich, um an Demonstrationen<br />

Gleichgesinnter im gesamten Bundesgebiet teilzunehmen (so genannter<br />

Demo-Tourismus). Das Motto der Veranstaltungen ist eher<br />

von nachrangiger Bedeutung. Demonstrationen vermitteln den Anhängern<br />

ein Gemeinschaftsgefühl, das ein wichtiges Bindeglied in<br />

der ansonsten recht schwach strukturierten Neonaziszene darstellt.<br />

Das neonazistische Spektrum führte im Freistaat im Berichtszeitraum<br />

sieben eigene Demonstrationen und Kundgebungen durch,<br />

an denen sich zum Teil weniger als 50, aber auch bis zu 180 Personen<br />

beteiligten. Lokale Aktionsschwerpunkte bildeten 2007 die<br />

Städte Erfurt, Jena und Altenburg. Zudem schlossen sich Neonazis<br />

sämtlichen von der NPD organisierten öffentlichen Demonstrationen<br />

bzw. Kundgebungen an. An vielen Veranstaltungen und Aktivitäten<br />

nahm überwiegend jener Kreis von Rechtsextremisten teil,<br />

dem gleich ist, ob diese von „Freien Nationalisten“ oder von der<br />

NPD initiiert worden sind.<br />

Zudem organisierten Neonazis auch andere öffentlichkeitswirksame<br />

Aktionen, z. B. Flugblattverteilungen und Internetauftritte, sowie<br />

Saalveranstaltungen. So fand am 17. November in Finsterbergen<br />

(Landkreis Gotha) eine als Schulungsveranstaltung der NPD<br />

deklarierte Veranstaltung mit ca. 70 Rechtsextremisten statt. Die<br />

„Freien Kräfte Südthüringen“ veröffentlichten im Nachgang einen<br />

Verlaufsbericht unter dem Tenor „Große Freie Kräfte Saalveranstaltung<br />

– Europa Nation Revolution!“ im Internet. Demnach diente<br />

das Treffen von angeblich 100 „Freien Nationalisten“ der Vorbereitung<br />

eines großen Europakongresses europäischer Nationalisten,<br />

„der in nicht allzu ferner Zeit stattfinden soll“. Nach Ansicht der<br />

Verfasser ist der „europäische Widerstand gegen Kapitalismus und<br />

Globalisierung die einzige Alternative zur Abschaffung unseres<br />

Kontinents durch völkermörderische Globalisierung“.<br />

Inhaltlich greifen Neonazis neben historischen Daten zunehmend<br />

auch Gegenwartsthemen auf, um sie in ihrem Sinne zu deuten und


ihre Ansichten der Bevölkerung nahe zu bringen. Dabei ist seit etwa<br />

zwei bis drei Jahren eine deutliche Verschiebung der Agitation von<br />

einzelnen sozialen Themen hin zu einer grundsätzlicheren Thematisierung<br />

der Aspekte „Kapitalismus“ und „Globalisierung“ zu beobachten.<br />

Darüber hinaus bildeten im Berichtszeitraum „staatliche<br />

Repression“ und „Meinungsfreiheit“ Schwerpunkte der Agitation.<br />

Insbesondere in den Regionalzeitungen 31 war eine Fokussierung auf<br />

kommunale Angelegenheiten festzustellen. Themen, die das rassistische<br />

und ausländerfeindliche Gedankengut der Szene eindeutig<br />

zum Ausdruck bringen, sind hingegen in den Hintergrund getreten.<br />

Diese Strategie zielt darauf ab, Bevölkerungsschichten, die von tiefgreifenden<br />

Transformationsprozessen wie der Globalisierung betroffen<br />

sind oder dadurch künftig Nachteile befürchten, für neonazistische<br />

Ansichten einzunehmen. Neonazis und NPD sind bestrebt, in<br />

der Bevölkerung an Akzeptanz zu gewinnen und sich als politische<br />

Alternative zu den Volksparteien, aber auch zum „herrschenden<br />

System“ insgesamt anzubieten. Selbst „antikapitalistisch“ geprägte<br />

Anschauungen, die die Ablehnung des politischen und wirtschaftlichen<br />

Systems der Bundesrepublik einschließen, werden von NPD<br />

und Neonazis aufgegriffen, um im Sinne einer „Querfront-Politik“<br />

politische Lagergrenzen zu überwinden und unter diesem politisch<br />

entgegenstehenden Protestpotenzial Einfluss zu erlangen.<br />

4.8 Exkurs: Von Rechtsextremisten herausgegebene<br />

Regionalzeitungen in Thüringen<br />

Obwohl Thüringer Rechtsextremisten vor allem das Internet 32 nutzen,<br />

um auf ihre Belange aufmerksam zu machen und Informationen<br />

zu streuen, werden zunehmend auch Regionalzeitungen verbreitet.<br />

Im Berichtszeitraum erschienen in Thüringen mindestens<br />

fünf Publikationen, welche von Angehörigen des neonazistischen<br />

Spektrums, die zum Teil auch der NPD angehören, herausgegeben<br />

wurden. Vier dieser Blätter wurden im so genannten Berliner Format<br />

(A3) erstellt. Der Außenteil war jeweils von lokalen Angelegenheiten<br />

geprägt, der Innenteil der Zeitungen umfasste meist tex-<br />

31 Siehe Kapitel 4.8.<br />

32 Siehe Kapitel 4.9.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

77


78<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

tidentische Beiträge zu allgemeinen Thüringer Themen. In einigen<br />

Regionalzeitungen fanden sich Werbeanzeigen ortsansässiger Firmen.<br />

Die in einer Auflage von angeblich jeweils ca. 20.000 Exemplaren<br />

erschienenen Publikationen wurden von Szeneangehörigen<br />

als Postwurfsendung oder auf Veranstaltungen verteilt. Sie konnten<br />

darüber hinaus aus dem Internet heruntergeladen werden.<br />

In den Beiträgen wird vorrangig Kritik an den etablierten Parteien<br />

geübt und der Eindruck geschürt, Rechtsextremisten machten<br />

sich für die Interessen und Probleme der „kleinen Leute“ stark. Die<br />

Verfasser greifen schwerpunktmäßig Themen von lokaler und regionalpolitischer<br />

Bedeutung und zugleich hohem Reiz- und Identifikationswert<br />

auf, um abstrakt gegen „die Politik“ zu polemisieren<br />

und im Sinne ihres vom Lagerdenken geprägten Weltbildes („Wir,<br />

das Volk – Ihr, die Politiker“) gegen politische Mandatsträger und<br />

Entscheidungsprozesse zu agitieren. Hinter der Themenwahl verbirgt<br />

sich das Anliegen der Rechtsextremisten, gezielt ein politisches<br />

Angebot an Unzufriedene zu lancieren. Plumpe Agitation<br />

und aggressive Propaganda werden weitestgehend unterlassen,<br />

um potenzielle Interessenten nicht abzuschrecken. Deshalb ist der<br />

rechtsextremistische Hintergrund der Regionalzeitungen in vielen<br />

Fällen nicht sofort erkennbar.<br />

Allzu deutliche Bezüge zur NPD wurden bislang in den Blättern<br />

vermieden. Dies könnte sich mit Blick auf die Kommunal- bzw.<br />

Landtagswahlen 2009 ändern. Die NPD hatte bereits im Berichtsjahr<br />

angeregt, zum Erreichen ihrer politischen Zielsetzungen künftig<br />

noch stärker auf dieses Medium zu setzen.<br />

„Der Rennsteig Bote“<br />

„Der Rennsteig Bote“ wurde erstmals im April/Mai 2005 festgestellt.<br />

Im Berichtszeitraum sind vier Ausgaben des Blattes erschienen. Die<br />

Initiatoren geben an, ergänzend zu den „gleichgeschalteten Medien“<br />

über „aktuelle Geschehnisse im Landkreis Gotha zu informieren<br />

und unabhängige Informationen zu Politik, Wirtschaft, Geschichte<br />

und Kultur“ anbieten zu wollen. Sie greifen regionale Themen auf<br />

und verweisen auf lokale Veranstaltungen des rechtsextremistischen<br />

Spektrums. Federführend sind Sebastian REICHE, NPD-Kreisvorsitzender<br />

Gotha, und Patrick WIESCHKE, NPD-Landesgeschäftsführer.


„Der Wartburgkreis Bote“<br />

WIESCHKE zeichnet ebenfalls für das „Unabhängige Mitteilungsblatt<br />

für Eisenach & Umgebung – Der Wartburgkreis Bote“ verantwortlich,<br />

das zeitgleich mit der im Januar 2006 eröffneten Website<br />

erstmals herausgegeben wurde. Auch hier werden regionalpolitische<br />

Themen aufgegriffen. Die „Arbeitsgemeinschaft“ strebt an,<br />

mit einer Politik, die ausschließlich auf „deutsche Interessen und<br />

Menschen“ ausgerichtet ist, einen Gegenpol zur etablierten Kommunalpolitik<br />

zu bilden. „Der Wartburgkreis Bote“ wird alle zwei<br />

Monate herausgegeben. Bislang sind zehn Ausgaben erschienen.<br />

„Blickpunkt – Vogtland“<br />

Seit Mai ist auch der „Blickpunkt Vogtland“ als „freie und unabhängige<br />

Informationsplattform für das Vogtland“ im Internet abrufbar.<br />

„Blickpunkt Vogtland“ wird nach eigenen Angaben im Eigendruck<br />

vom „Medienverbund Vogtland“ zweimonatlich herausgegeben.<br />

Als Kontaktanschrift dient eine Postfachadresse in Greiz. In der<br />

Publikation und der gleichnamigen Internetseite sehen die Verantwortlichen<br />

„ein Mittel zur geistigen Persönlichkeitsentwicklung,<br />

zur Willens- und Wesensbildung des gesamten Volkes“, da unabhängige<br />

und von den Massenmedien verschwiegene Nachrichten<br />

aus Politik, Wirtschaft, Geschichte und Kultur verbreitet würden.<br />

Bislang sind sechs Ausgaben erschienen.<br />

„Bürgerstimme! Mitteilungsblatt freier Kräfte der Region Erfurt-<br />

Arnstadt“<br />

Seit der Juni/Juli-Ausgabe ist die Publikation „Bürgerstimme!“ auch<br />

auf der Internetpräsenz des seit Ende 2006 aktiven rechtsextremistischen<br />

Vereins „Schöner Leben in Erfurt e.V.“ 33 abrufbar. Seither<br />

33 Siehe Kapitel 4.5.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

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80<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

tritt der Verein als Herausgeber der Publikation in Erscheinung. Die<br />

presserechtliche Verantwortung liegt weiterhin bei dem Neonazi<br />

Patrick PAUL. Das „freie, unabhängige und kostenlose Mitteilungsblatt“<br />

erscheint Angaben des Herausgebers zufolge im Zweimonatsrhythmus.<br />

Es enthält neben Berichten zu kommunalen Themen<br />

auch Artikel, aus denen die rechtsextremistische Gesinnung der<br />

Verfasser deutlich hervorgeht. Zudem werden über das Blatt Termine<br />

und Veranstaltungshinweise der rechtsextremistischen Szene<br />

bekannt gegeben. Im Berichtszeitraum wurden u. a. in Erfurt fünf<br />

Ausgaben verteilt.<br />

„Der Pappenheimer“<br />

Die Regionalzeitung „Der Pappenheimer“ findet im Raum Lauscha<br />

Verbreitung. Eigenen Angaben zufolge umfasst das bereits<br />

im 3. Jahrgang erscheinende Blatt vier Auflagen jährlich in einer<br />

Höhe von jeweils 3.000 Stück. „Der Pappenheimer“ thematisiert<br />

zumeist lokale Sachverhalte. Unterschwellig werden auch rechtsextremistische<br />

Argumentationsmuster deutlich, wenn beispielsweise<br />

der „USraelische Imperialismus“ kritisiert oder die Politik<br />

der etablierten Parteien pauschal als „Abzocke“ diffamiert werden.<br />

Lediglich über den lokalen DVU-Stadtrat Uwe BÄZ-DÖLLE finden<br />

sich geneigte Artikel. Als Herausgeber fungiert ein lokaler Rechtsextremist.<br />

Zudem ist „Der Pappenheimer“ auf der Website der neonazistischen<br />

„Freien Kräfte Südthüringen“ (FKST) 34 als einer ihrer<br />

Unterstützer aufgeführt.<br />

4.9 Exkurs: Nutzung des Internets<br />

durch Rechtsextremisten<br />

Die rechtsextremistische Szene Thüringens ist im Internet umfassend<br />

mit eigenen Präsentationen vertreten. Vor allem das neonazistische<br />

Spektrum und die NPD nutzen diese Plattform zur<br />

Selbstdarstellung, als Agitations- und Propagandamedium, als Mobilisierungsinstrument<br />

sowie als Kommunikationsmittel. Darüber<br />

hinaus bedienen sich auch rechtsextremistische Vertriebe des In-<br />

34 Siehe Kapitel 4.4.1.


ternets, um über Online-Shops Tonträger, Literatur, Kleidung und<br />

andere Szenedevotionalien zu vertreiben.<br />

Die Zahl der von Thüringer Rechtsextremisten betriebenen Websites<br />

liegt mit ca. 70 über dem Vorjahresniveau (ca. 60), wobei<br />

in regelmäßigen Abständen neue Websites auftauchen und andere<br />

wieder verschwinden. Nur knapp die Hälfte der einschlägigen Internetpräsentationen<br />

wird mehr oder weniger regelmäßig aktualisiert.<br />

Der Personenkreis, der sich aktiv an der Gestaltung der Websites<br />

beteiligt bzw. in Diskussionsforen eigene Beiträge einstellt, ist<br />

relativ überschaubar.<br />

Zahlreiche Websites bieten ein umfangreiches Repertoire an Informationen,<br />

die oft einen klaren regionalen Bezug aufweisen.<br />

Andere wiederum werden lediglich anlassbezogen betrieben,<br />

beispielsweise um für Veranstaltungen zu mobilisieren und später<br />

Veranstaltungsberichte mit zahlreichen Fotos einzustellen. Seit<br />

dem 2. Halbjahr 2007 sind vermehrt Videosequenzen eingespeist<br />

worden, die teils vergangene Veranstaltungen beschreiben, teils<br />

aber auch der Selbstinszenierung dienen. Die Videosequenzen<br />

sind zumeist auf den großen Videoplattformen des Internets eingestellt<br />

und über Links mit rechtsextremistischen Seiten verbunden.<br />

Darüber hinaus haben zahlreiche Rechtsextremisten des Freistaats<br />

ihre „Visitenkarten“ in Online-Communities hinterlassen.<br />

Bei einigen Präsentationen sind – dem allgemeinen Trend im Internet<br />

entsprechend – Ansätze zu erkennen, anstelle statischer<br />

nunmehr dynamische Websites anzubieten. So sind zahlreiche<br />

Homepages mit Diskussionsforen verknüpft oder bieten die Möglichkeit,<br />

Beiträge online zu kommentieren. Das „Freie Netz Altenburg“,<br />

das zu den aktivsten Websites in Thüringen zählt, bietet<br />

u. a. RSS-Feeds 35 an. Artikel, die zum Teil mit Videosequenzen verknüpft<br />

sind, werden in unterschiedlichem Maße, zumeist jedoch<br />

vom Seitenbetreiber selbst, kommentiert. Von den rechtsextremistischen<br />

Parteien in Thüringen präsentiert sich insbesondere die NPD<br />

im Internet. Nicht nur der NPD-Landesverband, sondern auch der<br />

überwiegende Teil der Kreisverbände betreibt inzwischen eigene<br />

35 RSS (Abkürzung für Really Simple Syndication) ist eine Form der Weitergabe von Inhalten im „World<br />

Wide Web“. Es handelt sich um einen praktikablen Standard, um Textinformationen wie Inhalte von<br />

Websites (z. B. Nachrichten) für andere Rechner zur Verfügung zu stellen.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

81


82<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Websites. Diese sind mit einer Ausnahme in einheitlichem Layout<br />

gehalten. Neben der Benennung des Vorstands, Terminhinweisen<br />

zu Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene und einer Rubrik<br />

„Aktuelles“ verweisen externe Links auf weitere rechtsextremistische<br />

Websites oder zu „Lokal- bzw. Kampagnenseiten“ auch<br />

außerhalb der rechtsextremistischen Szene. Außer Beiträgen mit<br />

lokalem Bezug und zu eigenen Aktivitäten werden oft Artikel anderer<br />

Verbände übernommen. Im Diskussionsforum der NPD findet<br />

ein intensiver Meinungsaustausch statt, der sich auf unterschiedliche,<br />

oft lokal relevante Themen bezieht.<br />

Annähernd ein Drittel der rechtsextremistischen Websites entfällt<br />

in Thüringen auf den Musikbereich und hier wiederum überwiegend<br />

auf Mailorder. Zu den bedeutendsten Vertrieben für rechtsextremistische<br />

Devotionalien zählen der „W & B Versand“ in Fretterode,<br />

der auch für das monatlich aktualisierte Online-Magazin<br />

„WB Magazin“ verantwortlich zeichnet, und der „Germania Versand“<br />

in Sondershausen. Neben weiteren Firmen präsentieren sich<br />

noch einzelne Personen und rechtsextremistische Musikgruppen<br />

im Netz.<br />

Ein großer Teil der Websites ist dem neonazistischen Spektrum zuzurechnen.<br />

Hier präsentieren sich verschiedene Gruppierungen<br />

des selbst ernannten „Nationalen Widerstands“, Vereine, Kameradschaften<br />

oder „Freie Nationalisten“ mit teils recht umfangreichen<br />

Websites. Hierbei sind neben dem bereits erwähnten „Freien<br />

Netz Altenburg“ die „Freien Kräfte Südthüringen“ 36 besonders aktiv.<br />

Sonder- bzw. Aktionsseiten werden eigens zu aktuellen Anlässen<br />

– wie dem „Thüringentag der nationalen Jugend“ oder dem<br />

„Fest der Völker“ – angelegt. Sie werden insbesondere im Vorfeld<br />

einer Veranstaltung stetig aktualisiert und später mit einem Veranstaltungsbericht<br />

abgeschlossen. Außerdem besteht die Möglichkeit,<br />

Publikationen als Download zu beziehen. In den redaktionellen<br />

Bereichen der Websites werden die Strafgesetze nur selten<br />

verletzt.<br />

Über das Internet findet rechtsextremistisches Gedankengut mehr<br />

oder weniger ungehindert Verbreitung. Insbesondere auf Jugendliche<br />

wirken ansprechende Websites mit multimedialen Elemen-<br />

36 Siehe Kapitel 4.4.1.


ten (z. B. Spiele, Bilder, Musik und Videosequenzen), aber auch<br />

der Reiz des Verbotenen, anziehend. Zum Schutz vor rechtsextremistischer<br />

Propaganda bedarf es einer Medienkompetenz, deren<br />

Entwicklung gesamtgesellschaftlich gefördert werden muss.<br />

Exekutivmaßnahmen gegen Betreiber von Websites mit strafbarem<br />

Inhalt, Sperrung, Löschung oder Filtersoftware können nur einen<br />

Beitrag zum Schutz der Jugend vor Meinungsmanipulation leisten,<br />

der zwingend von umfassenden Aufklärungsmaßnahmen flankiert<br />

werden muss.<br />

5. Subkulturell geprägte und sonstige<br />

gewaltbereite Rechtsextremisten<br />

Die Anzahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten<br />

Rechtsextremisten sank bundesweit von 10.400 im Jahr 2006<br />

auf etwa 10.000 Personen im Berichtszeitraum. Zu dem Spektrum<br />

zählen sowohl Skinheads als auch Angehörige anderer rechtsextremistischer<br />

Subkulturen. Von ihnen gehen zahlreiche rechtsextremistisch<br />

motivierte Gewalttaten aus. Überproportional hoch ist<br />

das Personenpotenzial jener Szene in den neuen Bundesländern.<br />

Nahezu die Hälfte aller gewaltbereiten deutschen Rechtsextremisten<br />

ist dort ansässig.<br />

Wie im übrigen Bundesgebiet blieb auch in Thüringen das Anhängerpotenzial<br />

mit 530 Personen im Vergleich zum Vorjahr weitgehend<br />

konstant. Der Anteil rechtsextremistischer Skinheads ist im<br />

Verhältnis zu anderen rechtsextremistischen jugendlichen Subkulturen<br />

stark rückläufig, da sich die rechtsextremistische Musikszene<br />

differenziert. Sie geht inzwischen weit über die Subkultur der<br />

Skinheads hinaus und reicht zunehmend auch in die von Rechtsextremisten<br />

besetzten Randbereiche der „Hatecore“- und „Black<br />

Metal“-Szene hinein.<br />

Die einzelnen Subkulturen weisen durchaus Ähnlichkeiten auf,<br />

sei es im Hinblick auf die Wirkung ihrer Musik, die Verbreitung<br />

ihrer CDs oder die Organisation von Konzerten. Sie werden deshalb<br />

im Folgenden als Gesamtheit dargestellt. Soweit mitunter von<br />

Skinheads die Rede ist, wird dieser Begriff in erster Linie als Sam-<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

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84<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

melbezeichnung für das gesamte rechtsextremistische subkulturelle<br />

Spektrum verwendet, auch wenn weite Teile hinsichtlich ihres<br />

Erscheinungsbildes und Selbstverständnisses mit dem klassischen<br />

Skinhead nur noch wenig gemein haben.<br />

5.1 Entstehung und Ideologie<br />

der Skinheadsubkultur 37<br />

Die Skinheadbewegung trat in der Bundesrepublik Deutschland<br />

erstmals Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in Erscheinung.<br />

Schon bald richteten sich gewalttätige Aktionen von Angehörigen<br />

dieser Bewegung gegen die Feindbilder „Ausländer“ und<br />

„Linke“. Größtenteils griff die Szene rechtsextremistisches Gedankengut<br />

auf, das bald den grundlegenden Bestandteil ihres Selbstverständnisses<br />

ausmachte. Zu Beginn der 80er Jahre gab es ähnliche<br />

Entwicklungen in einigen Großstädten der DDR. Diese Jugendcliquen<br />

wiesen bereits deutliche Bezüge zum <strong>Rechtsextremismus</strong> auf<br />

und machten sehr bald durch Gewalttaten auf sich aufmerksam.<br />

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands bildete sich eine gesamtdeutsche<br />

Skinhead-Subkultur heraus, die sich mehr und mehr<br />

politisierte. Parallel hierzu stieg auch die Gewaltbereitschaft der<br />

Szene beträchtlich an.<br />

In den letzten Jahren verbreiterte sich die<br />

Palette von Musikrichtungen und Outfits<br />

des subkulturellen rechtsextremistischen<br />

Spektrums. Das früher häufig anzutreffende<br />

Skinheadoutfit, das von kahlrasierten<br />

Köpfen („Glatzen“), Springerstiefeln<br />

(oft auch schweren, manchmal mit<br />

Stahlkappen versehenen Arbeitsschuhen)<br />

und Bomberjacken gekennzeichnet<br />

war, ist heute nur noch selten anzutreffen.<br />

Äußerlichkeiten wie Kleidung oder<br />

37 Unter Subkultur ist im soziologischen Sinne eine Gruppenkultur innerhalb einer umfassenden Kultur<br />

oder Gesellschaft zu verstehen, die eigene Verhaltensnormen entwickelt. Die Normen bilden sich aus<br />

Überzeugungen, Werthaltungen oder Ideologien heraus, die von der Gesamtkultur abweichen. Die Skinheadszene<br />

stellt eine eigenständige jugendliche Subkultur dar.


Haarschnitt lassen heute oft keine eindeutige Zuordnung zum<br />

subkulturellen rechtsextremistischen Spektrum mehr zu. Haben<br />

unpolitische Jugendliche teils ein für Skinheads vermeintlich typisches<br />

Äußeres angenommen, tragen viele subkulturell geprägte<br />

Rechtsextremisten oft längere Haare sowie nordisch-germanischen<br />

Schmuck. Entsprechende Bekleidung wird oft von Szenefirmen<br />

produziert, mitunter werden aber auch Marken bevorzugt, deren<br />

Hersteller sich teilweise explizit gegen eine rechtsextremistische<br />

Vereinnahmung wehren. Was ihr äußeres Erscheinungsbild anbelangt,<br />

haben Rechtsextremisten zu weiten Teilen Stilelemente des<br />

jugendlichen Mainstreams übernommen. Anhänger des „NS-Black<br />

Metal“ (NSBM) tragen oft lange schwarze Haare, dunkle Kleidung<br />

oder schminken sich.<br />

Im subkulturell geprägten rechtsextremistischen Spektrum herrschen<br />

auf das Gedankengut der Nationalsozialisten ausgerichtete<br />

Ansichten vor, unter denen nationalistische, rassistische und antisemitische<br />

Vorurteile am stärksten vertreten sind. Zumeist haben<br />

Skinheads jedoch keine fest gefügte Weltanschauung. Ihre Einstellung<br />

kommt in der Verachtung von Ausländern, Juden, Andersdenkenden<br />

oder so genannten Undeutschen, zu denen z. B. Obdachlose<br />

und Homosexuelle gezählt werden, zum Ausdruck. Ein<br />

hoher Alkoholkonsum und die Gruppendynamik setzen auf Seiten<br />

der Skinheads die Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt<br />

deutlich herab und lösen häufig spontane gewalttätige Übergriffe<br />

aus. Daher sind sie in der Regel als gewaltbereit einzustufen.<br />

Das Schlagwort „White Power“ symbolisiert die rassistische Einstellung<br />

der rechtsextremistischen Skinheads. Sie sehen sich als<br />

Krieger der „weißen Rasse“ an, was die „14 words“ – eine Art<br />

„Kampfruf“ – ausdrücken sollen. 38 Oft verwenden Skinheads nur<br />

Insidern bekannte Codes, wie beispielsweise Zahlen an Stelle von<br />

Buchstaben. So ist der Gruß „88“ in der Szene weit verbreitet. 39<br />

38 Die Zahl 14 wird in Anlehnung an die „14 words“ des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane<br />

verwandt: „We must secure the existence of our race and a future for white children“ („Wir müssen das<br />

Leben unserer Rasse und die Zukunft für die weißen Kinder sichern“).<br />

39 Die Zahl 88 verwenden Rechtsextremisten als Code für die Parole „Heil Hitler“. Die Zahl 8 steht in<br />

diesem Falle für H, den achten Buchstaben des Alphabets. Die Zahl 88 entspricht somit HH oder „Heil<br />

Hitler“. Diese Verwendung ist im Gegensatz zum „HITLER“-Gruß nicht strafbar.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

85


86<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

5.2 Strukturen der Skinheadszene<br />

Obwohl die Skinheadszene tendenziell organisationsfeindlich<br />

eingestellt ist, bestehen bzw. bestanden in Deutschland einige<br />

Bewegungen, die sich meist als Eliteorganisationen verstehen.<br />

Hierzu zählen beispielsweise die „Hammerskins“ sowie „Blood &<br />

Honour“ („B & H“). Beide Organisationen haben einen politischweltanschaulichen<br />

Anspruch und agieren international.<br />

Außer in den nachfolgend aufgeführten Organisationen finden<br />

sich subkulturell geprägte Rechtsextremisten vor allem in Cliquen<br />

zusammen, denen es jedoch meist an ausgeprägten Strukturen<br />

mangelt. Sie sind an politischen Zusammenhängen nur wenig interessiert<br />

und wollen vorrangig ihre subkulturell geprägte Einstellung<br />

ausleben.<br />

„Blood & Honour“ („B & H“)<br />

Seit 1995 bestand in der Bundesrepublik eine deutsche „Division“<br />

der „B & H“-Bewegung, die ihren Ursprung in Großbritannien<br />

hat. 40 Diese Organisation verfolgt das Ziel, auf internationaler<br />

Ebene eine autonome Struktur für die Skinheadszene zu schaffen.<br />

Sie propagiert den Nationalsozialismus<br />

und vertritt<br />

die rassistische „White<br />

Power“-Ideologie. Um auf<br />

die Szene mit dem Medium<br />

Musik ideologisch einzuwirken,<br />

konzentriert sich<br />

die „B & H“-Bewegung 41<br />

auf die Organisation von<br />

Konzerten und Partys, bei<br />

denen insbesondere nationalistische<br />

und rassistische<br />

Bands auftreten. Ende<br />

des Jahres 1997 wurde in<br />

40 Nach der nationalsozialistischen Parole „Blut und Ehre“ benannt und vom Frontmann der englischen<br />

Skinheadband „Skrewdriver“, Ian Stuart DONALDSON, 1987 in England gegründet.<br />

41 Als Code für „Blood & Honour“ wird auch die Zahlenkombination „28“ verwandt.


Thüringen die bundesweit vertretene „B & H“-Jugendorganisation<br />

„White Youth“ gegründet, die jüngere Szeneangehörige organisieren<br />

und an ältere Kameraden binden wollte.<br />

Am 12. September 2000 verbot der Bundesminister des Innern die<br />

deutsche Division der „B & H“-Bewegung sowie deren Jugendorganisation<br />

„White Youth“, da sich beide Vereinigungen gegen<br />

die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung<br />

richteten. Zu diesem Zeitpunkt gehörten der „B &<br />

H“-Division Deutschland etwa 200 Personen in 15 Sektionen an;<br />

„White Youth“ zählte darüber hinaus rund 50 Mitglieder. Das Verbot<br />

wurde im Juni 2001 rechtskräftig und schwächte die Szene.<br />

Zahlreiche Protagonisten, die in der Gruppierung früher eine Rolle<br />

gespielt hatten, verließen die rechtsextremistische Szene oder verlegten<br />

ihre Aktivitäten in andere Handlungsfelder, woraufhin der<br />

organisatorische Zusammenhalt zerfiel.<br />

Sowohl ehemalige als auch neue Aktivisten waren jedoch bestrebt,<br />

frühere Organisationsstrukturen zumindest ansatzweise aufrechtzuerhalten<br />

oder neu aufzubauen. Aus diesem Grund wurden seit<br />

dem Jahr 2000 von den Strafverfolgungsbehörden deutschlandweit<br />

mehrere Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Fortführung<br />

einer verbotenen Vereinigung gemäß § 85 Strafgesetzbuch<br />

(StGB) eingeleitet, die bisher jedoch noch nicht zu einer Anklage<br />

einzelner „B & H“-Aktivisten geführt haben.<br />

Nachfolgebestrebungen von „B & H“ sind allerdings nur noch rudimentär<br />

vorhanden. Vor allem im süddeutschen Raum, aber auch<br />

in Thüringen, bestehen zwischen einigen ehemaligen Mitgliedern<br />

noch persönliche Kontakte. Deren Intensität hat seit den Durchsuchungsaktionen<br />

im März 2006 stark abgenommen. Es fanden einzelne<br />

rechtsextremistische Konzerte statt, an deren Organisation<br />

Personen aus dem früheren Umfeld von „B & H“ mitwirkten. Der<br />

hohe Provokationswert des Namens und der Reiz des Verbotenen<br />

sollen in der Szene eine größere Aufmerksamkeit erregen und den<br />

Verkaufsumsatz, z. B. von CDs oder Kleidungsstücken mit dem<br />

Schriftzug „Blood & Honour“, steigern. Dieses Logo hat nach wie<br />

vor auch unter jüngeren Rechtsextremisten eine gewisse Werbewirkung.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

87


88<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

„Hammerskin“-Bewegung<br />

Die „Hammerskins“ stellen eine weltweit aktive Bewegung dar,<br />

die 1986 in den USA gegründet wurde und seit Mitte der 90er Jahre<br />

auch in Deutschland mit Sektionen vertreten ist. Die Bewegung<br />

versteht sich als Elite innerhalb der Skinheadszene. Sie verherrlicht<br />

bzw. propagiert rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Ihr<br />

Erkennungsmerkmal – zwei gekreuzte Zimmermannshämmer in<br />

einer Raute – soll die Kraft und Stärke der „weißen Arbeiterklasse“<br />

symbolisieren. Wegen ihres elitären Anspruchs sind die „Hammerskins“,<br />

die bundesweit ca. 100 Anhänger zählen, in der Szene umstritten.<br />

In Thüringen verfügen sie nur über einzelne, vornehmlich<br />

in Ostthüringen ansässige Anhänger.<br />

Da es den „Hammerskins“ an Organisationsstrukturen ebenso<br />

mangelt wie an Führungspersönlichkeiten, gelang es ihnen nicht,<br />

sich entsprechend ihrem Anspruch in der rechtsextremistischen<br />

Skinheadszene als Elite durchzusetzen oder mit der „B & H“-Bewegung<br />

zu konkurrieren. Von ihren überregionalen Koordinierungstreffen,<br />

die regelmäßig stattfinden, gingen bislang keine konzeptionellen<br />

Impulse aus.<br />

5.3 Kontakte zu anderen<br />

rechtsextremistischen Gruppierungen<br />

Subkulturell geprägte Rechtsextremisten sind überwiegend abgeneigt,<br />

sich in feste und auf Dauer angelegte Organisationsstrukturen<br />

einzugliedern. Deshalb bestehen auch kaum institutionalisierte<br />

Kontakte zu rechtsextremistischen Parteien oder Organisationen.<br />

Es gibt jedoch Kontakte auf regionaler und lokaler Ebene, die sich<br />

insbesondere auf die NPD erstrecken und vor allem von persönlichen<br />

Verbindungen abhängen. Andere rechtsextremistische Parteien<br />

stehen subkulturell geprägten Rechtsextremisten mit starken<br />

Vorbehalten gegenüber.<br />

Im Laufe der letzten Jahre bewegten sich das subkulturell geprägte<br />

und das neonazistische Spektrum zunehmend aufeinander zu.<br />

Es bildeten sich in größerem Umfang so genannte Mischszenen


heraus oder Skinheadcliquen und neonazistische Kameradschaften<br />

verschmolzen miteinander. 42 Die Gründe hierfür liegen in den<br />

offeneren Strukturen der Neonazis, die oftmals in „unabhängigen<br />

Kameradschaften“ agieren und somit der Organisationsunwilligkeit<br />

vieler subkulturell geprägter Rechtsextremisten entgegenkommen.<br />

In den letzten Jahren ist es sowohl der NPD als auch den Neonazis<br />

gelungen, zunehmend subkulturell geprägte Rechtsextremisten für<br />

ihre Versammlungen zu mobilisieren, wenn sie rechtsextremistische<br />

Musik als Medium einsetzten. Diese Tendenz findet Ausdruck<br />

in den steigenden Teilnehmerzahlen solcher Veranstaltungen. So<br />

nahmen am „6. Thüringentag der nationalen Jugend“ am 19. Mai in<br />

Eisenach ca. 370 Personen (2006: 250), an der Veranstaltung „Rock<br />

für Deutschland“ am 30. Juni in Gera ca. 650 Personen (2006:<br />

600) sowie dem „2. Fest der Völker“ am 8. September in Jena etwa<br />

1.400 Personen (zuletzt 2005: 500) teil. 43 Diese von der NPD im<br />

Jahr 2007 organisierten Großveranstaltungen fanden vor allem<br />

wegen der Auftritte mehrerer rechtsextremistischer Bands einen so<br />

starken Zulauf. Die NPD wird auch künftig die von dieser Musik<br />

ausgehende Anziehungskraft nutzen, um insbesondere jugendliche<br />

Rechtsextremisten als Veranstaltungsbesucher zu gewinnen.<br />

Darüber hinaus versuchte die NPD im Jahr 2007 in Thüringen<br />

wiederholt, rechtsextremistische Musikveranstaltungen als Parteiversammlungen<br />

zu deklarieren, um behördlichen Maßnahmen<br />

entgegenzuwirken. Bei diesen Veranstaltungen traten oft mehrere<br />

rechtsextremistische Bands auf. Das Publikum entstammte zu einem<br />

großen Teil dem subkulturellen rechtsextremistischen Spektrum. Besonders<br />

im Raum Südthüringen wurden durch den dort ansässigen<br />

NPD-Kreisverband Hildburghausen-Suhl mehrfach Parteiveranstaltungen<br />

durchgeführt, die rechtsextremistischen Konzerten glichen. 44<br />

Innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene findet eine internationale<br />

Kooperation statt, die auf der gemeinsam empfundenen<br />

Zugehörigkeit zur „White-Power“-Bewegung und weitgehend übereinstimmenden<br />

Feindbildern basiert. Rechtsextremistische Bands aus<br />

dem Ausland – insbesondere aus Großbritannien und den USA – und<br />

42 Siehe Kapitel 4.2.<br />

43 Siehe Kapitel 3.1.2.9.<br />

44 Siehe Kapitel 5.7.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

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90<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

deren CDs sind bei deutschen Skinheads beliebt; entsprechende<br />

Gruppen treten regelmäßig bei Konzerten in Deutschland – so auch<br />

in Thüringen – auf. Im Gegenzug beteiligen sich deutsche Bands an<br />

Veranstaltungen im Ausland und produzieren zum Teil auch Tonträger<br />

speziell für diesen Markt in englischer Sprache. Volksverhetzende<br />

fremdsprachige Tonträger finden in Deutschland weiterhin eine<br />

starke Verbreitung. Dementsprechend ist der Einfluss rechtsextremistischer<br />

Musik aus dem Ausland – trotz möglicher Sprachbarrieren<br />

– hoch. Mitunter reisen subkulturell geprägte Rechtsextremisten aus<br />

Deutschland auch zu rechtsextremistischen Konzerten ins Ausland.<br />

5.4 Wirkung und Facetten<br />

rechtsextremistischer Musik<br />

Wirkung auf Jugendliche<br />

Alle Auszweigungen der subkulturellen rechtsextremistischen Szene<br />

versprechen Jugendlichen gruppendynamische Erlebnisse und<br />

Gefühle von Anerkennung, Gemeinschaft, Kameradschaft und<br />

Stärke. Rechtsextremistische Musik und Konzerte bilden deshalb<br />

wichtige Elemente, um die Szene zusammenzuhalten oder für sie<br />

zu werben. Das Gemeinschaftsgefühl, das Konzerte stiften, und die<br />

aggressiven Rhythmen der Musik regen rechtsextremistisch „anpolitisierte“<br />

Jugendliche oftmals an, sich in die rechtsextremistische<br />

Szene zu integrieren oder in ihr zu verbleiben. Die Musik drückt<br />

ihre Aggressionen, Ängste und Wünsche aus. Mit den Texten der<br />

Lieder werden die ideologischen Botschaften transportiert, für welche<br />

die Szene empfänglich ist. Ian Stuart DONALDSON, der die<br />

„Blood & Honour“-Bewegung in England gründete, äußerte in diesem<br />

Zusammenhang: „Eine Gruppe zu hören, die man gut findet,<br />

macht viel mehr Spaß als eine politische Versammlung.“<br />

Häufig sind Texte, die auf den Konzerten vorgetragen werden, extremer<br />

als jene, die sich auf den CDs befinden. Mit aggressiven,<br />

menschenfeindlichen Formulierungen versuchen die Bands, sich<br />

gegenseitig zu übertrumpfen. Die dadurch angestachelten „Hitler-<br />

Grüße“ oder Wechselgesänge zwischen Band und Publikum steigern<br />

das aufputschende Erlebnis solcher Konzerte. Die Vorliebe für


echtsextremistische Musik trug nicht selten dazu bei, Jugendliche<br />

rechtsextremistisch zu sozialisieren. Die Hass- und Gewaltparolen,<br />

die Gruppendynamik und die Alkoholexzesse erzeugen „rechtsextremistische<br />

Erlebniswelten“. Sie können jugendliche Fans nachhaltig<br />

anregen, rechtsextremistische Feindbilder zu übernehmen<br />

oder diese zu verfestigen. Somit kann rechtsextremistische Musik<br />

in einem starken Maße dazu beitragen, verhaltensprägend zu wirken<br />

und für das rechtsextremistische Spektrum einzunehmen.<br />

Facetten rechtsextremistischer Musik<br />

Das musikalische Spektrum, das Rechtsextremisten für die Präsentation<br />

ihrer mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommenden<br />

einschlägigen Botschaften nutzen, ist sehr vielgestaltig.<br />

Es reicht vom typischen „R.A.C.“ 45 über den „Black Metal“ 46 und<br />

„Hardcore“ 47 bzw. „Hatecore“ 48 bis hin zu eingängigen Melodien<br />

bereits bekannter Stimmungslieder oder Schlager, deren Texte<br />

umgeschrieben worden sind. Die meisten Stücke stützen sich auf<br />

schnelle und harte Bass- und Schlagzeug-Beats, die dem Heavy<br />

Metal und verwandten Stilrichtungen entlehnt sind. Die Melodien<br />

bestehen meist aus stakkatoartig aneinandergereihten Tonfolgen,<br />

die nur wenig melodisch klingen und oft von der grölenden Stimme<br />

des Sängers überlagert werden.<br />

Nachdem sich mit dem „NS-Black Metal“ (NSBM) in den letzten<br />

Jahren eine weitere Musikrichtung etablierte, in der rechtsextremistisches<br />

Gedankengut verbreitet wird, gewinnen innerhalb der<br />

rechtsextremistischen Musikszene die Anhänger des „Hatecore“<br />

zunehmend an Bedeutung. Songtexte der beschriebenen Musikrichtungen,<br />

Interviews von Bands u. Ä. enthalten, wenn auch in<br />

höchst unterschiedlicher Deutlichkeit, rassistische, antisemitische<br />

und gewaltverherrlichende Ansichten oder glorifizieren die nationalsozialistische<br />

Gewaltherrschaft. Die Lieder der rechtsextremistischen<br />

Bands widerspiegeln zum Teil ein diffuses „NS-tümelndes“<br />

45 „R.A.C.“: „Rock against Communism“ (Rock gegen Kommunismus), Rockmusik mit rechtsextremistischen<br />

Texten.<br />

46 „Black Metal“ stellt eine aggressivere Variante des Heavy Metal dar, der aus kreischenden, hochgestimmten<br />

Gitarren, einem donnernden Schlagzeug und einem verzerrt „krächzenden“ Gesang besteht und<br />

Gewalt gegenüber positiv eingestellt ist.<br />

47 „Hardcore“ verbindet die Einfachheit und Rohheit der „Punk-Musik“ mit den harten, schnellen Rhythmen<br />

des „Heavy Metal“.<br />

48 „Hatecore“: aggressivere Variante des „Hardcore“ mit entsprechenden Texten (hate = Hass).<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

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92<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Weltbild, das mit Fragmenten aus der germanischen Mythologie,<br />

mit militärischem Pathos, martialischem Männlichkeitsritus<br />

und dem „Gesetz der Straße“ angereichert worden ist. Auf dieser<br />

Grundlage geraten diese Lieder zu Hymnen, die von Brutalität, Aggression<br />

und Menschenverachtung, von Anklagen und Beschimpfungen<br />

des „Systems“ durchdrungen sind, die eine „jüdische Weltverschwörung“<br />

unterstellen und sich in brutale Verfolgungs- und<br />

Vernichtungsphantasien hineinsteigern können.<br />

5.5 Die rechtsextremistische Musikszene<br />

in Thüringen<br />

Insgesamt 14 rechtsextremistische Musikgruppen aus Thüringen<br />

traten 2007 bei Szeneveranstaltungen auf oder veröffentlichten<br />

eigene Tonträger. Gut die Hälfte dieser Bands ist seit mehreren<br />

Jahren aktiv. Darüber hinaus liegen bei mindestens zwei weiteren<br />

Thüringer Bands einzelne Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische<br />

Ausrichtung vor.<br />

Nachfolgende Bands aus Thüringen wurden im Jahr 2007 als aktive<br />

rechtsextremistische Musikgruppen klassifiziert:<br />

• „Brainwash“ / Altenburg,<br />

• „Celtic Dawn“ / Heldrungen,<br />

• „Ehre & Stolz“ / Suhl,<br />

• „Eternal Bleeding“ / Altenburg,<br />

• „Eugenik“ / Gera,<br />

• „Moshpit“ / Altenburg,<br />

• „PAK 88“ / Erfurt,<br />

• „Rabenschrei“ / Sondershausen,<br />

• „Rabiat“ (vormals „D.N.A.“) / Gera,<br />

• „Radikahl“ (nur noch Sänger) / Weimar,<br />

• „SKD“ („Sonderkommando Dirlewanger“ 49 ) / Gotha,<br />

• „Skuld“ / Eisfeld,<br />

• „Totenburg“ / Gera,<br />

• „Wolfssang“ / Nordthüringen.<br />

49 Die sich aus Straftätern rekrutierende „Sondereinheit Dirlewanger“ der SS zeichnete sich durch besondere<br />

Brutalität aus. Sie war aktiv an der Niederschlagung des „Warschauer Aufstandes“ und an Vergeltungsaktionen<br />

auf Aktivitäten russischer Partisanen im 2. Weltkrieg beteiligt.


Im Vergleich zum Vorjahr (15 Bands) blieb die Zahl der als rechtsextremistisch<br />

bewerteten aktiven Musikgruppen damit etwa konstant.<br />

Eine Band formierte sich um und brachte unter ihrem neuen<br />

Namen „Rabiat“ die Debüt-CD „Ohne Kompromisse“ heraus,<br />

während mit den „Black Metal“-Bands „Rabenschrei“ und „Wolfssang“<br />

zwei Bands 2007 erstmals in Erscheinung traten und eine<br />

Split-CD veröffentlichten.<br />

Die hiesigen rechtsextremistischen<br />

Bands sind vorwiegend<br />

in Ostthüringen konzentriert.<br />

Nur wenige Bands sind im<br />

Westthüringer Raum angesiedelt.<br />

Die Bands traten überwiegend<br />

in den angrenzenden<br />

Bundesländern auf, einige<br />

auch im Ausland. In Thüringen<br />

geplante Auftritte kamen durch<br />

Auflösung bzw. Verhinderung von Konzertveranstaltungen zumeist<br />

nicht zustande. Die Bands „Eugenik“, „SKD“, „Eternal Bleeding“<br />

und „Radikahl“ erlangten mit diversen Auftritten außerhalb Thüringens<br />

überregionale Bekanntheit. Mitglieder der Bands „Moshpit“<br />

und „Brainwash“ stammen teils aus<br />

Thüringen, teils aus anderen Bundesländern.<br />

Einzelne Musiker wirken in<br />

mehreren Bands mit. Mitunter schließen<br />

sich Mitglieder verschiedener<br />

Bands vorübergehend zu Projekten<br />

zusammen und absolvieren Live-Auftritte<br />

oder spielen eigene Tonträger<br />

ein. Bei Konzerten oder Studioaufnahmen<br />

werden fehlende Positionen<br />

der Stammbesetzung oft durch den<br />

Einsatz von Musikern anderer Bands<br />

kompensiert.<br />

Die während des Berichtszeitraumes aktivsten Bands waren „SKD“,<br />

„Eternal Bleeding“ und „Celtic Dawn“. Eine mehr als zehnjährige<br />

Bandgeschichte weisen „Radikahl“ und „Eugenik“ auf. Maximilian<br />

„Max“ LEMKE aus Jena und „Torstein“ aus Nordthüringen waren<br />

jene rechtsextremistischen Liedermacher, die im Jahr 2007 am<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

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94<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

häufigsten in Erscheinung getreten sind. Die Aktivitäten der Band<br />

„SKD“ waren nach der Inhaftierung des Band-Leaders rückläufig.<br />

Interne Zerwürfnisse um die Vermarktung von Tonträgern führten<br />

zur zwischenzeitlichen Auflösung der Band, wobei ein Wiederaufleben<br />

nach Rückkehr des Bandleaders nicht ausgeschlossen<br />

scheint.<br />

Mit den englischsprachigen CDs „Dead Eyes Kissed the Light”<br />

von „Eternal Bleeding”, „Hate is our Justice“ von „Brainwash“ und<br />

„Mirror of an unbroken Faith“ von „Moshpit“ gab es 2007 Neuerscheinungen<br />

insbesondere von rechtsextremistischen Hatecore-Bands<br />

aus Thüringen bzw. solchen mit Thüringer Beteiligung.<br />

Daneben erschienen mit den CDs „Allvater – Vater“ und „Europa<br />

– Nation – Revolution“ Tonträger unter Beteiligung der bis zu ihrer<br />

Auflösung aktivsten Thüringer Band „SKD“. Bereits zu Jahresbeginn<br />

brachte „Celtic Dawn“ ihre Debüt-CD „Mit stählerner Hand“<br />

heraus. Mit der CD „Mein Leben der Heimat“ veröffentlichte der<br />

Liedermacher „Torstein“ 2007 ebenfalls seine Debüt-CD.<br />

Während die Mitglieder von „SKD“ ihren politischen Standort in<br />

älteren Stücken mit antisemitischen, rassistischen, ausländerfeindlichen,<br />

volksverhetzenden und gewaltverherrlichenden Textpassagen<br />

noch unverblümt zum Ausdruck brachten, wurden die Texte<br />

bei den aktuellen Veröffentlichungen deutlich entschärft. Es werden<br />

heidnisch-politische Themen verarbeitet, in denen rechtsextremistische<br />

Botschaften nur noch unterschwellig anklingen.<br />

Die Hoffnung auf einen zukünftigen „Führerstaat“ wird deutlich<br />

auf der SKD-CD „Europa – Nation – Revolution“ im Titel „Am<br />

Bahngleis der Zukunft“, wenn es heißt:<br />

„… Am Bahngleis der Zukunft stellen wir die Weichen<br />

Wir sind die Träger der Pflicht Träger der verbotenen Zeichen<br />

Wir sind die Söhne und Enkel einer nie vergessenen Zeit<br />

Stolze Erben schwer geprüft von Hass und Neid.<br />

...<br />

Es naht der Tag wo uns wieder führt<br />

Ein Mann dem dieses Recht gebührt<br />

Ein alter Schwur ein neuer Eid<br />

Führt uns gemeinsam aus diesem Leid …“<br />

Aus dem Original übernommen.


5.6 Organisation und Ablauf<br />

rechtsextremistischer Konzerte im Allgemeinen<br />

Die oft als überregionale Treffen organisierten Konzerte dienen als<br />

Forum, um Kontakte zu pflegen, Informationen auszutauschen und<br />

die Vernetzung der strukturschwachen Szene zu fördern. Sie vermitteln<br />

den Teilnehmern ein Gemeinschaftsgefühl.<br />

Auf das restriktive Vorgehen der Behörden gegen die Veranstal-<br />

tung von rechtsextremistischen Konzerten reagiert die Szene mit<br />

teils konspirativen Methoden bei deren Planung und Durchführung.<br />

Die Termine und Orte rechtsextremistischer Konzerte werden meist<br />

nicht öffentlich bekannt gegeben. Die Szene wirbt für sie vor allem<br />

per SMS, über Telefonketten, Mailinglisten, mit per Post versandten<br />

Briefen sowie durch Mundpropaganda. In der Regel wird nur<br />

ein Vorab-treffpunkt benannt, von dem aus die Teilnehmer zum<br />

eigentlichen Veranstaltungsort weitergeleitet werden. Mitunter<br />

wird der Polizeifunk mit Scannern abgehört, um gegebenenfalls<br />

kurzfristig auf Einsätze der Polizei reagieren zu können. Vor<br />

Beginn der Konzerte führen die Initiatoren gelegentlich Leibesvisitationen<br />

durch und fordern die Teilnehmer auf, ihre Handys abzugeben.<br />

Die Angehörigen der Szene bemühen sich, ihre wahren Absichten<br />

zu verbergen, wenn sie Räumlichkeiten mieten und die Veranstaltungen<br />

gegenüber den Ordnungsbehörden anzeigen. So täuschen<br />

sie beispielsweise vor, Familienfeiern, Klassentreffen oder<br />

Geburtstagsfeiern mit Livemusik vorzubereiten. Teilweise werden<br />

Räumlichkeiten von Personen gemietet, die sowohl deren Besitzern<br />

als auch den Polizei- und Ordnungsbehörden noch nicht<br />

einschlägig bekannt sind. Für Konzerte werden Gaststätten, alte<br />

Industriegelände oder Räumlichkeiten genutzt, über die Sympathisanten<br />

der Szene verfügen. Solche Szeneobjekte bieten den<br />

Vorteil, kurzfristig als Ausweichobjekt zur Verfügung zu stehen,<br />

sollte ein an einem anderen Ort geplantes Konzert verhindert oder<br />

aufgelöst werden. In den Sommermonaten finden Konzerte auch<br />

auf Waldlichtungen, Wiesen oder anderen Orten im Freien statt.<br />

Oft erklären die Organisatoren auch, eine „geschlossene Veran-<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

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96<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

staltung“ mit „geladenen Gästen“, nicht jedoch ein Konzert zu<br />

planen. Hinzu kommen von der NPD angemeldete Veranstaltungen,<br />

die durch Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen Konzertcharakter<br />

erlangen.<br />

Für die Konzerte wird von den Veranstaltern in der Regel ein Eintrittsgeld<br />

zwischen 5 und 20 Euro erhoben. Dessen Höhe hängt<br />

u. a. davon ab, welche Bands auftreten oder aus welchem Anlass<br />

die Veranstaltung stattfindet (z.B. „Benefiz-Konzerte für inhaftierte<br />

Kameraden“). Oftmals sind im Eintritt Freigetränke enthalten.<br />

Von einem Teil der eingenommenen Gelder werden die Gagen<br />

der auftretenden Bands bzw. Reisekosten gezahlt. Die Höhe der<br />

Gagen variiert, kann jedoch durchaus im hohen dreistelligen Bereich<br />

liegen, wenn es sich um bekanntere Bands handelt. Der Gewinn,<br />

der aus solchen Konzerten gezogen wird, fällt meist dem<br />

Veranstalter zu. Die Höhe der Gewinne ist schwer zu beziffern. In<br />

vielen Fällen dürften sie zumindest den Lebensunterhalt der Veranstalter<br />

aufbessern. Nicht unerhebliche Umsätze und Gewinne<br />

werden darüber hinaus durch den Verkauf von CDs und Devotionalien<br />

erzielt.<br />

Mitunter begehen Besucher und/oder Mitglieder der auftretenden<br />

Bands während oder im Umfeld der Konzerte Straftaten, bei denen<br />

es sich vorrangig um Propagandadelikte handelt. Vereinzelt werden<br />

im Verlauf der Konzerte Lieder mit fremdenfeindlichen und<br />

antisemitischen Texten gesungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung<br />

nach § 130 StGB erfüllen. Insbesondere bei Konzerten,<br />

die von der Polizei aufgelöst oder verhindert werden, kommt es<br />

infolge des erhöhten „Frustpotenzials“ von Teilnehmern und Organisatoren<br />

gelegentlich zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte.<br />

5.7 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen<br />

Die Zahl der rechtsextremistischen Konzerte in Thüringen ging<br />

im Jahr 2007 weiter zurück. Von insgesamt acht stattgefundenen<br />

Konzerten wurden sechs durch die Polizei aufgelöst. Zwei weitere<br />

Konzerte sind bereits um Vorfeld von der Polizei verhindert<br />

worden. Darüber hinaus mag es kleinere konzertähnliche Veran-


staltungen gegeben haben, die weder inner- noch außerhalb der<br />

Szene größere Bekanntheit erlangten.<br />

Statistik rechtsextremistischer Konzerte in Thüringen:<br />

Freistaat Thüringen Bund<br />

Jahr 2005 2006 2007 2007<br />

stattgefunden 22 12 8 138<br />

davon aufgelöst 9 6 6 20<br />

verhindert 6 6 2 21<br />

Dank einer verstärkten Vorfeldaufklärung, einer intensiven Zusammenarbeit<br />

von Polizei und Verfassungsschutz sowie einer konsequenten<br />

Umsetzung des Erlasses des Thüringer Innenministeriums<br />

zur „Polizeilichen Behandlung von Skinhead-Konzerten“ gelang es<br />

im Berichtszeitraum erneut, den Bemühungen der Szene, Konzerte<br />

zu organisieren, mit Erfolg zu begegnen. Von zehn beabsichtigten<br />

Konzertaktivitäten konnten insgesamt acht im Vorfeld verhindert<br />

bzw. aufgelöst werden.<br />

Rund zwei Drittel aller rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen<br />

in Deutschland fand in den neuen Bundesländern statt. Thüringen<br />

rangiert im Vergleich der neuen Bundesländer – zusammen<br />

mit Sachsen-Anhalt – auf dem vierten Platz, im Bundesvergleich<br />

bezüglich der Anzahl der stattgefundenen Konzerte im oberen<br />

Mittelfeld. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Rechtsextremistische<br />

Musik und damit verbundene Veranstaltungen sind insbesondere<br />

in den neuen Bundesländern sehr populär. Zudem weist Thüringen<br />

aufgrund seiner zentralen geografischen Lage sowie des großen<br />

Angebots an preisgünstigen oder leerstehenden Gebäuden eine<br />

Infrastruktur auf, die sowohl für die Veranstalter der Konzerte als<br />

auch für die Sympathisanten, die aus Thüringen und anderen Bundesländern<br />

anreisen, von Vorteil ist.<br />

Die Konzerte fanden sowohl in Gaststätten als auch im Freien statt.<br />

Zum Teil wurden sie aber auch in so genannten Szeneobjekten veranstaltet<br />

– meist in ehemaligen Gaststätten, Fabrikhallen oder Baracken,<br />

die über einen längeren Zeitraum von Rechtsextremisten<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

97


98<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

für ihre Aktivitäten genutzt werden. Diese Gebäude dienen auch<br />

als Proberäume für Bands, als Versammlungsräume und Freizeittreffs.<br />

Nicht zuletzt auch wegen der in immer geringerer Zahl zur Verfügung<br />

stehenden Szeneobjekte fanden im Jahr 2007 weniger<br />

rechtsextremistische Konzerte in Thüringen statt. An den Veranstaltungen<br />

beteiligten sich jeweils zwischen 50 und 200 Personen,<br />

von denen der Großteil oftmals aus den angrenzenden Bundesländern<br />

angereist war. Wurden die Konzerte im Vorjahr im<br />

Durchschnitt von etwa 150 Personen besucht, sank dieser Wert<br />

im Berichtszeitraum auf etwa 105 Besucher und damit deutlich<br />

unter den bundesweiten Durchschnitt von 150 Personen ab. Der<br />

sich bereits 2006 abzeichnende Trend hin zu kleineren Konzerten<br />

hat sich inzwischen sowohl in Thüringen als auch im übrigen Bundesgebiet<br />

bestätigt. Mehr als die Hälfte aller Veranstaltungen zog<br />

bis zu 100 Personen an, weit seltener wurden bis zu 200 Besucher<br />

gezählt. Konzerte mit mehr als 200 Teilnehmern bildeten zuletzt<br />

die Ausnahme. In Anbetracht eines bei einer Großveranstaltung<br />

drohenden Verbotes und der damit verbundenen finanziellen Einbußen<br />

gingen die Veranstalter dazu über, mehrere kleine Konzerte<br />

auszurichten.<br />

Das Gros der Konzertteilnehmer (41 %) gehörte der Altersgruppe<br />

der 20 bis 24-Jährigen an. 29 % der Besucher waren 25 bis<br />

30 Jahre alt, 12 % waren älter. Der Anteil jener Konzertteilnehmer,<br />

die das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, ist erneut zurückgegangen.<br />

Betrug er im Jahr 2005 noch 26 %, lag er 2006 bei<br />

19 % und im Berichtszeitraum schließlich bei 18 %. Frauen machten<br />

wie im Vorjahr 25 % der Besucher aus.<br />

Wegen der starken Anziehungskraft, die rechtsextremistische<br />

Musik auf einen Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

ausübt, wird die Szene auch künftig bestrebt sein, dieses Personenpotenzial<br />

über rechtsextremistische Konzerte an sich zu binden.<br />

Allerdings dürfte sich die Entwicklung fortsetzen, kleinere,<br />

konspirativ organisierte Konzerte auszurichten. Ebenso dürfte<br />

sich das Spektrum der rechtsextremistischen Musikstile weiter auffächern.


Übersicht über die rechtsextremistischen Konzertaktivitäten: 50<br />

Datum Ort Teilnehmerzahl<br />

1 13.01.07 Neustadt 150–200 drei Bands<br />

2 27.01.07 Langenschade<br />

(verhindert)<br />

3 31.01.07 Altenburg<br />

(aufgelöst)<br />

4 03.02.07 Gotha<br />

(aufgelöst)<br />

5 10.03.07 Brotterode<br />

(aufgelöst)<br />

6 14.04.07 Hildburghausen<br />

(aufgelöst)<br />

7 18.05.07 Arnstadt-<br />

Rudisleben<br />

(aufgelöst)<br />

8 19.05.07 Erfurt-<br />

Möbisburg<br />

(verhindert)<br />

9 16.06.07 Breitungen<br />

(aufgelöst)<br />

50 Thüringer Bands wurden fett gedruckt.<br />

(angekündigte) Bands<br />

70 „Max Resist“ (USA),<br />

„Racial Purity“ (Sachsen-<br />

Anhalt) und „PAK 88“<br />

70 „Max Resist“ (USA)<br />

und „Eternal Bleeding“<br />

160 „SKD“, „PAK 88“,<br />

„Ehre & Stolz“ und<br />

„Gegenschlag“ (Hessen)<br />

50 drei unbekannte Bands<br />

150 „Amok“ (Schweiz),<br />

„SKD“<br />

75 „PAK 88“, „SOKO 18“<br />

(Bayern) und „SKD“<br />

60 „PAK 88“ und „K.T.E.“<br />

(Sachsen)<br />

60 „Vae Victis“ (Sachsen-<br />

Anhalt), „Aryan Voice“<br />

(Niedersachsen) und eine<br />

weitere unbekannte Band<br />

10 29.09.07 Neustadt 100 „Donars Groll“ (Sachsen)<br />

und „Njord“ (Schweden)<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

99


100<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Rechtsextremistische Bands und Liedermacher traten in Thüringen<br />

zudem auch bei den folgenden Veranstaltungen der NPD und der<br />

Neonazis auf: 51<br />

Datum Art und Ort Teilnehmerzahl<br />

1 10.02.07 Mitgliederversammlung<br />

des<br />

NPD-KV Hildburghausen-<br />

Suhl in Hildburghausen<br />

2 19.05.07 Demonstration<br />

„6. Thüringentag<br />

der nationalen<br />

Jugend“<br />

in Eisenach<br />

3 30.06.07 NPD-Veranstaltung<br />

„Rock<br />

für Deutschland“<br />

in Gera<br />

4 07.07.07 NPD-Veranstaltung<br />

„Unsere<br />

Kinder sind unsere<br />

Zukunft“<br />

in Greiz<br />

5 08.09.07 NPD-Veranstaltung<br />

„2. Fest<br />

der Völker“<br />

in Jena<br />

6 15.09.07 Parteiveranstaltung<br />

des NPD-<br />

KV Hildburghausen-Suhl<br />

in<br />

Stressenhausen<br />

Bands/Liedermacher<br />

180 „Celtic Dawn“,<br />

„SKD“ und „PAK 88“<br />

370 „Vae Victis“ (Sachsen-<br />

Anhalt), „Carpe Diem“<br />

(Baden-Württemberg)<br />

und Liedermacher<br />

„Max“<br />

650 „Frontalkraft“ (Brandenburg),<br />

„Woden“ (Großbritannien),<br />

„Racial Purity“<br />

(Sachsen) und „Spreegeschwader“<br />

(Berlin)<br />

70 „Braune Brüder“ (Bayern)<br />

und Liedermacher „Max“<br />

1.400 „Conflict 88“ (Tschechien),<br />

„Brutal Attack“<br />

(England) und „Sleipnir“<br />

(Nordrhein-Westfalen)<br />

180 vier Bands<br />

51 Thüringer Bands/Liedermacher wurden fett gedruckt. Darüber hinaus gab es weitere sonstige musikalische<br />

Veranstaltungen mit Auftritten ausschließlich von Liedermachern.


5.8 Rechtsextremistische<br />

Produktions- und Vertriebsstrukturen<br />

Rechtsextremistische Musik wird größtenteils von rechtsextremistischen<br />

Labels produziert, Produktionsfirmen also, die sich in der<br />

Hand von Rechtsextremisten befinden. Für gewöhnlich sind diesen<br />

Labels Vertriebe angeschlossen. Im Freistaat Thüringen bestehen<br />

solche Strukturen u.a. durch die von dem NPD-Funktionär und<br />

Neonazi Thorsten HEISE in Fretterode betriebene Unternehmung<br />

„W & B Records“ sowie den „Germania Versand“ in Sondershausen.<br />

Beide Labels erstellten in der Vergangenheit verschiedene „Eigenproduktionen“<br />

oder auch Sampler von rechtsextremistischen<br />

Bands bzw. Liedermachern. Über ihre Vertriebsschiene bieten sie<br />

darüber hinaus ein umfangreiches Sortiment an weiteren szenetypischen<br />

Tonträgern und Bekleidung an. Auch Hinweise auf Veranstaltungstermine<br />

der Thüringer NPD werden über diese Kanäle<br />

verbreitet.<br />

Da rechtsextremistische Musik im „normalen“ Handel meist nicht<br />

zu erhalten ist, hat sich zu deren Verbreitung ein spezieller Versandhandel<br />

herausgebildet. Im Zuge der Kommerzialisierung wurde<br />

der Handel mit Tonträgern durch ein umfassendes Angebot an<br />

Videos, Bekleidung, Schuhen/Stiefeln, Fahnen, Schmuck, Büchern<br />

etc. ergänzt. Rechtsextremistische Musik und Szeneartikel werden<br />

von Vertrieben, in so genannten Szene-Läden sowie von Klein- und<br />

Kleinsthändlern angeboten.<br />

Vertriebe/Versandhandel<br />

Die Zahl der rechtsextremistischen Skinheadvertriebe, die in größerem<br />

Umfang bundesweit rechtsextremistische Musik und Szeneartikel<br />

anbieten und auf dem Postweg versenden, ist im Berichtszeitraum<br />

gegenüber dem Vorjahr auf 82 gesunken (2006: 90). Die<br />

Anzahl der in Thüringen ansässigen Einrichtungen bewegt sich im<br />

einstelligen Bereich. Der Vertrieb erfolgt vorwiegend über Internet,<br />

da dies den Aufwand für Betreiber wie Besteller minimiert. Internetanbietern<br />

kommt innerhalb der Szene große Bedeutung zu, weil so<br />

entsprechendes Liedgut und Devotionalien einem umfangreichen<br />

Interessentenkreis zugänglich gemacht werden können. MP3-Da-<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

101


102<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

teien können von Internettauschbörsen heruntergeladen werden.<br />

Strafrechtlich relevante Tonträger werden weiterhin vorrangig im<br />

Ausland produziert und von dort aus auch vertrieben.<br />

Szene-Läden<br />

Szene-Läden stellen wegen ihres Warenangebots einen Anlaufpunkt<br />

insbesondere für subkulturell geprägte Rechtsextremisten<br />

dar. Jene Einrichtungen, die sich u. a. in Erfurt, Gera, Jena und<br />

Weimar befinden, unterhalten in der Regel keine Vertriebsmöglichkeiten<br />

über Internet.<br />

Klein- und Kleinsthändler<br />

Klein- und Kleinsthändler wickeln als „fliegende Händler“, beispielsweise<br />

bei rechtsextremistischen Konzerten, spontan Geschäfte<br />

mit kleinen Stückzahlen ab. Sie bedienen lediglich die jeweilige<br />

regionale rechtsextremistische Szene – auch mit strafrechtlich relevanter<br />

Ware.<br />

Von den beschriebenen Vertriebswegen abgesehen werden Szeneartikel<br />

auch privat, bei Kameradschaftstreffen oder sonstigen<br />

rechtsextremistischen Veranstaltungen veräußert. Mit dieser Dezentralisierung<br />

reagiert die Szene offenbar auf die Exekutivmaßnahmen<br />

der vergangenen Jahre, als strafrechtlich relevante oder<br />

indizierte Produkte sichergestellt werden konnten.<br />

5.9 Rechtsextremistische Fanzines<br />

Fanzines gehören neben der Musik zu einem weiteren Kommunikationsmittel<br />

des rechtsextremistischen subkulturellen Spektrums.<br />

Der Begriff „Fanzine“ ergibt sich aus der verkürzten Zusammensetzung<br />

der beiden englischen Wörter „fan“ (begeisterter Anhänger)<br />

und „magazine“ (Magazin, Illustrierte). Die meist unregelmäßig erscheinenden<br />

Fanzines werden häufig von Skinheads mit Szeneerfahrung<br />

und entsprechenden Kontakten herausgegeben. Unterschiede<br />

gibt es bei Art und Aufmachung. Manche Fanzines wirken


primitiv und sind von schlechter Qualität, andere sind durchaus<br />

ansprechend und qualitativ hochwertig gestaltet. Unterschiede<br />

gibt es auch bei den Auflagenhöhen. Die Publikationen beinhalten<br />

überwiegend Informationen zu Konzerten, Skinheadtreffen oder<br />

auch Interviews mit Skinheadbands. Weiteren Raum nimmt Werbung<br />

für Tonträger, Szeneartikel oder für andere Fanzines ein. Die<br />

Publikationen haben einen geringen, meist regional begrenzten<br />

Verteilerkreis. Der Verkauf von Fanzines erfolgt überwiegend auf<br />

Konzerten, über Vertriebe und Szene-Läden sowie von Hand zu<br />

Hand. Manche Fanzines können direkt beim Herausgeber oder per<br />

Internet bestellt werden. Fanzines haben in ihrer herkömmlich gedruckten<br />

Form stark an Bedeutung verloren, sie werden nach und<br />

nach durch entsprechende Internetangebote ersetzt.<br />

In Thüringen erschien im Berichtsjahr lediglich das Online-Fanzine<br />

„WB Magazin“, welches auf der Homepage des Internetvertriebes<br />

„W & B Records“ abrufbar ist. Bundesweit wurden im Berichtsjahr<br />

9 (2006: 10) Fanzines veröffentlicht.<br />

6. Sonstige Gruppierungen<br />

In Thüringen traten im Berichtszeitraum wiederholt sonstige überregionale<br />

rechtsextremistische Gruppierungen in Erscheinung,<br />

die den Freistaat wegen seiner zentralen Lage für ihre Tagungen<br />

bevorzugen. Die Veranstaltungsteilnehmer reisten überwiegend<br />

aus anderen Bundesländern an. Das Spektrum der im Folgenden<br />

dargestellten Gruppierungen reicht vom germanisch-heidnischen<br />

über den neonazistischen bis hin zum „intellektuellen“ <strong>Rechtsextremismus</strong>.<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

103


104<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

6.1 „Die Artgemeinschaft – Germanische<br />

Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer<br />

Lebensgestaltung e.V.“ (Artgemeinschaft)<br />

Die 1951 gegründete germanisch-heidnische „Artgemeinschaft“<br />

hat ihren Sitz in Berlin, entfaltet ihre Aktivitäten jedoch von Hamburg<br />

aus. Sie versteht sich als Glaubensbund, der „die Kultur der<br />

nordeuropäischen Menschenart“ bewahren, erneuern und weiterentwickeln<br />

will und verbindet germanisch-heidnische Glaubensansätze<br />

mit rassistischen Vorstellungen. Von ihren bundesweit<br />

ca. 150 Mitgliedern sind etwa zehn in Thüringen beheimatet. Die<br />

„Artgemeinschaft“ gibt die „Nordische Zeitung“ sowie eine Schriftenreihe<br />

heraus und verfügt über eine eigene Website.<br />

Ihr Vorsitzender, der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen RIEGER,<br />

zählt seit Jahren zu den aktivsten Rechtsextremisten Deutschlands.<br />

Im November 2006 wurde er als Beisitzer in den Parteivorstand der<br />

NPD gewählt. Wegen seines breit angelegten Engagements, seiner<br />

Kontakte und Auftritte als Referent oder als juristischer Beistand<br />

von Rechtsextremisten gilt er als Symbol- und Integrationsfigur im<br />

deutschen <strong>Rechtsextremismus</strong>.<br />

Die regelmäßigen überregionalen „Gemeinschaftstagungen“ um<br />

die Tag- und Nachtgleichen sowie die Sommer- bzw. Wintersonnensonnwende<br />

führte die „Artgemeinschaft“ 2007 wiederum in<br />

Nordthüringen durch. Die Teilnehmer, darunter aktuelle aber auch<br />

ehemalige Aktivisten der rechtsextremistischen Szene, waren nahezu<br />

aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Die geschlossenen<br />

Veranstaltungen kommen zum Teil Volksfesten oder geselligen<br />

Familienveranstaltungen gleich, bei denen germanische Brauchtumspflege<br />

betrieben wird. Dieser harmlos anmutenden „Lagerfeuerromantik“<br />

steht das Regelwerk der Artgemeinschaft mit eindeutig<br />

rechtsextremistischen Ideologieelementen allerdings entgegen. So<br />

gebietet das „Sittengesetz“ der „Artgemeinschaft“ ihren Mitgliedern<br />

u. a., sich für die „Wahrung, Einigung und Mehrung germanischer<br />

Art“ einzusetzen, „Gefolgschaft dem besseren Führer“ zu leisten<br />

und eine „gleichgeartete Gattenwahl (als) Gewähr für gleichgeartete<br />

Kinder“ zu treffen.


6.2 „Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) –<br />

Der Bismarck Deutsche“<br />

Die DDF stellt eine neonazistische Organisation dar, die nationalistisches,<br />

rassistisches und antisemitisches Gedankengut verbreitet. Die<br />

Aktivitäten der Organisation beschränken sich nahezu ausschließlich<br />

darauf, die Zweimonatsschrift „Recht und Wahrheit“, die Artikel<br />

von rechtsextremistischen Autoren und Verlegern publiziert,<br />

herauszugeben und zweimal jährlich „Recht und Wahrheit-Lesertreffen“<br />

unter dem Namen „Tage Deutscher Gemeinschaft“ zu organisieren.<br />

Die Lesertreffen, zu denen sich Anhänger des gesamten<br />

rechtsextremistischen Spektrums einfinden, stehen unter der Verantwortung<br />

des ehemaligen Vorsitzenden der NPD, Günter DECKERT.<br />

Bereits seit 1997 führt die DDF ihre jährlichen „Recht und Wahrheit-<br />

Lesertreffen“ in Nordthüringen durch. Zu den diesjährigen Tagungen<br />

vom 4. bis 6. Mai bzw. 12. bis 14. Oktober fanden sich jeweils bis zu<br />

120 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet ein. Die Treffen üben<br />

auf Anhänger der rechtsextremistischen Szene Thüringens nur geringe<br />

Anziehungskraft aus. Dies dürfte neben dem von den Initiatoren geübten<br />

Verzicht auf größere Außenwirkung sowohl auf die Auswahl als<br />

auch die intellektualisierende Betrachtungs- und Behandlungsweise<br />

der jeweils angeschnittenen Themen zurückzuführen sein.<br />

6.3 „Collegium Humanum e.V.“ (CH) 52<br />

Das 1963 von dem 1999 verstorbenen Rechtsextremisten Werner Georg<br />

HAVERBECK gegründete CH dient seit Jahrzehnten als Bildungsstätte,<br />

die insbesondere von Rechtsextremisten genutzt wird. Die Vorsitzende<br />

des CH, Ursula HAVERBECK-WETZEL, arbeitet eng mit Horst<br />

MAHLER zusammen. MAHLER tritt aktiv in dem revisionistischen<br />

„Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts<br />

Verfolgten“ (VRBHV) und der von ihm initiierten „Reichsbürgerbewegung“<br />

(RBB) auf. In der Zweimonatsschrift des CH „Lebensschutz-Informationen<br />

(LSI) – Stimme des Gewissens“ (vormals WSL-D 53 ) werden<br />

regelmäßig holocaustleugnende Äußerungen veröffentlicht.<br />

52 Der Verein ist mit Verfügung des Bundesinnenministers vom 18.04.2008 verboten worden.<br />

53 „Weltbund zum Schutz des Lebens – Bundesverband Deutschland e.V.“ (WSL-D).<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

105


106<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Vom 20. bis 22. April wurde in Mosbach bei Eisenach ein Seminar<br />

des CH durchgeführt. Eine weitere Tagung fand dort vom<br />

5. bis 7. Oktober mit ca. 50 Teilnehmern statt. Zum Programm<br />

der Herbsttagung zählte der Besuch einer auf der Wartburg dargebotenen<br />

Ausstellung zum Wirken der „Heiligen Elisabeth von<br />

Thüringen“, der zugleich als Einstieg in das Tagungsthema: „Die<br />

geschichtliche Zeit des deutschen Ritterordens“ dienen sollte.<br />

6.4 „Deutsches Kolleg“ (DK)<br />

Das 1994 gegründete DK stellt einen rechtsextremistischen Theoriezirkel<br />

dar, der sich als „Denkorgan des Deutschen Reiches“<br />

versteht und rassistisches sowie antisemitisches Gedankengut<br />

verbreitet. Die Leitung des DK obliegt dem rechtsextremistischen<br />

Soziologen Dr. Reinhold OBERLERCHER. Seine zentrale Aufgabe<br />

sieht das DK vornehmlich „in der Schulung der nationalen Intelligenz“.<br />

Die Bemühungen des DK, auf diesem Weg Einfluss auch<br />

auf andere rechtsextremistische Organisationen und Einzelpersonen<br />

zu gewinnen, waren bislang wenig erfolgreich. An der Jahreshauptversammlung<br />

Anfang Juni in Mosbach bei Eisenach nahmen<br />

weniger als 20 Personen teil.<br />

6.5 „Exilregierung Deutsches Reich“<br />

Seit Anfang 2000 gehen von einer so genannten Kommissarischen<br />

Reichsregierung des Deutschen Reiches (KRR) 54 bundesweit Aktivitäten<br />

aus. Ihrer Auffassung nach bestehe das Deutsche Reich<br />

in den Grenzen von 1937 fort. Als Beleg führt sie u. a. mehrere<br />

völkerrechtliche Verträge und entsprechende Gerichtsurteile an,<br />

die diese Rechtsauffassung angeblich stützten. Aufgrund interner<br />

Unstimmigkeiten innerhalb der KRR spalteten sich mehrere kleine<br />

Personengruppen ab, die unter anderen Bezeichnungen die Ansichten<br />

der KRR weiter vertreten.<br />

54 Die KRR ist kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden.


Bei der „Exilregierung Deutsches Reich“ handelt es sich um einen<br />

im Jahr 2004 gegründeten Ableger der KRR. Die „Exilregierung“<br />

entfaltet Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische<br />

Grundordnung. In den Verlautbarungen der „Exilregierung“ finden<br />

sich zahlreiche Belege für die Negation der völkerrechtlich akzeptierten<br />

territorialen Grenzen Deutschlands. Sie verfolgt somit<br />

Ziele, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet<br />

sind. Über die Kritik an Vertretern von Politik und Behörden hinaus<br />

lehnt die „Exilregierung“ das Gesamtsystem der freiheitlichen<br />

demokratischen Grundordnung ausdrücklich ab.<br />

Anhänger der „Exilregierung“ wandten sich auch im Berichtszeitraum<br />

mit der Begründung gegen Entscheidungen bzw. Maßnahmen<br />

von Behörden und Gerichten, dass diese Stellen – ebenso wie<br />

die Bundesrepublik Deutschland – „nicht existent“ seien.<br />

Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der „Exilregierung“ wurden<br />

bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festgestellt. Die „Exilregierung“<br />

führte im Berichtszeitraum lediglich interne Treffen durch,<br />

darunter auch so genannte Kabinettsitzungen mit Bürgerinformation<br />

in der Nähe von Eisenach. Zu diesen Veranstaltungen fanden<br />

sich deutlich weniger als 50 Personen, darunter kaum Thüringer,<br />

ein. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene Thüringens kommt<br />

der „Exilregierung“ keine Bedeutung zu.<br />

7. Politisch motivierte Kriminalität – Rechts –<br />

im Überblick<br />

Die Entwicklung der im Bereich der politisch motivierten Kriminalität<br />

– Rechts – in den letzten Jahren in Thüringen begangenen<br />

Straftaten stellt sich in der Statistik des Thüringer Landeskriminalamts<br />

(TLKA) wie folgt dar:<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

107


108<br />

<strong>Rechtsextremismus</strong><br />

Straftaten 2005 2006 2007<br />

Insgesamt 620 611 753<br />

davon u. a.:<br />

Propagandadelikte 398 387 397<br />

Gewaltkriminalität 55 53 55 61<br />

Volksverhetzungen 83 94 178<br />

Sachbeschädigungen 13 14 47<br />

Bei mehr als der Hälfte aller 2007 im Freistaat Thüringen registrierten<br />

politisch motivierten Straftaten (1.398) handelte es sich<br />

um solche des Phänomenbereichs – Rechts. Insgesamt wurden<br />

hier 142 Delikte mehr als im Jahr zuvor erfasst. Die Mehrzahl der<br />

Vorfälle war – wie in den Vorjahren auch – den Propagandadelikten<br />

zuzuordnen. Aufgrund größerer Szeneveranstaltungen in den<br />

Schutzbereichen der Polizeidirektionen Erfurt, Jena und Gera stiegen<br />

die Fallzahlen dort am deutlichsten an.<br />

55 Die politisch motivierte Gewaltkriminalität umfasst Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brand- und<br />

Sprengstoffdelikte, Landfriedenbruch, gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahn- und Straßenverkehr,<br />

Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstands- und Sexualdelikte.


1. Überblick<br />

III. Linksextremismus<br />

Bundesweit umfasst das Potenzial der revolutionären Marxisten<br />

etwa 24.800 Personen. Hinzu kommen ca. 6.300 Personen, die<br />

die Verfassungsschutzbehörden der gewaltbereiten linksextremistischen<br />

Szene zurechnen. Zu ihnen gehören auch etwa 5.800 Autonome.<br />

Diese Zahlen weichen nicht wesentlich von den Werten<br />

des Vorjahres ab, zeigen jedoch im aktionsorientierten Bereich, der<br />

insbesondere durch das autonome Spektrum getragen wird, eine<br />

leichte Zunahme.<br />

Geschätzte Mitglieder- bzw. Anhängerpotenziale im<br />

Freistaat Thüringen<br />

Freistaat Thüringen Bund<br />

2005 2006 2007 2007<br />

Gewaltbereite Linksextremisten,<br />

davon Autonome 150 150 130<br />

6.300<br />

5.800<br />

Anarchisten: FAU-IAA – – 10 300<br />

KPF der Partei DIE LINKE. 50 50 90 840<br />

DKP 50 50 40 4.200<br />

KPD wenige Mitglieder 200<br />

MLPD 50 50 50 2.300<br />

nicht wenige<br />

Rote Hilfe e.V.<br />

benannt Mitgl. 4.300<br />

Die Lage im Freistaat stellte sich 2007 in Bezug auf das linksextremistische<br />

Spektrum wie folgt dar:<br />

Die in Thüringen agierenden marxistisch-leninistischen Parteien<br />

und Organisationen vermochten es auch im Berichtszeitraum<br />

kaum, durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wahrgenommen<br />

Linksextremismus<br />

109


110<br />

Linksextremismus<br />

zu werden. Wenngleich sich im Rahmen der Gründung der Partei<br />

„DIE LINKE.“ mehr Anhänger zu ihrer „Kommunistischen Plattform“<br />

(KPF) bekannten als in der Vergangenheit unter der PDS, stagnierten<br />

die Mitgliederzahlen ansonsten auf dem niedrigen Niveau<br />

der Vorjahre oder waren, wie im Falle der DKP, rückläufig.<br />

Durch die gewalttätigen Proteste anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm<br />

rückte die autonome Szene insgesamt stärker in den<br />

Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Diese vorübergehend erlangte<br />

besondere Aufmerksamkeit ging in Thüringen – anders als<br />

im übrigen Bundesgebiet – nicht mit einem Anwachsen der Anhängerschaft<br />

einher. Vielmehr war hier ein Anhängerschwund zu<br />

konstatieren.<br />

Dennoch gelang es der hiesigen autonomen Szene im Berichtszeitraum<br />

zahlreiche Anhänger aus anderen Bundesländern zur Teilnahme<br />

an eigenen Aktionen, denen man überregionale Bedeutung<br />

beimaß, zu bewegen. Diese waren nicht selten von Auseinandersetzungen<br />

mit der Polizei, Sachbeschädigungen und dem Errichten<br />

von Barrikaden gekennzeichnet.<br />

Maßgebende Gruppen des autonomen Spektrums blieben weiterhin<br />

dem seit März 2006 bestehenden Netzwerk „Autonome<br />

Antifa Koordination Thüringen“ (A 2 KT) zugehörig. Weder die der<br />

autonomen Szene immanente Neigung zu Straf- und Gewalttaten<br />

noch Zahl, Art und Intensität ihrer Aktivitäten änderten sich im<br />

Berichtszeitraum wesentlich. Die seit Jahren vorherrschenden thematischen<br />

Schwerpunkte wurden erneut besetzt. Akzentverschiebungen<br />

hinsichtlich der jeweils gewählten, letztlich jedoch traditionellen<br />

Themenfelder ergaben sich aus der gesellschaftlichen und<br />

politischen Entwicklung. Der „Antifaschismus“ blieb auch im Jahr<br />

2007 das wichtigste Betätigungsfeld der Autonomen in Thüringen.<br />

Ihre Aktionen richteten sich überwiegend gegen Veranstaltungen<br />

der rechtsextremistischen Szene und deren Strukturen. Sie zielten<br />

aber auch oft auf die Zivilgesellschaft ab, da diese ihrer Ansicht<br />

nach von einem „rechten“ Konsens gekennzeichnet und daher<br />

ebenso zu bekämpfen sei wie der <strong>Rechtsextremismus</strong>.<br />

2007 wurden in Thüringen öffentliche Aktivitäten von Anhängern<br />

des anarchistischen Spektrums bekannt. Innerhalb der „Freien Arbeiterinnen-<br />

und Arbeiterunion“ (FAU) wurde im Frühjahr 2007


eine Ortsgruppe in Südthüringen gegründet, die im September ihre<br />

erste Kundgebung in Meiningen durchführte.<br />

Angehörige des autonomen Spektrums, Anarchisten und die linksextremistischen<br />

Parteien unterhielten im Berichtszeitraum Kontakte,<br />

die über Thüringen hinausreichten.<br />

2. Ideologischer Hintergrund<br />

Das in sich breit gefächerte linksextremistische Spektrum vertritt<br />

im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen.<br />

Es schließt Anhänger der „wissenschaftlichen Sozialismus- und<br />

Kommunismustheorien“ ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten<br />

und Autonome. Die Werke von MARX, ENGELS, LENIN,<br />

von STALIN, TROTZKI und MAO TSE-TUNG stellen die Grundlage<br />

der unterschiedlichen Anschauungen und theoretischen Gebäude<br />

dar. Das Ziel, die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung<br />

zu beseitigen, ist allen Linksextremisten gemein. Ihre – wie unterschiedlich<br />

auch immer gearteten – Bestrebungen richten sich<br />

letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen<br />

Grundordnung. Linksextremisten wollen entweder<br />

einen marxistisch-leninistischen Staat oder eine „herrschaftsfreie<br />

Gesellschaft“ errichten. Sie verbindet das Bekenntnis zur revolutionären<br />

Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft. Ihr<br />

Grundsatz, dass sich die von ihnen angestrebten gesellschaftlichen<br />

Veränderungen einzig durch den Einsatz revolutionärer Gewalt<br />

vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen.<br />

Bei tagespolitischen Auseinandersetzungen greifen sie häufig zu<br />

legalen, gewaltfreien Formen des politischen Engagements. Die<br />

eigene extremistische Ausrichtung wird dabei bewusst verschleiert.<br />

Mit dieser Taktik gelingt es Linksextremisten durchaus, auf bestimmten<br />

Politikfeldern Bündnispartner zu finden, die extremistischen<br />

Ansichten im Grunde genommen abgeneigt sind.<br />

Linksextremismus<br />

111


112<br />

Linksextremismus<br />

3. Autonome<br />

3.1 Allgemeines<br />

Autonome sind in der Bundesrepublik seit Ende der 70er Jahre aktiv.<br />

Heute agieren sie vor allem in mittleren und größeren Städten.<br />

Schwerpunkte bilden Ballungsgebiete wie Berlin oder das Rhein-<br />

Main-Gebiet. Der Szene waren Ende 2007 bundesweit etwa 5.800<br />

gewaltbereite Anhänger zuzurechnen.<br />

Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen leben<br />

zu wollen. Fremde Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche<br />

Zwänge lehnen sie ab. „Keine Macht für niemand!“ lautet ihre<br />

paradoxe Devise. Kennzeichnend für Autonome ist eine generelle<br />

Anti-Haltung. Ihre ideologischen Vorstellungen bleiben oft diffus,<br />

anarchistische Elemente mischen sich darin mit nihilistischen, sozialrevolutionären,<br />

mitunter auch marxistischen Versatzstücken.<br />

Autonome sind entschlossen, die ihnen hemmend oder einengend<br />

erscheinenden staatlichen Strukturen zu zerschlagen. Von einem<br />

ausgeprägten Individualismus getrieben verlangen sie dabei nicht<br />

nach in sich geschlossenen, theorielastigen Konzeptionen zur Veränderung<br />

der Gesellschaft.<br />

Die szeneinterne Kommunikation erfolgt vorrangig unter Nutzung<br />

elektronischer Medien. Per Internet, über E-Mail-Verbindungen sowie<br />

Infotelefone werden überregionale Vernetzungen geschlossen,<br />

Agitation und Mobilisierung betrieben. Darüber hinaus dient eine<br />

Reihe von Szeneblättern, die z. T. konspirativ verbreitet werden,<br />

als Informationsquelle. Die dazu zählende Zeitschrift „INTERIM“,<br />

welche vierzehntägig in Berlin erscheint, gilt aufgrund ihrer überregionalen<br />

Ausstrahlung als die bedeutungsvollste Publikation.<br />

So genannte Infoläden sind bevorzugte Anlaufpunkte der gesamten<br />

Szene und ihrer Sympathisanten. Sie dienen als Kontakt- und<br />

Treffmöglichkeit und zugleich als Vertriebsstätte linksextremistischer<br />

Schriften und Flugblätter. In den mit gängigem Bürogerät<br />

ausgestatteten Räumlichkeiten werden Veranstaltungen vorbereitet<br />

und Szeneinformationen durch Plakate und Aushänge vermittelt.<br />

Ein adäquates Literaturangebot wird vorgehalten und steht allen<br />

Interessierten offen.


Kampagnenfähige Themen, Gewaltpotenzial<br />

Verschiedene Schwerpunktthemen bilden die Grundlagen der Diskussionen<br />

und Aktionen der autonomen Szene:<br />

• Antifaschismus,<br />

• Repression und innere Sicherheit,<br />

• Neoliberalismus und Globalisierung,<br />

• Antirassismus,<br />

• Kampf gegen angenommenen „Geschichtsrevisionismus“ und<br />

„Opfermythen“ im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung<br />

der Zeit des Nationalsozialismus,<br />

• „Häuserkampf“/Kampf gegen Umstrukturierung,<br />

• Kampf gegen angenommene „Großmachtrollen“ der Bundesrepublik<br />

Deutschland und der Europäischen Union,<br />

• Anti-Atomkraft-Bewegung, insbesondere Castor-Transporte,<br />

• Internationalismus.<br />

Intensität und Bedeutung der genannten Themen schwanken und<br />

werden oft vom Tagesgeschehen bestimmt. Im Beobachtungsjahr<br />

bildete wiederum das Themengebiet „Antifaschismus“ den Aktionsschwerpunkt<br />

der autonomen Szene. Daneben gab es anlassbezogene<br />

Aktionen, beispielsweise im Zusammenhang mit dem<br />

G8-Gipfel in Heiligendamm 56 oder dem Kampf um den Erhalt von<br />

Szeneobjekten – der „Köpi“ in Berlin und dem “Ungdomshuset“<br />

in Kopenhagen.<br />

Die Artikulationsformen Autonomer sind vielfältig, sie reichen von<br />

Diskussionen, Vortragsveranstaltungen und Demonstrationen über<br />

Straßenkrawalle, teils erhebliche Sachbeschädigungen bis hin zu<br />

Brandanschlägen. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel<br />

der Autonomen. Bereitwillig setzen sie diese auch gegen Personen<br />

ein, vor allem im Rahmen von Protesten gegen Veranstaltungen der<br />

rechtsextremistischen Szene. Hier suchen Autonome die direkte<br />

Konfrontation mit dem politischen Gegner und den Einsatzkräften<br />

der Polizei.<br />

56 Siehe hierzu Kapitel 3.5.<br />

Linksextremismus<br />

113


114<br />

Linksextremismus<br />

Dezentralisierung und ideologische Spaltung innerhalb der<br />

autonomen Szene<br />

Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen<br />

widersprechen dem Grundverständnis der Autonomen.<br />

Die Szene ist heterogen zusammengesetzt, sie kennt weder<br />

Hierarchien noch Führungsstrukturen. Autonome agieren meist in<br />

kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Personenzusammenschlüssen.<br />

Um die allein schon wegen des niedrigen Organisationsniveaus<br />

begrenzten Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern, hat es dennoch<br />

einzelne Versuche gegeben, übergreifende Organisationsformen<br />

zu schaffen. Diese basierten jeweils auf dem linksextremistischen<br />

Antifaschismusverständnis, das über die Traditionslinien Nationalsozialismus<br />

und Faschismus hinaus die Auseinandersetzung mit<br />

dem – autonomer Redart nach – in der Bundesrepublik vorherrschenden<br />

„imperialistischem System“ einschließt, welches die<br />

Autonomen als Fortsetzung und Modifikation des Dritten Reiches<br />

deuten. Mit Auflösung der von 1992 bis 2001 bestehenden „Antifaschistischen<br />

Aktion/Bundesweite Organisation“ (AA/BO) scheiterte<br />

der bisher bedeutendste Ansatz, autonome Strukturen bundesweit<br />

zu organisieren. Alle weiteren Versuche, eine inhaltliche und organisatorische<br />

Erneuerung zu erreichen, blieben erfolglos. Seither ist<br />

es der Szene nicht gelungen, Isolierung, regionale Begrenztheit des<br />

Aktionsradius und zahlenmäßige Schwäche zu überwinden.<br />

Übergreifende Vernetzungsversuche werden zudem durch gravierende<br />

ideologische Konfliktlinien innerhalb der autonomen Szene,<br />

die in der Bewertung des Nahostkonflikts aufbrechen, erschwert. In<br />

den letzten Jahren gewannen so genannte antideutsche Positionen<br />

zunehmend an Bedeutung. Kernpunkt jener Anschauungen bildet<br />

der Massenmord an den europäischen Juden während der nationalsozialistischen<br />

Gewaltherrschaft. Hieraus resultieren sowohl die<br />

Ablehnung des deutschen Nationalstaats, der als modifizierte Fortsetzung<br />

der Nazidiktatur wahrgenommen wird, als auch eine bedingungslose<br />

Solidarität gegenüber dem Staat Israel. „Antideutsche“<br />

Gruppierungen sagen dem deutschen Staat ohnehin eine auf Ausgrenzung<br />

anderer Ethnien gerichtete Wesensart nach. Den europäischen<br />

Einigungsprozess interpretieren sie als ein deutsches Projekt,<br />

das auf friedlichem Wege zu Großmachtstatus verhelfen solle.


Der Staat Israel wird von diesen Gruppen als Zufluchtsort des jüdischen<br />

Volkes, als Schutzraum für Juden vor antisemitischer Verfolgung<br />

verstanden, der gegen alle Angriffe verteidigt werden müsse.<br />

Jedwede Kritik an Israel setzen „Antideutsche“ mit Antisemitismus<br />

gleich. Ähnlich werten sie die Kritik an den USA, da diese als<br />

Schutzmacht Israels angesehen wird.<br />

„Antideutsche“ Positionen spielten innerhalb des linksextremistischen<br />

Spektrums lange eine eher marginale Rolle, bis sie seit der<br />

Jahrtausendwende von autonomen Gruppierungen aufgegriffen<br />

wurden und in der Szene gewisse Verbreitung fanden. Die bedingungslose<br />

Solidarität mit Israel steht den traditionellen „antiimperialistischen“<br />

Einstellungen, nach denen Israel als „imperialistischer<br />

Brückenkopf“ der USA im arabischen Raum angesehen wird, diametral<br />

entgegen. Nachdem die zum „antideutschen Lager“ zählenden<br />

Erfurter Gruppen „mila26“ und „Antifascist Youth Erfurt“ (aye)<br />

ihre Aktivitäten einstellten, verloren jene Gegensätze innerhalb<br />

des Thüringer autonomen Spektrums an Bedeutung. Im Übrigen<br />

Bundesgebiet sorgten sie hingegen immer wieder für Aufsehen.<br />

So wurden 2007 die teils gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />

zwischen „antiimperialistisch“ und „antideutsch“ ausgerichteten<br />

Gruppierungen in Magdeburg 57 innerhalb der autonomen Szene<br />

thematisiert.<br />

Bei Veranstaltungen treten die Gegensätze zwischen diesen Strömungen<br />

häufig offen zu Tage. Während „antideutsche“ Gruppen<br />

Nationalflaggen Israels und der USA mit sich führen, tragen Anhänger<br />

„antiimperialistischer“ Gruppierungen so genannte Palästinensertücher.<br />

Um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen<br />

den ideologisch unterschiedlich eingestellten Gruppen zu unterbinden,<br />

wirken Veranstalter von breiter angelegten Aktionen, z. B.<br />

von Demonstrationen gegen das rechtsextremistische Spektrum,<br />

im Vorfeld auf die Teilnehmer ein, auf entsprechende Symbolik zu<br />

verzichten.<br />

57 Unter dem Begriff „Magdeburger Verhältnisse“ wurden innerhalb des autonomen Spektrums Auseinandersetzungen<br />

zwischen „antiimperialistisch“ und „antideutsch“ ausgerichteten Gruppierungen in Magdeburg<br />

diskutiert. In diesem Zusammenhang sei es zu Übergriffen „antiimperialistisch“ ausgerichteter<br />

Personen auf eine unter dem Motto „Zur Kritik des Antisemitismus und des Antiamerikanismus. Solidarität<br />

mit Israel.“ stehende Veranstaltung am 27. Juni 2007 gekommen.<br />

Linksextremismus<br />

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116<br />

Linksextremismus<br />

3.2 Die autonome Szene in Thüringen<br />

Das Anhängerpotenzial der gewaltbereiten autonomen Szene Thüringens<br />

hat sich im Berichtszeitraum auf ca. 130 Personen leicht<br />

verringert. Zu einzelnen Aktionen, denen die Szene besondere Bedeutung<br />

beimaß, gelang es ihr dennoch, einen weit umfangreicheren<br />

überregionalen Teilnehmerkreis zu mobilisieren.<br />

Regionale Schwerpunkte bildeten die Städte Erfurt und Jena sowie<br />

die Regionen um Arnstadt, Zella-Mehlis, Suhl und Meiningen. Außerdem<br />

sind im Umkreis von Nordhausen und Weimar Autonome<br />

aktiv gewesen.<br />

AGST<br />

Antifaschistische<br />

Gruppe<br />

Südthüringen<br />

AAW<br />

Autonome Antifa<br />

Weimar<br />

AGAP<br />

Antifa Gruppe<br />

Apolda<br />

Stand: Dezember 2007<br />

AANdh<br />

Antifaschistische<br />

Aktion<br />

Nordhausen<br />

A 2 KT<br />

Autonome Antifa<br />

Koordination<br />

Thüringen<br />

AG17<br />

Antifa Gruppe 17<br />

(Erfurt)<br />

ASJ<br />

Antifaschistische<br />

Sportgruppe<br />

Jena<br />

ILJ<br />

Infoladen Jena


Das im Jahr 2006 gegründete Netzwerk „Autonome Antifa Koordination<br />

Thüringen“ (A 2 KT) strukturierte sich im Beobachtungsjahr<br />

um. An die Stelle der vormals sehr aktiven „Antifaschistischen Aktion<br />

Gera“ (AAG) ist der „Infoladen Jena“ (ILJ) gerückt. In der A 2 KT<br />

sind weiterhin die maßgeblichen Gruppen und Zusammenhänge<br />

des Thüringer autonomen Spektrums vertreten. So gehören dem<br />

Netzwerk Gruppen aus allen regionalen Schwerpunkten an.<br />

Szenetypische Anlaufstellen waren u. a. die so genannten Infoläden<br />

in Arnstadt und Jena. In Erfurt diente ein seit April 2001 „besetztes“<br />

Gebäude auf dem Betriebsgelände der ehemaligen Firma<br />

„Topf & Söhne“ als Kontakt- und Treffpunkt der autonomen Szene.<br />

Das Objekt wird von den Erfurter Gruppen „Antifa Gruppe 17“<br />

(AG17) und „Autonome Jugendantifa Erfurt“ (AJAE) als Kontaktadresse<br />

benannt.<br />

Autonome Gruppen nutzten überwiegend das Internet und E-Mail-<br />

Verbindungen, um untereinander Kontakt zu halten, zu agitieren<br />

und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Über ihre Internetseiten<br />

veröffentlichten sie zum Teil umfangreiche Rechercheberichte über<br />

den politischen Gegner. Auch Szenezeitschriften wie die „Alerta<br />

– Antifa Newsflyer für Jena“ oder Audiostreams mit Informationen<br />

zum „rechten“ Spektrum wurden auf diesem Wege verbreitet.<br />

Die Schwerpunkte öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten der Autonomen<br />

lagen im Berichtszeitraum in der Landeshauptstadt Erfurt,<br />

im Südthüringer Raum und in Jena – in Regionen also, in denen die<br />

personell stärksten und aktivsten Gruppen angesiedelt sind.<br />

Linksextremismus<br />

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118<br />

Linksextremismus<br />

3.3 Thüringer Autonome und ihr<br />

„Antifaschismus“-Verständnis<br />

Von Recherche- bis zu „Outing“-Aktionen 58<br />

Ein Grundkonsens der autonomen Szene besteht darin, über<br />

Ideen, Aktivitäten sowie die Anhängerschaft ihres politischen Gegners<br />

aufzuklären. Methodische Mittel reichen dabei von Recherche-<br />

bis zu so genannten Outing-Aktionen. Regelmäßig kommt<br />

es zu Sachbeschädigungen an vermeintlichen oder tatsächlichen<br />

Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene. Neben der Beteiligung<br />

an bundesweiten und regionalen Kampagnen, z. B. gegen<br />

Betreiber von Läden, die das Label „Thor Steinar“ vertreiben,<br />

führten Thüringer Autonome auch eigene regionale Kampagnen<br />

durch.<br />

Mit einer Kundgebung endete am 27. Juli in Suhl die unter Mitwirkung<br />

der „Antifaschistischen Gruppe Südthüringen“ (AGST)<br />

durchgeführte Kampagne „… den Wald vor lauter Bäumen nicht?!<br />

Nazistrukturen abholzen, den rechten Konsens brechen“. Als<br />

ihr Anliegen bezeichneten die Initiatoren, einen „Überblick (zu)<br />

der regionalen Nazi-Szene und deren Codes sowie Ansatzpunkte<br />

für eine Politik, welche dem erstarkenden <strong>Rechtsextremismus</strong><br />

entgegenwirkt“, geben zu wollen. Im Rahmen der seit Mai 2007<br />

andauernden Kampagne wurden Informations- und Diskussionsveranstaltungen<br />

sowie Kundgebungen im Südthüringer Raum<br />

durchgeführt, in deren Verlauf es mehrfach zu Konfrontationen mit<br />

Anhängern der rechtsextremistischen Szene kam. Die Veranstalter<br />

hatten insbesondere über Flyer und eine Sonderseite im Internet<br />

für die Veranstaltungen der Kampagne geworben. Die AGST trat<br />

im Herbst 2005 in Thüringen erstmals öffentlich in Erscheinung.<br />

Gewaltverzicht im Kampf gegen <strong>Rechtsextremismus</strong> bezeichnet<br />

sie als „ahistorisch und politisch unverantwortlich“.<br />

58 Öffentlichmachen des politischen Gegners, z.B. durch Internetveröffentlichungen, Flugblattaktionen im<br />

Wohn- oder Arbeitsumfeld.


Im Rahmen einer „antifaschistischen Kaffeefahrt“ fanden im Oktober<br />

in Meiningen und Erfurt Demonstrationen statt, an denen sich<br />

auch Angehörige des autonomen Spektrums beteiligten. Während<br />

der Demonstration in Meiningen wurde ein Flugblatt der AGST<br />

verteilt. Die Veranstaltung führte an drei Einrichtungen vorbei, die<br />

innerhalb des autonomen Spektrums als „Naziläden“ gelten. 59 In<br />

Erfurt demonstrierten die Teilnehmer in der Liebknechtstraße vor<br />

dem „Bürgerbüro“ der NPD und der Gaststätte „Oldschool 76“ 60 .<br />

So genannte antifaschistische Kaffeefahrten zählen zum Repertoire<br />

antifaschistisch ausgerichteter Gruppierungen in der Bundesrepublik.<br />

Ziel dieser Veranstaltungen soll die Sensibilisierung<br />

der Bevölkerung gegen „rechte“ Einflüsse sein. Dazu werden z. B.<br />

Wohnhäuser oder Treffpunkte von bekannten oder vermeintlichen<br />

„Nazis“ angefahren und vor Ort über diese informiert. Mitunter<br />

werden die auf einschlägigen Internetseiten und Flugblättern genannten<br />

Örtlichkeiten Ziel von Gewaltaktionen.<br />

Für ihre Recherchezwecke nutzen Autonome auch öffentliche Aktivitäten<br />

des rechtsextremistischen Spektrums. Dabei werden gezielt<br />

Daten über den politischen Gegner gesammelt, zusammengestellt<br />

und im Internet auf den eigenen oder speziell dazu gefertigten<br />

Websites veröffentlicht. Auch über Störmanöver wird im Internet<br />

berichtet. So hieß es im Nachgang zu Protesten gegen einen im<br />

Februar von der NPD durchgeführten Informationsstand in Erfurt,<br />

diesen „sabotiert“ zu haben, indem sich „einige AntifaschistInnen<br />

in entsprechendem Nazioutfit in die Versammlung der NPD“ eingeschleust<br />

hätten. Sie sollen sich daran beteiligt haben, Flugblätter<br />

und Zeitungen zu verteilen, hätten das Material jedoch nicht an<br />

Passanten, sondern an „dafür abgestellte HelferInnen am Rande<br />

übergeben“. In Gesprächen habe man auch Informationen gewonnen,<br />

die Personen, Strukturen, Veranstaltungen und andere Interna<br />

betreffen. Die Aktion wurde als ein voller Erfolg gewertet, seien<br />

doch „schätzungsweise 90–95 % der Propaganda (…) entwendet“<br />

worden. „Tausende Flugblätter, Zeitungen, Flyer, Broschüren, Aufkleber,<br />

Technikkrams und eine ganze Reihe interner Informatio-<br />

59 Die Geschäfte waren schon früher Ziel von Aktionen der autonomen Szene. So kam es im Februar 2005<br />

zu Sachbeschädigungen.<br />

60 Bereits am 23. Juni kam es zu einer Sachbeschädigung an der vormals unter dem Namen „Alter Fritz“<br />

firmierenden Lokalität und einem dort abgestellten PKW. Ziel und Ablauf der Tat ließen auf einen linksextremistischen<br />

Hintergrund schließen.<br />

Linksextremismus<br />

119


120<br />

Linksextremismus<br />

nen“ hätten den Besitzer gewechselt. Im Vorfeld war auf der Homepage<br />

der Erfurter AG17 mit den Worten „Den NPD-Stand mit<br />

unserer Anwesenheit beehren – Propagandamaterial einsammeln,<br />

Stand besuchen etc.“ auf die geplante rechtsextremistische Veranstaltung<br />

verwiesen worden.<br />

Von Blockadeaufrufen bis zu „dezentralen Aktionen“<br />

Die Aktionen der Thüringer autonomen Szene umfassten sowohl<br />

die Mobilisierung für die von breiten Bündnissen organisierten Proteste<br />

gegen rechtsextremistische Veranstaltungen und die gewaltfreie<br />

Beteiligung daran als auch gezielte Blockadeaktionen sowie<br />

Gewalttaten gegen Personen des rechtsextremistischen Spektrums<br />

sowie Einsatzkräfte der Polizei.<br />

Am 1. Mai beteiligten<br />

sich in Erfurt<br />

zahlreiche Angehörige<br />

der autonomen<br />

Szene an<br />

den traditionellen<br />

Maiveranstaltungen<br />

und an Protestaktionen<br />

gegen<br />

die Demonstration<br />

der NPD. Während<br />

sich eine Gegendemonstration<br />

unter dem Motto „Gutes Tun, Nazis stoppen“<br />

bewegte, verließen ca. 500 gewaltbereite Linksextremisten die Veranstaltung<br />

und suchten die Auseinandersetzung mit den rechtsextremistischen<br />

Demonstranten und der Polizei. Sie errichteten entlang<br />

der geplanten Marschstrecke Barrikaden, warfen Mülltonnen<br />

auf die Straße und setzten einige davon in Brand. Weitere Gegendemonstranten<br />

versperrten die Strecke durch eine Sitzblockade.<br />

Während die Teilnehmer der NPD-Veranstaltung abreisten, versuchten<br />

gewaltbereite Störer in den Erfurter Hauptbahnhof einzudringen.<br />

Im Verlauf dieser Aktion wurden die gläsernen Eingangstüren<br />

des Bahnhofs mit Pflastersteinen eingeworfen. Innerhalb des<br />

autonomen Spektrums wurden die Aktionen am 1. Mai in Erfurt als<br />

Erfolg, als „ein Grund zum Feiern“ angesehen.


Im Vorfeld hatten linksextremistische<br />

Gruppierungen in<br />

Thüringen zu Aktionen gegen<br />

den Aufmarsch der NPD<br />

aufgerufen, unter anderem<br />

wurde unter dem Motto „Wir<br />

wollen kein größeres Stück<br />

vom Kuchen – wir wollen die<br />

ganze, beschissene Bäckerei“<br />

zu einem „Wir wollen<br />

alles“-Block mobilisiert. Die<br />

Erfurter „Antifa Gruppe 17“<br />

(AG17) und das Netzwerk<br />

„Autonome Antifa Koordination<br />

Thüringen“ (A 2 KT)<br />

riefen auf einer Internetseite<br />

zu einer „Demonstration<br />

und dezentralen Aktionen<br />

gegen den Naziaufmarsch in<br />

Erfurt“ auf. Außerdem hatte<br />

sich ein Bündnis mit der Bezeichnung „Antifaschistische Koordination<br />

Erfurt“ (AKE) gegründet, zu dessen Unterstützern neben demokratischen<br />

Kräften auch linksextremistische Gruppierungen wie die<br />

AG17, die „BergsteigerInnen“, die „Autonome Jugendantifa Erfurt“<br />

(AJAE) und die auf dem Gelände der früheren Firma „Topf & Söhne“<br />

verkehrende Anhängerschaft gehörten.<br />

Etwa 200 Personen, darunter zahlreiche Angehörige des autonomen<br />

Spektrums, nahmen am 20. Juli an einer Demonstration unter dem<br />

Motto „make some noise against fascism 100 % – Antifa, 100 %<br />

– Happiness“ in Erfurt teil. Ziel der Demonstration sei späteren Verlautbarungen<br />

nach gewesen, <strong>Rechtsextremismus</strong> zu thematisieren<br />

und „einen gelebten Antifaschismus in die Öffentlichkeit zu tragen“.<br />

Daneben habe man die Veranstaltung auch dazu genutzt, die<br />

angeblich betriebene „Hetze der hiesigen CDU gegen den ‚Black-<br />

Block’ und gegen engagierte Antifaschist_innen“ zu kritisieren. 61<br />

Während des Demonstrationszuges seien Parolen wie „Gebt den<br />

Nazis die Straße zurück, Stein für Stein“ und „Nazis gibt’s in jeder<br />

61 Gemeint sind dabei vermutlich Äußerungen von Politikern im Zusammenhang mit den Ausschreitungen<br />

während der Großdemonstration gegen den G8-Gipfel am 2. Juni 2007 in Rostock sowie im Zusammenhang<br />

mit Sachbeschädigungen an einer Erfurter Gaststätte am 23. Juni 2007.<br />

Linksextremismus<br />

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122<br />

Linksextremismus<br />

Stadt, bildet Banden macht sie platt“ skandiert worden. Darüber<br />

hinaus wurde im Demonstrationszug ein Transparent mit einer szenetypischen<br />

Darstellung – Person mit Steinschleuder – mitgeführt.<br />

Den Protestaktionen, die sich gegen das von Rechtsextremisten<br />

durchgeführte „Fest der Völker“ am 8. September in Jena “ richteten,<br />

schlossen sich auch zahlreiche Angehörige der autonomen<br />

Szene an. Sie errichteten am Rande der Veranstaltung nicht nur<br />

Barrikaden, sondern griffen auch tatsächliche oder vermeintliche<br />

Rechtsextremisten an und begingen Sachbeschädigungen.<br />

Innerhalb des autonomen Spektrums war im Internet intensiv für<br />

Aktionen geworben worden, um dem „Fest der Völker“ entgegenzuwirken.<br />

Den Aktivitäten der Zivilgesellschaft gegen rechtsextremistische<br />

Veranstaltungen in Jena lägen, meinte die „Antifaschistische<br />

Sportgruppe Jena“ (ASJ), lediglich „die Sorge um den<br />

Wirtschaftsstandort und das Ansehen der Stadt“ zugrunde, nicht<br />

jedoch der Kampf gegen die „nationalistischen und rassistischen<br />

Inhalte“. Diese Ansicht wurde von mehreren Thüringer autonomen<br />

Gruppen unterstützt. Die in Jena ansässige „Jugend-, Aktions- und<br />

Projektwerkstatt“ (JAPS) sprach sich in einem Aufruf für die Durchführung<br />

von Blockaden aus, um „ein rechtsextremes und gewaltverherrlichendes<br />

Großereignis“ zu verhindern. Etliche Gruppierungen<br />

und Einzelpersonen, die extremistischen Zielsetzungen<br />

überwiegend abgeneigt sind, stimmten diesem Aufruf ebenso zu<br />

wie die „Antifa Gruppe Apolda“ (AGAP) und die „Sozialistische<br />

Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) 62 Jena.<br />

Ausweitung der „Kampfzone“ angeregt<br />

Bereits Ende August hatten „Autonome Reformisten“ in einem Text<br />

angeregt, die „Kampfzone“ auszuweiten. Da die bisherigen Aktionsformen<br />

aufgrund einer angeblichen „Allianz aus Verwaltungsgericht,<br />

Stadtverwaltung und Polizeiführung“ in Jena wirkungslos<br />

geblieben seien, sollte die Auseinandersetzung „auf die Ebene der<br />

Nebenkosten repressiver Polizeieinsätze“ verschoben werden. Die<br />

JAPS interpretierte diesen Text als Aufruf, an Stelle von Blockaden<br />

62 Formal selbstständige, jedoch eng mit der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) verbundene Jugendorganisation.


dezentrale Aktionen durchzuführen. Letztgenannte definierte sie<br />

als „von vielen kleineren Gruppen ausgeführte Straßenblockaden,<br />

Sachbeschädigungen, körperliche Angriffe auf Nazis und die Polizei<br />

etc.“, die durchaus „ergänzend“ durchgeführt werden könnten.<br />

In einem auf der Homepage des „Infoladens Jena“ (ILJ) veröffentlichten<br />

Beitrag hieß es dazu:<br />

„Wir verurteilen nicht dezentrale Aktionen als solche, im Gegenteil<br />

sagt unser Aufruf: ‚Wir solidarisieren uns mit den Menschen,<br />

die an diesem Tag aus einer ähnlichen Haltung heraus in Jena aktiv<br />

sein werden.’ Die Kombination verschiedener Aktionsformen war<br />

zuletzt am 1. Mai in Erfurt ein Erfolgsfaktor. Wem es Ernst ist mit<br />

dem Kampf gegen die Nazis, muß das akzeptieren, unabhängig<br />

davon, wie er/sie selbst zur sog. Gewaltfrage steht.“<br />

Stellung zum Staat und zur Zivilgesellschaft<br />

Die Ursache für „faschistische“ Tendenzen sehen Autonome in<br />

der Politik der Regierung und in vermeintlichen gesellschaftlichen<br />

Missständen. Ihrer Meinung nach förderten „staatlicher Rassismus“<br />

und „Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes“ auch in der<br />

Bevölkerung die Entwicklung „rechter“ Tendenzen. Die Kritik und<br />

die Aktionen des autonomen Spektrums richteten sich deshalb<br />

auch gegen die Zivilgesellschaft, die von einem „rechten“ Konsens<br />

gekennzeichnet sei. In diesem Zusammenhang distanzierten sich<br />

Autonome zum Teil von Aktivitäten demokratischer Bündnisse,<br />

die sie in der Vergangenheit beispielsweise als „Bier trinken und<br />

Bratwurst essen gegen Rechts“ diskreditiert hatten. Andererseits<br />

scheint die Szene nun auch immer häufiger mit nichtextremistischen<br />

Gruppierungen zusammenzuarbeiten, sofern sie bei ihnen<br />

Überschneidungen mit eigenen Anliegen zu erkennen glaubt. Hintergrund<br />

hierfür dürfte das Bestreben sein, über szenetypische Slogans<br />

und Darstellungen autonome Anschauungen transportieren<br />

und die Veranstaltungen breiter Bündnisse gegebenenfalls dominieren<br />

zu können.<br />

Gegenaktionen, die die Umleitung eines rechtsextremistischen<br />

Aufzuges oder die vorzeitige Beendigung der Veranstaltung erforderlich<br />

machten, wertete die autonome Szene als äußerst positiv.<br />

Linksextremismus<br />

123


124<br />

Linksextremismus<br />

Weit kritischer wurden hingegen die teils geringe Resonanz in der<br />

Szene und mangelnde Beteiligung ihrer Angehörigen angemerkt.<br />

Wesentliche Motivation für die Mobilisierung war das Ziel, bereits<br />

im Berichtszeitraum mit Aufsehen erregenden Aktionen einen etwaigen<br />

Erfolg der NPD bei den für 2009 anstehendenden Kommunal-<br />

und Landtagswahlen unmöglich zu machen. Wenngleich es<br />

die autonome Szene vermochte, für einzelne Aktionen von bundesweiter<br />

Bedeutung erfolgreich zu mobilisieren, gelang es ihren<br />

Anhängern bislang nicht, innerhalb des breitgefächerten Spektrums<br />

von Gegendemonstranten größeren Einfluss zu gewinnen.<br />

Bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten konnten Ausschreitungen<br />

zwischen den beiden verfeindeten Lagern in der Regel<br />

durch Einsatzkräfte der Polizei verhindert werden. Autonome hatten<br />

meist im Vorfeld zu Blockade- und Störaktionen aufgerufen.<br />

Oft suchten sie den unmittelbaren Kontakt zum politischen Gegner,<br />

um den „Naziaufmarsch“ mit allen Mitteln zu verhindern. Mitunter<br />

missachteten sie dabei bewusst Vorgaben und Auflagen der<br />

Behörden. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch im Jahr 2007<br />

zu Straftaten wie Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und<br />

Landfriedensbruch.<br />

3.4 Bundesweite Aktionen mit Unterstützung oder<br />

unter Beteiligung Thüringer autonomer Gruppen<br />

Anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Zweiten<br />

Weltkrieg rief die Erfurter „Antifa Gruppe 17“ (AG17) mit einem<br />

eigenen Text im Internet zur Teilnahme an Aktionen in Dresden<br />

auf. Er richtete sich nicht nur gegen den Aufmarsch der Rechtsextremisten,<br />

sondern auch gegen die offiziellen Gedenkfeiern. Die<br />

offizielle Feierstunde auf dem Heidefriedhof in Dresden zeige, so<br />

die AG17, den in der Stadt vorherrschenden Geschichtsrevisionismus,<br />

würde doch „eigenes individuelles Leid in den Vordergrund“<br />

gestellt und „die eigene, deutsche Opferrolle betont“.<br />

Am 1. März räumte die Polizei das Szeneobjekt „Ungdomshuset“<br />

in Kopenhagen (Dänemark). 63 Daraufhin kam es in der Stadt<br />

zu gewaltsamen Protesten, an denen auch deutsche Staatsbür-


ger beteiligt waren. In mehreren deutschen Städten fanden daraufhin<br />

Solidaritätsaktionen statt, darunter auch in Erfurt, Weimar<br />

und Meiningen. Nach einem Statement der „Autonomen Antifa<br />

Weimar“ (AAW) sollen sich am 1. März etwa 30 Personen an einer<br />

Demonstration mit zwei Zwischenkundgebungen in Weimar<br />

beteiligt haben. Am 4. März demonstrierten ca. 40 Personen in<br />

der Erfurter Innenstadt, auf dem Anger und dem Fischmarkt kam<br />

es jeweils zu kurzen Kundgebungen. Während der Veranstaltung<br />

wurden Feuerwerkskörper gezündet. Eine weitere Demonstration<br />

mit ca. 30 Teilnehmern fand unter dem Motto „Solidarität mit den<br />

Benutzerinnen des Jugendzentrums ‚Ungdomshuset‘“ am 7. März<br />

in Meiningen statt.<br />

Auch später wurde die Räumung weiter thematisiert. Am 6. Oktober<br />

besetzten ca. 35 teils vermummte Personen kurzzeitig das ehemalige<br />

Kaufhaus Horten in Jena. Dabei habe es sich um eine Unterstützungsaktion<br />

für die „Aktion G13“ in Kopenhagen gehandelt.<br />

Diese steht für Aktionen anlässlich der Räumung des autonomen<br />

Jugendzentrums „Ungdomshuset“ und hat die Gewinnung eines<br />

neuen Szeneobjektes in Kopenhagen zum Ziel.<br />

63 Das „Ungdomhuset“ (Jugendhaus) war zu Beginn der 1980er Jahre besetzt worden; später wurde es von<br />

der Stadt Kopenhagen Jugendlichen zur Nutzung überlassen. Im Jahr 2001 erwarb die dänische Freikirche<br />

„Faderhuset“ das Gebäude und versuchte, es in den folgenden Jahren zu räumen. Im August 2006<br />

wurde ein entsprechender Rechtsstreit zu Gunsten von „Faderhuset“ entschieden.<br />

Linksextremismus<br />

125


126<br />

Linksextremismus<br />

3.5 Exkurs: Beteiligung von Linksextremisten<br />

an Protestaktionen gegen den G8-Gipfel<br />

vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm<br />

(Mecklenburg-Vorpommern)<br />

Vom 6. bis 8. Juni fand in Heiligendamm das jährliche Treffen der<br />

Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen<br />

(G8-Gipfel) statt. Gegen den Gipfel kam es zu zahlreichen Protestaktionen<br />

vor Ort. Die größte und von der Öffentlichkeit am meisten<br />

beachtete Aktion stellte dabei eine „Internationale Großdemonstration“<br />

unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ am 2. Juni<br />

in Rostock dar. An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 30.000<br />

Personen. Nach friedlich verlaufenen Auftaktkundgebungen bewegten<br />

sich zwei Demonstrationszüge zum Ort der gemeinsamen Abschlusskundgebung.<br />

Innerhalb eines Aufzuges bildeten etwa 2.000<br />

militante Autonome einen so genannten Schwarzen Block.<br />

Entgegen verbreiteter Darstellungen ist der „Schwarze Block“ nicht<br />

als ein homogenes Gebilde, sondern als eine lose Koalition einer<br />

Vielzahl verschiedener Strömungen, Gruppierungen und Einzelpersonen<br />

innerhalb des autonomen Spektrums zu verstehen. Die<br />

Akteure fallen durch ihre meist durchgehend schwarze Kleidung<br />

und durch Vermummung auf. Zum einen soll hierdurch aggressive<br />

Entschlossenheit nach außen demonstriert, andererseits aber auch<br />

die Identifizierung durch Polizeibeamte und eine spätere Strafverfolgung<br />

erschwert werden.


Bereits während der Demonstration kam es durch Steinwürfe aus<br />

diesem Block zu ersten Störungen. Im weiteren Verlauf eskalierte<br />

die Situation. Militante attackierten Polizeibeamte mit Pflastersteinen,<br />

Flaschen und „Molotow-Cocktails“. Insgesamt waren etwa 900<br />

Verletzte, darunter mehr als 400 Polizeibeamte, zu verzeichnen.<br />

Die Proteste setzten sich an den folgenden Tagen fort. An einer Demonstration<br />

im Rahmen des „Aktionstages Migration“ am 4. Juni<br />

beteiligten sich wiederum ca. 2.500 Militante, die Vermummung<br />

anlegten, sich die Hände mit Tape 64 verbanden sowie Schaumstoff<br />

unter ihrer Kleidung trugen. Nach Beendigung der Demonstration<br />

erfolgten vereinzelte Stein- und Flaschenwürfe.<br />

Vom 6. bis 8. Juni kam es zu verschiedenen Blockadeaktionen im<br />

Umfeld des Gipfelortes, an denen am 6. Juni nach dem Eintreffen<br />

der Staatsgäste bis zu 9.000 Personen teilnahmen. Während der<br />

Blockadeaktionen kam es wiederum zu Angriffen auf Polizeibeamte.<br />

Die Polizei setzte daraufhin Wasserwerfer ein.<br />

Die Proteste gegen den G8-Gipfel waren durch verschiedene Bündnisse<br />

langfristig vorbereitet worden. Neben überwiegend nichtextremistischen<br />

Gipfelgegnern beteiligten sich bundesweit jedoch<br />

auch zahlreiche Linksextremisten an den Mobilisierungen und<br />

64 Engl.: Klebeband.<br />

Linksextremismus<br />

127


128<br />

Linksextremismus<br />

den Protesten. Neben orthodoxen linksextremistischen Parteien,<br />

wie der „Marxistisch Leninistischen Partei Deutschlands“ (MLPD)<br />

oder der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP), handelte es<br />

sich dabei auch um autonome, trotzkistische und anarchistische<br />

Gruppierungen.<br />

Auch in Thüringen war im Vorfeld des Gipfels u. a. von linksextremistischen<br />

Gruppierungen zu Protesten aufgerufen worden. Schon<br />

seit dem Frühjahr 2006 trat ein „Anti-G8-Plenum Thüringen“<br />

(„BergsteigerInnen“) in Erscheinung. Eigenen Angaben zufolge<br />

rechnet sich das Plenum dem „Dissent!“-Netzwerk zu. 65 Gemeinsam<br />

mit nichtextremistischen Gruppierungen initiierten die BergsteigerInnen<br />

die Gründung eines „Thüringer Netzwerkes gegen<br />

den G8-Gipfel“. Die Gründungsveranstaltung fand am 30. Januar<br />

in Erfurt statt. Ziel des Netzwerks war es, „die Proteste Thüringer<br />

Gruppen und Einzelpersonen zusammenzubringen“. Weiterhin<br />

habe man „die Diskussion über die Funktion, Aufgaben und Zielstellungen<br />

der Großen Acht (G8) führen und eine Debatte über<br />

Veränderungen dieser Gesellschaft anregen“ wollen. Am 31. März<br />

veranstaltete das Netzwerk einen „Thüringer G8-Protest-Ratschlag“<br />

in Jena. Zu den Unterstützern zählten neben vorwiegend nichtextremistischen<br />

Gruppierungen auch die trotzkistische Gruppierung<br />

„Linksruck“ 66 . Die „BergsteigerInnen“ führten in Thüringen zahlreiche<br />

Informationsveranstaltungen, zum Teil unter Einbindung<br />

der autonomen Szene, durch. So zeichnet die „Antifaschistische<br />

Aktion Nordhausen“ (AANdh) für eine derartige Veranstaltung am<br />

30. März in Nordhausen mit verantwortlich.<br />

Neben den Untergruppierungen orthodoxer linksextremistischer<br />

Parteien wiesen in Thüringen auch autonome Gruppierungen auf<br />

ihren Homepages pauschal auf die geplanten Proteste hin. Für den<br />

2. Juni mobilisierten sie jedoch weniger für die „Internationale Großdemonstration“<br />

in Rostock, sondern eher für Proteste gegen einen<br />

geplanten Aufmarsch der NPD in Schwerin. Der Aufmarsch wurde<br />

jedoch, ebenso wie angemeldete Gegenveranstaltungen, verboten.<br />

65 Bei „Dissent!“ handelt es sich um den deutschsprachigen Ableger des von militant orientierten britischen<br />

Globalisierungskritikern zur Planung von Protesten gegen das G8-Treffen 2005 in Gleneagles (Schottland)<br />

gegründeten gleichnamigen Netzwerkes. Es wird im globalisierungskritischen Lager als Organisierung<br />

im linksradikalen, autonomen, emanzipatorischen und anarchistischen Spektrum beschrieben.<br />

66 Die trotzkistische Gruppierung „Linksruck“ vollzog während einer Vollversammlung am 1./2. September<br />

2007 in Frankfurt a.M. ihre Selbstauflösung, um sodann das neue marxistische Netzwerk „Marx 21“<br />

innerhalb der Partei „DIE LINKE.“ zu gründen.


Im linksextremistischen Lager wurden die Proteste als Erfolg angesehen.<br />

So sah die „Antifaschistische Linke Berlin“ (ALB) in einer<br />

ersten Bilanz in den Protesten einen „Schritt nach vorn (…) für die<br />

außerparlamentarische Bewegung in der BRD“. Die Proteste hätten<br />

Widerstandsgeschichte geschrieben. Diese Einschätzung dürfte<br />

die Grundstimmung innerhalb des linksextremistischen Spektrums<br />

auch in Thüringen widerspiegeln. Die „BergsteigerInnen“ verwiesen<br />

auf ihrer Homepage auf einen im Internet veröffentlichten Beitrag<br />

unter der Überschrift „G8: Das war der Gipfel“. Darin werden<br />

die Proteste für die globalisierungskritische Bewegung als „ein voller<br />

Erfolg“ gewertet. Es sei gelungen, „den Gipfel der Gruppe der<br />

Acht (…) praktisch zu delegitimieren“. Durch die Blockaden sei<br />

der reibungslose Ablauf des Treffens gestört worden.<br />

4. Anarchisten<br />

Anarchistische Anschauungen entstanden im 19. Jahrhundert in<br />

Abgrenzung zum Kommunismus. Die Russen Michail BAKUNIN<br />

und Peter KROPOTKIN zählen zu den maßgeblichen Theoretikern<br />

dieser linksextremistischen Strömung. Im Gegensatz zu verschiedenen<br />

kommunistischen Organisationen berufen sich Anarchisten<br />

nicht auf verbindliche Standardwerke, sondern greifen auf eine Vielzahl<br />

von Theorien und Utopien zurück, die auf die Errichtung einer<br />

herrschaftsfreien Gesellschaft ausgerichtet sind. Jedwede Form von<br />

Staat und Regierung lehnen Anarchisten ab. Erklärtes Ziel ist, den<br />

Staat mittels einer Revolution aufzulösen und eine von der Basis<br />

her anarchistische Gesellschaft zu bilden. Im Gegensatz zu Marxisten-Leninisten<br />

setzen Anarchisten dabei auf die Spontanität der<br />

Massen, nicht auf eine Avantgardepartei. In der Bundesrepublik<br />

sind zwei anarchistische Strömungen erwähnenswert. Bei diesen<br />

handelt es sich um die „Graswurzelbewegung“ und den deutschen<br />

Zweig der international organisierten „Freien Arbeiterinnen- und<br />

Arbeiterunion“ (FAU) mit Anbindung an die Internationale Arbeiter<br />

Assoziation (IAA). In Thüringen ist die FAU aktiv. Darüber hinaus<br />

finden immer wieder Veranstaltungen von Anhängern der „Graswurzelbewegung“<br />

statt, in denen diese u. a. die „direkte Aktion“<br />

als typisch anarchistische Aktionsform thematisieren.<br />

Linksextremismus<br />

129


130<br />

Linksextremismus<br />

4.1 „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion“ (FAU)<br />

mit Anbindung an die<br />

„Internationale Arbeiter Assoziation“ (IAA) 67<br />

Bei der FAU handelt es sich um eine anarcho-syndikalistische<br />

Gruppierung. 68<br />

Ihr Anliegen ist die Schaffung einer herrschaftsfreien,<br />

direkt-demokratischen<br />

Gesellschaft, die sie durch „direkte Aktionen“<br />

wie Selbstorganisation, Besetzungen,<br />

Boykotts, Streiks, Sabotage zu erreichen glaubt. Die FAU<br />

sieht sich als Gewerkschaft und ist bestrebt, sich vorrangig in der<br />

Betriebsarbeit zu engagieren.<br />

In den Vorjahren traten anarchistische Gruppierungen in Thüringen<br />

nicht öffentlich in Erscheinung. Auch von der einzelnen Hinweisen<br />

zufolge in Altenburg angesiedelten Ortsgruppe der FAU wurden<br />

Aktivitäten bislang nicht bekannt.<br />

Im März 2007 hatte sich eine Ortsgruppe der FAU in der Region<br />

um Meiningen gebildet. Ihr sollen einzelne Personen aus Meiningen<br />

und Suhl sowie weitere Sympathisanten angehören. Die<br />

Ortsgruppe, die sich „Freie ArbeiterInnen Union Südthüringen“<br />

(FAUST) nennt, organisierte am 22. September eine erste Kundgebung<br />

in Meiningen.<br />

67 Die offizielle Abkürzung lautet FAU-IAA, jedoch ist auch in Veröffentlichungen der Gruppierung die<br />

Abkürzung FAU gebräuchlicher. Diese wird in der Folge verwandt.<br />

68 Der Begriff setzt sich aus dem griechischen Wort ànarcho (führerlos) und dem französischen Wort Syndikat<br />

(Vereinigung, Gewerkschaft) zusammen. Er bezeichnet anarchistische Organisationen mit gewerkschaftlichem<br />

Anspruch.


4.2 Exkurs: Beispiel anarchistischer<br />

Selbstverwaltung oder Weiterführung<br />

kapitalistischer Konkurrenz? –<br />

Unterschiedliche Bewertung eines<br />

„Thüringer Experiments“ durch Linksextremisten<br />

Innerhalb des linksextremistischen Spektrums wurde die vom 10. Juli<br />

bis 31. Oktober andauernde „Betriebsversammlung“ der Belegschaft<br />

des Nordhäuser Fahrradwerkes „Bike Systems“, welche aus Anlass der<br />

bevorstehenden Betriebsschließung durchgeführt wurde, mit Interesse<br />

verfolgt, um die Aktion schließlich für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.<br />

Insbesondere die FAU engagierte sich frühzeitig. Ein „Solidaritätskreis<br />

Strike-Bike der FAU“ wurde gebildet, eine Fahne der FAU<br />

auf dem Betriebsgelände gehisst. Diversen Pressemeldungen zufolge<br />

sollen die während der ununterbrochenen „Betriebsversammlung“<br />

gefertigten Fahrräder mit dem Logo der struppigen schwarzen Katze,<br />

einem typischen anarcho-syndikalistischen Symbol 69 , versehen sein.<br />

Auf der Homepage der FAU berichtet ein unter dem Namen „Mephisto“<br />

schreibender Angehöriger der Ortsgruppe Meiningen von seinem<br />

Besuch in der Fabrik in Nordhausen. In dem Beitrag nennt er die Belegschaft<br />

„die heimlichen HeldInnen der ArbeiterInnenklasse und die<br />

Avantgarde der hoffentlich bald kommenden proletarischen Revolution“.<br />

Ihre Aktion könne nur zur Nachahmung empfohlen werden, „auf<br />

das der Kapitalismus Schritt für Schritt zu Boden fällt“.<br />

Unterstützung bekundeten auch Teile des autonomen Spektrums<br />

in Thüringen. So rief die „Antifaschistische Gruppe Südthüringen“<br />

(AGST) dazu auf, sich „mit den Besetzer_innen zu solidarisieren<br />

und ein Zeichen gegen die systematische Ausbeutung und für ein<br />

selbstgestaltetes Leben zu setzten“.<br />

Der Landesverband Elbe-Saale der „Marxistisch Leninistischen Partei<br />

Deutschlands“ (MLPD) erklärte sich ebenfalls solidarisch mit<br />

dem Arbeitskampf. Allerdings meint die Partei, sich mit den ge-<br />

69 Die schwarze Katze, auch „Sab Cat“, wird insbesondere mit dem Anarchosyndikalismus verbunden,<br />

auch die FAU verwendet sie. Darüber hinaus wird sie jedoch auch allgemein als anarchistisches Symbol<br />

angesehen.<br />

Linksextremismus<br />

131


132<br />

Linksextremismus<br />

wählten Zielen und Mitteln kritisch auseinandersetzen zu müssen.<br />

Die Fertigung des „Strike-Bike“ zeige, dass „die Arbeiter ohne die<br />

Kapitalisten produzieren“ könnten. Allerdings würden dadurch<br />

nicht die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Konkurrenz außer<br />

Kraft gesetzt. Anders verhalte es sich hingegen bei einer „Betriebsbesetzung<br />

und -übernahme durch die Belegschaften in einer<br />

akut revolutionären Situation, wenn diese damit verbunden ist, auf<br />

den notwendigen Kampf um die Macht zu orientieren“.<br />

5. Marxistisch-leninistische Parteien<br />

und Organisationen<br />

5.1 „Kommunistische Plattform“ (KPF)<br />

der Partei „DIE LINKE.“<br />

Bund Thüringen<br />

Gründungsjahr 1989 1993<br />

Sitz Berlin –<br />

Mitglieder<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

ca. 1.000<br />

ca. 1.000<br />

ca. 1.000<br />

Publikation „Mitteilungen der<br />

Kommunistischen<br />

Plattform der Partei<br />

DIE LINKE“ (monatl.)<br />

Internet eigene Internetpräsenz<br />

im Rahmen des<br />

Internetauftritts der<br />

Partei „DIE LINKE.“<br />

ca. 50<br />

ca. 50<br />

ca. 90<br />

–<br />

kein eigener<br />

Internetauftritt


Das Statut der Partei „DIE LINKE.“ bietet die Möglichkeit, im Rahmen<br />

der Partei Plattformen, Arbeits- und Interessengemeinschaften zu bilden.<br />

Sie sind integraler Bestandteil der sich als linke „Strömungspartei“<br />

verstehenden Organisation und bieten ihr Ansatzpunkte für eine<br />

breite Bündnis- und Integrationspolitik. Eine Vereinigung dieser Art<br />

stellt die am 30. Dezember 1989 innerhalb der damaligen SED-PDS<br />

gegründete KPF dar, die nunmehr in der Partei „DIE LINKE.“ als „ein<br />

offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten“<br />

fortgeführt wird. Die sich deutlich zum Kommunismus bekennende<br />

Organisation arbeitet eng mit der „Deutschen Kommunistischen<br />

Partei“ (DKP) und weiteren linksextremistischen Personenzusammenschlüssen<br />

zusammen. Ihrer Satzung zufolge ist sie „offen für alle, unabhängig<br />

von parteilicher und sonstiger politischer Bindung“, sofern<br />

„Mehrheitsbeschlüsse der KPF“ und das Parteistatut akzeptiert werden.<br />

Im Rahmen des von der Pattform angestrebten „breiten linken<br />

Bündnisses“ ist deren vorrangiges Anliegen, „die Zusammenarbeit<br />

aller (...), die mit dem Ziel einer sozialistischen Alternative zum bestehenden<br />

kapitalistischen System aktiv in politischen, sozialen und<br />

anderen Auseinandersetzungen der Gegenwart stehen“, herzustellen.<br />

Die KPF wird auf Bundesebene von einem Bundeskoordinierungsrat<br />

(BKR) geleitet und durch den Bundessprecherrat vertreten. Auf Landesebene<br />

sind adäquate Organe tätig. Höchstes Gremium ist die laut<br />

Satzung mindestens einmal jährlich einzuberufende Bundeskonferenz.<br />

Diese beschließt die politischen Leitlinien der KPF und wählt<br />

den Bundeskoordinierungs- und Bundessprecherrat. In Thüringen<br />

konstituierte sich die KPF im März 1993.<br />

Nach Abschluss des Fusionsprozesses von „Linkspartei.PDS“ und<br />

der Partei „Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative“<br />

(WASG) zur Partei „DIE LINKE.“, den die „Kommunistische Plattform“<br />

nach eigener Aussage „aktiv begleitet“ hatte, zeigte sich die<br />

Organisation durchaus zufrieden. BKR-Mitglied Sahra WAGEN-<br />

KNECHT war auf dem Gründungsparteitag am 16. Juni mit 75,2 %<br />

der Delegiertenstimmen in den Bundesvorstand gewählt worden.<br />

Auch bei der satzungsgemäßen Anerkennung als bundesweiter Zusammenschluss<br />

der Partei „DIE LINKE.“ hatte die KPF 70 Erfolg. In<br />

70 Bereits im November 2006 hatte sich der Bundeskoordinierungsrat mit der Bitte an die Mitglieder von<br />

„Linkspartei.PDS“ und „WASG“ gewandt, auf einem Formular schriftlich ihre Zugehörigkeit zur KPF zu<br />

erklären. Der Grund für die angestrebte Anerkennung als bundesweiter Zusammenschluss innerhalb der<br />

neuen Partei „DIE LINKE.“ war existentieller Natur, da gemäß der Übergangsbestimmungen der Bundessatzung<br />

der entsprechende Nachweis bis zum 31. Dezember 2007 erbracht werden musste. Bundesweite<br />

Zusammenschlüsse genießen Privilegien; sie können u.a. Delegierte zu Parteitagen entsenden und im<br />

Rahmen des Finanzplanes finanzielle Mittel für ihre Arbeit erhalten.<br />

Linksextremismus<br />

133


134<br />

Linksextremismus<br />

einem offenen Brief teilte der Bundeskoordinierungsrat den „Genossinnen<br />

und Genossen“ am 7. Juli mit, das notwendige Quorum<br />

sei in 15 Bundesländern – darunter auch Thüringen – erreicht<br />

worden und die Anerkennung damit gewährleistet. Zugleich unterstrich<br />

der BKR, im politischen Alltag und in der bevorstehenden<br />

Programmdebatte weiterhin bestimmten Inhalten besonders verpflichtet<br />

zu sein. Ausdrücklich wurden hierbei der „Systemwechsel“,<br />

die Verteidigung des „vergangenen sozialistischen Versuchs“<br />

sowie die Ablehnung der „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“<br />

benannt. Im Beschluss zur 3. Tagung der 13. Bundeskonferenz<br />

bekräftigte die KPF am 10. November noch einmal: „Wir bleiben<br />

was wir waren und sind: In der Partei DIE LINKE organisierte<br />

Kommunistinnen und Kommunisten.“<br />

Analog zur Bundesorganisation stellte die Thüringer KPF auf ihrer<br />

Landesmitgliederversammlung am 28. Juli den Antrag an den Landesvorstand<br />

der Partei „DIE LINKE.“, als landesweiter Zusammenschluss<br />

anerkannt zu werden, schließlich werde die in der Bundessatzung<br />

festgelegte Voraussetzung, 0,5 % der Gesamtmitgliederzahl<br />

des Landesverbands repräsentieren zu müssen, mehr als erfüllt.<br />

Darüber hinaus seien KPF-Angehörige in 13 Gebiets-, Kreis- bzw.<br />

Stadtverbänden vertreten. In einem auf der Versammlung gefassten<br />

Beschluss bekräftigte die KPF zudem, die „kameradschaftliche Zusammenarbeit<br />

mit den Thüringer Organisationen der DKP und der<br />

KPD“ bei gegenseitiger Akzeptanz der unterschiedlichen programmatischen<br />

Aussagen und praktischen Politik der einzelnen Parteien<br />

weiterführen zu wollen. Explizit werden dabei gemeinsame Aktivitäten<br />

und Veranstaltungen, die Abstimmung von Maßnahmen,<br />

das gegenseitige Auftreten in Versammlungen sowie die Pflege<br />

und Bewahrung kommunistischer Traditionen genannt. 71 Bereits<br />

auf der 2. Tagung der 13. KPF-Bundeskonferenz am 14. April hatte<br />

Landessprecher und BKR-Mitglied Jochen TRAUT in seinem Diskussionsbeitrag<br />

darüber informiert, dass die KPF Thüringen „heute<br />

90 Genossinnen und Genossen“ zähle. Im BKR ist Thüringen nach<br />

wie vor mit zwei Genossen vertreten.<br />

71 Siehe Kapitel 5.4.


5.2 „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP)<br />

Bund Thüringen<br />

Gründungsjahr 1968 1996<br />

Sitz Essen –<br />

Mitglieder<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

Jugendorganisation<br />

weniger als 4.500<br />

ca. 4.200<br />

ca. 4.200<br />

„Sozialistische<br />

Deutsche Arbeiterjugend“<br />

(SDAJ)<br />

Publikation „Unsere Zeit“ (UZ)<br />

(wöchentlich)<br />

Internet eigener<br />

Internetauftritt<br />

ca. 50<br />

ca. 50<br />

ca. 40<br />

existent;<br />

nur wenige<br />

Mitglieder<br />

„Thüringenreport“<br />

(meist<br />

zweimonatlich)<br />

eigener<br />

Internetauftritt<br />

Die 1968 in Frankfurt/Main gegründete<br />

DKP versteht sich selbst<br />

als Nachfolgeorganisation der<br />

1956 vom Bundesverfassungsgericht<br />

verbotenen „Kommunistischen<br />

Partei Deutschlands“ (KPD).<br />

In ihrem aktuellen Parteiprogramm<br />

charakterisiert sie sich selbst als<br />

antifaschistische, revolutionäre<br />

Partei der Arbeiterklasse, als Partei<br />

des proletarischen Internationalismus<br />

und des Widerstandes gegen<br />

die sozialreaktionäre, antidemokratische<br />

und friedensgefährdende<br />

Politik der Herrschenden, die sich<br />

Linksextremismus<br />

135


136<br />

Linksextremismus<br />

von den Zukunfts- und Gesamtinteressen der Arbeiter und Angestellten<br />

als Klasse leiten lässt. Weltanschauung, Politik und Organisationsverständnis<br />

der DKP gründen dem Programm zufolge auf<br />

dem wissenschaftlichen Sozialismus, den Theorien von Marx, Engels<br />

und Lenin. Die Partei überträgt die Lehren des Marxismus auf<br />

die derzeitigen Bedingungen des Klassenkampfes, um so zu deren<br />

Weiterentwicklung beizutragen. Ihr Ziel sieht sie im Sozialismus/<br />

Kommunismus, wofür es die Arbeiterklasse und die Mehrheit der<br />

Werktätigen zu gewinnen gelte. Nur der revolutionäre Bruch mit<br />

den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen beseitige<br />

letztendlich die Ursachen von Ausbeutung und Entfremdung,<br />

Krieg, Verelendung und Zerstörung der natürlichen Umwelt.<br />

Die im Januar 1996 gegründete DKP Thüringen umfasst nach eigenen<br />

Angaben vier Regionalgruppen. Die Landesmitgliederversammlung<br />

wählt den Koordinierungsrat, das Führungsgremium der<br />

Partei in Thüringen.<br />

Die formal selbstständige, jedoch mit der DKP eng verbundene Jugendorganisation<br />

„Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ)<br />

zählt bundesweit etwa 300 Mitglieder. Der in Thüringen seit 1996<br />

existierende Verband verfügt lediglich über einige wenige Mitglieder.<br />

Im Jahr 2007 entwickelte die Partei erfolglose Bemühungen, neue<br />

Mitglieder und Abonnenten für die parteieigene Wochenzeitschrift<br />

„Unsere Zeit“(UZ) zu gewinnen. Auf der 11. Tagung des DKP-Parteivorstandes<br />

am 14. Juli äußerte sich der Parteivorsitzende Heinz<br />

STEHR kritisch: Es sei der Partei „noch nicht gelungen, wirklich<br />

den Kampf um die Stärkung der Partei und ihrer Zeitung, der UZ,<br />

nachhaltig zu organisieren.“ Trotz aller Appelle und Kampagnen<br />

abonnieren immer weniger Genossen und Sympathisanten das<br />

Zentralorgan. In einem UZ-Artikel wurde eingeräumt, dass die<br />

Zeitung von einer Wende „weiter entfernt denn je“ sei. So sollen<br />

in den ersten zehn Monaten des Jahres 2007 statt der geplanten<br />

732 neuen Abonnenten, die notwendig gewesen wären, um wenigstens<br />

den Rückgang zu stoppen, lediglich 311 gewonnen worden<br />

sein. Diese Zahl läge noch unter dem Niveau des Vorjahres.<br />

Unter Berücksichtigung aller zum Jahresende 2007 wirksamen<br />

Kündigungen werde die UZ zum Jahresbeginn 2008 bundesweit<br />

voraussichtlich 215 Abonnenten und damit ca. 20.000 Euro Ein-


nahmen weniger verzeichnen als im Vorjahr. Die Spannbreite der<br />

Verluste reicht dabei von „nur“ 2,2 % in Bremen bis hin zu 19,7 %<br />

in Sachsen-Anhalt. Thüringen befindet sich mit 16,5 % Rückgang<br />

(14 Besteller weniger) an dritter Stelle der aufgeführten 18 DKP-<br />

Bezirke.<br />

Zudem mahnte das Blatt seine Leser mehrfach zu einer besseren<br />

Zahlungsmoral: 339 „LeserInnen“ hätten ihr Abonnement für 2007<br />

noch nicht bezahlt. Damit fehlten der Zeitung 24.675 Euro in der<br />

Verlagskasse – „Geld, auf das wir nicht verzichten können, wenn<br />

wir Gehälter, Miete und Rechnungen pünktlich bezahlen wollen“.<br />

Der „dringenden Bitte an alle säumigen ZahlerInnen“ folgte der<br />

bereits aus den Vorjahren bekannte Aufruf an die gesamte Leserschaft:<br />

„Spendet für den Erhalt der UZ als Wochenzeitung!“. Zum<br />

Jahresende schließlich wurde eine Preiserhöhung für das Blatt bekannt<br />

gegeben.<br />

15. Pressefest der DKP-Wochenzeitung „Unsere Zeit“ (UZ) in<br />

Dortmund<br />

Im krassen Gegensatz zu diesen Fakten feierte sich die DKP auf<br />

dem 15. Pressefest ihres Zentralorgans, das unter dem Motto „Fest<br />

der Solidarität“ vom 22. bis 24. Juni in Dortmund stattfand, selbst.<br />

Nach Angaben der Partei wurde es mit rund 190 durchgeführten<br />

Veranstaltungen und über 50.000 Besuchern wieder „zum interessantesten,<br />

spannendsten und schönsten Volksfest der Linken“ in<br />

Deutschland. Neben den DKP-nahen Verbänden „Sozialistische<br />

Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) und „Assoziation Marxistischer<br />

Studierender“ (AMS) sowie ideologisch nahestehenden Organisationen<br />

wie der KPF, sollen sich auch Vertreter von 24 Kommunistischen<br />

und Arbeiterparteien aus dem Ausland an dem Pressefest<br />

beteiligt haben. Das Programm umfasste u. a. politische Foren zu<br />

Themen wie „Gegenwart und Zukunft des Sozialismus“, „Eine<br />

andere Welt ist möglich – wie weiter nach Heiligendamm?“ oder<br />

„Die DKP – wer wir sind und was wir wollen“. Besondere Anziehungspunkte<br />

bildeten die Stände der DKP-Landesverbände mit<br />

ihrem Angebot an Kulturveranstaltungen, Vorträgen und Diskussionsrunden.<br />

In einer ersten Bilanz sahen sich sowohl die Partei als<br />

auch ihr Zentralorgan gestärkt: Gemeinsam mit ihren Mitgliedern<br />

hätten zahlreiche mit der DKP befreundete Organisationen und In-<br />

Linksextremismus<br />

137


138<br />

Linksextremismus<br />

itiativen in „solidarischer Atmosphäre“ diskutiert und gefeiert; ein<br />

„attraktives kulturelles und politisches Programm“ habe die Besucher<br />

begeistert und ihnen „Kraft und Zuversicht“ vermittelt.<br />

Als Teilnehmerin des Pressefestes wurde auch die „DKP in Thüringen“<br />

erwähnt. In einer Zuschrift an die UZ zeigte sich diese im<br />

Rückblick begeistert: Das Pressefest sei ein toller Erfolg gewesen,<br />

was sich nicht zuletzt in neuen Mitgliedern niederschlage. „Die<br />

vielen spannenden Diskussionen (…) und drei Tage unter Tausenden<br />

von Genossen haben uns viel Energie für den Kampf im Alltag<br />

mitgegeben“. Die gleichzeitig von den strikt antiimperialistisch<br />

ausgerichteten Thüringer Genossen geäußerte „entschiedene Kritik“,<br />

die Teilnahme der „Irakischen Kommunistischen Partei“ am<br />

„Fest der Solidarität“ sei ein „handfester Skandal“, wurde vom Zentralorgan<br />

jedoch nicht veröffentlicht. Im Regionalblatt „Thüringenreport“<br />

Nr. 4/2007 hieß es dazu:<br />

„Wer dem brutalen und verbrecherischen US-Besatzungsregime<br />

hörig ist und den durch das Völkerrecht gedeckten legitimen Widerstand<br />

gegen die US-Besatzung des Irak verleumdet und bekämpft,<br />

der hat auf unserem Fest nichts verloren.“<br />

Abgesehen von einem im Januar in Gera durchgeführten „Philosophieseminar“<br />

zum Thema „Politische Ökonomie des Kapitalismus“<br />

trat die Thüringer DKP ansonsten nur selten in Erscheinung. Ihre<br />

Aktivitäten waren bereits seit dem Tod ihres engagierten Koordinierungsratsvorsitzenden<br />

im Dezember 2006 spürbar rückläufig.<br />

Die personellen, strukturellen und finanziellen Probleme des Landesverbands<br />

dauern an. Allerdings gelang es im Berichtszeitraum,<br />

den „Thüringenreport“ weiterhin – wenn auch unregelmäßig – herauszugeben.<br />

Auch die SDAJ entfaltete in diesem Jahr bundesweit keine nennenswerten<br />

Aktivitäten. Ihr traditionelles Pfingstcamp fiel mit der<br />

Begründung, sich auf die Beteiligung an den Protesten gegen den<br />

G8-Gipel in Heiligendamm konzentrieren zu wollen, aus. Im Mai<br />

wurde im „Thüringenreport“ die Gründung einer SDAJ-Gruppe in<br />

Jena bekannt gegeben. Seit November wird u. a. über die UZ zu<br />

wöchentlichen Treffen eingeladen.


5.3 „Kommunistische Partei Deutschlands“<br />

(KPD)<br />

Bund Thüringen<br />

Gründungsjahr 1990 1993<br />

Sitz Berlin –<br />

Parteivorsitzender Dieter ROLLE<br />

Mitglieder<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

ca. 200<br />

ca. 200<br />

ca. 200<br />

Publikation „Die Rote Fahne“<br />

(monatlich)<br />

Jugendorganisation<br />

„Kommunistischer<br />

Jugendverband<br />

Deutschlands“<br />

(KJVD)<br />

Internet eigener<br />

Internetauftritt<br />

wenige Mitglieder<br />

wenige Mitglieder<br />

wenige Mitglieder<br />

–<br />

existent;<br />

nur wenige<br />

Mitglieder<br />

kein eigener<br />

Internetauftritt<br />

Die am 31. Januar 1990 im damaligen Ost-Berlin von ehemaligen<br />

SED-Mitgliedern „wiedergegründete“ KPD bekennt sich zu<br />

den Lehren von MARX, ENGELS, LENIN und STALIN. In ihrem<br />

auf dem 25. Parteitag 2007 neu beschlossenen Statut definiert sie<br />

sich als „marxistisch-leninistische Partei“, als „revolutionäre Partei<br />

der Arbeiterklasse und des ganzen werktätigen Volkes“, die „fest<br />

in den Traditionen des ‚Bundes der Kommunisten’, des ‚Spartakusbundes’,<br />

der KPD und SED sowie ihrer hervorragenden Persönlichkeiten“<br />

steht. Zu denen zählt sie in erster Linie Ernst THÄLMANN,<br />

aber auch Karl LIEBKNECHT, Rosa LUXEMBURG, Wilhelm PIECK,<br />

Walter ULBRICHT und Erich HONECKER gelten als Vorbilder. Die<br />

Partei sieht sich als „Erbe und Bewahrer der Erfahrungen und Er-<br />

Linksextremismus<br />

139


140<br />

Linksextremismus<br />

kenntnisse des Klassenkampfes der revolutionären Arbeiterklasse<br />

und ihrer Verbündeten in Deutschland“ sowie „des Besten, was<br />

die deutsche Arbeiterklasse bisher erkämpfte, der sozialistischen<br />

Erfahrungen und Errungenschaften der DDR“. Als weitere Aufgabe<br />

wurde festgelegt, „insbesondere die Arbeiterklasse und alle objektiv<br />

antiimperialistischen Kräfte für die Überzeugung zu gewinnen,<br />

dass die einzige Alternative zur gegenwärtigen imperialistisch geprägten<br />

Gesellschaft noch immer die Schaffung der sozialistischen<br />

Gesellschaftsordnung ist.“ Politisch-ideologische Markenzeichen<br />

der KPD sind dogmatischer Stalinismus, DDR-Verherrlichung sowie<br />

permanente Huldigungen an die „Koreanische Demokratische<br />

Volksrepublik“ (KDVR) und ihre Führung.<br />

Ihren organisatorischen Schwerpunkt hat die Partei in den neuen<br />

Bundesländern. Seit April 1993 besteht die KPD-Landesorganisation<br />

Thüringen, vier ihrer Mitglieder sind zwischenzeitlich in leitenden<br />

Organen auf KPD-Bundesebene aktiv. Zudem ist der im April<br />

2002 wiedergegründete „Kommunistische Jugendverband Deutschlands“<br />

(KJVD) auch in Thüringen organisatorisch vertreten ist.<br />

25. Parteitag der KPD<br />

Der organisatorische, strukturelle und personelle Niedergang der<br />

KPD hält unvermindert an. Nennenswerte Aktivitäten gingen im<br />

Berichtszeitraum von der Partei nicht aus. Auf eine zunehmende<br />

Lethargie kann wegen fehlender Berichterstattung über das Parteileben<br />

im Zentralorgan „Die Rote Fahne“ geschlossen werden.<br />

Auch nach dem 25. Parteitag, der unter der Losung „Stärkt die<br />

Kampfkraft unserer Partei zu Ehren des 90. Jahrestages der Großen<br />

Sozialistische Oktoberrevolution“ am 21. April in Berlin stattfand,<br />

waren keine neuen Impulse wahrzunehmen. Wenngleich sowohl<br />

Statut als auch Parteiprogramm neu beschlossen wurden, weisen<br />

sie keine relevanten Änderungen auf.<br />

KPD-Landesorganisation Thüringen<br />

Analog zur Bundespartei ist es auch um die KPD-Landesorganisation<br />

Thüringen ruhig geworden. Der überraschende Rücktritt des<br />

engagierten Vorsitzenden im Frühjahr 2007 hat diese Entwicklung


noch verschärft. Erwähnenswerte eigenständige Aktivitäten wurden<br />

im Berichtszeitraum nicht bekannt. In der Regel beteiligte sich<br />

die Thüringer KPD an den Aktionen anderer kommunistischer Organisationen<br />

im Freistaat. 72<br />

Wie die KPD ist auch ihre Jugendorganisation in Thüringen weitgehend<br />

inaktiv. Nach Angaben im Zentralorgan „Der Jungkommunist“<br />

führte die Organisation ihren IV. Verbandstag am 10. März<br />

in Erfurt durch. Dabei sei u. a. eine neue Leitung gewählt worden.<br />

Sowohl bei dem Vorsitzenden als auch dessen Stellvertreter handele<br />

es sich um Genossen aus Thüringen.<br />

5.4 Thüringer Kommunisten in Aktionseinheit<br />

Trotz unterschiedlicher programmatischer Konzepte fanden Thüringer<br />

Kommunisten mehrfach Anlass, gemeinsame Veranstaltungen<br />

durchzuführen.<br />

THÄLMANN-Ehrung in Weimar<br />

Anlässlich des 63. Jahrestages der Ermordung des ehemaligen<br />

KPD-Vorsitzenden Ernst THÄLMANN im Konzentrationslager Buchenwald<br />

fanden am 18. August in Weimar mehrere Gedenkveranstaltungen<br />

statt, an denen sich auch Mitglieder von DKP, KPD,<br />

SDAJ und KJVD beteiligten. U. a. luden DKP, KPD und KPF nach<br />

einer Kranzniederlegung am Thälmann-Denkmal in Weimar zu einer<br />

Saalveranstaltung unter dem Motto „Kämpfen lernen bei Ernst<br />

Thälmann“ in ein Hotel der Stadt ein.<br />

Informationsveranstaltungen zum Verbot der „Kommunistischen<br />

Union der Jugend der Tschechischen Republik“ (KSM)<br />

Am 12. Oktober 2006 wurde die der „Kommunistischen Partei<br />

Böhmens und Mährens“ (KSCM) nahestehende KSM durch das<br />

Innenministerium der Tschechischen Republik verboten. Die Ver-<br />

72 Siehe Kapitel 5.4.<br />

Linksextremismus<br />

141


142<br />

Linksextremismus<br />

fügung rief auch im Ausland – hier besonders im linksextremistischen<br />

Spektrum – empörte Proteste hervor. In der Bundesrepublik<br />

startete die DKP-nahe SDAJ im Internet eine Unterschriftenkampagne<br />

gegen das Verbot. Zu den bisher über 1.700 Unterzeichnern<br />

gehören auch zahlreiche Thüringer. Im Rahmen einer Informationstour<br />

„Der Marxismus lässt sich nicht verbieten“ referierte die<br />

stellvertretende KSM-Vorsitzende vom 12. bis 15. Juli in mehreren<br />

Städten Thüringens über das Verbot und die politische Arbeit des<br />

Jugendverbands in Tschechien. Die Vorträge wurden von der KPF,<br />

der „Roten Hilfe“, der SDAJ sowie der DKP unterstützt.<br />

5.5 „Marxistisch-Leninistische Partei<br />

Deutschlands“ (MLPD)<br />

Bund Thüringen<br />

Gründungsjahr 1982 –<br />

Sitz Gelsenkirchen zwei<br />

Kontaktadressen<br />

Mitglieder<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

ca. 2.300<br />

ca. 2.300<br />

ca. 2.300<br />

Publikation „Rote Fahne“<br />

(wöchentlich)<br />

Jugendorganisation<br />

Internet eigener<br />

Internetauftritt<br />

ca. 50<br />

ca. 50<br />

ca. 50<br />

„Stimme von und<br />

für Elbe-Saale“<br />

(unregelmäßig)<br />

„REBELL“ existent;<br />

nur wenige<br />

Mitglieder<br />

kein eigener<br />

Internetauftritt


Die MLPD wurde 1982 in Bochum gegründet. Sie „wendet den<br />

Marxismus-Leninismus und die Maotsetungideen schöpferisch auf<br />

die heutige Situation an“. In der Präambel ihrer „Organisationspolitischen<br />

Grundsätze“ bezeichnet sie sich „als politische Vorhutorganisation<br />

der Arbeiterklasse in Deutschland“. Als „grundlegendes<br />

Ziel“ werden „der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals<br />

und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den<br />

Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen<br />

kommunistischen Gesellschaft“ angegeben. In ihrem 1999 auf dem<br />

„Gelsenkirchener Parteitag“ beschlossenen Parteiprogramm führt<br />

sie ergänzend aus: „Die Eroberung der politischen Macht ist das<br />

strategische Ziel des Klassenkampfes der Arbeiterklasse. Die MLPD<br />

hat die Aufgabe, die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für<br />

den Sozialismus zu gewinnen und ihre Kämpfe in einem umfassenden,<br />

gegen das Monopolkapital und seinen Staat als politisches<br />

Herrschaftsinstrument gerichteten Kampf höherzuentwickeln. (…)<br />

Der Kern der revolutionären Taktik der MLPD besteht darin, den<br />

wirtschaftlichen mit dem politischen Kampf zu verbinden bzw.<br />

den wirtschaftlichen in den politischen Kampf umzuwandeln und<br />

den Klassenkampf auf das sozialistische Ziel hin auszurichten.“ Im<br />

linksextremistischen Lager ist die MLPD auf Grund ihres sektiererischen<br />

Auftretens isoliert.<br />

Eisenach und Sonneberg bilden im Freistaat die organisatorischen<br />

Schwerpunkte der Partei. Vertretungen ihres Jugendverbands „RE-<br />

BELL“ sind ebenfalls dort angesiedelt. Ein Landesverband „Elbe-<br />

Saale“, der künftig die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und<br />

Thüringen umfassen und in Leipzig ansässig sein soll, befindet sich<br />

im Aufbau.<br />

MLPD begeht 25. Jahrestag ihrer Gründung<br />

Die maoistisch-stalinistische MLPD beging am 20. Juni den 25. Jahrestag<br />

ihrer Gründung. Anlässlich des Jubiläums organisierte sie<br />

eine Reihe von örtlichen und regionalen Veranstaltungen, deren<br />

Höhepunkt drei zentrale Festakte Anfang August waren. Das „internationale<br />

Seminar“ am 2./3. August in Essen zum Thema „Die<br />

Neuorganisation der internationalen Produktion und die Vorbereitung<br />

der internationalen sozialistischen Revolution“ leitete die<br />

Jubiläumsfeiern ein. An der Veranstaltung nahmen Parteiangaben<br />

Linksextremismus<br />

143


144<br />

Linksextremismus<br />

nach über 1.000 Gäste teil, darunter 40 Delegationen marxistischleninistischer<br />

Parteien und Organisationen aus 34 Ländern. Besonderer<br />

Stellenwert kam der Parteimedien zufolge von 2.100 Gästen<br />

besuchten „Großen Jubiläumsveranstaltung“ am 4. August zu, bei<br />

der der Parteivorsitzende Stefan ENGEL das Publikum „mit einer<br />

Fülle neuer Argumente, Optimismus und herzerfrischender Angriffslust“<br />

beeindruckt habe. Eine „antifaschistische Gedenkfeier“<br />

im ehemaligen KZ Buchenwald beendete am 5. August die Jubiläumsfeierlichkeiten.<br />

Die Partei habe damit ihre feste Verwurzelung<br />

im „aktiven Widerstand der Kommunisten gegen den Hitler-<br />

Faschismus“ demonstrieren wollen. Im Rahmen der Feier fanden<br />

neben Ansprachen und einer Kranzniederlegung auch Führungen<br />

durch das Gelände der Gedenkstätte statt. Zum Abschluss des Gedenkens<br />

sollen die 460 Teilnehmer symbolisch den „Schwur von<br />

Buchenwald“ bekräftigt haben, nicht zu ruhen, bis der Faschismus<br />

mit allen seinen Wurzeln vernichtet und eine neue Welt des Friedens<br />

und der Freiheit geschaffen ist.<br />

Der MLPD zufolge beteiligten sich an den drei aufgeführten Jubiläumsveranstaltungen<br />

insgesamt 2.600 Personen. Das Zentralorgan<br />

„Rote Fahne“ lobte, das Programm der Feierlichkeiten sei vor allem<br />

auf Grund der „gelungenen Mischung aus theoretischer Arbeit, lebendiger<br />

Diskussion, internationaler Solidarität, Festlichkeit, Kultur,<br />

Tradition und Gedenken“ beeindruckend gewesen. Davon gingen<br />

jetzt neue Impulse und Schwung aus – die passende Gelegenheit,<br />

jetzt auch zahlreiche neue Mitglieder für MLPD und „REBELL“ sowie<br />

die Kinderorganisation „Rotfüchse“ zu gewinnen.<br />

Der 25. Parteigeburtstag fand auch in Thüringen Resonanz. Die<br />

Sonneberger MLPD-Gruppe lud für den 21. Juli zu einer öffentlichen<br />

Jubiläumsveranstaltung in die „Ferien- und Freizeitanlage“<br />

Truckenthal ein.<br />

Sommercamp der MLPD-Jugendorganisation „REBELL“<br />

Das traditionelle Sommercamp des MLPD-Jugendverbands „RE-<br />

BELL“ und seiner Kinderorganisation „Rotfüchse“ fand in der Zeit<br />

vom 14. bis 31. Juli zum fünften Mal in der „Ferien- und Freizeitanlage<br />

Truckenthal“ im Thüringer Wald statt. Neben dem Angebot<br />

eines „erholsamen und rebellischen Urlaub(s)“ standen wiederum


die ideologische Indoktrination der Jugendlichen, die Gewinnung<br />

neuer Parteimitglieder sowie der weitere Auf- und Ausbau der Immobilie<br />

im Vordergrund. Vermutlich aufgrund der kontinuierlich<br />

zurückgehenden Teilnehmerzahlen – in diesem Jahr lediglich 300<br />

Personen – wurde die Dauer des Camps von anfänglich sechs auf<br />

nunmehr zweieinhalb Wochen verkürzt. Erstmals seit 2002 veranstaltete<br />

die Partei vom 11. bis 25. August auch wieder ein „Rotfüchse“-Kindercamp<br />

in Alt Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern).<br />

Den MLPD-Medien zufolge standen in Truckenthal neben Erholung,<br />

Partys, Ausflügen sowie „Sport und Spiel“ auch Workshops<br />

und Bauarbeiten „unter fachkundiger Anleitung“ auf dem Programm.<br />

Mit „Aufbaueinsätzen“ wurde für „MLPD, ‚REBELL‘ und<br />

das Sommercamp“ geworben. Im Mittelpunkt der Workshops habe<br />

„die Vorbereitung des 25 Jahre-Jubiläums der MLPD“ gestanden.<br />

Zum Höhepunkt des Sommercamps wurde das „5. Große Waldfest“<br />

am 28. Juli erklärt, das den Berichten nach u. a. Sportwettkämpfe,<br />

ein Kulturprogramm und Informationsstände der MLPD<br />

sowie parteinaher Bürgerinitiativen und Vereine umfasste.<br />

5.6 „Rote Hilfe e.V.“ (RH)<br />

Bund Thüringen<br />

Gründungsjahr 1975 –<br />

Sitz Göttingen Jena<br />

Mitglieder<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

ca. 4.300<br />

ca. 4.300<br />

ca. 4.300<br />

Publikation „Rote Fahne“<br />

(wöchentlich)<br />

Internet eigener<br />

Internetauftritt<br />

eigener<br />

Internetauftritt<br />

Linksextremismus<br />

145


146<br />

Linksextremismus<br />

Die RH versteht sich als „parteiunabhängige, strömungsübergreifende<br />

linke Schutz- und Solidaritätsorganisation“, die vermeintlich<br />

politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum politisch und materiell<br />

unterstützt. Sie organisiere „die Solidarität für alle, unabhängig<br />

von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung, die in der Bundesrepublik<br />

Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt<br />

werden“. Darüber hinaus gelte die Solidarität „den von der<br />

Reaktion politisch Verfolgten in allen Ländern der Erde“.<br />

Die Organisation gliedert sich bundesweit in über 30 Orts- bzw.<br />

Regionalgruppen. In Thüringen ist ihre Präsenz seit Jahren rückläufig.<br />

Nachdem die Ortsgruppe Erfurt aufgelöst worden ist, existierte<br />

Ende 2007 nur noch eine Ortsgruppe in Jena. Anders als in den<br />

Vorjahren war die Jenaer Gruppe bemüht, mit Presseerklärungen<br />

auf ihrer Internetseite Aufmerksamkeit zu erzielen.<br />

6. Politisch motivierte Kriminalität – Links –<br />

im Überblick<br />

Die im Bereich der politisch motivierten Kriminalität – Links – in<br />

den Jahren 2005, 2006 und 2007 in Thüringen begangenen Straftaten<br />

lassen sich wie folgt darstellen: 73<br />

Straftaten 2005 2006 2007<br />

Insgesamt 200 118 266<br />

davon u. a.:<br />

Gewaltkriminalität 48 17 58<br />

Sachbeschädigungen 60 43 89<br />

Verstöße gegen das<br />

Versammlungsgesetz<br />

48 24 77<br />

73 Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) zur politisch motivierten Kriminalität im Freistaat Thüringen.


Knapp ein Fünftel der erfassten politisch motivierten Straftaten<br />

(1.398) entfiel im Berichtszeitraum auf den Phänomenbereich<br />

– Links. Die Fallzahlen aller hier aufgeführten Deliktsfelder stiegen<br />

im Vergleich zum Vorjahr deutlich an. Zum Teil dürfte dies<br />

auf Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner zurückzuführen<br />

sein, die sich insbesondere bei Großveranstaltungen in<br />

den Schutzbereichen der Polizeidirektionen Erfurt, Jena und Gera<br />

ereignet haben.<br />

Linksextremismus<br />

147


148<br />

Ausländerextremismus<br />

1. Überblick<br />

IV. Ausländerextremismus<br />

Organisationsformen und Aktivitäten von Ausländern und Islamisten<br />

werden dem politischen Extremismus zugerechnet, wenn sie<br />

sich gegen die konstitutiven Prinzipien der freiheitlichen demokratischen<br />

Grundordnung richten oder von ihnen Bestrebungen<br />

ausgehen, welche die innere Sicherheit sowie auswärtige Belange<br />

der Bundesrepublik durch die Anwendung von Gewalt oder darauf<br />

gerichtete Vorbereitungshandlungen gefährden. Häufig zielen Aktionen,<br />

die von extremistisch eingestellten Ausländern in Deutschland<br />

durchgeführt werden, darauf ab, Veränderungen der politischen<br />

Verhältnisse im jeweiligen Herkunftsland herbeizuführen<br />

oder die Außenpolitik der Bundesregierung zu beeinflussen.<br />

Die Strukturen der Organisationen und Gruppierungen, in deren<br />

Rahmen Ausländer extremistische Ziele verfolgen, weichen ebenso<br />

erheblich voneinander ab wie die ideologischen Grundlagen,<br />

auf die sie sich berufen. Sie sind entweder islamistisch, linksextremistisch<br />

oder nationalistisch/separatistisch ausgerichtet. Und sie<br />

sind auch unterschiedlicher Auffassung, ob Gewalt als legitimes<br />

Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen ist.<br />

Bundesweit gehören ca. 58.420 Ausländer einer extremistischen<br />

Vereinigung an. Nach wie vor verfügen die islamistischen Gruppen,<br />

denen ca. 33.170 Personen zugerechnet werden, über das<br />

größte Mitglieder- und Anhängerpotenzial. Als Angehörige linksextremistischer<br />

Ausländergruppierungen gelten 16.870 Personen.<br />

Das extrem-nationalistische Spektrum umfasst 8.380 Anhänger.<br />

Einige Formen des Islam, die von den jeweiligen religiösen Strömungen<br />

vertreten werden, sind mit den in demokratischen Staaten<br />

garantierten Menschenrechten ebenso unvereinbar wie mit dem<br />

freiheitlichen demokratischen und pluralistisch ausgerichteten<br />

Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Die ideologischen<br />

Ansichten von Islamisten hemmen die Integration von<br />

Ausländern muslimischen Glaubens in die Gesellschaft, da sie die<br />

Wertvorstellungen westlicher Demokratien für gänzlich unver-


einbar mit dem Islam erachten. Zudem liefern die von Islamisten<br />

vertretenen Anschauungen die ideologische Grundlage dafür, den<br />

Jihad – den Krieg gegen die „Ungläubigen“ – zu rechtfertigen. Die<br />

Beobachtung islamistisch motivierter Bestrebungen stellt in der Arbeit<br />

des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz (TLfV) einen<br />

Schwerpunkt dar.<br />

Ausländerextremistische Gruppierungen nutzten die Bundesrepublik<br />

auch im Berichtszeitraum vorrangig als Ruhe- und Rückzugsraum.<br />

Darüber hinaus wurden von hier aus Aktivitäten entwickelt,<br />

finanzielle Mittel zur Unterstützung des Kampfes in den Heimatländern<br />

zu beschaffen.<br />

Wie die Anschläge in London, Jordanien und Ägypten im Jahr<br />

2005 vor Augen geführt haben, können sich islamistische Terrorakte<br />

überall ereignen. Auch Deutschland ist spätestens seit den vereitelten<br />

Anschlägen auf zwei Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen<br />

im Juli 2006 als Ziel terroristischer Attentate zu verstehen. Im Berichtszeitraum<br />

konnten islamistisch motivierte Anschläge auf USamerikanische<br />

Einrichtungen in Deutschland verhindert werden. 74<br />

Grundsätzlich ist auch Thüringen der Gefahr ausgesetzt, Ziel islamistisch-terroristischer<br />

Anschläge zu werden, wenngleich solche<br />

Terroranschläge den Erfahrungen der letzten Jahre nach meist Ballungsräume<br />

getroffen haben.<br />

Die Ausrichtung des islamistischen Terrors auf „weiche“, d. h. wenig<br />

geschützte Ziele, die eine starke Wirkung auf die Öffentlichkeit<br />

versprechen, erschwert es, mögliche Angriffspunkte einzugrenzen.<br />

Gemeinsame Terrorabwehr der Sicherheitsbehörden<br />

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war es zwingend<br />

geboten, die Sicherheitsbehörden neu auszurichten und die Vorfeldaufklärung<br />

auszuweiten, um der grundlegend veränderten Bedrohungslage<br />

Rechnung zu tragen. Im Dezember 2004 wurde das<br />

„Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ (GTAZ) mit dem Ziel<br />

gegründet, die Vorbereitung islamistisch-terroristischer Aktivitäten<br />

frühzeitig erkennen und konzertiert bekämpfen zu können. In<br />

74 Siehe Kapitel 2.<br />

Ausländerextremismus<br />

149


150<br />

Ausländerextremismus<br />

diesem Zentrum sind nicht nur die Nachrichtendienste und die<br />

Polizei, sondern auch der Generalbundesanwalt und andere Behörden<br />

vertreten. Einerseits optimiert das GTAZ den Austausch von<br />

Informationen, andererseits koordiniert es Maßnahmen, um dem<br />

islamistischen Terrorismus entgegenzuwirken. Das TLfV steht über<br />

einen Verbindungsbeamten in stetem Kontakt mit dem GTAZ.<br />

In Thüringen ist im Berichtszeitraum die „Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale“<br />

(TIAZ), in der sowohl das Thüringer Landeskriminalamt<br />

(TLKA) als auch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />

(TLfV) vertreten sind, geschaffen worden, um einen effizienten<br />

Informationsaustausch auf Landesebene zu gewährleisten.<br />

Des Weiteren nahm die Antiterrordatei (ATD) im Berichtszeitraum<br />

ihren Wirkbetrieb auf. Neben den Verfassungsschutzbehörden<br />

des Bundes und der Länder sind das Bundeskriminalamt und alle<br />

Landeskriminalämter, die Bundespolizeidirektion, der Militärische<br />

Abschirmdienst, der Bundesnachrichtendienst sowie das Zollkriminalamt<br />

an der Datei beteiligt. Durch die behördenübergreifende<br />

Vernetzung werden Erkenntnisse zum internationalen Terrorismus<br />

zügig ausgetauscht, und die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden<br />

erfährt weitere Optimierung.<br />

Extremistisch gesinnte Ausländer in Thüringen<br />

Das ausländerextremistische/islamistische Personenpotenzial in<br />

Thüringen entsprach im Berichtszeitraum mit etwa 100 Personen<br />

dem Stand des Vorjahres. Folglich neigen weniger als ein Prozent<br />

der im Freistaat Thüringen ansässigen Ausländer extremistischen<br />

Gruppierungen und deren Zielen zu.<br />

Allein der KONGRA GEL (vormals PKK, später KADEK) verfügt<br />

weiterhin über gefestigte organisatorische Strukturen in Thüringen.<br />

Daneben werden in einigen muslimischen Kreisen extremistische<br />

Positionen bezogen sowie die Ideologien und Werte des „Westens“<br />

als schädlich und feindlich für Muslime dargestellt. Bestrebungen,<br />

in Thüringen Anhänger für Bewegungen oder Organisationen zu<br />

gewinnen, die islamistische Grundsätze vertreten, werden vom<br />

TLfV aufmerksam beobachtet. Insgesamt können dem letztgenannten<br />

Spektrum in Thüringen etwa 40 Personen zugerechnet werden.


Von ausländerextremistischen/islamistischen Gruppierungen gingen<br />

im Berichtszeitraum nur selten öffentlichkeitswirksame Aktivitäten<br />

aus. Meist organisierten sie Demonstrationen und Informationsstände,<br />

um auf aktuelle Ereignisse zu reagieren oder auf die<br />

Verhältnisse in ihren Heimatländern aufmerksam zu machen. Ferner<br />

nahmen Anhänger ausländerextremistischer Gruppierungen<br />

an überregionalen Veranstaltungen im In- und Ausland teil.<br />

2. Islamismus<br />

Als Islamismus wird eine politisch instrumentalisierte Glaubensform<br />

des Islam bezeichnet. Religiös motivierte Extremisten fordern<br />

im Namen des Islam eine Gesellschaftsordnung, die der freiheitlichen<br />

demokratischen Grundordnung entgegengesetzt ist. Bei der<br />

von ihnen angestrebten weltweiten Islamisierung berufen sie sich<br />

auf den Koran, der ihrer Ansicht nach uneingeschränkte Gültigkeit<br />

besitzt und ihren Forderungen somit einen Absolutheitsanspruch<br />

verleiht. Islamisten interpretieren die im Koran enthaltene Aufforderung<br />

zum „Jihad“ 75 meist als Rechtfertigung und Verpflichtung,<br />

ihr politisches Ziel auch mit Gewalt durchzusetzen.<br />

Weltweiter Jihad<br />

Das Ziel der Mujahidin – der Kämpfer im Jihad – besteht darin, Juden<br />

und „Kreuzfahrer“ zu bekämpfen. Als „Kreuzfahrer“ werden in<br />

Anspielung auf die Kreuzzüge des Mittelalters vor allem die USA,<br />

Australien und jene europäischen Staaten bezeichnet, die christlich<br />

geprägt sind. Westliche Einflüsse in der „islamischen Welt“<br />

werden als eine feindliche Bedrohung gesehen. Mit dieser Begründung<br />

greifen die Mujahidin vorwiegend Ziele in jenen islamischen<br />

Staaten an, deren Regierungen sie als Vasallen westlicher Mächte<br />

erachten.<br />

Die jihadistischen Bewegungen grenzen sich immer deutlicher<br />

von islamischen und gemäßigteren islamistischen Gruppen ab, die<br />

diese Gewaltbereitschaft nicht teilen. Zugleich betonen führende<br />

75 Wörtlich übersetzt: innerer Kampf, Anstrengung, aber auch „heiliger Krieg“.<br />

Ausländerextremismus<br />

151


152<br />

Ausländerextremismus<br />

Mujahidin in öffentlichen Botschaften die ideelle Verbundenheit<br />

aller Kämpfer im Jihad. Jihadisten agieren in losen Netzwerken mit<br />

dem Ziel, die islamische Welt von der Herrschaft der „Ungläubigen“<br />

zu befreien. Als wichtigste Kampffelder des globalen Jihad<br />

benennen sie insbesondere Afghanistan, Tschetschenien, Palästina,<br />

den Sudan und inzwischen auch den Irak.<br />

Der Kampf der Jihadisten lässt sich kaum geographisch eingrenzen.<br />

Wo immer islamistische Propaganda auf Gewaltbereitschaft trifft,<br />

können Zirkel von Mujahidin entstehen, deren Anhänger schließlich<br />

bereit sind, für ihre Überzeugung in den Tod zu gehen. Die Bekämpfung<br />

des islamistischen Terrors stellt für die Bundesrepublik<br />

eine fortwährende Herausforderung besonderer Tragweite dar.<br />

Jihad im World Wide Web<br />

Dem Internet kommt sowohl in Hinsicht auf islamistische Radikalisierungsprozesse<br />

als auch für den Kampf der Mujahidin eine<br />

ständig wachsende Bedeutung zu. Hetzpropaganda, heroisierende<br />

Videos, auf denen Attentäter als Märtyrer dargestellt werden,<br />

und auch Anleitungen zum Bau von Bomben werden ständig neu<br />

in das Netz eingestellt. Die im Internet betriebene islamistische<br />

Propaganda ist zu einer Klammer geworden, die die in der Welt<br />

verstreuten Mujahidin zusammenhält.<br />

Das World Wide Web bietet den Handelnden dabei ideale Kommunikationsmöglichkeiten:<br />

An nahezu jedem Ort der Welt ist es möglich,<br />

auf das Internet zuzugreifen, Adressaten können ständig erreicht<br />

werden, ohne die eigene Mobilität einschränken zu müssen. Die Verständigung<br />

via Internet begünstigt das Streben nach Anonymität der<br />

Nutzer. Es bietet geschützte Räume, in denen ein direkter Informations-<br />

und Meinungsaustausch erfolgen kann, und eröffnet zugleich die<br />

Möglichkeit, Informationen an einen unbegrenzten, nicht definierten<br />

Personenkreis zu streuen. Der rege Zuspruch zu diesem Medium<br />

drückt sich in der ständig wachsenden Anzahl islamistischer Foren<br />

und Websites aus. Allein im letzten Jahrzehnt ist diese von etwa einem<br />

Dutzend auf weit über 5.000 drastisch angestiegen.<br />

Im Jahr 2007 war eine vermehrte Verbreitung in deutscher Sprache<br />

abgefasster jihadistischer Propaganda im Internet zu verzeichnen.


Besonderes Aufsehen erregten zwei Drohvideos der „Globalen<br />

Islamischen Medienfront“ (GIMF), die im März und November<br />

in das Internet eingestellt worden waren. Die GIMF, ein internationales<br />

Netzwerk von Internetaktivisten, verfasst selbst militantislamistisches<br />

Propagandamaterial, seit Mai 2006 streut sie auch<br />

Botschaften in deutscher Sprache. Nachdem die für den deutschsprachigen<br />

Internetauftritt der GIMF mutmaßlich Verantwortlichen<br />

am 12. September in Wien festgenommen wurden, war die Präsentation<br />

nur für kurze Zeit unterbrochen. Die wenig später fortgesetzte<br />

Propaganda lässt erahnen, wie flexibel, orts- und personenunabhängig<br />

die Jihadisten agieren.<br />

Um den aus islamistisch unterlegter Radikalisierung und Cyberterrorismus<br />

erwachsenden Gefahren noch effektiver begegnen zu<br />

können, haben die deutschen Sicherheitsbehörden ihre Beobachtungskapazitäten<br />

gebündelt. Zu Beginn des Jahres ist in Berlin das<br />

„Gemeinsame Internet Zentrum“ (GIZ) eingerichtet worden.<br />

Deutschland – im Fokus der Terroristen<br />

In den oben genannten Videobotschaften der GIMF wurde sowohl<br />

der deutschen als auch der österreichischen Regierung mit Anschlägen<br />

gedroht, sollte das militärische Engagement in Afghanistan<br />

nicht eingestellt werden. Die Drohung war mit den Vorwurf<br />

verknüpft, auf der Seite der „Kreuzfahrer“, insbesondere der Amerikaner,<br />

zu stehen.<br />

Derart begründen die Jihadisten nicht nur Anschläge auf deutsche<br />

Soldaten und die Entführung deutscher Staatsangehöriger in Afghanistan<br />

und im Irak. Auch für Aktivitäten innerhalb Deutschlands<br />

werden diese Begründungen bemüht. So wurden am 4. September<br />

im Sauerland drei mutmaßliche Anhänger der ursprünglich usbekischen,<br />

der „al-Qaida“ nahestehenden Gruppierung „Islamische Jihad<br />

Union“ (IJU) festgenommen. Angehörige dieser Gruppe hatten<br />

bereits eine ausreichende Menge explosiven Materials erworben,<br />

um damit Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen in der<br />

Bundesrepublik zu verüben. Dank der effektiven Zusammenarbeit<br />

der Sicherheitsbehörden konnte ihr terroristisches Vorhaben vereitelt<br />

werden.<br />

Ausländerextremismus<br />

153


154<br />

Ausländerextremismus<br />

Macht der Emotionen<br />

Neben politischen Motiven können auch hoch kochende Emotionen<br />

Auslöser islamistischer Anschläge sein. So gaben die beiden<br />

Libanesen, die im Juli 2006 versucht hatten, Sprengsätze in zwei<br />

deutschen Regionalzügen zu zünden, an, die Tat aus Protest gegen<br />

die im Februar 2006 in einzelnen deutschen Tageszeitungen veröffentlichten<br />

Mohammad-Karrikaturen geplant zu haben. Ihr Glaube<br />

habe sie verpflichtet, so ihre Rechtfertigung, die Verunglimpfung<br />

des Propheten Mohammad zu rächen.<br />

Die heftigen, teils gewalttätigen Reaktionen der islamischen Welt<br />

auf als Verunglimpfung der muslimischen Religion empfundene<br />

Meinungsäußerungen sind nach westlichem Verständnis kaum<br />

nachzuvollziehen.<br />

Diese Emotionalität ist dem besonderen Religionsverständnis der<br />

Muslime geschuldet, spielt doch der Glaube in ihrem Alltag in der<br />

Regel eine zentrale, identitätsstiftende Rolle. Islamkritische Äußerungen<br />

treffen einen gläubigen Muslim daher stärker, als dies<br />

westlich geprägte Menschen – gleich welcher sonstigen Religionszugehörigkeit<br />

– nachempfinden können. Islamisten missbrauchen<br />

diesen Umstand gezielt, um Emotionen zu schüren und die Gläubigen<br />

für ihre Zwecke zu mobilisieren.<br />

2.1 Islamismus in Thüringen<br />

Die überwiegende Mehrheit der Thüringer Muslime lebt ihren<br />

Glauben friedlich und im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen<br />

Grundordnung. Sie verurteilen die Anschläge auf deutsche<br />

Soldaten ebenso wie die Geiselnahmen deutscher Staatsangehöriger<br />

in Afghanistan und im Irak und bedauern, dass Extremisten das<br />

Bild des Islam in den deutschen Medien vorrangig prägen.<br />

Islamistisches Gedankengut wird in Thüringen vor allem von Gastpredigern,<br />

die ein salafitisches Glaubensverständnis vertreten,<br />

und über Broschüren verbreitet. Die Salafiya ist als islamische<br />

Reformbewegung um 1900 entstanden. Salafiten orientieren sich<br />

unmittelbar an den Aussagen und Lebensweisen des Propheten


Mohammad und seiner Zeitgenossen. Ihrer Ansicht nach erklärt<br />

sich der Islam ausschließlich aus dem Koran und der Sunna 76 . Sie<br />

suggerieren eine Unvereinbarkeit von islamischen Werten und<br />

westlichem Moralverständnis.<br />

In Thüringen organisierten örtliche Moscheevereine im Berichtszeitraum<br />

mehrfach öffentliche Veranstaltungen, bei denen bundesweit<br />

bekannte Vertreter der Salafiya als Referenten auftraten. In<br />

ihren Reden mahnten sie die Muslime, ihren Glauben und die muslimische<br />

Gemeinschaft nicht zu vernachlässigen, auch wenn dies<br />

in Deutschland seit den Anschlägen vom 11. September 2001 eine<br />

besondere Herausforderung darstelle. Ihre eloquenten Ausführungen<br />

wurden von der Mehrheit der muslimischen Zuhörer positiv<br />

aufgenommen. Wenngleich im Rahmen solcher Veranstaltungen<br />

keine hetzerischen Aufrufe bekannt wurden, gelang es dennoch,<br />

eine islamistische Einstellung zu propagieren, die das gleichwertige<br />

Miteinander von Muslimen und Andersgläubigen erschwert.<br />

Dies verdeutlicht, wie wichtig der von der Bundesregierung initiierte<br />

Dialog mit den Vertretern der muslimischen Gemeinschaft ist.<br />

Auch im Berichtszeitraum hat es entsprechende Zusammenkünfte<br />

gegeben, die dokumentieren: Der Islam hat einen Platz in der freiheitlichen<br />

demokratischen Gesellschaft. Findet die Argumentation<br />

der Islamisten, Demokratie und Islam seien gänzlich unvereinbar,<br />

hierdurch deutliche Entkräftung, wird allen interessierten Muslimen<br />

zugleich die Möglichkeit geboten, den Integrationsprozess<br />

aktiv mitzugestalten.<br />

Tabligh-i Jamaat al-Islami (TJ – Gemeinschaft für Verkündigung<br />

und Mission)<br />

Die TJ ist eine muslimische Glaubensgemeinschaft, die 1926 in Indien<br />

als islamistische Erweckungs- und Missionsbewegung durch<br />

Maulawi Muhammad ILYAS gegründet wurde. Ziel der weltweit<br />

aktiven Missionsbewegung ist, Muslime (wieder) zu einem einzig<br />

an Koran und Sunna orientierten Leben zu bewegen. Durch Missionsreisen<br />

und damit verbundene Tätigkeiten wird die Verbreitung<br />

der Lehre betrieben. Zu ihren Veranstaltungen lädt die TJ gezielt<br />

76 Gesammelte Berichte über das Leben des Propheten Mohammad.<br />

Ausländerextremismus<br />

155


156<br />

Ausländerextremismus<br />

junge Muslime aus sozial benachteiligten Milieus ein. Für die Organisation<br />

ist unerheblich, welcher Ethnie ihre Anhänger zugehören.<br />

Nicht selten haben islamistische Gewalttäter ihre extremistische<br />

Indoktrination als Anhänger der TJ erfahren.<br />

Bundesweit gehören der TJ ca. 700 Personen an. Die Mehrheit der<br />

Muslime, die in Thüringen lebt, lehnt die Lehre der TJ ab. Lediglich<br />

einige wenige praktizieren ihren Glauben nach deren Vorstellungen<br />

und gehen ihrer „Pflicht zur Missionierung“ nach, indem sie<br />

Anhänger für ihre islamistische Weltsicht zu gewinnen suchen.<br />

3. „Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA GEL)<br />

Gegründet im November 2003; nach erfolgter Auflösung<br />

des „Freiheits- und Demokratiekongresses<br />

Kurdistans“ (KADEK), der als Nachfolgeorganisation<br />

der 1978 in der Türkei gegründeten<br />

und im April 2002 aufgelösten „Arbeiterpartei<br />

Kurdistans“ (PKK) gilt.<br />

Betätigungsverbot Das vereinsrechtliche Betätigungsverbot gegen<br />

die PKK vom 26.11.1993 erstreckt sich<br />

sowohl auf den KADEK als auch auf den<br />

KONGRA GEL.<br />

Leitung Zübeyir AYDAR<br />

Publikationen<br />

Mitglieder/<br />

u. a. „SERXWEBUN“<br />

Anhänger (Bund) ca. 11.500<br />

Teilgebiet Erfurt ca. 60


3.1 Strategiewechsel, Umbenennungen,<br />

allgemeine Lage<br />

Die von Abdullah ÖCALAN 1978 in der Türkei gegründete „Arbeiterpartei<br />

Kurdistans“ (PKK) verfolgte das Ziel, einen autonomen<br />

Kurdenstaat zu erzwingen. Daher begann sie 1984, einen Guerillakrieg<br />

gegen das türkische Militär zu führen. Da von der PKK auch<br />

in der Bundesrepublik gewalttätige Aktionen ausgingen, ist 1993<br />

ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gegen sie ausgesprochen<br />

worden.<br />

Die Partei beschloss Anfang 2000 ihre grundsätzliche Neuausrichtung.<br />

Das Ziel, einen autonomen Kurdenstaat zu errichten, wurde<br />

aufgegeben. Vielmehr strebte die PKK nun an, die kulturelle Autonomie<br />

der Kurden in einer demokratischen Türkei durchzusetzen.<br />

Die noch auf ÖCALAN zurück gehende „Friedensstrategie“ wurde<br />

nach der Gründung des „Freiheits- und Demokratiekongresses Kurdistans“<br />

(KADEK) im April 2002 weiter verfolgt. Dennoch behielt<br />

sich die Organisation die Rückkehr zum bewaffneten Kampf vor,<br />

sollte sie von der türkischen Regierung angegriffen oder die kurdische<br />

Frage nicht in ihrem Sinne gelöst werden. Auf dem 8. Parteikongress<br />

erklärte die PKK im April 2002 ihre „historische Aufgabe“<br />

als erfüllt. Sie entschied, alle Aktivitäten unter dem Namen PKK<br />

einzustellen. Zur einzigen legitimen Nachfolgeorganisation wurde<br />

der KADEK bestimmt, der jedoch bereits auf seinem 2. außerordentlichen<br />

Kongress am 26. Oktober 2003 seine Auflösung beschloss.<br />

Am 15. November 2003 gab der „Volkskongress Kurdistans“ (KON-<br />

GRA GEL) auf einer Pressekonferenz seine Gründung bekannt. Zübeyir<br />

AYDAR, ehemals Mitglied des Präsidialrats des „Kurdischen<br />

Nationalkongresses“ (KNK) 77 , wurde zum Vorsitzenden der Organisation<br />

gewählt, der seit 1999 in der Türkei inhaftierte Abdullah<br />

ÖCALAN vom KONGRA GEL zur Führungspersönlichkeit des kurdischen<br />

Volkes ernannt.<br />

Im Jahre 2005 verkündete ÖCALAN die Idee des „demokratischen<br />

Konföderalismus“. Auf der 3. Generalversammlung des KONGRA<br />

77 Gegründet 1999 als Zusammenschluss 29 kurdischer Parteien und Organisationen, versteht sich als<br />

politische Kraft, die die Interessen aller Kurden in der internationalen Politik vertritt.<br />

Ausländerextremismus<br />

157


158<br />

Ausländerextremismus<br />

GEL im Mai 2005 wurde dieses Projekt von den Mitgliedern der<br />

Versammlung akzeptiert und die Gründung der „Koma Komalen<br />

Kurdistans“ (KKK) 78 beschlossen. Der KONGRA GEL selbst definierte<br />

sich als höchsten demokratischen Volkswillen und als „Gesetzgebende<br />

Versammlung“. Mit der KKK wurde ein vermeintlich<br />

neues politisches Konzept vorgestellt, in dem der „demokratische<br />

Konföderalismus Kurdistans“ kein Staatensystem, sondern das demokratische<br />

System des Volkes“ darstelle. Auch die KKK propagierte<br />

eine gewaltfreie Lösung der „gesellschaftlichen Probleme“,<br />

berief sich jedoch ebenfalls auf ihr legitimes Recht zur Selbstverteidigung.<br />

Auf der 5. Vollversammlung des KONGRA GEL, die vom 16. bis<br />

22. Mai in den Kandil-Bergen im Nordirak stattfand, wurde einstimmig<br />

die Umbenennung der KKK in „Koma Civaken Kurdistan“<br />

(KCK) 79 beschlossen. Mit dieser Umbenennung solle das „Gesellschafts-,<br />

Demokratie- und demokratische Nationalverständnis“<br />

der Organisation noch stärker zum Ausdruck gebracht werden. Im<br />

Rahmen des Kongresses wurde Zübeyir AYDAR erneut zum Vorsitzenden<br />

des KONGRA GEL gewählt.<br />

3.2 Themenschwerpunkte<br />

Angebliche Vergiftung ÖCALANS<br />

Am 1. März wurde in Rom während einer Pressekonferenz von<br />

ROJ-TV 80 das Ergebnis einer Haaranalyse ÖCALANS bekannt gegeben.<br />

Demzufolge zeige ÖCALAN Anzeichen einer chronischen<br />

Vergiftung durch Schwermetallverbindungen. Die Verantwortung<br />

für die vermutete hochgradige Lebensgefährdung ÖCALANS, so<br />

dessen Anwälte, trage die türkische Regierung. Europaweit kam es<br />

daraufhin zu überwiegend friedlichen Demonstrationen der KON-<br />

GRA GEL-Anhänger. Zu einer Großkundgebung in Straßburg fanden<br />

sich am 12. Mai 15.000 Teilnehmer, darunter Kurden aus dem<br />

gesamten Bundesgebiet, ein.<br />

78 „Konföderation der kurdischen Gemeinschaften“.<br />

79 „Zusammenschluss der Kommunen Kurdistans“.<br />

80 KONGRA GEL-naher Nachrichtensender, der am 1. März 2004 seinen Sendebetrieb aufnahm.


Auseinandersetzungen im türkisch-irakischen Grenzgebiet<br />

Das türkische Parlament hatte die Regierung der Türkei mit Beschluss<br />

vom 17. Oktober ermächtigt, grenzüberschreitende Militärschläge<br />

gegen die vom KONGRA GEL im Nord-Irak unterhaltene Guerilla<br />

durchzuführen. Seitdem ist die Präsenz des türkischen Militärs in der<br />

Grenzregion deutlich verstärkt worden. Bei den vermehrten Auseinandersetzungen<br />

zwischen Militär und Guerilla hat es bereits Tote<br />

und Verletzte gegeben. Sowohl die irakische Regierung, als auch<br />

die nord-irakische Regionalregierung erachten grenzüberschreitende<br />

Maßnahmen des türkischen Militärs als illegal. Diese entbehrten<br />

jeglicher gesetzlichen Grundlage, stellten eine Verletzung der Souveränität<br />

des Irak dar und verstießen gegen internationales Recht.<br />

Der KONGRA GEL hatte daraufhin seine Anhängerschaft auch<br />

außerhalb der Türkei zu Reaktionen aufgerufen. Der Aufforderung<br />

wurde mit deutschland- und europaweiten Protestveranstaltungen,<br />

zu denen auch Kurden aus Thüringen anreisten, entsprochen.<br />

3.3 Organisatorische Situation<br />

Die „Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in<br />

Europa“ (CDK), die im Juni 2004 aus der „Kurdischen Demokratischen<br />

Volksunion“ (YDK) hervorgegangen ist, plant die Aktivitäten,<br />

die der KONGRA GEL in Europa entfaltet.<br />

Nach dem 4. ordentlichen Kongress der CDK vom 27. Mai bis<br />

1. Juni in Rimini (Italien) wurde u.a. die Neuausrichtung der Organisationsstruktur<br />

für Deutschland beschlossen. Die bisherige Einteilung<br />

Deutschlands in drei Serits (Sektoren) – Nord, Mitte und Süd<br />

– wurde aufgehoben. Im Gegenzug sei auf oberster CDK-Führungsebene<br />

künftig ein für Deutschland verantwortlicher Funktionär angebunden.<br />

Unter Beibehaltung der bisherigen Gebietsaufteilung<br />

solle Deutschland fortan in sieben so genannte Eyalets (Regionen)<br />

gegliedert sein. Vorgaben und Anordnungen würden weiterhin entsprechend<br />

der hierarchischen Struktur an die Basis durchgestellt. In<br />

der Regel werden sie durch die etablierten örtlichen Vereine, in denen<br />

die Anhänger des KONGRA GEL großenteils organisiert sind,<br />

umgesetzt. Jene Vereine sind dem Dachverband „Föderation kurdischer<br />

Vereine in Deutschland e.V.“ (YEK-KOM) angeschlossen.<br />

Ausländerextremismus<br />

159


160<br />

Ausländerextremismus<br />

3.4 Finanzierung<br />

Den Hauptanteil ihrer Einnahmen erzielt die Organisation im Rahmen<br />

der jährlich unter ihren Anhängern in ganz Europa durchgeführten<br />

Spendenkampagne. Geldmittel gewinnt die Partei zusätzlich<br />

aus dem Verkauf ihrer Publikationen, den monatlichen<br />

Beiträgen ihrer Mitglieder und aus Gewinnen, die sie bei ihren<br />

Veranstaltungen erwirtschaftet. Die Geldmittel werden hauptsächlich<br />

zur Finanzierung des Propagandaapparates, der Führungskräfte<br />

und der Guerilla-Einheiten in den Kampfgebieten verwendet.<br />

Die Einnahmen der Organisation sind tendenziell rückläufig.<br />

3.5 Propagandamittel und Veranstaltungen<br />

Der KONGRA GEL nutzte auch im Berichtszeitraum den über Satellit<br />

zu empfangenden Fernsehsender „ROJ-TV“ sowie diverse Publikationen,<br />

um politische Erklärungen, Interviews von Führungskräften<br />

und Veranstaltungshinweise öffentlichkeitswirksam zu verbreiten.<br />

Die seit 2003 registrierte Internetpräsenz des KONGRA GEL wurde<br />

im Oktober nach fast zweijähriger Unterbrechung wieder aktiviert.<br />

Mit verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen in Deutschland<br />

und Europa versuchte der KONGRA GEL auch im Berichtszeitraum,<br />

seine Ansichten und Ziele propagandistisch zur Geltung zu<br />

bringen. Thematische Schwerpunkte bildeten wiederum die Forderung,<br />

die politische und kulturelle Identität der Kurden in der Türkei<br />

anzuerkennen, sowie die Haftbedingungen, denen der „kurdische<br />

Volksführer“ Abdullah ÖCALAN ausgesetzt ist. Wie im Jahr


zuvor gelang es der Organisation auch im Berichtszeitraum, für<br />

traditionelle Großveranstaltungen, die entweder in den westlichen<br />

Bundesländern oder im europäischen Ausland stattfanden, jeweils<br />

tausende Anhänger zu mobilisieren.<br />

Großveranstaltungen wie die am 10. Februar in Straßburg anlässlich<br />

des Jahrestags der Festnahme ÖCALANS durchgeführte Kundgebung,<br />

die zentrale Newroz-Feier am 18. März in Berlin oder das<br />

„15. Internationale Kurdistan-Kulturfestival“ am 1. September in<br />

Gelsenkirchen zogen zwischen 15.000 bis 40.000 Sympathisanten<br />

an. Dazu zählten regelmäßig auch aus Thüringen angereiste<br />

Anhänger des KONGRA GEL.<br />

3.6 Der KONGRA GEL in Thüringen<br />

Die einzige in Thüringen etablierte Struktur des KONGRA GEL<br />

stellt unverändert das Teilgebiet Erfurt dar. Es ist dem Gebiet Kassel<br />

organisatorisch angeschlossen und umfasst neben dem Großraum<br />

Erfurt auch Teile West- und Südwestthüringens. Das Teilgebiet Erfurt<br />

zählt wie im Vorjahr ca. 60 Mitglieder/Sympathisanten.<br />

Als Mitgliedsverein der YEK-KOM organisierte der „Kurdisch-Deutsche<br />

Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ auch im Jahr 2007 die Teilnahme<br />

an verschiedenen bundesweiten und regionalen Veranstaltungen<br />

und Aktionen des Dachverbands. In Thüringen selbst fanden kaum<br />

öffentlichkeitswirksame Aktionen statt. Einzelne interne Veranstaltungen<br />

zielten traditionell darauf ab, die aktuelle Lage der Kurden in den<br />

Siedlungsgebieten des Nordirak und im Südosten der Türkei bewusst<br />

zu machen und die Forderungen des KONGRA GEL zu bekräftigen.<br />

Neuer Vorstand im „Kurdisch-Deutschen Freundschaftsverein<br />

Erfurt e.V.“<br />

Im Rahmen einer Mitgliederversammlung führte der „Kurdisch-<br />

Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ am 15. April die Neuwahl<br />

seines Vorstandes durch. Seit dem 10. Mai wird Yilmaz<br />

GÜNDÜZGIDEN im Vereinsregister beim Amtsgericht Erfurt als<br />

Vorsitzender des Vereins geführt.<br />

Ausländerextremismus<br />

161


162<br />

Ausländerextremismus<br />

Der „Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ war am<br />

10. August 1999 gegründet und am 25. April 2000 im Vereinsregister<br />

eingetragen worden. Er zählt zu den gegenwärtig ca. 60 Mitgliedsvereinen<br />

der YEK-KOM in der Bundesrepublik.<br />

Newroz-Fest am 21. März in Erfurt<br />

Am 21. März schlossen sich in Erfurt etwa 60 Kurden aus Anlass<br />

des Newroz-Festes einem Demonstrationszug an, den der „Kurdisch-Deutsche<br />

Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ organisiert hatte.<br />

Die Demonstranten zogen vom Domplatz durch die Innenstadt bis<br />

hin zum Anger, wo die Veranstaltung mit musikalischen Darbietungen<br />

und Tänzen beendet wurde. Die Teilnehmer führten Bildnisse<br />

Abdullah ÖCALANs und Transparente mit, die Parolen wie<br />

„Newroz heißt Widerstand und Widerstand heißt Freiheit!“ wiedergaben.<br />

Alljährlich begehen die Kurden in der ganzen Welt traditionell<br />

ihr Neujahrsfest „Newroz“, das sie als Symbol für den kurdischen<br />

Freiheitskampf verstehen. Die Kurden verbinden das Fest mit der<br />

Forderung, die kurdische Frage politisch zu lösen.<br />

Reaktionen des KONGRA GEL auf den Anschlag in Shengal<br />

(Nord-Irak)<br />

Meldungen des KONGRA GEL-nahen Nachrichtensenders „ROJ-<br />

TV“ vom 17. August zufolge fanden in Kassel und Erfurt „Volksversammlungen“<br />

statt, auf denen der Anschlag vom 14. August in der<br />

Region Shengal (Nord-Irak) als „Blutbad“ und „Massaker“ verurteilt<br />

wurde. Als Reaktion auf den Anschlag, bei dem nach Angaben der<br />

„Yeni Özgür Politika“ (YÖP) ca. 500 Menschen – hauptsächlich<br />

Yeziden 81 – ums Leben kamen, wurden in ganz Europa, insbesondere<br />

in Deutschland, zahlreiche Protestaktionen durchgeführt. Die<br />

größte Kundgebung mit ca. 6.000 kurdischstämmigen Teilnehmern<br />

fand am 18. August in Hannover statt.<br />

81 Angehörige einer unter Kurden verbreiteten Religionsgemeinschaft (Minderheit) – unter Muslimen auch<br />

als „Teufelsanbeter“ bezeichnet.


In mehreren Erklärungen des KONGRA GEL wurde der als Massaker<br />

bezeichnete Anschlag verurteilt. Der Vorsitzende des KON-<br />

GRA GEL, Zübeyir AYDAR, soll von einer „ethnischen Säuberung“,<br />

deren Ziel es sei, die Kurden aus diesem Gebiet zu vertreiben, gesprochen<br />

haben. KONGRA GEL-nahe Organisationen verwiesen<br />

nach Angaben der YÖP darauf, dass das Massaker im Zusammenhang<br />

mit dem für das Jahresende geplanten Kirkuk-Referendum<br />

stehe. 82 Im Internet bekannte sich die bisher nicht in Erscheinung<br />

getretene Organisation „Türk Intikam Birligi“ (Türkische Racheeinheiten<br />

– TIB) zu dem Anschlag.<br />

Kurden feiern den 29. Gründungstag der PKK in Erfurt<br />

Der „Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V.“, meldete<br />

für den 24. November ein Konzert unter dem Motto „Kurdische<br />

Kulturveranstaltung Musik + Tanzen“ in Erfurt an. Im Vorfeld wurde<br />

in der YÖP und über den Fernsehsender „ROJ-TV“ unter dem Motto<br />

„Wir gratulieren dem kurdischen Volk zum 29. Gründungstag<br />

der PKK!“ 83 für die Veranstaltung in Erfurt geworben. Durch die<br />

Stadt Erfurt war ein Auflagenbescheid erlassen worden, der jegliche<br />

politischen Bezüge zur PKK untersagte.<br />

An der Feierlichkeit nahmen ca. 150 bis 200 Personen, überwiegend<br />

in Thüringen ansässige Kurden, teil. Nach einer Schweigeminute<br />

„für die Märtyrer des kurdischen Befreiungskampfes“ meldeten<br />

sich der KNK-Vorsitzende Ali YIGIT sowie ein Vertreter der<br />

YEK-KOM mit Redebeiträgen zu Wort. Darüber hinaus wurden<br />

folkloristische und musikalische Beiträge verschiedener kurdischer<br />

Künstler dargeboten.<br />

82 Die Bewohner des Nord-Irak sollen in einem Referendum entscheiden, ob die wirtschaftlich gut entwickelte<br />

Provinz Kirkuk mit ihren Ölvorkommen der autonomen Region Irakisch-Kurdistan zugeschlagen<br />

wird. Vor allem irakische Sunniten, aber auch die Nachbarstaaten des Irak befürchten ein Erstarken der<br />

Kurden, das in neue Forderungen nach einem eigenen kurdischen Staat münden könnte.<br />

83 Die „Partiya Karkeren Kurdistans“ (PKK) wurde am 27. November 1978 unter Führung von Abdullah<br />

ÖCALAN in der Türkei gegründet.<br />

Ausländerextremismus<br />

163


164<br />

Scientology-Organisation<br />

V. Scientology-Organisation (SO)<br />

1. Gesetzliche Grundlagen für die Beobachtung<br />

Die SO in Deutschland wird seit 1997 durch die Verfassungsschutzbehörden<br />

des Bundes und der Mehrheit der Länder beobachtet.<br />

Die Beobachtung gründet auf der Feststellung der Ständigen<br />

Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK)<br />

vom 5./6. Juni 1997, der zufolge in Bezug auf die SO tatsächliche<br />

Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische<br />

Grundordnung bestehen.<br />

Die SO ist seit Jahren bestrebt, sich als Glaubensgemeinschaft darzustellen,<br />

die sich auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen<br />

Grundordnung bewegt. Hierzu werden von der Organisation<br />

– mit unterschiedlichem Erfolg – auch fortwährend die Gerichte<br />

bemüht. Die „Scientology Kirche Deutschland e.V.“ (SKD) und die<br />

„Scientology Kirche Berlin e.V.“ (SKB) hatten 2003 beim VG Köln<br />

gegen die nachrichtendienstliche Beobachtung durch das Bundesamt<br />

für Verfassungsschutz (BfV) Klage erhoben, die mit dem Urteil<br />

vom 11. November 2004 in vollem Umfang abgewiesen wurde.<br />

Das Gericht traf die Feststellung, dass tatsächliche Anhaltspunkte<br />

für Bestrebungen der SO vorliegen, die gegen die freiheitliche demokratische<br />

Grundordnung gerichtet sind, und somit die weitere<br />

Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden gerechtfertigt<br />

ist. In dem von der SO daraufhin angestrengten Berufungsverfahren<br />

vor dem Oberverwaltungsgericht Münster ist dieses Urteil im<br />

Februar 2008 bestätigt worden. Eine Revision wurde nicht zugelassen.<br />

Die hiergegen eingereichte Beschwerde zog die SO im Mai<br />

zurück.<br />

Die Verfassungsfeindlichkeit der SO war bereits anlässlich der am<br />

6./7. Dezember in Berlin tagenden IMK bestätigt worden. Präventionsmaßnahmen<br />

gelte es zu intensivieren, aber auch im Hinblick<br />

auf ein anzustrebendes vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren<br />

sollten die Verfassungsschutzbehörden ihre Aktivitäten zur Erkenntnisgewinnung<br />

verstärken, hieß es im Ergebnis.


2. Organisationsstruktur<br />

Die SO wurde 1954 von dem US-amerikanischen Science-Fiction-<br />

Autor Lafayette Ronald HUBBARD (1911–1986) in den USA gegründet.<br />

1982 übernahm offiziell David MISCAVIGE die Leitung<br />

der Organisation. Sie verfügt weltweit über 100.000 bis 120.000<br />

Anhänger, davon etwa 5.000 bis 6.000 in Deutschland.<br />

Das Machtzentrum der SO ist das „Religious Technology Center“<br />

(RTC) 84 in Los Angeles, welches eine strikte Befehls- und Disziplinargewalt<br />

über die weltweit ansässigen SO-Niederlassungen ausübt.<br />

Das RTC besitzt die Urheberrechte und Warenzeichen der Werke<br />

HUBBARDs und überwacht deren Verwendung. Die ebenfalls in<br />

Los Angeles ansässige „Church of Scientology International“ (CSI)<br />

ist als oberste Managementzentrale der Organisation zu verstehen.<br />

Von dort aus werden die Befehle an die jeweiligen „Kontinentalen<br />

Verbindungsbüros“ (Continental Liason Offices) weitergegeben.<br />

Das für Europa zuständige „Office“ befindet sich in Kopenhagen.<br />

In Deutschland existieren derzeit 14 „Missionen“, acht „Kirchen“, so<br />

genannte Orgs, und zwei „Celebrity Centers“ (CCs). Bei den „Missionen“<br />

handelt es sich um Basisorganisationen, die einführende<br />

Dienste anbieten. Die „Orgs“ stellen darüber hinaus ein breiteres<br />

Angebot an Kursen, insbesondere zum „Auditing“ – der maßgeblichen<br />

Psychotechnik, mit der Menschen in das System Scientology<br />

hineingezogen werden – zur Verfügung. In den CCs werden mit<br />

eben jenen Diensten ausschließlich Prominente (Persönlichkeiten<br />

des Sports, Künstler und Geschäftsleute) betreut, um diese später<br />

als Imageträger und Propagandisten für Scientology einzusetzen.<br />

Zudem verfügt die SO mit dem „Office of Special Affairs“ (OSA)<br />

auch in Deutschland über einen organisationseigenen Nachrichtendienst,<br />

welcher zur Ausforschung von Kritikern und Gegnern eingesetzt<br />

wird und u. a. an der Umsetzung repressiver Maßnahmen<br />

gegen diese beteiligt ist. Die SO ist bemüht, ihre organisatorischen<br />

Strukturen und politischen Ziele nach außen zu verschleiern.<br />

Mit der repräsentativen Eröffnungsfeier eines SO-Komplexes am<br />

13. Januar in Berlin hat sich die Organisation neben Brüssel, London<br />

und Madrid in einer weiteren europäischen Hauptstadt ima-<br />

84 Vorsitzender des Vorstands des RTC ist MISCAVIGE.<br />

Scientology-Organisation<br />

165


166<br />

Scientology-Organisation<br />

geträchtig niedergelassen. Für die Organisation steht dabei offenbar<br />

die Möglichkeit der politischen Einflussnahme auf Regierung<br />

und Parlament im Vordergrund. Die Berliner „Org“ stellt allerdings<br />

keine „Deutschlandzentrale“ der SO dar. Ebenso wenig kann von<br />

einer Verwaltungszentrale – vergleichbar der „Scientology Kirche<br />

Deutschland“ – gesprochen werden, da SO-Niederlassungen in<br />

Deutschland an das „Office“ in Kopenhagen angebunden sind.<br />

3. SO in Thüringen<br />

Niederlassungen der SO existieren im Freistaat nicht.<br />

Im Berichtszeitraum wurden an öffentliche Stellen in Thüringen<br />

Werbematerialien der „Volunteer Ministers“ übersandt. Das Info-<br />

Material umfasste eine DVD, ein Werbeheft der Organisation sowie<br />

diverse Flyer, u. a. mit Hinweisen zu SO-Workshops. Die Unterlagen<br />

waren in den USA abgesandt worden.<br />

Bei den „Volunteer Ministers“ handelt es sich um so genannte Ehrenamtliche<br />

Geistliche, die vorwiegend in zeitlicher Nähe zu katastrophalen<br />

Ereignissen präsent sind und versuchen, Kontakt mit<br />

Betroffenen, Trauernden oder auch Hinterbliebenen aufzunehmen.<br />

In Thüringen sind sie anlässlich des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium<br />

2002 in Erscheinung getreten. 85<br />

Die weiteren Aktivitäten der SO in Thüringen beschränken sich auf<br />

das gelegentliche Versenden von Broschüren und Informationsmaterialien<br />

an öffentliche Einrichtungen und Privatpersonen. Derartige<br />

Maßnahmen gehen jeweils von SO-Niederlassungen außerhalb<br />

Thüringens aus.<br />

85 Siehe Verfassungsschutzbericht des Freistaats Thüringen 2002.


VI. Ereigniskalender<br />

extremistischer Bestrebungen in Thüringen<br />

Termin Ereignis<br />

5. Januar Informationsstand des NPD-Kreisverbands<br />

Wartburgkreis in Eisenach<br />

13. Januar Rechtsextremistisches Konzert in Neustadt (Orla)<br />

13. Januar Mahnwache des NPD-Kreisverbands Gotha in<br />

Gotha<br />

27. Januar Rechtsextremistisches Konzert in Langenschade<br />

verhindert<br />

31. Januar Rechtsextremistisches Konzert in Altenburg<br />

aufgelöst<br />

2. Februar Gründung des JN-Stützpunkts Weimar<br />

3. Februar Rechtsextremistisches Konzert in Gotha aufgelöst<br />

9. Februar Informationsstand des NPD-Kreisverbands<br />

Erfurt-Sömmerda in Erfurt<br />

9. Februar Autonome beteiligen sich an Protesten gegen<br />

den Informationsstand des NPD-Kreisverbands<br />

Erfurt-Sömmerda in Erfurt<br />

10. Februar Mahnwache des NPD-Kreisverbands Gotha in<br />

Gotha<br />

10. Februar „Landesjugendtag“ des JN-Landesverbands in<br />

Kleindernbach<br />

10. Februar Mitgliederversammlung des NPD-Kreisverbands<br />

Hildburghausen-Suhl mit Auftritten rechtsextremistischer<br />

Bands<br />

23. Februar Parteipolitische Veranstaltung des NPD-Kreisverbands<br />

Gotha in Finsterbergen<br />

24. Februar „Kaffeefahrt“ des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis<br />

1., 4., 7. März Solidaritätsaktionen des linksextremistischen<br />

Spektrums in Weimar, Erfurt und Meiningen<br />

anlässlich der Räumung des Szeneobjekts<br />

„Ungdomshuset“ in Kopenhagen (Dänemark)<br />

Ereigniskalender<br />

167


168<br />

Ereigniskalender<br />

4. März Jahreshauptversammlung des NPD-Kreisverbands<br />

Unstrut-Hainich/Eichsfeld<br />

10. März Rechtsextremistisches Konzert in Brotterode<br />

aufgelöst<br />

10. März IV. Verbandstag des „Kommunistischen Jugendverbands<br />

Deutschlands“ (KJVD) in Erfurt<br />

15. März Spontankundgebung von Rechtsextremisten in<br />

Erfurt<br />

16. März Spontankundgebung von Rechtsextremisten in<br />

Erfurt<br />

21. März „Kurdisch-Deutscher Freundschaftsverein Erfurt<br />

e.V.“ veranstaltet anlässlich des Newroz-Festes<br />

Demonstration in Erfurt<br />

22. März Mahnwache des NPD-Landesverbands Thüringen<br />

in Erfurt<br />

28. März Informationsstand des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />

Sömmerda in Erfurt<br />

30. März Jahreshauptversammlung des NPD-Kreisverbands<br />

Gotha in Finsterbergen<br />

31. März Parteiversammlung des NPD-Kreisverbands Hildburghausen-Suhl<br />

mit musikalischer Umrahmung<br />

31. März Saalveranstaltung des Vereins „Deutsch-Russische<br />

Friedensbewegung Europäischen Geistes<br />

e.V.“ in Hildburghausen<br />

5. April Informationsstand des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />

Sömmerda in Erfurt<br />

11. April Spontankundgebung von Rechtsextremisten in<br />

Weimar<br />

14. April Rechtsextremistisches Konzert in Hildburghausen<br />

aufgelöst<br />

20.–22. April Seminar des „Collegium Humanum e.V.“ (CH) in<br />

Mosbach<br />

21. April Gründung des NPD-Kreisverbands Greiz<br />

27. April Saalveranstaltung des NPD-Landesverbands<br />

Thüringen in Wildeck- Obersuhl (Hessen)<br />

April – Juli Informationsstände des NPD-Kreisverbands<br />

Wartburgkreis


1. Mai „1. Mai-Demonstration“ der NPD in Erfurt /<br />

Autonome beteiligen sich an Gegenveranstaltung<br />

1. Mai Demonstrationen NPD/Neonazis in Gotha und<br />

Apolda<br />

1.– 31. Mai Mahnwachen des NPD-Kreisverbands<br />

Saale-Orla-Kreis<br />

5. Mai Gründung des NPD-Kreisverbands Eichsfeld<br />

4. – 6. Mai „Tage Deutscher Gemeinschaft“ der neonazistischen<br />

Organisation „Die Deutsche<br />

Freiheitsbewegung e.V. – Der Bismarck<br />

Deutsche“ in Nordthüringen<br />

8. Mai Informationsstand und Mahnwache des<br />

NPD-Kreisverbands Erfurt-Sömmerda und des<br />

JN-Stützpunkts in Erfurt<br />

8. Mai Veranstaltungen und Aktionen von NPD, JN<br />

und Neonazis in Apolda, Erfurt, Jena und Mühlhausen<br />

zum Ende des II. des Weltkriegs 1945<br />

14. Mai Spontandemonstration der NPD und JN vor dem<br />

Thüringer Landtag<br />

18. Mai Rechtsextremistisches Konzert in Arnstadt-<br />

Rudisleben aufgelöst<br />

19. Mai –<br />

14. Juli<br />

Mitgliederkampagne der NPD in Thüringen mit<br />

über 40 Kundgebungen und ca. 60 Informationsständen<br />

19. Mai „6. Thüringentag der nationalen Jugend“ in<br />

Eisenach<br />

19. Mai Rechtsextremistisches Konzert in Erfurt-<br />

Möbisburg verhindert<br />

24. Mai „Politisches Familienfest“ der NPD in Apolda<br />

31. Mai Mahnwache der JN in Erfurt<br />

Mai – Juni Informationsstände der NPD-Kreisverbände<br />

Hildburghausen-Suhl, Gera, Altenburger Land<br />

Mai – Juli Beteiligung der „Antifaschistischen Gruppe<br />

Südthüringen“ an der Kampagne „… den Wald<br />

vor lauter Bäumen nicht?! Nazistrukturen abholzen,<br />

den rechten Konsenz brechen“<br />

Ereigniskalender<br />

169


170<br />

Ereigniskalender<br />

1.– 2. Juni Jahreshauptversammlung des „Deutschen<br />

Kollegs“ in Mosbach<br />

9., 12.,<br />

16. Juni<br />

Beteiligung von Linksextremisten an Protestaktionen<br />

gegen Veranstaltungen der NPD in<br />

Arnstadt, Gotha, Weimar und Meiningen<br />

16. Juni Rechtsextremistisches Konzert in Breitungen<br />

aufgelöst<br />

25. Juni Kundgebung des NPD-Kreisverbands Gotha<br />

27. Juni Kundgebung von Rechtsextremisten in Altenburg<br />

30. Juni NPD-Veranstaltung „Rock für Deutschland“ in<br />

Gera<br />

30. Juni Eröffnung des „Bürgerbüros“ des NPD-Kreisverbands<br />

Erfurt-Sömmerda in Erfurt<br />

7. Juli Kundgebung des NPD-Kreisverbands Nordhausen-Kyffhäuserkreis<br />

in Sondershausen<br />

7. Juli NPD-Veranstaltung in Greiz<br />

12. – 15. Juli Informationstour der stellvertretenden Vorsitzenden<br />

der „Kommunistischen Union der Jugend der<br />

Tschechischen Republik“ (KSM) zu dem Verbot<br />

und der politischen Arbeit des Jugendverbands<br />

14. Juli „Wikingerfest“ der rechtsextremistischen Szene<br />

bei Crawinkel<br />

14. – 31. Juli Sommercamp des MLPD-Jugendverbands<br />

„REBELL“ in Truckenthal<br />

19. – 20. Juli Mahnwachen des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />

Sömmerda in Sömmerda<br />

20. Juli Beteiligung Autonomer an der Demonstration<br />

„make some noise against facism 100 % – Antifa,<br />

100 % – Happiness“ in Erfurt<br />

25. Juli Kundgebung der rechtsextremistischen Szene in<br />

Erfurt<br />

28. Juli Landesmitgliederversammlung der KPF Thüringen<br />

2. – 31.<br />

August<br />

Mahnwachen des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />

Sömmerda in Sömmerda<br />

5. August „Antifaschistische Gedenkfeier“ anlässlich des<br />

25. Jahrestags der MLPD-Gründung im<br />

ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald


16. August Mahnwache des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />

Sömmerda in Erfurt<br />

17. August Mahnwache der JN in Erfurt<br />

17. August Neonazidemonstration in Altenburg<br />

18. August NPD-Demonstration in Jena<br />

18. August Beteiligung von Linksextremisten an Protesten<br />

gegen die NPD-Demonstration in Jena<br />

18. August Neonazitreffen in Weimar aufgelöst<br />

18. August Saalveranstaltung von DKP, KPD und KPF<br />

Thüringen in Weimar anlässlich des Jahrestags<br />

der Ermordung Ernst THÄLMANNs<br />

26. August Gründung des NPD-Kreisverbands Nordhausen<br />

in Nordhausen<br />

7. September Pressekonferenz von Rechtsextremisten in Jena<br />

8. September „2. Fest der Völker“ in Jena<br />

8. September Beteiligung von Autonomen an Protestaktionen<br />

gegen das „2. Fest der Völker“ in Jena<br />

13.– 20. Mahnwachen des NPD-Kreisverbands<br />

September Erfurt-Sömmerda in Sömmerda<br />

15. September Kundgebung des NPD-Kreisverbands<br />

Wartburgkreis in Wutha-Farnroda<br />

15. September Parteiveranstaltung des NPD-Kreisverbands<br />

Hildburghausen-Suhl in Stressenhausen mit<br />

Auftritten rechtsextremistischer Bands<br />

22. September Saalveranstaltung des NPD-Kreisverbands Gotha<br />

in Finsterbergen<br />

22. September Informationsstand des NPD-Kreisverbands Gotha<br />

in Gotha<br />

29. September Rechtsextremistisches Konzert in Neustadt (Orla)<br />

29. September Kundgebung des NPD-Kreisverbands<br />

Nordhausen in Nordhausen<br />

29. September Liederabend der rechtsextremistischen Szene in<br />

Schmiedefeld (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt)<br />

2. Oktober Informationsstände des NPD-Kreisverbands<br />

Gotha in Gotha und Waltershausen<br />

Ereigniskalender<br />

171


172<br />

Ereigniskalender<br />

5.–7. Oktober Seminar des „Collegium Humanum e.V.“ (CH)<br />

in Mosbach<br />

6. Oktober Vermummte besetzen das ehemalige Kaufhaus<br />

Horten in Jena<br />

12.–14.<br />

Oktober<br />

15.–26.<br />

Oktober<br />

„Tage Deutscher Gemeinschaft“ der<br />

„Deutschen Freiheitsbewegung e.V. –<br />

Der Bismarck Deutsche“ in Nordthüringen<br />

Mahnwachen des NPD-Kreisverbands<br />

Erfurt-Sömmerda in Sömmerda<br />

25. Oktober Mahnwache des NPD-Kreisverbands Erfurt-<br />

Sömmerda in Kölleda<br />

26. Oktober NPD-Kundgebung in Gera<br />

27. Oktober Beteiligung Autonomer an „antifaschistischer<br />

Kaffeefahrt“ durch Thüringen<br />

2.–30.<br />

November<br />

Mahnwachen des NPD-Kreisverbands<br />

Erfurt-Sömmerda in Sömmerda<br />

4. November NPD-Kundgebung in Gera<br />

4. November „4. Herbstfest“ des „Nationalen Widerstandes<br />

Jena“<br />

9. November Kundgebung des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis<br />

und des NPD-Landesverbands Hessen in<br />

Vacha<br />

9. November „Braunes Haus“ Jena begeht fünfjähriges<br />

Bestehen<br />

10. November Saalveranstaltung des NPD-Kreisverbands Gotha<br />

in Finsterbergen<br />

17. November Saalveranstaltung der rechtsextremistischen<br />

Szene in Finsterbergen<br />

18. November Veranstaltungen der NPD und der Neonaziszene<br />

zum Volkstrauertag in Friedrichroda, Oberhof/<br />

Schmücke, Gera, Haina, Greiz, Sömmerda,<br />

Eisenach, Erfurt, Weimar, Altenburg, Zella-<br />

Mehlis, Leinefeld, Bad Salzungen, Schleusingen,<br />

Hildburghausen, Dillstädt, Kleinschmalkalden,<br />

Manebach, Suhl, Marisfeld


1. Dezember Feier der rechtsextremistischen Szene in<br />

Erfurt-Möbisburg<br />

3. Dezember Verteilaktion einer von NPD und JN herausgegebenen<br />

„Schulhof-CD“ vor einer Schule in<br />

Erfurt<br />

8. Dezember NPD-Landesparteitag in Fröbitz<br />

21.–22.<br />

Dezember<br />

Wintersonnenwendfeiern der rechtsextremistischen<br />

Szene an verschiedenen Orten in<br />

Thüringen<br />

Ereigniskalender<br />

173


174<br />

Organisierte Kriminalität<br />

1. Aufgaben des Verfassungsschutzes<br />

Durch das Gesetz zur Änderung des Polizei- und Sicherheitsrechts<br />

vom 28. Juni 2002 wurde dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz<br />

(TLfV) die Aufgabe übertragen, Bestrebungen und<br />

Tätigkeiten der OK im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu beobachten.<br />

Neben dem TLfV nahmen im Berichtszeitraum die Verfassungsschutzbehörden<br />

in Bayern, Hessen und im Saarland einen<br />

entsprechenden Beobachtungsauftrag wahr.<br />

Unter OK ist gemäß § 2 Abs. 4 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes<br />

(ThürVSG) die von Gewinn- und Machtstreben bestimmte<br />

planmäßige Begehung von Straftaten zu verstehen, die einzeln<br />

oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung<br />

sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder<br />

unbestimmte Dauer arbeitsteilig<br />

1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen<br />

oder<br />

2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung<br />

oder<br />

3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder<br />

Wirtschaft<br />

tätig werden.<br />

VII. Organisierte Kriminalität (OK)<br />

Dem TLfV obliegt es in einem besonderen Maße, die freiheitliche<br />

demokratische Grundordnung zu bewahren und zu schützen.<br />

Auch in Bezug auf die OK ist der Verfassungsschutz verpflichtet,<br />

frühzeitig auf Gefahren, die von ihr ausgehen, hinzuweisen.<br />

Dieser originären Aufgabe kommt der Verfassungsschutz insofern<br />

nach, als er bereits im Vorfeld Informationen auf dem Gebiet der<br />

OK aus unterschiedlichen Quellen – auch mit nachrichtendienstlichen<br />

Mitteln – sammelt, sich abzeichnende Entwicklungen und<br />

Zusammenhänge rechtzeitig erkennt und Beobachtungskonzepte<br />

für die Zukunft entwirft.


2. Beobachtungsschwerpunkte<br />

Die Ermittlungsarbeit konzentrierte sich im Berichtszeitraum auf<br />

die Rotlichtkriminalität, kriminelle Rockergruppierungen und die<br />

asiatische organisierte Kriminalität.<br />

Ein mafiöse Hintergründe offenbarendes Gewaltverbrechen an einem<br />

in Duisburg ansässigen italienischen Restaurantbetreiber und<br />

einigen seiner Beschäftigten war Anlass, Ermittlungen zu etwaigen<br />

Strukturen der italienischen organisierten Kriminalität in Thüringen<br />

aufzunehmen.<br />

Rotlichtkriminalität<br />

Der Prostitution wird vor allem in den größeren Städten Thüringens<br />

nachgegangen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um so<br />

genannte Wohnungsprostitution, die meist straff organisiert ist und<br />

zentral gesteuert wird. Daneben werden in Thüringen Bordelle betrieben,<br />

die teils als Nachtbars, Massagestudios, FKK- oder Swingerclubs<br />

getarnt sind. Häufig werden Frauen unter Vortäuschung<br />

falscher Tatsachen aus ihren Heimatländern in das Bundesgebiet<br />

geschleust und später unfreiwillig in Szeneeinrichtungen beschäftigt.<br />

Das Milieu bietet darüber hinaus einen Nährboden für Kriminalitätsformen<br />

verschiedener Art. Trotz Zersplitterung war die Thüringer<br />

Rotlichtszene auch im zurückliegenden Jahr von Wachstum<br />

und erheblichen Umsätzen gekennzeichnet.<br />

Kriminelle Rockergruppierungen<br />

Bei jenen Rockergruppierungen handelt es sich um Zusammenschlüsse<br />

mehrerer Personen mit streng hierarchischem Aufbau,<br />

engen persönlichen Bindungen der Gruppenmitglieder untereinander<br />

sowie selbstgeschaffenen strengen Regeln und Satzungen.<br />

So genannte „Outlaws Motorcycle Gangs“ (OMGs) und ihre kriminellen<br />

Mitglieder stellen eine ernstzunehmende und an Bedeutung<br />

gewinnende Erscheinung der Kriminalität dar. Die „Gangs“ sind<br />

bestrebt, Einfluss auf verschiedene Kriminalitäts- und Wirtschaftsbereiche<br />

zu erlangen und pflegen enge Kontakte zu anderen Gruppierungen,<br />

die zum Teil der OK zuzurechnen sind. OMGs grenzen<br />

Organisierte Kriminalität<br />

175


176<br />

Organisierte Kriminalität<br />

sich – auch äußerlich erkennbar – bewusst von anderen Motoradclubs<br />

(MCs) sowie den Normen und Wertvorstellungen der Gesellschaft<br />

ab. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />

zwischen den Clubs.<br />

Mitglieder von Rockergruppierungen sind vor allem im Gaststätten-<br />

und Vergnügungsgewerbe, der Tätowierbranche sowie im Sicherheitsbereich<br />

geschäftlich aktiv. Oft betreiben diese Personen<br />

legale Geschäfte, um kriminelle Handlungen zu tarnen. Darüber<br />

hinaus sind die Clubs bemüht, sowohl finanzielle als auch ideelle<br />

Unterstützung von Vertretern angesehener Berufsstände zu erlangen,<br />

um sich ein einflussreiches Umfeld zu schaffen. Mitglieder<br />

von OMGs fallen immer wieder durch kriminelle Handlungen auf.<br />

Dazu zählen u.a. der Handel mit Betäubungsmitteln, die Förderung<br />

der Prostitution und die Erpressung von „Schutzgeld“.<br />

Die Szene ist von einem hohen Bedrohungs- und Gewaltpotenzial<br />

gekennzeichnet. Auf Grund des massiven Expansionsstrebens der<br />

Gruppierungen kommt es innerhalb der Szene zu Machtkämpfen<br />

um Hoheitsgebiete, zu Racheakten und Vergeltungsschlägen, in<br />

deren Zusammenhang von ihren Mitgliedern schwere Straftaten<br />

begangen werden.<br />

Von den weltweit agierenden OMGs haben sich der „Outlaws MC“,<br />

der „Bandidos MC“ und der „Hells Angels MC“ mit einem Chapter<br />

(Ortsgruppe) und/oder Supporter (Unterstützerclub) in Thüringen<br />

etabliert. Der „Outlaws MC“ ist mit einem Chapter in Gera vertreten.<br />

Sein vormals in Ilmenau ansässiger Supporter, der „Black Pistons<br />

MC“, existiert seit Mitte 2007 nicht mehr. Der „Bandidos MC“ verfügt<br />

über ein Chapter in Jena, dem nach einjährigem Bestehen im Oktober<br />

2007 die Vollmitgliedschaft im MC zuerkannt worden ist, sowie den<br />

in Apolda und Weimar beheimateten Supporter „Chicanos MC“. Einzelne<br />

Mitglieder dieses MC erlangten im Berichtszeitraum innerhalb<br />

des „Bandidos MC“ den Status eines so genannten Prospekt, eines<br />

Anwärters mit Aussicht auf Vollmitgliedschaft. Eine bei dem „Hells<br />

Angels MC“ als Charter bezeichnete Ortsgruppe besteht in Thüringen<br />

nach wie vor nicht. Bislang existiert lediglich eine Dependance<br />

seines Supporters, dem „Red Devils MC“, in Saalfeld. Gelegentlich<br />

hielten sich Mitglieder des „Hells Angels MCs“ in Thüringen auf, was<br />

auf Bemühungen, einen weiteren Unterstützerclub oder eine eigene<br />

Niederlassung in Thüringen zu gründen, schließen lässt.


Im Berichtszeitraum setzte der „Stahlpakt MC“, der 1999 in Thüringen<br />

gegründet worden ist und bis zur Etablierung der großen<br />

OMGs die Vormachtstellung in Thüringen inne hatte, seine Expansionsbestrebungen<br />

fort. Im September 2007 wurde ein weiteres<br />

Chapter in Schmölln gegründet. Der „Stahlpakt MC“ verfügt nunmehr<br />

über 11 Chapter in Thüringen und drei in Hessen.<br />

Asiatische organisierte Kriminalität<br />

Ermittlungen zu der von asiatischen OK-Gruppierungen ausgehenden<br />

Schleusungskriminalität wurden im Berichtszeitraum fortgesetzt.<br />

So gelang es, Verfahrenswege und Abläufe der von hier<br />

ansässigen Vietnamesen organisierten Schleusungen weiter zu erhellen.<br />

Über die Schleuserorganisation werden im Herkunftsland<br />

gegen Zahlung hoher Geldbeträge die zur Visaerteilung erforderlichen<br />

Reiseunterlagen beschafft. Nicht selten handelt es sich hierbei<br />

um Fälschungen. Die Einreise der illegalen Migranten in die<br />

Europäische Union (EU) erfolgt in der Regel mit Touristenvisum<br />

innerhalb einer Reisegruppe. Der Pass wird hiernach einem ähnlich<br />

aussehenden, bereits illegal in der EU aufhältigen Landsmann<br />

ausgehändigt, der die Rückreise nach Vietnam innerhalb dieser<br />

Reisegruppe antritt. Einreisen erfolgen auch mittels Visa für selbstständige<br />

Geschäftsleute. Oft werden Vietnamesen über Tschechien<br />

nach Deutschland geschleust. An vorher vereinbarten Übergabeplätzen<br />

– meist Asiamärkte, Restaurants oder auch Autobahnraststätten<br />

– werden die Migranten durch verwandte Landsleute in<br />

Empfang genommen. In Deutschland angekommen, werden den<br />

Personen oftmals die Pässe abgenommen. Daraus erwachsende<br />

Abhängigkeiten werden genutzt, die illegalen Migranten zur Annahme<br />

jedweder Arbeit zu nötigen, um die Rückzahlung der durch<br />

die Schleusung entstandenen Schulden zu erzwingen.<br />

Italienische organisierte Kriminalität<br />

Bisherigen Erkenntnissen zufolge weist eine der großen italienischen<br />

Mafiaorganisationen 86 , die kalabresische ‘Ńdrangheta, Bezüge<br />

nach Thüringen auf. Die Organisation betätigt sich in Italien<br />

86 Dazu zählen außerdem die sizilianische Cosa Nostra, die kampanische Camorra, die apulische Sacra<br />

Corona Unita.<br />

Organisierte Kriminalität<br />

177


178<br />

Organisierte Kriminalität<br />

vorwiegend in den Deliktsfeldern Falschgeld, Geldwäsche, Drogen-,<br />

Waffen- und Menschenhandel, Schutzgelderpressung und<br />

Korruption. Die Ńdrangheta scheint die Bundesrepublik Deutschland<br />

vorrangig als Rückzugsgebiet zu nutzen. Vermutlich werden<br />

auf kriminellem Wege erlangte Gelder hier in der Immobilien- und<br />

der Gastronomiebranche investiert.<br />

Durch Vorfälle wie zuletzt der am 15. August in Duisburg erfolgten<br />

Ermordung von sechs im Gastronomiegewerbe tätigen Italienern,<br />

tritt die innerhalb der Mafiagruppierungen vorherrschende Gewalt<br />

offen zu Tage. Nicht selten eskalieren die in den Herkunftsregionen<br />

entstandenen Konflikte zwischen den innerhalb einer Mafia-Gruppierung,<br />

hier der Ńdrangheta, konkurrierenden Familienclans<br />

derart. Die dadurch erlangte Öffentlichkeit stört die unbehelligte<br />

Täterschaft der Clans, wenn es – wie in dem konkreten Fall – den<br />

Sicherheitsbehörden gelingt, das mafiöse Netzwerk zu durchdringen.<br />

Die Sicherheitsbehörden des Freistaats arbeiten eng zusammen,<br />

um Strukturen und Betätigungsfelder der Mafia rechtzeitig erkennen<br />

und bekämpfen zu können. Unmittelbar nach dem Vorfall in<br />

Duisburg wurde im Thüringer Landeskriminalamt eine Informationssammelstelle<br />

zur italienischen organisierten Kriminalität eingerichtet,<br />

der auch das Landesamt für Verfassungsschutz zuarbeitet.<br />

Überdies unterhält das TLfV zur Gewinnung weiterer Erkenntnisse<br />

Kontakte zum italienischen Partnerdienst.<br />

3. Fazit<br />

In Erfüllung seines gesetzlich normierten Auftrags zur Beobachtung<br />

der OK ergänzt das TLfV die Arbeit von Polizeibehörden und<br />

Staatsanwaltschaften auf diesem Gebiet. Die langfristig angelegte<br />

Beobachtung organisierter krimineller Strukturen im Vorfeld konkreter<br />

Tatbegehungen ist unabdingbar, um OK ganzheitlich begegnen<br />

zu können. Durch dieses konstruktive Zusammenwirken<br />

gelang es, einen Teil des Dunkelfeldes typischer OK-Deliktsfelder<br />

aufzuhellen.


1. Überblick<br />

VIII. Spionageabwehr<br />

Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein bevorzugtes<br />

Aufklärungsziel der Nachrichtendienste fremder Staaten. Dazu gehören<br />

einige Länder aus der Gemeinschaft unabhängiger Staaten<br />

(GUS) ebenso wie solche aus dem nah-, mittel- und fernöstlichen<br />

sowie dem nordafrikanischen Raum. An den in Deutschland unterhaltenen<br />

amtlichen bzw. halbamtlichen Vertretungen dieser Staaten<br />

sind die jeweiligen Nachrichtendienste personell unterschiedlich<br />

stark präsent. Über ihre als Diplomaten auf Tarndienstposten bei so<br />

genannten Legalresidenturen 87 angebundenen Mitarbeiter werden<br />

zum Zwecke der Informationsbeschaffung nachrichtendienstliche<br />

Aktivitäten entfaltet. Unverändertes Interesse gilt hierbei den klassischen<br />

Feldern der Spionage – Politik, Wirtschaft, Wissenschaft/<br />

Forschung und Militär. Die Ausspähung und Unterwanderung von<br />

in Deutschland ansässigen ausländischen Oppositionellenbewegungen<br />

stellen weitere Aktionsfelder einzelner Nachrichtendienste<br />

dar. Regierungen einiger Staaten sind weiterhin bemüht, in den Besitz<br />

atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen<br />

sowie der dazu erforderlichen Trägersysteme zu gelangen.<br />

Zur Beschaffung sowohl einzelner Komponenten zu deren Herstellung<br />

als auch des erforderlichen Know-hows bedienen sich diese<br />

Länder auch ihrer Nachrichtendienste.<br />

Bestrebungen fremder Dienste, durch Spionageaktivitäten insbesondere<br />

wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, bestehen fort. Damit<br />

einher geht eine stärkere Konzentration der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden<br />

auf die präventive Spionageabwehr, um so<br />

etwaige Schwachstellen, die Wirtschaftsspionage und Know-how-<br />

Transfer für fremde Nachrichtendienste erleichtern, aufdecken und<br />

ausräumen zu können.<br />

Die Methoden der Nachrichtendienste, gezielt Informationen abzuschöpfen,<br />

sind vielfältiger geworden. Globalisierung und elektronische<br />

Vernetzung ermöglichen den Diensten heute auf Daten<br />

87 In Thüringen existieren weder Botschaften noch Generalkonsulate anderer Staaten.<br />

Spionageabwehr<br />

179


180<br />

Spionageabwehr<br />

zugreifen zu können, die früher nur auf konspirativem Wege erlangt<br />

worden wären. Daneben gewinnt die Auswertung weitgehend<br />

offener Quellen – Forschungsberichte, Diplomarbeiten, Dokumentationen<br />

u. a. – stetig an Bedeutung.<br />

2. Proliferation<br />

Unter Proliferation versteht man die Weitergabe von atomaren,<br />

biologischen und chemischen Waffen (ABC-Waffen) bzw. der zu<br />

ihrer Herstellung benötigten Komponenten sowie der entsprechenden<br />

Trägersysteme einschließlich des erforderlichen Know-hows<br />

an proliferationsrelevante Länder 88 , von denen zu befürchten ist,<br />

dass sie diese Waffen von dort aus in bewaffneten Konflikten einsetzen<br />

oder ihren Gebrauch zur Durchsetzung politischer Ziele<br />

androhen werden.<br />

Die betreffenden Staaten sind zum einen bestrebt, Technologie<br />

und Bauteile aus führenden Industrienationen durch Teilhabe am<br />

freien Austausch von wissenschaftlichen Informationen und/oder<br />

durch Handel zu beschaffen (primäre bzw. vertikale Proliferation),<br />

zum anderen beliefern sie sich auch untereinander mit entsprechendem<br />

Material bzw. technischem Wissen (sekundäre bzw. horizontale<br />

Proliferation). Um internationale Abkommen und nationale<br />

gesetzliche Bestimmungen zu unterlaufen, setzen sie auch<br />

ihre Geheimdienste ein, gründen Scheinfirmen und verschleiern<br />

durch Umweglieferungen über Drittländer sowohl Endabnehmer<br />

als auch Endverwendungszweck des einzuführenden Gutes. Die<br />

Feststellung der Plausibilität des Endverwendungszwecks und damit<br />

der Proliferationsrelevanz wird zudem erschwert, wenn es sich<br />

um Dual-use-Güter oder -Technologien, die zu zivilen aber auch<br />

militärischen Zwecken eingesetzt werden können, handelt.<br />

Staaten wie Iran, Nordkorea, Pakistan oder Syrien standen auch<br />

im Jahr 2007 im Mittelpunkt der Proliferationsabwehr. Sie betreiben<br />

seit längerem eigene Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen<br />

und Trägersystemen zu deren Ausbringung.<br />

Insbesondere die vom Iran vertretene unnachgiebige Haltung hin-<br />

88 Zum Beispiel Nordkorea, Pakistan, Iran, Syrien.


sichtlich des dortigen Atomprogramms verbunden mit den teils<br />

provokanten Äußerungen der Regierung, ließen erneut Zweifel an<br />

der von iranischer Seite beteuerten ausschließlich zivilen Nutzung<br />

der Atomtechnologie aufkommen. Auch wenn aus den Veröffentlichungen<br />

des Nationalen Geheimdienstrates der USA (NIC) vom<br />

3. Dezember hervorgeht, dass der Iran sein geheimes Nuklearwaffenprogramm<br />

wahrscheinlich schon im Herbst 2003 stoppte und<br />

zumindest bis Mitte des Jahres nicht wieder aufnahm, besteht die<br />

Gefahr, die von diesem Staat ausgeht, fort. Das Ziel der internationalen<br />

Staatengemeinschaft, den Iran daran zu hindern, selbst eine<br />

Atombombe herstellen zu können, bleibt bestehen. Bislang liefen<br />

Forderungen nach einer sofortigen Einstellung des Anreicherungsprogramms,<br />

nach uneingeschränkter Kooperation und Transparenz<br />

jedoch ins Leere. Bereits bestehende UN-Sanktionen dauern daher<br />

an.<br />

Nordkorea hingegen, das am 9. Oktober 2006 erstmals eine Atombombe<br />

getestet hatte und in der Folge weitreichenden internationalen<br />

Sanktionen unterlag, hat im August die komplette Aufgabe<br />

seines umstrittenen Atomprogramms bis zum Jahresende zugesagt.<br />

Daraufhin wurden durch die USA sowohl die Streichung von der<br />

Terrorliste als auch die Aufhebung aller mit diesem Eintrag verbundenen<br />

Sanktionen in Aussicht gestellt. Der Vereinbarung zwischen<br />

Nordkorea und den USA – Teil des laufenden Friedensprozesses<br />

auf der koreanischen Halbinsel – folgten u. a. ein innerkoreanisches<br />

Gipfeltreffen mit der Unterzeichnung einer Friedensvereinbarung,<br />

Sechs-Parteien-Gespräche mit weiteren Vereinbarungen<br />

zur Stillegung des Atomprogramms sowie erste Öllieferungen. Der<br />

Kernreaktor in Yongbyon, die wichtigste Atomanlage in Nordkorea,<br />

wurde nach Bestätigung der internationalen Atominspekteure zwischenzeitlich<br />

abgeschaltet.<br />

Da proliferationsrelevante Staaten bei der Forschung, Entwicklung<br />

und Herstellung von ABC-Waffensystemen nur zum Teil autark<br />

sind, bleiben sie auf die Beschaffung wesentlicher Komponenten<br />

(Anlagen, Geräte oder Grundstoffe) sowie wissenschaftlicher Spezialkenntnisse<br />

aus Industrieländern angewiesen. Die europäischen<br />

Exportkontrollen stellen aus Sicht der proliferationsrelevanten Länder<br />

hohe Barrieren dar. Das Risiko, dass dem jeweiligen Exporteur<br />

die Ausfuhr bereits im Vorfeld untersagt oder die illegale Lieferung<br />

auf dem Transportweg erkannt und entsprechend gestoppt wird,<br />

Spionageabwehr<br />

181


182<br />

Spionageabwehr<br />

ist hoch. Folglich hat die sekundäre bzw. horizontale Proliferation<br />

an Bedeutung gewonnen. Proliferationsrelevante Länder beliefern<br />

sich immer häufiger untereinander mit entsprechenden Gütern<br />

oder richten ihr Beschaffungsinteresse an unverdächtige Schwellenländer<br />

89 mit deutlich niedrigeren Exportrestriktionen.<br />

Deutschland hat sich internationalen Abkommen, die der Verhinderung<br />

von Proliferation dienen, angeschlossen. Überdies bestehen<br />

Restriktionen des Außenhandels durch entsprechende Regelungen<br />

im Außenwirtschaftsgesetz, in der Außenwirtschaftsverordnung sowie<br />

im Kriegswaffenkontrollgesetz.<br />

In die Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden fällt es, die<br />

jeweils ansässigen Institutionen und Unternehmen, die durch ihre<br />

Forschungs-, Technologie- oder Produktangebote in das Blickfeld<br />

der um Poliferation bemühten Staaten geraten könnten, entsprechend<br />

zu sensibilisieren. Ziel dieser präventiven Vorgehensweise<br />

ist es, durch einen frühzeitigen Informationsaustausch proliferationsrelevante<br />

Beschaffungsbemühungen zu unterbinden und agierende<br />

Netzwerke aufklären zu können.<br />

3. Wirtschaftsspionage<br />

Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte,<br />

von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von<br />

Wirtschaftsunternehmen und Firmen zu verstehen. Sie ist von der<br />

Konkurrenzspionage, bei der es sich um die Ausforschung handelt,<br />

die ein Unternehmen gegen ein anderes – ohne nachrichtendienstliche<br />

Steuerung – betreibt, zu unterscheiden.<br />

Die internationale Akzeptanz eines Staates hängt mehr denn je<br />

auch von seiner Wirtschaftskraft ab. Um in dem wachsenden internationalen<br />

Wettbewerb bestehen oder aber führende Positionen<br />

einnehmen zu können, betreiben einige Staaten auch Wirtschaftsspionage.<br />

Aufklärungsziele und Methoden richten sich hierbei<br />

89 Fortgeschrittene Entwicklungsländer, die aufgrund wirtschaftlicher Eigendynamik beachtliche Industrialisierungsfortschritte<br />

erzielt und gegenüber den Industrienationen deutlich aufgeholt haben.


nach dem jeweiligen Entwicklungsstand der handelnden Staaten.<br />

Hochentwickelte Industrienationen sind folglich vorrangig an<br />

Markt- und Wettbewerbsstrategien vergleichbarer Konkurrenten<br />

interessiert, technologisch weniger entwickelte Staaten hingegen<br />

an Fertigungstechniken und technischem Know-how, um Forschungskosten<br />

minimieren und wirtschaftliche Rückstände aufholen<br />

zu können.<br />

Einige Auslandsaufklärungsdienste sind per Gesetz verpflichtet, die<br />

Wirtschaft ihres Landes unmittelbar durch entsprechende Informationsbeschaffung<br />

zu unterstützen. Diese erfolgt sowohl durch<br />

den Einsatz moderner Nachrichtentechnik und das Eindringen<br />

in Informationssysteme als auch durch den Einsatz menschlicher<br />

Quellen. Neben eingeschleusten Nachrichtendienstangehörigen<br />

können das auch für eine Zusammenarbeit geworbene Unternehmensangehörige<br />

sein. Austauschwissenschaftler und Praktikanten,<br />

die gegebenenfalls mit einem nachrichtendienstlichen Auftrag<br />

ausgestattet worden sind oder zumindest nach ihrer Rückkehr ins<br />

Heimatland vom dortigen Nachrichtendienst abgeschöpft werden<br />

könnten, kommen hierfür ebenfalls in Betracht.<br />

Die seit langem bekannten Gefahren und Techniken der elektronischen<br />

Ausspähung spielen zunehmend eine Rolle. Angriffe über<br />

das Internet sind relativ einfach realisierbar, mit guten Erfolgsaussichten<br />

und von geringem persönlichen Risiko für den Akteur. Sie<br />

werden weltweit immer umfangreicher festgestellt und dürften<br />

vielfach auch auf Nachrichtendienste zurückgehen. Die Angriffe,<br />

die sich vor allem gegen Industrienationen zu richten scheinen,<br />

betreffen neben der Wirtschaft auch Regierungsstellen, Universitäten<br />

und Forschungseinrichtungen. Auch in Deutschland wurden<br />

Angriffe dieser Art festgestellt. Versandt werden E-Mails mit korrumpierten<br />

Anhängen, die den Empfänger geschickt zur Öffnung<br />

derselben verleiten, oder Mails, die auf entsprechend funktionalisierte<br />

Einstellungen im Internet verweisen. Ebenso können Linkverweise<br />

zu – vom eigentlichen Betreiber unbemerkt – infizierten<br />

Websites führen. Besonders branchentypische Websites können<br />

hier missbraucht werden, um an die gewünschten Informationen<br />

zu gelangen. Da die entsprechenden Angriffe sowie der ihnen<br />

folgende Datenverlust oft unbemerkt bleiben dürften, sind Sicherungsmaßnahmen<br />

unumgänglich und in ihrer Bedeutung nicht<br />

hoch genug zu veranschlagen.<br />

Spionageabwehr<br />

183


184<br />

Spionageabwehr<br />

Ebenso sollten Expansionsbemühungen deutscher Unternehmen auf<br />

aussichtsreich erscheinenden internationalen Märkten (z. B. China)<br />

verstärkt Aspekte drohender Ausspähung und damit einhergehender<br />

Verluste berücksichtigen. Die Auslagerung kostenintensiver<br />

Produktionsbereiche ist nicht selten mit der Preisgabe modernster<br />

Technologien verbunden, die sodann von dortigen Unternehmen<br />

kopiert und für ertragreiche Billigproduktionen, die etablierte Marken<br />

durchaus stark schädigen können, genutzt werden. Sofern nicht<br />

bereits im Rahmen von Vertragsabschlüssen Fertigungsprozesse<br />

zwingend offengelegt werden müssen, wird unter Einsatz nachrichtendienstlicher<br />

Methoden versucht, in Besitz moderner Technologien,<br />

Wettbewerbs- und Vermarktungsstrategien zu gelangen. Insbesondere<br />

für mittelständische Unternehmen kann der Verlust des<br />

Firmen-Know-hows im Einzelfall existenzbedrohend sein.<br />

Die Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW)<br />

beziffert den jährlichen Schaden für deutsche Unternehmen auf<br />

50 Milliarden Euro. Die durch Wirtschaftsspionage insgesamt<br />

entstehenden ökonomischen und finanziellen Schäden für die<br />

heimische Volkswirtschaft bzw. einzelne Unternehmen gilt es zu<br />

minimieren. Dies erfordert eine enge Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden<br />

und gewerblicher Wirtschaft, wobei die Verfassungsschutzbehörden<br />

hinsichtlich der Sensibilisierung zur Thematik<br />

ihr Augenmerk vor allem auf Klein- und mittelständische<br />

Unternehmen richten. Zu diesem Zweck organisierte das TLfV gemeinsam<br />

mit der Industrie- und Handelskammer Erfurt und dem<br />

Thüringer Landeskriminalamt bereits im Jahr 2006 das Symposium<br />

„Die mittelständische Wirtschaft im Visier – Bedrohung durch Wirtschaftsspionage<br />

und Konkurrenzausspähung“. Dem Thema „Bedrohung<br />

der Wirtschaft im Lichte der Globalisierung“ galt in diesem<br />

Jahr ein Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz<br />

an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Referenten<br />

aus dem universitären und nachrichtendienstlichen Bereich sowie<br />

aus der Wirtschaft diskutierten, welchen Gefahren die Sicherheit<br />

der deutschen Wirtschaft durch die Globalisierung ausgesetzt ist.<br />

So steht neben weiteren Verfassungsschutzbehörden auch das<br />

Thüringer Landesamt im konkreten Fall zur Verfügung, um bei der<br />

Einrichtung von Sicherungsmaßnahmen, welche die Barrieren für<br />

mögliche Spionageangriffe erhöhen, zu beraten. Unternehmen,<br />

die sich bereits mit eventuellen Ausspähungsversuchen konfrontiert<br />

sehen, dient es als vertraulicher Ansprechpartner.


4. Ausblick<br />

Globalisierung und weltweite elektronische Vernetzung bergen<br />

neben nicht mehr wegzudenkenden Vorteilen gleichfalls enorme<br />

Risiken in sich. Für Nachrichtendienste eröffnen moderne IT- und<br />

Kommunikationssysteme vielfältige Möglichkeiten, in den Besitz<br />

sensibler Daten und Informationen zu gelangen. Die daraus erwachsende<br />

durchaus reale Gefährdung wird – nicht zuletzt auch<br />

durch die veränderten politischen Verhältnisse und die Annäherung<br />

vormals feindlich gegenüber stehender Staaten – oftmals unterschätzt.<br />

Das Bewusstsein, dass Spionage durch politische Annäherung<br />

nicht gänzlich wegbricht, sondern andere Schwerpunkte<br />

verfolgt, gilt es zu schärfen. Dies betrifft politische Institutionen<br />

und solche aus Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung gleichermaßen.<br />

Mit geeigneten Präventionsmaßnahmen gilt es, derartigen<br />

gegen deutsche Interessen gerichteten Spionageaktivitäten entgegenzuwirken.<br />

5. Frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen<br />

der Aufklärungs- und Abwehrdienste<br />

der ehemaligen DDR<br />

Konkrete Anhaltspunkte für die Existenz fortwirkender, aus der<br />

HVA 90 oder dem MfS 91 hervorgegangener Strukturen sind im Berichtszeitraum<br />

nicht angefallen.<br />

90 Hauptverwaltung Aufklärung.<br />

91 Ministerium für Staatssicherheit, kurz vor der endgültigen Auflösung zum 31.03.1990 in „Amt für Nationale<br />

Sicherheit“(AfNS) umbenannt.<br />

Spionageabwehr<br />

185


186<br />

Geheimschutz<br />

1. Allgemeines<br />

IX. Geheimschutz<br />

Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar.<br />

Er hat dafür Sorge zu tragen, dass Informationen und<br />

Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen<br />

oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder<br />

eines Bundeslandes gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme<br />

geschützt werden. Im Rahmen ihrer Organisationsgewalt haben<br />

Behörden Vorkehrungen zur Gewährleistung des Geheimschutzes<br />

zu treffen.<br />

Zu den Aufgaben des TLfV zählt gemäß § 2 Abs. 5 des Thüringer<br />

Verfassungsschutzgesetzes (ThürVSG) die Mitwirkung im Bereich<br />

des personellen und materiellen Geheimschutzes.<br />

2. Personeller Geheimschutz<br />

Unter dem Begriff „Geheimschutz“ werden sämtliche Vorkehrungen<br />

im weiteren Sinne verstanden, die dem Schutz von Geheimnissen<br />

dienen. Nicht jede Person, nicht jeder Amtsträger erfüllt die<br />

für den Umgang mit Geheimnissen erforderlichen Voraussetzungen.<br />

Folglich gilt es, Personen, die aufgrund bestimmter Verhaltensweisen<br />

für Verrat, Erpressung oder Spionage anfällig scheinen,<br />

von vornherein den Zugriff auf Geheimnisse zu verwehren. Diesem<br />

Ziel dient die Sicherheitsüberprüfung. Dabei wird festgestellt,<br />

ob der Überprüfte seiner Vergangenheit, seinem Charakter, seinen<br />

Gewohnheiten und seinem Umgang nach Anlass bietet, an seiner<br />

persönlichen Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln, ob er somit ein Sicherheitsrisiko<br />

darstellt. Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden<br />

im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit an.<br />

Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz<br />

(ThürSÜG) vom 17. März 2003, aufgeführt im<br />

Anhang dieses Berichts, geregelt.


Sicherheitsüberprüfungen werden für Personen, die eine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit gemäß § 1 Abs. 2 ThürSÜG ausüben sollen,<br />

durchgeführt. Betroffen sind in erster Linie Personen, die Zugang zu<br />

Verschlusssachen haben oder sich diesen verschaffen können.<br />

Als Verschlusssache werden alle im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen<br />

Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse<br />

– unabhängig von ihrer Darstellungsform – bezeichnet. Schriftstücke,<br />

Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische<br />

Datenträger, elektrische Signale, Geräte und technische<br />

Einrichtungen können ebenso wie das gesprochene Wort oder<br />

Zwischenmaterial (z. B. Entwürfe), das im Zusammenhang mit Verschlusssachen<br />

anfällt, eine solche Klassifizierung erfordern.<br />

Für eine Sicherheitsüberprüfung ist der Geheimschutzbeauftragte<br />

der jeweiligen Dienststelle bzw. der zuständigen obersten Landesbehörde<br />

verantwortlich. Das TLfV wirkt an der Sicherheitsüberprüfung<br />

gemäß § 2 Abs. 5 Nr. 1 ThürVSG i.V.m. § 3 Abs. 3 ThürSÜG<br />

mit.<br />

Die Sicherheitsüberprüfung wird je nach Geheimhaltungsgrad abgestuft.<br />

Gemäß §§ 8 ff. ThürSÜG wird sie als einfache (Ü 1), erweiterte<br />

(Ü 2) oder als erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen<br />

(Ü 3) durchgeführt. Sie bedarf der vorherigen<br />

Zustimmung sowohl des Betroffenen als auch der gegebenenfalls<br />

einzubeziehenden Person (Ehegatte oder Lebenspartner).<br />

Das TLfV wurde im Jahr 2007 in 326 Fällen als mitwirkende Behörde<br />

an Sicherheitsüberprüfungen beteiligt und hat sein Votum gegenüber<br />

dem Geheimschutzbeauftragten der einleitenden Dienststelle<br />

abgegeben. Im Einzelnen wurden folgende Überprüfungen<br />

durchgeführt:<br />

Jahr Sicherheitsüberprüfung<br />

Ü 1<br />

Sicherheitsüberprüfung<br />

Ü 2<br />

Sicherheitsüberprüfung<br />

Ü 3<br />

2007 155 146 25<br />

2006 55 78 10<br />

2005 116 77 35<br />

Geheimschutz<br />

187


188<br />

Geheimschutz<br />

3. Materieller Geheimschutz<br />

Der materielle Geheimschutz betrifft die Entwicklung, Planung und<br />

Durchführung technischer Maßnahmen, die dem Schutz geheimhaltungsbedürftigen<br />

Materials vor Entwendung oder Kenntnisnahme<br />

durch Unbefugte dienen. Zu technischen Sicherheitsmaßnahmen<br />

sind auch organisatorische Vorkehrungen zu rechnen, die den<br />

Geheimschutz verbessern.<br />

Als Rechtsgrundlagen dienen die „Verschlusssachenanweisung<br />

für den Freistaat Thüringen“ (VSA) 92 aus dem Jahr 1999 sowie sie<br />

ergänzende Richtlinien. Die VSA richtet sich an Landesbehörden<br />

und landesunmittelbare öffentlich-rechtliche Einrichtungen, die<br />

mit Verschlusssachen befasst sind und somit Vorkehrungen zu deren<br />

Schutz zu treffen haben. Darüber hinaus betrifft sie Personen,<br />

die Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder eine Tätigkeit ausüben,<br />

die ihnen den Zugang zu Verschlusssachen eröffnet und bei<br />

der sie bestimmte Schutzvorkehrungen zu beachten haben.<br />

Entsprechend der Schutzbedürftigkeit einer Verschlusssache nehmen<br />

die herausgebenden Stellen die erforderliche Einstufung in einen<br />

der in § 4 Abs. 2 ThürSÜG bestimmten Geheimhaltungsgrade 93<br />

vor. Aus der jeweiligen Einstufung ergeben sich die notwendigen<br />

personellen und materiellen Sicherheitsvorkehrungen. In Hinsicht<br />

auf den materiellen Geheimschutz enthält die VSA eine Reihe von<br />

Vorschriften, welche die Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung<br />

von Verschlusssachen, den Zugang zu Verschlusssachen,<br />

die Dienstpflichten zum Schutze von Verschlusssachen, die Aufbewahrung,<br />

Verwaltung und Mitnahme außerhalb des Dienstgebäudes<br />

sowie Maßnahmen bei Verletzung von Geheimschutzvorschriften<br />

betreffen.<br />

Das TLfV berät öffentliche Stellen u.a. über den Umgang mit<br />

Verschlusssachen und sichere Organisationsabläufe sowie über<br />

technische Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmsysteme oder Stahlschränke<br />

(sog. Verwahrgelasse).<br />

Auskünfte zur Geheimschutzbetreuung von Wirtschaftsunternehmen<br />

erteilt das:<br />

92 Thüringer Staatsanzeiger, S. 2716 ff.<br />

93 „VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“, „VS-VERTRAULICH“, „GEHEIM“, „STRENG GEHEIM“.


Thüringer Ministerium<br />

für Wirtschaft, Technologie und Arbeit (TMWTA)<br />

Der Geheimschutzbeauftragte für die Wirtschaft<br />

Postfach 10 05 52 Max-Reger-Straße 4–8<br />

99005 Erfurt 99096 Erfurt<br />

Telefon: (0361) 3797-150<br />

4. Sonstige Überprüfungen<br />

Neben seiner Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen wird das<br />

TLfV gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) an Zuverlässigkeitsüberprüfungen<br />

beteiligt. Infolge der Terroranschläge<br />

vom 11. September 2001 ist insbesondere auch die Sicherheit im<br />

internationalen Luftverkehr und in diesem Zusammenhang u. a.<br />

die entsprechende Zuverlässigkeitsüberprüfung in den Blickpunkt<br />

des öffentlichen Interesses gerückt. Seit dem Jahr 2005 werden<br />

diese Zuverlässigkeitsüberprüfungen auch für Freizeit-Piloten und<br />

Flugschüler durchgeführt. An das TLfV wurden im Berichtszeitraum<br />

1007 Anfragen im Rahmen der Luftverkehrs-Zuverlässigkeitsüberprüfungen<br />

gestellt.<br />

Im Jahr 2005 wurde das Sprengstoffgesetz (SprengG) novelliert.<br />

Seither finden auch sprengstoffrechtliche Zuverlässigkeitsüberprüfungen<br />

statt, in deren Rahmen eine Regelanfrage an das TLfV<br />

zu stellen ist. Im Jahr 2007 wurden in diesem Zusammenhang<br />

374 Anfragen an das TLfV gerichtet.<br />

Jahr Anzahl der Luftverkehrs-<br />

Zuverlässigkeitsüberprüfungen<br />

Anzahl der sprengstoffrechtlichenZuverlässigkeitsüberprüfungen<br />

2007 1007 374<br />

2006 1128 364<br />

2005 1076 5394 94 Das SprengG wurde zum 01.09.2005 novelliert. Die Anfragen wurden infolgedessen im Jahr 2005 erst<br />

ab September gestellt.<br />

Geheimschutz<br />

189


190<br />

ThürVSG<br />

Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG)<br />

Vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 527), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Thüringer<br />

Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen<br />

und zur Änderung verfassungsschutzrechtlicher Bestimmungen vom<br />

17. März 2003 (GVBl. S. 185).<br />

Erster Abschnitt<br />

Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes<br />

§ 1<br />

Organisation des Verfassungsschutzes<br />

(1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes<br />

und der Sicherheit des Bundes und der Länder sowie zum Schutz vor Organisierter<br />

Kriminalität wird ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es untersteht<br />

als obere Landesbehörde unmittelbar dem für den Verfassungsschutz zuständigen<br />

Ministerium. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf keiner polizeilichen Dienststelle<br />

angegliedert werden.<br />

(2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Thüringen nur im Einvernehmen<br />

mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden.<br />

§ 2<br />

Aufgaben<br />

Anhang<br />

(1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist es, den zuständigen Stellen<br />

zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von<br />

Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die<br />

Sicherheit des Bundes und der Länder sowie gegen Bestrebungen und Tätigkeiten<br />

der Organisierten Kriminalität zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet<br />

das Landesamt für Verfassungsschutz<br />

1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den<br />

Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder<br />

eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane<br />

des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben;<br />

2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich<br />

des Grundgesetzes für eine fremde Macht;<br />

3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung<br />

von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange<br />

der Bundesrepublik Deutschland gefährden;


4. Bestrebungen und Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen<br />

den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes,<br />

Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen), insbesondere gegen<br />

das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes)<br />

gerichtet sind;<br />

5. Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich<br />

des Grundgesetzes;<br />

6. frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungs-<br />

und Abwehrdienste der ehemaligen DDR im Geltungsbereich dieses Gesetzes.<br />

Das Landesamt für Verfassungsschutz sammelt zu diesem Zweck Informationen,<br />

insbesondere sach- und personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen<br />

über solche Bestrebungen oder Tätigkeiten und wertet sie aus. Voraussetzung<br />

für Verarbeitung personenbezogener Daten ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.<br />

Zur Prüfung, ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, darf das Landesamt<br />

für Verfassungsschutz aus allgemein zugänglichen Quellen Informationen einschließlich<br />

personenbezogener Daten erheben. Die notwendige Koordinierung mit<br />

den anderen Sicherheitsbehörden und den Strafverfolgungsbehörden wird für den<br />

Bereich der Beobachtung der Organisierten Kriminalität in Richtlinien des für den<br />

Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums im Einvernehmen mit dem für Justiz<br />

zuständigen Ministerium geregelt.<br />

(2) Im Sinne dieses Gesetzes sind:<br />

1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte,<br />

ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen<br />

Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder<br />

eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen<br />

oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;<br />

2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte,<br />

ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen<br />

Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren<br />

Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;<br />

3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch<br />

bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen<br />

Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 3 genannten<br />

Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.<br />

Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen<br />

nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem<br />

oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im<br />

Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder<br />

aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut im Sinne des § 1 Abs. 1<br />

erheblich zu beschädigen.<br />

(3) Zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes<br />

zählen:<br />

ThürVSG<br />

191


192<br />

ThürVSG<br />

1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch<br />

besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung<br />

auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer,<br />

freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen;<br />

2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung<br />

der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht;<br />

3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition;<br />

4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihrer Verantwortlichkeit gegenüber der<br />

Volksvertretung;<br />

5. die Unabhängigkeit der Gerichte;<br />

6. der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und<br />

7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.<br />

(4) Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte<br />

planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher<br />

Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte,<br />

die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig<br />

1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen oder<br />

2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder<br />

3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft<br />

tätig werden.<br />

(5) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt auf Ersuchen der öffentlichen Stellen<br />

mit:<br />

1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach den Bestimmungen des Thüringer<br />

Sicherheitsüberprüfungsgesetzes;<br />

2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse<br />

geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen<br />

gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte.<br />

(6) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt, entsprechend den Rechtsvorschriften,<br />

auf Anfrage von Behörden, denen die Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen<br />

Dienst obliegt, Auskunft aus vorhandenen Unterlagen über Erkenntnisse<br />

nach Absatz 1. Die Auskunft ist auf solche gerichtsverwertbare Tatsachen zu beschränken,<br />

die Zweifel daran begründen können, dass der Bewerber jederzeit für<br />

die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird.


§ 3<br />

Bedienstete<br />

(1) Die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz haben sich einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren<br />

zu unterziehen, welches insbesondere auf Tätigkeit<br />

für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für Nationale<br />

Sicherheit der DDR überprüft und für das der Bundesbeauftragte für die Unterlagen<br />

des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik<br />

einbezogen wird.<br />

(2) Ehemalige hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS/AfNS, Personen<br />

mit Offiziersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR und ehemalige<br />

hauptamtliche Mitarbeiter der SED dürfen mit Aufgaben des Verfassungsschutzes<br />

grundsätzlich nicht befasst werden.<br />

§ 4<br />

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

(1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für<br />

Verfassungsschutz diejenige zu treffen, die den Einzelnen voraussichtlich am wenigsten<br />

beeinträchtigt.<br />

(2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten<br />

Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.<br />

(3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich<br />

zeigt, dass er nicht erreicht werden kann.<br />

§ 5<br />

Allgemeine Befugnisse<br />

(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben<br />

erforderlichen Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, auch ohne<br />

Kenntnis der betroffenen Gruppierung oder Person nach pflichtgemäßem Ermessen<br />

erheben und in Akten und Dateien verarbeiten und nutzen, namentlich speichern,<br />

übermitteln, verändern, löschen und abgleichen, so weit nicht besondere<br />

Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Ein Ersuchen des Landesamts für<br />

Verfassungsschutz um Übermittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen<br />

personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft erforderlich<br />

sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang<br />

beeinträchtigt werden.<br />

(2) aufgehoben<br />

(3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz<br />

nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um<br />

Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist.<br />

ThürVSG<br />

193


194<br />

ThürVSG<br />

(4) Auskünfte nach § 8 Abs. 5 bis 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerf-<br />

SchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954 -2970-) in der jeweils geltenden<br />

Fassung dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Antragsberechtigt ist der Präsident<br />

des Landesamts für Verfassungsschutz oder sein Vertreter. Der Antrag ist schriftlich<br />

zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet der Minister des für<br />

den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums, im Falle seiner Verhinderung sein<br />

Vertreter. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die<br />

G 10-Kommission (§ 1 Abs. 2 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juli 2001 – BGBl. I<br />

S. 1254 – in der jeweils geltenden Fassung) über die beschiedenen Anträge vor deren<br />

Vollzug. Bei Gefahr im Verzuge kann das für den Verfassungsschutz zuständige<br />

Ministerium den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor Unterrichtung der Kommission<br />

anordnen. Die Unterrichtung ist unverzüglich nachzuholen. Die Kommission<br />

prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und<br />

Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. Entscheidungen, die die Kommission<br />

für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das für den Verfassungsschutz<br />

zuständige Ministerium unverzüglich aufzuheben. Die Kontrollbefugnis erstreckt<br />

sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach § 8 Abs. 5 bis<br />

8 BVerfSchG erlangten personenbezogenen Daten.<br />

(5) Für die Verarbeitung der nach § 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG erhobenen Daten ist §<br />

4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden.<br />

(6) Für die Mitteilung an den Betroffenen gilt § 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes<br />

entsprechend.<br />

(7) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische<br />

Kontrollkommission viermal jährlich über die Durchführung der Maßnahmen<br />

nach § 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG.<br />

(8) Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes ist nach Maßgabe des § 8<br />

Abs. 10 Satz 1 Halbsatz 2 BVerfSchG jährlich durch das für den Verfassungsschutz<br />

zuständige Ministerium über die nach § 8 Abs. 5 bis 8 BVerfSchG durchgeführten<br />

Maßnahmen zu unterrichten.<br />

§ 6<br />

Nachrichtendienstliche Mittel<br />

(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln,<br />

insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observation,<br />

Bild- und Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und<br />

Tarnkennzeichen, Informationen verdeckt erheben.<br />

(2) Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer von dem für den Verfassungsschutz<br />

zuständigen Ministerium zu erlassenen Dienstvorschrift zu benennen, die<br />

auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt.<br />

Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission zu übersenden.<br />

(3) Die Behörden des Landes sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz<br />

technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten.


§ 7<br />

Erhebung von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln<br />

(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene<br />

Daten, mit nachrichtendienstlichen Mitteln gemäß § 6 Abs. 1 erheben,<br />

wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass<br />

1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 2 Abs.<br />

1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge<br />

gewonnen werden können oder<br />

2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände<br />

und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen<br />

sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist.<br />

Die Erhebung ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere,<br />

den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung<br />

ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein<br />

zugänglichen Quellen gewonnen werden kann. § 4 findet im Übrigen Anwendung.<br />

(2) Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel zur Informationsgewinnung<br />

ist im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes nur zulässig, wenn<br />

1. die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis<br />

nach § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes vom 26.<br />

Juni 2001 (BGBl. I S. 1254) in der jeweils geltenden Fassung gegeben sind oder<br />

2. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, dass jemand Bestrebungen<br />

nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 3 oder 4 durch Planung oder Begehung von<br />

Straftaten nach den §§ 129, 130 oder 131 des Strafgesetzbuchs (StGB) verfolgt<br />

oder<br />

3. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand Bestrebungen<br />

oder Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 durch die Planung oder Begehung<br />

von Straftaten nach § 100 a der Strafprozeßordnung, den §§ 261, 263 bis<br />

265, 265 b, 266, 267 bis 273, 331 bis 334 StGB oder § 92 Abs. 2 des Ausländergesetzes<br />

vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354, 1356) in der jeweils geltenden<br />

Fassung verfolgt<br />

und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich<br />

erschwert wäre. Die Maßnahme darf sich nur gegen den Verdächtigen oder gegen<br />

Personen richten, von denen aufgrund von Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für<br />

den Verdächtigen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen<br />

oder weitergeben oder dass der Verdächtige sich in ihrer Wohnung aufhält.<br />

(3) Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 2<br />

Satz 1 trifft der Richter. Bei Gefahr im Verzug kann der Präsident des Landesamts<br />

für Verfassungsschutz oder sein Stellvertreter einen Einsatz anordnen; eine richterliche<br />

Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnung ist auf längstens<br />

drei Monate zu befristen; Verlängerungen um jeweils nicht mehr als sechs weitere<br />

ThürVSG<br />

195


196<br />

ThürVSG<br />

Wochen sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen.<br />

(4) Die Anordnung wird unter der Aufsicht eines Beschäftigten des Landesamts für<br />

Verfassungsschutz vollzogen, der die Befähigung zum Richteramt hat. Liegen die<br />

Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer<br />

Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme<br />

unverzüglich zu beenden.<br />

(5) Erkenntnisse und Unterlagen, die durch Maßnahmen nach Absatz 2 Satz 1 gewonnen<br />

wurden, dürfen zur Verfolgung und Erforschung der dort genannten Bestrebungen<br />

oder Tätigkeiten sowie nach Maßgabe des § 4 Abs. 4 bis 6 des Artikel<br />

10-Gesetzes verwendet werden. Für die Speicherung und Löschung der durch Maßnahmen<br />

nach den Absätzen 2 und 6 erlangten personenbezogenen Daten sowie für<br />

die Entscheidung über die nachträgliche Information der von Maßnahmen nach Absatz<br />

2 Betroffenen sowie die Kennzeichnung der Daten gelten § 4 Abs. 1 bis 3 sowie<br />

§ 12 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. Bei Erhebungen nach Absatz 1, die in<br />

ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses<br />

gleichkommen, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht<br />

öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören,<br />

ist der Eingriff nach seiner Beendigung dem Betroffenen mitzuteilen, sobald<br />

eine Gefährdung des Zwecks des Eingriffs ausgeschlossen werden kann; § 4 Abs. 1<br />

und 3 und § 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes gelten entsprechend.<br />

(6) Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Artikels<br />

13 des Grundgesetzes ist auch dann zulässig, wenn es zum Schutz der dort für<br />

den Verfassungsschutz tätigen Personen erforderlich erscheint und vom Präsidenten<br />

des Landesamts für Verfassungsschutz oder eines von ihm bestellten Beauftragten<br />

angeordnet ist. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Kenntnisse zum<br />

Zweck der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor<br />

die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug<br />

ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Absatz 3 Satz 2 Halbsatz<br />

1 gilt entsprechend.<br />

(7) Zuständiges Gericht für die Entscheidung nach den Absätzen 2 und 6 ist das<br />

Amtsgericht am Sitz des Landesamts für Verfassungsschutz. Für das Verfahren gelten<br />

die Bestimmungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit<br />

in der Fassung vom 20. Mai 1898 (RGBl. S. 369, 771) in der jeweils<br />

geltenden Fassung entsprechend.<br />

(8) Die Landesregierung unterrichtet den Landtag jährlich über die nach Absatz<br />

2 und, soweit sie richterlich überprüfungsbedürftig sind, über die nach Absatz 6<br />

angeordneten Maßnahmen. Die Parlamentarische Kontrollkommission übt auf der<br />

Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Bei Erhebungen im<br />

Sinne des Absatzes 5 Satz 3 ist die Parlamentarische Kontrollkommission unverzüglich<br />

zu unterrichten.<br />

(9) Die Informationserhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ist in den Fällen<br />

des § 2 Abs. 5 unzulässig.


Zweiter Abschnitt<br />

Datenschutzrechtliche Bestimmungen<br />

§ 8<br />

Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten<br />

(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene<br />

Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen. Die Speicherung<br />

in Dateien zu Zwecken einer personenbezogenen Auswertung ist nur zulässig,<br />

wenn<br />

1. tatsächliche Anhaltspunkte für die Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 2 Abs.<br />

1 vorliegen,<br />

2. dies zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach<br />

§ 2 Abs. 1 erforderlich ist,<br />

3. Aufgaben nach § 2 Abs. 5 zu erfüllen sind oder<br />

4. eine Mitwirkung bei Überprüfungen der Zuverlässigkeit nach § 29 d des Luftverkehrsgesetzes<br />

oder § 12 b des Atomgesetzes erfolgt,<br />

soweit nicht besondere Bestimmungen gelten. Satz 2 gilt nicht für Dateien aus allgemein<br />

zugänglichen Quellen, die ohne Veränderung des Dateiinhalts ausschließlich<br />

für Abfragen genutzt werden.<br />

(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Daten über Minderjährige, die das<br />

14. Lebensjahr nicht vollendet haben, in zu ihrer Person geführten Akten (Personenakten)<br />

nur speichern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige<br />

eine der im Artikel 10-Gesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen<br />

hat. In Dateien im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 ist eine Speicherung von Daten<br />

Minderjähriger, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unzulässig.<br />

(3) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für<br />

die Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderliche Maß<br />

zu beschränken.<br />

§ 9<br />

Berichtigung und Löschung personenbezogener Daten<br />

(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien im Sinne des § 8 Abs. 1<br />

Satz 2 gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig<br />

sind; in Personenakten ist dies zu vermerken.<br />

(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat Daten im Sinne des Absatzes 1 zu<br />

löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ist oder ihre Kenntnis für die<br />

Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht mehr erforderlich ist. Personenakten<br />

sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. Die Löschung oder Vernichtung<br />

unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch schutzwürdige<br />

Belange des Betroffenen beeinträchtigt würden.<br />

ThürVSG<br />

197


198<br />

ThürVSG<br />

(3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und<br />

nach festgelegten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob Daten im Sinne des Absatzes<br />

1 zu berichtigen oder zu löschen sind. Daten im Sinne des Absatzes 1 über<br />

Bestrebungen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen<br />

nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 sind spätestens fünfzehn Jahre nach dem<br />

Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn,<br />

der Behördenleiter oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere<br />

Entscheidung. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 gespeicherte personenbezogene Daten sind<br />

spätestens sechs Jahre nach ihrer letzten Speicherung zu löschen. Soweit Daten<br />

automatisiert verarbeitet oder Akten automatisiert erschlossen werden, ist auf den<br />

Ablauf der Fristen nach den Sätzen 1 bis 3 hinzuweisen.<br />

(4) Daten im Sinne des Absatzes 1 über Personen vor Vollendung des 16. Lebensjahres<br />

sind nach zwei Jahren zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im<br />

Sinne des § 2 Abs. 1 angefallen sind. Daten im Sinne des Absatzes 1 über Personen<br />

nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei<br />

Jahren auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu<br />

löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse im<br />

Sinne des § 2 Abs. 1 angefallen sind.<br />

(5) Personenbezogene Daten, die zu löschen sind, dürfen nicht zum Nachteil des<br />

Betroffenen verarbeitet werden.<br />

§ 10<br />

Errichtungsanordnung<br />

(1) Für jede Datei im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2, in der personenbezogene Daten<br />

automatisiert verarbeitet werden, ist in einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung<br />

des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums bedarf, festzulegen:<br />

1. die Bezeichnung des Verfahrens,<br />

2. der Zweck der Datei,<br />

3. die Voraussetzungen der Verarbeitung und Nutzung (Rechtsgrundlagen, betroffener<br />

Personenkreis, Art der Daten),<br />

4. die Anlieferung oder Eingabe,<br />

5. verarbeitungsberechtigte Personen oder Personengruppen,<br />

6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer und<br />

7. die Protokollierung.<br />

(2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Errichtungsanordnung<br />

anzuhören. Wesentliche Änderungen sind ihm nach Erlass mitzuteilen.<br />

(3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit<br />

der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen.


§ 11<br />

Auskunft an den Betroffenen<br />

(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über die zu seiner<br />

Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, so weit er ein<br />

besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Über Speicherungen in anderen<br />

Unterlagen als Dateien im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 und zum Betroffenen geführten<br />

Personenakten wird Auskunft nur erteilt, soweit der Betroffene Angaben macht,<br />

die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft<br />

erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem vom Betroffenen geltend gemachten<br />

Informationsinteresse steht.<br />

(2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, so weit:<br />

1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen<br />

ist;<br />

2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein<br />

können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des<br />

Landesamt für Verfassungsschutz zu befürchten ist;<br />

3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes<br />

oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder<br />

4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder<br />

ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen<br />

eines Dritten, geheim gehalten werden müssen.<br />

Die Entscheidung trifft der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ein<br />

von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter.<br />

(3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und<br />

die Empfänger von Übermittlungen.<br />

(4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch<br />

der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Wird die Auskunftserteilung<br />

abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der<br />

Begründung und darauf hinzuweisen, dass er sich an den Landesbeauftragten für<br />

den Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist<br />

auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, so weit nicht das für den Verfassungsschutz<br />

zuständige Ministerium im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes<br />

oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Landesbeauftragten für<br />

den Datenschutz an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand<br />

des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer<br />

weitergehenden Auskunft zustimmt.<br />

ThürVSG<br />

199


200<br />

ThürVSG<br />

Dritter Abschnitt<br />

Übermittlungsvorschriften<br />

§ 12<br />

Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen<br />

(1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Register, Gebietskörperschaften und<br />

andere der staatlichen Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen<br />

Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen des Landes haben von sich aus dem<br />

Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen<br />

Informationen zu übermitteln, so weit tatsächliche Anhaltspunkte dafür<br />

bestehen, dass die Übermittlung der Informationen, insbesondere über Tatbestände,<br />

die in § 100 a Strafprozessordnung und in § 3 des Artikel 10-Gesetzes aufgeführt<br />

sind, für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz nach<br />

§ 2 Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73<br />

Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist.<br />

(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich<br />

darauf zu überprüfen, ob sie für seine Aufgabenerfüllung erforderlich<br />

sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten.<br />

(3) Gesetzliche Übermittlungsverbote bleiben unberührt.<br />

§ 13<br />

Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen<br />

(1) Die in § 12 Abs. 1 genannten öffentlichen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz<br />

auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt<br />

gewordenen Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen,<br />

dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben nach § 2 Abs. 1 oder 5 oder<br />

entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder<br />

c des Grundgesetzes erforderlich ist. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen.<br />

(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akten und amtlich geführte Dateien<br />

und Register anderer öffentlicher Stellen unter den Voraussetzungen des Absatzes 1<br />

einsehen, wenn die Übermittlung von Informationen aus den Akten, Dateien oder<br />

Registern im Wege der Mitteilung durch die ersuchte Behörde den Zweck der Maßnahme<br />

gefährden oder das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unverhältnismäßig<br />

beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme hat das Landesamt für Verfassungsschutz<br />

einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die<br />

Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren und am<br />

Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten.<br />

(3) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann von den Behörden des Landes und<br />

den sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des<br />

öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Informationen verlangen, die diesen<br />

Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben<br />

des Verfassungsschutzes erforderlich sind.<br />

(4) § 12 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.


§ 14<br />

Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz<br />

(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, so weit gesetzlich nichts anderes<br />

bestimmt ist, an andere Behörden und öffentliche Stellen personenbezogene Daten<br />

zur Erfüllung seiner Aufgaben nach § 2 Abs. 1, 5 und 6 übermitteln. Zu anderen<br />

Zwecken darf es, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene<br />

Daten nur übermitteln an:<br />

1. Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte<br />

dafür bestehen, dass die Übermittlung erforderlich ist;<br />

a) zur Verhütung oder Verfolgung der in §§ 74 a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes<br />

genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten, bei denen aufgrund<br />

ihrer Zielsetzung, des Motivs des Tatverdächtigen oder dessen Verbindung<br />

zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen,<br />

dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes<br />

genannten Schutzgüter gerichtet sind;<br />

b) zur Verfolgung der in § 100 a Strafprozessordnung genannten Straftaten oder<br />

sonstiger Straftaten im Rahmen der organisierten Kriminalität;<br />

2. Polizeibehörden, so weit sie gefahrenabwehrend tätig sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte<br />

dafür bestehen, dass dies zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist<br />

und die Übermittlung der Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr<br />

oder zur vorbeugenden Bekämpfung der in Nummer 2 genannten Straftaten<br />

sowie von Verbrechen, für deren Vorbereitung konkrete Hinweise vorliegen, dient;<br />

3. andere Behörden und öffentliche Stellen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür<br />

bestehen, dass die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich<br />

ist und der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen<br />

Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt.<br />

(2) Die Empfängerbehörde hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf<br />

zu überprüfen, ob sie für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Sie darf die personenbezogenen<br />

Daten, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem<br />

Zweck nutzen, zu dem sie ihr übermittelt wurden.<br />

(3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an öffentliche<br />

Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sowie an über- oder<br />

zwischenstaatliche öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner<br />

Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich<br />

ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik<br />

Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen<br />

Person entgegenstehen. Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf<br />

hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden darf,<br />

zu dem sie ihm übermittelt wurden.<br />

(4) Personenbezogene Daten dürfen an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen<br />

Bereiches nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz der<br />

freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit<br />

ThürVSG<br />

201


202<br />

ThürVSG<br />

des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und das für den Verfassungsschutz<br />

zuständige Ministerium im Einzelfall die Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt für<br />

Verfassungsschutz führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem<br />

der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen.<br />

Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, vor unberechtigtem Zugriff zu sichern<br />

und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu<br />

vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur<br />

für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist<br />

auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt<br />

für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung<br />

der Daten zu bitten.<br />

(5) Absatz 4 findet keine Anwendung bei Datenübermittlungen nach § 5 Abs. 1<br />

Satz 2.<br />

(6) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Übermittlung personenbezogener<br />

Daten durch Abruf im automatisierten Verfahren unzulässig.<br />

§ 15<br />

Übermittlungsverbote<br />

Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Teils hat zu unterbleiben, wenn<br />

1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art<br />

der personenbezogenen Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen<br />

der betroffenen Personen des Allgemeininteresse an der Übermittlung<br />

überwiegen,<br />

2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern.<br />

§ 16<br />

Unterrichtung der Öffentlichkeit<br />

(1) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Öffentlichkeit<br />

einmal im Jahr über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1. Dabei<br />

dürfen der Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn<br />

das Interesse der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzwürdige Interesse<br />

des Betroffenen überwiegt.<br />

(2) Absatz 1 Satz 2 gilt auch für die Unterrichtung der Öffentlichkeit durch das<br />

Landesamt für Verfassungsschutz.<br />

§ 17<br />

Nachberichtspflicht<br />

Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig<br />

oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn<br />

dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist.


Die Unterrichtung kann unterbleiben, wenn sie einen erheblichen Aufwand erfordern<br />

würde und nachteilige Folgen für den Betroffenen nicht zu befürchten sind.<br />

Vierter Abschnitt<br />

Parlamentarische Kontrolle<br />

§ 18<br />

Parlamentarische Kontrollkommission<br />

(1) Die Landesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamtes für<br />

Verfassungsschutz der parlamentarischen Kontrolle. Sie wird von der Parlamentarischen<br />

Kontrollkommission ausgeübt. Die Rechte des Landtags und seiner Ausschüsse<br />

und der Kommission aufgrund des Landesgesetzes zur Ausführung des Gesetzes<br />

zu Artikel 10 Grundgesetz vom 29. Oktober 1991 bleiben unberührt.<br />

(2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu<br />

Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner<br />

Mitglieder (nach d ́Hondt) gewählt werden. Die Kontrollkommission wählt einen<br />

Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung.<br />

(3) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die<br />

Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen<br />

im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt<br />

geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. Die Geheimhaltung<br />

gilt nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn eine Mehrheit von<br />

zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission<br />

ihre vorherige Zustimmung erteilt; die Veröffentlichung und Bewertung nimmt<br />

Tatsachen und Vorgänge nicht vom Geheimhaltungsgebot aus.<br />

(4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus oder wird ein<br />

Mitglied zum Mitglied der Landesregierung ernannt, so verliert es seine Mitgliedschaft<br />

in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich<br />

ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der<br />

Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet.<br />

(5) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das Ende<br />

der Wahlperiode des Landtags so lange aus, bis der nachfolgende Landtag eine<br />

neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat.<br />

§ 19<br />

Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission<br />

(1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission<br />

mindestens viermal im Jahr umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes<br />

für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Sie<br />

berichtet zu sonstigen Vorgängen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes für<br />

Verfassungsschutz, sofern die Parlamentarische Kontrollkommission dies verlangt.<br />

Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen<br />

Kontrollkommission verlangen.<br />

ThürVSG<br />

203


204<br />

ThürVSG<br />

(2) Die Landesregierung hat der Parlamentarischen Kontrollkommission im Rahmen<br />

der Unterrichtung nach Absatz 1 auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien des<br />

Landesamts für Verfassungsschutz zu geben, die Anhörung von Mitarbeitern des<br />

Landesamts zu gestatten und Besuche beim Landesamt zu ermöglichen.<br />

(3) Die Verpflichtung der Landesregierung nach Absatz 1 erstreckt sich nur auf Informationen<br />

und Gegenstände, die der Verfügungsberechtigung des Landesamts für<br />

Verfassungsschutz unterliegen.<br />

(4) Die Landesregierung kann die Unterrichtung nach den Absätzen 1 und 2 nur<br />

verweigern, wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs oder aus<br />

Gründen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten Dritter notwendig ist oder wenn<br />

der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung betroffen ist. Lehnt die Landesregierung<br />

eine Unterrichtung ab, so hat das für den Verfassungsschutz zuständige<br />

Ministerium dies der Parlamentarischen Kontrollkommission auf deren Wunsch zu<br />

begründen.<br />

(5) An den Landtag gerichtete Eingaben von Bürgern über ein sie betreffendes Verhalten<br />

des Landesamts für Verfassungsschutz können der Parlamentarischen Kontrollkommission<br />

zur Kenntnis gegeben werden.<br />

(6) Die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten<br />

den Landtag mindestens alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit.<br />

Fünfter Abschnitt<br />

Schlussbestimmungen<br />

§ 20<br />

Haushaltsvorlagen<br />

(1) Der Haushalts- und Finanzausschuss berät Haushaltsvorlagen zum Verfassungsschutz<br />

in vertraulicher Sitzung. Die Mitglieder des Haushalts- und Finanzausschusses<br />

sind zur Geheimhaltung aller Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer<br />

Tätigkeit bekannt geworden sind.<br />

(2) Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission können an diesen Sitzungen<br />

des Haushalts- und Finanzausschusses mit beratender Stimme teilnehmen.<br />

§ 20 a<br />

Einschränkung von Grundrechten<br />

Aufgrund dieses Gesetzes können die Rechte auf Schutz der Privatsphäre (Artikel<br />

6 der Verfassung des Freistaats Thüringen) und des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses<br />

(Artikel 10 des Grundgesetzes und Artikel 7 der Verfassung des Freistaats<br />

Thüringen), auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes und<br />

Artikel 8 der Verfassung des Freistaats Thüringen), auf Versammlungsfreiheit (Artikel<br />

8 des Grundgesetzes und Artikel 10 der Verfassung des Freistaats Thüringen) und<br />

auf Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 des Grundgesetzes und Artikel 13 der Verfassung<br />

des Freistaats Thüringen) eingeschränkt werden.


§ 20 b<br />

Geltung des Thüringer Datenschutzgesetzes<br />

Bei der Erfüllung der Aufgaben nach § 2 durch das Landesamt für Verfassungsschutz<br />

finden § 3 Abs. 2 und 6, § 7 sowie die §§ 13 bis 25 des Thüringer Datenschutzgesetzes<br />

in der Fassung vom 10. Oktober 2001 (GVBl. S. 276) in der jeweils geltenden<br />

Fassung keine Anwendung.<br />

§ 21<br />

Gleichstellungsbestimmung<br />

Status- und Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in männlicher<br />

und weiblicher Form.<br />

§ 22<br />

Inkrafttreten<br />

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.<br />

ThürVSG<br />

205


206<br />

ThürSÜG<br />

Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG)<br />

Vom 17. März 2003 (GVBl. S. 185)<br />

Erster Abschnitt<br />

Allgemeine Bestimmungen<br />

§ 1<br />

Zweck und Anwendungsbereich des Gesetzes<br />

(1) Dieses Gesetz regelt die Voraussetzungen und das Verfahren zur Überprüfung<br />

einer Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll<br />

(Sicherheitsüberprüfung) oder bereits betraut worden ist (Wiederholungsüberprüfung).<br />

Zweck der Überprüfung ist es, den Zugang zu einer sicherheitsempfindlichen<br />

Tätigkeit auf Personen zu beschränken, bei denen kein Sicherheitsrisiko vorliegt.<br />

(2) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt aus, wer<br />

1. Zugang zu Verschlusssachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die STRENG<br />

GEHEIM, GEHEIM oder VS-VERTRAULICH eingestuft sind,<br />

2. Zugang zu mit Nummer 1 vergleichbaren Verschlusssachen ausländischer oder<br />

über- oder zwischenstaatlicher Stellen hat oder ihn sich verschaffen kann, sofern<br />

eine Verpflichtung besteht, hierfür nur sicherheitsüberprüfte Personen einzusetzen,<br />

3. in einer Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle des Landes oder in einem<br />

Teil von ihr tätig ist oder werden soll, die aufgrund des Umfangs und der Bedeutung<br />

dort anfallender Verschlusssachen von der jeweils zuständigen obersten<br />

Landesbehörde im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen<br />

Ministerium zum Sicherheitsbereich erklärt worden ist,<br />

4. in einer Behörde oder einem sonstigen durch Rechtsverordnung nach § 33 bestimmten<br />

sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereich der Informations- und<br />

Kommunikationstechnik Zugangsmöglichkeiten hat, sich verschaffen kann oder<br />

an einer Stelle tätig ist oder werden soll, von der aus in die ordnungsgemäße<br />

Funktion oder die Integrität eines Systems der Informations- und Kommunikationstechnik<br />

eingegriffen werden kann und dadurch die Sicherheit des Landes<br />

gefährdet oder seinen Interessen schwerer Schaden zugefügt werden kann,<br />

5. an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer durch Rechtsverordnung nach<br />

§ 33 bestimmten lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung beschäftigt ist<br />

oder werden soll.<br />

(3) Lebenswichtig sind solche Einrichtungen,<br />

1. deren Ausfall aufgrund ihrer kurzfristig nicht ersetzbaren Produktion oder<br />

Dienstleistung die Versorgung eines erheblichen Teils der Bevölkerung ernsthaft<br />

nachhaltig gefährden kann,<br />

2. die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind oder<br />

3. deren Zerstörung sich aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr<br />

in besonderem Maße gesundheitsgefährdend auswirken kann.<br />

Verteidigungswichtig sind Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der<br />

Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit dienen, weil sie für das Funktionieren, die<br />

Ausrüstung, Führung und Unterstützung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte<br />

sowie für die zivile Verteidigung von wesentlicher Bedeutung sind. Eine sicher-


heitsempfindliche Stelle ist die kleinste selbständig handelnde Organisationseinheit<br />

innerhalb einer lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung, die vor unberechtigtem<br />

Zugang geschützt ist und von der im Falle der Beeinträchtigung eine erhebliche<br />

Gefahr für die in den Sätzen 1 und 2 genannten Schutzgüter ausgeht.<br />

(4) Im Einvernehmen mit der mitwirkenden Behörde (§ 3 Abs. 3) bestimmt die jeweils<br />

zuständige Aufsichtsbehörde oder die zuständige oberste Landesbehörde die<br />

sicherheitsempfindlichen Stellen bei den durch eine Rechtsverordnung aufgrund<br />

des § 33 benannten lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen.<br />

§ 2<br />

Betroffener Personenkreis<br />

(1) Eine Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll<br />

(betroffene Person), ist vorher einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Eine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit darf erst nach Vollendung des 16. Lebensjahrs übertragen<br />

werden. Von einer Sicherheitsüberprüfung nach diesem Gesetz kann abgesehen werden,<br />

wenn für die betroffene Person vor weniger als fünf Jahren eine gleich- oder höherwertige<br />

Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wurde oder sie in eine Sicherheitsüberprüfung<br />

mit entsprechenden Maßnahmen einbezogen und kein Sicherheitsrisiko festgestellt<br />

worden ist und die Unterlagen der Sicherheitsüberprüfung noch verfügbar sind.<br />

(2) Der volljährige Ehegatte oder der volljährige Partner, mit dem die betroffene Person<br />

in eheähnlicher oder gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft oder in eingetragener<br />

Lebenspartnerschaft lebt (Lebenspartner), ist in die Sicherheitsüberprüfung nach<br />

den §§ 9 und 10 einzubeziehen. Über Ausnahmen entscheidet die zuständige Stelle<br />

(§ 3). Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. Geht die betroffene Person die Ehe oder die<br />

Gemeinschaft mit dem Lebenspartner während oder erst nach der erfolgten Sicherheitsüberprüfung<br />

ein, so hat diese die zuständige Stelle zu unterrichten, um sie in<br />

die Lage zu versetzen, die Einbeziehung des Ehegatten oder des Lebenspartners in<br />

die Sicherheitsüberprüfung nachzuholen. Das Gleiche gilt bei später eintretender<br />

Volljährigkeit des Ehegatten oder Volljährigkeit des Lebenspartners.<br />

(3) Dieses Gesetz gilt nicht für:<br />

1. Mitglieder des Landtags, der Landesregierung und des Rechnungshofs,<br />

2. Richter, soweit sie Aufgaben der Rechtsprechung wahrnehmen,<br />

3. Rechtsanwälte, soweit ihnen Akteneinsicht nach § 147 der Strafprozessordnung<br />

(StPO) zu gewähren ist,<br />

4. ausländische Staatsangehörige, die in der Bundesrepublik Deutschland im Interesse<br />

über- oder zwischenstaatlicher Einrichtungen und Stellen eine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 ausüben sollen.<br />

§ 3<br />

Zuständigkeit<br />

(1) Zuständige Stelle für die Sicherheitsüberprüfung ist<br />

1. die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle, die eine Person mit einer sicherheitsempfindlichen<br />

Tätigkeit betrauen will oder in deren Bereich sich die sicherheitsempfindliche<br />

Stelle des öffentlichen Bereichs der Informations- und Kom-<br />

ThürSÜG<br />

207


208<br />

ThürSÜG<br />

munikationstechnik befindet, es sei denn, die jeweils zuständige Aufsichts- oder<br />

oberste Landesbehörde übernimmt die Aufgaben der zuständigen Stelle,<br />

2. bei den Leitern von Landesbehörden, Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie<br />

von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts die jeweils<br />

zuständige Aufsichtsbehörde,<br />

3. bei Landräten und Bürgermeistern die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde,<br />

4. bei politischen Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes sowie deren Stiftungen<br />

die Partei selbst.<br />

(2) Die Aufgaben der zuständigen Stelle nach diesem Gesetz nimmt der Behördenleiter<br />

wahr. Er kann sie auf eine von der Personalverwaltung getrennte Organisationseinheit<br />

übertragen.<br />

(3) Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist das Landesamt für Verfassungsschutz,<br />

soweit nicht im Einzelfall das für den Verfassungsschutz zuständige<br />

Ministerium die Mitwirkung einer anderen Verfassungsschutzbehörde bestimmt.<br />

(4) Das Landesamt für Verfassungsschutz führt Sicherheitsüberprüfungen für Bewerber<br />

sowie Mitarbeiter des eigenen Dienstes nach den Bestimmungen dieses Gesetzes<br />

selbst durch, sofern nicht das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium<br />

die Aufgaben der zuständigen Stelle wahrnimmt.<br />

§ 4<br />

Verschlusssachen<br />

(1) Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen,<br />

Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform. Sie<br />

werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf<br />

deren Veranlassung eingestuft.<br />

(2) Eine Verschlusssache ist<br />

1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder<br />

lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer<br />

Länder gefährden kann,<br />

2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik<br />

Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen<br />

schweren Schaden zufügen kann,<br />

3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen<br />

der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein<br />

kann,<br />

4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte<br />

für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder<br />

nachteilig sein kann.<br />

§ 5<br />

Sicherheitsrisiken, sicherheitserhebliche Erkenntnisse, Sicherheitshinweise<br />

(1) Ein Sicherheitsrisiko im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte


1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung<br />

einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen,<br />

2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder<br />

Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, begründen<br />

oder<br />

3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen<br />

Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen.<br />

Ein Sicherheitsrisiko bei der betroffenen Person kann sich auch aufgrund sicherheitserheblicher<br />

Erkenntnisse zu anderen Personen ergeben, die mit ihr insbesondere<br />

als Ehegatte oder Lebenspartner in enger persönlicher Beziehung stehen.<br />

(2) Eine Erkenntnis ist sicherheitserheblich, wenn sich aus ihr ein Anhaltspunkt für<br />

ein Sicherheitsrisiko ergibt.<br />

(3) Sicherheitshinweise im Sinne dieses Gesetzes sind fallbezogene Empfehlungen,<br />

die zur weiteren Betreuung der betroffenen Person notwendig erscheinen.<br />

§ 6<br />

Rechte und Pflichten der betroffenen und der einbezogenen Person<br />

(1) Die betroffene Person ist über die Art der beabsichtigten Sicherheitsüberprüfung<br />

von der zuständigen Stelle zu unterrichten. Wird eine weiter gehende Sicherheitsüberprüfung<br />

als ursprünglich vorgesehen notwendig (§ 7 Abs. 2), so ist auch für<br />

diese eine vorherige Unterrichtung erforderlich.<br />

(2) Die Zustimmung der betroffenen Person ist Voraussetzung für die Durchführung<br />

einer Sicherheitsüberprüfung. Wird die Zustimmung durch die betroffene Person<br />

nicht erteilt, so ist die Sicherheitsüberprüfung nicht durchführbar. Die betroffene<br />

Person darf in diesem Fall nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut<br />

werden.<br />

(3) Hat die betroffene Person in die Sicherheitsüberprüfung eingewilligt, so ist sie<br />

verpflichtet, die zur Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Angaben vollständig<br />

und wahrheitsgemäß zu machen. Sie kann Angaben verweigern, die für sie, einen<br />

nahen Angehörigen nach § 52 Abs. 1 StPO oder den Lebenspartner die Gefahr<br />

straf- und disziplinarrechtlicher Verfolgung, der Entlassung oder Kündigung begründen<br />

könnten. Werden Angaben verweigert, so ist die betroffene Person verpflichtet,<br />

darauf hinzuweisen. Über das Verweigerungsrecht sowie über ihr Widerspruchsrecht<br />

nach § 37 Abs. 2 des Thüringer Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 10.<br />

Oktober 2001 (GVBl. S. 276) in der jeweils geltenden Fassung ist die betroffene<br />

Person zu belehren.<br />

(4) Die betroffene Person hat der zuständigen Stelle von sich aus Änderungen von<br />

Namen, Wohnsitzen und Staatsangehörigkeiten mitzuteilen. Mitteilungsbedürftig<br />

ist ferner jede Veränderung des Familienstands sowie das Eingehen oder das Beenden<br />

einer Lebenspartnerschaft.<br />

(5) Werden der Ehegatte oder Lebenspartner in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen,<br />

gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend.<br />

ThürSÜG<br />

209


210<br />

ThürSÜG<br />

(6) Bevor die zuständige Stelle die Zulassung zu einer sicherheitsempfindlichen<br />

Tätigkeit ablehnt, hat sie der betroffenen Person Gelegenheit zu geben, sich schriftlich<br />

oder mündlich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen persönlich<br />

zu äußern. Die betroffene Person kann zu einer Anhörung mit einer Person ihres<br />

Vertrauens erscheinen. Die Anhörung erfolgt in einer Weise, die den Schutz nachrichtendienstlicher<br />

Quellen gewährleistet und den schutzwürdigen Interessen von<br />

Personen, die im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung befragt wurden, Rechnung<br />

trägt. Sie unterbleibt, wenn sie einen erheblichen Nachteil für die Sicherheit des<br />

Bundes oder eines Landes zur Folge hätte, insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen<br />

von Personen, die sich beim Landesamt für Verfassungsschutz um Einstellung<br />

beworben haben.<br />

(7) Liegen in der Person des Ehegatten oder des Lebenspartners Anhaltspunkte vor,<br />

die ein Sicherheitsrisiko begründen, so hat ihr die zuständige Stelle Gelegenheit zu<br />

geben, sich persönlich zu den erheblichen Tatsachen zu äußern. Absatz 6 Satz 2<br />

bis 4 gilt entsprechend.<br />

(8) Die Absätze 6 und 7 sind auch im Fall der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung<br />

in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit anzuwenden.<br />

Zweiter Abschnitt<br />

Überprüfungsarten und Durchführungsmaßnahmen<br />

§ 7<br />

Arten der Sicherheitsüberprüfung<br />

(1) Entsprechend der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entweder<br />

eine<br />

1. einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü 1) oder<br />

2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) oder<br />

3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt.<br />

(2) Ergeben sich bei der Sicherheitsüberprüfung sicherheitserhebliche Erkenntnisse,<br />

die nur durch Maßnahmen der nächsthöheren Art der Sicherheitsüberprüfung geklärt<br />

werden können, kann die zuständige Stelle mit Zustimmung der betroffenen<br />

Person und gegebenenfalls des einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners die<br />

nächsthöhere Art der Sicherheitsüberprüfung einleiten. Diese ist jedoch nur in dem<br />

Umfang durchzuführen, wie es zur Aufklärung der sicherheitserheblichen Erkenntnisse<br />

erforderlich ist. § 12 Abs. 6 bleibt unberührt.<br />

§ 8<br />

Einfache Sicherheitsüberprüfung<br />

(1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die<br />

1. Zugang zu VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen<br />

oder ihn sich verschaffen können,<br />

2. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen<br />

sollen.


(2) In Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 kann die zuständige Stelle von der Sicherheitsüberprüfung<br />

oder einem Teil der Sicherheitsüberprüfung absehen, wenn Art oder<br />

Dauer der Tätigkeit dies zulassen.<br />

§ 9<br />

Erweiterte Sicherheitsüberprüfung<br />

Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die<br />

1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich<br />

verschaffen können,<br />

2. Zugang zu einer hohen Anzahl von VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen<br />

erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können,<br />

3. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen<br />

sollen,<br />

4. Tätigkeiten in Bereichen oder an Stellen nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 oder 5 wahrnehmen<br />

sollen,<br />

soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit<br />

eine Sicherheitsüberprüfung nach § 8 für ausreichend hält.<br />

§ 10<br />

Erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen<br />

Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen ist für Personen<br />

durchzuführen, die<br />

1. Zugang zu STRENG GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen<br />

oder ihn sich verschaffen können,<br />

2. Zugang zu einer hohen Anzahl von GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten<br />

sollen oder ihn sich verschaffen können,<br />

3. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen<br />

sollen,<br />

4. beim Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden sollen,<br />

soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit<br />

eine Sicherheitsüberprüfung nach § 8 oder § 9 für ausreichend hält.<br />

§ 11<br />

Datenerhebung<br />

(1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde dürfen die zur Erfüllung<br />

ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlichen Daten erheben. Die betroffene<br />

Person sowie die sonstigen zu befragenden Personen und nicht öffentlichen Stellen<br />

sind auf den Zweck der Erhebung, die Auskunftspflichten nach diesem Gesetz und<br />

auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht,<br />

ansonsten auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen<br />

der in § 3 Abs. 4 genannten Personen kann die Angabe der erhebenden<br />

Stelle gegenüber den sonstigen zu befragenden Personen oder nicht öffentlichen<br />

Stellen unterbleiben, wenn dies zum Schutz der betroffenen Person oder des Nachrichtendienstes<br />

erforderlich ist.<br />

ThürSÜG<br />

211


212<br />

ThürSÜG<br />

(2) Die zuständige Stelle erhebt die personenbezogenen Daten grundsätzlich bei<br />

der betroffenen Person und, falls es darüber hinaus erforderlich ist, bei dem in die<br />

Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner. Reicht diese<br />

Erhebung nicht aus oder stehen ihr schutzwürdige Interessen der betroffenen Person<br />

oder seines Ehegatten oder Lebenspartners entgegen, können andere geeignete<br />

Personen oder Stellen befragt werden.<br />

(3) Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die mitwirkende Behörde<br />

richtet sich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes und, soweit dort keine Regelungen<br />

getroffen worden sind, nach den Bestimmungen des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes<br />

(ThürVSG) vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 527) in der jeweils<br />

geltenden Fassung.<br />

§ 12<br />

Maßnahmen bei den einzelnen Überprüfungsarten<br />

(1) Die mitwirkende Behörde wird nur auf Antrag der zuständigen Stelle tätig.<br />

(2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach § 8 trifft die mitwirkende Behörde folgende<br />

Maßnahmen:<br />

1. sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung<br />

der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und<br />

der Länder,<br />

2. Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister sowie<br />

Auskunftsersuchen an das Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister<br />

(ZStV),<br />

3. Anfragen unter Beteiligung der Landeskriminalämter an die Polizeidienststellen<br />

der Wohnsitze der betroffenen Person, in der Regel beschränkt auf die letzten<br />

fünf Jahre,<br />

4. Anfragen an das Bundeskriminalamt, die Grenzschutzdirektion und die Nachrichtendienste<br />

des Bundes.<br />

(3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach § 9 prüft die mitwirkende Behörde zusätzlich<br />

zu den in Absatz 2 genannten Maßnahmen die Identität der betroffenen Person.<br />

Wird der Ehegatte oder der Lebenspartner nach § 2 Abs. 2 in die Sicherheitsüberprüfung<br />

einbezogen, trifft die mitwirkende Behörde bezüglich der einzubeziehenden<br />

Person die in den Absätzen 2 und 3 genannten Maßnahmen.<br />

(4) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach § 10 befragt die mitwirkende Behörde<br />

zusätzlich von der betroffenen Person in seiner Sicherheitserklärung angegebene<br />

Referenzpersonen und weitere geeignet erscheinende Auskunftspersonen, um<br />

zu prüfen, ob die Angaben der betroffenen Person zutreffen und ob tatsächliche<br />

Anhaltspunkte vorliegen, die auf ein Sicherheitsrisiko schließen lassen. Darüber<br />

hinaus sind Auskünfte zu den finanziellen Verhältnissen der betroffenen Person einzuholen.<br />

(5) Die zuständige Stelle fragt zur Feststellung einer hauptamtlichen oder inoffiziellen<br />

Tätigkeit der betroffenen Person oder des einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners<br />

für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen<br />

Republik beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes


der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik an, wenn die betroffene Person<br />

oder der einbezogene Ehegatte oder Lebenspartner vor dem 1. Januar 1970<br />

geboren wurde oder Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst<br />

der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vorliegen. Auf die Anfrage<br />

kann verzichtet werden, wenn eine nicht länger als sechs Monate zurückliegende<br />

Auskunft vorliegt. Ergibt die Anfrage sicherheitserhebliche Erkenntnisse, übermittelt<br />

sie die zuständige Stelle zur Bewertung an die mitwirkende Behörde.<br />

(6) Soweit es eine sicherheitserhebliche Erkenntnis erfordert und die Befragung der<br />

betroffenen Person oder ihres Ehegatten oder Lebenspartners nicht ausreicht oder<br />

ihr schutzwürdige Interessen entgegenstehen, kann die mitwirkende Behörde neben<br />

den Maßnahmen nach den Absätzen 2 bis 4 weitere geeignet erscheinende Auskunftspersonen<br />

befragen oder andere Stellen, insbesondere Staatsanwaltschaften und<br />

Gerichte, um Auskunft ersuchen oder Einzelmaßnahmen der nächsthöheren Art der<br />

Sicherheitsüberprüfung durchführen. § 6 Abs. 1 und 2 findet keine Anwendung.<br />

(7) Liegt eine sicherheitserhebliche Erkenntnis zu anderen Personen vor, die mit der<br />

betroffenen Person in enger persönlicher Beziehung stehen, kann die mitwirkende<br />

Behörde zu diesen Personen mit deren Zustimmung die zur Klärung eines Sicherheitsrisikos<br />

jeweils notwendigen Ermittlungen nach den Absätzen 2 bis 4 und 6<br />

durchführen.<br />

Dritter Abschnitt<br />

Verfahren<br />

§ 13<br />

Beginn der Sicherheitsüberprüfung und Angaben zur Sicherheitserklärung<br />

(1) Die Personalverwaltung der nach § 3 Abs. 1 zuständigen Stelle teilt der nach §<br />

3 Abs. 2 aufgabenwahrnehmenden Stelle mit, dass eine Person in einer bestimmten<br />

sicherheitsempfindlichen Tätigkeit eingesetzt werden soll. Durch die nach § 3 Abs.<br />

2 zuständige Stelle wird die betroffene Person zur Abgabe der Sicherheitserklärung<br />

aufgefordert; § 6 ist zu beachten.<br />

(2) In der Sicherheitserklärung sind von der betroffenen Person anzugeben:<br />

1. Namen, auch frühere, Vornamen, akademische Grade,<br />

2. Geburtsdatum, -ort,<br />

3. Staatsangehörigkeit, auch frühere und mehrfache Staatsangehörigkeiten,<br />

4. Familienstand, Lebenspartnerschaft,<br />

5. Wohnsitze und Aufenthalte von längerer Dauer als zwei Monate, und zwar im<br />

Inland in den vergangenen fünf Jahren, im Ausland ab dem 18. Lebensjahr,<br />

6. ausgeübter Beruf,<br />

7. derzeitiger oder letzter Arbeitgeber und dessen Anschrift,<br />

8. Anzahl der Kinder,<br />

9. im Haushalt lebende Personen über 18 Jahre (Namen, auch frühere, Vornamen,<br />

Geburtsdatum und -ort, Verhältnis zu dieser Person),<br />

10. Eltern, Stief- und Pflegeeltern (Namen, auch frühere, Vornamen, Geburtsdatum<br />

und -ort, Staatsangehörigkeit und Wohnsitz),<br />

11. Ausbildungs- und Beschäftigungszeiten, Wehr- oder Zivildienstzeiten mit Angabe<br />

der Ausbildungsstätten, Beschäftigungsstellen sowie deren Anschriften,<br />

ThürSÜG<br />

213


214<br />

ThürSÜG<br />

12. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt<br />

wurden, sowie Angaben darüber, ob die zurzeit bestehenden finanziellen<br />

Verpflichtungen erfüllt werden können,<br />

13. Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten und den Nachrichtendiensten<br />

der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die auf einen Anbahnungs-<br />

und Werbungsversuch hindeuten können,<br />

14. Tätigkeiten für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit beziehungsweise<br />

das Amt für Nationale Sicherheit der DDR oder die Verwaltung Aufklärung im<br />

Ministerium für Nationale Verteidigung,<br />

15. hauptamtliche Funktionen in einer Partei oder Massenorganisation der ehemaligen<br />

Deutschen Demokratischen Republik sowie Tätigkeit als „Reisekader in das<br />

nicht sozialistische Wirtschaftsgebiet“,<br />

16. Beziehungen zu Organisationen, die von ihren Anhängern unbedingten Gehorsam<br />

verlangen und deshalb die betroffene Person in Konflikt mit ihrer Verschwiegenheitspflicht<br />

bringen können,<br />

17. Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Organisationen,<br />

18. anhängige Straf- und Disziplinarverfahren,<br />

19. Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Reisen, nahen Angehörigen und sonstigen<br />

Beziehungen in und zu Staaten, zu denen das Bundesministerium des<br />

Innern als Nationale Sicherheitsbehörde festgestellt hat, dass besondere Sicherheitsrisiken<br />

für die mit sicherheitsempfindlicher Tätigkeit betrauten Personen zu<br />

befürchten sind,<br />

20. frühere Sicherheitsüberprüfungen, sowie bei Sicherheitsüberprüfungen nach<br />

den §§ 9 und 10 zusätzlich<br />

21. Nummer des Personalausweises oder des Reisepasses,<br />

22. zwei Auskunftspersonen zur Identitätsprüfung der betroffenen Person (jeweils<br />

Namen, Vornamen, Anschrift und Verhältnis zur Person), sowie bei Sicherheitsüberprüfungen<br />

nach § 10 zusätzlich<br />

23. drei Referenzpersonen (jeweils Namen, Vornamen, Beruf, berufliche und private<br />

Anschrift und Rufnummern sowie zeitlicher Beginn der Bekanntschaft).<br />

Den Erklärungen zur Sicherheitsüberprüfung nach den §§ 9 und 10 sind zwei aktuelle<br />

Lichtbilder mit der Angabe des Jahres der Aufnahme beizufügen.<br />

(3) Die Angaben zu Absatz 2 Nr. 10 entfallen, sofern die dort genannten Personen<br />

nicht in einem Haushalt mit der betroffenen Person leben. Zur Person des Ehegatten<br />

oder Lebenspartners werden die Angaben nach Absatz 2 Nr. 1 bis 4, 13, 16 und 17<br />

mit dessen Einverständnis erhoben. Ergeben sich aus der Sicherheitserklärung oder<br />

aufgrund der Abfrage aus einer der in § 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes<br />

(BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970) in der jeweils geltenden<br />

Fassung genannten Verbunddateien sicherheitserhebliche Erkenntnisse über<br />

den Ehegatten oder den Lebenspartner, sind weitere Überprüfungen nur zulässig,<br />

wenn der Ehegatte oder der Lebenspartner der betroffenen Person in die erweiterte<br />

Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird.<br />

(4) Wird der Ehegatte oder der Lebenspartner in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen,<br />

sind zusätzlich für diesen die in Absatz 2 Nr. 1 bis 7, 10 bis 14, 19 und 20<br />

genannten Daten anzugeben.<br />

(5) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in § 3 Abs. 4 genannten Personen sind zusätzlich<br />

die Wohnsitze seit der Geburt, die Geschwister und abgeschlossene Straf- und<br />

Disziplinarverfahren sowie alle Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten


oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik<br />

anzugeben.<br />

(6) Die Sicherheitserklärung ist von der betroffenen Person der zuständigen Stelle<br />

zuzuleiten. Die zuständige Stelle prüft die Angaben auf ihre Vollständigkeit und<br />

Richtigkeit. Zu diesem Zweck kann die Personalakte eingesehen werden. Die zuständige<br />

Stelle leitet die Sicherheitserklärung an die mitwirkende Behörde weiter<br />

und beauftragt diese, eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen, es sei denn, die<br />

zuständige Stelle hat bereits bei der Prüfung der Sicherheitserklärung festgestellt,<br />

dass ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht.<br />

Die mitwirkende Behörde kann mit Zustimmung der betroffenen Person<br />

und der zuständigen Stelle in die Personalakte Einsicht nehmen, wenn dies zur<br />

Klärung oder Beurteilung sicherheitserheblicher Erkenntnisse unerlässlich ist.<br />

§ 14<br />

Abschluss der Sicherheitsüberprüfung<br />

(1) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, dass kein Sicherheitsrisiko<br />

vorliegt, so teilt sie dies der zuständigen Stelle mit. Fallen Erkenntnisse an, die kein<br />

Sicherheitsrisiko begründen, aber weiterhin sicherheitserheblich sind, so werden<br />

diese mitgeteilt. Hierzu können Sicherheitshinweise gegeben werden.<br />

(2) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, dass ein Sicherheitsrisiko<br />

vorliegt, unterrichtet sie schriftlich unter Darlegung der Gründe und ihrer Bewertung<br />

die zuständige Stelle. Bei nachgeordneten Behörden und sonstigen öffentlichen<br />

Stellen erfolgt die Unterrichtung über deren oberste Landes- oder oberste<br />

Aufsichtsbehörde.<br />

(3) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicherheitsempfindlichen<br />

Tätigkeit der betroffenen Person entgegensteht. Im Zweifel<br />

hat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen. § 6 Abs. 6 und 7 ist zu<br />

beachten.<br />

(4) Lehnt die zuständige Stelle die Zulassung zu einer sicherheitsempfindlichen<br />

Tätigkeit ab, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Ablehnung ist unter Beachtung<br />

des Quellenschutzes und der schutzwürdigen Interessen der befragten Personen<br />

und Stellen zu begründen. Die Begründung unterbleibt, wenn sie einen erheblichen<br />

Nachteil für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte,<br />

insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sich beim Landesamt<br />

für Verfassungsschutz um Einstellung beworben haben.<br />

§ 15<br />

Vorläufige Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit<br />

Die zuständige Stelle kann in Ausnahmefällen abweichend von § 2 Abs. 1 die<br />

sicherheitsempfindliche Tätigkeit der betroffenen Person vor Abschluss der Sicherheitsüberprüfung<br />

erlauben, wenn die mitwirkende Behörde<br />

1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung die Angaben in der Sicherheitserklärung<br />

unter Berücksichtigung der eigenen Erkenntnisse bewertet hat oder<br />

ThürSÜG<br />

215


216<br />

ThürSÜG<br />

2. bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung und bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung<br />

mit Sicherheitsermittlungen die Maßnahmen der nächstniederen<br />

Art der Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen hat<br />

und sich daraus keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko ergeben<br />

haben.<br />

§ 16<br />

Unterrichtung durch die personalverwaltende Stelle<br />

Die Personalverwaltung der nach § 3 Abs. 1 zuständigen Stelle unterrichtet die nach<br />

§ 3 Abs. 2 aufgabenwahrnehmende Stelle unverzüglich über die persönlichen,<br />

dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältnisse der Personen, die eine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit ausüben, soweit sie für deren sicherheitsmäßige Beurteilung<br />

erheblich sind. Insbesondere zählen dazu:<br />

3. die Umsetzung, Abordnung, Versetzung und das Ausscheiden aus dem Dienst,<br />

4. Änderungen des Familienstands oder einer Lebenspartnerschaft, des Namens,<br />

eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit,<br />

5. Anhaltspunkte für geistige oder seelische Störungen, für Alkohol-, Drogen- oder<br />

Tablettenmissbrauch,<br />

6. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse,<br />

7. Straf- und Disziplinarsachen sowie dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen.<br />

§ 17<br />

Sicherheitserhebliche Erkenntnisse nach Abschluss der Sicherheitsüberprüfung<br />

(1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben sich unverzüglich gegenseitig<br />

zu unterrichten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse über die betroffene<br />

Person oder den in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner<br />

bekannt werden oder sich mitgeteilte Erkenntnisse als unrichtig erweisen.<br />

(2) Die mitwirkende Behörde prüft die sicherheitserheblichen Erkenntnisse und<br />

stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko nach § 5 Abs. 1 vorliegt. Sie unterrichtet die<br />

zuständige Stelle über das Ergebnis der Prüfung; im Übrigen ist § 14 Abs. 3 und 4<br />

entsprechend anzuwenden.<br />

§ 18<br />

Aktualisierung der Sicherheitserklärung und Wiederholungsüberprüfung<br />

(1) Die Sicherheitserklärung ist der betroffenen Person, die eine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit ausübt, in der Regel alle fünf Jahre erneut zuzuleiten und im Falle<br />

eingetretener Veränderungen von der betroffenen Person zu ergänzen.<br />

(2) Liegt zu der betroffenen Person eine unter Vorbehalt erteilte Auskunft des Bundesbeauftragten<br />

für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen<br />

Deutschen Demokratischen Republik vor oder ist eine Anfrage bisher unterblieben,<br />

ist anlässlich der Aktualisierung oder Wiederholungsüberprüfung eine Auskunft<br />

nach § 12 Abs. 5 einzuholen.


(3) Bei sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten nach § 10 ist in der Regel im Abstand von<br />

zehn Jahren eine Wiederholungsüberprüfung einzuleiten. Im Übrigen kann die zuständige<br />

Stelle eine Wiederholungsüberprüfung einleiten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse<br />

dies nahe legen. Das Verfahren bei der Wiederholungsüberprüfung entspricht<br />

dem der Erstüberprüfung. Abweichend davon kann die mitwirkende Behörde von einer<br />

erneuten Identitätsprüfung absehen. Die Wiederholungsüberprüfung erfolgt nur mit Zustimmung<br />

der betroffenen Person, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, und mit<br />

Zustimmung ihres Ehegatten oder Lebenspartners, sofern er einbezogen wird.<br />

Vierter Abschnitt<br />

Akten über die Sicherheitsüberprüfung, Datenverarbeitung<br />

§ 19<br />

Sicherheitsakte und Sicherheitsüberprüfungsakte<br />

(1) Die zuständige Stelle führt über die betroffene Person eine Sicherheitsakte, in<br />

die alle die Sicherheitsüberprüfung betreffenden Informationen aufzunehmen sind.<br />

Dazu zählen insbesondere:<br />

1. Sicherheitserklärungen (auch frühere),<br />

2. der Antrag auf Feststellung einer möglichen Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst<br />

der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sowie die dazu<br />

erteilte Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes<br />

der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik,<br />

3. das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung einschließlich sicherheitserheblicher<br />

Erkenntnisse und Erkenntnisse über ein Sicherheitsrisiko,<br />

4. Mitteilungen der mitwirkenden Behörde,<br />

5. gegebenenfalls Vermerke, die im Zusammenhang mit der Sicherheitsüberprüfung<br />

angefallen sind.<br />

(2) Informationen über die persönlichen, dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältnisse<br />

der Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, sind<br />

zur Sicherheitsakte zu nehmen, soweit sie für die sicherheitsmäßige Beurteilung<br />

bedeutsam sind. Dazu zählen insbesondere:<br />

1. Zuweisung, Übertragung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, die dazu erteilte<br />

Ermächtigung, deren Änderungen und Beendigung,<br />

2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung und Ausscheiden aus dem Dienst,<br />

3. Änderungen des Familienstands, Beginn und Ende einer Lebenspartnerschaft,<br />

Änderungen des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit,<br />

4. Anhaltspunkte für geistige und seelische Störungen, für Alkohol-, Drogen- oder<br />

Tablettenmissbrauch,<br />

5. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse,<br />

6. Straf- und Disziplinarsachen sowie dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen.<br />

(3) Die mitwirkende Behörde führt über die betroffene Person eine Sicherheitsüberprüfungsakte,<br />

in die aufzunehmen sind:<br />

1. Informationen, die die Sicherheitsüberprüfung, die durchgeführten Maßnahmen<br />

und das Ergebnis betreffen,<br />

2. das Ausscheiden aus oder die Nichtaufnahme der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit,<br />

ThürSÜG<br />

217


218<br />

ThürSÜG<br />

3. Änderungen des Familienstands, Beginn und Ende einer Lebenspartnerschaft,<br />

Änderungen des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit.<br />

Die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 bis 6 genannten Daten sind zur Sicherheitsüberprüfungsakte<br />

zu nehmen, wenn sie sicherheitserheblich sind.<br />

(4) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die in Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2<br />

genannten Daten unverzüglich der mitwirkenden Behörde mitzuteilen. Die Übermittlung<br />

der in Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 genannten Daten erfolgt nach den in § 23 Abs.<br />

2 Satz 1 Nr. 1 festgelegten Fristen.<br />

(5) Die Sicherheitsakte und die Sicherheitsüberprüfungsakte sind keine Personalakten.<br />

Sie sind gesondert zu führen und dürfen weder der personalverwaltenden<br />

Stelle noch der betroffenen Person zugänglich gemacht werden; § 24 Abs. 5 bleibt<br />

unberührt. Bei einem Wechsel der zuständigen Stelle ist die Sicherheitsakte der<br />

betroffenen Person auf schriftliche Anforderung an die neue zuständige Stelle abzugeben,<br />

wenn auch dort eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt werden<br />

soll. Die Sicherheitsüberprüfungsakte ist auf schriftliche Anforderung an die dann<br />

zuständige mitwirkende Behörde abzugeben.<br />

§ 20<br />

Aufbewahrung und Vernichtung der Unterlagen<br />

(1) Die Sicherheitsakte und die Sicherheitsüberprüfungsakte sind gesondert aufzubewahren<br />

und gegen unbefugten Zugriff zu schützen.<br />

(2) Die zuständige Stelle hat die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung nach<br />

den in § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 genannten Fristen zu vernichten.<br />

(3) Die mitwirkende Behörde hat die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung<br />

nach den in § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 genannten Fristen zu vernichten. Gleiches gilt<br />

bezüglich der Unterlagen zu den in § 3 Abs. 4 genannten Personen.<br />

(4) Das Thüringer Archivgesetz vom 23. April 1992 (GVBl. S. 139) in der jeweils<br />

geltenden Fassung findet auf die Sicherheitsakten und Sicherheitsüberprüfungsakten<br />

keine Anwendung.<br />

§ 21<br />

Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten<br />

(1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben<br />

1. die nach diesem Gesetz in § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezogenen<br />

Daten, ihre Aktenfundstelle und die der mitwirkenden Behörde,<br />

2. die Beschäftigungsstelle,<br />

3. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs und<br />

4. beteiligte Behörden<br />

automatisiert verarbeiten.<br />

(2) Die mitwirkende Behörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben


1. die in § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezogenen Daten der betroffenen<br />

Person und des in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder<br />

Lebenspartners und die Aktenfundstelle,<br />

2. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs sowie<br />

3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse und Erkenntnisse, die ein Sicherheitsrisiko<br />

begründen,<br />

automatisiert verarbeiten. Die Daten nach Nummer 1 dürfen auch in den nach § 6<br />

BVerfSchG zulässigen Verbunddateien gespeichert und genutzt werden.<br />

§ 22<br />

Übermittlung und Zweckbindung<br />

(1) Die im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung gespeicherten personenbezogenen<br />

Daten dürfen von der zuständigen Stelle oder mitwirkenden Behörde nur für Zwecke<br />

1. der Sicherheitsüberprüfung,<br />

2. der Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung nach § 31 Abs. 5 des<br />

Polizeiaufgabengesetzes vom 4. Juni 1992 (GVBl. S. 199) in der jeweils geltenden<br />

Fassung sowie<br />

3. parlamentarischer Untersuchungsausschüsse<br />

genutzt und übermittelt werden. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen die ihnen<br />

nach Satz 1 Nr. 2 übermittelten Daten für Zwecke eines Strafverfahrens nur verwenden,<br />

wenn die Strafverfolgung auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend<br />

oder wesentlich erschwert wäre. Die zuständige Stelle darf die gespeicherten<br />

personenbezogenen Daten darüber hinaus für Zwecke der disziplinarrechtlichen<br />

Verfolgung sowie dienst- und arbeitsrechtlicher Maßnahmen nutzen, wenn dies zur<br />

Gewährleistung des Geheim- und Sabotageschutzes erforderlich ist. Die mitwirkende<br />

Behörde darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus<br />

im Rahmen des erforderlichen Umfangs zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden<br />

oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht, von Bestrebungen<br />

und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität oder von Bestrebungen, die darauf<br />

gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten oder<br />

zur Aufklärung sonstiger Bestrebungen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ThürVSG von<br />

erheblicher Bedeutung nutzen und übermitteln.<br />

(2) Die Übermittlung der nach § 21 gespeicherten Daten ist nur zulässig, soweit<br />

sie für die Erfüllung der in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlich ist. Die nach §<br />

21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 gespeicherten Daten dürfen zur Erfüllung aller Zwecke des<br />

Verfassungsschutzes genutzt und übermittelt werden.<br />

(3) Die mitwirkende Behörde darf personenbezogene Daten nach den Absätzen 1<br />

und 2 nur an öffentliche Stellen übermitteln.<br />

(4) Die Nutzung oder Übermittlung unterbleibt, soweit gesetzliche Verwendungsregelungen<br />

entgegenstehen. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den<br />

Zweck verarbeiten und nutzen, zu dem sie übermittelt wurden. Eine nicht öffentliche<br />

Stelle ist darauf hinzuweisen.<br />

ThürSÜG<br />

219


220<br />

ThürSÜG<br />

§ 23<br />

Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten<br />

(1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben personenbezogene<br />

Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Wird die Richtigkeit personenbezogener<br />

Daten von der betroffenen Person bestritten, ist dies, wenn sich die personenbezogenen<br />

Daten in Akten befinden, dort zu vermerken oder, falls die Daten in<br />

einer Datei gespeichert sind, auf sonstige Weise festzuhalten. Die zuständige Stelle<br />

und die mitwirkende Behörde haben sich gegenseitig zu unterrichten.<br />

(2) Die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten sind zu löschen<br />

1. von der zuständigen Stelle<br />

a) unverzüglich, wenn die Sicherheitsüberprüfung vorzeitig abgebrochen<br />

wird,<br />

b) innerhalb eines Jahres, wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, die betroffene Person willigt in die<br />

weitere Speicherung ein,<br />

c) nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person<br />

aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, es sei denn, die betroffene Person<br />

willigt in die weitere Speicherung ein oder es ist beabsichtigt, die betroffene<br />

Person in absehbarer Zeit mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit<br />

zu betrauen,<br />

d) spätestens nach zehn Jahren, sofern die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit aufgenommen hat oder aus einer sicherheitsempfindlichen<br />

Tätigkeit ausgeschieden ist und sie in absehbarer Zeit nicht mit einer<br />

sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll,<br />

2. von der mitwirkenden Behörde<br />

a) unverzüglich, wenn die Sicherheitsüberprüfung vorzeitig abgebrochen wird,<br />

b) innerhalb eines Jahres, wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, die betroffene Person willigt in die<br />

weitere Speicherung ein,<br />

c) bei Sicherheitsüberprüfungen nach § 8 nach Ablauf von fünf Jahren nach<br />

dem Ausscheiden der betroffenen Person aus der sicherheitsempfindlichen<br />

Tätigkeit, es sei denn, die betroffene Person willigt in die weitere Speicherung<br />

ein oder es ist beabsichtigt, die betroffene Person in absehbarer Zeit mit<br />

einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu betrauen,<br />

d) bei Sicherheitsüberprüfungen nach den §§ 9 und 10 nach Ablauf von zehn<br />

Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person aus der sicherheitsempfindlichen<br />

Tätigkeit oder wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit aufgenommen hat und sie in absehbarer Zeit nicht mit<br />

einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll,<br />

e) die nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gespeicherten Daten, wenn feststeht, dass<br />

die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt oder<br />

sie nicht mehr ausübt.<br />

Im Übrigen sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu löschen,<br />

wenn ihre Speicherung unzulässig ist.<br />

(3) Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie<br />

schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden. In diesem<br />

Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen<br />

Person genutzt werden.


§ 24<br />

Auskunft, Akteneinsicht<br />

(1) Auf schriftlichen Antrag erteilt die zuständige Stelle oder die mitwirkende Behörde<br />

unentgeltlich Auskunft über die bei ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung<br />

zu der anfragenden Person gespeicherten Daten.<br />

(2) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und<br />

die Empfänger von Übermittlungen. Bezieht sich die Auskunftserteilung auf personenbezogene<br />

Daten, die von der zuständigen Stelle an die mitwirkende Behörde<br />

oder von der mitwirkenden Behörden an die zuständige Stelle übermittelt wurden,<br />

so ist die Auskunft nur mit deren Zustimmung zulässig.<br />

(3) Die Auskunft unterbleibt, wenn<br />

1. sie die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der speichernden<br />

Stelle liegenden Aufgaben gefährden würde,<br />

2. sie die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder<br />

eines Landes Nachteile bereiten würde oder<br />

3. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder<br />

ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden Interessen eines<br />

Dritten, geheim gehalten werden müssen<br />

und deswegen das Interesse des Anfragenden an der Auskunftserteilung zurücktreten<br />

muss.<br />

(4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit durch<br />

die Mitteilung der tatsächlichen und rechtlichen Gründe, auf die die Entscheidung<br />

gestützt wird, der mit der Auskunftsverweigerung verfolgte Zweck gefährdet würde.<br />

In diesem Fall sind die Gründe der Auskunftsverweigerung aktenkundig zu machen.<br />

Die anfragende Person ist auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung<br />

und darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Landesbeauftragten für Datenschutz<br />

wenden kann. Dem Landesbeauftragten für Datenschutz ist auf Verlangen der anfragenden<br />

Person Auskunft zu erteilen, soweit nicht die jeweils zuständige oberste<br />

Landesbehörde im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder<br />

eines Landes gefährdet würde. Personenbezogene Daten einer Person, der Vertraulichkeit<br />

zugesichert worden ist, dürfen auch dem Landesbeauftragten für Datenschutz<br />

gegenüber nicht offenbart werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten für<br />

Datenschutz an die anfragende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand<br />

der zuständigen Stelle oder der mitwirkenden Behörde zulassen.<br />

(5) Die zuständige Stelle gewährt der anfragenden Person Einsicht in die Sicherheitsakte,<br />

soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen<br />

nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist. Die Regelungen<br />

der Absätze 2 bis 4 gelten entsprechend. Ein Recht auf Einsicht in die Sicherheitsüberprüfungsakte<br />

der mitwirkenden Behörde besteht grundsätzlich nicht.<br />

ThürSÜG<br />

221


222<br />

ThürSÜG<br />

Fünfter Abschnitt<br />

Sonderregelungen bei Sicherheitsüberprüfungen für nicht öffentliche Stellen<br />

§ 25<br />

Anwendungsbereich<br />

Bei Sicherheitsüberprüfungen von betroffenen Personen, die von der zuständigen<br />

Stelle zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit bei einer nicht öffentlichen Stelle<br />

ermächtigt werden sollen, gelten die Sonderregelungen der §§ 25 bis 31.<br />

§ 26<br />

Zuständigkeit<br />

(1) Die Aufgaben der zuständigen Stelle werden wahrgenommen von dem für Wirtschaft<br />

zuständigen Ministerium, es sei denn, eine andere oberste Landesbehörde<br />

nimmt im Einvernehmen mit diesem Ministerium die Aufgaben als zuständige Stelle<br />

wahr.<br />

(2) Die Aufgaben der nicht öffentlichen Stelle nach diesem Gesetz sind grundsätzlich<br />

von einer von der Personalverwaltung getrennten Organisationseinheit<br />

wahrzunehmen. Die zuständige Stelle kann Ausnahmen zulassen, wenn die nicht<br />

öffentliche Stelle sich verpflichtet, Informationen, die ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung<br />

bekannt werden, nur für solche Zwecke zu gebrauchen, die mit<br />

der Sicherheitsüberprüfung verfolgt werden.<br />

§ 27<br />

Sicherheitserklärung, Sicherheitsakte<br />

(1) Die betroffene Person leitet ihre Sicherheitserklärung abweichend von § 13 Abs.<br />

6 Satz 1 der nicht öffentlichen Stelle zu, in der sie beschäftigt ist. Im Falle der Einbeziehung<br />

des Ehegatten oder Lebenspartners fügt die betroffene Person deren Zustimmung<br />

bei. Die nicht öffentliche Stelle prüft die Angaben auf Vollständigkeit und<br />

Richtigkeit und darf, soweit erforderlich, die Personalunterlagen beiziehen. Sie gibt<br />

die Sicherheitserklärung an die zuständige Stelle weiter und teilt dieser vorhandene<br />

sicherheitserhebliche Erkenntnisse mit.<br />

(2) Für die Sicherheitsakte in der nicht öffentlichen Stelle gelten die Bestimmungen<br />

dieses Gesetzes über die Sicherheitsakte entsprechend mit der Maßgabe, dass die<br />

Sicherheitsakte der nicht öffentlichen Stelle bei einem Wechsel des Arbeitgebers<br />

nicht abgegeben werden darf.<br />

§ 28<br />

Abschluss der Sicherheitsüberprüfung, Weitergabe sicherheitserheblicher<br />

Erkenntnisse<br />

Die zuständige Stelle unterrichtet die nicht öffentliche Stelle nur darüber, ob die<br />

betroffene Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut oder nicht<br />

betraut werden kann. Erkenntnisse, die die Ablehnung der Betrauung mit einer


sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betreffen, dürfen nicht mitgeteilt werden. Zur<br />

Gewährleistung des Geheim- und Sabotageschutzes können sicherheitserhebliche<br />

Erkenntnisse an die nicht öffentliche Stelle übermittelt werden und dürfen von ihr<br />

ausschließlich zu diesem Zweck genutzt werden. Die nicht öffentliche Stelle hat<br />

die zuständige Stelle unverzüglich zu unterrichten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse<br />

über die betroffene Person oder über den in die Sicherheitsüberprüfung<br />

einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner bekannt werden.<br />

§ 29<br />

Aktualisierung der Sicherheitserklärung<br />

(1) Die nicht öffentliche Stelle leitet der betroffenen Person, die eine sicherheitsempfindliche<br />

Tätigkeit ausübt, auf Anforderung der zuständigen Stelle die Sicherheitserklärung<br />

in der Regel alle fünf Jahre erneut zu.<br />

(2) Die betroffene Person hat die in der Sicherheitserklärung angegebenen Daten<br />

im Falle eingetretener Veränderungen zu ergänzen. Die zuständige Stelle beauftragt<br />

die mitwirkende Behörde, die Maßnahmen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 erneut<br />

durchzuführen.<br />

§ 30<br />

Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten<br />

(1) Die betroffene Person hat der nicht öffentlichen Stelle von sich aus die in § 6<br />

Abs. 4 genannten Änderungen mitzuteilen.<br />

(2) Die nicht öffentliche Stelle hat die zuständige Stelle umgehend über die ihr nach<br />

Absatz 1 mitgeteilten personenbezogenen Daten sowie über das Ausscheiden der<br />

betroffenen Person aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu unterrichten.<br />

§ 31<br />

Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten<br />

Die nicht öffentliche Stelle darf die nach diesem Gesetz zur Erfüllung ihrer Aufgaben<br />

erforderlichen personenbezogenen Daten der betroffenen Person automatisiert<br />

verarbeiten; im Übrigen ist § 23 entsprechend anzuwenden.<br />

Sechster Abschnitt<br />

Reisebeschränkungen und Schlussbestimmungen<br />

§ 32<br />

Reisebeschränkungen<br />

(1) Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut sind, die eine<br />

Sicherheitsüberprüfung nach den §§ 9 oder 10 erfordert, können verpflichtet werden,<br />

Dienst- und Privatreisen in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen<br />

gelten, der zuständigen Stelle oder der nicht öffentlichen Stelle rechtzeitig<br />

ThürSÜG<br />

223


224<br />

ThürSÜG<br />

vorher anzuzeigen. Die Verpflichtung kann auch für die Zeit nach dem Ausscheiden<br />

aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit angeordnet werden. Die in der Anzeige<br />

nach Satz 1 mitgeteilten Erkenntnisse dürfen von der nicht öffentlichen Stelle nur<br />

für den mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgten Zweck genutzt werden.<br />

(2) Die Reise kann von der zuständigen Stelle untersagt werden, wenn Anhaltspunkte<br />

zur betroffenen Person oder eine besonders sicherheitsempfindliche Tätigkeit<br />

vorliegen, die eine erhebliche Gefährdung durch fremde Nachrichtendienste<br />

erwarten lassen. Eine besonders sicherheitsempfindliche Tätigkeit ist in der Regel<br />

bei den in § 10 Nr. 4 genannten Personen anzunehmen.<br />

(3) Ergeben sich bei einer Reise in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen<br />

gelten, Anhaltspunkte, die auf einen Anbahnungs- oder Werbungsversuch<br />

fremder Nachrichtendienste hindeuten können, so ist die zuständige Stelle<br />

nach Abschluss der Reise unverzüglich zu unterrichten, die ihrerseits die mitwirkende<br />

Behörde zu unterrichten hat.<br />

§ 33<br />

Ermächtigung zur Rechtsverordnung<br />

Die Ministerien bestimmen im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen<br />

Ministerium durch Rechtsverordnung die öffentlichen Bereiche der Informations-<br />

und Kommunikationstechnik nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 und die lebens- oder<br />

verteidigungswichtigen Einrichtungen nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich.<br />

Die Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 bedarf der Zustimmung<br />

des zuständigen Ausschusses.<br />

§ 34<br />

Allgemeine Verwaltungsvorschriften<br />

(1) Das für den Geheimschutz zuständige Ministerium erlässt die zur Ausführung<br />

dieses Gesetzes erforderlichen Verwaltungsvorschriften.<br />

(2) Das für die Wirtschaft zuständige Ministerium erlässt im Einvernehmen mit dem<br />

für den Geheimschutz zuständigen Ministerium die zur Ausführung dieses Gesetzes<br />

erforderlichen Verwaltungsvorschriften für den Bereich der nicht öffentlichen<br />

Stellen.<br />

§ 35<br />

Strafvorschriften<br />

(1) Wer unbefugt von diesem Gesetz geschützte personenbezogene Daten, die<br />

nicht offenkundig sind,<br />

1. verarbeitet,<br />

2. zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens bereithält oder<br />

3. abruft oder sich oder einem anderen aus Dateien verschafft,<br />

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.


(2) Ebenso wird bestraft, wer<br />

1. die Übermittlung von nach diesem Gesetz geschützten personenbezogenen Daten,<br />

die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder<br />

2. entgegen § 22 Abs. 1 oder § 28 Satz 3 Daten für andere Zwecke nutzt oder<br />

unbefugt weitergibt.<br />

(3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu<br />

bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu<br />

zwei Jahren oder Geldstrafe.<br />

(4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.<br />

§ 36<br />

Übergangsbestimmungen<br />

(1) Bei Sicherheitsüberprüfungen, die vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes abgeschlossen<br />

wurden, ist die erste Aktualisierung nach § 18 Abs. 1 fünf Jahre nach<br />

Abschluss der jeweils letzten Überprüfung oder Aktualisierung, die erste Wiederholungsüberprüfung<br />

nach § 18 Abs. 3 zehn Jahre nach Abschluss der jeweils letzten<br />

Überprüfung durchzuführen.<br />

(2) Maßnahmen, die anlässlich von Sicherheitsüberprüfungen vor dem In-Kraft-<br />

Treten dieses Gesetzes eingeleitet wurden, aber noch nicht abgeschlossen sind,<br />

bleiben wirksam, sofern sie mit entsprechenden Maßnahmen nach diesem Gesetz<br />

vergleichbar sind.<br />

§ 37<br />

Gleichstellungsbestimmung<br />

Status- und Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in männlicher<br />

und weiblicher Form.<br />

ThürSÜG<br />

225


226<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

A AA/BO Antifaschistische Aktion/Bundesweite<br />

Organisation<br />

AAG Antifaschistische Aktion Gera<br />

AANdh Antifaschistische Aktion Nordhausen<br />

AAW Autonome Antifa Weimar<br />

AGAP Antifa Gruppe Apolda<br />

AG17 Antifa Gruppe 17<br />

AGST Antifaschistische Gruppe Südthüringen<br />

AJAE Autonome Jugendantifa Erfurt<br />

AKE Antifaschistische Koordination Erfurt<br />

A2KT Autonome Antifa Koordination<br />

Thüringen<br />

ALB Antifaschistische Linke Berlin<br />

AMS Assoziation Marxistischer Studierender<br />

AN Autonome Nationalisten<br />

ASJ Antifaschistische Sportgruppe Jena<br />

aye Antifascist Youth Erfurt<br />

B B.A.F. Braune Aktionsfront Thüringen<br />

C CDK Koordination der kurdischen demokratischen<br />

Gesellschaft in Europa<br />

CH Collegium Humanum e.V.<br />

CSI Curch of Scientology International<br />

D DDF Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V.<br />

– der Bismarck Deutsche<br />

DK Deutsches Kolleg<br />

DKP Deutsche Kommunistische Partei<br />

DP Deutsche Partei<br />

DVU Deutsche Volksunion<br />

F FAE Freie Aktivisten Erfurt<br />

FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei


FAU Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion<br />

FAUST Freie ArbeiterInnen Union Südthüringen<br />

FKE Freie Kräfte Erfurt<br />

FKH Freundeskreis Halbe<br />

FKST Freie Kräfte Südthüringen<br />

G Gestapo Geheime Staatspolizei<br />

GIMF Globale Islamische Medienfront<br />

H HDJ Heimattreue Deutsche Jugend e.V.<br />

HNG Hilfsorganisation für nationale<br />

politische Gefangene und deren<br />

Angehörige e.V.<br />

I IAA Internationale Arbeiter Assoziation<br />

ILJ Infoladen Jena<br />

IJU Islamische Jihad Union<br />

J JAPS Jugend-, Aktions- und Projektwerkstatt<br />

JN Junge Nationaldemokraten<br />

K KADEK Freiheits- und Demokratiekongress<br />

Kurdistans<br />

KCK Koma Civaken Kurdistan<br />

KDS Kampfbund Deutscher Sozialisten<br />

KDVR Koreanische Demokratische<br />

Volksrepublik<br />

KJVD Kommunistischer Jugendverband<br />

Deutschlands<br />

KNK Kurdischer Nationalkongress<br />

KONGRA GEL Volkskongress Kurdistans<br />

KPD Kommunistische Partei Deutschlands<br />

KPF Kommunistische Plattform der Partei<br />

„DIE LINKE.“<br />

KSCM Kommunistische Partei Böhmens und<br />

Mährens<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

227


228<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

KSM Kommunistische Union der Jugend der<br />

Tschechischen Republik<br />

M MfS Ministerium für Staatssicherheit der<br />

DDR<br />

MfS Marxistisch-Leninistische Partei<br />

Deutschlands MLPD<br />

N NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands<br />

NSBM NS-Black Metal<br />

NZ National-Zeitung/<br />

Deutsche Wochenzeitung<br />

O OSA Office of Special Affairs<br />

P PKK Arbeiterpartei Kurdistans<br />

R REP Die Republikaner<br />

RH Rote Hilfe e. V.<br />

S SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend<br />

SKD Scientology Kirche Deutschland e.V.<br />

T TIB Türk Intikam Birligi<br />

(Türkische Racheeinheiten)<br />

TJ Tabligh-i Jamaat al-Islami<br />

V VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen<br />

Bestreitens des Holocaust Verfolgten<br />

U UZ Unsere Zeit<br />

Y YDK Kurdische Demokratische Volksunion<br />

YEK-KOM Föderation kurdischer Vereine in<br />

Deutschland e.V.<br />

YÖP Yeni Özgür Politika


A Aktion G13 125<br />

Aktionsbündnis Erfurt 69–70<br />

Alerta – Antifa Newsflyer für<br />

Jena 117<br />

Al-Qaida 153<br />

Alleinerziehende in Not e.V. 74<br />

Antifa Gruppe 17 (AG17) 116–117, 120–121,<br />

124–125<br />

Antifa Gruppe Apolda (AGAP) 116, 122<br />

Antifaschistische Aktion/Bundesweite<br />

Organisation (AA/BO) 114<br />

Antifaschistische Aktion Gera<br />

(AAG) 117<br />

Antifaschistische Aktion<br />

Nordhausen (AANdh) 116, 128<br />

Antifaschistische Gruppe<br />

Südthüringen (AGST) 116, 118–119, 131<br />

Antifaschistische Koordination<br />

Erfurt (AKE) 121<br />

Antifaschistische Linke Berlin<br />

(ALB) 129<br />

Antifaschistische Sportgruppe<br />

Jena (ASJ) 116, 122<br />

Antifascist Youth Erfurt (aye)<br />

Anti-G8-Plenum Thüringen<br />

115<br />

(„BergsteigerInnen“) 121, 128–129<br />

Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 150, 156–157, 163<br />

Assoziation Marxistischer 137<br />

Studierender (AMS)<br />

Autonome 109, 111–114, 116,<br />

118–119, 123–124<br />

Autonome Antifa Koordination<br />

Thüringen (A²KT)<br />

110, 116–117, 121<br />

Sachregister<br />

229


230<br />

Sachregister<br />

Autonome Antifa Weimar<br />

(AAW) 116, 125<br />

Autonome Jugendantifa Erfurt<br />

(AJAE) 117, 121<br />

Autonome Nationalisten (AN) 60, 71<br />

Autonome Nationalisten<br />

Südthüringen 71<br />

B Bandidos MC 176<br />

Bildungswerk für Heimat und<br />

nationale Identität e.V. (i.G.) 27–28<br />

Black Metal 83, 91, 93<br />

Black Pistons MC 176<br />

Blickpunkt Vogtland 79<br />

Blood & Honour (B & H) 86–87, 90<br />

Brainwash (Skinheadband) 92–94<br />

Braune Aktionsfront Thüringen<br />

(B.A.F.) 67–68<br />

„Braunes-Haus“ 70, 172<br />

Bürgerstimme! Mitteilungsblatt<br />

freier Kräfte der Region<br />

Erfurt-Arnstadt 79<br />

Bundeskoordinierungsrat (BKR) 133–134<br />

C Celebrity Centers (CCs) 165<br />

Celtic Dawn (Skinheadband) 93–94, 100<br />

Chicanos MC 176<br />

Collegium Humanum e.V. (CH)<br />

Curch of Scientology<br />

105, 168, 172<br />

International (CSI) 165<br />

D Der Pappenheimer 80<br />

Der Rennsteig Bote 78<br />

Der Wartburgkreis Bote 79<br />

Deutsche Kommunistische<br />

Partei (DKP)<br />

109-110, 122, 128,<br />

133–138, 141–142,<br />

171


Deutsche Partei (DP) 56<br />

Deutsche Stimme (DS) 22, 27, 51<br />

Deutsche Volksunion (DVU) 17–19, 24–25, 29, 35,<br />

44–45, 50, 53–56, 80<br />

Deutsches Kolleg (DK) 106<br />

Deutschland-Pakt 24, 28, 44–45, 54<br />

Deutsch-Russische Friedensbewegung<br />

Europäischen<br />

Geistes e.V. 73–74, 168<br />

Die Artgemeinschaft –<br />

Germanische Glaubensgemeinschaft<br />

wesensgemäßer<br />

Lebensgestaltung e.V. 104<br />

Die Deutsche Freiheitsbewegung<br />

e.V. (DDF) –<br />

der Bismarck Deutsche 105<br />

Die Republikaner (REP) 18<br />

Die Rote Fahne 139–140<br />

E Ehre & Stolz (Skinheadband) 92, 99<br />

Erfurter Bündnis gegen Gewalt 71<br />

Eternal Bleeding (Skinheadband) 92–94, 99<br />

Eugenik (Skinheadband) 92–93<br />

Exilregierung Deutsches Reich 106–107<br />

F Fest der Völker<br />

Föderation kurdischer Vereine<br />

in Deutschland e.V.<br />

3, 31, 46–47, 49–50,<br />

55, 82, 89, 122, 171<br />

(YEK-KOM) 159, 161–163<br />

Freie Aktivisten Erfurt (FAE) 71<br />

Freie Arbeiterinnen- und<br />

Arbeiterunion (FAU) 109–110, 129–131<br />

Freie ArbeiterInnen Union<br />

Südthüringen (FAUST) 130<br />

Freiheitliche Deutsche<br />

Arbeiterpartei (FAP) 64<br />

Sachregister<br />

231


232<br />

Sachregister<br />

Freie Kameradschaft 59<br />

Freie Kräfte Erfurt (FKE) 71<br />

Freie Kräfte Südthüringen (FKST) 67, 80<br />

Freie Nationalisten 45, 59, 68, 70, 82<br />

Freiheits- und Demokratie-<br />

kongress Kurdistans (KADEK) 150, 156–157<br />

Freundeskreis Halbe (FKH) 66<br />

D Germania Versand 82, 101<br />

Globale Islamische Medienfront<br />

(GIMF) 153<br />

H Hammerskins 86, 88<br />

Hardcore 91<br />

Hatecore 91, 94<br />

Heavy Metal 91<br />

Hells Angels MC 176<br />

Hilfsorganisation für nationale<br />

politische Gefangene und<br />

deren Angehörige e.V. (HNG)<br />

Heimattreue Deutsche Jugend<br />

72<br />

e.V. (HDJ)<br />

Hausgemeinschaft „Zu den<br />

72<br />

Löwen“ 70<br />

I Infoladen Jena (ILJ) 116–117, 123<br />

INTERIM (Zeitschrift)<br />

Internationale Arbeiter<br />

112<br />

Assoziation (IAA) 129–130<br />

Islamische Jihad Union (IJU) 153<br />

J Jugend-, Aktions- und Projektwerkstatt<br />

(JAPS) 122<br />

Junge Nationaldemokraten (JN) 22, 44, 50–53, 167,<br />

169, 171, 173<br />

Jungsturm Apolda 68


K Kameradschaft Apolda 68<br />

L<br />

Kameradschaft Eichsfeld 63<br />

Kameradschaft Leinefelde 71<br />

Kameradschaft Northeim 63–64<br />

Kameradschaften 19, 59, 63, 69, 71, 82, 89<br />

Kampfbund Deutscher<br />

Sozialisten (KDS) 66<br />

Koma Civaken Kurdistan (KCK) 158<br />

Kommunistische Partei Böhmens<br />

und Mährens (KSCM) 141<br />

Kommunistische Partei<br />

Deutschlands (KPD)<br />

Kommunistische Plattform (KPF)<br />

der Partei „DIE LINKE.“<br />

109, 134–135,<br />

139–141, 171<br />

109-110, 132–134,<br />

137, 141–142, 171<br />

Kommunistische Union der<br />

Jugend der Tschechischen<br />

Republik (KSM) 141–142, 170<br />

Kommunistischer Jugendverband<br />

Deutschlands (KJVD) 139–141, 168<br />

Kontinentale Verbindungsbüros<br />

(Continental Liason Offices) 165<br />

Koordination der kurdischen<br />

demokratischen Gesellschaft<br />

in Europa (CDK) 159<br />

Kurdisch-Deutscher Freundschaftsverein<br />

Erfurt e.V. 161–163, 168<br />

Kurdische Demokratische<br />

Volksunion (YDK) 159<br />

Kurdischer Nationalkongress<br />

(KNK) 157, 163<br />

Lebensschutz-Informationen<br />

(LSI) 105<br />

Linksruck 128<br />

Sachregister<br />

233


234<br />

Sachregister<br />

M<br />

N<br />

Marxistisch-Leninistische Partei<br />

Deutschlands (MLPD)<br />

mila26<br />

Ministerium für Staatssicherheit<br />

115<br />

der DDR (MfS) 12, 185<br />

Moshpit (Skinheadband) 92–94<br />

Nationaldemokratische Partei<br />

Deutschlands (NPD)<br />

128, 131, 142–145,<br />

170–171<br />

3–4, 17–19, 22–37,<br />

39–52, 54–55, 57–59,<br />

62–64, 66–67, 70–78,<br />

80–82, 88–89, 96,<br />

100–101, 104–105,<br />

119–121, 124, 128<br />

Nationale Sozialisten 69<br />

Nationaler Widerstand 62<br />

Nationaler Widerstand Erfurt 69<br />

National-Zeitung/Deutsche<br />

Wochenzeitung (NZ)<br />

53–54<br />

Nationale Bildungskreis (NBK)<br />

Nationale Sozialisten Alten-<br />

51<br />

burger Land 65–66<br />

Neonazis 72, 75–77, 89, 100,<br />

169<br />

NS-Black Metal (NSBM) 85, 91<br />

N Office of Special Affairs (OSA) 165<br />

Outlaws MC 175–176<br />

P PAK 88 (Skinheadband) 92, 99–100<br />

perplex 51<br />

Pro Kid e.V. 74<br />

R Rabenschrei (Skinheadband) 93<br />

Rabiat (Skinheadband)<br />

R.A.C. (Rock gegen Kommunis-<br />

93<br />

mus) 91


Radikahl 92–93<br />

REBELL 142–145, 170<br />

Rechts vor Links 51<br />

Rechtsroxx Erfurt e.V. 74<br />

Red Devils MC 176<br />

Reichsbürgerbewegung (RBB) 105<br />

Religious Technology Center<br />

(RTC) 165<br />

Rock für Deutschland 3, 31, 46–47, 49, 89,<br />

100, 170<br />

ROJ-TV 158, 160, 163<br />

Rote Hilfe e.V. (RH) 145–146<br />

Rotfüchse 144–145<br />

S Schinderhannes 51<br />

Schöner Leben in Erfurt e.V. 73, 79<br />

Schulhof-CD 42, 173<br />

SERXWEBUN 156<br />

SKD (Skinheadband) 92–94, 99–100, 164<br />

Skinheads 83, 85, 90, 102<br />

Skuld (Skinheadband) 92<br />

Sozialistische Deutsche<br />

Arbeiterjugend (SDAJ)<br />

122, 135–138,<br />

141–142<br />

Sportgemeinschaft Germania<br />

e.V. 73–74<br />

Stachel 51<br />

Stahlpakt MC 177<br />

Stimme von und für Elbe-Saale 142<br />

SV Vorwärts Erfurt e.V. 73<br />

T Thüringen Stimme 22, 39–41, 43–45<br />

Thüringenreport 135, 138<br />

Sachregister<br />

235


236<br />

Sachregister<br />

V<br />

Thüringentag der nationalen<br />

Jugend<br />

Thüringer G8-Protest-Ratschlag 128<br />

Totenburg (NSBM-Band) 92<br />

Türk Intikam Birligi (Türkische<br />

Racheeinheiten – TIB) 163<br />

35, 47, 82, 89, 100, 169<br />

Verein zur Rehabilitierung der<br />

wegen Bestreitens des Holocaust<br />

Verfolgten (VRBHV) 105<br />

Volksfront von Rechts 17–19, 24, 28–29, 35,<br />

45, 56, 62, 64<br />

Volkskongress Kurdistans<br />

(KONGRA GEL) 150, 156–163<br />

U Unsere Zeit (UZ) (Publikation) 135–137<br />

W Wartburgkreis Bote 79<br />

WB Magazin 82, 103<br />

W & B Records 101, 103<br />

W & B Versand 64, 82<br />

White Power 85–86, 89<br />

White Youth 87<br />

Wolfssang (Skinheadband) 92–93<br />

Y Yeni Özgür Politika (YÖP) 162


A Apfel, Holger 50<br />

Aydar, Zübeyir 156–158, 163<br />

B Bärthel, Christian 57<br />

Bäz-Dölle, Uwe 35, 55, 80<br />

Bakunin, Michail 129<br />

Beck, Walter 35, 37, 50, 55<br />

Busse, Friedhelm 52<br />

D Deckert, Günter 105<br />

Donaldson, Ian Stuart 86, 90<br />

E Engels, Friedrich 111, 136, 139<br />

F Frenck, Tommy 73<br />

Frey, Dr. Gerhard 54<br />

G Gerlach, Thomas 45, 65–66<br />

Gündüzgiden, Yilmaz 161<br />

H Haverbeck, Werner Georg 105<br />

Haverbeck-Wetzel, Ursula 105<br />

Heise, Thorsten 31, 63–65, 74, 101<br />

Heller, Hendrik 43<br />

Heß, Rudolf 49<br />

Honecker, Erich 139<br />

Hoppe, Kurt 35, 57<br />

Hubbard, Lafayette Ronald 165<br />

K Kappel, Dr. Heiner 56–57<br />

Kaiser, Christian 52<br />

Kropotkin, Peter 129<br />

Kuhlemann, Alfred 57<br />

Personenregister<br />

237


238<br />

Personenregister<br />

L Lemke, Maximilian 70, 93<br />

Lenin, Wladimir Iljitsch 111, 136, 139<br />

Liebknecht, Karl 139<br />

Luxemburg, Rosa 139<br />

M Mahler, Horst 105<br />

Mao Tse-Tung 111<br />

Marx, Karl 111<br />

Marx, Peter 37<br />

Miscavige, David 165<br />

O Oberlercher, Dr. Reinhold 106<br />

Öcalan, Abdullah 157–158, 160–163<br />

P Pastörs, Udo 52<br />

Pätzold, Ulrich 56–57<br />

Paul, Patrick 69, 74, 80<br />

Pieck, Wilhelm 139<br />

R Reiche, Sebastian 78<br />

Rieger, Jürgen 104<br />

Rochow, Stefan 52<br />

Rolle, Dieter 139<br />

Rühlemann, Martin 67<br />

S Schäfer, Michael 51<br />

Schwerdt, Frank 30–31, 37, 50<br />

Stalin, Jossif Wissarionowitsch 111, 139<br />

Stehr, Heinz 136<br />

T Thälmann, Ernst 139, 141<br />

Traut, Jochen 134<br />

Trinkaus, Kai-Uwe 42, 72–74<br />

Trotzki, Lew Dawidowitsch 111


U Ulbricht, Walter 139<br />

V Voigt, Udo 23, 28, 37, 50<br />

W Wagenknecht, Sahra 133<br />

Weinlich, Dominik 52<br />

Wiechmann, Claudia 56–57<br />

Wieschke, Patrick 43, 47, 50, 74, 78–79<br />

Wohlleben, Ralf 40, 50, 70<br />

Worch, Christian 62<br />

Y Yigit, Ali 163<br />

Personenregister<br />

239

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