Minnesang und Hip Hop. Ein Vergleich zweier lyrischer ... - Start
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Mimesis. Solche Merkmale sind biografische Details, satirische<br />
Auffassungen des Minnewerbens, die Ratgeberrolle des Sängers,<br />
die vorgespiegelte Kompatibilität von literarischem <strong>und</strong><br />
faktischem Tun, die Auseinandersetzung mit den Kritikern, die<br />
Nennung von Eigennamen. Sie sind durchweg referenziell, das<br />
heißt, sie beziehen sich auf die Vortragssituation, die literarische<br />
Tradition, die gesellschaftliche Funktion des ‘sancs’ <strong>und</strong> die<br />
Stellung des Sängers, auch wenn sich die im Gedicht verhandelte<br />
Situation nicht mit der Biografie des Autors decken muss.<br />
<strong>Minnesang</strong> ist nicht nur die Überformung einer individuellen oder<br />
intersubjektiven Emotion, aber auch nicht allein fiktiver Diskurs<br />
über ästhetische <strong>und</strong> moralische Dichotomien, wie sie in der<br />
Reinmar-Walther-Fehde konstruiert werden. Dass sich vielmehr<br />
beide Bedürfnisse in dieser Dichtungsform durchaus vereinbaren<br />
lassen, ist ihrer situativen Verankerung geschuldet.<br />
Der strenge gesellschaftliche Rahmen des Festes ist es, der<br />
einerseits die freie, individuelle, bisweilen kritische Äußerung<br />
ermöglicht, weil sie sich erst relativ, in ihrer Abweichung von der<br />
Norm manifestieren kann, auch wenn diese Norm für uns heute<br />
nur schwer zu rekonstruieren ist. Andererseits ist das<br />
gesellschaftliche Ereignis natürlich der Ort für eine symbolische<br />
Verhandlung von Ethik, Ästhetik <strong>und</strong> anderen systemischen<br />
Konventionen, umso mehr in einer Zeit, in der die Kommunikation<br />
innerhalb von wechselnden Gruppen weitaus mehr technische<br />
Schwierigkeiten aufwarf als heute. Die vermittelnde Situation des<br />
Festes, die zugleich über das Individuum hinauszuweisen <strong>und</strong><br />
geistige Diskurse zu konkretisieren vermag, ist im ‘sanc’ selbst<br />
repräsentiert. Unter der Berücksichtigung der referenziellen,<br />
repräsentationalen <strong>und</strong> pragmatischen Begrenzung der Gattung<br />
<strong>Minnesang</strong> gegenüber einem rein literalen Diskurs, den es ja auch<br />
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